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Umgangskultur im Recht Umgangskultur im Bauwesen – ein Tabu wird zum Thema FBH / SIA Herbsttagung 12.11.2008 Prof. Dr. iur. Walter Fellmann Rechtsanwalt, Professor an der Universität Luzern, Fachanwalt für Haftpflicht- und Versicherungsrecht

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Umgangskultur im Recht

Umgangskultur im Bauwesen – ein Tabu wird zum Thema

FBH / SIA Herbsttagung 12.11.2008

Prof. Dr. iur. Walter Fellmann

Rechtsanwalt, Professor an der Universität Luzern, Fachanwalt für Haftpflicht- und Versicherungsrecht

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Disposition

• Interaktionen zwischen den an einem Bau Beteiligten

• Die Rechtsregel: Art. 369 OR• Die allgemeine Maxime der „Sorgfalt“• Standardisierung von Sorgfaltspflichten• Die Entwicklung in der EU• Gesetze und Normen sind nicht genug

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Ausgangspunkt der Überlegungen

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Das Problem

• An Bauprojekten sind stets zahlreiche Personen und Unternehmen beteiligt.

• Bei allen Interaktionen kann es zwischen den Beteiligten zu Verständigungsschwierigkeiten, zu Missverständnissen und Fehlern kommen.

• Das Schweizerische Obligationenrecht regelt die Interaktionen der an einem Bau beteiligten nur hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Bestellers.

• Das Gesetz befasst sich damit nur mit einem Teil der Interaktionen zwischen dem Bauherrn und den Unternehmern.

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Die Rechtsregeln

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Die Rechtsregel: Art. 369 OR

Art. 369 OR

Die dem Besteller bei Mangelhaftigkeit des Werkes gegebenen Rechte fallen dahin, wenn er durch Weisungen, die er entgegen den ausdrücklichen Abmahnungen des Unternehmers über die Ausführungen erteilte, oder auf andere Weise die Mängel selbst verschuldet hat.

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Die Rechtsregel: Art. 369 OR

• Unternehmer, Architekten, Ingenieure und alle anderen an einem Bau Beteiligten sind verpflichtet, die Weisungen ihres Auftraggebers zu befolgen.

• Der Hinweis in Art. 369 OR auf die „Abmahnungen“ zeigt jedoch, dass das Gesetz die an einem Bau Beteiligten zu einem „denkenden Gehorsam“ verpflichtet.

• Grundsätzlich haben die an einem Bau Beteiligten also die Weisungen ihres Auftraggebers auf ihre Zweckmässigkeit hin zu überprüfen und ihn von unzweckmässigen Weisungen abzubringen.

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Die Rechtsregel: Art. 369 OR

• Die Pflicht zu „denkendem Gehorsam“ ist die allgemeine Aussage, die sich aus Art. 369 OR ableiten lässt.

• Diese Pflicht beruht auf der Vorstellung, dass der Unternehmer sachverständig und der Bauherr Laie ist.

• Zahlreiche Streitfragen ergeben sich daher, wenn der Bauherr selbst sachverständig oder sachverständig beraten (z.B. durch einen Prüfingenieur) oder vertreten ist.

• Das aber wäre ein Thema für einen andern Vortrag. Ich verweise Sie daher auf meinen Beitrag im TEC21 46/2008, S. 12 f., wo ich die wesentlichen Erkenntnisse zusammengefasst habe.

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Die allgemeine Maxime: Sorgfalt!

• Neben der speziellen Norm des Art. 369 OR im Werkvertragsrecht finden sich für die Regelung von Interaktionen im Obligationenrecht keine speziellen Vorschriften.

• Es gibt aber eine allgemeine Maxime, die auch auf Interaktionen anwendbar ist:

• Das Werkvertragsrecht (Art. 364 Abs. 1 OR) und das Auftragsrecht (Art. 398 Abs. 2 OR) verpflichten die an einem Bau Beteiligten nämlich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu „Sorgfalt“.

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Was ist Sorgfalt?

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Was ist Sorgfalt?

• Nach der traditionellen Lehre ist Sorgfalt eine schuldnerische Eigenschaft, die zum Erreichen des vom Auftraggeber gesetzten Ziels erforderlich ist.

• Sorgfalt bedeutet Genauigkeit, Gewissenhaftigkeit. Sie ist ein Kriterium menschlichen Verhaltens.

• Grundsätzlich gibt es daher keine allgemeinen, von den übrigen Vertragspflichten getrennte Sorgfaltspflichten.

• Die Verknüpfung mit einem Verhalten hat indessen dazu geführt, „sorgfältig“ für die Beurteilung eines äusseren Verhaltens zu verwenden.

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Standardisierung von Sorgfaltspflichten

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Pflicht zu Sorgfalt

• So gilt es beispielsweise als (äusserlich) sorgfältig, wenn sich der Ingenieur bei der Projektierung von Tragwerken an die Norm SN 505 260 hält.

• Die Erfordernisse, die an die Qualität von Dienstleistungen gestellt werden, dürften in Zukunft noch vermehrt zur Standardisierung von äusserem Verhalten führen, das dann den Gütesiegel sorgfältigen Verhaltens erhält.

• Interessant ist dabei, dass das äussere Verhalten nicht zwingend auf eine innere Sorgfalt, auf Gewissenhaftigkeit schliessen lässt.

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Standardisierung äusserlich sorgfältigen Verhaltens

• Bekannt ist uns die Standardisierung äusseren Verhaltens im Sinne einer Normierung seit langem aus dem Bankrecht, etwa den Standesregeln zur Sorgfaltspflicht.

• Eine prozessorientierte Sichtweise ist auch den Qualitätsmanagementsystemen eigen. Hier soll die Einhaltung einer bestimmten Abfolge von Massnahmen die Erreichung des Ziels sicherstellen.

• In einem Urteil vom 18. Februar 2007 (4A_36/2008) hatte das Bundesgericht jüngst die Organisation des Postbetriebs einer Anwaltskanzlei unter dem Blickwinkel der Frage zu beurteilen, ob den Anwalt an der versäumten Frist ein Verschulden traf.

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Dienstleistungsprodukte

• Je mehr bei der Ausführung des Auftrags das persönliche Element in den Hintergrund rückt, desto grössere Bedeutung werden standardisierte Verhaltenspflichten erhalten.

• Verhaltensregeln in der Form von Normen und Usanzen werden künftig zum Massstab, an dem die Qualität der Dienstleistung gemessen wird.

• Dienstleistungen werden nicht mehr als individuelle Dienste, sondern, wie industriell hergestellte Produkte, als standardisierte Leistungen aufgefasst.

• Das Mass der erforderlichen Sorgfalt wird damit zunehmend abstrakter und damit wohl auch strenger.

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Die Entwicklung in der Europäischen Union

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Richtlinie über Dienstleistungen

• Am 12. Dezember 2006 haben das europäische Parlament und der Rat die Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt erlassen.

• Ziel dieser Richtlinie ist es, den freien Dienstleistungsverkehr zu fördern

• Ferner sollen Vorschriften zur Gewährleistung einer hohen Qualität der Dienstleistungen geschaffen werden.

• Der Begriff der Dienstleistungen ist sehr weit gefasst.• Mit Ausnahme der Gesundheitsdienstleistungen erfasst

die Richtlinie daher auch die Dienste der freien Berufe.

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Qualitätssicherung in der EU

• Nach Art. 26 RL sollen Massnahmen ergriffen werden, um die Dienstleistungserbringer dazu anzuhalten, freiwillig die Qualität ihrer Dienstleistungen zu sichern.

• Als mögliche Massnahmen sieht die Richtlinie Folgendes vor:– die Zertifizierung der Tätigkeit der Dienstleistungserbringer oder

die Bewertung durch unabhängige oder akkreditierte Einrichtungen und

– die Erarbeitung eigener Qualitätscharten oder Beteiligung an auf der Gemeinschaftsebene erarbeiteten Qualitätscharten oder Gütesiegeln von Berufsverbänden

• Die Richtlinie setzt also (wie bei der Produktsicherheit) auf Regulierung durch Selbstregulierung.

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Qualitätssicherung in der EU

• Dies wird vermutlich wieder dadurch geschehen, dass man das äussere Verhalten des Erbringers der Dienstleistung an Standards misst.

• Diese Standards ergeben sich aus den Normen privater oder halbprivater Normungsinstitutionen, wie sie beispielsweise im Baurecht der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein darstellt.

• Wir kennen ähnliche Entwicklungen bereits im Bereich der Verkehrssicherungspflichten.

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Gesetze und Normen sind nicht genug!

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Das Zwischenergebnis

• Im Baurecht wird diese Entwicklung Inhalt und Tragweite des Begriffs der Sorgfaltspflichtverletzung verändern.

• Dass es bei der Sorgfalt an sich um eine schuldnerische Eigenschaft gehen würde, wird noch weiter in den Hintergrund gerückt.

• Die Schaffung von Verhaltensstandards durch Berufsverbände, Selbstregulierungsorganisationen etc. wird zur Begründung zahlloser allgemeiner und spezieller (äusserer) Sorgfaltspflichten führen, deren Verletzung die Schadenersatzpflicht begründet.

• Konsequenz dürfte eine weitere Verschärfung der Haftung für Dienstleistungen sowie die Tendenz sein, Dienstleistungen als konfektionierte Konsumgüter zu begreifen.

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Äussere Sorgfalt führt nicht zu Qualität

• Ich bezweifle, dass die Schaffung immer neuer Normen die Qualität von Dienstleistungen nachhaltig zu heben vermag.

• Dass es nicht möglich ist, das Leben mit Gesetzen zu erfassen, haben schon im 18. Jahrhundert die Erfahrungen mit dem „Allgemeinen Landrecht für die Preussischen Staaten“ Friedrich des Grossen gezeigt.

• Wenn es nicht gelingt, bei den am Bau Beteiligten innere Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit als Grundhaltung wach zu halten oder neu zu wecken, werden Verhaltenspflichten wenig ausrichten.

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Es braucht wieder Berufsethos!

• Nur Gewissenhaftigkeit als Grundhaltung schafft Qualität.

• Hier gibt es nichts abzuzählen, zu messen oder zu wägen. Hier helfen Qualitätskontrollen, wie wir sie aus der industriellen Massenfertigung kennen, nicht weiter.

• Was es braucht ist Berufsethos, jene innere Haltung in Bezug auf den Wert des eigenen Berufs und die Pflichten, welche der einzelne mit dessen Ausübung gegenüber anderen und der Gesellschaft übernommen hat.

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Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !