14
Ueber sympatlfiscbe Amaurose eines Auges bei Irido- chorioiditis des anderen und ~ber deren Heilung. Von Dr. A. v. Gr~fe, Dass beid.e Augen naeh einander an deletRren inneren Eniziindur,gen erkranken, gehSrt leider zu den h;'iufigen Erlebnissen in der ophthalmologisehen Praxis, dagegen war es immer ein Gegenstand der Contro- verse, ob bei solcher doppe]seitigen Erkrankung eine und dieselbe Grundnrsache si(,h successive in beiden Augen bethiitigt, oder oh eine nachtheilige Einwirkung des ersterkrankten Auges auf das zweite stattfindet, so dass die sp~tere Erkrankung geradezu als ein Effect der friiheren bezeiehnet werden kann. Wiihrend der ersterwiihnte Hergang bald allgemein anerkannt worden, hat sich die gleichzeitige Existenz des letzteren f'dr gewisse Fiille nur langsam in der Ueberzeugung der Faehgenossen eingeb[irgert. Nach Wardrop's Aussagen warenes zuerst Thier- ~irzte, welche yon einer Art specifischer Entzfindung (Iridochorioiditisg.) an Pferden wussten, bei der es an- gezeigt sei, das ersterkrankte Auge zu zerstgren, um das zwetie sympathisch erkrankte Auge zu retten. Sir hatten deshalb die Gewohnheit, Kalkstficke zwischen die Augenlider zu legen oder einen Spiess in den Bulbus

Ueber sympathische Amaurose eines Auges bei Irido-chorioiditis des anderen und über deren Heilung

Embed Size (px)

Citation preview

Ueber sympatlfiscbe Amaurose eines Auges bei Irido- chorioiditis des anderen und ~ber deren Heilung.

Von

Dr. A. v. Gr~fe,

Dass beid.e Augen naeh einander an deletRren inneren Eniziindur, gen erkranken, gehSrt leider zu den h;'iufigen Erlebnissen in der ophthalmologisehen Praxis, dagegen war es immer ein Gegenstand der Contro- verse, ob bei solcher doppe]seitigen Erkrankung eine und dieselbe Grundnrsache si(,h successive in beiden Augen bethiitigt, oder oh eine nachtheilige Einwirkung des ersterkrankten Auges auf das zweite stattfindet, so dass die sp~tere Erkrankung geradezu als ein Effect de r friiheren bezeiehnet werden kann. Wiihrend der ersterwiihnte Hergang bald allgemein anerkannt worden, hat sich die gleichzeitige Existenz des letzteren f'dr gewisse Fiille nur langsam in der Ueberzeugung der Faehgenossen eingeb[irgert.

Nach W a r d r o p ' s Aussagen warenes zuerst Thier- ~irzte, welche yon einer Art specifischer Entzfindung (Iridochorioiditisg.) an Pferden wussten, bei der es an- gezeigt sei, das ersterkrankte Auge zu zerstgren, um das zwetie sympathisch erkrankte Auge zu retten. Sir hatten deshalb die Gewohnheit, Kalkstficke zwischen die Augenlider zu legen oder einen Spiess in den Bulbus

443

einzustossen, um Yereiternng zu erregen. W a r - drop selbst 'anderle diese PraMs ~n Pferden damn, dass er cinch Einschnitt in die Cornea ma('hte, die Linse und cinch TheiI des Glask~;,'pers heraustreten liess. Er versiehem auf diese Weise hlinfig das zweite bereits er- krankte Auge eines Pferdes gerettet zu haben. ,In manehen Krankheiten des n>nsehliehen Anges ' , sagte er, ,;we das Uebel einen .ihnliehen Verlauf hat, kgnnte diese thierSrztliehe Praxis bei riehtiger Erwiigung mit Gl{iek adoptirt werden." Es wurden jedoeh diese dent- lichen Winke vorlauflg nieht benutzt.

Nut fiir eine Kategorie yon FNlen drang (lie Ueberzeugung einer wirklieh sympathisehen Entste- hung des entziindiiehen Uebels auf tier zweiten Seite dutch, sowie die hierauf gegriindete Therapie: es waren dies (lie Entziindungen naeh penetrirenden.Wun- den eines Auges, naeh Eindringen yon fremden KlSrpern, ausnahmsweise auch nach ehemischen Verletzungen.*) Nach den 5t)erzengenden Beohaehtungen, namentlich un- serer englischen Fachgenossen, branche ieh hier{iber niehts N~iheres hinzuzusetzen. Es gehi;rt ein wirklich unbeson- nener Sket)tieismus dazu, um dieseThatsaehen zu leugnen. Dass sic nicht einmal zu den Seli,~nheiten geh~iren, geht daraus hervoe, dass ieh in dam Augenblieke, we ieh dieses s('hreibe, aus dem vorigen Winwr-Semester reich auf 6 F~lle zu besinnen weiss, in denen bei frhher ganz gesu nd en Mensehen naeh einseitigt~r h'idoehorioiditis dutch Verletzungen das zweite Auge yon Iritis befallen wurde. Zuweilen tritt die sympathische Entzihldung des zweiten Anges danh auf, wenn die Entziindung des ersten huges ihre hi;ehste HShe erreicht, zuweilen entwickelt sie sieh

~*) Man ktinnte fiiglieh hieran die Entzilndungen nach einsei- tiger Linsenrecllnation anreihom welche sich zwar itusserst seltem aber doeh unleugbar zuweilen, auf d~s zwei{o. Auge fortpflanzen.

444

erst in den sp~iteren Phascn dee ersten Krankheit.*) Die Englander haben zuerst angerathen, in solehen F~illen das ersterkrankte Auge zu zerstiiren, und wur- den hierzu di(~ verschiedensten Vorschl~ige gemaeht. Einige, z. B. B a r t o Ia (siehe eine Mittheilung yon C r o m p- t o n, Medical gazette, London 1837), machten einen Horn- hautschnitt und driickten, wie W a r d r o p es an Pferden gethan, Linse und einen TheiI des Glask~rpers aus. Sp~ter, als man die exstirpatio bulbi mit Schonung des Bindegewebes und der Muskeln zn verriehten gelernt hatte, gabman, urnjeden entziindlichen Ausbruch vol~ deninnel"en Membranen an derWurzel abzusehneiden, dieserExstirpa- tion fi'Jr viele Ftille den Vorzug. leh selbst h~be einigemal ein Auge dadurch zur Phthisis gebraeht, dass ich mit einer gekviimmtcn Nadel einen Faden dutch die Selera und Chorioidea oder dutch den Ciliark6rper zog und die locker gekniit)fte Sutur so lange liegen liess, his Chemose und die sonstigen Vorboten yon Chorioiditis

*) So entsinne ich reich eines Knaben, desser~ rechtes Auge dutch eine perforirende Verleizung vor 4 Jahren erblindet war; dieses Auge war 3 .Jahre hindurch stark vergriisserI, in einem hy- drol)hthalmischen Zus/andegeblieben, ohne d~ms das Iinke Auge irgend wie erkrankte. Nac:h dieser Zeit traten auf's Neue Schmerzen, Thr.~nen und R[ithungen auf dem erb[indeten Auge ein, wobei das- selbe allm~ilig yon seiner frilheren Gr6sse zur Atrophic iiberging; erst w~ihrend dieser Zeit w~r ein Reizzusiand auf dem bis dahin gesunden huge und Abnahme der Sehkraft eingetreten. Bet tier Vorstellung des Kranken zeigte sich eine bereits vorgerlickie Iritis im linken Auge; der reehtsseitige Stumpf war immer noeh schmerz- haft und gerSihet. Bet der Exstirpation, die ieh in den erw~hnten Heilideen verrichteie, zeigte sieh einc so vollst~tndige Verkalkung des Sehnerven, dass ieh donselben in seiner Continuii~t mit keiner Seheere durchschaeiden konnte; ich musste ihn bet stark angezo- genera Bnlbus yon seiner Scleralinsertion ausliisen und so den Bul- bus nach hinten fenstern. Die Erliffmmg des Bulbus selbst wies Linsenverkalkung und noch fortbestehend e Chorioiditis, in Sender- heit Cyelitis, nach. Die feinere Untersuchung, durch Professor H. M i i l l e r in Wilrzburg verrich~et, wird von demselben im n~ieh- sfen Ilette mitgetheilt werden.

445

suppurativa sieh einstellten. Ein solc, hes Vet'l,al'Jrort hat vor dee Exstirpation des Bt+lbtas allerclings ~]~+t~ Vorzug, einen anseht+li(.het'en Stumpf zurfiekzulassen, •) .iedoeh den Naehtheil einer hoftigen imleren ReiztJllg, ohe es zur Phthisis komtnt, einer Reizung, die bei bereits dro- henden Symptomen ataf d++m zweiton Auge allerdings sehwer in die Wagsr+halo t':dllt. Endlich habe ir noeh ein sel'lr einthches Mittel prol)oriirt, welches gewiss f'dr viele F~ille zurn Ziele fiihrt, n~imliCrh die Iri(lectomie auf (lem erblindeten Auge (s. A. f. O. Bd. II, 2, S. 249).

Es ist lei(:ht zu begreifen, class man fiir T r a u m e n , welehe gesuude Individuen und friiher g'esunde Augen betreffen,, yon tier sympathischen Natt~r des Uebels sich eher eine Ueberzeugung schafft, als f~ir spontane Ent- ziindungen, bei denen irnmer wiedet" die Annahme einer gomeirlschaftlichell Ursa('he im Organismus sich geltend erhielt. Erst in dem letzten Jahrzelmt wurde der n'~m- liche Hergang, und zw,qr wieder dutch unsere eng- lischen Fachgenossen, auch ill der erw~hllten Richtung bin festgestellt. Freilich ist es nicht i~1 jedem Falle mSglich, sich hierfiber eine Ansieht zu bildetl; aber das steht lest, dass man nicht seltera au.f eine s.ym- pathisch ausbr~;chende Iritis resp. h'idochorioiditis dutch Eingriffe im erst(~rkrankten Aug'e einen g[instigen Ein- fluss gewinnt. Ich babe meine einschl~.gigen Erfahrun- gen ~i;Jr die Iridectomie bereits anderen Ortes (1. c.) he t 'vorgehoben. - -Wenn man nun bei diesen Eingriffen in das erste Auge, ni(;ht f~ir alle Zeit auf dem Stand- punkte blosser Versuehe stehen bleiben will, so wird es

*) Man w~hno aber nieht, dass naeh der Bonnet'sehen Ex- stirpation ein fiir ein kfinstliehes Auge schte, eht brauehbaror und unbeweglieher Stumpf zuriiekbloibe. Dio HShlo tier Tenoni- sehen Kapsel bildet eine concave Sehale, welcho sieh bei riehtigor Naehbehandhmg mit Granulationen seh~in ansftillt urtd endIieh einon durch die Augenmuskeln be,~veglichen S?,umpf, beinahe wio ein Iahihisisehos Auge, bildet.

446

nSthig sein, die Verh~ihnisse genau zu bestimmen, un-

ter denen man die Affection des zweiten Auges als eine

sympathisehe betraehten und demnaeh yon der frag-

lichen Heilmethode sieh Nutzen verspreehen kann. Es

handelt sieh vor allen Diqgea darum, ob es nut entziind-

liehe Leiden der inaeren Membranen sind, die das

SehvermSgen des zwei ten Auges bedrohen, wie man

es offenbar annimmt, wenn man yon sympathiseher

R e i z u n g des zweiten Auges, yon Retinitis, die allm~i-

lig auf Chorioidea und Ms [ibergeht etc., sprieht, oder ob

es aueti anderweitige Leiden, z. B. des Sehnerven, sind.

Es handelt sieh da tum, ob ~iusserlieh wahrnehmbare

Reizsymptome die sympathisehe Affection im zweiten

Auge bekunden oder ob deren Existenz zuweilen n u r

dureh das Ophthalmoskop naehzuweisen ist. Es wird

die ganze Saehe far die versehiedensten inneren Augen-

affeetionen durehzustudiren und der jedesmal ige ophthal-

moskopisehe Befund des erkrankten und des neu er-

krankenden Auges genau anzugeben sein. Dass es sieh nieht immer um sympathisehe E n t z [ i n d u n g e n

oder R eiz u n g en des zweiten Auges handelt, sondern dass

die sympathisehe Affection; der gewShnliehen Redeweise

zufolge, in alas Bereieh der A m a u r o s e n fallen kann,*)

lmweist folgende Beobaehtung, die ieh deshalb ausfiihrlieh

miuheile, well sic wirklieh einc dogmatische Beweiskrai t

*) Mit dem Namen ,,sympathische Amauroso oder Amblyopi.e" ist insofern Missbrauoh geirieben wordcn, als man die Unfiihigkeit des zweiten Auges filr den anhaltcndea Sehact damit bezeichnet hat. Dieso beruht cntweder auf Sehmerzen, welche sieh (durch Sympathie in dem beidel'seitigen Ciliarncl'vensysfem) yon dem einen Auge auf das andero fortpilanzea, odcr auf Schw~che des Aecomo- dationsvermSgens, welche sich auf Grund der physiologischen SYnergio in dem beiderseitigen Accornodationsapparat sehr natiirlich aus der einseiti~en l?,rkrankung din" inneren Gcbitde (Tensor Chori- oidoae) ab[eiten l[tsst. Eiu Ucbel'gar~g solcher Zustitnde in wirktiell amaurotischo Leiden ist aber zur Zeit noeh nieht eonstatirt.

447

in sich tr~igt und zugleieh f[ir reich den Ausgangspunkt weiterer Studien i~ber sympathisehe Amaurose wurde.

Fr/iulein Juanetto W. aus Minden, 20 Jahre alt, kam im Frahiahru 1855 zu rnir. Das linku Auge, suit den ersten Kinderjah,'en erblindet, war stets etwas gereizt, abet' besonders in den letzten 13 Jahren entzihldet ge- wesen. Im Anfange dieses letzteren Zeitraumes trat pl~3tzlieh auf dem rechten Auge folgender Zufall ein: Patientin wurde eines Abends, nachdem sie lange hin. tereiuander Clavier gespieh hatte, yon einer Verdunklung befallen, welehe sich bis zur Mitre des tblgendea Tage s so welt steigerte, dass sie feinere Obj eete nieht mehr erken- hen und sich selbst ziemlich schwcr orientiren konnte; dieses dauerte bis zttm fblgenden Abend, um sich als- darm wieder etwas zu bessern. Seit jener Zeit ,blieb jedoeh fiber dem rechteu Auge ein Flor." Patien- tin sah Alles i ,wie im Spinnengcwebe," ab und zu rio- gen derselben ,wie helle Blumen oder Funken dutch das Gesichtsfeld;', besonders Abends war siu suither ira- met in der Orientirtmg genirt. ~ Zur Zeit ihrer Vor- stelhmg d. 13. Juni 1855 land ich das linke, yon friJher erblindete Auge in tblgendem Zustande: Massige sub- conjunctivale Iniection , die vordere H~ilhe des Bulbus etwas ausgedehnt, der Bulbus selbst sehr hart, die Pu- pille ad maximum erweitert~ die fiberatl schmale Iris nach obet~ zu uinem kaum siehtbaren purJpheren Strei- fen retrahirt, am Boden der vordererl Kammer etwas Blut, die Linse noch durchsichtig; mit dem Oph- thahnoskop totale NetzhautablSsung. Ruchts: ~iusser- lich nichts bemerkbar, bei der functionellen Prfi- lung eine m~issige Besehr~nkung der Sehseh~rfe, so dass Patientia sehr feine Druckschrih nicht mehr zu- sammenh~ngend lesen konnte, das Gesiehtsfeld naeh aussen-oben um ein Weniges eingeengt. Das exeen-

448

trische Sehen gegen die Peripherie bin relativ undeut- lieh. Das Ophthalmoskop zeigt immre Membraaen und breehende Medien vollkommen normal, dagegen in der Papilla optiei eine ziemlieh ~teile partielle Excavation und Verdr~ingung der Centralgef~isse, besonders ge- gen den inneren Rand des Sehnerven. Die Exca- vation nimmt ung'cf~ihr das mittlere Bereieh des Seh- nerven (dem Diameter naeh die H/ilfie) cir,, aber aueh innerhalb dieses Bereiehes ist nur der innere-untere, innere- obere und /iussere- obere Quadrant oeeupirt, w~ihrend der ~iussere-untere Quadrant frei ist; die Ve- nen sind sfflrker gefSllt, geschl~ngelt und in gr~isserem Kaliber als gew6hnlieh zur era serrata bin zu verfolgen. Nach diesem Befunde war das nomen morbi auf A m a u - r o s e mit S e h n e r v e n e x e a v a t i o n (wahrscheinlich substantielles Sehnervenleiden. o) zu stellen. Es wurde der Patientin Augendi'~t, ein ableitendes Verfahren und links periodische ~3rtliche Blutentleerung empfohlen.

Nach einigen Monaten sah ich dieselbe wieder. Der Zustand des linken Auges war ungef~hr derselbe, rechts war zwar noch his an die Grenze des Gesichts- feldes eine dumpfe quantitative Lichtempfindung (abge- sehen yon tier frfiher angegebenen leichten Verengerung nach aussen und oben), aber das Bereich einer relativ entsprechenden qualitativen Wahrnehmung war bereits deutlich zusammengezogen, kS nahm auf 15 Zoli Ent- fernung einen Kreis yon 18 ZolI im Durehmesser ein und schnitt gege n das an|iegende Bercieh lediglich quan- titadver Wahrnehmung ziemlich seharf ab. Ich verord- nete ausser den friiheren Mitteln innerlich kleine Dosen yon Sublimat.

In dem Winter 1855--1856~ we ich yon der Kran- ken nur brieflieh h~3rte, traten verschiedene eatz[indliehe Reizungen in dem erblindetcn linken Auge auf, an welehe sich aueh periodisehe st~irkere Verdunkelungen

449

des rechten Auges knDpften. Bei einer dritten Vor- stellung der Patientin am 26. April 1856 land ich das liake Auge etwas ausgedeh1~ter als fri)her, mehr sub- con.junctivale R0thung, mehr l~lut in der vorderen Kam- mer; auch sehien die abgel(~ste Netzhaut welter vorge- dr~ingt, weniger durchscheinend als zuvor, k0rnig und ~treifig getr[)bt. Reehterseits war die centrale Sehseh';irfe etwas vermindert, was sich besorlders in der mangeln- den Gel/iufigkeit beim Lesen aussprach. Das Gesichts- reid zeigte eine sehr nachtheilige Ver/inderung: das Bereich der quantitativen Lichtempfindung war ~llseitig, am meisten aber nach aussen und oben, beengt; es nahm, auf 15 Zoll gemessen, ein unregelm~issiges Feld yon circa 2 Fuss im Diameter eiu, dagegen betrug der Kreis des relativ deutlichen excentrischen Sehens, in derselben Entfernung gemessen, nur 12 Zoll Breite, 16 Zoll HShe. Patientin war dutch die verschiedenen Kuren und wohl auch auf 6rund urspr[inglicher I)iathese etwas an~misch geworden, und es wurde deshalb ein leichtes Eisenwasser verordnet.

Am 13. Juni kam die Patientin aufs Neue mit einer sehr bedeutenden Verschlimmerung. Links waren nam- halle Blutungen in die vordere Kammer eingetreten, und es fessehe reich damals zuerst ein kleiner tother Fleck in der Mitte der vorderen Linsenkapsel, welehen ieh Fdr ein Depot eoagulirten Blutes hielt, obwohl mir dieser eigenth~mliche Platz allerdings auf~el. Die Ver- schlimmerung des rechtseitigen Sehverm0gens markirte sich schon beim ersten Blicke iu der unsichern Orien- tirung; der Kreis des relativ deutlichen Sehens betrug, auf 15 Zollgemessen, 12"Breite, 10"H0he; um diesenherum zeigte sieh quantitative Wahrnehmung nur noch in einer schmalen Zone. - - Eine so constante und in der letztea Zeit so rapide Abnahme schnitt jade Hoffnung ab. Auch die Sehnervenexcavation hatto sich etwas ausgebreitet;

Archi'," flit Ophthalm.ologie. Bd. Ill. 2. ~ 9

450

deren Bereich ilbersehritt jetzt die HfilRe des Sehnerven und der frilher fi'eie ~iussere-untere Quadrant war in die

Ver~inderullg mit hineingegangen. Soast kein Wechsel in dem Verhalten dieses At~ges. Auf Grund zunehmen- der An~mie mit Menstruationsunregelm~issigkeiten wurde Franzensbad o r d i n i r t . -

Am 26. Juli kam die Kranke aus dem Bade zuriick, vollkommen unf'~hig sich zu Ffihren; das linke Auge in dem fri]heren Zustande, das rothe Fleekchen im Cen- trum der vorderen Kapsel etwas vergr~ssert, auch mehr B|ut in der vorderen Kammer.*) Rechts war die Orien- tirung fiusserst unsicher. Patientin tastete auf den Ob- jecten mit ihrem kleinen Gesichtsfeld herum. Dieses maass, auf 15" bestimmt, in Summa nur noch 8" Breite und 7" H~he. Ausserhalb dieser Grenzen war gar keine quantitative Liehtempfindung und aueh schon innerhalb, gegen die Umgrenzung hin, war das Sehen relativ un- deutlieh. Die centrale Sehsch~irfe hatte etwas, jedoch nicht in Proportion, abgenommen, es konnte Patientin mit Convexglfisern noch m~issig feine Druckschrift ent- ziffern. Der Ophthalmoskop-Befund w~r u, ie bei der letzten Untersuchung. - - Ich schlug ietzt die Exstirpation des linken Auges vor und s dieselbe, da Patientin, mit ihrem Schicksal vollkommen vertraut, hierin den letzten Versuch der Rettung vor der Blindheit sah, am 29. Juli nach der B o n n e t ' s c h e n Methode aus.

Das Pr~iparat des exeidirtcn Bulbus war in mehrfaeher Beziehung iuteressant. In der Chorioidea die gewShn-

*) Es war interessant 9 die Entstehung der neuen Blutungen zu beobachten; man gewahrto nicht selten bei der Augenspiegelinspec- tion, dass yon oben her, da wo die Iris beinahe fehlte, wie ein kleiner dfinner Blutstrah| in die vordere Kammer lief und sich in das auf deren Grund liegende Hyph~ima ergoss; es musste demnach die Blutung entweder aus dem obern zurllckgezogenen Theile der Iris oder aus dem S ch lem m'schen Kanale k0mm~m

451

lichen Ver~inderungen chroniseher Entziinduug, bindege- webige, sehrumpf~nde Aufl~lgerungen an der inneren Fl~iche, beinahe vollstlindige Zerstiirung der Pigmentschicht u. s .w. Die F]fissigkeit. zwischenNetzhaut ut:d Chori~)idea ausserordentlich reich an Cholestearin, die Netzhaut selbst kiirnchenzellenhaltig, der GlaskSrper zum grlissten Theile verdr~ingt. Besonders richtete ich mein Augenmerk auf zwei Dinge, nfimlich aul' die rothe Stelle an der vor- deren Kapsel und auf das peripherisehe Verschwinden der Iris nach oben. Was die erstere anbetraf, so land ich gegen racine Erwartung auf der Aussenfi~iehe der vorderen Kapsel nichts aufliegen; selbst, nachdem wie- derholt an diese Stelle mit dem Scalpell gestreift worden war, blieb der rothe tIilgel unver~indert. Es schien viel- mehr, als sei die Kapsel durch eine dahinter liegende Ansammlung an diesel" Stelle vorgedr~ingt wordem Es wurde nun die vordere Kapsel durch einen l~ings des Liasen-Aequators gef'iihrten Sclmitt sorgfiiltig gelllst, und yon dem Liusenkiirper abgezogen. Die rothe Stelle blieb vollkommen intakt an der Kapsel; in dem ent- sprechenden Theile der Linse war die Gegenwart ge- f~irbter Substanz nicht im Mindesten zu erkennen; dennoch glaubte ich vorl~iufig, dass die rothe Masse der inneren KapseIfl~che ledigllch anhafte, aber auch dureh Streichen an dieser inneren Fliiche wurde die rothe Masse nicht enffernt, so dass sie wenigstens, bei der grSberen Untersuchung in die Kapseldicke versetzt werden musste. Die fbinere Untersuehut)g, die ich mit beson- deter Beriicksichtigung der damals yon I-I. M fi IIe r ent- deekten glashiiutigen Kapselverdickungen ausf'dhrte, ergab folgendes Ilesultat: die rothe Masse, zum grSssten Theil aus ktlrnigem H~imatoidiu bestehend, sass allerdings hin- ter der normalen Kapsel; es war jedoch die Hinterfi~iehe der Kapsel in dem ganzen Bereiche, besonders abet gegen das Centrum hin, dureh ziemlich starke aecesso- rische Lamellen und Auswtichse verdickt und diese aecessorischen Schiehten spannten sich hinter die rothe Ansammlung hinweg, so dass diese zwischen der nor- maleu Kapsel und ihren pathologischell Verdickungen gelagert war. Offenbar hatten die glash~iutigen Aufla- gerungen pr~iexistirt, da ichden sehr auff~itligen Blutfieek

29"

452

in der Mitte dcr Kapse! crst bui den letzt~n b~iden u atdIungen gewahrte; gel~3ster BIutfarbstoff war yon der vorderen Kammer dureh die Linsenkapsel transsudirt und hatt~ sieh vor seiner Passage dureh die glash~iutigen Verdiekungen k~rnig differenzirt. - - Der zweite Punkt, n",imlieh d~s peripherisehe Versehwinden der Iris naeh oben, crkl~irtc sich auf sehr natiirliche Weise. Nieht etwa, dass (lie h'is hier wirldich schm~iler war, als an den audern Stellen~ sondern sir ersehien, wenn man den vorderen Abschnitt des Bulbus nach verrichtetem hequa- torial-Schnitt von innen ansah, ilberal[ yon einer gleich- miissigen, al[erdings stark redueirteu Breite; die schein- bare Differenz in den oberen Theilen lag ledigIieh in dem Ansatz der h'is. Dieser ent{ernte sich nfimlieh dort betriichtlich yon der eigentlichen Hornhautgrenze; der zwischen beiden Iiegende Scieralffmil ent~prach dem ausgedelmten und naeh hinten er~ffi~eten Sehlemm'sehen Kanale, welcher eine breite Grube bildete. Die Blutungen waren aus dieser Grube ge- kommen, wdche noeh jetzt zum Theil r~ithl]che Coa- gula emhielt; ob das peripherische Verschwinden der Iris in F~illen yon Chorioiditis h~iufig diese Ursache hat, muss weiteren Forschungen iiberlassen werden.

Die Heilung auf der linken SeRe ging vollkommen nach Wunsche , so dass Patientin in sp~terer Zeit ein

�9 O" m~ssig beweglibhes, die Entstellun~ vollkommen decken- des, kSnstliches Auge tragen konnte. ~ W a s nun das

SehvermSgen des reehten Auges anbetrifft, go zeigte dies

in der e rs tenWoche nach der Operation einen vollkommnen

Stillstand, mit dessen Fortbestailcl i(:h u~te7 den obwalten-

denVerh'altnissen (einer so rapiden Versehleehterung) reich

sehon sehr befriedigt erklart haben wiirde. Von dann ab

trat zu der Patientin und meiner gr()ssten Freude eine progressive Besseruug ein; am 16. August maass das Gesiehtsfeld (immer au~" 15" gemessen) 10" Breite und

9�89 HShe, am 19. Aug. 11�89 Breite und 12" HShe, am

29. Aug. 15" Breite und 15" Hi;he; Patientin wurdo Anfangs September endassen. Als sit sieh im Novem-

453

ber 1856 wieder vorstellte, hatte alas Gesiehtsfeld sieh noch namhaft erweitert; der Kreis des relativ deutlichen Sehens halle einen Diameter yon 18 ~ 2 0 " , abet um diese herum befand sich noch eine breite Zone mit quantitativer Liehtempfindung. Da sich trotz dieser Besserung der ophtbalmoskopische Befund in keiner Weise ver~indert halle, so verrichtete ich, auf meine anderen Erthhrungen fiber Irid~,ctomie bet Sehnerven- Excavation gestihzt, diese Operation ; ieh fiihlte mich hierzu besonders dadurch bewogen, (]ass der Bulblls etwas prall war und bet eongestiven Veranlassungen noeh zuweilen periodische Verdunklungen eintraten; der Effect war insofern tin giinstiger, als bet gleichblei- bendem Sehvermilgen die Prallheit des Bulbus naeh. liess und seit jener Zeit bis zum Jnni 1857, wo ieh die letzten Nachrichten erhielt, keine Obseurationen mehr eintraten. - - Die centrale Sehsehiirfe blieb ungef/ihr auf ihrer friiheren Hiihe; Patientin liest freilich selbst mitt- lere Druckschrift nicht sehr fliessend, sondern wortweise, entziffert jedoch aueh feinere Schrift. - - Mag nun aueh der weitere Verlauf sich verhalten, wie er wolle, so ist der Nachweis einer ausserordentlicb thStigen Heilwir- kung der linksseitigen Exstirpation durch die Beobachtung unleugbar geliet~rt. Es wih'de, selbst wenn sich sp~iter Abnahme der Sehkraft resp. v~illige Erblindung einstel. len sollte, wie es bet der hocbgradigen Sehnervenent- artung immerhin m;Jglich ist, flir reich lediglicb der Schluss resultiren, dass man in /ihnlichen F~illen noch frliher zur Exstirpation schreiten muss.

In diesem Falle bestand die sympathische Affection in einer Amaurose mit Sehnervenexcavation und con- centrischer Verengung des Gesichtsfeldes. Ein ~ihnliches Vorkommen habe ich wiederho]entlicb vorgefunden: auf dem einen Auge absolute Amaurose dutch Ausg~nge zerstSrender Chorioiditis, auf dem anderen olme alle

454

Reizerscheinung~.n eine Amblyopie mit zunehmender (wenn auch in der Regel nicht concentrischer) Verengung des Gesiehtsfeldes trod ophthalmoskopiseh naehweisbarer Sehnervenexeavation. W~ire es nun sicher, dass es sich hierbci um ein substantielles Leiden des Sehnerven han- delte, so k•nnte man allerding's an einen wahrhaft net'- vSsen Einfluss als Hebel der sympathischen Affection denken;*) man w~rde in der, schon zur L/isung so vie- let dunkler Fragen angerufenen commissura arcuata anterior des Chiasma vielleicht, eine anatomische Basis fflr eine solehe Anschauung zu finden meinen. Patho- logisehe Reizung der Netzhaut auf der einen Seite wlirde in dieser Annahme dutch (lie seh]ingenfSrmig umliegen- den Fasern auf den anderen n. opticus iibertragen. Ich gestehe .jedoch, dass ich mit der Annahme eines sub- stantie]len Sehnervenleidens als Grund der Excavation immer vorsichtiger werde, .je mehr ich reich ilberzeuge, dass schleichende Chorioiditidos, welehe bet Mangel auf- flilliger Gewebsver~inderungen lange Zeit quasi latent bleiben, bis sie in sp~teren Ent~vicklungsphasen ihre ty- pische Deutlichkeit erhalten, doeh relativ friihzeitig Seh- nervenexcavation hervorbringen. Somit ist es immerhin mSglich, dass eine Sympathie zwischen den eireulato- rischen Verh~iltnissen stattfindet, wie wit' sie ,ja so deut- lich an den ~iusseren Theilen des Auges beobachten. In diesem Sinne w~ire, wenn nieht durch seeund~ire Oho- rioiditis auf dem zweiten Auge, doch dutch eirculato- rische und seeretorische Stiirung der Chorioidea eine Zunahme des intraocularen Druekes und Sehnerven-

*)Um hierliber in's Klare zu kommen, babe ich vorgeschlagen, in ~ihnlichen F~llen statt der exstirpatio bulbi die Durehschneidung des nervus opticus zu macben. Es hiiite dies unter geelgneten Umsi~indea zugleich den Vortheil einer Erhaltung des Bulbus. Die- ser Vorschlag ist, so viel ich weiss, yon Dr. A. Weber in Darm- stadt zuerst ausgeftihrt worden.

455

excavation ertblgt. Des oben angeFdhrte nomen morbi ,,Amaurose mit Sehnervenexcavation" sell eine solche Entstehung keineswegs ausschliessen, da dieser Gegen- staad noch durchaus nicht erledigt ist (siehe die nach- folgende Notiz fiber Glaucoma).*)

*) Ich bemerke 5brigens, dasa zur Zeit, als der Fall zur Be. obachtung kam, ravine Anschauungen fiber das Verh~ltniss des Sehaervenleidens zur Chorioidifis noeh weeenflich andere warem