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ARCHIV DER PHARMACIE, 4. Band, 1. Heft. A. Originalmittheilungen. Ueber Urnenharz. Von Hostmann und Fliickiger. I. Heidnische Grabstatten, namentlich aber die den ersten Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung angehorenden Urnenlager des nordwestlichen Deutschlands, enthalten nicht selten neben anderen, mehr oder minder kostbaren Mitgaben auch eine eigenthiimliche, unscheinbare harzartige Substanz. In meiner Schrift ,,der Urnenfriedhof bei Darzau in der Provinz Hannover (' (Braunschweig 1874, Vieweg u. Sohn) habe ich bereits ausfuhrlich iiber die Verbreitung dieses Har- zes gehandelt und ebenda, 6. 120, Anm. 3, auch die Resultate der pharmakognostischen Untersuchung veroffentlicht, welche Herr Professor F l u c k i g e r mit einigsn von mir in den darzauer Urnen aufgefundenen Harzstuckchen vorzunehmen die Freundlichkeit gehabt hatte. Das gemeinsame Ergebniss der archaologischen und ana- lytischen Untersuchungen, welches dahin ging, dass dies in den Grabern enthaltene Harz durchaus keine Aehnlichkeit zeige mit irgend einem einheimischen Naturproducte , sei es Bernstein, Fichtenharz , Asphalt oder dergl., wurde indessen in Frage gestellt, als einige Monate spater, durch Herrn Studienrath Dr. M u l l e r in Hannover, eine Analyse veroffent- licht wurde, die Herr Professor H e e r e n mit einem Harz- stiickchen aus dem Urnenlager von Rebenstorf vorgenommen hatte, wonach dieses nichts anderes sein sollte als Erdpech Arch. d. Pharm. VII. Bds. 1. Hft. 1

Ueber Urnenharz

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ARCHIV DER PHARMACIE, 4. Band, 1. Heft.

A. Originalmittheilungen.

Ueber Urnenharz. Von Hostmann und F l i i ck iger .

I. Heidnische Grabstatten, namentlich aber die den ersten

Jahrhunderten unsrer Zeitrechnung angehorenden Urnenlager des nordwestlichen Deutschlands, enthalten nicht selten neben anderen, mehr oder minder kostbaren Mitgaben auch eine eigenthiimliche, unscheinbare harzartige Substanz.

In meiner Schrift ,,der Urnenfriedhof bei Darzau in der Provinz Hannover (' (Braunschweig 1874, Vieweg u. Sohn) habe ich bereits ausfuhrlich iiber die Verbreitung dieses Har- zes gehandelt und ebenda, 6. 120, Anm. 3, auch die Resultate der pharmakognostischen Untersuchung veroffentlicht, welche Herr Professor F l u c k i g e r mit einigsn von mir in den darzauer Urnen aufgefundenen Harzstuckchen vorzunehmen die Freundlichkeit gehabt hatte.

Das gemeinsame Ergebniss der archaologischen und ana- lytischen Untersuchungen, welches dahin ging, dass dies in den Grabern enthaltene Harz durchaus keine Aehnlichkeit zeige mit irgend einem einheimischen Naturproducte , sei es Bernstein, Fichtenharz , Asphalt oder dergl., wurde indessen in Frage gestellt, als einige Monate spater, durch Herrn Studienrath Dr. Mul l e r in Hannover, eine Analyse veroffent- licht wurde, die Herr Professor H e e r e n mit einem Harz- stiickchen aus dem Urnenlager von Rebenstorf vorgenommen hatte, wonach dieses nichts anderes sein sollte als Erdpech

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oder Asphalt. Vgl. Ztschrft. des histor. Ver. f. Niedersach- scn, Jahrg. 1873, S. 325 und 331.

Andererseits indessen, insbesondcre durch Herrn Apothe- ker B u s c h in Bergen a. d. Dumme, aufmerksam darauf gemacht, dass das Urnenharz cine grosse Aehnlichkeit zeige mit dem in alteren Apotheken noch vorkommenden sog. Lada- num, nahm ich in Folge dieser abweichenden Urtheile Ver- anlassung, dem Herrn Prof. F 1 ii c k i g e r ausser einigen Harz- stiickchen aus den Urnen von Darzau und Rokenthien, beson- ders solche aus dem obenerwahnten Funde von Rebenstorf zum Behuf einer abermaligen wissenschaftlichen Priifung zuzusenden, so dass also den bier unten mitgetheilten Resul- taten im Wesentlichen gcrade die, von Prof H e e r e n fur Asphalt erklarte Substanz zu Grunde gelegen hat.

In den Todtenurnen zeigt sich das Harz vorherrschend als unregelmassiger, knollenformiger Korper von 2 - 6 Centm. Durchmesser; seltener in der Form von tiirkischen Bohnen oder auch Dattelkernen. Angeeiindet verbrennt es mit stark russender Flamme und verbreitet einen mehr oder weniger starken, balsamischen oder benzoeartigen Duft, wie ein ein- heimisches Harz ihn ganz entschieden nicht entwickelt. Es ist undurchsichtig, bald locker und poros, bald dichter und har- ter, von gelblicher, aber auch brauner und fast fichwarzer Farbe. Die helleren Stiicke zeigen sich indessen auf dem Bruche mit dunkeln Parthieen durchsetzt , und nach jahrelangen Beobachtungen halte ich es nicht mehr fur zweifelhaft, dass die hellere Farbe Iediglich einer mehr vorgeschrittenen oder beschleunigten Zersetzung der urspriinglich tief dunkeln und glanzenden Substanz znzuschreiben ist.

Die Consistenz der harzigen Mawe muss beim Einlegen in dio Urnen ahnlich gewesen sein wie die des gewohnlichen gelben Wachses; nicht allcin, dass augenscheinlich die Stuck- chen zwischen ded Fingern gleichsam geknetet wurden ; man findet auf ihnen auch hin und wieder sowohl die Eindriicke von Ziihnen (hineingebissen) , wie auch von feinen Drahten und anderm leichten Zierath, und an einem von mir aus einer

Hostmann u. Fliickiger, Ueber Urnenharz.

Hostmann u. Fluckiger, Ceber Urnenhara. 3

darzauer Urne cnthobenen Harzstiicke haftete sogar noch eine zierliche Spange nebst einer Knochennadel ganz fest.

Speciellen Nachwcis iiber die grosse Verbreitung dieser eigenthumlichen Droge habe ich in meiner oben angezogenen Schrift gegeben; hier glaube ich auf dfe einfache Erwahnung mich beschranken zu diirfen, dass die gleiche Substanz sich vorfand in Grabern der Schweiz, in Bohmen, Thuringen , im Brandenburg'schen und Magdebiirg'schen, in der Altmark , in dcr Provinz Hannover, in Meklenburg , Holstein, Jiitland, Schweden, Norwcgen, Holland und England. Auch in einem romischen Steinsarge bei Nymwegen, aus dom Ende des 2. Jahrhunderts n. Chr., wurden mehrere Stiickchen dieses Urnenharzes vorgefunden, worin man eine Bestatigung seines fremden Ursprungs finden mag.

Aeltere Forscher hielten e8 entweder fur Weihrauch oder fur Myrrhe; schon im 17. Jahrhundert beschreibt man es als ,, eine aus vielerlei Ingredientien zusammengesetzte Massa, die, wenn man nur ein wenig davon auf gluhende Kohlen wirft, schier ebenso gut riechet, als wenn man Rauch - Pnlver von der Apothequen holen lasset;" wie denn iiberhaupt der diesem Harze eigenthiimliche Wohlgeruch von allen Archao- logen bis in die neueste Zeit ausnahmlos bestatigt wird.

Eine wissenschaftliche Untersuchung des Harzes scheint zuerst von B e r z e l i u s vorgenommen zu sein; doch ist, mei- nee Wissens, etwas Naheres nicht veroffentlicht worden, als die kurze Notiz, dass der beriihmte Chemiker in der fragl. Masse nicht ein einzelnes Harz, sondern ein Gemisch von mehrern zum Rauchern bestimmten Harzen erkannt habe. Vgl. Iduna, Heft 2 u. 3. Stockh. 1811 u. 1812.

Ein anderer Chemiker, Herr S t o s s n e r in Jena, erklarte dagegen das Harz wegen seines Verhaltens zu Auflosungs- und Fallungsmitteln fiir - mumificirte Gehirnsubstanz. Vgl. Variscia, Lief. 2, S. 75, Anm.

Sonstige, unter anderm die von Professor B e r l i n ver- offentlichten Analysen hcziehcn sich nicht auf das in Frage stehende Ham, sondern auf die, den Archiiologen unter dem Namen von Harzkuchen bekannten Gemenge aus Bernstein,

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Birkentheer und Borkc; Materien , die ebenso wenig hierher gehoren wie die bei Olmiitz in der Erde gefundenen ,,grosse- ren Knollen einer dunkelbraunen , fettglanzenden, harzigen Substanz , " welche nach den Analysen von Professor B a u e r in hundert Theilen enthielten : Kohlenstoff 76,50 ; Wasser- stoff 9,92; Sauerstoff 13,17; Asche 0,41. Vgl. Mittheil. der Anthrop. Ges. zu Wien, Bd. I, S. 238.

C e l l e , im Februar 1875. Zostmann, Dr.

IT.

Wie aus den Untersuchungen des Herrn Dr. H o s t - m a n n hervorgeht , liegt in diesem ,,Urnenharze " ein archao- logisch hochst merkwiirdiger Stoff vor, der vielleicht aus wei- ter &'erne nach den jetzigen Fundstatten gelangte. Da es mir nicht moglich war, iiber dessen hbstammung Auskunft zu geben, so hielt ich es fur gerathen, die Eigenschaften die- ses Urnenharzes festzustellen, um vielleicht andern Forschern behulflich zu sein, die Frage nach der Herkunft der riith- selhaften Substanz mit besverem Erfolge an die Hand zu nehmen.

Die ansehnlichsten Knollen des Urnenharzes , von Herrn Dr. H o 8 t m a n n eigcns ausgesucht , gleichen keinem mir bekannten Naturproducte. Davon abgeschabte Stiickchen zeigen unter dem Yikroskop mit Weingeist befeuchtet nur undurch- sichtige dunkle, amorphe IIassen. Bei looo backt das Pul- ver allmiilig zusammen, ohne zu schmelzen; dabei macht sich ein nicht kriiftiger , aber unverkennbarer etwas an Storax erinnernder , nicht scharfer oder reizender Geruch bemerklich, welcher bei stiirkerer JGtze zuletzt mehr, aber immerhin nur schwach an den von erhitztem Wachsc ausgestossenen Ge- ruch erinnert; ein festes Xublimat wird dabei nicht erhalten. Die Dampfe verbrennen leicht mit stark russender Flamme ; wird die Verbrennung sorgfaltig geleitet, ohne dass die Sub- stanz sich entflammt, SO bleibt nur 1,58 Procent brauner Asche iibrig, welche mit Salzslure nicht braust und schwach alkalisch reagirt. EY war leicht, darin Hangan nachzuweisen,

Hostmann u. Fliickigcr, Ucber Urnenhare. 5

begleitet, wie mir schien, von etmas Cobalt. Andere Stucke lieferten ebenfalls 1,58 bis 1,65 Procent Asche. -

Das bei 1000 getrocknete Pulver dcr Knollen wird von Petroleumather wenig angegriffen , nicht sehr stark von ge- wohnlichem Weingeist ; weit mehr wird durch Schwefelkoh- lenstoff gelost, aber am meisten, wie es scheint, durch Aether, welcher bis gegen 60 Procent des Pulvers aufiost. Diese Losung so gut wie die in Schwefelkohlenstoff zeigt sich stark braungrun fluorescirend und sieht sehr dunkel braun aus.

Das durch Aether geloste Harz ist schwarzbraun, wenig in Weingeist loslich, nicht sauer reagirend, concentrirter Salz- siiure beim Erwarmen keine Fiirbung ertheilend und riecht beim Erwarmen schwach aromatisch.

0,2428 g. dieses Harzes , bei 1000 getrocknet, lieferten bei der Verbrennung im Sauemtoff, wobei nur eine kaum sichtbare Spur Asche zuruckblieb :

Kohlensaure 0,6480, entsprechend 0,1767 Kohlenstoff Wasser 0,2030, J > 0,0225 Wasserstoff.

Daraus folgt fur das mit Aether ausgezogene Harz die procentische Zusammensetzung :

Kohlenstoff 72,77 Wasserstoff 9,26 Sauers toff 17,97.

Das rohe, nur mechanisch gereinigte Urnenharz war auf Herrn Dr. H o s t m a n n ’ s Wunsch schon frihcr von Prof. K r a u t analysirt worden; er hatte im Mittel dreier Analysen darin gefunden : Kohlenstoff 72,30 und Wasserstoff 9,26, fer- ner Asche 1,7 bis 2,8 Proc.

Diese Zahlen entfernen sich nicht allzu weit von den bisher fur verschiedene Harze gefundenen, z. B. von denjenigcn fur das Ladanum nach J o h n 6 t o n ’ s Analyse. *) Xeines Erachtens berechtigen aber die von K r a u t und von mir ge- fundenen Zahlen nicht zu einer Vergleichung mit Ladanum ; denn diescs Harz ist aus dem Handel verschwunden**) und

*) Gmelin, organiechc Chemie VII p. 1826. **) Vgl. Ungcr und K o t e c h y , Die Insel Cypern. Wien 1865. 393.

6 Hostmann u. Fliickiger, Uebcr Urnenharz.

was Johnston unter jenem Namen untersucht hat, bietet fur Authenticitat keine Biirgschaft ; *) wir wissen also nicht , wie reines Ladanumharz zusammengesetzt ist. Auch ich besitze kein Ladanum von zuverlassiger Echthcit. - Die verschiede- nen Wachssorten und Asphaltartcn sind vie1 reicher an Koh- lenstoff als das Urnenharz.

Ich unterwarf nun das mit Aethor dargestellte Ham der trockenen Destillation und erhielt ein braunes schweres Oel, welches ich mit etwas Wasser kochte. Eisenvitriol erzeugte in dieser Losung nach Zusatz weniger Tropfen essigsauren Natrons eine blaue Farbung. Eisenchlohd rief eine rein griine Farbung hervor, welche durch Kali in roth iiberging. Es ist also anzunehmen , dass sich P y r o c a t e ch i n gebil- det hatte.

Die mit Aether ausgekochte Substanz trat an absoluten Alkoho l nur etwa 0,8 Procent der ursprunglich in Arbcit genommenen Menge ab. Der concentrirte alkoholische Aus- zug schmeckte b i t t e r und war in Wasser loslich; diese Losung gab mit Bleizucker, nicht mit Gerbsaure, einen h'ie- derschlag und wurde durch Eieenchlorid nicht verandert. Noch weniger losend wirkte W a s s e r auf das rnit Aether erschopfte Pulver; es ist also in den Knollen kein Gummi oder Schleim vorhanden , sondern nur Harz. Ammo n i a k hingegen nahm ungefahr 1 Procent auf, indem es tief dun- kelbraun von dem schwarzen Pulver ablief. Der grosste Theil desselben lost sich, doch nur langsam, bei tagelangem Erwarmen mit Aetzlauga zu einer braunen Fliissigkeit , aus wclcher durch Saure Flocken vom Aussehen des Eisenoxyd- hydrates gefallt werden, die sich bei 70° in der Fiiissigkeit zusammenballen. Wird dieses vermieden und werden die Flocken ausgewaschen, so erhalt man cin bei looo nicht zueammen- backendes fast schwarzes Pulver.

*) J o h n s t o n hat namlich ganz einfach ,,Labdanum of commerce" untersucht: Phil. Transact. 1840, 344. Es miisate ein merkwiirdigcr Zu- fall gewesen sein, wenn ihm echtes Ladanum in die H k d e gefdlen wire; daseelbe war wohl EU allen Zeiten eine Seltenheit.

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Von 0,2038 g. desselben bringe ich in Abzug 0,0046 ,, welche als braunliche Asche zuriickblieben, so

dase 0,1992 zur Elementaranalyse gelangten und ergaben 0,5295 Kohlensaure = 0,1444 Kohlenstoff, 0,1248 Wasser = 0,0138 Wasserstoff,

Kohlenstoff 72,48 Wasserstoff 6,97 Sauerstoff 20,55;

woraus sich in Procenten berechnen

Zahlen, welche nur etwa andeuten, dass durch das Kochen rnit Kali keine tief gehende Veranderung eingetreten war.

Schliesslich wurde das mittelst Aethers gewonnene IIarz mit festem Kali verschmolzen, die Masse mit Wasser aufge- nommen, angesauert und die Losung rnit Aether ausgeschut- telt. Nach dem Verdunsten des dethers zeigten sich in dem sauer reagirenden Ruckstande farblose XrystaUchen nebst einer braunen schmierigen BiIasse. Die Erystalle losten sich in Wasser und Weingeist und gaben mit Bleizucker einen starken hellbraunlichen Niederschlag. Eisenchlorid farbte die Losung des ganzen durch die Aetherausschuttelung geliefer- ten Ruckstandes r o th. Vermuthlich war durch die Schmel- zung mit Kali ein chiaonartiger Korper gebildet worden.

Bus diesen Versuchen lasst sich iiber die Abstammung des Urnenharzes mit Sicherheit nichts schliessen, ale dass es nicht identisoh ist mit irgend einem jetzt gebranchlichen Harze, sei es dass jenes urspriinglich in der That ein ganz anderes Product war, sei es dass es im Laufe der Jahrhunderte we- sentliche Veranderungen erlitten. Die vorstehenden Angaben sollen dazu dienen , dasselbe fur alle Falle zu characterisiren, um vielleicht durch anderweitige Funde der Wahrheit auf die Spur zu kommen.

S t r a s s b u r g , Marz 1875. F. A. Riickiger.