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1877. ANNALEN .x 9. DER PHYSIK UND CHEMIE. NELTE FOLGE. BA’ND 11. I. Ueber cE.iscont4nzcirlich.e Ptm.&jhits- bewegungen; vo9a A. Obe?*becJ,-. (Vorgetragen in der Sitzung der phys. Gesellschaft zu Berlin am 11. Mai 1877.) 1. Als discontinuirliche Flussigkeitsbewegungen pflegt man solche Bewegungserscheinungen zu bezeichnen, bei welchen die Geschwindigkeit nicht durch den ganzen, von der Fliissigkeit erfiillten Raum eine stetige Function des Ortes ist. Es kommen bei denselben also innerhalb der Fliissigkeit Flachen vor, welche Gebiete von einander trennen, in denen die Geschwindigkeiten sich um endliche Grijssen unterscheiden. Die Grundlagen der Theorie dieser Bewegungen sind zuerst von H elm h o 1 t z l) gegeben worden. Nimmt man an, dass fur stationare Fliissigkeitsbewegungen ein Geschwindigkeitspotential (9) existirt, so lassen sich die hydrodynamischen Differentialgleichnngen in die eiae Gleichung zusammenfassen: p = (7- l&)”+ k)”+ (%)“I. Helmholtz hat nun gezeigt, dass der Druck p und infolge dessen die Geschwindigkeit discontinuirliche Functionen der Coordinaten sein kiinnen, und dass es eine Srosse Anzahl von Bewegungserscheinungen gibt, fiir welche die Annahme einer discontinuirlichen Function nothwendig wird. Besonders ist dann diese Theorie von Helmholtz und von K i r c h h off 2) auf Fliissigkeitsstrahlen angewandt 1) Berl. Monatsber. 1868. p. ‘115-228. 2) Crelle J. LXX. p. 289-299. Ann. d. Phys. u. Chem. N. F. 11. 1

Ueber discontinuirliche Flüssigkeitsbewegungen

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1877. A N N A L E N .x 9.

DER PHYSIK UND CHEMIE. NELTE F O L G E . B A ’ N D 11.

I. Ueber cE.iscont4nzcirlich.e Ptm.&jhits- bewegungen; vo9a A. Obe?*becJ,-.

(Vorgetragen in der Sitzung der phys. Gesellschaft zu Berlin am 1 1 . Mai 1877.)

1. Als discontinuirliche Flussigkeitsbewegungen pflegt man solche Bewegungserscheinungen zu bezeichnen, bei welchen die Geschwindigkeit nicht durch den ganzen, von der Fliissigkeit erfiillten Raum eine stetige Function des Ortes ist. Es kommen bei denselben also innerhalb der Fliissigkeit Flachen vor, welche Gebiete von einander trennen, in denen die Geschwindigkeiten sich um endliche Grijssen unterscheiden. Die Grundlagen der Theorie dieser Bewegungen sind zuerst von H e lm h o 1 t z l ) gegeben worden. Nimmt man an, dass fur stationare Fliissigkeitsbewegungen ein Geschwindigkeitspotential (9) existirt, so lassen sich die hydrodynamischen Differentialgleichnngen in die eiae Gleichung zusammenfassen:

p = (7- l&)”+ k)”+ (%)“I. H e l m h o l t z hat nun gezeigt, dass der Druck p und

infolge dessen die Geschwindigkeit discontinuirliche Functionen der Coordinaten sein kiinnen, und dass es eine Srosse Anzahl von Bewegungserscheinungen gibt, fiir welche die Annahme einer discontinuirlichen Function nothwendig wird. Besonders ist dann diese Theorie von H e l m h o l t z und von K i r c h h of f 2) auf Fliissigkeitsstrahlen angewandt

1) Berl. Monatsber. 1868. p. ‘115-228. 2) Crelle J. LXX. p. 289-299.

Ann. d. Phys. u. Chem. N. F. 11. 1

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worden, und ist es gelungen die Grenzen freier Strahlen unter den folgenden Voraussetzungen anzugeben:

1) Auf die Fliissigkeit wirkt keine beschleunigende Kraft.

2) Die Bewegung ist stationair. 3) Dieselbe hangt nur von zwei Variaheln x und y

ah, ist also iiherall einer festen Ehene parallel. Wenn es in anderen FUllen, z. B. fiir Strahlen, welche

um eine Axe symmetrisch sind, oder welche unter dem Einfluss der beschleunigenden Kraft der Schwere stehen, noch nicht gelungen ist die freien Grenzen dnrch Rech- nung zu bestimmen, so liegt dies nnr :in der analytischen Schwierigkeit. I m ganzen kann man ihren Verlauf in- dess schon nach den bisher anfgefundenen Resultaten iiber- sehen.

Die angefuhrten, mathematischen Untersuchungen gelten ebenso wohl fiir Fliissigkeitsstrdilen, welclie von ruhender Luft, als auch fur solche, welche von der gleichen, ruhenden Flussigkeit hegrenzt sind. Bei der wirklichen Herstellung solcher Fliissigkeitsstrahlen maclit es natiir- lich einen grossen Unterschied, ob inan Wasser in Luft, oder Wasser in Wasser stromen lasst. I n beiden Fallen treten storende Umstknde ein, auf welche die mathema- tische Theorie keine Rucksicht nimmt. Am ausfuhrlichsten untersucht sind die freien in Luft eintretenden Wasser- strahlen. I) Es kommen hierbei Strahlbildungen vor, wie man sie nach der Tlieorie erwarten muss. Andererseits ist es aber bekannt, dass die Wasserstrahlen wesentlich beeinflusst werden durch die Capillarspannungen der freien Oberflache, und dass sie sich infolge dessen in gewissen Entfernungen von der Ausflussoffnung in Tropfen auflosen.

Lasst man eine tropfbare Fliissigkeit in eine gleich- artige, ruhende Fliissigkeit einstromen, so fallen zwar diese Capillarwirkungen fort; dafiir muss aber ein anderes

1) Ausser den iilteren Versuchen von B i d o n e und S a v a r t be- sonders Magnus , Pogg. Ann. XCV und CVI.

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storendes Moment - die Reibung - die Erscheinungen beeinflussen. Die Reibung ist bisher bei den discontinuir- lichen Fliissigkeitsbenregungen nicht in Betracht gezogen worden. Versucht man dies, so stosst man auf eine eigen- thiimliche Schwierigkeit, welche den Verfasser veranlasste, diese Fliissigkeitsbewegungen experimentell zu untersuchen.

2. Bekanntlich lasst sich die Theorie der Reibung der Fliissigkeiten aus der zuerst von N e w t o n ') aufge- stellten Annahme entwickeln, dass die verzogernde resp. beschleunigende Wirkung zweier Fliissigkeitstheile, welche mit verschiedenen Geschwindigkeiten aneinandervoriiber- fliessen , ihrer relativen Geschwindigkeit proportional ist. Besonders hat 0. E. M e y e r 2, aus dieser Hypothese die allgemeinen Differentialgleichungen fur die Bewegung von Flussigkeiten entwickelt.

Nimmt man an, dass alle Theile der bewegten Fliissig- keit parallele Bahnen etwa in Richtung der y-Axe durch- laufen, und dass ihre Geschwindigkeiten v nur Functionen. von x sind, dass endlich ,u der Reibungscoefficient ist, so wird die Wirkung zweier benachbarter Theile anf ein- ander dargestellt durch den Ausdruck:

d v fP&.

1st v eine discontinuirliche Function von x, so wird an der betreffenden Stelle der Differentialquotient unendlich gross. Zwei benachbarte Theile wiirden also eine unend- lich grosse Wirkung auf einander ausiiben. Befindet sich daher das eine Fliissigkeitstheilchen in Ruhe , wahrend ein benachbartes, welches einem Strahl angehort, mit einer durch aussere Einwirkung ihm mitgetheilten, con- stanten Geschwindigkeit bei dem ersten vorbeistromt , so miisste das erstere sofort an der Bewegung des zweiten theilnehmen, das zweite dagegen einen endlichen Bruch-

1) N e w t o n , Mathematische Principien der Naturlehre. Deutsch

2) Crelle J. LIX. p. 229-303 und Pogg. Ann. CXIII. p. 68-69.

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von Wolfers. Berlin 1872. p. 368.

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theil seiner Geschwindigkeit verlieren. Der Strahl musste daher sehr schnell die umliegende , ruhende Flussigkeit mit in Bewegung setzen. Es muss hiernach zweifelhaft erscheinen, ob sich schnrf abgegrenzte Strahlen, wie sie die oben besprochene Theorie folgert, in einer der Reibung unterworfenen Flussigkeit bilden konnen.

Die wenigen, bisher iiber diese Frage anngestellten Versuche schienen diese Vermuthung zii bestatigen. Be- sonders bemerkenswerth ist eine Untersuchung von Magnus . ') Derselbe liess aus einer cylindrischen Oeff- nung reines Wasser in eine verdiinnte Salzlosung ein- stromen und leitete durch eine in eine feine Spitze aus- gezogene Glasrohre eine kleine Qnantitiit des einstromenden Wassers in der X h e der Oeffnung ab. Die aufgefangene Flussigkeit wurde auf ihren Salzgehalt untersucht. Man konnte ails demselben berechnen, inwieweit sich die ein- stromende Fliissigkeit mit der zuvor in dem Gefass be- -findlichen gemischt hatte. Hierbei ergab sich, dass von keiner Stelle der einstromenden Fliissigkeit reines Wasser abgeleitet werden konnte, {dass also stets die ursprung- lich ruhende Fliissigkeit von der hewegten mitgerissen worden war.

Auch die analogen Fiille der Luft- nnd Raiiclistrahlen, sowie der freien Wasserstrshlen in Luft beweisen, dass man es bei denselben mit Erscheinungen von sehr ge- ringer Stabilitat zu thun hat. Es ist bekannt, wie enipfind- lich dieselben haufig gegen die schwachen , periodischen Storungen der Schallwellen sind. 2,

Es schien mir daher von Interesse, die Bildung von Wasserstrahlen in Wnsser genauer zu untei-suchen und dabei eine Methode z u benutzen, welche besser gestattet den Verlauf der Bewegungserscheinungen zu verfolgen, als dies bei den Versuchen von M a g n u s moglich war.

1) Pogg. Ann. LXXX. p. 1-40. 2) J. T y n d a l l , Der Schall; herausgegeben ron H e l m h o l t z uud

W i e d e m a n n . Branoschweig 1869. p. 989-29'2.

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Am einfachsten lasst sich dieser Zweck dadurch erreichen, dass man schwach gefarbtes Wasser in farbloses ein- stromen lasst. Als Farbungsmittel diente das Fuchsin. Es ist bekannt, dass man mit einer sehr geringen Menge dieses Stoffes schon eine intensiv rothe Farbung erhalt, ohne dass man befiirchten musste, hierdurch das specifische Gewicht des Wassers erheblich zu verandern. Bei den ersten hiermit angestellten Versuchen ergab sich , dass sich die Strahlen der gefarbten Fliissigkeit schon in ganz geringen Entfernungen von der Ausflussolfnung in roth- liche Wolken und Tropfen auflosten, die sich mit der ruhenden Fliissigkeit mischten und dieselbe mit sich fort- rissen. Bei weiterer Untersuchung gelang es aber, Be- dingungen zu ermitteln , unter welchen sich wirkliche Strahlen von bedeutender Lange nnd scharfer Begrenzung bildeten. Dieselben waren von grosser Stabilitat, so dass kleine Sttirungen nur einen schnell verschwindenden Ein- fluss auf ihren Verlauf hatten. A m vorderen Ende dieser Strahlen bildeten sich eigenthiimliche Stromungsflachen, welche den Einfluss der Reibung deutlich erkennen liessen. Diese Bewegungserscheinungen sind von auffallender Schon- heit und Zartheit, movon sich eih J e h r iiberzeugen wird, der die leicht zu wiederholenden Versuche selbst anstellt.

Da die in der Einleitung erwahnten, theoretischen Untersuchungen, die Modificationen dsr Strahlen durch feste Korper behandeln, und besonders K i r c h h o f f hierzu eine Reihe interessanter Beispiele gibt, so wurde auch diese Frage mit in Betracht gezogen. E s bildeten sich auch hierbei sehr stabile Strahlfiguren, welche mit den aus der Theorie gefolgerten mehr Aehnlichkeit hatten, als man hatte erwarten sollen.

3. Die Versuche wurden mik dem folgenden, einfachen Apparat ausgefuhrt.

E in Glasgefass (Taf. I, Fig. 1) von etwa 60 Ctm. Hohe und 12 Ctm. Durchmesser war mit Wasser gefullt. I n dasselbe ging von einem Trichter durch einen Kautschuck- schlauch, Glashahn und eine Glasrohre eine Leitung. Der

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Trichter sowie die ganze Rohrenleitung waren mit der gefarbten Fliissigkeit gefiillt. Nach Piillung des Glas- cylinders, an dessen Stelle man allenfalls auch ein grosseres Becherglas benutzen kann, mit Wasser, muss liingere Zeit gewartet werden, bis die Bewegnng des Wassers sich durch Reibung zerstort hat. Am besten gelingen die Ver- suche, wenn das Wasser sich mehrere Stunden in dem Cylinder befunden hat, da dann auch keine Stromungen, welche von Temperatnrdifferenzen herriihren , mehr vor- handen sind. Durch eine kurz andauernde Oeffnung des Glashahnes kann man eine begrenzte Quantitit gefarbter Fliissigkeit in die ruhende eintreten lassen oder man kann bei langerer Oeffnung eine stationare Stromnng erzeugen. Durch Heben oder Senken des Trichters kann man leicht die Hohe des oberen Fliissigkeitsniveaus reguliren. Als Hauptbedingung fur die Erzeugung regelmassiger Strom- gebilde hatte sich die Benutzung kleiner Druckdifferenzen herausgestellt. Die meisten Versuche, bei denen keine anderen Angaben gemacht sind, wurden bei etwa 20 Mm. Ueberdruck ausgefiihrt.

An geeigneten Vorrichtungen konnten von oben her dem erxeugten Stralil festc Korper entgegengestellt werden. Zur genaueren Beobachtung ist es nothwendig, hinter dem Glascylinder eine Flache weissen Papiers zu befestigen.

4. Zum Verstandniss der Strahlbildungen ist es vor- theilhaft , zunachst das Verhalten einer begrenzten Quan- titat von Fliissigkeit kennen zu lernen, welche unter einem kleinen Ueberdruck in die ruhende Fliissigkeit eintritt. Ich beginne daher mit der Beschreibnng der hierauf be- ziiglichen Versuche.

Lasst man den Glashahn nur eine kurze Zeit geoffnet, so tritt stets auch bei den kleinsten Druckdifferenzen von 2 bis 3 Mm. eine scharf begrenzte Fliissigkeitsmenge in die ruhende Fliissigkeit ein. Die urspriingliche Form der ersteren wird bald durch Reibung und Theilnahme der bisher ruhenden Fliissigkeit an der Bewegung in eigen- thiimlicher Weise modificirt und rollt sich schliesslich in

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einen Ring auf. Die gefarbte Fliissigkeitsmasse durch- lauft hierbei die durch die Figuren Taf. I, 2 bis 5 dar- gestellten Formen. E s ist zu dieser ZBichnung, wie zu den meisten folgenden , zu bemerken, dass dieselbe den Durchschnitt der Flussigkeitsmasse durch eine Ebene darstellt , welche durch die Symmetrieaxe des Gebildes geht. Um die wahre Gestalt zu finden, muss man sich daher die Figur um diese Axe gedreht denken.

Bei der Form der Fig. 5 ist die Ringbildung voll- endet; meist war aber auch bei Druckdifferenzen von 10-20 Mm. die lebendige Kraft der Flussigkeit verbraucht, so dass dieses Gebilde lange bewegungslos in der farb- losen Fliissigkeit schwebt.

Benutzt man etwas grossere Druckdifferenzen von 40-50 Mm., so kann man beobachten, wie innerhalb des Ringes die Fliissigkeit noch langere Zeit rotirt. Die urspriingliche, fortschreitende Bewegung ist daher in eine Wirbelbewegung ubergegangen. Die Wirbelbewegungen sind theoretisch von H e l m h o l t z 1) behandelt worden, und hat derselbe im Eingang seiner Abhandlung auf die Noth- wendigkeit des Ueberganges der Stromung resp. einer Bewegung, welcher ein Geschwindigkeitspotential zukommt, in eine Wirbelbewegung infolge der Reibung hingewiesen.

Noch viele andere der von H e l m h o l t z in der an- gefiihrten Abhandlung gezogenen Consequenzen lassen sich mit Hulfe des von dem Verfasser benutzten Apparates leicht beobachten.

Lasst man durch abwechselndes Oeffnen und Schliessen des Hahnes zwei Tropfen kurz hinter einander in die farb- lose Fliissigkeit eintreten, so entstehen aus beiden Ring- gebilde und das folgende holt stets das vorhergegangene ein. J e nach den benutzten Druckdifferenzen sind dann verschiedene Falle mdglich. Waren dieselben gering, so vermag der zweite Ring nicht den ersten zu durchdringen, und ein Gebilde, wie Fig. 6 zeigt, bleibt liingere Zeit in

1) Crelle J. LV. p. 25-56.

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der Flussigkeit sichtbar. Bei grosseren Druckdifferenzen geht dagegen Ring I1 durch Ring I hindurch, indem ersterer sich zusammenzieht, letzterer sich erweitert. Man kann dann beobachten, dass Ring I wieder durch Ring I1 zu dringen bestrebt ist. Doch war dann meist die leben- dige &aft verbraucht, so dass gewohnlich die beiden Ringe in der Form zuruckblieben, wie es Fig. 7 zeigt. Auch dieses abwechselnde Hindurchgehen der Wirbel- ringe durch einander hat H e l m h o l t z in der oben ange- fuhrten Abhandlung bereits aus der Theorie vorausgesagt.

Mit der Bildung von Wirbelringen hat sich experi- mentell schon R e u s c h l) beschaftigt. Nachdem derselbe ausfuhrlicher die Bildung von Rauchringen in Luft be- schrieben hat, geht er auf die Ringbildung bei dem plotz- lichen Eintritt eider kleinen Quantitat gefarbter Flussig- keit in ungefarbte ein. Obgleich bei seiner Versuchs- anordnung der Uebergang der fortschreitenden in die Wirbelbewegung sich sehr schnell \-ollzieht, so hat er doch auch haufig die Zwischenstufen (Figg. 3 und 4) bemerkt und bezeichnet dieselben ganz zutreffend als ,,pilzartige Gebilde('.

Die Art jenes Ueberganges geht unmittelbar aus der Betrachtung der Figuren 2 bis 5 hervor. Offenbar ent- stehen in der ruhenden Flussigkeit zwei Stromungen. Die eine, angedeutet durch die Pfeile A und B, wird durch die fortschreitende Bewegung des Troll fens hervorgebracht, welcher sich fast wie ein fester Korper in der Flussigkeit bewegt. Die andere, in Bichtung der Pfeile C und 0, ist wesentlich durch Reibung erzeugt. Die Bildung der spiralformigen Rotationsfiiichen ist schliesslich die noth- wendige Polge dieser beiden entgegengesetzten Stromungen.

5. Wir konnen nun zu den eigentlichen Strahl- bildungen durch stationare Stromungen ubergehen. Lasst man den Hahn langere Zeit geoffnet, SO erhebt sich an- fangs schneller, spater langsamer ein Strahl, dessen oberer

1) Pogg. Ann. CX. p. 309-316.

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Theil mit den bisher beschriebenen Formen grosse Aehn- lichkeit hat. Der Strahl erreicht bald eine gewisse Hohe, die van der Druckdifferenz abhangt, uber welche er gew6hn- lich gar nicht oder doch nur ausserordentlich langsam hinaus- geht. So war bei einer Druckdifferenz von 5 Mm. die Hohe des Strahls etwa 20 Mm., bei 10 Mm. etwa 80 Mm., bei 20 Mm. etwa 200 Mm. und bei 30 Mm. Druckdifferenz erreichte der Strahl nach etwa 80 Sec. die obere Grenze des Wassers in einer Hohe von etwa 400 Mm. Die gefarbte Fliissig- keit breitete sich an der Oberflache aus und diffundirte von da aus sehr langsam nach unten. Die angefiihrten Zahlen sollen kein allgemein gultiges Gesetz aufstellen, sondern nur ungefahr den Zusammenhang der Strahlhohe mit der Druckdifferenz angeben. Erstere hangt noch etwas von dem spec. Gewicht der einstromenden Fliissigkeit ab, welches ein wenig schwankte je nach der Menge des zu- gesetzten Farbungsmittels ; ferner von der Grosse der Ausflussoffnung. Auch die Form des vorderen Theils des Strahls war nicht stets genau dieselbe. In den Figuren 8 und 9 sind zwei der gewijhnlich vorkommenden Strahl- bildungen wiedergegeben. Bei beiden Formen sind die eigentlichen Strahlen dieselben. Die glockenformige Bus- breitung dagegen vollzog sich in etwas verschiedener Weise, vielleicht bedingt durch kleine Temperaturschwankungen der farblosen Fliissigkeit.

Bei Vermeidung aller Storungen erhielten sich die abgebildeten Strahlen mehrere Minuten ganz unverandert. Nur der glockenformige Theil breitete sich langsam etwas weiter nach unten aus. Aber auch kleinen Storungen gegeniiber zeigten sich die Strahlen keineswegs sehr empfindlich. Wurde durch einen leisen Druck auf den Kautschuckschlauch die Geschwindigkeit des ausfliessenden Wassers einen Augenblick verkleinert , so drang zwar seitlich Wasser in den Strahl ein; nach dem Aufhoren des Druckes stellte sich aber sofort die ursprungliche Form des Strahles wieder her. Selbst als der Druck auf den Kautschuckschlauch langere Zeit periodisch vermehrt und

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vermindert wurde, wurde die Continuitat des Strahles nicht vollstindig gestort. Derselbe bot einen sehr merkwiirdigen Anblick dar , welcher in Fig. 10, so gut wie moglich, wiedergegeben worden ist.

Die bisher beschriebenen Erscheinungen ergeben sich bei Druckdifferenzen bis hochstens zu 60 Mm. Ganz an- dere Resultate erhalt man, wenn man Strahlbildungen bei grosseren Druckdifierenzen nntersucht. Schon Bei 80 bis 90 Mm. erhalt man Strahlen von der griissten Empfind- lichkeit. Durch jede kleine Stiirung wird die Continuitat des Strahles gestort, und muss sich derselbe dann jedesmal von neuem wieder eine Strombahn bilden. Ueber 100 Mm. Druckdifferenz hinans bilden sich nur noch ganz kurze Strahlen in grosster Nahe der Oeffnung. Dieselben zer- fallen in geringer Hohe in eine Wolke einzelner Tropfchen, die sich bei der heftigen Bewegung sofort mit der farb- losen Flussigkeit vermischen.

Auch als versuchsweise gefarbte Fliissigkeiten ange- wnndt wurden, deren spec. Gewicht sich etwas von dem- jenigen des farblosen Wassers unterschied, konnten keine regelmassigen , discontinuirlichen Stromungen erhalten werden. So wurde bei einem Versuch dem gefarbten Wasser etwas Kochsalzlosung, bei einem anderen etwas Alkohol zugesetzt. Die Salzlosung fie1 sofort nach ihrem Ausfluss in dicken , unregelmassigen Tropfenmassen an der Ausflussrohre herab , wahrend der Alkohol in sehr diinnen, haufig zerrissenen Faden nach der freien Ober- fiache des Wassers sich bewegte.

A us den bisher beschriebenen Versuchen geht hervor, dass sich bei kleinen Differenzen in der That stationare Strahlen bilden. Die Reibung verliindert also discontinuir- liche Stromungen nicht. Dieselbe scheint uberhaupt auf den cylindrischen Theil der Strahlgebilde nur einen so unbedeutenden Einfluss auszuiiben, dass man versucht ist, die wirkliche Moglichkeit des Gleitens hewegter Wasser- theile an ruhenden anzunehmen, wie die einfachere Theorie ohne Beriicksichtigung der Keibung thut. Sollte aber auch

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der Uebergang von der endlichen Geschwindigkeit des Strtthles zu der ruhenden Fliissigkeit nicht in einer mathematischen Cylinderflache vor sich gehen, sondern in einer Schicht von einer gewissen Dicke, so kann letztere doch nur ausserordentlich klein sein und scheint sich mit der Zeit nicht zu verandern. Dass andererseits die Rei- bung (bei der Entstehung des Strahles eine grosse Rolle spielt, ist schon oben hervorgehoben worden. Der hauptc sachlichste Beweis dafur liegt in der stets sich bildenden spiralfbrmigen Rotationsflache, in welche der Strahl ver- lauft. Die Entstehung derselben setzt voraus, dass auch die farblose Fliissigkeit in der Nahe des Strahles eine gewisse Geschwindigkeit ill der Richtung desselben er- langt hat.

Die grosse Empfindlichkeit der Strahlen bei grosseren Strijmungsgeschwindigkeiten , sowie die Unmoglichkeit, Alkoholstrahlen in Wasser zu erzeugen, folgt direct aus der Theorie der discontinuirlichen Fliissigkeitsbewegungen. Da die Druckdifferenz der bewegten Und unbewegten Fliissigkeit dem Quadrate der Geschwindigkeit proportional ist, so wird bei grosserer Geschwindigkeit die ruhende Fliissigkeit sofort in den Strahl eindringen , sowie eine geringe Storung des gleichmiissigen Verlaufs eintritt. Wenn endlich solche Storangen bei schnellerem Ausfliessen fortwahrend eintreten, so kann sich ein Strahl uberhaupt nicht bilden.

6. Wie schon oben bemerkt, ist es von Interesse, die Bahn kennen zu lernen, welche ein Strahl durchlauft, wenn er auf seinem Wege auf einen festen Eorper trifft. Die hierzu benutzten Korper waren verschiedener Art und wurden an einfachen Vorrichtungen in die Nahe der Ausflussoffnung gebracht, bevor der Strahl durch Oeffnen des Hahnes hervorgebracht wurde. Es versteht sich ;on selbst, dass stets rangere Zeit mit dein Beginn des Ver- suches gewartet wurde, bis die hierdurch verursachte Be- wegung der Fliissigkeit sich beruhigt hatte; ebenso wurde

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stets zuvor der feste Korper von den etwa anhaftenden Luftblaschen befreit.

Am einfachsten lassen sich die hierbei auftretenden Vorgange an dein folgenden Versuche ubersehen. Trifft der Strahl auf die scharfe Kante eines dunnen Eisenbleches, welches parallel der Richtung des Straliles durch die Axe desselben geht, so zerfallt er in zwei Theile, welche von der verticalen Stromungsrichtung abgelenkt werden. Der Winkel dieser Seitenstrome mit der ursprunglichen Richtung des Strahles wird aber nach und nach kleiner. Die Ursache dieser Erscheinung liegt darin , dass nicht allein der feste KBrper sondern auch die an demselben haftende Flussigkeit, die bewegte Flussigkeit zu einer seit- lichen Abweichung zwingen. Bei langerer Stromung wird indess ein Theil der ruhenden Flussigkeit mitgefuhrt, so dass die beiden oberen Halften des Strahles langsam ihre Bewegungsrichtung andern und mehr und mehr der Ebene des Eisenbleches sich nahern. Doch kann man stets noch ruhende farblose Flussigkeit zwischen der bewegten ge- farbten Fliissigkeit und dem Eisenblech beobachten. Der Verlauf dieser Erscheinung hangt von der ursprung- lichen Druckdifferenz resp. von der Geschwindigkeit der stromenden Flussigkeit a h Bei geringer Geschwindigkeit findet die Striimung statt. wie Fig. 11 zeigt. Bei grosserer dagegen nehmen die beiden Theile des Strahles nach einiger Zeit die Stellung ein, welche Fig. 12 wiedergibt, wahrend die punktirten Theile der Figur die anfangliche Stromungsrichtung anzeigen sollen. .

Das eigenthumliche Verhalten der anfanglich haften- den, ruhenden Fliissigkeit, welche dann mitgefuhrt wird, erklart auch bei anders geformten festen Korpern die langsamen Aenderungen der Stromungsbahnen.

Trifft ein Strahl auf eine kleine Messingkugel, so haben' bei stationarer Stromung die Strombahnen nach und nach die Gestalten, welche die Piguren 13, 14, 15, 16 wiedergeben. Man ubersieht, wie zuersb die Kugel und die haftende Flussigkeit die bewegte Flussigkeit zu einer

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fast rechtwinkligen Abweichung zwingen. Allmahlich wird dann die ruhende Fliissigkeit mitgefiihrt ; die Stromungs- fliiche schliesst sich der Kugel immer enger und enger an. Bei dem Anblick der diinnen Stromungsflache, welche schliesslich die Kugel zum grossten Theil umgiebt, ist man versucht anzunehmen , dass die bewegte Flussigkeit an der Kugel gleitet. Wenigstens lieqs sich aus kleinen in der Flussigkeit hin und wieder vorkommenden festen Korperchen erkennen , dass in unmittelbarer Nahe der festen Wand die Fliissigkeit sich mit endlicher Geschwin- digkeit bewegt.

Die beschriebenen Erscheinungen scheinen nicht wesentlich von der Substanz des festen Korpers abzuhangen, vorausgesetzt natiirlich , dass derselbe mit einer glatten Oberflache versehen ist. Statt der Messingkugel wurde eine Elfenbeinkugel benutzt. Dieselbe wurde ebenfalls nach und nach mit einer eng anschliessenden Striimungs- flache uberzogen. Aehnlich war der Vorgang, als der Strahl gegen das untere Ende eines ReagensglSischens traf. Bei stationarer Stromung wurde langsam der untere Theil des- selben von einer dunnen Stromungsfliiche uberzogen, welche in einer Entfernung von etwa 4 Ctm. von dem unteren Ende von der Glaswand abbog und in die auch hier stets wiederkehrenden Spiralen auslief.

Von besonderem Interesse ist ferner der Fall, wo der Strahl eine begrenzte, diinne Wand, senkrecht gegen seine Richtung, trifft, da diese Stromung von K i r c h h o f f l) allerdings unter den obenerwahnten , etwas verschiedenen Bedingungen theoretisch behandelt worden ist. E s wurden dahe? kleine kreisformige Platten senkrecht dem Strahle entgegengestellt. Die Stromungslinien hangen in diesem Falle wesentlich von dem Verhaltniss der Radien der Platte und des Strahles ab. 1st der Radius der kreisformigen Wand bedeutend grosser als derjenige des Strahles, SO

wird letzterer an der Platte um einen rechten Winkel _____

1) Crelle J. LXX. p, 298.

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abgelenkt und fliesst in einer dunnen Schicht radial an der Platte entlang, nelche er in horizontaler Richtung verlasst (vergl. Fig. 17). 1st dagegen der Radius der Wand nur wenig grosser als der Radius des Strahles, so werden die Stromungslinien nur urn einen kleineren Winkel von ihrer ursprunglichen Richtung abgelenkt. Dieser Vorgang ist in Figur 18 dargestellt, welche eine grosse Aehnlich- keit mit der von K i r c h h o f f an der obenerwfhnten Stelle gegebenen Zeiclinung zeigt.

Einen ganz iilinliclien Einfluss wie die diinne, kreis- formige Platte iilit eine dunne , scharfkantige Wand aus, welclie etwa bis in die Mitte des Strahles reicht. Wiihrend sich dann der eine Theil des Straliles in einer diinnen Schiclit langs der Platte ausbreitet, wird der andere Theil um einen spitzen Winkel abgelenkt. A w h bei diesen Versuchen scheint das Material der Platte keinen erheb- lichen Einfluss auf den Verlanf der Stromung auszuiiben. Es wurden Scheiben von diinnem Glas und von glattem Cartonpapier benutzt , wfhrend die oben erwfhnte dunne Wand durcli ein Stanniolblatt hergestellt wiil.de, welches auf einen Glasrahmen gespannt war, und von dem die eine Halfte langs einer geraden Linie entfernt worden war. Die Stromungserscheinungen waren stets dieselben. Der Winkel, um melchen der Strahl in dem letzten Fall von seiner urspriinglichen Richtung abgelenkt wurde. hing hauptsachlich von der Tiefe ab, bis x u welcher die diinne Wand in den Stralil eindrang.

Auch die hier bescliriebenen Strornungserscheinungen gegen feste Korper gelingen nur bei kleinen Geschwindig- keiten des Strahles, wie sie Druckdifl'erenzen von etwa 20 bis 30 Mm. entsprechen.

7. Da es dem Verfasser zuniich5t darauf ankam, dis- continuirliche Fliissigkeitsbewegungen in ihrer einfachsten Form zu untersuclien. so hat sich derselbe vorlaufig auf die heschriebenen Yersuche lmchriinkt. boch sollen die- selhen moglichst lmld nach verschiedenen Richtungen er-

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weitert werden. Als naheliegende Gesichtspunkte bieten sich besonders die folgenden dar:

a) Stromung einer gefarbten Flussigkeit in eine un- gefarbte durch eine Oeffnung in dunner Wand. Einige vorlaufige Versuche mit einem noch ziemlich unvollkom- menen Apparat zeigten, dass die hierbei sich bildenden Strahlen den oben beschriebenen unter sonst gleichen Ver- haltnissen iihnlich sind.

b) Ausfluss einer Fliissigkeit in eide andere Flussig- keit von gleichem spec. Gewicht, welche mit der ersten Fliissigkeit nicht mischbar ist. Man wird hierbei auf die von P l a t e a u benutzten Flussigkeiten: Oel und Alkohol von gleichern spec. Gewicht znruckgehen konnen. Es ent- steht die Frage, in welcher Weise die Strahlbildung durch die Capillarwirkungen modificirt wird.

c) Stromung von Luft in bewegte Luft, wobei letztere etwa durch Rauch sichtbar gemacht werclen kann.

8. Die Resultate der mitgetheilten Untersuchung lassen sich in folgenden Satzen zusammenfassen:

a) Die Reibung der Flussigkeiten verhindert nicht die Bildung stationarer , discontinuirlicher Flussigkeitsbe- wegungen. Dieselben werden zwar bei ihrer Entstehung infolge der Reibung durch gleichzeitige , spiralfdrmige Bewegungen wesentlich modificirt ; doch bilden sich bei. anhaltender Stromung scharf begrenzte Fliissigkeitsstrahlen.

b) Die erzeugten Strahlen sind bei geringen Ge- schwindigkeiten sehr stabil und nehmen auch nach kleinen Storungen sofort wieder ihre nrspriingliche Form an. Bei grosseren Geschwindigkeiten werden sie dagegen sehr empfindlich. Uebersteigt die Geschwindigkeit einen ge- wissen Grenzwerth, so bilden sich nur noch gnnz kurze Strahlen in grosster Nahe der Oeffnung.

c) Die Strahlen werden in ihrer Bewegung nicht allein durch feste K;drper, sondern auch durch die an denselben haftende Flussigkeit modificirt. Letztere wird langsam durch den Strahl verdrangt. 1st dann der Korper durch

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eine continuirlich gekriimmte FlSiche begrenzt , so umgibt die stromende Fliissigkeit denselben in einer diinnen Schicht. 1st dagegen der feste Korper durch eine Flache begrenzt, welche an einzelnen Stellen eine unendlich grosse Kriimmung hat (scharfe Kante), so folgen die Stromungs- linien derselben nur bis zii dieser Kante und verlassen von da ab den festen Korper.

d) Die Theorie der discontinuirlichen Fliissigkeits- bewegungen, wie sie H e l m h o l t z und K i r c h h o f f bisher entwickelt haben, gibt im ganzen auch die Erscheinuhgen in einer der Reibung unterworfenen Fliissigkeit wieder. Nur ist die Entstehung der Strahlen gleichzeitig mit Wirbelbewegungen verbunden.

Zum Schluss mag noch darauf hingewiesen werden, dass sich in der Natur eine ganze Reihe von Vorgangen finden, welche mit den eben beschriebenen gemeinsamen Ursprungs sind. Dieselben sind hei den Stromungen in Flussen und KanBlen zu beobachten, besonders an Stellen, wo die Uferwande scharfe Ecken haben oder feste Korper (z. B. Bruckenpfeiler) die gleichmassige Bewegung ver- hindern. Die dort auftretenden Strudelbewegungen zeigen deutlich, wo ruhende und bewegte Fliissigkeit aneinander- grenzen. Da sich als besonders bemerkenswerthes Resultat der mitgetheilten Untersuchnng ergeben hat, dass auch schon bei sehr kleinen Druckdifferenzen discontinuirliche Bewegungen entstehen, so lasst sich leicht iibersehen, dass dieselben bei den erwahnten Stromungen haufig genug vorkommen mussen.

B e r l i n , 3. Juni 18i7.