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223 Bibliotheksforum Bayern 08 (2014) Forum Bibliotheksgeschichte Abb. 1: Cover des Ausstellungskatalogs (links) Abb. 2: Auf dem Fackelzug mitge- führter Wagen mit Büchern, die auf dem Hauptmarkt in Nürnberg am 10. Mai 1933 verbrannt wurden (8-Uhr-Blatt, 11.5.1933, S. 6) „Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet …“ Vom Umgang mit verbotener und regimekonformer Literatur an den städtischen Bibliotheken Nürnbergs zwischen 1933 und 1945 Von Christine Sauer Z ur Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Hauptmarkt in Nürnberg existieren über die Presseberichte hi- naus so gut wie keine Zeitzeugenbe- richte. Der 80. Jahrestag bot Anlass, die Rolle der städtischen Bibliotheken als Zulieferer von auf dem Scheiter- haufen verbrannten Büchern sowie bei der Umsetzung der Bücherverbote und der Propagierung NS-konformer Literatur vertieft zu untersuchen. Mit einer Ausstellung, die 2013 im neu er- öffneten Ausstellungskabinett gezeigt wurde, hielt die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg Rückblick auf die eigene Geschichte in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Gleichzei- tig konnte die seit längerem unterbro- chene Reihe der Ausstellungskataloge in neuer Gestaltung wieder aufgegrif- fen werden. 1 Weil die Akten der städtischen Bib- liotheken in Nürnberg durch Kriegsein- wirkung vollständig verloren sind, muss die Bibliotheksgeschichte im „Dritten Reich“ anhand von Zeitungsartikeln, jährlichen Verwaltungsberichten und Akzessionsbüchern rekonstruiert wer- den; als historische Dokumente eben- so wichtig sind die Bücher mit den Spuren, die die Ereignisse im genannten Zeitraum hinterlassen haben. Die Geschicke der alten, 1370 erstmals bezeugten Stadtbibliothek und der im späten 19. Jahrhundert aus der Volksbildungsbewegung her- vorgegangenen Volksbücherei sind während des „Dritten Reichs“ eng miteinander verknüpft: 1921 wurde die Volksbücherei der städtischen Verwal- tung übergeben und bis 1946 von Friedrich Bock (1886-1964) geleitet, der gleichzeitig Direktor der Stadtbibliothek war. Unmittelbar nach der Machtergreifung im März 1933 sind für Nürnberg mehrere miteinander nicht abgestimmte, sich in der Ausrichtung aber deckende Aktivitäten zu fassen, die die Auslö- schung von unerwünschter Kunst und Literatur Bildungscampus Stadtbibliothek Christine Sauer (Hrsg.) » Für den deutschen – wider den undeutschen Geist « Von verbotener und regimekonformer Literatur im ‚Dritten Reich‘ zum Ziel hatten. Für eine in einem Schreiben des Deutschen Studentenbundes vom 8. April 1933 angekündigte und in zwölf Thesen am 12. Ap- ril zusammengefasste reichsweite Gesamtaktion „Wider den undeutschen Geist“ konstituierte sich ein örtlicher Aktionsausschuss, der am 8. Mai zu einer stadtweiten Büchersammlung aus öffentli- chen und privaten Bibliotheken aufforderte. 2 Höhepunkt sollte die Hinrichtung des Ungeistes am 10. Mai bilden: In einem nächtlichen Fackel- zug wurden die wie Kapitalverbrecher auf einem Wagen ausgestellten Bücher zum Hauptmarkt (damals Adolf-Hitler-Platz) geleitet und dort nach mehreren Reden und begleitet von Feuerrufen den Flammen übergeben (Abb. 2). Die gewaltige Kund- gebung, gerichtet Wider Schmutz und Schund bzw. Für den deutschen – wider den undeutschen Geist konzentrierte sich auf Literatur von Autoren und Autorinnen, die als jüdisch, bolschewistisch, FOTOS: STADTBIBLIOTHEK IM BILDUNGSCAMPUS NüRNBERG

Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet' · 2014. 8. 21. · kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe

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Page 1: Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet' · 2014. 8. 21. · kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe

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Bibliotheksforum Bayern 08 (2014)

Forum Bibliotheksgeschichte

Abb. 1: Cover des Ausstellungskatalogs (links)

Abb. 2: Auf dem Fackelzug mitge-führter Wagen mit Büchern, die auf dem Hauptmarkt in Nürnberg am 10. Mai 1933 verbrannt wurden (8-Uhr-Blatt, 11.5.1933, S. 6)

„Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet …“

Vom Umgang mit verbotener und regimekonformer Literatur an den städtischen Bibliotheken Nürnbergs

zwischen 1933 und 1945

Von Christine Sauer

Z ur Bücherverbrennung am 10. Mai

1933 auf dem Hauptmarkt in Nürnberg existieren über die Presseberichte hi-naus so gut wie keine Zeitzeugenbe-richte. Der 80. Jahrestag bot Anlass, die Rolle der städtischen Bibliotheken als Zulieferer von auf dem Scheiter-haufen verbrannten Büchern sowie bei der Umsetzung der Bücherverbote und der Propagierung NS-konformer Literatur vertieft zu untersuchen. Mit einer Ausstellung, die 2013 im neu er-öffneten Ausstellungskabinett gezeigt wurde, hielt die Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg Rückblick auf die eigene Geschichte in der Zeit zwischen 1933 und 1945. Gleichzei-tig konnte die seit längerem unterbro-chene Reihe der Ausstellungskataloge in neuer Gestaltung wieder aufgegrif-fen werden.1

Weil die Akten der städtischen Bib-liotheken in Nürnberg durch Kriegsein-wirkung vollständig verloren sind, muss die Bibliotheksgeschichte im „Dritten Reich“ anhand von Zeitungsartikeln, jährlichen Verwaltungsberichten und Akzessionsbüchern rekonstruiert wer-den; als historische Dokumente eben-so wichtig sind die Bücher mit den Spuren, die die Ereignisse im genannten Zeitraum hinterlassen haben. Die Geschicke der alten, 1370 erstmals bezeugten Stadtbibliothek und der im späten 19. Jahrhundert aus der Volksbildungsbewegung her-vorgegangenen Volksbücherei sind während des „Dritten Reichs“ eng miteinander verknüpft: 1921 wurde die Volksbücherei der städtischen Verwal-tung übergeben und bis 1946 von Friedrich Bock (1886-1964) geleitet, der gleichzeitig Direktor der Stadtbibliothek war.

Unmittelbar nach der Machtergreifung im März 1933 sind für Nürnberg mehrere miteinander nicht abgestimmte, sich in der Ausrichtung aber deckende Aktivitäten zu fassen, die die Auslö-schung von unerwünschter Kunst und Literatur

Bildungscampus

Stadtbibliothek

Christine Sauer (Hrsg.)

» Für den deutschen – wider den undeutschen Geist «Von verbotener und regimekonformer Literatur im ‚Dritten Reich‘

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Ebenso wie in vielen anderen Hochschulstädten loderten in Nürnberg am 10. Mai 1933 die Flammen eines Scheiterhaufens. Auf dem Haupt-markt verbrannten im Feuer auch Bücher, die aus der städtischen Volksbücherei entfernt worden waren. Der gegen Juden und Andersdenkende gerichtete nationalsozialistische Terrorakt markierte den Anfang einer ‚gleichgeschalteten‘ Literaturpro duktion und eines eingeschränkten Zugangs zu ‚unerwünschter‘ oder ‚schädlicher‘ Literatur. Schon seit dem 5. April 1933 wurden die städtischen Büchersammlungen in Nürnberg ‚gereinigt‘, verbotene Bücher aus den Regalen der Volks bücherei und der Amtsbibliothek entfernt beziehungsweise in der Stadtbibliothek separiert und von der Ausleihe ausgeschlossen. Gleichzeitig begann die politisch geförderte Anschaffung von regimekonformer Literatur.

Der Ausstellungskatalog beleuchtet ausgehend von Machtergreifung und Bücherverbrennung in Nürnberg erstmals ein dunkles Kapitel in der Geschichte der städtischen Büchersammlungen. In die Betrachtungen ein bezogen werden Aspekte der regimekonformen Literaturproduktion und ihrer Rezeption. Die Aufsätze bieten gebündelt Einführungen in drei Ausstellungen, die in Nürnberg aus Anlass des 80. Jahrestags der Bücher verbrennung gezeigt werden.

19,80 €ISBN 978-3-9808474-7-6

BCN Materialien – Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek 106

Martina Christmeier Dominik Radlmaier

Christine Sauer Alexander Schmidt

Hans-Christian TäubrichMelanie Wager

Der vorliegende Band vereinigt Beiträge zu drei Ausstellungen von Nürnberger Kultur-einrich tungen im Rahmen des Programms „Verpfl icht ende Vergangenheit: Bücher-verbrennung 1933“:

Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg:„Für den deutschen – wider den undeutschen Geist“. Von verbotener und regimekonformer Literatur im ‚Dritten Reich‘

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände:WortGewalt. Vom rechten Lesestoff.Bücher aus der Sammlung des Dokumentations-zentrums

Stadtarchiv Nürnberg:Marsch in die Barbarei: Der 9. März 1933 in Nürnberg

_BCN_Katalog_deutsch-Umschlag-D2.indd 1 18.04.13 12:04

zum Ziel hatten. Für eine in einem Schreiben des Deutschen Studentenbundes vom 8. April 1933 angekündigte und in zwölf Thesen am 12. Ap-ril zusammengefasste reichsweite Gesamtaktion „Wider den undeutschen Geist“ konstituierte sich ein örtlicher Aktionsausschuss, der am 8. Mai zu einer stadtweiten Büchersammlung aus öffentli-chen und privaten Bibliotheken aufforderte.2

Höhepunkt sollte die Hinrichtung des Ungeistes am 10. Mai bilden: In einem nächtlichen Fackel-zug wurden die wie Kapitalverbrecher auf einem Wagen ausgestellten Bücher zum Hauptmarkt (damals Adolf-Hitler-Platz) geleitet und dort nach mehreren Reden und begleitet von Feuerrufen den Flammen übergeben (Abb. 2). Die gewaltige Kund-gebung, gerichtet Wider Schmutz und Schund bzw. Für den deutschen – wider den undeutschen Geist konzentrierte sich auf Literatur von Autoren und Autorinnen, die als jüdisch, bolschewistisch,

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Page 2: Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet' · 2014. 8. 21. · kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe

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Bibliotheksforum Bayern 08 (2014)

Forum Bibliotheksgeschichte

pazifistisch, pornographisch, kommunistisch oder sozialistisch diffamiert wurden. In denselben Zei-tungsartikeln wurden die städtischen Bibliotheken konkret als Unterstützer der Aktion und Zulieferer von Büchern für den Scheiterhaufen genannt: Un-sere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausge-mistet und wird viel zur Bereicherung des Stapels beitragen.3

Tatsächlich waren die städtischen Bibliotheken bereits seit dem 5. April 1933 mit der Durchsicht ihrer Bestände beschäftigt. Angeordnet hatte dies der gerade erst im März 1933 an die Macht ge-kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe des von Alfred Rosenberg 1927 gegründeten „Kampfbunds für deutsche Kultur“, indem der lokale Leiter, der Schriftsteller Hans Hagemeyer (geb. 1899), eine erste Liste von Na-men unerwünschter Autoren zusammenstellte, darunter der Schriftsteller Frank Wedekind, der Antikriegsautor Erich Maria Remarque oder der Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Darüber be-richtete unter der überschrift Aus den städtischen Büchereien entfernt der Fränkische Kurier vom 5. April 1933: Der Kampfbund für deutsche Kultur, Landesleitung Nordbayern-Franken, hat eine An-zahl von Autoren zusammengestellt, deren Werke, ebenso wie die sexualwissenschaftlichen Veröf-

fentlichungen einiger Verlagsanstalten, nicht mehr verbreitet werden sollen. Die in Frage kommenden Werke … werden auf Anordnung des 1. Bürger-meisters aus sämtlichen Büchersammlungen ent-fernt.4

Hans Hagemeyer, der nicht namentlich genann-te Landesleiter des „Kampfbundes“, wurde kurz darauf auch einer der Leiter des Aktionsausschus-ses zur Vorbereitung der Bücherverbrennung. Auf diese Weise erhielt er Zugang zu den im April 1933 von dem Berliner Volksbibliothekar Wolfgang Herrmann (1904-1945) zusammengestellten so-genannten „Schwarzen Listen“ mit Autoren und Werken, die aus öffentlichen und privaten Bü-chersammlungen entfernt und an die Vertreter der studentischen Aktion für die Bücherverbrennung ausgeliefert werden sollten. Diese Listen wurden sofort an die städtischen Bibliotheken weiterge-reicht. Am 8. Mai war man dort anhand dieser Ver-zeichnisse mit der Auslese der politischen Schrif-ten beschäftigt.5

Im Verwaltungsbericht vom März 1934 konnte dann der erfolgreiche Vollzug vermeldet werden: Stadtbibliothek und Volksbücherei wurden … von

Abb. 3: Der Kunstband wurde 1933 aus der Volksbücherei ausgeschieden,

in die Bestände der Stadtbibliothek überführt und mit einem roten Kreis markiert. (Stadtbibliothek Nürnberg,

Var. 1813.8°(42))

Page 3: Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet' · 2014. 8. 21. · kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe

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Forum Bibliotheksgeschichte

jüdisch-marxistischem Schrifttum gereinigt.6 Bei der „Säuberung“ der Volksbücherei unter dem da-maligen Leiter Hans Hugelmann (1903-1984) sind die Bücher verbotener Autoren aus den Regalen entfernt worden; fast 40% des rund 40.000 Bände zählenden Gesamtbestands wurden damals als zerlesen, veraltet oder verboten unzugänglich ge-macht. Was vom Ausgeschiedenen erhaltenswert erschien, wurde – wie auch in anderen Städten – für eine spätere Wiederverwendung eingelagert oder zur Bücherverbrennung abgegeben. Letzte-res ist durch den genannten Verwaltungsbericht verbürgt: Die ausgeschiedenen Bücher kamen zur Bücherverbrennung auf den Adolf-Hitler-Platz.

Ein roter Kreis als Kennzeichen

Als nachträgliche, der Reinwaschung dienende Legende mit einem Körnchen Wahrheit ist die Aussage zu werten, es seien nur alte verdreckte Scharteken, als unhygienisch aus der Volksbüche-rei längst ausgeschieden, verbrannt worden.7 Eini-ge wenige Bände mit Romanen Franz Werfels und Werken zur expressionistischen Malerei gelangten als überführungen am 13. oktober 1933 in die Stadtbibliothek (Abb. 3). Für die Ausscheidung von unerwünschter Kunstliteratur existierte eine ei-gene „Schwarze Liste“; in Nürnberg bestand aber sicherlich auch ein Zusammenhang mit der am 9. April 1933 von Willy Liebel befohlenen „Reinigung“ der städtischen Kunstsammlungen und der Ent-fernung sogenannter „entarteter Kunst“.

Mit dem 5. April 1933 begann auch die Durch-sicht der in den Magazinen der Stadtbibliothek auf-gestellten Bestände. Wie auch in anderen wissen-schaftlichen Bibliotheken wurden die Bände jedoch nicht ausgeschieden, sondern blieben physisch in den Regalen stehen. Sie erhielten eine besondere Markierung, die die Nutzung einschränkte: Bücher mit diesem Zeichen wurden nur mit Erlaubnis des Direktors und unter Vorlage eines Nachweises für die Notwendigkeit der Einsicht im Rahmen von wis-senschaftlichen Forschungen vorgelegt.

Für die Kennzeichnung der verbotenen Bücher benutzte man in der Stadtbibliothek einen roten Farbstift, mit dem ein Kreis neben die Signatur-angaben auf Vorderspiegel und Titelblatt gesetzt wurde. Die vielen, heute noch in den Sammlungen erhaltenen Bände mit den nach 1945 nicht wieder getilgten Kreisen in Rot belegen, wie gründlich und umfassend der Bestand durchgearbeitet wurde. Einen Kringel erhielten nicht nur die 1933 aus der Volksbücherei übernommenen Kunstbände (Abb. 3); dieselbe Markierung weisen durchweg die in der einschlägigen Signaturengruppe Varia aufge-stellten Bände zur abstrakten, kubistischen oder expressionistischen Kunst sowie zu Sozialismus, Marxismus und Kommunismus oder zur Gewerk-schaftsbewegung auf. Es traf die bekannten Au-toren wie Karl Marx, Friedrich Engels, Ferdinand Lassalle oder Karl und Luise Kautsky genauso wie eher unbekannte Verfasser mit einschlägigen Titel-formulierungen (Abb. 4).

Abb. 4: Auch die von Luise Kautsky herausgegebenen Briefe der Rosa Luxemburg wurden mit einem roten Kreis für die Benut-zung gesperrt. (Stadtbibliothek Nürnberg, Var. 2634.8°)

Page 4: Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet' · 2014. 8. 21. · kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe

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Forum Bibliotheksgeschichte

Ebenso akribisch durchkämmte man die Grup-pe Philologica und sperrte Werke der Schönen Li-teratur von verfemten Schriftstellern. Nur spärlich finden sich dagegen Werke mit einem roten Kreis in den Sachgruppen Geschichte, Mathematik, Medizin, Recht oder Theologie. Anhand der für die Ausstellung gesichteten Bestandssegmente kann geschlussfolgert werden, dass die Stadtbibliothek die Vorgaben zu den verbotenen Büchern gemäß der „Schwarzen Listen“ und später der „Listen des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ ak-ribisch umsetzte – und das, obwohl Friedrich Bock nie in die NSDAP eintrat und er 1933 sogar als Marxist denunziert wurde.

Kehrseite dieser Säuberungsaktionen ist der geforderte und geförderte Ausbau der Literatur-bestände zur nationalsozialistischen Bewegung, mit der die Umwandlung gerade der populären Volksbüchereien in „Kampfbüchereien“ vervoll-ständigt werden sollte. In der Volksbücherei Nürnberg waren von Hitlers „Mein Kampf“ über 30 stets ausgeliehene Exemplare vorhanden. Darüber hinaus stellten die Bibliothekare Bücher-listen zu nationalsozialistisch besetzten Themen zusammen. So bilanzierte man bereits 1934 im Verwaltungsbericht: Die Büchereien wurden durch besonders umfangreiche Anschaffungen der nationalen und nationalsozialistischen Neu-erscheinungen im Rahmen des national aufbau-enden Schrifttums verstärkt. … Für die nationale Gesinnungsbildung der Jugend stellte die Volks-bücherei ein neues Sonderverzeichnis her.8

BildungscampusStadtbibliothek

➜Ausstellungs-kabinett

» Für den deutschen – wider den undeutschen Geist «Von verbotener und regimekonformer Literatur im ‚Dritten Reich‘

Von verbotener und regimekonformer

Literatur im ‚Dritten Reich‘

VERSCHOBENES

KRÄFTEVERHÄLTNIS

IN NÜRNBERG

In Nürnberg war das Kräfteverhältnis der beteiligten

Partner derart verschoben, dass der studentischen Aktion

das vordergründig Studentische abhandenkam. Die reichs-

weite Bezeichnung Aktion wider den undeutschen Geist

wurde größtenteils durch die propagandistisch wirksamere

Parole „Gegen Schmutz und Schund“ ersetzt. Schon diese

eigenmächtige Abwandlung bringt zum Ausdruck, was

in Nürnberg anders lief. Mit der Leitung des örtlichen

Aktionsausschusses wider den undeutschen Geist wurden

zwei hochrangige Parteifunktionäre beauftragt: Dr. Hans

Hagemeyer, Landesleiter des Kampfbundes für deutsche

Kultur (KfdK) in Nordbayern-Franken, für den literarischen

Teil und Karl Holz, seit 1932 Mitglied des Landtags,

für den propagandistischen Teil. Beide saßen auch im

Nürnberger Stadtrat.

Aufruf zur Abgabe

von Büchern im

Zuge der Vorberei-

tungen zur Bücher

verbrennung (Nürn-

berger Zeitung,

8.5.1933, S. 4)

ERSTE PHASE:

DER SCHRITT IN DIE

ÖFFENTLICHKEIT

Die Einzelstudentenschaften, so vermutlich auch die

Nürnberger, erfuhren aus dem auf den 8. April 1933

datierten Rundschreiben No 2 des Hauptamtes für Presse

und Propaganda der Deutschen Studentenschaft in Berlin

wohl erstmals von den geplanten Bücherverbrennungen.

Dieses Schreiben enthielt aber bereits Vorgaben für die

Besetzung der geplanten ‚Kampfausschüsse‘. In Nürnberg

wurden berufen: zwei Studenten, ein Professor, ein Studi-

enrat und der bereits benannte Hans Hagemeyer – nicht

(irgend-)ein KfdK-Mitglied wie gefordert. Veröffentlichun-

gen von Artikeln und Aufsätzen, der zwölf Thesen via

Plakatanschlag sowie Vorträge und Rundfunksendungen

waren Inhalt der ersten Phase, die sich über den gesamten

Zeitraum erstreckte.

Bekanntmachung

zum Ablauf der

Bücherverbrennung

und Beispiele für

Bücher, die im

Scheiter haufen

verbrannt werden

sollen (8-Uhr-Blatt,

8.5.1933, S. 6)

„AUS DEN STÄDTISCHEN

BÜCHEREIEN ENTFERNT“

Am 5. April 1933 befahl Oberbürgermeister Willy Liebel

die ‚Entfernung‘ ausgewählter Bücher aus den städtischen

Büchersammlungen. Nur knapp vier Wochen nach der

lokalen Machtergreifung wollte er damit seine zielstrebige

Umsetzung nationalsozialistischer Ziele beweisen. Der

‚Säuberung’ lag zunächst eine Liste von Autoren zugrunde,

die die Ortsgruppe des Kampfbundes für deutsche Kultur

unter der Leitung Hans Hagemeyers zusammengestellt

hatte. Seit Anfang Mai 1933 benutzten die Bibliothekare

die von ihrem Kollegen Wolfgang Herrmann (1904-1945)

in Berlin angefertigten Schwarzen Listen, die auch den

Organisatoren der Aktion wider den undeutschen Geist

vorlagen. Danach waren die erstmals 1936 von der Reichs-

schrifttumskammer promulgierten Listen des schädlichen

und unerwünschten Schrifttums verpfl ichtend.

Notiz über die ‚Reinigung‘

der städtischen Bücher-

sammlungen (Fränkischer

Kurier, 5.4.1933, S. 9)

„Die Verbrennungs-

kommission“ am

10. Mai 1933 bei der

Bücherverbrennung

in Nürnberg. (8-Uhr-

Blatt, 11.5.1933, S. 6)

Eine der wenigen

Aufnahmen von der Bücher-

verbrennung in Nürnberg

(Nürnberger Zeitung,

11.5.1933, S. 6)

Bücher in der Stadt-bibliothek Nürnberg, die nach 1933 verboten und mit dem roten Kreis markiert wurden

ZWEITE PHASE:

DIE SAMMELAKTION

Parallel zu dieser ersten Phase sollte ab dem 26. April

eine reichsweite Sammelaktion starten – eine umfassende

Aufstellung der auszusortierenden Literatur lag jedoch

noch nicht vor. Mit dem Rundschreiben No 3 vom 27. April

gelangte die erste Schwarze Liste an die Einzelstudenten-

schaften. Das eigentliche Ziel der Sammelaktionen waren

– anders als bei einer studentischen Initiative zu vermuten –

nicht die Universitätsbibliotheken, sondern private

Leihbüchereien und Buchhandlungen. Stadtbibliothek

und Volksbücherei wurden nicht von den Studenten

‚gereinigt‘, stellten den Studenten aber Bücher zur

Verfügung. Im Rundschreiben No 4

vom 9. Mai an die Einzelstudenten-

schaften wurden „als Grundlage

für die symbolische Handlung im

Verbrennungsakt“ die neun ‚Feuer-

sprüche’ übermittelt.

Propagandafoto zur

Aktion wider den

undeutschen Geist:

Zwei Studenten

sichten Bücher und

Archivmaterial aus

dem geplünderten

Institut für Sexual-

forschung von

Magnus Hirschfeld

(8-Uhr-Blatt,

9.5.1933, S. 2)

Die neun Feuersprüche

(Fränkischer Kurier,

12.5.1933, S. 5)

Das Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen

Studentenschaft (DSt) steuerte von Berlin aus eine

vierwöchige Vorbereitungskampagne mit dem Titel

Aktion wider den undeutschen Geist. Deren Ziel war die

Ausmerzung von als ‚undeutsch‘ defi nierten jüdischen,

marxistischen, sozialistischen oder pazifi stischen Schriften.

Diese Aktion startete am 13. April mit einem reichsweiten

Plakataushang und erreichte mit den studentischen

Bücherverbrennungen an 30 Hochschulorten in der

Zeit vom 8. Mai bis zum 23. Juni 1933 – an 19 davon

gleichzeitig am 10. Mai 1933 –

ihren Höhepunkt. Die Deutsche

Studentenschaft war Initiator und

Organisator, nicht aber alleiniger

Träger der Aktion; breite

Unterstützung erfuhr sie durch

öffentliche Verwaltungen sowie

NS-Organisationen.

„Ein Wagen mit zum

Flammentod verdammten

Schriften“ am 10. Mai

1933 (8-Uhr-Blatt,

11.5.1933, S. 6)

DIE BÜCHERVERBRENNUNG:

HÖHEPUNKT EINER

REICHSWEITEN INITIATIVE

DER DEUTSCHEN

STUDENTENSCHAFT

Am Tag des Ereignisses erfolgte ein letzter Aufruf in

der Presse. Gemeinsam mit 18 weiteren Hochschulstädten

lief Phase drei, der eigentliche Verbrennungsakt,

als Höhepunkt der Aktion wider den undeutschen Geist,

in Nürnberg ganz nach Plan am 10. Mai 1933 ab. „Die

am Propagandamarsch teilnehmenden Verbände […]

marschierten […] durch die von dichten Menschenmauern

umsäumten Hauptstraßen Wöhrds, durch die Sulzbacher

Straße, am Maxtorgraben entlang, über den Egidienberg

durch die Theresienstraße zum Adolf-Hitler-Platz [Haupt-

markt], wo bereits eine unübersehbare Menschenmenge

wartete. […] Als der lange Zug auf dem weiten Platz

angelangt war, fl ammte der mächtige Berg von Zeit schrif-

ten und Büchern auf.“

Hier wird über die

Bücherverbrennung

als „Abendkund-

gebung“ mit einer

Aufnahme berichtet

(Nürnberger Zeitung,

11.5.1933, S. 6)

Als „mächtige Kund-

gebung“ erfährt die

Bücherverbrennung

in diesem Artikel

eine fotografi sche

Dokumentation in

mehreren Abbildun-

gen (8-Uhr-Blatt,

11.5.1933, S. 4)

DRITTE PHASE:

DIE BÜCHERVERBRENNUNG

DIE REDNER AUF DEM

ADOLF-HITLER-PLATZ

In Nürnberg eröffnete Hagemeyer „den Reigen einiger

kurzer Ansprachen“. Erst an dritter Stelle, nach dem

Vertreter der Nationalsozialistischen Betriebszellen-

organisation (NSBO), Friedrich Gebert, sprach Hans

Adolf Wirsing als studentischer Vertreter und übergab

„die Werke eines Karl Marx und seiner Anhänger dem

Scheiter haufen“. Der Führer der Hitlerjugend (HJ), Rudolf

Gugel, warf „die Schriften eines Löwenstein und Remarque“

ins Feuer, „der die Jugend seelisch vergiften wolle“.

Aktionsausschussmitglied Karl Holz beschloss den Redenteil

mit den Worten: „Nie wäre das

deutsche Volk so tief gesunken,

wenn nicht jüdischer Geist auf dem

Wege über das Buch und das

Schrifttum den deutschen Geist

hätte zersetzen können.“

1 Dr. Hans Hagemeyer, Leiter des Aktionsausschusses für den literarischen

Teil und Hauptredner bei der Bücherverbrennung (Fränkische Tageszeitung,

3.8.1933, S. 3) 2 Rudolf Gugel, HJ-Führer und vorletzter Redner am Scheiter-

haufen (8-Uhr-Blatt, 11.5.1933, S. 4) 3 Karl Holz, Leiter des Aktionsaus-

schusses für den propagandistischen Teil, letzter und lokal prominentester

Redner in Nürnberg (Stadtarchiv Nürnberg C 21/VII Nr. 187)

1

2

3

VERSCHOBENES VERSCHOBENES

KRÄFTEVERHÄLTNIS

ERSTE PHASE: ERSTE PHASE:

DER SCHRITT IN DIE

ÖFFENTLICHKEIT DIE BÜCHERVERBRENNUNG:

» Für den deutschen – wider

den undeutschen Geist «

_STB_Wand_deutsch-e16.indd 1 18.04.14 15:38

Um 1936 existierten separate Bücherlisten zu Nationalsozialismus, Grenz- und Auslands-deutschtum, Rassen- mit Vererbungslehre oder über Unsere Wehrmacht. Weitere Verzeichnisse sollten folgen. Seit 1938 verlegte sich Hans Hu-gelmann offensichtlich bewusst auf die Pflege der Fachbuchsammlung, die von jeher im Vergleich zur Schönen Literatur niedrigere Nutzungszahlen aufwies und die nicht im Zentrum nationalsozialis-tischer Propaganda stand.

Bibliotheken als „Kampfbüchereien“

Auch für die wissenschaftliche Stadtbibliothek ist der Versuch belegt, sie den Interessen des Re-gimes dienstbar zu machen. So heißt es 1934 im Verwaltungsbericht: Die Stadtbibliothek schuf als Gegenstück zu ihrem Weltkriegskatalog ein wissenschaftlich systematisches Sonderverzeich-nis über den Nationalsozialismus und verwandte vorbereitende Bewegungen.9 1938 ist dieses Ver-zeichnis neu gestaltet worden.10 Als Ergänzung zur 1915 angelegten Weltkriegssammlung wurden die von der Stadtbibliothek Nürnberg angeschaff-ten Werke über den Ersten Weltkrieg seit 1928 in einem eigenen Bandkatalog systematisch er-schlossen. Dieses Verzeichnis diente nun als Vor-bild für eine Dokumentation der von der Stadtbi-bliothek gesammelten NS-Literatur. Im Gegensatz

DiE AUtoriNDr. Christine Sauer ist Leiterin der Histo-risch-Wissenschaft-lichen Stadtbiblio-thek, einer Abteilung der Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg.

Stellwand mit Hintergrundin-

formationen zur Bücherverbrennung in Nürnberg, gezeigt

in der Ausstellung der Stadtbibliothek

im Bildungscam-pus Nürnberg 2013

(www.weinberg-brothers.de)

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Page 5: Unsere Stadtbibliothek hat schon gründlich ausgemistet' · 2014. 8. 21. · kommene, nationalsozialistische Bürgermeister Willy Liebel (1897-1945). Das Rüstzeug lieferte die ortsgruppe

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Bibliotheksforum Bayern 08 (2014)

Forum Bibliotheksgeschichte

BildungscampusStadtbibliothek

➜Ausstellungs-kabinett

» Für den deutschen – wider den undeutschen Geist «Von verbotener und regimekonformer Literatur im ‚Dritten Reich‘

Von verbotener und regimekonformer

Literatur im ‚Dritten Reich‘

VERSCHOBENES

KRÄFTEVERHÄLTNIS

IN NÜRNBERG

In Nürnberg war das Kräfteverhältnis der beteiligten

Partner derart verschoben, dass der studentischen Aktion

das vordergründig Studentische abhandenkam. Die reichs-

weite Bezeichnung Aktion wider den undeutschen Geist

wurde größtenteils durch die propagandistisch wirksamere

Parole „Gegen Schmutz und Schund“ ersetzt. Schon diese

eigenmächtige Abwandlung bringt zum Ausdruck, was

in Nürnberg anders lief. Mit der Leitung des örtlichen

Aktionsausschusses wider den undeutschen Geist wurden

zwei hochrangige Parteifunktionäre beauftragt: Dr. Hans

Hagemeyer, Landesleiter des Kampfbundes für deutsche

Kultur (KfdK) in Nordbayern-Franken, für den literarischen

Teil und Karl Holz, seit 1932 Mitglied des Landtags,

für den propagandistischen Teil. Beide saßen auch im

Nürnberger Stadtrat.

Aufruf zur Abgabe

von Büchern im

Zuge der Vorberei-

tungen zur Bücher

verbrennung (Nürn-

berger Zeitung,

8.5.1933, S. 4)

ERSTE PHASE:

DER SCHRITT IN DIE

ÖFFENTLICHKEIT

Die Einzelstudentenschaften, so vermutlich auch die

Nürnberger, erfuhren aus dem auf den 8. April 1933

datierten Rundschreiben No 2 des Hauptamtes für Presse

und Propaganda der Deutschen Studentenschaft in Berlin

wohl erstmals von den geplanten Bücherverbrennungen.

Dieses Schreiben enthielt aber bereits Vorgaben für die

Besetzung der geplanten ‚Kampfausschüsse‘. In Nürnberg

wurden berufen: zwei Studenten, ein Professor, ein Studi-

enrat und der bereits benannte Hans Hagemeyer – nicht

(irgend-)ein KfdK-Mitglied wie gefordert. Veröffentlichun-

gen von Artikeln und Aufsätzen, der zwölf Thesen via

Plakatanschlag sowie Vorträge und Rundfunksendungen

waren Inhalt der ersten Phase, die sich über den gesamten

Zeitraum erstreckte.

Bekanntmachung

zum Ablauf der

Bücherverbrennung

und Beispiele für

Bücher, die im

Scheiter haufen

verbrannt werden

sollen (8-Uhr-Blatt,

8.5.1933, S. 6)

„AUS DEN STÄDTISCHEN

BÜCHEREIEN ENTFERNT“

Am 5. April 1933 befahl Oberbürgermeister Willy Liebel

die ‚Entfernung‘ ausgewählter Bücher aus den städtischen

Büchersammlungen. Nur knapp vier Wochen nach der

lokalen Machtergreifung wollte er damit seine zielstrebige

Umsetzung nationalsozialistischer Ziele beweisen. Der

‚Säuberung’ lag zunächst eine Liste von Autoren zugrunde,

die die Ortsgruppe des Kampfbundes für deutsche Kultur

unter der Leitung Hans Hagemeyers zusammengestellt

hatte. Seit Anfang Mai 1933 benutzten die Bibliothekare

die von ihrem Kollegen Wolfgang Herrmann (1904-1945)

in Berlin angefertigten Schwarzen Listen, die auch den

Organisatoren der Aktion wider den undeutschen Geist

vorlagen. Danach waren die erstmals 1936 von der Reichs-

schrifttumskammer promulgierten Listen des schädlichen

und unerwünschten Schrifttums verpfl ichtend.

Notiz über die ‚Reinigung‘

der städtischen Bücher-

sammlungen (Fränkischer

Kurier, 5.4.1933, S. 9)

„Die Verbrennungs-

kommission“ am

10. Mai 1933 bei der

Bücherverbrennung

in Nürnberg. (8-Uhr-

Blatt, 11.5.1933, S. 6)

Eine der wenigen

Aufnahmen von der Bücher-

verbrennung in Nürnberg

(Nürnberger Zeitung,

11.5.1933, S. 6)

Bücher in der Stadt-bibliothek Nürnberg, die nach 1933 verboten und mit dem roten Kreis markiert wurden

ZWEITE PHASE:

DIE SAMMELAKTION

Parallel zu dieser ersten Phase sollte ab dem 26. April

eine reichsweite Sammelaktion starten – eine umfassende

Aufstellung der auszusortierenden Literatur lag jedoch

noch nicht vor. Mit dem Rundschreiben No 3 vom 27. April

gelangte die erste Schwarze Liste an die Einzelstudenten-

schaften. Das eigentliche Ziel der Sammelaktionen waren

– anders als bei einer studentischen Initiative zu vermuten –

nicht die Universitätsbibliotheken, sondern private

Leihbüchereien und Buchhandlungen. Stadtbibliothek

und Volksbücherei wurden nicht von den Studenten

‚gereinigt‘, stellten den Studenten aber Bücher zur

Verfügung. Im Rundschreiben No 4

vom 9. Mai an die Einzelstudenten-

schaften wurden „als Grundlage

für die symbolische Handlung im

Verbrennungsakt“ die neun ‚Feuer-

sprüche’ übermittelt.

Propagandafoto zur

Aktion wider den

undeutschen Geist:

Zwei Studenten

sichten Bücher und

Archivmaterial aus

dem geplünderten

Institut für Sexual-

forschung von

Magnus Hirschfeld

(8-Uhr-Blatt,

9.5.1933, S. 2)

Die neun Feuersprüche

(Fränkischer Kurier,

12.5.1933, S. 5)

Das Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen

Studentenschaft (DSt) steuerte von Berlin aus eine

vierwöchige Vorbereitungskampagne mit dem Titel

Aktion wider den undeutschen Geist. Deren Ziel war die

Ausmerzung von als ‚undeutsch‘ defi nierten jüdischen,

marxistischen, sozialistischen oder pazifi stischen Schriften.

Diese Aktion startete am 13. April mit einem reichsweiten

Plakataushang und erreichte mit den studentischen

Bücherverbrennungen an 30 Hochschulorten in der

Zeit vom 8. Mai bis zum 23. Juni 1933 – an 19 davon

gleichzeitig am 10. Mai 1933 –

ihren Höhepunkt. Die Deutsche

Studentenschaft war Initiator und

Organisator, nicht aber alleiniger

Träger der Aktion; breite

Unterstützung erfuhr sie durch

öffentliche Verwaltungen sowie

NS-Organisationen.

„Ein Wagen mit zum

Flammentod verdammten

Schriften“ am 10. Mai

1933 (8-Uhr-Blatt,

11.5.1933, S. 6)

DIE BÜCHERVERBRENNUNG:

HÖHEPUNKT EINER

REICHSWEITEN INITIATIVE

DER DEUTSCHEN

STUDENTENSCHAFT

Am Tag des Ereignisses erfolgte ein letzter Aufruf in

der Presse. Gemeinsam mit 18 weiteren Hochschulstädten

lief Phase drei, der eigentliche Verbrennungsakt,

als Höhepunkt der Aktion wider den undeutschen Geist,

in Nürnberg ganz nach Plan am 10. Mai 1933 ab. „Die

am Propagandamarsch teilnehmenden Verbände […]

marschierten […] durch die von dichten Menschenmauern

umsäumten Hauptstraßen Wöhrds, durch die Sulzbacher

Straße, am Maxtorgraben entlang, über den Egidienberg

durch die Theresienstraße zum Adolf-Hitler-Platz [Haupt-

markt], wo bereits eine unübersehbare Menschenmenge

wartete. […] Als der lange Zug auf dem weiten Platz

angelangt war, fl ammte der mächtige Berg von Zeit schrif-

ten und Büchern auf.“

Hier wird über die

Bücherverbrennung

als „Abendkund-

gebung“ mit einer

Aufnahme berichtet

(Nürnberger Zeitung,

11.5.1933, S. 6)

Als „mächtige Kund-

gebung“ erfährt die

Bücherverbrennung

in diesem Artikel

eine fotografi sche

Dokumentation in

mehreren Abbildun-

gen (8-Uhr-Blatt,

11.5.1933, S. 4)

DRITTE PHASE:

DIE BÜCHERVERBRENNUNG

DIE REDNER AUF DEM

ADOLF-HITLER-PLATZ

In Nürnberg eröffnete Hagemeyer „den Reigen einiger

kurzer Ansprachen“. Erst an dritter Stelle, nach dem

Vertreter der Nationalsozialistischen Betriebszellen-

organisation (NSBO), Friedrich Gebert, sprach Hans

Adolf Wirsing als studentischer Vertreter und übergab

„die Werke eines Karl Marx und seiner Anhänger dem

Scheiter haufen“. Der Führer der Hitlerjugend (HJ), Rudolf

Gugel, warf „die Schriften eines Löwenstein und Remarque“

ins Feuer, „der die Jugend seelisch vergiften wolle“.

Aktionsausschussmitglied Karl Holz beschloss den Redenteil

mit den Worten: „Nie wäre das

deutsche Volk so tief gesunken,

wenn nicht jüdischer Geist auf dem

Wege über das Buch und das

Schrifttum den deutschen Geist

hätte zersetzen können.“

1 Dr. Hans Hagemeyer, Leiter des Aktionsausschusses für den literarischen

Teil und Hauptredner bei der Bücherverbrennung (Fränkische Tageszeitung,

3.8.1933, S. 3) 2 Rudolf Gugel, HJ-Führer und vorletzter Redner am Scheiter-

haufen (8-Uhr-Blatt, 11.5.1933, S. 4) 3 Karl Holz, Leiter des Aktionsaus-

schusses für den propagandistischen Teil, letzter und lokal prominentester

Redner in Nürnberg (Stadtarchiv Nürnberg C 21/VII Nr. 187)

1

2

3

VERSCHOBENES VERSCHOBENES

KRÄFTEVERHÄLTNIS

ERSTE PHASE: ERSTE PHASE:

DER SCHRITT IN DIE

ÖFFENTLICHKEIT DIE BÜCHERVERBRENNUNG:

» Für den deutschen – wider

den undeutschen Geist «

_STB_Wand_deutsch-e16.indd 1 18.04.14 15:38

zum Katalog Erster Weltkrieg ist der Nachfolger aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs nicht erhalten geblieben.11

Den Bedürfnissen der Zeit folgend, bemühte sich Friedrich Bock darüber hinaus um die Bereit-haltung von Unterhaltungsliteratur, deren Anschaf-fung an sich nicht zu den Aufgaben einer wissen-schaftlichen Bibliothek zählt. Für über 6.000, seit etwa 1940 mit dem Herkunftsvermerk NSDAP Bücherspende eingearbeitete Geschenke nutz-te er wohl seine Tätigkeit als Gutachter der aus der Bevölkerung für die Wehrmachtsbüchereien überlassenen Spenden: Von den über 43 Millionen Buchgeschenken, zu denen Alfred Rosenberg 1939 aufgerufen hatte, ging nur knapp die Hälfte an die Front; an dem als ungeeignet ausgeschie-denen Rest durfte sich die Stadtbibliothek offen-sichtlich bedienen. ob dabei auch extensiv Raub-gut übernommen wurde, muss an anderer Stelle untersucht werden.

rolle der Bibliothekare

In Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitage, zähl-te die „Säuberung“ von Bibliotheken und Museen zu den ersten Amtshandlungen des nationalsozi-alistischen Bürgermeisters Willy Liebel. Für die in einem solchen Umfeld tätigen Bibliothekare waren die Mitarbeit oder die Suche nach Nischen, die z. B. in der Pflege einer Fachbuchsammlung ge-funden werden konnten, zwei Möglichkeiten, um beruflich weiter wirken zu können.

FUSSNotEN1 Zum Folgenden mit allen Belegen s. christine Sauer (Hrsg.): „Für den

deutschen – wider den undeutschen Geist“. Von verbotener und

regimekonformer Literatur im ‚Dritten Rreich‘. Eine Dokumentation von

Veranstaltungen zum 80. Jahrestag der Bücherverbrennung in Nürnberg

(BcN-Materialien – Ausstellungskatalog der Stadtbibliothek 106), Nürn-

berg 2013.

2 Melanie Wager: „Heute Abend lodern die Flammen auf dem Adolf-Hitler-

Platz!“. Zur nationalsozialistischen Bücherverbrennung in Nürnberg, in:

Sauer (wie Anm. 1), S. 16-37.

3 8-Uhr-Blatt, 8.5.1933, S. 6 und 11.5.1933, S. 4; Nürnberger Zeitung,

11.5.1933, S. 6.

4 Fränkischer Kurier, 5.4.1933, S. 9.

5 8-Uhr-Blatt, 8.5.1933, S. 6.

6 Bericht über die Arbeit der Stadtverwaltung Nürnberg … März 1933-März

1934, Nürnberg 1934, S. 68.

7 Gustav Wieszner: Friedrich Bock, in: Norica. Beiträge zur Nürnberger

Geschichte. Bibliotheksdirektor a. D. Dr. Friedrich Bock zu seinem 75.

Geburtstag die Stadt Nürnberg (Veröffentlichungen der Stadtbibliothek

Nürnberg 4), Nürnberg 1961, S. 7-8.

8 Bericht (wie Anm. 6), S. 69.

9 Bericht (wie Anm. 6), S. 69.

10 Rechenschaftsbericht der Stadt der Reichsparteitage Nürnberg 1937/38,

Nürnberg 1938, XII, S. 21f.

11 christine Sauer: Die verlorene Weltkriegssammlung der Stadtbibliothek

Nürnberg, in: Kriegssammlungen 1914-1918, hrsg. von Julia Freifrau

Hiller von Gaertringen (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie,

Sonderbände 114), Frankfurt am Main 2014, S. 335-348.

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