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Unverkäufliche Leseprobe aus: Rose, Ausländer Gedichte Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektroni- schen Systemen. © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Unverkäufliche Leseprobe aus:

Rose, Ausländer

Gedichte

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung von Text und Bildern, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektroni-schen Systemen.

© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main

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Alles kann Motiv sein

Warum ich schreibe?Weil Wörter mir diktieren: schreib uns. Sie wollenverbunden sein, Verbündete. Wort mit Wort mitWort. Eine Wortphalanx für, die andere gegen mich.Ins Papierfeld einrücken wollen sie, da soll derKampf ausgefochten werden. Ich verhalte mich oftskeptisch, will mich ihrer Diktatur nicht unterwer-fen, werfe sie in den Wind. Sind sie stärker als er,kommen sie zu mir zurück, rütteln und quälen mich,bis ich nachgebe. So, jetzt laßt mich in Frieden. AberWörter sind keine fügsamen Figuren, mit denen mannach Belieben verfahren kann. Ich hätte sie mißver-standen, behaupten sie, sie hätten es anders gemeint.Sie seien nicht auf der richtigen Stelle untergebracht,murren sie. Scheinheilige, die friedfertig und unbe-wegt auf der weißen Fläche stehen. Das ist Täu-schung. Hart sind sie, auch die zartesten. Wir sehenuns an, wir lieben uns. Meine Bäume, meine Sterne,meine Brüder: in diesem Stil rede ich zu ihnen. Siedrehen den Stil um, greifen mich an, zwingen mich,sie hin- und herzuschieben, bis sie glauben, den ih-nen gebührenden Platz eingenommen zu haben.Warum schreibe ich? Weil ich, meine Identität su-chend, mit mir deutlicher spreche auf dem wortlosenBogen. Er spannt mich. Ich bin gespannt auf dieWörter, die zu mir kommen wollen. Ich rede mit ih-

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nen zu mir, zu dir, rede dir zu, mich anzuhören. DieWelt stellt mir hinterlistige Fragen. Meine Wörterantworten ihr offenherzig mit Fragen. Geheim-schriftlich blättert sich mein Leben ab, Blatt für Blatt:Jahre, die sich Verse auf das undurchdringliche Wo-her – Wohin? machen. Ich lege Rechenschaft ab, übermich, meine Umgebung, Zustände, Zusammenhän-ge. Meine Wörter wollen gebucht werden: Soll undHaben. Du sollst uns haben, sagen sie, wenn du unsins Buch einträgst. Ich sträube mich. Ich denke vieleGedichte und Geschichten, schreibe nur einen klei-nen Bruchteil davon. Warum?Weil. Erklärungen sind nur ein kleiner Bruchteil derWahrheit.Warum schreibe ich? Vielleicht weil ich in Czerno-witz zur Welt kam, weil die Welt in Czernowitz zumir kam. Jene besondere Landschaft. Die besonde-ren Menschen. Märchen und Mythen lagen in derLuft, man atmete sie ein. Das viersprachige Czerno-witz war eine musische Stadt, die viele Künstler,Dichter, Kunst-, Literatur- und Philosophieliebha-ber beherbergte. Sie war die Wahlstadt des großarti-gen jiddischen Fabeldichters Elieser Steinberg. Siehat den bedeutendsten jiddischen Lyriker Itzig Man-ger und zwei Generationen deutschsprachiger Dich-ter hervorgebracht. Der jüngste und wichtigste warPaul Celan, der älteste Alfred Margul-Sperber, der1968, neunundsechzigjährig, in Bukarest starb, ein in

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Rumänien und in der DDR hochangesehener Lyrikerund Übersetzer. Er war mein Entdecker und stelltemeinen ersten Lyrikband zusammen, der unter demTitel Der Regenbogen 1939 in Czernowitz erschien.Mein frühes Interesse galt der Philosophie. DieWahlphilosophen Benedikt Spinoza (der sich seinenLebensunterhalt als Brillenschleifer verdiente) undder große Berliner Denker Constantin Brunner ha-ben meinem Denken ein Fundament gegeben. Einesmeiner damaligen Gedichte begann: »Mein Heiligerheißt Benedikt. / Er hat das Weltall / klargeschlif-fen.« Die später entstandenen Essays über Spinoza,Brunner, Platon (Phaidros), Freud (Angst), meineLyrikmanuskripte, Tagebücher, Briefe sowie die Ge-samtauflage des Regenbogen sind dem Krieg zum Op-fer gefallen.Mit siebzehn Jahren fing ich an, Notizen, Einfälle,Verse in ein Tagebuch einzutragen. Bald stand es fürmich fest, daß Lyrik mein Lebenselement war. Jah-relang schrieb ich Gedichte, lyrische Prosa, rhyth-mische Texte, auch ein paar Märchen. Manches ver-traute ich der Schublade an, den Rest schenkte ichdem Papierkorb. Viele Dichter und Schriftsteller wa-ren mir wichtig, aber von Hölderlin und Kafka gin-gen die nachhaltigsten Impulse aus. Es folgte einePhase verschiedenartiger Versuche in freien und ge-bundenen Versen, viele gereimt. Unser Sprachmei-ster Karl Kraus rühmte den Reim: »Er ist das Ufer,

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wo sie landen, / sind zwei Gedanken einverstanden.«Auch das Adjektiv spielte noch eine vitale Rolle. Wasspäter über uns hereinbrach, war ungereimt, so alp-druckhaft beklemmend, daß – erst in der Nachwir-kung, im nachträglich voll erlittenen Schock – derReim in die Brüche ging. Blumenworte welkten.Auch viele Eigenschaftswörter waren fragwürdig ge-worden in einer mechanisierten Welt, die dem»Mann ohne Eigenschaften«, dem entpersönlichtenMenschen gehörte. Das alte Vokabular mußte ausge-wechselt werden. Die Sterne – ich konnte sie auch ausmeiner Nachkriegslyrik nicht entfernen – erschienenin anderer Konstellation.Czernowitz 1941. Nazis besetzten die Stadt, bliebenbis zum Frühjahr 1944. Getto, Elend, Horror, Todes-transporte. In jenen Jahren trafen wir Freunde unszuweilen heimlich, oft unter Lebensgefahr, um Ge-dichte zu lesen. Der unerträglichen Realität gegen-über gab es zwei Verhaltensweisen: entweder mangab sich der Verzweiflung preis, oder man übersie-delte in eine andere Wirklichkeit, die geistige. Wirzum Tode verurteilten Juden waren unsagbar trost-bedürftig. Und während wir den Tod erwarteten,wohnten manche von uns in Traumworten – unsertraumatisches Heim in der Heimatlosigkeit. Schrei-ben war Leben. Überleben.». . . Auf den flüchtenden Kähnen / löschen die Wim-pel den Traum, von den Himmeln . . .« – ». . . daß die

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unsichtbaren Gestirne aufblühen.« Diese und vieleandere Verse las mir ein junger Mann vor, den 1944ein Freund zu mir brachte: Paul Antschel-Celan. AlsRevanche las ich das nächste Mal meine neuentstan-denen Gedichte, die er sehr lobte.Ende 1946. Einwanderung in die USA. Existenz-kampf. Umorientierung. Provokation. Die neue Weltder modernen amerikanischen und englischen Lite-ratur war ein frischer erregender Antrieb. Nachmehrjährigem Schweigen überraschte ich mich einesAbends beim Schreiben englischer Lyrik. Einer mei-ner ersten Englischtexte fing an: »Looking for a finalstart« (Ich suche einen endgültigen Beginn). Vielejener Gedichte sind in amerikanischen Literaturzeit-schriften erschienen, manche hat der RundfunkWEVD gesendet. Warum schreibe ich seit 1956 wiederdeutsch? Mysteriös, wie sie erschienen war, ver-schwand die englische Muse. Kein äußerer Anlaß be-wirkte die Rückkehr zur Muttersprache. Geheimnisdes Unterbewußtseins. Erst 1957 machte ich Be-kanntschaft mit der deutschen Gegenwartslyrik. Ver-wandelt tauchte die versunkene Welt wieder empor:in ein anderes Licht. Veraltete Formen waren in denSchatten getreten. Viele dieser modernen deutschenGedichte wurden für mich von bleibender Bedeu-tung.1957. Zwei Wochen in Paris. Paul Celan lud michmehrere Male zu sich ein, las mir viel Neuentstan-

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denes vor, Gedichte, die später im Sprachgitter er-schienen sind. Er fragte nach meinen neuen Arbei-ten. Zögernd zeigte ich ihm sechs Texte. Er reagiertesofort nach dem Lesen: »Das unhörbare Herz, Atlan-tis, Ruf und Kristall und Eingeschneit sind sehr, sehr,sehr schön. Auch Blinder Sommer ist ein gutes Ge-dicht.« Das sechste gab er mir wortlos zurück. Kurzdanach las ich Mohn und Gedächtnis und Von Schwel-le zu Schwelle: ein neues Modell poetischer Evokati-on. Celans sprachschöpferischer Existentialismuswar überzeugend. Der Tod hatte seinen besten Dich-ter ins Leben gerufen.Meine bevorzugten Themen? Alles – das Eine unddas Einzelne. Kosmisches, Zeitkritik, Landschaften,Sachen, Menschen, Stimmungen, Sprache – alleskann Motiv sein. Im Sinne gesellschaftlicher Zusam-mengehörigkeit ist meine Lyrik engagiert. Aus derEigenart und Intensität einer Erfahrung, eines Ein-falls, ergibt sich die äußere und innere Form des Tex-tes. Oft habe ich mich gefragt, was dieses Schreibeneigentlich sei, und habe mir verschiedene Antwortengegeben. Bei der kürzesten bin ich geblieben: Schrei-ben ist ein Trieb. Der Dichter, der Schriftsteller mußessen, sich bewegen, ruhen, denken, fühlen undschreiben – schreiben, was seine Gedanken und Ein-bildungskraft ihm vorschreiben.Warum ich schreibe? Ich weiß nicht.

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Bukowina I

Tannenberge. Grüne Geister:In Dorna-Vatra würzen siedas Harzblut. Alte Sommermeistertreten an ihre Dynastie

Felder im Norden. Buchenschichtenum Czernowitz. Viel Vogelschaumum die Verzauberten, die den Gesichtenvertrauen, ihrem Trieb und Traum.

Die Zeit im Januarschnee versunken.Der Atem raucht. Die Raben krähn.Aus Pelzen sprühen Augenfunken.Der Schlitten fliegt ins Sternverwehn.

Der Rosenkranz in Weihrauchwogenrinnt durch die Finger. Sagentumund Gläubige. In Synagogensingen fünftausend Jahre Ruhm.

Pruth

Da zirpten die Kiesel im Pruthritzten flüchtige Muster inunsre Sohlen

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Narzisse wir lagen im Wasserspiegelhielten uns selbst im Arm

Nachts vom Wind bedecktBett mit Fischen gefülltGoldfisch der Mond

Schläfenlockengeflüster:der Rabbi in Kaftan und Stramelvon glückäugigen Chassidim umringt

Vögel – wir kennen nichtihre Namen ihr Schreilockt und erschrecktAuch unser Gefieder ist fertigwir folgen euchüber Kukuruzfelderschaukelnde Synagogen

Immer zurück zum Pruth

Flöße(aus Holz oder Johannisbrot?)pruthabWohin ihr Eilendenund wir hier alleinmit den Steinen?

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Im Chagall-Dorf

Schiefe Giebelhängen amHorizont

Der Brunnen schlummertbeleuchtet vonKatzenaugen

Die Bäuerinmelkt die Ziegeim Traumstall

Blauder Kirschbaum am Dachwo der bärtige Greisgeigt

Die Brautschaut ins Blumenaugschwebt auf dem Schleierüber der Nachtsteppe

Im Chagall-Dorfweidet die Kuhauf der Mondwiesegoldne Wölfebeschützen die Lämmer

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Rareu

Mach leicht meine Landschaftsie liegt mirals Höcker auf dem Rücken

Heimat?Passen die Stücke zusammendie grünen die roten?Mach leicht meine Wahl

Ich brachte dich zum RareuRübezahlweißt du noch?Purpurn der RauchSonne bestieg den Gipfeldu tratst in den Bergspalt zurück

Dorniger DurstAus dem Himbeerblutwinkte der Wurm

Mach leicht jene Lichtungdas grüne Oval unddie Hirschkuhimmer erreicht mich ihr Blick

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Inhalt

Grüne MutterBukowina 5

Mit meinem Seidenkofferreise ich in die Welt 51

Altersgenossenwir haben ein Spielin der Luft 67

Mein Heiligerheißt Benedikt 103

Damit kein Licht uns liebe 121

Die zersplitterten Söhneim Schloß 158

Bruder im Exil 173

Schwarz auf weiß 221

Mutter Sprache 235

du und du und du 275

Genug Herz verschleudert 289

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Anhang

Editorische Notiz 333

Alphabetisches Verzeichnisnach Gedichttiteln 339

Alphabetisches Verzeichnisnach Gedichtanfängen 346