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SCHWERPUNKT Compliance jurist unternehmens Magazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen Ausgabe 04/2019 Juli/August www.unternehmensjurist.net Vertriebskennzeichen 23401 Preis: 15,-- Euro Bei Kooperationen mit Start-ups treffen Old und New Economy aufeinander. Für den Erfolg werden Kreativität, Offenheit und passgenaue Vertragsgestaltungen von Syndizi gefordert. INNOVATIONEN ERMÖGLICHEN

unternehmensjurist · über eine breite Palette an Instrumenten für die Zusammen-arbeit mit Start-ups, um verschiedene strategische Ziele über die gesamte Wertschöpfungskette bis

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SCHWERPUNKT

Compliance

juristunternehmensMagazin für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rechtsabteilungen

Ausgabe 04/2019 Juli/August www.unternehmensjurist.net Vertriebskennzeichen 23401 Preis: 15,-- Euro

Bei Kooperationen mit Start-ups treffen Old und New Economy aufeinander. Für den Erfolg werden Kreativität, Offenheit und passgenaue Vertragsgestaltungen

von Syndizi gefordert.

INNOVATIONEN ERMÖGLICHEN

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INHALT unternehmensjurist

4 Ausgabe 4/2019

EDITORIAL 03

KURZ & KNAPP 06

NEUE STUDIE 26Ein hochaktuelles Thema für Unternehmen sind derzeit M&A-Transaktionen. Die Studie „Global Post Merger Integra-tion und Carve-outs“ befasst sich mit Herausforderungen und Erfolgsfaktoren für gelungene Übernahmen.

DIGITALISIERUNG IN 30 DER RECHTSABTEILUNGDie Bayer AG ist ein Big Player im Bereich Pharma und Agro-chemie. Dr. Gabriel Harnier leitet die Rechtsabteilung und erklärt im Interview, wie die Bayer-Unternehmensjuristen mit aktuellen Herausforderungen umgehen.

DURCHSUCHUNGEN 36Es kann jedes Unternehmen treffen: Unangekündigte Durchsuchungen bedeuten eine Stresssituation für Geschäftsführung, Rechts-abteilung und die betroffenen Mitarbeiter. Lesen Sie, wie man sich gut vorbereitet – und die Ruhe bewahrt.

STRATEGIE & MANAGEMENT

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TITELTHEMA

KOOPERATIONEN 12 MIT START-UPSIn vielen Branchen wollen Unternehmen mithilfe junger Hightech-Gründer Innovatio-nen beschleunigen. Syndizi sind gefordert: Sie müssen Prozesse und Vertragsmodelle an die neuen Chancen und Risiken anpassen.

12

SCHWERPUNKT COMPLIANCE

COMPLIANCE UND AGB 42Gerichte prüfen immer mehr Vertragsklauseln nach strengem AGB-Recht. Grund genug für Unternehmen, bei Compliance-Maßnahmen auch ihre Ver-träge zu überprüfen.

INTERVIEW 46Dr. Christoph Klahold, Leiter Recht und Compliance bei der Munich Re, erklärt im Interview, was er vom Gesetzgeber für die Neuregelung des Unter-nehmensstrafrechts erwartet.

LEGAL TECHNOLOGY 50Mit welchen technischen Hilfs-mitteln können Unternehmen compliant sein und wie sorgen sie effizient für die interne Vermittlung von Regeln?

41

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unternehmensjurist INHALT

Ausgabe 4/2019 5

WEITERBILDUNG 68Arbeitnehmer müssen neue Kenntnisse erwerben, um mit den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt Schritt zu halten. Weiterbildungen sind daher so wichtig wie nie zuvor. Doch juristisch gibt es einige Fallstricke zu beachten.

JOB & KARRIERE

67

TRENDS & THEMEN

EU-DIGITALSTEUER 54Wie soll mehr Steuergerech-tigkeit im Digitalzeitalter aus-sehen? Die G-20-Länder wol-len eine globale Mindeststeuer für Unternehmen einführen und staatliche Besteuerungsrechte umverteilen. Die Wirtschaft will vor allem bald Klarheit.

MARKENRECHTS - 58 MODERNISIERUNGSGESETZDie Reform des Markenrechts hat neue Markenformen und mehr Schutz für den Marken-inhaber gebracht. Experten erläutern Möglichkeiten und Grenzen der neuen Vor-schriften.

HAFTUNG 62 BEI CYBERATTACKENAngriffe aus dem Netz neh-men zu – firmenübergreifende Lieferketten erschweren die Suche nach Verantwortlichen für Schäden. Um Risiken zu reduzieren, müssen Unterneh-men die gesamte Lieferkette in den Blick nehmen.

53DIRUJ-FACHBEIRAT 78

M&A SUMMIT 80

CORPORATE SUMMIT 82

GENERAL COUNSEL 83 ROUNDTABLE

ECLA-JAHRESKONFERENZ 84

PERSONENREGISTER 86

IMPRESSUM 86

NETZWERK

77

FRAUEN UND FÜHRUNG 72Nur wenige Rechtsabteilungen in Deutschland werden von Frauen geleitet. Unternehmens-juristinnen berichten, wie sie es in leitende Positionen geschafft haben.

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TITELTHEMA unternehmensjurist

KOOPERATIONEN MIT START-UPS

CORPORATES PUNKTEN MIT WEITBLICK

12 Ausgabe 4/2019

Die disruptive Dynamik vieler Branchen führt dazu, dass immer mehr Unternehmen mithilfe junger Hightech-Gründer Innovationen beschleunigen wollen. Syndizi sind mit viel Kreativität gefordert, Vertragsmodelle und Prozesse so zu verändern, dass sie den Keim des Erfolgs von Start-ups nicht ersticken.

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unternehmensjurist TITELTHEMA

Ausgabe 4/2019 13

Ω Ob Automobilkonzern oder Zulieferer, ob Chemiehersteller, Energieversorger, Onlinehändler oder Versicherungskonzern: Alle suchen Zugang zu Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz, Internet der Dinge, Blockchain, Big Data oder 3D-Druck. Laut Bundesverband Deutsche Start-ups haben sich Partnerschaften zwischen DAX-Unternehmen und Start-ups in den letzten fünf Jahren verfünffacht. Anders als Finanzin-vestoren, die bei einer Beteiligung auf den maximalen Return on Invest (RoI) abzielen, bieten etablierte Konzerne und Fa-milienunternehmen den Start-ups nicht nur Kapital, sondern auch Branchen-Know-how und Marktzugang. Im Gegenzug helfen die Start-ups den sogenannten Corporates, das eigene Geschäftsmodell zu wandeln und neue zu erschließen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten für die Zusammenarbeit, angefangen bei einzelnen Entwicklungsprojekten über Cor-porate Venture Capital-(VC)-Gesellschaften bis zur direkten Beteiligung oder Akquisition (siehe Beitrag „Die Facetten der Zusammenarbeit sind vielfältig“ ab Seite 22). Für viele Unternehmen ist es sinnvoll, einen möglichst breiten Instru-mentenkasten anzubieten, um verschiedene Entwicklungs-szenarien abzudecken. „So lässt sich eine Start-up-Beteiligung unkomplizierter in eine strategische Beteiligung überfüh-ren, wenn wir die Zusammenarbeit mit den Gründern zum Vorteil aller intensivieren wollen“, erklärt Dr. Bernd-Michael Zinow, General Counsel der EnBW. Zu den Werkzeugen des Karlsruher Energiekonzerns gehört die Corporate Venture Capital-Gesellschaft EnBW New Ventures GmbH mit einem Investitionsvolumen von 100 Millionen Euro, um breit ge-streut am Erfolg vielversprechender Neugründungen in den Bereichen Energie, Digitalisierung und Infrastruktur Anteil zu haben. Weitere Instrumente sind direkte Beteiligungen sowie die projektbezogene Zusammenarbeit in Inkubatoren und Acceleratoren, um erst einmal zu testen, ob die Partner zusammenpassen.

STRUKTURIERTE PROZESSE SIND NÖTIG

Um Geschäftsmodelle schnell zu entwickeln und am Markt zu erproben, verläuft das Innovationsmanagement in einem strukturierten Prozess. So wurde aus der Workshop-Idee von Mitarbeitern für eine neuartige Straßenlaterne eine smarte Beleuchtung mit Ladesäule für E-Fahrzeuge, Public-WLAN, Umweltsensoren und Notruf-Funktion, welche die EnBW inzwischen unter der Marke Smight vertreibt. Der Onlinehändler Otto Group aus Hamburg verfügt ebenfalls über eine breite Palette an Instrumenten für die Zusammen-arbeit mit Start-ups, um verschiedene strategische Ziele über die gesamte Wertschöpfungskette bis zum Spätphaseninvest-ment abzudecken: Es gibt die Risikokapitalfonds eVentures und Project A Ventures mit einem Gesamtinvest von weit über 400 Millionen Euro. An letzterem sind neben der Otto Group als Ankerinvestor heute auch viele andere Unterneh-

men wie der Axel Springer Verlag und der Lebensmittelkon-zern Dr. Oetker beteiligt. Ziel ist über den Wissenstransfer hinaus, die Start-ups später gewinnbringend zu verkaufen, nachdem in einem sehr frühen Stadium investiert wird. Da-gegen verfolgt der Corporate Company Builder Otto Group Digital Solutions die Intention, Start-ups innerhalb und für die Otto Group aufzubauen, welche die Kompetenzen des Konzerns für neue Geschäftsmodelle nutzen. Diese sollen später nicht über einen Exit verkauft, sondern ihre Geschäfts-modelle sollen idealerweise in die Otto-Gruppe integriert werden. Ein Beispiel ist die Tochter Riskident, die softwa-regestützt Betrugsversuche im eCommerce aufdeckt und dabei vom tiefen und breiten Datenschutz-Know-how des Onlinehändlers profitiert. Weil die Start-ups auch bei Finanzinvestoren begehrt sind, müssen Corporates hinsichtlich des eigenen Company Buil-ders ihre Trümpfe ausspielen. Dazu tragen Syndizi wesent-lich bei, ist Martin Mildner, General Counsel der Otto Group, überzeugt: „Die unterschiedlichen Beteiligungsmodelle sind auch im Hinblick auf Anreize für die Mitarbeiter so zu struk-turieren, dass die Zusammenarbeit für sie auch ohne einen gefeierten Exit attraktiv ist. Ein solcher sogenannter unfair Advantage ist der sofortige Zugang zu Know-how, Daten und Kunden des Konzerns, den sie ohne die Verbindung zur Otto Group nicht bekommen.“ Zudem darf der Keim des Erfolgs der jungen Unternehmen nicht erstickt werden. Schließlich profitieren sie in erster Linie davon, sich auf Technik und Wachstum konzentrieren zu können und nicht durch Ver-waltungsaufwand und Hierarchien gebremst zu werden. Zugleich muss das Corporate sich aber auch Wettbewerbs-

„Die Kunst besteht darin, bei den Vertragsverhand-

lungen die rechtlich erforderlichen Inhalte fest-

zuzurren und gleichzeitig den nötigen Freiraum für

die beabsichtigten Innovationen zu lassen.“

Dr. Rainer Bertram,

General Counsel, Signal Iduna Gruppe

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TITELTHEMA unternehmensjurist

14 Ausgabe 4/2019

vorteile durch Technologie, Produkte oder Dienstleistung des Start-ups sichern. Es gilt also, einen Spagat zu bewältigen. Von Beginn an schla-gen Syndizi eine Brücke, indem sie Vertrauen und gegensei-tiges Verständnis aufbauen. „Es ist nicht ratsam, aus einer Position der Stärke zu verhandeln und Maximalpositionen rücksichtslos durchzusetzen“, sagt Dr. Jan Eckert, General Counsel beim Technologiekonzern ZF Friedrichshafen AG. „Das kann bei der späteren Zusammenarbeit teuer zu stehen kommen. Die Kooperation funktioniert nur gut, wenn alle

Beteiligten profitieren und sich im Verbund gut aufgehoben fühlen.“ Beispielsweise gilt es zunächst einmal Informations-asymmetrien abzubauen: Start-ups im Seed- und Pre-Seed-Bereich haben keine eigene Rechtsabteilung. Sie sind mit dem regulatorischen Rahmen oft wenig vertraut. Vertrauen kann nur entstehen, wenn Corporates ihnen auf Augenhö-he begegnen und Transparenz schaffen, so EnBW-Syndikus Martin Düker: „Wir haben in gut verständlichen Term-Sheets auf wenigen Seiten kurz zusammengefasst: Worauf lasst Ihr Euch ein? Warum brauchen wir besondere Investorenrechte wie Vetorechte und Exit-Regelungen, um unser Engagement abzusichern, wenn die Geschäftsidee sich weiterentwickelt? In welchem Umfang nehmen wir Einfluss? Wie weitgehend sind die Informationsrechte?“Um den Projekterfolg für das Corporate ausreichend abzu-sichern, braucht es technologisches Verständnis. Die neuen Produkte und Geschäftsmodelle sind meist wenig erprobt, der Markterfolg ist ungewiss und das Risiko eines Totalverlusts droht. Jan Eckert: „Bei einem Misserfolg darf kein Fass ohne Boden entstehen. ZF liefert Systeme für die Mobilität von Pkw, Nutzfahrzeugen und Industrietechnik, unter anderem für autonomes Fahren, so dass bei den vielen Neuentwicklungen zahlreiche Fragen zum Produkthaftungsrecht zu klären sind.“ Die besondere Herausforderung liege darin, alle wichtigen denkbaren Szenarien zu antizipieren und möglichst alle re-levanten Themen im Vertrag abzubilden.

PRAGMATISCHES AUGENMASS BEI DER DETAILTIEFE VON VERTRÄGEN

Dabei ist Pragmatismus und Mut gefragt: Welche Klausel ist zu welchem Zeitpunkt in welcher Detailtiefe nötig? Zwar kann ein Aufschieben schwieriger Fragen wie Regelungen zum Exit der Nährboden für spätere Konflikte sein. Andererseits sollte der Vertrag dem Risiko und der Höhe des Investments ange-messen sein. „Pragmatismus geht vor Perfektionismus. Oft entwickelt sich ein Start-up völlig anders als geplant und detail-lierte Vereinbarungen laufen dann komplett leer. Die Energie und Kosten dafür hätten die Beteiligten besser in den Aufbau des operativen Geschäfts gesteckt“, rät Peter Huber, Partner bei Hogan Lovells in München, der Corporates und Start-ups

WIE TRAGEN SYNDIZI ZU ERFOLGREICHEN INNOVATIONSPARTNERSCHAFTEN BEI?

Vertrauen aufbauen:

• Nicht aus einer Position der Stärke verhandeln und Maximal-

positionen rücksichtslos durchsetzen.

• Transparente Term-Sheets mit wenigen Seiten, die Gründer

verstehen.

• Schlanke Vertragssets, die sich am Entwicklungsstadium des

Start-ups orientieren.

Eng vernetzen:

• Intern, um Positionen und Ziele zu klären.

• Extern mit den Start-ups, um mit Hilfe von festen Ansprechpartnern

vertrauensvolle Kommunikationskanäle für die gegenseitigen

Anliegen zu schaffen.

• Know-how für technische Details und neue Geschäftsmodelle

aufbauen.

• Unternehmerisch denken.

Arbeitsweise verändern:

• Schneller entscheiden.

• Agile Methoden nutzen.

• Trial and Error-Mentalität erwerben und bewusst Fehlschläge in Kauf

nehmen.

„Der Syndikus muss die Verhandlungsergebnisse sorgfältig prüfen und darauf

pochen, dass der Vertrag auch die Interessen speziell seines Unternehmens

abbildet.“

– Dr. Stefan Schäfers, Syndikus, Evonik AG

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TITELTHEMA unternehmensjurist

16 Ausgabe 4/2019

bei Akquisitionen und Beteiligungen begleitet. Grundsätzlich sollte sich die Detailtiefe und der Umfang der Verträge an der Entwicklungsphase eines Start-ups orientieren. Das vermisst Andreas Unseld häufig. Er ist Partner der Beteiligungsgesell-schaft Unternehmertum Venture Capital (UVC) Partners, die eng an das Gründungszentrum der Technischen Universität München angebunden ist. „Ein schlankes Set an Verträgen wäre bei vielen Corporates eine echte Innovation“, so Unselds Erfahrung.

ERWARTUNGEN MÜSSEN GEKLÄRT WERDEN

Zu vielen Fragen haben sich laut Anwalt Peter Huber in-zwischen Marktstandards herausgebildet: „Beispielsweise bekommt der Lead-Investor einen Sitz im Beirat, um Infor-mation und Kontrolle zu gewährleisten. Mitspracherechte der Investoren lassen sich durch qualifizierte Mehrheitserforder-nisse in der Gesellschafterversammlung und Zustimmungs-vorbehalte für bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen regeln.“ Der Erfolg des Investments hängt weitgehend von den Gründern ab und so haben Corporates großes Interesse daran, dass diese an Bord bleiben. Deshalb sähen markt-übliche Klauseln ein lineares Vesting über vier Jahre vor, während dem sich die Gesellschafter Anteile erarbeiten. Ge-gegebenenfalls wird ein sogenanntes Cliff vereinbart, so dass der Start der Vesting-Periode nicht sofort nach Abschluss der Finanzierungsrunde, sondern erst später beginnt. Für den

„Vertrauen kann nur entstehen, wenn

Corporates Start-ups auf Augenhöhe

begegnen und Transparenz schaffen.“

Martin Düker,

Syndikus, EnBW AG

Fall, dass die Gründer zuvor das Unternehmen verlassen oder gegen wesentliche Vereinbarungen verstoßen, erhal-ten Corporates die Möglichkeit, deren Gesellschaftsanteile zu übernehmen. „Und bei der Haftung für Garantien hin-sichtlich ordnungsgemäßer Gründung, steuer- und sozial-versicherungsrechtlicher Risiken oder Inhaberschaft von gewerblichen Schutzrechten setzt sich durch, dass Investoren Anspruch auf eine kompensatorische Kapitalerhöhung oder Abtretung von Anteilen in Höhe etwaiger Schäden erhalten. Das entzieht den Start-ups im Regressfall nicht ohnehin knappes Kapital“, so Huber.Fallstricke lauern immer dann, wenn die Vertragspartner ihre Erwartungen nicht klären und sich zu wenig über Ziele und Risiken der Kooperation austauschen: Wer profitiert in welchen Szenarien wie stark? Wer hat wann welchen Beitrag zu leisten? Wer haftet wofür? Wie eng ist die Bindung und wie kann man sich etwa über Drag- und Tag-Along-Regelungen lösen, ohne auf die Zustimmung der übrigen Gesellschafter angewiesen zu sein? „Indem Syndizi diese Positionen sorgfältig klären und auf mögliche Interessenkonflikte hinweisen, betreiben sie ein gutes Erwartungsmanagement“, erklärt Dr. Stefan Schäfers, Syndikus bei Evonik in Essen und zuständig für die Venture-Capital-Beteiligungen des Spezialchemiekonzerns, der mit einem Investitionsvolumen von 250 Millionen Euro laut Schäfers ein führender Investor im Bereich Spezial chemie ist. Gerade bei VC-Beteiligungen ist das Interessengeflecht mit-unter komplex, insbesondere, wenn sich etwa bei Fund-of-Fonds-Lösungen mehrere Corporates an einem Wagniska-pitalfonds beteiliegen (siehe auch Beitrag „Die Facetten der Zusammenarbeit sind vielfältig“ auf Seite 22): „Es drohen nicht nur Konflikte der Gründer untereinander, sondern auch unter den Investoren, beispielsweise wenn neue Kapitalgeber

„Die unterschiedlichen Beteiligungsmodelle

sind auch im Hinblick auf Anreize für die

Mitarbeiter so zu strukturieren, dass die

Zusammenarbeit für sie auch ohne einen

gefeierten Exit attraktiv ist.

Dr. Martin Mildner,

General Counsel, Otto Group

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unternehmensjurist TITELTHEMA

Ausgabe 4/2019 17

hinzukommen und die vorhandenen aufgrund von Pay-to-Play-Regelungen Investorenrechte verlieren, sofern sie kein Kapital nachschießen“, erklärt Schäfers. Tücken könnten auch lauern, weil häufig mehrere Investoren nur durch einen An-walt vertreten werden. „Der Syndikus muss die Verhandlungs-ergebnisse sorgfältig prüfen und darauf pochen, dass der Vertrag auch die Interessen speziell seines Unternehmens abbildet.“

KONZERNE MÜSSEN SICH ANPASSEN

Im Unterschied zu reinen Finanzinvestoren kombinieren Cor-porates die Beteiligung an Start-ups häufig mit Forschungs- und Entwicklungskooperationen, Lizenz- oder Liefer- und Vertriebsverträgen. In operativer Hinsicht sind sie das Herz der Investition. Um Konflikten vorzubeugen, ist die interne Erwartungshaltung penibel zu klären. „Oft steht bei einem Entwicklungsprojekt am Start das Endprodukt noch nicht in seiner endgültigen Ausgestaltung fest, sondern ist Gegen-stand eben dieser Entwicklung, etwa wenn eine Plattform für innovative Versicherungsdienstleistungen entstehen soll. Unternehmensjuristen müssen zusammen mit den Fachbe-reichen austarieren, zu welchem Zeitpunkt welcher Erfolg erwartet wird. „Die Kunst besteht darin, bei den Vertragsver-handlungen die rechtlich erforderlichen Inhalte festzuzurren und gleichzeitig den nötigen Freiraum für die beabsichtigten Innovationen zu lassen. In denjenigen Passagen einer Auf-gaben- oder Leistungsbeschreibung, in denen keine gesetz-lichen Vorgaben beachtet werden müssen, kann man dem Umstand Rechnung tragen, dass ein Start-up-Unternehmen

„Um langfristig mit Gründern zusammenzuarbeiten, hilft ein breiter

Instrumentenkasten. So lässt sich eine Start-up-Beteiligung unkomplizierter

in eine strategische Beteiligung überführen, wenn wir die Zusammenarbeit

mit den Gründern zum Vorteil aller intensivieren wollen.“

– Dr. Bernd Zinow, General Counsel, EnBW AG

MEHR DAZU

Mit dem Erwerb von Start-ups durch klassische Großunternehmen befasst sich auch eine neue Studie aus der Studienserie CLI–Corporate

Legal Insights von BUJ und PricewaterhouseCoopers Legal („Global Post Merger Integration und Carve-outs“). S. dazu Artikel ab S. 26,

„Zur rechten Zeit auf die Erfolgsspur wechseln“.

noch nicht jeden Leistungsgegenstand genau beschreiben kann. An anderen Stellen, an denen etwa Datenschutzrecht zu beachten ist, besteht dieser Freiraum nicht“, erklärt Dr. Rainer Bertram, General Counsel der Signal Iduna Gruppe mit Sitz in Dortmund und Hamburg.Viele Konzerne haben mittlerweile verstanden, dass sie sich anpassen müssen und beispielsweise Exklusivitätsvereinba-rungen in Frühphasen nicht in das Start-up-Ökosystem pas-sen. Regelungen hinsichlich der Schutzrechte, die im Rahmen des Projekts entstehen (Foreground IP) sowie Background-Kenntnisse und Schutzrechte, die schon vor der Kooperation bestanden, orientieren sich immer häufiger am Entwicklungs-stadium junger Hightechfirmen. Bei manchen Corporates herrscht laut Andreas Unseld von UVC Partners aber immer noch die klassische Einkaufsdenke: „Sie verkennen, dass sich Gründer zunächst ein größeres Marktwachstum sichern müs-sen, um zu überleben. Die Zusammenarbeit muss ein Fordern und Fördern sein, bei dem die Pflänzchen erst gehegt werden, bevor man profitiert.“Langfristig genauso erfolgskritisch wie die Verträge ist aber der strategische Fit, also Strukturen und Unternehmenskulturen, die dazu passen, dass Konzerne durch das frische, disruptive Denken der jungen Firmen schneller und innovativer werden wollen. „Zu den größten Herausforderungen der Zusammen-arbeit mit Start-ups zählt, komplexe Konzernprozesse mit über 100 Richtlinien auf die agilen Strukturen anzupassen und vertrauensvolle Kommunikationskanäle zu schaffen“, berichtet Jan Eckert von ZF. So überlegt das Stiftungsunter-nehmen mit 150.000 Mitarbeitern, zwei unterschiedliche

Ω Fortsetzung auf Seite 20

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TITELTHEMA unternehmensjurist

18 Ausgabe 4/2019

Es gibt immer mehr Initiativen, um Old und New Economy zusammenzubringen wie Code_n mit dem New new Festival, Get Started des Digitalverbands Bitkom, die VDMA Start-up-Machine oder die Digital Hub-Initiative des Bundeswirt-schaftsministeriums. Finden Gründer inzwischen schnell den richtigen Partner?Start-ups haben immer noch Schwierigkeiten, Kooperationen anzustoßen. Oft wissen sie nicht, wo sie andocken können. Zwar weiss jeder in der Szene, wen man bei Daimler anspre-chen muss, doch das Organigramm eines Mittelständlers ist von außen oft nicht leicht zu durchschauen. Es gibt Leucht-türme, aber die spiegeln nicht die gesamte Unternehmens-landschaft wider.

Wie nden Gründer und Corporates die passende Form der Zusammenarbeit?Beide sollten sich erst einmal die Asymmetrie vergegenwär-tigen. Hier die große und starke Old Economy mit Marktzu-gang, dort das kleine und schwache Start-up mit Zukunfts-technologie. Daraus ergeben sich ganz unterschiedliche Erwartungen. Im ersten Schritt sind deshalb nicht nur die eigenen Ziele und Vorstellungen zu klären, sondern auch die des Partners. Schritt zwei ist dann, aus den zahlreichen Kooperationswerkzeugen das herauszusuchen, mit dem sich die gegenseitigen Erwartungen am besten realisieren lassen. In der Praxis sind große Unternehmen oft sehr arrogant und sagen: „Kaufen wir halt ein Start-up.“ Das wollen Gründer aber in der Regel nicht. Große Unternehmen müssen erst einmal Vertrauen schaffen.

Wie hilfreich sind externe und interne Inkubations- und Accelatorenprogramme, bei denen Corporates Anteile an Start-ups erhalten und diese einige Zeit mit Kapital, Coaching und Infrastruktur bei der Skalierung unterstützen? Diese Programme sind sehr sinnvoll, um sich erst einmal gegenseitig kennenzulernen. Schließlich sprechen beide Seiten doch sehr unterschiedliche Sprachen. Der Motorsä-genhersteller Stihl hat im Stuttgarter Accelerator Activatr mit drei Start-up-Pionieren ein System für vernetzte Geräte im

Prof. Dr. Andreas Kuckertz leitet das Fachgebiet Unternehmensgründungen und Unternehmertum (Entrepreneurship) an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Im Interview erläutert er, warum die Arbeit der Rechtsabteilung erfolgskritisch für Partnerschaften zwischen Old und New Economy ist.

Forst entwickelt, um Baumdaten sprachgestützt zu erfassen und zu digitalisieren. Bislang musste der Waldarbeiter zum Fällen die mit Farbkreuzen markierten Bäume suchen. Jetzt wird er per App direkt dorthin geführt. Die vom Autokonzern Daimler initiierte Start-up-Autobahn versammelt die besten Mobility-Start-ups der Welt, die teilweise 100 Mitarbeiter be-schäftigen und schon sehr erfolgreich am Markt sind. Mithilfe des Know-hows und Kapitals der besten Fahrzeughersteller und -zulieferer können sie weiter wachsen.

An welchen Stellen hapert es in der Praxis? Was bemängeln Start-ups?Am Beginn einer Kooperation geht es vor allem um Offenheit und Verständnis für die Belange der Gründer. Es kann nicht klappen, wenn ein Start-up die üblichen Einkaufsbedingungen für Zulieferer unterzeichnen und bei Vertragsstrafe garantie-ren soll, dass sein Produkt in fünf Jahren noch lieferbar ist. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, dass Corporates auf Augenhöhe mit den Start-ups sprechen und ihnen Freiheit außerhalb der bürokratischen Strukturen des etablierten Unternehmens lassen. Sehr hilfreich sind auch Ansprechpartner auf Manage-mentebene als Unterstützer.

Und wie können Unternehmensjuristen zum Gelingen beitragen?Sie können sehr viel beitragen und sind sogar erfolgskritisch. Wir haben in einer noch unveröffentlichten Studie untersucht, wann Start-ups zu Kooperationen mit etablierten Unterneh-men bereit sind. Gleich nach Offenheit und einem Umgang auf Augenhöhe haben Gründer die Vertragsgestaltung ge-nannt. Start-ups wünschen sich schlanke Verträge, die sie auch verstehen. Gründer haben keine Rechtsabteilung, um Klauseln zu bewerten und einzuordnen. Wer dieses Ungleichgewicht verkennt, zerstört schnell Vertrauen. An dieser Stelle sollten sich Syndizi vergegenwärtigen, dass sie nicht nur einen gu-ten Job machen, wenn sie etwaigen Schäden vorbeugen. Um strategische Ziele in der Zukunft zu erreichen, müssen sie auch Innovationen ermöglichen.

Das Interview führte Franziska Jandl.

Syndizi sollten sich als Wegbereiter für Innovationen sehen

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TITELTHEMA unternehmensjurist

20 Ausgabe 4/2019

Steuerungsmodelle einzuführen: eines für den etablierten Bereich und eines für junge Hightechfirmen, das sich an der Beteiligungsgesellschaft Zukunfts-Venture-GmbH orientiert, für die schon jetzt andere Regeln gelten. Die EnBW hat bereits einen Basic-Rules-Ansatz etabliert und beispielsweise die Compliance-Richtlinien aus zwei Leitz-Ordnern für Start-ups auf dreieinhalb Seiten eingedampft, berichtet General Counsel Bernd-Michael Zinow: „Das war ein großer Kraftakt über mehrere Runden und Monate, um die Verantwortlichen für die einzelnen Richtlinien zu überzeugen. Jeder sah zwar die grundsätzliche Notwendig-keit ein, hielt aber gerade die Regeln seines Bereichs für unverzichtbar.“Die Automobilindustrie ist ein Beispiel dafür, wie techno-logische und regulatorische Veränderungen eine disruptive Dynamik entwickeln, die aktuelle Geschäftsmodelle auslöscht und neue schafft. Das strahlt unmittelbar in die Rechtsabtei-lungen aus. Jan Eckert: „Die Juristen müssen schneller zu Entscheidungen kommen und dafür ihre Prozesse unter an-derem durch Legal-Tech-Anwendungen beschleunigen.“ Auch die Außendarstellung und Denkweise muss sich ändern, um Vertrauen zu schaffen und unkompliziert zusammenzuarbei-ten, fordert Martin Mildner von der Otto Group: „Statt alles besser zu wissen, braucht es Offenheit, um von den Start-ups zu lernen. Um anerkannt zu werden, kann sich der Unter-nehmensjurist nicht hinter Paragraphenketten verstecken, sondern er muss den Gründern aus dem Geschäftsmodell heraus die notwendigen Strukturen aufzeigen. Wie muss zum

Ω Fortsetzung von Seite 17

„Ein schlankes Set an Verträgen, die sich an der

Entwicklungsphase des Start-ups orientieren, wären

bei vielen Corporates eine echte Innovation.“

Andreas Unseld,

Partner,

Unternehmertum Venture Capital Partners (UVC Partners)

Beispiel ein Fintech aufgestellt sein, um von vornherein den Anforderungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-aufsicht (BaFin) gerecht zu werden.“ Viel mehr als früher gelte es als Syndikus, das operative Ge-schäft zu verstehen und in Geschäftsmodellen zu denken. Dabei hilft den Unternehmensjuristen, dass sie mittlerweile meist in wichtige Entscheidungsgremien eingebunden sind und damit Prozesse wie Produktentwicklung oder Invest-ments bereits in einem frühen Stadium begleiten und auch steuern können. Beispielsweise ist Martin Düker Mitglied im Investmentkomitee der EnBW New Ventures GmbH und Martin Mildner sitzt im Beirat aller Ventures-Unternehmen der Otto Group. Laut Jan Eckert tragen Syndizi dadurch aber auch mehr Ver-antwortung für den Geschäftserfolg. „Sie sind jetzt mit ihrer ganzen Kreativität gefordert, um Prozesse und Vertragsmo-delle an die neuen Chancen und Risiken anzupassen.“ Es braucht ein neues Selbstverständnis als Gestalter: „Syndizi identifizieren nicht mehr nur Risiken und bilden die strate-gischen Ziele in Verträgen ab. Indem sie rechtliche Gestal-tungsmöglichkeiten für schnellere Innovationen aufzeigen, bauen sie aktiv an der Zukunft des Unternehmens mit“, sagt Dr. Rainer Betram, General Counsel der Signal Iduna Gruppe.

Ω Fortsetzung des Titelthemas auf Seite 22

„Die Detailtiefe der Verträge muss dem

Risiko und der Höhe des Investments ange-

messen sein. Pragmatismus geht vor Perfek-

tionismus. Die Energie, Zeit und Kosten für

das Ausarbeiten und Verhandeln komplexer

Verträge sind für den Aufbau des operativen

Geschäfts des Start-ups oft besser investiert.“

Peter Huber,

Partner, Hogan Lovells

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TITELTHEMA unternehmensjurist

22 Ausgabe 4/2019

TITELTHEMA unternehmensjurist

VERSCHIEDENE MODELLE

DIE ZUSAMMENARBEIT HAT VIELFÄLTIGE FACETTEN

Die Möglichkeiten der Kooperation reichen vom Start-up-Praktikum der Konzern-High-Potentials über eigene Wagniskapitalfonds bis zur Akquisition. Welches Modell passt, hängt von den strategischen Zielen ab. Ein Überblick.

Ω Das Ziel von internen Inkubationsprogrammen oder Cor-porate Company Buildern wie der Otto Group Digital Solu-tions ist, Start-ups aufzubauen, welche die Kompetenzen des Konzerns für neue Geschäftsmodelle nutzen, um sie später in die Otto-Gruppe zu integrieren. Der Energieversorger EnBW unterstützt Gründer bei „Spark the future“ mit Formaten von 16 Monaten bis zu 16-Stunden-Hackathons, bei denen am Ende des zweiten Tages eine Idee für ein Geschäftsmodell plus Prototyp vor der Inkubations-Jury präsentiert werden. Ziel des 16-Monatsprogramms ist die Fortführung als Corporate-Start-up oder die gemeinsame Gründung, gegebenenfalls mit Anschlussfinanzierung durch die EnBW.

Externe Inkubatoren und Acceleratoren bieten die Möglich-keit zum gegenseitigen Kennenlernen in überschaubaren Projekten (siehe auch Interview auf Seite 18). Es gibt sie für Start-ups mit unterschiedlichen Reifegraden: Während sich etwa Activatr mit Themen wie Internet der Dinge, Future Mo-bility und Smart City eher an Start-ups in der Gründungsphase richtet, sind viele Hightech-Mobilitätsanbieter der Start-up-Autobahn, an der auch ZF beteiligt ist, bereits erfolgreich am Markt. Der Nachteil: Corporates müssen Mitarbeiter abstellen, um gemeinsam mit den jungen Hightechfirmen sogenannte Innovation Challenges zu realisieren. Aus der Beteiligung der EnBW an dem Activatr-Programm ist das Start-up Vialytics

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TITELTHEMA unternehmensjurist

24 Ausgabe 4/2019

× Ein offener Austausch über die gegenseitigen Ziele und

Erwartungen ist Voraussetzung, um das passende Werk-

zeug für eine Partnerschaft zu finden. Die Verträge müssen

den Spagat überbrücken zwischen enger Anbindung und

ausreichend Freiraum für die Start-ups.

× Syndizi haben wesentlichen Anteil am Erfolg der Partner-

schaften: Sie brauchen Mut zu einem Basic-Rules-Ansatz

und einem schlanken Set an Verträgen, die sich am Entwick-

lungsstadium des Hightech-Unternehmens orientieren.

× Vertragsmodelle, Strukturen und Prozesse sind so zu gestal-

ten, dass Gründer schnell und unkompliziert vom Zugang

zu Kunden, Branchenkenntnis und Know-how über Daten-

schutz, Fragen der Finanzaufsicht etc. profitieren, ohne

von Verwaltungsaufwand und Hierarchien ausgebremst zu

werden.

× Um Risiken richtig zu bewerten, braucht es Verständnis für

technologische Details.

× Die disruptive Dynamik in vielen Branchen macht vor

den Rechtsabteilungen nicht halt: Unternehmensjuristen

müssen als Teil des Business-Teams Verantwortung für den

gesamten Prozess bis zum Geschäftserfolg übernehmen

und schneller zu Entscheidungen kommen.

× Ein schulmeisterlicher Ansatz ist gegenüber Gründern

wenig Erfolg versprechend. Es braucht Offenheit, voneinan-

der zu lernen.

× Es gibt viele Möglichkeiten der Zusammenarbeit; entschei-

dend sind die strategischen Ziele.

hervorgegangen, das Kommunen mittels künstlicher Intel-ligenz einen Überblick über den Straßenzustand verschafft. Ein Smartphone an der Windschutzscheibe von Müllautos oder Kehrmaschinen erkennt nicht nur grobe Schlaglöcher, sondern auch feine Risse. Die Stadtverwaltungen sparen Geld, weil sie Reparaturen vornehmen können, bevor große Schäden entstehen.Der Corporate Venture Capital-Fonds des Spezialchemiekon-zern Evonik investiert in Bereichen wie Gesundheitswesen oder neue Materialien und wurde gerade auf 250 Millionen Euro aufgestockt. Der Fokus liegt verstärkt auch auf Minder-heitsbeteiligungen an jungen Unternehmen mit höherem Reifegrad, die die digitale Transformation von Evonik unter-stützen. Eine spätere Übernahme wird ausdrücklich nicht ausgeschlossen. Anfang des Jahres hat Evonik das amerika-nische Portfoliounternehmen Structured Polymers vollständig erworben, das auf Kunststoffpulver für 3-D-Druck spezialisiert ist. Start-ups werden mit einem Höchstbetrag von 15 Mil-lionen Euro unterstützt. Die durchschnittliche Haltedauer beträgt drei bis fünf Jahre, wobei eine zweistellige Rendite angestrebt wird.

DIE STRATEGISCHEN ZIELE WEISEN DEN WEG ZUM PASSENDEN MODELL

Wer keine Kapazitäten und kein Know-how für einen eigenen VC-Fonds aufbauen will, kann sich an externen Wagniskapi-talfonds anderer Corporates beteiligen. Zwar gibt es keinen Technologietransfer, aber einen Überblick über Tech-Trends und Kontakte zu den beteiligten Start-ups. Es bestehen keine Nachschusspflichten und bei guter Entwicklung der Betei-ligungen eine erfreuliche Rendite. Beispielsweise sind an eVentures mit einem Volumen von mehr als 400 Millionen Euro neben der Otto Group als Ankerinvestor auch der Sprin-ger Verlag oder der Lebensmittelkonzern Dr. Oetker beteiligt. Um Risiken breit zu streuen, das Investitionsvolumen zu erhöhen und einen breiten Überblick über neue Technolo-gien zu bekommen, können auch Fund of Fonds-Lösungen sinnvoll sein, etwa von Unternehmertum Venture Capitals (UVC) Partners. Die Beteiligungsgesellschaft investiert vor allem in wachstumsstarke Unternehmen im B2B-Bereich. Der Nachteil: Je mehr Investoren beteiligt sind, desto weniger lassen sich individuelle Interessen durchsetzen.Dagegen verschafft eine Direktbeteiligung größtmöglichen Einfluss auf die Entwicklung von Technologien oder Ge-schäftsmodellen. Oft handelt es sich um Minderheitsbetei-ligungen. Grundsätzlich lassen sich auch Finanzinvestoren einbinden, was aber zu Interessenkollisionen führen kann: Corporates sind meist an einer dauerhaften Entwicklung des Geschäftsmodells für eigene Zwecke interessiert. Dagegen fürchten Finanzinvestoren, dass strategische Partner Wettbe-werber unter den Kaufinteressenten abschrecken. Die Beteili-

gung wird oft kombiniert mit einer vertraglichen Kooperation, wie Forschungs- und Entwicklungsvereinbarungen, Lizenz-, Liefer- und Vertriebsverträgen.Eine Akquisition bietet sich an, wenn das Produkt eines Start-ups gut zum Portfolio passt, einen gewissen Reifegrad und den sogenannten „Proof of Concept“ aufweist, also in der Praxis umsetzbar ist und eine hohe Wahrscheinlichkeit für den wirtschaftlichen Erfolg besteht. Dabei ist das Invest und folglich das Risiko relativ hoch, aber auch der Ertrag im Er-folgsfall besonders vielversprechend.Bei Forschungs- und Entwicklungskooperationen ist das Invest eher begrenzt, was allerdings auch für die Ertrags-chancen gilt. Oft ist es sinnvoll, die Zusammenarbeit an einem Produkt erst einmal in einer Kooperation auf schuld-rechtlicher Basis zu testen, um sich näher kennenzulernen.

Franziska Jandl

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26 Ausgabe 4/2019

STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

STUDIE ZU GLOBAL POST MERGER INTEGRATION UND CARVE-OUTS

Ein hochaktuelles Thema für Unternehmen sind M&A-Transaktionen und die Herausforde rungen des im Vorfeld und im Nachgang erforderlichen Carve-out- beziehungsweise Integrations-prozesses. Eine neue Studie aus der Studienserie CLI–Corporate Legal Insights vom Bundes-verband der Unternehmens juristen und PricewaterhouseCoopers Legal befasst sich daher mit dem Thema „Global Post Merger Integration und Carve-outs“.

ZUR RECHTEN ZEIT AUF DIE ERFOLGSSPUR WECHSELN

Ω Das wirtschaftliche Umfeld ist gekennzeichnet von ei-ner hohen Dynamik und von wachsendem Wettbewerb von branchenfremder Seite. Das stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen: Sie müssen das disruptive Potenzial für die eigenen Geschäftsfelder frühzeitig erkennen und mit der richtigen Strategie beantworten. Das allerdings ist leichter gesagt als getan, denn bei den branchenfremden Aufrührern handelt es sich oft um Start-up-Unternehmen voll von jungen, kreativen und unkonventionell denkenden Menschen, die mit hoher Eigenverantwortlichkeit und entsprechender Motivation ihre eigenen Ideen umsetzen wollen. Wird nun ein solches Start-up von einem Großunternehmen klassischer Prägung erworben und soll damit verschmolzen werden, droht ein „Clash of Cultures“, in dessen Folge die von der Transaktion erwarteten Effekte verpuffen können. Damit das nicht passiert, muss die Post Merger Integration (PMI) gründlich durchdacht und idealerweise so früh wie möglich begonnen werden.Für viele etablierte Unternehmen sind Mergers & Acquisi-tions (M&A) keine reine Option mehr, sondern ein fester

„Ohne eine konkrete Marschroute für die Zeit nach dem Closing

kann eine Transaktion sehr leicht ins Leere laufen.“

– Dr. Simon Dürr,

Partner Global Transformations, PwC Legal

und notwendiger Bestandteil der Unternehmensstrategie, um erfolgreich im Wettbewerb bestehen zu können. Ein In-diz dafür ist das weiter anziehende weltweite M&A-Geschäft mit Firmenkäufen und -fusionen. Nachdem dieses um die Jahrtausendwende herum seinen vorläufigen Höhepunkt überschritten hatte, bewegt es sich nach Angaben des Wirt-schaftsdatendienstes Thomson Reuters erneut auf einem sehr hohen Niveau. 2018 gab es weltweit M&A-Transaktionen im Wert von insgesamt fast 4 Billionen US-Dollar. Mit einem Volumen von rund 1 Billion US-Dollar entfiel ein Viertel dieser Summe auf M&A in Europa – in absoluten Zahlen der höchste Wert seit elf Jahren. Beflügelt wird diese Entwicklung von zwei Faktoren: Zum einen machen die anhaltend günstigen Finanzierungsbedingungen am Kapitalmarkt den Erwerb von Unternehmen attraktiv, zum anderen erschafft die Digitalisie-rung immer neue Geschäftsmodelle und dringt in raschem Tempo in viele traditionelle Geschäfstfelder vor. Durch die Etablierung neuer Geschäftsmodelle, die in der Regel auf der intelligenten Generierung und Monetarisierung von Daten beruhen, verändern digitale Technologien komplette Indus-trien und Dienstleis tungsbranchen. Energieanbieter können beispielsweise mit Smart Meter ihre Abrechnung und Netz-werkauslastung optimieren, die Finanzbranche verwendet Algorithmen für den nanosekundenschnellen Handel von Wertpapieren und die großen Automobilkonzerne liefern sich einen Wettlauf bei der Entwicklung von autonom fahrenden Autos. Mit am Start – und das ist neu – sind Data-Giganten und Start-ups aus dem Silicon Valley und vergleichbaren Technologieregionen der Welt. So ist der Daimler-Konzern beispielsweise an inhaltlich und wirtschaftlich so unterschied-lichen Unternehmen wie dem Softwareentwickler Anagog, dem E-Ladestationen-Netzwerk ChargePoint und dem GPS-Dienstleister what3words beteiligt. In den USA hat General

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Ausgabe 4/2019 27

unternehmensjurist STRATEGIE & MANAGEMENT

Motors die Unternehmen Cruise Automation und Strobe aus dem Silicon Valley übernommen, um die Entwicklung von autonom fahrenden Autos voranzutreiben. Während ame-rikanische Firmen 2011 gerade einmal 20 Milliarden US Dollar in sogenannte Tech Deals investierten, war diese Zahl 2016 bereits auf 125 Milliarden US-Dollar geklettert. Und sie steigt weiter.

M&A-PROZESS ALS NEUE SITUATION

M&A sind eine verbreitete Wachstumsstrategie, doch zahl-reiche Beispiele von fehlgeschlagenen Fusionen und Über-nahmen zeigen, dass sie nicht ohne Risiken ist. Bei zwei von drei Firmenehen sinkt der Unternehmenswert nach der Transaktion, anstatt zu steigen. Das heißt nicht, dass sie komplett scheitern, sondern dass sie die ursprünglich mit der Transaktion geplanten Ziele verfehlen und dass der Markt den Fehlschlag registriert. Der Hauptgrund für die-ses – sagen wir es direkt – mangelhafte Ergebnis liegt oft in der schlechten Performance während der PMI. Das mag auf den ersten Blick überraschen: Der Deal ist durch – was kann dann noch schiefgehen? Auf den zweiten Blick wird der Grund jedoch leicht nachvollziehbar. Die an einer Transak-tion beteiligten Führungskräfte verfügen meist über sehr viel Erfahrung in ihrem jeweiligen Kerngeschäft. Schließlich ist ihr bisheriger Erfolg der Grund dafür, warum ihre Unterneh-men in der Lage sind, andere Unternehmen zu übernehmen beziehungsweise ein attraktives Ziel für eine Übernahme

„Den Rechtsabteilungen und Rechts(-beratern) kommt dabei oft die Rolle des Dirigenten zu, der das Orchester zusammenhalten und aufeinander abstimmen muss.“– Dr. Frederic Mirza Khanian,

Partner Global Transformations, PwC Legal

zu sein. Doch der gesamte M&A-Prozess und vor allem die PMI als entscheidende Phase nach dem Closing sind für viele eben nicht das tägliche Brot, sondern stellen eine ganz neue Situation dar. Deshalb ist es sinnvoll, externen Rat nicht nur für die rechtlichen, finanziellen und steuerlichen Aspekte vor dem Closing heranzuziehen, sondern auch für die strategisch wichtige PMI-Phase auf die Expertise von außen zuzugreifen, damit aus zwei zuvor getrennten Un-ternehmen wirklich ein besseres neues wird. Im Idealfall wird die PMI dabei schon vor dem Closing vorbereitet, um sofort nach dem Trocknen der Tinte unter den Verträgen durchstarten zu können. Zudem können externe Berater das Management für die enorme Bedeutung einer gut gesteu-erten PMI sensibilisieren. Ob eine Akquisition zum Erfolg wird, hängt nicht zuletzt davon ab, was die Unternehmen davon erwarten. Das gilt auch für die Übernahme von Start-ups. Zwei Drittel der Transaktionen, das zeigt die vorliegende Studie, haben ein Volumen bis 250 Millionen Euro. Meist sind mit der Übernahme von klein- und mittelständischen Unternehmen klar formulierte Erwartungen verbunden: die Erschließung neuer Märkte und Kunden, die Verbesserung der Wettbewerbsposition und Synergieeffekte durch Effi-zienzsteigerungen (siehe dazu Grafik links).

KRITISCHE FAKTOREN BEI DER ÜBERNAHME VON START-UPS

Grundsätzlich lassen sich vier wesentliche Erfolgsfaktoren für M&A ausmachen: (1) das tatsächliche Erreichen von Synergieeffekten, (2) die rasche Umsetzung der Integration innerhalb eines

ambitionierten Zeitrahmens, (3) das erfolgreiche Vermitteln zwischen unterschiedlichen

Unternehmenskulturen während des Veränderungspro-zesses sowie

(4) eine starke Projektsteuerung in der PMI.

VOLUMEN VON TRANSAKTIONEN

Zwei Drittel der Transaktionen haben ein Volumen bis 250 Mio. €, um Marktanteil & Umsatz zu erhöhen und nachhaltig zu verbessern. In welchem Trans aktionsvolumen bewegten sich diese Trans-aktionen im Durchschnitt in den letzten Jahren?

Über 1 Mrd. € 14,46 %

Bis zu 50 Mio. €

32,53 %

Zwischen 250 Mio. € bis 1 Mrd. €16,87 %

Zwischen 50 Mio. €

bis 250 Mio. €36,14 %

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STRATEGIE & MANAGEMENT unternehmensjurist

Das Erzielen von Synergieeffekten setzt auch bei der Über-nahme eines Start-ups voraus, dass man bereits während der Due Diligence und damit deutlich vor dem Closing prüft, welche Potenziale vorhanden sind. Start-ups werden in der Regel aufgrund der von ihnen entwickelten Software oder anderer Technologien erworben. Schon allein um einen ver-nünftigen Kaufpreis zu ermitteln und eine Preisobergrenze als Verhandlungsbasis festzulegen, ist es vor dem Closing not-wendig, realistisch abzuschätzen, welche Synergieeffekte man für das eigene Kerngeschäft erzielen kann und wie sich das rasch umsetzen lässt. Dazu sind sowohl quantitative als auch qualitative Key Performance Indicators (KPI) unerlässliche Hilfsmittel, um die Ziele in messbare und damit steuerbare Zwischenschritte umzusetzen. Ohne eine konkrete Marsch-route für die Zeit nach dem Closing kann eine Transaktion sehr leicht ins Leere laufen. Um das mit einem Bild deutlich zu machen: Ohne klares Ziel ist auf hoher See jeder Kurs gleich recht oder gleich schlecht (siehe dazu Grafik unten).Die rasche Umsetzung der Integration innerhalb eines ambiti-onierten Zeitrahmens ist die Voraussetzung dafür, dass die mit

der Transaktion verbundenen Ziele erreicht werden. Dabei ist es wichtig, für jede Transaktion zu analysieren, welche Unter-nehmensfunktionen am schnellsten integriert werden müssen und welche nur eine unterstützende Funktion haben. Start-ups unterscheiden sich von anderen Unternehmensübernahmen dadurch, dass nicht Bereiche wie Marketing und Verkauf, After Sales und Kundenservice oder die Produktion im Vor-dergrund der Akquisition stehen, sondern dass Forschung und Entwicklung, kreative Leistung und/oder IT-Know-how eingekauft werden. Deshalb müssen die Prioritäten vor allem auf der raschen Integration dieser Funktionen ins Kernge-schäft liegen. Bei glatt laufenden Transaktionen dauert das erfahrungsgemäß zwischen sechs Monaten und einem Jahr. Das erfolgreiche Vermitteln zwischen unterschiedlichen Un-ternehmenskulturen während des Veränderungsprozesses ist ein dritter, nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor bei Unternehmenstransaktionen. Wenn man bedenkt, wie un-terschiedlich in Konzernen und Start-ups gearbeitet wird, sieht man schnell, warum diese Hürde besonders hoch liegt. Start-ups sind in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil von

HERAUSFORDERUNGEN BEI DER INTEGRATION

Akquisitionsziele werden erreicht, wenn unternehmerische An pas sungen mit hoher Motivation und kultureller Integration einhergehen. Was waren in der Vergangenheit die größten Herausforderungen bei der Integration zugekaufter Unternehmen/Unternehmensgruppen?

Steuern (Tax)

„Steuerliche Verluste und Verlustvorträge bei internationalen Übernahmen vermeiden“

„Bearbeitung der ‚Steueraltlasten‘, Integration in das Konsolidierungs- und Besteuerungskonzept“

„Management der Tax-Risiken“, „Begründung steuerlicher Organschaft“

Operative Integration

„Umstellung der Prozesse auch in den Köpfen der Leute (,Knopfdruck‘)“

„Verankerung der Ziele der Integration in die persönlichen Ziele der Führungs kräfte ist sehr wichtig – ansonsten kostet die Integration zu viel Zeit“

„Transfer Pricing zwischen bestehenden und neuen Unternehmensteilen zeitnah festlegen“

„Integration und ramp-down der IT“

„Einbindung zu vieler Stakeholder“

„Clash der Kulturen“

„Abfall der Management Attention und Priorität nach Closing“

„Gesamte Supply Chain muss angeschaut werden“

Gesell-schafts- recht liche Integration

„Zusammenführung von unterschiedlichen Strukturen, insbesondere bei den zentralen/Holding-Bereichen“

„Organwechsel mit einer Vereinfachung der Gesellschafts-strukturen“

„Gremienintegration vorantreiben“

„Führung von Gesellschaften, die nicht integriert werden sollen“

Human Resources

„Unterschiedliche Unternehmenskultur sowie verschiedene Tarif-Entgeltsysteme“

„Umgang mit Arbeitnehmermitbestimmung und Integration bestehender Mechanismen“

„Andere Personalgrundsätze, existierende Tarifverträge und Betriebsrat“

Information Technology (IT)

„Klassische Systemintegrationsthemen aufgrund unterschiedlicher Plattformen“

„Zusammenspiel unterschiedlicher IT-Systeme, insbesondere im Controlling und Einkauf“

„Kein Gleichlauf in IT-Betreuungsverträgen“

„ERP-Systeme mussten angeglichen werden“

„Datentransfer sicherstellen im Rahmen der IT-Migration“

Intellectual Property (IP)

„Patentschutzthemen“

„Anpassung der Lizenzthemen“

„Integration in bestehende IP-Strategie“

„Fortführung Firmennamen“

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Ausgabe 4/2019 29

unternehmensjurist STRATEGIE & MANAGEMENT

× Beim Erwerb eines Start-ups durch ein klassisches Groß-

unternehmen droht ein „Clash of Cultures“.

× Um das zu verhindern, muss die Post Merger Integration

(PMI) gründlich durchdacht und so früh wie möglich

begonnen werden.

× Frühzeitiger externer Rat ist für die rechtlichen, finanziellen

und steuerlichen Aspekte vor dem Closing sowie für die

PMI-Phase wichtig.

× Neben diversen anderen Herausforderungen ist das

erfolgreiche Vermitteln zwischen unterschiedlichen Unter-

nehmenskulturen ein nicht zu unterschätzender Erfolgsfaktor.

etablierten Unternehmen. Während Konzerne einem zuver-lässigen Familien-Van gleichen, sind Start-ups der nervöse Formel 1-Bolide, an dem ständig herumgeschraubt und an dem neue Materialien und Antriebskonzepte ausprobiert wer-den. Es liegt auf der Hand, dass beide sehr unterschiedliche Menschen als Mitarbeiter gewinnen. Während Beschäftigte in Konzernen oft in sicheren Strukturen und vertrauten Prozes-sen arbeiten und Veränderungen häufig erst einmal kritisch gegenüberstehen, stellen die Mitarbeiter von Start-ups aus Prinzip ständig alles in Frage und suchen Mittel und Wege, um den Familien-Van von der Straße zu bugsieren. Dabei ist Scheitern als Option von Haus aus eingeplant. Für Start-ups gibt es nur drei Exit-Formen: Scheitern, übernommen werden oder – wie Amazon, Apple oder Google – selbst zum Big Player mutieren.

STEUERUNGSTEAM HÄLT FÄDEN ZUSAMMEN

Unternehmen, die ein Start-up übernehmen, sollten sich des-halb darüber im Klaren sein, dass sie nicht nur neue Techno-logien und Know-how übernehmen, sondern auch Menschen und eine Unternehmenskultur, die das Start-up überhaupt erst zu einem interessanten Übernahmekandidaten gemacht haben. Viele von ihnen sind als digitale Unternehmen gestartet und haben eine aus Sicht von Konzernen eher eigentümliche Arbeitsweise entwickelt. Dank unkonventionellem Denken und Handeln, freiem Experimentieren an neuen Technologien sowie einem lockeren Umgang mit Fehlschlägen, setzen sich selbst kleine Firmen oft an die Spitze der technologischen Entwicklung. Dank ihrer Ausprobier-Kultur schaffen sie es tatsächlich, ihre Technologien schneller in neue Produkte und Dienstleistungen umzusetzen und auf den Markt zu bringen als Großunternehmen. Ihre Attitüden sind der Grund für ihren Erfolg und deshalb ist es notwendig, sie im Rahmen der PMI zu bewahren und möglichst von ihnen zu lernen und zu profitieren. Als vierter Erfolgsfaktor ist eine starke Projektsteuerung in der PMI von zentraler Bedeutung. Sie beeinflusst maßgeblich alle anderen Erfolgsfaktoren. Viele Vorstände, so eine Erfahrung aus der Unternehmenspraxis, lehnen sich nach dem Closing zufrieden zurück und halten ihre Aufgabe für erledigt. Tatsächlich geht die Arbeit nach der Unterschrift erst richtig los. Um diesen Prozess zu koor-dinieren, sollte ein PMI-Steuerungsteam installiert werden, dessen zentrale Aufgabe es ist, mögliche Hindernisse in der Integrationsphase zu identifizieren und umgehend Lösungen zu ihrer Überwindung zu entwickeln. Sollten beispielsweise wichtige Know-how-Träger das Unternehmen verlassen wol-len, deren Bindung im Vorfeld als erfolgskritisch angesehen wurde, muss das Management Retention-Verhandlungen aufnehmen. Auch das agile Arbeiten, das in vielen Start-ups anzutreffen und für deren Erfolg verantwortlich ist, darf nicht durch vom Käuferunternehmen übergestülpte Arbeitsweisen

unterdrückt werden, sondern sollte im Idealfall im gesamten Unternehmen angewendet werden. Ein gutes Steuerungs-team hält letztlich alle Fäden zusammen und sorgt dafür, dass sich die einzelnen Workstreams nahtlos ineinander einfügen und die PMI reibungslos über die Bühne gebracht wird. Es verwundert nicht, dass die Vielschichtigkeit einer PMI alle Abteilungen eines Konzerns einschließlich Rechtsabtei-lungen sowie externe Berater regelmäßig vor große Heraus-forderungen stellt. Neben den üblichen und wiederkehrenden Problemfeldern im Rahmen einer PMI offenbaren sich regel-mäßig nicht von vornherein absehbare Fallstricke, die es dann zu bewerten und zu bewältigen gilt. Den Rechtsabteilungen und Rechts(-beratern) kommt dabei oft die Rolle des Diri-genten zu, der das Orchester zusammenhalten und aufeinan-der abstimmen muss. Zu Recht kann eine erfolgreiche PMI damit als Meisterprüfung für Rechtsabteilungen und -berater bezeichnet werden. π

Prof. Dr. Peter Körner in Zusam menarbeit mit Dr. Simon Dürr und Dr. Frederic Mirza Khanian

„Damit es keinen ‚Clash of Cultures‘ gibt, muss die Post Merger Integration gründlich durchdacht und idealerweise so früh wie möglich begonnen werden.“– Prof. Dr. Peter Körner, Director Corporate Legal

Insights, diruj GmbH

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SCHWERPUNKT COMPLIANCE unternehmensjurist

46 Ausgabe 4/2019

„ES KOMMT IMMER AUF DIE ZUSAMMEN ARBEIT

ZWISCHEN DEN MENSCHEN AN“

Dr. Christoph Klahold ist seit Herbst 2018 Leiter Recht und Compliance bei der Munich Re. Hier soll er beide Abteilungen zusammenführen. Im Interview erläutert er, welche Schwerpunkte er dabei setzt

und was er von dem geplanten Unternehmensstrafrecht erwartet.

Herr Dr. Klahold, Sie sind im vergangenen Jahr von thyssen-krupp, wo Sie Chief Compliance Officer waren, zur Mün-chener Rück gewechselt. Hier sind Sie Leiter der Rechts- und der Compliance-Abteilung. Beide Bereiche sollen nun zu-sammengeführt werden. Insgesamt arbeiten in beiden Ab-teilungen zusammen rund 50 Menschen. Wie geht es voran?Ich bin nun für beide Abteilungen bei der Munich Re verant-wortlich. Mit meinem Team haben wir mit viel Engagement angefangen, den Ist-Stand zu analysieren und unsere strate-gischen Schwerpunkte zu schärfen. Dabei geht es in einem ersten Schritt auch darum, herauszufiltern, welche Aufgaben gemeinsam besser umgesetzt werden können. Gleichzeitig sollen beide Bereiche auch Profil gewinnen und ihre eigenen Themen verfolgen. Das Wir-Gefühl ist mir wichtig. Es gibt viele Gemeinsamkeiten.

Welche sehen Sie?Beide Abteilungen betreiben aktives Risiko-Management. Zu-dem geht es darum, wie wir im Unternehmen einen Mehr-wert bieten und die geschäftlichen Aktivitäten unterstützen können. Dabei hat die Compliance-Abteilung nicht nur ho-heitliche Governance-Aufgaben, und die Rechtsabteilung ist nicht ausschließlich Dienstleister. Inhaltlich gibt es Gemein-samkeiten etwa im Aufsichtsrecht, beim Datenschutz oder im Kapitalmarktrecht.

Wie nähern Sie sich Ihrer Aufgabe?Zuvor war ich in einer nicht regulierten Industrie tätig, die ich weitgehend verstanden habe. Nun habe ich in ein neues Umfeld gewechselt und auch ein halbes Jahr nach meinem

Antritt bin ich immer noch dabei, zu lernen und zuzuhören. Schließlich ist das Rückversicherungsgeschäft sehr komplex. Dazu habe ich im gesamten Unternehmen sehr viele Ge-spräche geführt. Mir geht es darum, erst die Menschen ken-nenzulernen, inhaltliche Herausforderungen und die Prozesse kommen dann meist von ganz allein hinzu. Ich lege großen Wert auf den Team-Gedanken. Wofür die Rechtsabteilung und Compliance-Abteilung stehen, welchen Mehrwert wir bieten können und was uns eventuell daran hindert, das will ich gemeinsam mit den Kollegen entwickeln und nicht von oben vorgeben. Dafür beziehe ich alle Mitarbeiter mit ein. Es gab viele Workshops und Veranstaltungen dafür in den letzten Monaten.

Was haben Sie aus den Gesprächen und Workshops mitgenommen?Es ist sehr schnell klargeworden, dass wir nicht aus einem Selbstzweck heraus die Rechts- und Compliance-Abteilung verändern, sondern dem Unternehmen in seinem Trans-formationsprozess folgen wollen. Es sind in den vergange-nen Jahren neue Geschäftsfelder hinzugekommen, neue digitale Einheiten ergänzen das klassische Kerngeschäft. Das heißt für die Rechtsabteilung und die Compliance: Wir müssen diese Geschäfte verstehen, wir müssen Zugang zu den entscheidenden Menschen schaffen, die über die gan-ze Welt verteilt sind. Mit diesen Verantwortlichen müssen wir Risiken herausarbeiten und Strategien entwickeln, wie wir diese Risiken möglichst effektiv reduzieren und welche Strukturen und Steuerungsmechanismen das Unternehmen dafür braucht.

Die wichtigsten Treiber für Veränderung kommen also aus dem Unternehmen selbst?Viele Themen gab es vor ein paar Jahren noch gar nicht. Nach einer aktuellen Studie ist die Versicherungsbranche eine der

COMPLIANCE

„Es geht darum, wie wir im Unternehmen einen Mehrwert bieten und die geschäftlichen Aktivitäten unterstützen können.“

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unternehmensjurist COMPLIANCE SCHWERPUNKT

Ausgabe 4/2019 47

Branchen, die derzeit am stärksten von der Digitalisierung be-troffen ist. Wir schmeißen nicht alles um, sondern nehmen die Veränderung des Unternehmens und hängen uns daran an.

Die Munich Re ist relativ stark dezentral organisiert. Die ERGO-Versicherung hat beispielsweise eine eigene Rechtsabteilung.Wie wirkt sich das auf Ihre Arbeit aus?In einem stark zentralisierten Unternehmen lässt es sich von oben herab regieren – alle versammeln sich dort hinter der Spitze. Hier ist nun mehr Überzeugungsarbeit zu leisten. Bei meinem ehemaligen Arbeitgeber thyssenkrupp habe ich über die Jahre die unterschiedlichsten Ansätze kennengelernt: Von dezentralen Strukturen, über eine stark zentrale Struk-tur wieder hin zu einer leicht dezentralen Struktur. Diese Erfahrungen habe ich mit zur Munich Re genommen. Ich habe gelernt, dass Organigramme wichtig sind, es aber viel mehr darauf ankommt, wie man miteinander umgeht, auch unabhängig von Berichtslinien. Steuerung über Insignien der Macht ist nicht das, was ich mir vorstelle. Letztlich kommt es immer auf die Zusammenarbeit zwischen den Menschen an.

Sie sagen, dass Ihnen wichtig ist, Ihre Mitarbeiter mitzuneh-men und viele Dinge gemeinsam zu entscheiden. Gibt es ein Beispiel?Gerne würde ich die Compliance in der gesamten Gruppe stärker über einheitliche Indikatoren und KPIs steuern und

das Zahlenwerk vereinheitlichen. Mir ist wichtig, neben dem qualitativen auch einen quantitativen Überblick zu haben: Wie viele Anfragen werden bearbeitet, um welche Themen geht es? Hier gibt es gegenüber diesem Konzept mit Blick auf Aufwand und Nutzen eine gewisse Skepsis. Im Team waren wir offen. Wir haben uns darauf geeinigt, es zu versuchen und starten einen Piloten. Wenn es nichts bringt, schaffen wir es wieder ab. Das war mein Zugeständnis. Es ist wichtig, offen Meinungen auszutauschen, dann aber auch konsequent zu sein. Wir müssen diesen Dingen aber auch Zeit lassen, sich zu entwickeln. Nach einem Jahr können wir dann kontrollieren: passt es oder passt es nicht?

Der Bundesgerichtshof hat 2017 in einem Urteil festgestellt, dass sich ein effizientes Compliance-System positiv auf die Höhe eines Bußgelds auswirkt. Hat das die Stellung der Com-pliance noch einmal aufgewertet?Das ist eine positive Entwicklung, die wir über Verbände wie BUJ und DICO (Deutsches Institut für Compliance e. V., Anm. d. Redaktion) auch rechtspolitisch unterstützen. In einem globalen Unternehmen dieser Größe kann niemand für alle seine Mitarbeiter die Hand ins Feuer legen. In der Alltags-Compliance hat die Entscheidung für uns keine große Wirkung, weil wir sowieso ausschließlich wirksame Compli-ance betreiben wollen. Im größeren Maßstab wirkt es für alle Unternehmen, also auch für diejenigen, die bisher noch wenig

Dr. Christoph Klahold ist seit Herbst 2018 General Counsel und Group

Chief Compliance Officer der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft

Aktiengesellschaft in München (Munich Re). Er leitet die Konzernrechtsab-

teilung und verantwortet das Compliance Management-System der Gesell-

schaft. Zuvor war Christoph Klahold Chief Compliance Officer des Essener

Industriekonzerns thyssenkrupp. Der im Aktienrecht promovierte Jurist ist

Vorstandsmitglied beim Deutschen Institut für Compliance e.V. (DICO) sowie

Mitglied im Bundesverband der Unternehmensjuristen e.V. (BUJ).

Die Munich Re ist eine der größten Rückversicherungs-Gesellschaften weltweit. Insgesamt arbeiten für das Unternehmen rund

41.400 Mitarbeiter. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz bei etwa 49 Milliarden Euro, der Gewinn bei 2,3 Milliarden Euro.

Zum Unternehmen zählt auch die ERGO-Versicherungsgruppe, zu der unter anderem die D.A.S. Rechtsschutzversicherung und die

Deutsche Kranken versicherung (DKV) gehören.

DAS UNTERNEHMEN

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SCHWERPUNKT COMPLIANCE unternehmensjurist

48 Ausgabe 4/2019

Compliance betrieben haben, incentivierend. Investitionen in Compliance können damit besser begründet werden.

Es gibt keine allgemeingültige Definition für effiziente Com-pliance. Was verstehen Sie darunter?Effiziente und vor allem wirksame Compliance hängt vom Unternehmen ab. In einem Unternehmen wie der Munich Re gibt es nicht das gleiche Maß an Korruptionsrisiken, wie etwa bei einem großen Projektgeschäft mit Infrastruktur oder etwa Rüstung. Es kommt ganz auf die Risikostruktur an. Wir arbeiten mit hochsensiblen Daten, versichern Menschen, Un-ternehmen und Projekte in aller Welt und haben es weltweit mit einer Vielzahl von Gesetzgebern und Regulierern zu tun, deren Regulierungen nicht immer miteinander in Einklang stehen, wie etwa beim Thema Finanzsanktionen. Wir haben eine besondere Aufgabe, eine besondere Verantwortung und stehen damit unter besonderer Beobachtung. Wir müssen mit dem Geld, das uns anvertraut wird, verantwortungsvoll umge-hen. Aus der Risikostruktur ergeben sich Schwerpunkte und Ziele. Die sind auch innerhalb der Gruppe unterschiedlich, abhängig davon, ob es eher verbraucherbezogenes Geschäft ist, wie bei der ERGO, oder B2B, wie bei der Munich Re. Ein Gutteil der Aufgaben der Compliance besteht darin, ein Regelwerk zu definieren, das sicherstellt, dass Recht und Ge-setz eingehalten werden. Aber: Diese Vorgaben müssen auch umsetzbar sein und Compliance berät die Mitarbeiter bei der Implementierung und bei Einzelfragen. Wichtig ist, dass wir keine bürokratischen Hürden schaffen, sondern sicherstellen, dass die Anforderungen in unternehmerische Prozesse End-to-End eingepasst werden können. Dabei spielen auch für die Compliance-Abteilungen zunehmend digitale Produkte und Prozesse eine wichtige Rolle, wie etwa Screening-Software, um Finanzsanktionen zu vermeiden.

Die Bundesjustizministerin plant, noch in diesem Jahr einen Entwurf für ein Unternehmensstrafrecht vorzulegen. Nun wird schon seit Jahren über ein solches Gesetz diskutiert. Was erwarten Sie von dem Entwurf?Beim Thema Unternehmensstrafrecht sind wir gespannt auf den Referentenentwurf des BMJV nach nun vielen Jahren

der Diskussion. Nach der entsprechenden Rechtsprechung wäre eine gesetzliche Klarstellung, dass effektive Compliance-Systeme Bußgeld mindernd wirken, lange überfällig. Ob es nun wirklich ein Unternehmensstrafrecht ist oder ein Sonder-ordnungswidrigkeitengesetz, das sei dahingestellt. Der Koaliti-onsvertrag sieht auch Neuerungen bei Internal Investigations vor. Da herrschen derzeit große rechtliche Unsicherheiten.

Für Unruhe haben etwa Durchsuchungen der Staatsanwalt-schaft bei der Kanzlei Jones Day gesorgt, die interne Ermitt-lungen bei VW durchgeführt hat. Was würden sie sich von einem Gesetz wünschen?Meine Sorge ist es, dass wir nur Steine statt Brot bekommen. Wenn zum Beispiel Detailregelungen, etwa ein Aussagever-weigerungsrecht oder datenschutzrechtliche Vorgaben, dazu führen, dass eine effektive interne Ermittlung erschwert wird, wäre der Compliance ein wichtiges Element entzogen. Interne Untersuchungen und die schnelle und konsequente Prüfung von Hinweisen auf Fehlverhalten sind nicht nur Rechtspflicht, sondern auch ein wichtiges präventives Element wirksamer Compliance.

Wie könnte eine Lösung aussehen?Die Verbände, wie BUJ und DICO, arbeiten ja bereits fleißig an vernünftigen Vorschlägen: Der Schutz des Mitarbeiters ist wichtig. Aber es wäre schwierig, wenn der Mitarbeiterim Rahmen der Internal Investigations etwa die Auskunft verweigern dürfte. Derzeit ist er gegenüber dem Arbeitgeber auskunftspflichtig, wenn es um Fragen zu seinem Arbeitsum-feld geht. Dabei muss es bleiben. Ein weiterer ganz wichtiger Punkt ist der Schutz des Mandats- und Vertrauensverhältnisses zwischen Unternehmen und An-walt während des gesamten Internal Investigation-Prozesses. Unternehmen sind in Bezug auf Beschlagnahmeverbote nicht weniger schutzwürdig als natürliche Personen. Es darf hier nicht zu einseitigen Lösungen zulasten der Unternehmen kommen. Stattdessen sollte der Gesetzgeber seinen Gestal-tungsspielraum nutzen, den das Verfassungsgericht auch in der Jones-Day-Entscheidung betont hat. π

Das Interview führte Henning Zander.

UNTERNEHMENSSTRAFRECHT

Die scheidende Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hatte angekündigt, zeitnah den Entwurf für ein Unternehmensstrafrecht

vorzulegen. Im geplanten Entwurf sollen unter anderem Anreize und Rahmenbedingungen für Internal Investigations geschaffen werden.

Dies soll sich neben anderem auf Überwachungsinstrumente und die Durchführung von Befragungen beziehen. Zudem sollen Strafrabatte

bei einer effizienten Compliance möglich sein. Gleichzeitig sollen allerdings auch Strafen drastisch erhöht werden und unter Umständen

an das Bundeskartellrecht angelehnt bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes betragen.

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58 Ausgabe 4/2019

MARKENRECHTSMODERNISIERUNGSGESETZ

Ω Das deutsche Markenrecht wurde mit Wirkung zum 14. Ja-nuar 2019 grundlegend reformiert und im Hinblick auf die EU-Markenrechtsrichtlinie (2015/2436) an europäische Standards angepasst. Durch das Markenrechtsmodernisie-rungsgesetz (MaMoG) reagiert der Gesetzgeber auf jüngere technische Entwicklungen und stärkt in dem Parallelsystem von nationaler und EU-Unionsmarke die Rechte von Marken-inhabern. Mit einer signifikanten Änderung des § 8 Marken-gesetz (MarkenG) wurde der bisherige Bereich schutzfähiger Zeichen deutlich erweitert. Ziel der Reform ist es, künftig auch Marken zuzulassen, die bislang an der engen Forderung der „graphischen Darstellbarkeit“ gescheitert sind. Zugelassen sind nun Videosequenzen, charakteristische Geräusche und sogar Duftmarken.

URSPRUNG VON MARKEN IN DER BRAUKUNST

Erste Marken im heutigen Sinn entwickelten sich in Deutsch-land mit der wirtschaftlichen Rolle der Braukunst im Bier-segment. Ein deutsches Markenschutzgesetz gibt es seit dem 20. Mai 1875 mit der Anmeldung der Marke Meißener Porzel-lan. Die bekannteste deutsche Marke ist heute noch das „Eau de Cologne“ mit seinem Flaggschiff „4711“. Ebenso bekannt sind aus jener Zeit Marken wie „Coca Cola“ (1896), „Maggie“ (1897), „Dr. Oetker Original Backin“ oder „Wrigley’s“ (beide 1893). Nach dem Zweiten Weltkrieg schuf der Aufschwung der deutschen Wirtschaft die Grundlage für eine fortschrei-tende Ausbreitung immer neuer Markenartikel. Als bekannte Marken zunehmend mit ganzen Produktgruppen assoziiert und Synonyme wurden – beispielsweise „Uhu“ für Klebstoff, „Hansaplast“ für Pflaster oder „Tempo“ für Taschentücher –, stellten die Kennzeichnungen für die Markeninhaber immer größere wirtschaftliche Werte dar. Der umfassende Schutz von Marken und Markenrechten war daher von essenzieller Bedeutung.

Bisher wurde die Unverwechselbarkeit eines Markenzeichens, das mittels eines Logos der Kennzeichnung eines Handels-produkts – wie beispielsweise einer Limonade, einer Tüte Kartoffelchips oder eines Paars Turnschuhen – dient, in Me-dien wie Fernsehen oder Zeitungen durch die „graphische Darstellbarkeit“ festgelegt. Nur wenn diese vorlag, konnte eine entsprechende Marke eingetragen werden. Dies entsprach der bisherigen alten Formulierung des § 8 MarkenG: „Von der Eintragung sind als Marke schutzfähige Zeichen […] aus-geschlossen, die sich nicht graphisch darstellen lassen.“ In Zeiten globalisierter Vernetzung und im Zuge der fortschrei-tenden Digitalisierung wurde jedoch immer deutlicher, dass ein kommunikationstechnisch angepasster Markenschutz nötig ist. Dafür musste man sich von dem bisherigen stren-gen Erfordernis der „graphischen Darstellung“ trennen und stattdessen eine weitergehende Definition für die Eintragung als Marke finden. Dementsprechend wurde im neuen Ma-MoG das bisherige Eintragungserfordernis geändert. Es lautet nunmehr: „Von der Eintragung sind als Marke schutzfähige Zeichen […] ausgeschlossen, die nicht geeignet sind, in dem [Marken-]Register so dargestellt zu werden, dass die zuständi-gen Behörden und das Publikum den Gegenstand des Schut-zes klar und eindeutig bestimmen können.“

VÖLLIG NEUE MARKENFORMEN MÖGLICH

Leicht erkennbar ist der Wegfall des bisherigen Kriteriums „graphische Darstellung“. Nicht so leicht ersichtlich für den Nichtfachmann sind dagegen die Möglichkeiten, die sich aus der neuen Fassung des Markengesetzes für die Unterneh-mensspraxis ergeben. Dr. Boris Uphoff, Fachanwalt für ge-werblichen Rechtsschutz in München und Partner der Kanzlei McDermott Will & Emery, begrüßt, dass „mit dem Wegfall des Erfordernisses der ‚graphischen Darstellung’ künftig völ-lig neue Markenformen eintragungsfähig sind“. Dies sei ja

Neue Markenformen und mehr Schutz für den Markeninhaber – das hat die Reform des Markenrechts gebracht. Das neue Markenrechtsmodernisierungsgesetz ist rund ein halbes Jahr in Kraft. Experten und Praktiker über Vorteile und Grenzen der neuen Vorschriften.

NEUE ÄRA DES MARKENSCHUTZES

TRENDS & THEMEN unternehmensjurist

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schließlich auch der Sinn der neuen Regelung. „So lassen sich jetzt beispielsweise Bewegungs- und Geräuschmarken eintragen. Auch ganze Videosequenzen können als Marken geschützt werden“, erläutert Uphoff. Voraussetzung ist aller-dings, dass der „Gegenstand des Schutzes im Markenregister klar und eindeutig bestimmt“ werden kann. Dieses Kriterium, so Boris Uphoff, „kann in den vorgenannten Beispielen durch die Eintragung mit gängigen Dateiformaten im elektronischen Markenregister“ erfüllt werden. In einer Aufzählung des deut-schen Patent- und Markenamts sind neben der vom Europä-ischen Gerichtshof (EuGH) bereits im Jahr 2018 erwähnten „Positionsmarke“ weitere mögliche Formen eintragungsfä-higer Markenzeichen aufgeführt, so zum Beispiel „Muster-marken“, „Bewegungsmarken“, „Hologrammmarken“ oder „Multimediamarken“.

DIE (ROTE) UNTERSEITE DES SCHUHS

Um zu zeigen, welche schwierigen Fragen zu möglichen Markenrechtsverletzungen schon vor der Markenrechtsre-form auftreten konnten, verweist Boris Uphoff auf einen in-teressanten Rechtsstreit vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), den der Modedesigner Christian Louboutin 2018 gegen einen konkurrierenden Mitanbieter gewonnen hat. Die

zur Deichmann-Gruppe zählende niederländische Schuhkette Van Haren hatte einen Schuh auf den Markt gebracht, der ziemlich deutlich an das Erfolgskonzept eines exklusiven Louboutin-Produkts anknüpft. Der französische Designer produziert luxuriöse Schuhe, deren Alleinstellungsmerkmal ins Auge springt: Louboutin gelang es, die rote Unterseite von Schuhen zu einem weltweit bekannten Symbol zu machen. Seine Heels avancierten so zu den begehrtesten Schuhen am Markt. Sie verliehen seinem Unternehmen einen Wie-dererkennungswert. Ähnlich wie beim Rechtsstreit um das „Nivea-Blau“, das „Langenscheidt-Gelb“ oder das „Milka-Lila“ erkannte der EuGH das „Louboutin-Rot“ als eine sogenannte „konturlose Einfarbmarke“ an. Daraus folgt allerdings nicht, dass eine Farbe für sich genommen bereits als schutzfähige Marke eingetragen werden kann. „Auch, wenn der EuGH dies nicht ausdrücklich darlegt“, so Uphoff, „kommt es doch weiterhin wesentlich darauf an, ob der Kombination aus Farbe

und Position eine Unterscheidungskraft zukommt. Das wird nicht bei allen Farb-Positionskombinationen der

Fall sein“. Im Fall des Louboutin-Stöckelschuhs sieht das Gericht diese Voraussetzungen als erfüllt an:

„Positionsmarken, die die Position einer bestimm-ten Farbe an einer bestimmten Stelle der Ware

bezeichnen, sind nach der EU-Markenrechts-richtlinie grundsätzlich eintragungsfähig“, so der EuGH.Was der Wegfall der vormals einengenden Voraussetzung der „graphischen Darstell-barkeit“ konkret für den Unternehmensju-risten bedeutet, erläutert Jeanette Schlette-rer, Head of Legal bei der Intersnack Group

„Mit dem Wegfall des Erfordernisses der

‚graphischen Darstellung’ sind künftig völlig

neue Markenformen eintragungsfähig.“

Dr. Boris Uphoff, Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz,

Partner, McDermott Will & Emery

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TRENDS & THEMEN unternehmensjurist

GmbH & Co. KG, einem Unternehmen für salzige Snacks, das unter anderem durch Marken wie „funny-frisch“, „Chio“ und „ültje“ bekannt ist. „Für die Registrierung eines Werbe-Jingles als geschützte Marke musste bislang eine Notenfolge hinterlegt werden, die die Melodie ‚graphisch’ abbildet. Mit dem Wegfall dieser Erforderlichkeit ist es nun möglich, auch Geräusche, für die man schwerlich eine Notenfolge angeben könnte, mittels einer ‚Geräusch marke’ schützen zu lassen.“ Rechtsanwalt Boris Uphoff nennt hierzu auch das technisch si-cherlich mögliche Beispiel einer eigens entwickelten Snackver-packung, die beim Öffnen ein spezifisches Geräusch erzeugt, das sie von anderen Anbietern unterscheidet. „Nach dem alten MarkenG wäre eine solche Marke nicht eintragungsfähig. Doch nach dem neuen MaMoG reicht es, eine Audio-Datei mit dem entsprechenden Sound zu hinterlegen.“ Bietet das modernisierte MarkenG nun überwiegend Vorteile gegenüber der alten Fassung? Jeanette Schletterer bewertet dies abwartend: „Das muss sich noch herausstellen“. Nach wie vor problematisch sei der Schutz eines bestimmten Ge-schmacks als Marke: „Eine Rezeptur kann den Geschmack nicht so abbilden, wie er empfunden wird. Wie also stellt man Geschmack hinreichend präzise und dauerhaft dar? Die Hinterlegung eines Musters oder einer Probe ist wohl nicht zielführend. Bislang ist die Frage der Konservierung nicht gelöst. Wie kann also sichergestellt werden, dass der ursprünglich hinterlegte Geschmack über den Zeitraum des Markenschutzes – also über zehn Jahre und gegebenenfalls länger – erhalten bleibt?“ Neben der Erweiterung der Markenformen führt das MaMoG mit der „Gewährleistungsmarke“ eine weitere neue Katego-rie ein, die in der Praxis an Bedeutung gewinnen sollte. So

können Güte-, Umweltsiegel und dergleichen eingetragen und dann für Unternehmen oder deren Produkte lizensiert werden. Mit dem Schutz der „Gewährleistungsmarke“ wird der unrechtmäßige Gebrauch von Gütesiegeln etwa für Bio-Lebensmittel oder Fair-Trade-Produkte erschwert. „Produkte, bei denen der Markeninhaber für bestimmte Eigenschaften bürgt (wie Material, Art und Weise der Herstellung der Waren oder Erbringung einer Dienstleistung oder Qualität), sollen unterscheidbar sein von Produkten ohne eine solche ‚Garantie’ des Herstellers“, so Rechtsanwalt Boris Uphoff.

KEINE LANGWIERIGEN UND KOSTSPIELIGEN VERFAHREN

Verändert wurde im MaMoG zudem das Einspruchsverfahren bei sogenannten Nichtigkeitsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt. Wurde eine eingetragene Marke nicht oder anscheinend nicht vom Inhaber genutzt, konnten Beschwerdeführer bislang kaum Einspruch erheben. Mit der neuen Bestimmung, so Boris Uphoff, „können ab 1. Mai 2020 auch relative Nichtigkeitsgründe oder der Verfall vor dem Deutschen Patent- und Markenamt eingewendet werden. Dies, so zumindest die Hoffnung des Gesetzgebers, soll zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer und einer Reduzie-rung der Verfahrenskosten führen. Beides ist zu begrüßen, und zwar sowohl aus Sicht der Markeninhaber, die schnell Gewissheit über den Bestand ihrer Marke haben möchten, als auch aus Sicht der Angriffsführer, die langwierige und kostspielige Verfahren scheuen“. π Manfred Riepe

× Durch das Markenrechtsmodernisierungsgesetz

(MaMoG) trägt der Gesetzgeber jüngeren technischen

Entwicklungen Rechnung und stärkt die Rechte von

Markeninhabern.

× Statt dem bisherigen Erfordernis der „graphischen

Darstellung“ enthält das neue MaMoG eine weiter-

gehende Definition für die Eintragung als Marke.

× Dadurch sind neue Markenformen eintragungsfähig

wie etwa Bewegungs- und Geräuschmarken oder ganze

Videosequenzen.

× Außerdem führt das MaMoG die „Gewährleistungsmarke“

ein. Damit können Güte- oder Umweltsiegel ein getragen

werden.

× Experten beurteilen mögliche Vorteile gegenüber

den alten Regeln noch abwartend.

„Es ist nun möglich, auch Geräusche, für die man

schwerlich eine Notenfolge angeben könnte,

mittels einer ‚Geräuschmarke’ schützen zu lassen.“

Jeanette Schletterer, Head of Legal,

Intersnack Group GmbH & Co. KG

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FRAUEN UND FÜHRUNG

Nach wie vor leiten viel zu wenig Frauen in Deutschland Rechtsabteilungen. Die Unterneh-mensjuristinnen, die es in diese Position geschafft haben, berichten, wie sie dahin gekommen sind und ob und was sie gegebenenfalls anders machen als Männer.

CHEFJURISTINNEN IN DER RECHTS-ABTEILUNG HABEN DAS WORT

Ω Der Internationale Frauentag, der jedes Jahr am 8. März gefeiert wird und der seit diesem Jahr in Berlin gesetzlicher Feiertag ist, erinnert immer wieder daran: Es hat sich zwar in puncto Gleichstellung schon einiges getan, aber es gibt auch noch sehr viel zu tun. Das gilt auch für die Mitarbeiterinnen in Rechtsabteilungen: Dem General Counsel Benchmarking-Report 2017/18 zufolge, ehemals herausgegeben von Otto Henning, jetzt KPMG Law, waren 2017 unverändert ebenso wie 2015 lediglich 13 Prozent der General Counsel weiblich. 2013 waren es sogar noch 6 Prozent. Unterhalb der Ebene des General Counsel auf der ersten Leitungsebene hingegen hat sich der Anteil an Frauen von 24 Prozent im Jahr 2015 auf 28 Prozent im Jahr 2017 leicht erhöht. Auf der zweiten Leitungs-ebene waren es 2015 jedoch bereits 34 Prozent Frauen, 2017 allerdings nur noch 28 Prozent.

Zum Vergleich: Rund 29 Prozent der Führungspositionen in Deutschland waren nach Angaben des Statistischen Bundes-amts im Jahr 2017 von Frauen besetzt. Ihr Anteil blieb damit nahezu unverändert und liegt unter dem EU-Durchschnitt mit einem Anteil von 34 Prozent. Dabei hat Deutschland im Vergleich zu den anderen EU-Ländern die dritthöchste Erwerbstätigenquote der Frauen: 2017 gingen hierzulande 18,4 Millionen Frauen im Alter von 20 bis 64 Jahren einer Arbeit nach. Das entsprach 75,2 Prozent dieser Altersgruppe. Doch zurück zu den Juristinnen: Am Anteil der Studierenden liegt die geringe Zahl von Führungskräften unter den Juris-tinnen nach den aktuell verfügbaren Zahlen des Bundesjustiz-amts zu den Ergebnissen der juristischen Staatsprüfungen für 2016 jedenfalls nicht: Die Zahl der weiblichen Studierenden lag gleichbleibend bei rund 57 Prozent. Wie bereits 2015 ha-ben auch 2016 rund 86 Prozent der Studierenden die Zweite Juristische Staatsprüfung erfolgreich abgelegt, 56,4 Prozent von ihnen sind Frauen und damit 0,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Und immerhin knapp 35 Prozent der Anwälte waren im Jahr 2017 nach Angaben der Bundesrechtsanwaltskammer weiblich.

WAHL DER RECHTSGEBIETE ALS WICHTIGER FAKTOR

Wie also haben es Frauen an die Spitze der Rechtsabteilung geschafft, was haben Sie möglicherweise anders gemacht und wie erleben sie ihre Rolle als weibliche Führungskraft im Vergleich zu den männlichen Kollegen und Mitarbeitern?Dr. Friederike Rotsch, die seit April 2014 Group General Coun-sel bei der Merck KGaA ist und neben Legal auch Compliance, Trademarks und den Datenschutz verantwortet, hat die Erfah-rung gemacht, dass sich die Wahrnehmung von ihr als Frau in der Großkanzlei Anfang der 2000er Jahre im Vergleich zu ihrer jetzigen Tätigkeit im Unternehmen deutlich unter-

„In Deutschland haben wir den Anspruch,

30 Prozent aller Leitungsfunktionen mit

Frauen zu besetzen.“

Dr. Claudia Junker,

General Counsel, Deutsche Telekom AG

JOB & KARRIERE unternehmensjurist

72 Ausgabe 4/2019

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sive Assistenz sind weiblich, aber auch bei den Juristen liegen wir bei über 50 Prozent.“ International seien sogar 58 Prozent der General Counsel Frauen. „In Deutschland haben wir den Anspruch, 30 Prozent aller Leitungsfunktionen mit Frauen zu besetzen.“ Gefragt nach Tipps für Frauen, die es an die Spitze der Rechtsabteilung schaffen wollen, sagt Junker: „Ich habe mich im Studium angestrengt, zwei Jahre im Ausland studiert und auch sehr viel gearbeitet.“ Hilfreich sei zudem ihre Spezi-alisierung auf M&A und Corporate gewesen. „Grundsätzlich glaube ich, dass es ähnliche Erfolgsfaktoren für Frauen wie Männer gibt.“ So helfe es, organisiert und strukturiert zu sein und Menschen zu mögen. „Letztlich geht es zu größten Teilen um Planung, Arbeit und Talent.“ Karriere machen könnten bei ihr beide Geschlechter gleichermaßen. „Auf Nachwuchs nehme ich Rücksicht und ermögliche auch Leitungsfunk-tionen mit einer reduzierten, zum Beispiel 75-prozentigen Arbeitszeit.“

MÄNNER VERMARKTEN SICH BESSER

Auf die Frage, was Frauen anders machen als Männer, sagt Ste-phanie Reichel, General Counsel der Zurich Gruppe Deutsch-land: „Ich glaube, dass das eigene Verhalten grundsätzlich eher vom persönlichen Typ als vom Geschlecht beeinflusst wird.“ Dennoch sei sie davon überzeugt, dass gewisse stereotypische Merkmale wie beispielsweise eine stärker ausgeprägte Empa-thie, auch Eingang in berufsspezifisches Verhalten finden.Warum es nach wie vor weniger Frauen als Männer in der Lei-tung von Rechtsabteilungen gibt, erklärt sich Reichel so: „Die Quote ist aus meiner Sicht nicht spezifisch für das Berufsbild

„Ich glaube, dass das eigene Verhalten

grundsätzlich eher vom persönlichen Typ als

vom Geschlecht beeinf lusst wird.“

Stephanie Reichel,

General Counsel, Zurich Gruppe Deutschland

unternehmensjurist JOB & KARRIERE

scheidet: „In der Kanzlei gab es damals eine unterbewusste geschlechtsspezifische Voreingenommenheit, das ist hier ganz anders.“ Ein wichtiger Faktor sei für ihre Karriere die Wahl der Rechtsgebiete gewesen: „Mit Gesellschaftsrecht und M&A ist die Visibilität im Vorstand vergleichsweise groß“, sagt Rotsch. „Wer federführend Transaktionen betreut, kann sich nicht verstecken.“ Grundsätzlich habe ihr Geschlecht für sie zwar nie eine Rolle gespielt, aber dennoch: „Frauen müssen besser sein als Männer, daran hat sich nichts geändert.“ Obwohl ein Klischee, glaubt sie, dass Frauen tendenziell nicht so gut trom-meln könnten wie Männer. Dabei werde das umso wichtiger, je weiter es nach oben gehe. „Erfolge werden nicht automatisch gesehen, sondern müssen gezeigt werden.“ Das habe auch sie erst lernen müssen und wirke sich auch auf das Entgelt aus.Dr. Claudia Junker ist seit November 2010 General Counsel der Deutschen Telekom AG. „Die Leitung einer Rechtsabteilung mit 200 Mitarbeitern zu übernehmen, habe ich nie geplant, aber als ich nach mehr als einem Jahrzehnt als Anwältin und Partnerin für M&A und Corporate gefragt wurde, hat mich die große Bandbreite an Themen gereizt.“ Dabei sieht sie sich nicht als gute Selbstvermarkterin und das sei vielleicht auch einer der Unterschiede im Vergleich zu Männern: „Für mich ist oberstes Leitmotiv, in der Sache alles richtig zu machen, politisches Kalkül eher weniger“, so Junker. „Und ich kann mir vorstellen, dass das bei Frauen stärker ausgeprägt ist.“Bei der Chancengleichheit sieht sie die Telekom auf gutem Kurs: „59 Prozent der Personen in der Rechtsabteilung inklu-

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JOB & KARRIERE unternehmensjurist

des General Counsel, sondern spiegelt den leider immer noch geringeren Anteil von Frauen in Führungspositionen in der deutschen Wirtschaft wider.“ Überdies beobachte sie, dass viele Frauen zu der Annahme neigen, dass man ihre sehr gute Leistung und ihre Führungs- und Karriereambitionen schon wahrnehmen und berücksichtigen werde. „Männer vermark-ten sich und ihre Ansprüche und Ambitionen im Vergleich dazu häufig offensiver und selbstbewusster und bringen sich dadurch für mögliche Karriere- und Nachfolgepositionen aktiv in Position“, sagt Reichel. „Meiner Meinung nach sind Frauen diesbezüglich vielleicht häufig zu passiv.“Extrem wichtig in allen Unternehmen und Positionen seien Netzwerke, deren Bedeutung häufig unterschätzt werde. Ebenso könnten Coaching und Mentoring sowohl für die persönliche Weiterentwicklung als auch für den Auf- und Ausbau eines ei-genen Netzwerks eine wichtige Rolle spielen. „Wichtig erscheint mir dabei aber, dass die Zielsetzung klar definiert ist und sowohl Mentor als auch Mentee miteinander vertrauensvoll daran ar-

NOCH AUFHOLBEDARF

Mitgliederverteilung des BUJ:

• 61 Prozent männlich, 39 Prozent weiblich

• Führungsebenen der weiblichen Mitglieder:

Leiterin der Rechtsabteilung: 16 Prozent

Leitende Funktion/Bereichsleitung: 13 Prozent

Sonstige: 71 Prozent

(Zahlen: BUJ e. V.)

beiten wollen“, so Reichel. „Dann ist es auch nicht wirklich we-sentlich, ob wir über Frauen oder Männer oder ‚Cross-Coaching‘ reden, reine Pro-forma-Programme oder Lippenbekenntnisse helfen hingegen nicht wirklich weiter.“Nicole Weyde, seit Ende 2016 Leiterin der Rechtsabteilung bei Paypal Deutschland, ist für ein sechsköpfiges Juristenteam in Deutschland, Österreich und der Schweiz verantwortlich, da-runter fünf Frauen und ein Mann. „Letztlich sehe ich meinen Berufsweg als schicksalshaften Verlauf, in dem ich entweder durch mein Zutun oder durch Fügungen in neue Positionen gekommen bin“, berichtet Weyde. „Dass ich als Frau Dinge anders mache, als Männer, glaube ich nicht. Ich habe extra im Team nachgefragt.“ Und auch sie selbst fördere ihre Mitarbeiter entsprechend der Stärken und unabhängig vom Geschlecht. Ihre Vorgänger seien auch Frauen gewesen und die General Counsel von Paypal ist ebenfalls eine Frau – und das, obwohl es eigentlich eine Männerbranche sei. Auch insgesamt sei Paypal in dieser Hinsicht schon gut aufgestellt: „37 Prozent der weltweiten Vizepräsidentenfunktionen entfielen 2018 auf Frauen, ebenso wie 36 Prozent der Direktoren und auf den Ebenen darüber“, so Weyde. Ein wichtiger Aspekt sei das An-gebot von Teilzeit: „Frauen mit Kindern in Teilzeit sind meist hervorragend und teils besser organisiert als ihre Kolleginnen“, sagt Weyde. „Ich fördere daher die Arbeit in Teilzeit – derzeit sind es zwei Mitarbeiterinnen – sehr, auch aus eigener Erfah-rung.“ Um eine Rechtsabteilung zu leiten, sind ihrer Ansicht nach vor allem Sprachkenntnisse, ein Auslandsaufenthalt und Erfahrungen aus großen Unternehmen wichtig. Zu einem bestimmten Zeitpunkt würden auch eine Spezialisierung und eine Nische helfen, vor allem brauche man jemand, der oder die einen empfiehlt. „All das gilt aber für Frauen wie für Männer.“

„Auch Netzwerke können insbesondere

bei der Jobvermittlung hilfreich sein,

aber unabhängig vom Geschlecht.“

Julia Salomon,

Rechtsanwältin, Leiterin der Rechtsabteilung,

Hamburg Messe und Congress

„Am wichtigsten ist es, dass die Unter neh mens-

philosophie darauf ausgelegt ist,

Männer und Frauen gleichzubehandeln.“

Christiane Dahlbender, Associate General Counsel Compliance

EMEA & Global Sales, Mars Inc.

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76 Ausgabe 4/2019

JOB & KARRIERE unternehmensjurist

× Nur 13 Prozent der General Counsel waren 2017

weib lich, auf der ersten Leitungsebene darunter waren es

28 Prozent.

× Wer als Frau an die Spitze einer großen Rechtsabteilung

will, sollte sich auf Rechtsgebiete wie Gesellschaftsrecht

und M&A spezialisieren.

× Frauen machen tendenziell zu wenig auf sich und ihre

Erfolge aufmerksam.

× Netzwerke, Coaching und Mentoring können Frauen auf

dem Weg nach oben unterstützen.

× Die Möglichkeit, in Teilzeit auch in einer Führungsposition

zu arbeiten und somit nicht zu lange aus dem Beruf aus-

zusteigen, fördert die Karrieremöglichkeiten von Juristinnen.

Die Rechtsanwältin Julia Salomon ist seit 2011 Leiterin der Rechtsabteilung der Hamburg Messe und Congress (HMC) mit derzeit zwei Mitarbeitern und einer Praktikantin. Rück-blickend stellt sie fest: „Meine kaufmännische Ausbildung vor dem Studium hat sich als ebenso hilfreich erwiesen wie die Zeit in den USA mit meiner Tätigkeit für eine Wirtschafts-kanzlei und der L.L.M.-Studiengang.“ Als sie ihre zwei Kinder bekam, setzte sie nur kurz aus und arbeitete in Teilzeit. „Das war auch später als Führungskraft bei der HMC möglich, sogar mit Homeoffice, was damals noch nicht üblich war.“ Ihr Rat: „Bei Kindern sollten Frauen mit Karrierezielen nicht so lange aussetzen. Man kommt sonst zu sehr raus.“

UNTERNEHMENSPHILOSOPHIE ENTSCHEIDEND

Als Gleichstellungsbeauftragte ist sie stolz darauf, dass der Frauenanteil in der Führungsebene der HMC inzwischen bei 40 Prozent liegt. „Wir sind damit eins der Beteiligungsunter-nehmen in Hamburg, die die Quote erfüllen“, unterstreicht Salomon. Gemeinsam mit der Personalabteilung hat sie vor zwei Jahren die Möglichkeit, einmal pro Woche vom Ho-meoffice aus zu arbeiten, für alle Mitarbeiter durchgesetzt. „Wahrgenommen wird das tendenziell aber eher von Frauen.“Sie selbst habe sich in ihrer Berufslaufbahn als Frau und Mutter nie benachteiligt gefühlt. Unterschiede zwischen weib-lichen und männlichen Führungskräften gibt es ihrer Ansicht nach zwar schon. „Die sind aber nicht geschlechtsspezifisch.“ Deshalb seien auch ihre Tipps an Unternehmensjuristen nicht geschlechtsspezifisch: Wichtig sei, sich zusätzliche Kenntnisse anzueignen, mehrere Unternehmen kennenzulernen und speziell für die Rechtsabteilung Fremdsprachenkenntnisse.

„Auch Netzwerke können insbesondere bei der Jobvermittlung hilfreich sein, aber unabhängig vom Geschlecht.“Offen für die Unterstützung durch Frauen und Männer ist auch die Fachgruppe All4Women des BUJ. Geleitet wird sie von Christiane Dahlbender, Associate General Counsel Compliance EMEA & Global Sales bei Mars. Gefragt nach ihrer persönlichen Karriereplanung meint Dahlbender, dass so etwas eigentlich gar nicht möglich sei. Wichtig sei es, einen inneren Kompass zu haben und damit zu wissen: Was will ich langfristig erreichen? Möchte ich national oder auch international tätig sein? Möchte ich Verantwortung übernehmen? „Das geht am besten, wenn man verstanden hat, wie man tickt“, meint Dahlbender. „Ich hatte beispielsweise immer ein paar zentrale Ziele vor Augen: Verantwortung übernehmen und in einem internationalen Arbeitsumfeld beschäftigt sein“. Als dann vor acht Jahren ein Headhunter auf sie zukam und ihr eine entsprechende Position bei Mars anbot, gab es grundsätzlich ein verstandesmäßig klares Ja, allerdings auch Punkte, die sie zunächst zögern ließen: „Ich leitete damals seit zwölf Jahren die DACH-Rechtsabteilung eines amerikanischen Unternehmens, ich kannte alle Kollegen, alle kannten mich – eigentlich eine sehr angenehmen Situa-tion“, berichtet Dahlbender. Aber die neue Aufgabe reizte sie, auch wenn sie einen längeren Arbeitsweg, mehr Dienstreisen und natürlich die Ungewissheit mit sich brachte, ob alles so gut funktionieren würde, wie beim bisherigen Arbeitgeber. Frauenförderung um jeden Preis hält sie allerdings für un-glaubwürdig. „Eine Quote ist gut, um Türen zu öffnen, be-weisen muss sich aber jede Frau wie jeder Mann selbst“, so Dahlbender. „Am wichtigsten ist es, dass die Unternehmens-philosophie darauf ausgelegt ist, Männer und Frauen gleich zu behandeln. Dann muss dies auch für jeden Entscheidungs-prozess die Grundlage sein.“π Claudia Behrend

„Dass ich als Frau Dinge anders mache

als Männer, glaube ich nicht.

Ich habe extra im Team nachgefragt.“

Nicole Weyde,

Leiterin der Rechtsabteilung, PayPal Deutschland