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539 (Aus dem physiologischen Institut zu K5nigsberg i. Pr.) Ueber Rheo-Tachygraphie. Ein Verfahren zur graphischen Registriruug schneller electrischer Vorgi~nge. Yon L. Hermann. Nachdem die Grundgesetze der electrisehen Wirkungen einiger thierischen Gebilde (Muskeln, Nerven, Driisen) erkaunt sind, macht sich, wic auf vielen anderen Gebieten der Physiologie, mehr und mehr das Bedtirfniss graphiseher Aufzeichnung der Vorg~nge gel- tend, welche dutch Verfeinerung der Beobaehtuug neue Fragen zu stellen gestattet. Die Schwierigkeiten dieser hufgabe sind aber auf dem Gebiete der thierischen Electricitiit ganz besonders gross. Jede Art yon Graphik beruht auf der Umwandlung der beobaeh- teten Veriinderung in eine ihr zeitlich genau parallelgehende B e- w e gu n g; der Magnet aber, welehen der Strom bewegt, vermag den Veriinderungen des Stromes nur hSchst unvollkommen zu fol- gen. Die A u fz e i c h n u n g der Magnetbewegung wtirde im Uebri- gen keine Sehwierigkeiten bieten. Meine Bemtihungen im Gebiete der Rheographie reichen bis in die Zeit zurUck, wo die Anwendung des Capillareleetrometers zu solchen Zweeken noch unbekannt war. Als namentlieh M a- rey~), sowie Sanderson und Page e) das sinnreiehe und ein- faehe Lippmann'sehe Instrument in hSchst erfolgreieher Weise zur graphisehen Darstellung so schneller Vorg~nge wie die In- duetionsstriime, die Entladungen des Zitterrochens und die Actions- str(ime des Herzens verwandten, sehien die Aufgabe gelSst, und ein zugleich schneller und aperiodiseher Apparat, wie gesehaffen zur photographischen Registrirung~ gefunden. Gelang es doeh 1) Travuux da laboratoire de Marey. Bd. 3 (1877), S. 33. 2) Journ. of physiol. Bd. 4, S. 327. 1883.

Ueber Rheo-Tachygraphie

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539

(Aus dem physiologischen Institut zu K5nigsberg i. Pr.)

U e b e r R h e o - T a c h y g r a p h i e .

Ein Verfahren zur graphischen Registriruug schneller

electrischer Vorgi~nge.

Yon

L . H e r m a n n .

Nachdem die Grundgesetze der electrisehen Wirkungen einiger thierischen Gebilde (Muskeln, Nerven, Driisen) erkaunt sind, macht sich, wic auf vielen anderen Gebieten der Physiologie, mehr und mehr das Bedtirfniss graphiseher Aufzeichnung der Vorg~nge gel- tend, welche dutch Verfeinerung der Beobaehtuug neue Fragen zu stellen gestattet. Die Schwierigkeiten dieser hufgabe sind aber auf dem Gebiete der thierischen Electricitiit ganz besonders gross. Jede Art yon Graphik beruht auf der Umwandlung der beobaeh- teten Veriinderung in eine ihr zeitlich genau parallelgehende B e- w e gu n g; der Magnet aber, welehen der Strom bewegt, vermag den Veriinderungen des Stromes nur hSchst unvollkommen zu fol- gen. Die A u fz e i c h n u n g der Magnetbewegung wtirde im Uebri- gen keine Sehwierigkeiten bieten.

Meine Bemtihungen im Gebiete der Rheographie reichen bis in die Zeit zurUck, wo die Anwendung des Capillareleetrometers zu solchen Zweeken noch unbekannt war. Als namentlieh M a- rey~), sowie S a n d e r s o n und P a g e e) das sinnreiehe und ein- faehe Lippmann ' sehe Instrument in hSchst erfolgreieher Weise zur graphisehen Darstellung so schneller Vorg~nge wie die In- duetionsstriime, die Entladungen des Zitterrochens und die Actions- str(ime des Herzens verwandten, sehien die Aufgabe gelSst, und ein zugleich schneller und aperiodiseher Apparat, wie gesehaffen zur photographischen Registrirung~ gefunden. Gelang es doeh

1) Travuux da laboratoire de Marey. Bd. 3 (1877), S. 33. 2) Journ. of physiol. Bd. 4, S. 327. 1883.

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Marcy scheinbar, sogar den Unterschied im zeitlichen Verlaufe des Schliessungs- und Oeffnung's-Inductionsstromes mit dem Capillar- electrometer aufzuzeichnen.

Als ich jedoch selbst Gelegenheit hatte, die Eigenschaften des Capillarelectrometers g'enauer kennen zu lernen, land ieh bald, dass dasselbe welt entfernt ist, dem eleetrischen Vorffange ohne Zeitverlust zu folgen, also auch nicht im Stande ist, ein treues Bild seines zeitliehen Verlaufes zu liefern. Jeder, der einmal die Gem~chlichkeit gesehen hat, mit weleher die Quecksilberkuppe das plStzliehe Hereinbrechen des Stromes in das Instrument mit Verschiebung beantwortet, wird davon iiberzengt sein. Auch erffiebt schon die Theorie des Instruments 1), class ein Zeitverlust der Ein- stellunff vorhanden ist, welcher mit dem Widcrstande wAchst, mit welchem wiederum die Empfindlichkeit in gewissem Grade zusammen- h~ngt. Die hervorragendste Ei~enschaft des Capillarelectrometers ist seine vollkommene Aperiodicit~it bei nicht unerheblicher Empfindlich- keit So langsamen Vorgi~nffen, wie die ActionsstrSme des Frosch- herzens immerhin sind, kann es ffenfigend folgen. Dass es denUnter- schied im zeitlichen Ver]aufe so rascher Vorg~inge wie Sehliessungs- und Oeffnungs-Inductionsstrom anzeigt, ist leicht verstandlieh. Die von M a r e y (a. a. 0.) wicdergeg'ebene Photographie des Schliessungs- nnd Oeffnungs-Inductionsstromes, welche mit den bekannten theo- rct.ischen Curven beider Vorgi~nge eine gcwisse hehnlichkeit zeigt, kSnnte bei oberfliiehlieher Betrachtung den Ansehein erweeken, als ob wirklieh hier der zeitliche Verlauf der InductionsstrSmo aufge- zeichnet worden w~ire. Dass dies aber uieht im entferntesten der Fall ist, ]ehrt sehon die Betrachtung der Zeiten; denn die Curven erstreeken sich tiber je 1/4--1/3 Secnnde, wahrend die Dauer des Inductionsstromes meist nach Tausendstel Seeunden z~hlt ; niemals aber kann ein zeitlicher Vorgang anders eine parallele Wirkung entwickeln, als w~hrend seiner Dauer selbst2). In Wahrheit zeigt auch die Marey'sche Figur wesentlich nut Untersehiede der Inten- sit~t beider Ablenkun~en des Capillarelectrometers. Ftir diese iibriffens lassen sich schon aus der bekanntlieh verschiedenen Wir- kung beider Stromrichtungen Griinde entnehmen, da ein Controll- versuch mit Umkehrnng" tier Stromriehtunff nicht vorliefft.

:l) Vgl. z. B. dies Archly Bd. 3,q, S. 158 f. 1886. 2) Eine Ausnahme wiirde der Fal l absolut elastischer Fortpflanzung

darst~ellea.

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Dis hTachthe i le des Capitiarelectrometers sind andrerseits wohlbekannt. Sic ]iegen in der nicht lincaren Beziehung zwischen electromotoriseher Kraft und Wirkung, in dcr ungleiehen Wirkung beider Stromrichtungcn, endlieh in der Ver~nderlichkeit der Con- stanten des Instrumentes ~). Ausserdem steht es fUr alle StrSme mit grossem Widerstand au Empfiadlichkeit ausserordentlieh hinter den heutigen Spiegelgalvanometern zurtick, und ist z. B. ftir ~er- venversuche kaum brauchbar.

Also sowohl als Beobachtungs- wie als Aufzeichnungsmittel kann das Capillarelectrometer nut ftir grSbere Vorgiinge dienen, und seine Aufschltisse haben, namentlich in Bezug auf zeitlichen Verlauf, mehr qualitativen als quantitativen Werth.

Ein anderer Apparat, welcher fiir rheographisehe Zwccke hie and da verwendet worden ist (F r o e l i c h, B e r n s t e in), ist das Telephon, dessen Platte man auf ol)tischem Wege ihre Excursioneu aufzeichnen liess; allcin auch dieses Instrument, anscheinend weir weniger aperiodisch als das Capillarelectrometer, versagt vollstandig gcgcntiber den schwachen and schaellen Vorgiingen der thierischen ActionsstrSme ~).

Der Erste, yon welchem ein gr~tphisches Verfahren fiir Boussol- ablenkungen beschrieben wurdc, war anseheinend T a r c h a n o f f 3 ) , welcher an dem Geh~tnge eincr Meissner -Meyers te in ' schen Bous- sole einen Hebel mit Signal bcfestigte, and dessen Bewegungen photo- graphirte. Da das Gehi~nge dicses Instrumentes sehon an sich ein enormes Tri~gheitsmoment besitzt, welches durch den hinzugefiigten ttebel noeh vermehrt wird, so kann man auf diesem Wege nur langsame Stromlinderungen registriren. Zur Aufnahme nattirlieher ActionsstrSme, selbst so langsamer wie die des Froschherzens, ist das Verfahren unbrauchbar.

1) Vgl. u. A. W i e d e m a n n , Electriciti~tslehre. 3. Aufl. Bd. 2, S. 720. 2) Ieh habe vor Juhren versueht, d~s Telephon filr Spiegel~blenkungen

geeigneter zu machen, indem ich am bipolaven (Siemens'sehe~) Telephon beide Spulen g e g e n einandec schaltete, and start der Eisenmembran eine

drehbare leichte eiserne Platte vor den Polen anbraehte, auf welche das

Si)iegelehen aufgeklebt war. Jeder Strom iibt jetzt auf den Anker ein Dreh- moment aus. Da abet der Anker in lubilen Gleichgewieht ist, muss er durch zwel Federn in der Mittellage erhalten werden, and hierdurch wird das . Instrument zu unempfindlich.

3) Dies Arehiv Bd. 40, S. 352. 1887.

542 L. tIermann:

Schon lauge vorher war es mir gelungen, die Actionsstriime des Frosehherzens mit dem Spiegelgalvanometer photographiseh zu registriren, indem ieh, wie sparer bei meinen phono-photographisehen Versuehen 1), veto Spiegel des Instruments alas Bild eines verticalen beleuehteten Spalts auf eine geschwi~rzte Platte mit horizontalem Spalt werfen liess, wozu eine vor dem Boussolspiegel angebrachte schwache Convexlinse diente. Hinter dem Spaltbleeh rotirte der mit Eastmanpapier bekleidete Kymographioncylinder um eine ho- rizontale Axe. Da das Magnetgeh~ing'e meiner Boussole sehr leicht ist 2), so war seine Schwingungsdauer trotz vollkommener Aperio- dieit~it ziemlich gering, so dass der Magnet den ActionsstrSmen gut folgen konnte. Namentlich wenn die Ableitnng yon einer nor- malen und einer verletzten Stelle des Ventrikels erfolgte, so dass der Actionsstrom nm" einsinnig war, erhielt ich pr~iehtige Curven a). Abet es war doch nieht zu verkennen, dass dieselben kein treues Bild des zeitlichen Verlanfes gaben ; denn obwohl der aufsteigende Schenkel jeder Phase deutlich steiler war als dec absteigende, war doch der Steilheitsuntersehied nicht so gross uie mit dem Capillar- electrometer, und selbst hier ist er vermuthlich noch nieht der Natur entsprechend.

Die Bewegung eines Boussolmagneten unter dem Einfluss yon Strombewegungen unterliegt genau denselben Gesetzen wie die- jenige eines sehwingungsf~.higen KSrpers (Resonators) unter dem Einfiuss yon Tiinen oder Kl~ingen. Die Differentialgleiehungen nnd ihre LSsung sind ftir beide Falle genau dieselben and lassen sich ftir den ungedampften, gedampften und aperiodischen Zustand leieht behandeln. Es wird gentigen, die Ergebnisse kurz anzuftihren.

Jede wie immer geartete Strombewegung, welche periodiseh wiederkehrt, l~sst sich in eine Anzahl harmonischer pendelartiger Componenten zerlegen, so dass es gentigt, eine einfach sinusartige Stromoscillation zu behandeln.

Bei einem ungedi~mpften Magneten, nnd unter Umst~nden, wo die Selbstinduction im Kreise, namentlich im Boussolgewinde

1) Dies Archiv Bd. 45, S. 582. 1889. 2) Vgl. dies Archly Bd. 42, S. 78. 1888. 3) Mit dem Fernrohr beobachtet bewegen diese Ac~ionsstriSme die

Scala um fast ihre halbe Liinge rhythmisch durch das Gesichtsfeld.

Ueber gheo-Tachygraphle. 543

vernaehli~ssigt werden kann, ist die Magnetbewegung die resul- tirende zweier einfacher Schwingungen~ die ein'e in der Periode des einwirkenden Stromes, die andere in der Eigenperiode des Magneten; die Amplituden beider interferirender Schwingungen sind umgekehrt proportional den Schwingungszahlen. Stimmen beide Sehwingungszahlen Uberein, so wachst die Amplitude der Zeit proportional.

Bei einem ged~mpften oder aperiodischen Magneten erfolgt, wenn man yon der ersten Zeit absieht, die stationi~re Bewegung genau im Tempo der einwirkenden Stromoseillation, und unab- hitngig yon der. Eigenschwingung des Magneten. Jedoch tritt clue PhasenverzSgerung ein, deren Betrag sowohl yon beiden Sehwin- gungszahlen als auch yore Diimpfungsgrade abhRngt. Die Ampli- tude der Magnetsehwingung wird ferner ebenfalls in einem yon diesen Gr0ssen abhitngigen Grade verkleinert.

Berticksichtigt man welter, dass yon den sinusartigen Com- ponenten einer gegebenen Stromoscillation jede einzelne eine an. dere Amplitudenverminderung und PhaseuverzSgerung erleidet, so ergiebt sich, dass die Magnetbewegung kein treuer Ausdruek des electrischen Vorganges sein kann. Nur daun wiirde dies annithernd erreicht werden, wenn die Schwingungszahl des Magueten sehr gross, d. h. seine Schwingungsdauer sehr klein wiire im Vergleich zu den einwirkenden Schwingungen.

Die Selbstinduction im Bousso]gewinde bat einen ganz ana- logen Einfiuss wie die Di~mpfung; sic bewirkt fur sich eine besou- dere PhasenverzSgerung und Amplitudenverminderung yon i~hnlichen Abhi~ngigkeiten.

Ganz i~hnlich sind tibrigens, wie die theoretische Untersuehung ergiebt, die Verhiiltnisse am Capiliarelectrometer. Wir erhalten hier unter der Einwirkung einer sinusartigen Kraftsehwankung eine Polarisationsschwankung. deren Phase verzSgert ist, und diese bringt ihrerseits wieder.eine oscillatorische Bewegung der Queck- silberkuppe hervor, welche mit einer zweiten PhasenverzSgerung behaftet ist. Mit den Phasenverziigerungen sind auch Amplituden- verminderungen verbunden, and beide sind u. A. yon den Sehwin- gungszahlen der Einwirkung abbi~ngig, also ftir die harmonischen - Componenten einer zusammengesetzten Einwirkung versehieden, so dass auch bier der Vorgang nur eutstellt .wiedergegebeu werden kann.

54~ L. Hermann~

Wir haben soeben gesehen, dass die Entstellung ira Falle der Magnetbewegung am geringsten ist, wenn der Magnet sehr rasch sehwingt ira Vergleieh zur einwirkenden Bewegnng. Ich setze aas der matheraatischen Entwicklung, die ieh hier nicht wiedergebe, nur die Forrael ftir den aperiodischen Magneten her, unter Ver- nachliissigung der Selbstinduction des,Gewindes. Folgt eine pen- delartige Strorabeweg'nng dera Gesetze a sin mt (so dass m die Schwingungszahl in 2~ Seeunden), ist ferner 2e die D~rapfangs- constante and k 2 die Richtkraft des Mag'neten, and k =: ~ (Bedin- gang der Aperiodieitlit), so ist die Elongation x zur Zeit t 1):

~2a . s in m t - - a r e t g e ~ _ m 2 ] x == e2 + m - ~

Verschwindet m 2 gegen e ~, so wird

x -~ a . sin (mt - - arc tg 2~: ~ ) : a . s i n r e ( t - - 2 ) .

Also ira Falle der Aperiodicit~it, und ferner einer so grossen raagne- tischen Richtkraff (1~2= ~-), dass die Schwingungszahl des unge- d:~impff gedaehten Magneten sehr klein ist gegen alle einwirkenden Schwingungszahlen, wiirde die Phasenverschiebung and die relative Amplitude fi~r alle Schwingungszahlen gleich sein, folglieh j e d e S t r o r a b e w e g u n g vora M a g n e t e n rait a b s o l n t e r T r e u e wie- d e r g e g e b e n werden . Geht die Diirapfung nieht bis zui" Ape- riodieit~tt, so ist dieser Fall, wie die Reehnung ergiebt, unraSglieh.

Aus diesen theoretiscben Ergebnissen li~sst sich leicht ent- nehmen, was wir ftir unsre Aufg'abe zu erwarten haben.

Abgesehen yon den Sieraens'sehen .Glockenraagneten wird die Aperiodicit~it unsrer Boussolmagneten in der Regel dutch ziera- lieh hohe Grade yon Astasie erlangt, also die Richtkraft kiinstlieh verraindert. Die Sehwingungsdauer z~hlt unter diesen Urast~inden stets naeh Secunden, und ist daher selbst fur so langsarae Vor- gi~nge wie die Actionsstrihne des Froschherzens bei weitem zu gross, urn der gestellten Forderung zu gentigen. Ich habe nach

l) Die Differentialgleichung lautet, wenn die Masse ~ 1 gesetzt wird: d2x 2~ dx d~ ~ - + dt § k2x ~ k2a sin mr,

worln flit den Fall der Aperiodicit~i~t k == ~ zu setzen ist.

Ueber Rheo-Tachygr~phle. 545

verschledenen Richtungen Versuche gemaeht, meine an sich schon leichten Boussolgeh~nge noch leichter zu machen, ohne das magne- tische Moment zu verringern ; ich ging mit der Verkleinerung des Spiegels his an die iiusserste zuliissige Grenze, und liess ferner an Stelle des Magnetrings ein Magnetsystem wie dasjenige der T h o m s o n- Galvanometer anbringen ; aber im letzteren Falle reichte wieder die Diimpfung zum Aperiodisiren nicht aus. Kurz es scheint, dass die Sehwingungsdauer eines aperiodischen Galvanometers vor- 15ufig nach unten ihre Grenze erreicht hat.

D~ nun die Magnetbewegung sich nicht welter beschleuuigen l~sst~ so bleibt nichts Anderes tibrig, als umgekehrt den zu un- t e r s u c h e n d e n g a l v a n i s e h e n V o r g a n g zu v e r l a n g s a - men. Und hierzu hatte ich bereits seit l~ngerer Zeit ein Mittel in Iilanden.

Als ich im Jahre 1883 das B er n s t e in'sehe Rheotom um- gestaltete 1), indem ich die Queeksilbereontacte durch Btirstencon- tacte ersetzte~ brachte ich zugleich die heiden Kupferbiinke des Boussolcontactes auf einer drehbaren Ebonitseheibe an. lch be- merkte damals (a. a. O. S. 605), dass, wenn man dutch continuir- liche Drehung der Ebonitseheibe die Distanz zwischen Reiz und Boussolsehluss continuirlich ~ndert, d e r g a 1 v a n i s c h e Vo r- g a n g s i e h v e r l a n g s a m t am G a l v a n o m e t e r a b - s p i e l f , and class, wenn die Scheibe in entgegengesetzter Rich- tung gedreht wirdwie das Rad, d e r V o r g a n g s i c h in ze i t - l i c h e r U m k e h r u n g a b s p i e l t .

Ieh brauchte also nur der Ebonitseheibe meiues R heotoms eine selbststRndige continuirliehe Drehung zu ertheilen, um dan Vorgang in beliebigem Grade zu verlangsamen. Er wird z. B. auf das 1000fache verlangsamt, wenu die Drehgesehwindigkeit der Scheibe ~/looo derjenigen des Rades "ist.

Zur Verwirklichung dieses Gedankens liess ich vom hiesigen Meehaniker W i p p r e c h t das Rheotom mit sehr geringen Kosten umgestalten. Die Ebonitscheibe wurde durch Aufsetzen eines ge- zahnten Messingkranzes auf ihren Rand in ein Zahnrad verwandelt, und in diese Verz~hnung greii~ ein Trieb ein. Das Lager dessel- ben ist an einem Arme angebracht, welcher an einem der Ftisse des Rheotoms befestigt ist. Die Axe des Triebes tr~tgt eine Schnur-

1) Vgl. dies Archly Bd. 31, S. 600. TaL 7.

~46 L. Hermanu:

rolle. Fiir gri~sserc Verlangsamungen wird statt letzterer eine Zahn- sehei~e auf die Axe des Triebes gesetzt, und in diese greift ein zweiter Trieb ein, der die $chnurrolle tri~gt. Zugleieh wurden die BUrsten, um ihre u durch die Centrifugalkiaft zu min- dern, betriichtlich verkiirzt, indem die Dri~hte q und r der Abbil- dung (a. a. O.) von unten statt yon oben in den-Radkranz einge- steckt wurden.

Zum Betriebe des Rheotoms dient gewShnlich eine sehr ein- fache Vorrichtung, welehe das Institut zufallig besitzt, niimlicb eine horizontal mit der Hand drehbare grosse hiflzerne Scheibe, auf deren Axe unten noch eine ganz kleine Rolle angebracht ist. Beide tragen am Rande Schnurnuthen, und zwar wird die grosse Seheibe durch eine Lederpese rait der kleinen Schnurseheibe. des Rheotomrades, die kleine durch eine ebensolche mit der kleinen Schnurscheibe des Getriebes ftir die Ebonitseheibe verbunden. Die letztere Verbindung kann auch gekreuzt werden; in diesem Falle dreht sich die Ebonitscheibe entgegengesetzt dem Rade. Durch die einfache oder doppelte Uebersetzung am Getriebe der Ebonitscheibe (s. oben), ferner dutch das Auswechseln einer griisseren oder klei- neren Schnurscheibe am Getriebe kann das Geschwindigkeitsver- h~ltniss in grossem Umfang'e variirt werden; Herr Mat th ia s , welchem ieh die Prtifimg und Benntzung des Verfahrens tibertragen babe, hat mit Verlangsamungen experimentirt, welche yon 180 bis zu 2450 gingen.

Die runden Lederpesen nehmen die Scheihen, deren Nuthen sie sehr innig einliegen, mit grosser Exaetheit mit. Wir haben uns davon tiberzeugt, indem wit die Verhiiltnisszahl n der beiden Geschwindigkeiten ~fters experimentell bestimmten. Dies geschieht ganz einfach dadurch, dass der Reizcontact in den Kreis einer Kette nnd eines Signal Deprez eingeschaltet wurde; letzteres schrieb auf einem Kymographioncylinder. Die Ebonitplatte hat eine Theilung und einen Zeiger (vgl. a. a. 0.); es ist nun leicht, w~hrend der Apparat geht, das Signal nur w~ihrend eines bestimm- ten Bruchtheils des langsamen Umganges der Ebonitscheibe spielen zu lassen; hierzu dient einfach ein in den Kreis des Signals ein- gescha!teter Schliissel, den einAssistent bei einem beliebigen Theil- strich sehliesst und bei einem beliebigen anderen iiffnet ; dies kann beliebig oft wiederholt werden. Fiir geringere Grade der Verlang- samung kann man auch den Boussolcontact mit einem Signal

Ueber Rheo-Taehygraphle. 547

D e p r e z verbinden und so die ganzen Scheibenumg~nge unter den Radumg~ingen verzeichnen. Zahlt man, wieviel Reizcontac~schlUsse auf einen gegebenen Bruchtheil oder auf einen ganzen Umlauf der' Ebonitseheibe, wieviel Umlaufe des Rades also auf eine Umdrehung der Seheibe kommen, so erhalt man die Zahl n, und finder die- selbe fur jede gewahlte Uebersetzung ausserst constant.

Die Holzscheibe, welchc das Ganze treibt, wird, wie sehon bemerkt, mit der H a n d gedreht. Dies einfaehe und bequeme Verfahrcn reicht vSllig aus, well nSmlich a u f d i e a b s o 1 u t e G e s e h w i n d i g k e i t g a r N i e h t s a n k o m m t ; dieselbe, braucht aueh nicht gleiehm~ssig zu sein; w e n n n u t d i e V e r h ~ l t n i s s - z a h l n u n v e r ~ n d e r t b l e i b t . Denn nach dem Princip des Rheotoms ist Folgendes Mar. Soll eine Phase des Vorganges, welche um die kleine Zeit a vom Reizmoment abliegt, auf die Boussole wirken, so muss der Boussolcontact jedesmal um ,~ naeh dem Reizeontact stattfinden, d. h. wenn die Winkelgesehwindigkeit des Rades v ist, so muss der Boussolcontact um den Winkel v~ vom Reizeontaet (re.sp. yon derjenigen Stellung, bei weleher Reiz- und Boussolcontact zusammenfailen wtirden) abstehen, die Scheibe also sieh um den Winket v~ gedreht haben. Ist abet die Winkel- geschwindigkeit der Scheibe 1/n yon derjenigen des Rades, d. h. v/n, so wird der Winkel v:~ zurtickgelegt in der Zcit v~. n/v = ha. Jeder Vorgang erscheint also an der Boussole auf das nfache ver- langsamt, unabhfingig yon der abso[uten Geschwindigkeit v, welehe gar nicht bekannt zu sein brancht, un d beliebig sich w~hrend des Versuches andern kann, ohne am Resultate etwas zu andern. ~ur wegen des Einflusscs dcr Rotb~tionsgeschwindigkeit auf die Schluss- dauer des inducirenden Stromes und somit auf die erregenden InductionsstrSme ist es wtinschenswerth, dass die Umdrehungsge- schwindigkeit w~hrend des Versuchs nieht allzusehr variirt.

Zur Feststetlung des Resultates ist also nut nSthig, dass die Ma~nctbewegung graphisch registrirt wird, und hierzu dient wie- derum mein Verfahren des linearen verticalen Spaltbildes, das auf einem horizontalen Spalt spielt, so dass der Kreuzungspnnct auf bewegtem Bromsilberpapier eine Curve verzeiehnet (s. oben S. 542). Die einzige Bedingung, wclehe das Galvanometer zu erfifllen hat, ist Aperiodicitat bei hinreichender Empfindlichkeit; fcrner muss der Vorgang soweit verlangsamt werden, dass der Magnet ihm

E. Pflfiger, ~krohiv f, Physiologie. Bd. XLIX. 37

548 L. Hermann: Ueber Rheo-Tachygraphle.

geniigend folgen kann ~ die erforderliche Verlangsamung hangt also yon der.Geschwindigkeit der Magnetbewegung ab.

Alle weiteren Details, namentlich auch die Vorkehrung~ um auf der Curve auch den Reizmoment zu verzeichnen, wird Herr M a t t h i a s demn~iehst verSffentlichen. Derselbe hat mit dem nencn Verfahren vor Allem die phasischen ActionsstrSme des mensch- lichen Vorderarmes, fiber welche ich im Jahre 1877 berichtet babe J), bekanntlich die erste experimentell dargestellte electrische Wirkung der Muskeln des lebenden Menschen, graphisch darg'estellt, eine Aufgabe, ftir welche bisher keine Mittel vorhanden waren. In der Publication des Herrn Mat th ias werden die betr. Curvcn mitgetheilt werden.

~ur noch eine allgemeine Bemerkung mag hier ihre Stelle finden. Da das Verfahren eine ganz unbegrenzte Verlangsamung gestattet (es ist z. B. ein Leichtes, den Ablauf der Erregungswelle vom Plexus axillaris his zu den sehnigen Enden der Vorderarm- muskeln auf mehrere Minuten zu erstrecken), so kSnnte es seheinen, class die Ergebnisse um so besser sein miissten, je gr~issere Ver- langsamungen man einft|hrt. Indess wird bet grossen Verlangsa- mungen der Versuch, w~hrend dessen eine bestiindige Reizung stattfindet, enorm verlangert, und es misehen sich Ermtidung', Se- cretionsstriSme der Haut 2) etc. sehr stiirend ein. Ein Theil dieser Einfiiisse .liisst sich allerdings dadurch eliminiren, (lass man den Vorgang einmal in seinem nat ill'lichen und einmal in verkehrtem Ablauf photographirt (s. oben S. 545); also z. B. den phasischen Actionsstrom des Vorderarms, bet welchem regul~ir folgen: Reiz- moment, atterminale Phase des nervSsen Aeqnators, abterminale Phase der sehnigen Enden, beginnen liisst mit der letzteren und aufhSren mit dem Reizmoment. Aber die Erfahrung lehrt, dass man den Vorgang doch nieht allzusehr in die L~inge ziehen darf, sich also auf diejenige Protraction beschr~nken muss, welche hin- reicht, damit der Magnet viillig treu folgen kann.

1) Dies Archly Bd. 16, S. 410. 1877; Bd. 24, S. "294. 1880. 2) Vgl. dies Archly Bd. 17, S. 310. 1878; Bd. 24, S. 299. 1880.