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Zeitschri des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts R g geschichte Rechtsgeschichte www.rg.mpg.de http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg15 Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte Rg 15 (2009) http://dx.doi.org/10.12946/rg15/062-076 Rg 15 2009 62 – 76 Erk Volkmar Heyen Gruppenbild mit Dame: »Das Gericht der Brabanter Münzergilde « von Maarten de Vos (1594) Dieser Beitrag steht unter einer Creative Commons cc-by-nc-nd 3.0

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Zeitschri des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte Rechts Rggeschichte

Rechtsgeschichte

www.rg.mpg.de

http://www.rg-rechtsgeschichte.de/rg15

Zitiervorschlag: Rechtsgeschichte Rg 15 (2009)

http://dx.doi.org/10.12946/rg15/062-076

Rg152009 62 – 76

Erk Volkmar Heyen

Gruppenbild mit Dame: »Das Gericht der Brabanter Münzergilde« von Maarten de Vos (1594)

Dieser Beitrag steht unter einer

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Abstract

This article analyzes a painting by Maarten de Vos (1532–1603), the most distinguished Flemish painter before the Baroque period. Although rela-tively unknown among jurists, its legal iconogra-phy is remarkable. It combines a portrait of the members of a guild court and a highly elaborated allegory of justice: a Iustitia among Moses, Iusti-nianus, Numa Pompilius and Lycurgus. First, the painting is described according to the art-historical literature, which is mainly in Dutch. The critical comment which follows focuses on the identifica-tion of Lycurgus. In contrast to the other three ancient legislators, Lycurgus cannot be identified by an extract from a legal source but only by a depiction of animals. Until now, therefore, the view has prevailed that the representation is about Pliny the Elder and his »Naturalis Historia«. Con-trary to this view, the article tries to demonstrate that the depiction of animals (a dog is eating from a bowl, another is hunting a deer) refers to a para-ble which Lycurgus, as handed down by Plutarch, had invented to illustrate the political importance of education. Other visualizations of this parable by Caesar B. van Everdingen, Otto van Veen and Jan Saenredam are consulted for the purpose of comparison. Finally, the painting of de Vos is put into the tradition of Iustitia-allegories and group portraits, especially in Holland, Italy and France.

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Abb. 1: M. de Vos, Das Gericht der Brabanter Münzergilde, 1594; Öl auf Holz, 157 × 215 cm; Antwerpen, Rockoxhuis.

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Gruppenbild mit Dame:»Das Gericht der BrabanterMünzergilde« von Maartende Vos (1594)

I. Literarische Annäherung

In seinem unter rechtsikonographisch interessierten Juristenbekannten Buch über »Bilder von Recht und Gerechtigkeit« hatder Bielefelder Strafrechtler und Rechtsphilosoph Wolfgang Schilddas hier zu besprechende Bild von Maarten de Vos (Abb. 1) durcheine farbige Reproduktion besonders hervorgehoben.1 In der Bild-unterschrift werden als Titel »Die gerechten Richter von Brabant«und als Entstehungsjahr 1590 angegeben.2 Was mögen das fürRichter gewesen sein, fragt man sich. Leider gibt das Buch keineAntwort. Es fehlt überhaupt an einer näheren Kennzeichnung desBildes. An der einzigen Stelle, an welcher es im Text erwähnt wird,nennt Schild die porträtierten Personen überraschenderweise nichtmehr »Richter von Brabant«, sondern »Herren von Brabant«.3

Hatte das Herzogtum Richter, die man mit Recht so bezeichnenkann?

Da sich Schilds Buch an ein breites Publikum wendet, gibtes keinen den einzelnen Bildern zugeordneten wissenschaftlichenApparat, sondern nur bildübergreifende Literaturhinweise. In denHinweisen zum hier einschlägigen Kapitel findet sich keine Ver-öffentlichung, die auf das Bild eingeht. Von der vorangestelltenkapitelübergreifenden Literatur erfasst immerhin ein Buch desGenfer Strafrechtlers und Kriminologen Christian-Nils Robertdas Bild.4 Dort wird jedoch als Entstehungsjahr 1594 angegebenund als Titel »Les échevins de la Guilde des monnayeurs duBrabant«, ins Deutsche übertragen: »Die Schöffen der Münzer-gilde von Brabant«. Angesichts dieser Abweichungen liegt es naheanzunehmen, dass Schild sich nicht an der rechtsikonographischenFachliteratur orientiert hat, sondern an der allgemeinen kunst-historischen Literatur zu de Vos (1532–1603), des bedeutendstenflämischen Malers vor der Zeit des Barocks. Hier ist vor allem dieDissertation von Armin Zweite zu nennen, der die Gemälde von

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1 Wolfgang Schild, Bilder vonRecht und Gerechtigkeit, Köln1995, Farbtafel 24. Recht undGerechtigkeit im Spiegel der euro-päischen Kunst, hg. von Wolf-gang Pleister, WolfgangSchild, Köln 1988, ließ das Bildnoch unberücksichtigt.

2 So auch noch Wolfgang Schild,Das Portrait des gerechten Herr-schers, in: Bildnis und Image.Das Portrait zwischen Intention

und Rezeption, hg. von AndreasKöstler, Ernst Seidl, Köln u. a.1998, 65–84, 74.

3 Schild (Fn. 1) 153; Schild(Fn. 2) 74, nennt sie »Herrscherder Stadt«, wobei unklar bleibt,welche Stadt gemeint ist.

4 Christian-Nils Robert, La Jus-tice. Vertu, courtisane et bourreau[auf den Innenseiten sind dem Titelnoch die Worte »Une allégorie

parfaite« vorangestellt], Genf1993, 105 (Abb. 33).

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de Vos zu Beginn der 1970er Jahre erstmals systematisch erschlos-sen hat. Zweite meint, dass unser Bild, für das sich in Belgien derTitel »De Justitia van Antwerpen« eingebürgert habe, »zu Beginnder [15]90er Jahre vollendet« worden sei, und hält die porträ-tierten Personen für Mitglieder eines Gerichts, für dessen sichereBestimmung jedoch noch weitere archivalische Studien erforderlichseien.5 Diese Ausführungen passen im Wesentlichen zu der vonSchild vorgenommenen Datierung und Betitelung.

Allerdings hat Zweite einige Jahre später, als er die Dissertationin Buchform veröffentlichte, seine Annahmen präzisiert bzw. kor-rigiert.6 Als Erscheinungsjahr gilt ihm nunmehr 1594, und erbestimmt die porträtierten Personen als Mitglieder des Gerichtsder Münzergilde von Brabant, eines Gerichts, das mit dem Privilegder hohen Gerichtsbarkeit ausgestattet war und daher im ganzenHerzogtum für die eigenen Mitglieder und deren Familien sowieHausgesinde in vollem Umfang auch die Strafgerichtsbarkeit aus-üben durfte. Anlass für diese Veränderungen war das Erscheineneines Aufsatzes von Michel Jennes,7 der bei Gelegenheit archivali-scher Studien zur Geschichte Antwerpens auf einen Fund stieß,dessen Untersuchung hinsichtlich des Entstehungsjahres des Bildesund der Identität der porträtierten Personen zu eindeutigen undallseits anerkannten Ergebnissen geführt hat. Der von Zweitenunmehr vorgeschlagene Titel »Die Schöffen der Brabanter Mün-zergilde« überzeugt insofern, als der Gildenbezug des Gerichts klarzum Ausdruck kommt, doch ist die Eingrenzung auf Schöffen zueng. Denn Jennes hat im Zusammenhang mit den Namen derporträtierten Personen auch deren unterschiedliche Funktioneninnerhalb des Gerichts herausgefunden. Seiner Quelle zufolge sindauf dem Bild zwei Vorgesetzte (»praepositi«), sieben Schöffen(»jurati«) und ein Bote (»viator«) zu sehen.8 Es erscheint daherangemessener, statt von »Schöffen« allgemeiner von »Gericht« zusprechen.9

Die Fachliteratur ist jedoch nicht auf dem Kenntnisstand vonZweite und Jennes geblieben. Juliaan H. A. de Ridder hat das Bildnoch erheblich genauer erschlossen.10 Ich werde daher das Bildzunächst auf der von ihm erarbeiteten Grundlage beschreibenund deuten (II), um dann hinsichtlich zweier Aspekte eine vonde Ridder abweichende Auffassung zu entwickeln (III). Abschlie-ßend wird das Bild in seiner Eigenart im Vergleich zu anderenGruppenporträts und Gerechtigkeitsallegorien gewürdigt (IV).

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5 Armin Zweite, Studien zu Mar-ten de Vos. Ein Beitrag zur Ge-schichte der Antwerpener Malereiin der zweiten Hälfte des 16. Jahr-hunderts, Diss. phil. Göttingen1974, 259–268, insbesondere266–268.

6 Armin Zweite, Marten de Vos alsMaler. Ein Beitrag zur Geschichteder Antwerpener Malerei in derzweiten Hälfte des 16. Jahrhun-derts, Berlin 1980, 251–258, ins-besondere 257 f., und 303–304.Zweites Buch ist nach wie vor,wenngleich in Einzelheiten veral-tet, die grundlegende Monogra-phie zum malerischen Werk vonde Vos. Zum ebenfalls bedeuten-den graphischen Werk siehe Holl-stein’s Dutch & Flemish etchings,engravings and woodcuts 1450–1700, vols. XLIV–XLVI: Maartende Vos, hg. von Dieuwke deHoop Scheffer, Rotterdam1995–1996.

7 Michel Jennes, Een schilderijvan Maarten de Vos voor derechtbank van de BrabantseMunters, in: Jaarboek 1978.Koninklijk Museum voor SchoneKunsten, Antwerpen, 41–50.

8 Ebd., 44, 49.9 So auch Jennes, wenn er im Titel

seines Aufsatzes von »rechtbank«spricht. In der von ihm gewähltenBildunterschrift hingegen kommtstatt der Organisation die Tätig-keit zum Ausdruck: »De recht-spraak van de Brabants munters«(ebd., 42). Die Quelle selbst sprichtvon einem »pub[licum] colleg[ium]monetar[ium]« (ebd., 44, 49).

10 Siehe zunächst: Juliaan H. A.de Ridder, Gerechtigheidstafe-relen in de 15de en de 16de eeuw,geschilderd voor de schepenhuizenin Vlaanderen, in: Gentse Bijdra-gen tot de Kunstgeschiedenis 25(1979/1980) 42–62 (55–60; Bild-titel: »De Vierschaar van de Bra-banter Munters«); bemerkens-werterweise wird dieser Aufsatzbereits im Literaturverzeichnis vonRecht und Gerechtigkeit (Fn. 1)279, aufgeführt und auch vonSchild (Fn. 1) genannt, jedochnicht im Literaturverzeichnis fürdas fünfte, das Bild von de Vosbetreffende Kapitel, sondern fürdas siebte. Sodann, wesentlichausführlicher und auch mit De-tailabbildungen versehen: ders.,

De Vierschaar van de BrabantseMunt te Antwerpen, een Gerech-tigheidstafereel door Maarten deVos, in: Jaarboek 1984. Konink-lijk Museum voor Schone Kuns-ten, Antwerpen, 219–251; wiederabgedruckt, mit geringen Verän-derungen in der Fußnotenzählungund Satzverschiebungen vomHaupttext in die Fußnoten: ders.,Gerechtigheidstaferelen voorschepenhuizen in de Zuidelijke

Nederlanden in de 14de, 15de en16de eeuw (= Verhandelingen vande Koninklijke Academie voorWetenschapen, Letteren en SchoneKunsten van België, Klasse derSchone Kunsten, Jaargang 51,Nr. 45), Brüssel 1989, 119–142(Bildtitel: »Brabantse Munters-eed«; »eed«, wie auch »serment«,bezeichnet hier die vereidigte»vierschaar«, also das Gericht;siehe ebd., 137).

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II. Beschreibung auf der Grundlage des Forschungsstandes

Auf der Mittelachse einer symmetrisch angelegten Komposi-tion präsentiert sich eine allegorische Frauengestalt – an Waageund Schwert, ihren Attributen, leicht als Justitia zu erkennen – miteiner beschwingten, manieristisch gestalteten Körperbewegung inkostbarem Kleid, dessen warmes Kolorit kennzeichnend für dasWerk von de Vos ist. Ihr Blick wendet sich zu einem überirdischstrahlenden Himmel empor, während sie von Putti, die auch Palm-und Ölzweige sowie Rosen und Veilchen herbeitragen, mit einemLorbeerkranz bekrönt wird. Der linke Fuß weist auf eine girlanden-geschmückte kleine Mauer, welche die leicht erhöhte Stellung derJustitia absichert und von zwei janusköpfigen Stelen umfasst wird.Links und rechts kauern nackt und gefesselt zwei Lasterfiguren,nämlich einerseits eine junge schöne Frau, die am Hinterkopfjedoch die Maske einer boshaften Alten trägt und so Falschheitund Hinterlist verkörpert, und andererseits, als Sinnbild maßloserGewalt, ein kräftiger Krieger. Beide haben ihre Macht verloren underleiden nun am eigenen Leib, was ihr Handeln kennzeichnet:Die Frau erscheint im eigenen Netz verfangen und der Mann,nachdem er seine Waffen niederlegen musste, in Ketten geschlagenund geblendet.

Diese zentrale Gruppe allegorischer Figuren wird von insge-samt vier historischen Persönlichkeiten flankiert, von denen drei –inzwischen unstrittig – einen Bezug zur Gesetzgebung aufweisen.Zur Rechten von Justitia, ganz außen, sieht man Moses, erkennbarzum einen an seiner gehörnten Stirn – eine überkommene Ikono-graphie, die freilich wohl auf einem Fehler der ersten lateinischenÜbersetzung (Vulgata) des hebräischen Alten Testaments beruhte –und zum anderen an den beiden aufrecht gestellten Steinen, aufdenen in hebräischer Schrift, aber in einer katholischen Textver-sion,11 ein Auszug aus der Zweiten Tafel der Zehn Gebote, die sichauf das Handeln der Menschen untereinander bezieht, dargebotenwird. Neben Moses sitzt, prächtig gekleidet, Kaiser Justinian. Aufder Pergamentrolle, die er in der rechten Hand hält, findet sichnicht nur sein Name vermerkt, sondern auch ein Auszug ausseinem Codex (1, 17, 2, 23), der in leicht gekürzter Fassung dieInkraftsetzung der Digesten verkündet.12

Zur Linken von Justitia ist ein weiterer Gesetzestext zu lesen,und zwar ein Auszug aus den frührömischen Leges Regiae.13 Da

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11 Ausführliche Textrekonstruktionbei de Ridder, Gerechtigheids-taferelen voor schepenhuizen(Fn. 10) 121 ff.

12 Zur genauen Textgestalt sieheebd., 127 f.; vgl. dazu Zweite(Fn. 6) 252.

13 Ausführlich de Ridder, Gerech-tigheidstaferelen voor schepenhui-zen (Fn. 10) 129 f.; vgl. dazuZweite (Fn. 6) 253 f.

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sie gegen Ende des 16. Jahrhunderts zu einem großen Teil NumaPompilius, dem nach der Romsage auf Romulus folgenden König,zugeschrieben wurden, ist der bärtige, lorbeerbekränzte Mann, dersich die Gesetzestafel in die Hüfte stemmt, mit diesem legendärenGesetzgeber zu identifizieren. Er soll – inspiriert von der NympheEgeria, die de Vos hier ebenfalls ins Bild gerückt hat14 – diekriegerischen Römer zur Beachtung von Religion und Recht erzo-gen haben. Auch wird von ihm berichtet, er habe die doppeltenPforten des Janus-Tempels, die in Kriegszeiten offen standen, nachseinem Regierungsantritt als Zeichen des Beginns einer Friedenszeitschließen lassen. Darauf nimmt die bereits erwähnte kleine Mauermit ihrer janusköpfigen Einfassung anscheinend Bezug. Durch ihremittige Platzierung unterhalb der Füße der Justitia deutet de Voszugleich den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Frieden an.Auch die Hintergrundlandschaft weist teilweise auf Numa Pompi-lius. Während oberhalb seiner Gesetzestafel Reiterstandbild undTriumphsäule des Kaisers Mark Aurel aus der zweiten Hälfte des2. Jahrhunderts erscheinen, ist unterhalb der Waagschalen derJustitia und vor einem Flusspanorama, das an den Tiber und seineBrücken denken lässt, der geschlossene Wagen des Jupiter-Priesters(Flamen Dialis) zu sehen, ein Amt, das Numa Pompilius zusammenmit anderen Priesterämtern geschaffen und selbst ausgeübt habensoll. Es handelt sich um einen sehr privilegierten Priester, dessenLebensführung allerdings mit vielen Einschränkungen belastet war.Sein Wagen, dem eine Tänzerin mit Zimbeln vorauseilt, währendauf dem Dach ein Mädchen einen Palmenzweig schwingt, wirdvon zwei Schimmeln gezogen und von einem Mann gelenkt, derals Zeichen der Amtsgewalt ein Rutenbündel trägt (lictor). Ander Seite schreiten zwei praeclaminatores, welche die Ankunft desPriesters kundtun, damit die anwesende Bevölkerung ihre Arbeitunterbrechen und so dem Priester den seinem Amt angemessenenEindruck eines Festtags vermitteln kann.

Die Identität der vierten, rechts außen sichtbaren Persönlich-keit zu bestimmen hat sich als schwierig erwiesen, da ein lesbarerText fehlt und stattdessen, als Grisaille auf dem Einband einesFolianten, zwei Hunde abgebildet sind, von denen der eine auseinem Napf frisst und der andere einen Hirsch jagt. De Riddervertritt mit Nachdruck die These, es handle sich um Plinius d. Ä.mit einem der Zoologie gewidmeten Band seiner enzyklopädischen»Naturalis Historia«.15 In der ausführlichen Begründung wird

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14 Es gibt gute Gründe anzunehmen,dass de Vos hier ein verstecktesPorträt von sich und seiner Ehe-frau angefertigt hat; siehe deRidder, Gerechtigheidstaferelenvoor schepenhuizen (Fn. 10) 129(Anm. 23) und 131 (Anm. 27),und auch schon Jennes (Fn. 7)44 f.

15 Ebd., 132 ff.

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darauf hingewiesen, dass Plinius d. Ä. sich in seiner Naturge-schichte neben der Tierwelt auch mit dem Münzwesen befassthat. Im Münzwesen sei ein Nebenthema des Bildes zu sehen, daes auch im politischen Handeln von Moses und Numa Pompilius,in dem de Ridder die Hauptfigur unter den vier historischenPersönlichkeiten sieht, eine Rolle gespielt hat.

III. Zwei kritische Fragen und zwei Vorschläge

Die Deutung der vierten Persönlichkeit als Plinius d. Ä. wecktZweifel. Hält man mit de Ridder das Münzwesen für ein Neben-thema des Bildes, so bleibt unverständlich, warum de Vos in deräußeren Gestaltung des Folianten statt auf Tiere nicht auf dasMünzwesen Bezug genommen hat und ein solcher Bezug auchsämtlichen Texten fehlt, die zur Kennzeichnung von Moses, Justi-nian und Numa Pompilius herangezogen worden sind. Darüberhinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, warum de Ridder mitPlinius d. Ä. eine Persönlichkeit annimmt, die aus der Reihe derGesetzgeber völlig herausfällt. Erscheint es nicht geradezu alszwingend, hier ebenfalls von einem antiken Herrscher auszugehen,der für seine Gesetzgebung berühmt war?

Jennes hat Salomo in Erwägung gezogen,16 doch lässt sichSalomo in keinen Zusammenhang mit dem unterschiedlichen Ver-halten zweier Hunde bringen. Zweite, der ebenfalls von einemweiteren Gesetzgeber ausgeht, hält es zutreffenderweise für vor-rangig, die beiden Hunde zu deuten, da sie offensichtlich demBildbetrachter die Identifizierung der Persönlichkeit erleichternsollen. Er bringt dafür eine Äsopsche Fabel ins Spiel, vermagdaraus aber nicht auf einen Gesetzgeber zu schließen.17

Doch gibt es einen antiken Herrscher, der durchaus in Betrachtkommt: Lykurg, ein wie Numa Pompilius legendärer Regent, indem sich – überliefert vor allem durch Plutarch – der frühe, biszum 5. Jahrhundert v. Chr. abgelaufene Verfassungs- und Rechts-bildungsprozess Spartas personifiziert hat. Da Lykurg im Gegen-satz zu Numa Pompilius keine bestimmten Gesetzestexte zugeord-net wurden, konnte de Vos die von ihm gewünschte Identifizier-barkeit nicht durch Präsentation eines Normauszugs sicherstellen.Wohl aber war dies möglich durch Bezug auf eine politischeMaxime, die man namentlich mit Lykurg in Verbindung zu bringen

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16 Jennes (Fn. 7) 41.17 Zweite (Fn. 6) 255 f.; von der

Grundannahme eines vierten Ge-setzgebers ging schon die Disser-tation – Zweite (Fn. 5) 264 – aus.

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pflegte, und zwar unter Erzählung eines von ihm eingeführten undim 16. Jahrhundert literarisch geläufigen und beliebten Gleich-nisses. Zur besseren Einprägung dieser Maxime, der zufolge derJugenderziehung in einem Gemeinwesen besondere Aufmerksam-keit zu widmen sei, soll Lykurg nämlich in öffentlicher Versamm-lung zwei Hunde, die aus demselben Wurf stammten, aber unter-schiedlich erzogen worden waren, mit einem gefüllten Napf undeinem flüchtenden Hasen konfrontiert und auf diese Weise de-monstriert haben, dass es den einen, der als Jagdhund ausgebildetworden war, zum Hasen zog, den anderen aber, den man verwöhnt

hatte, zum Napf. Damit zielte Lykurg auf diedauerhafte Gewinnung jener Tüchtigkeit, dieer für erforderlich hielt, um die Ordnung Spar-tas aufrechtzuerhalten, so dass volles Bürger-recht auch nur besitzen konnte, wer in jungenJahren durch gemeinschaftliche Erziehung zueben dieser Tüchtigkeit angehalten wordenwar. Es ist eine religiös gegründete kriegerischeTüchtigkeit, die sich in körperlicher Leistungs-fähigkeit, in Abhärtung und Ausdauer, aberauch im Gehorsam ausdrückt.

De Ridder ist die Möglichkeit einer Deu-tung der vierten Persönlichkeit als Lykurg be-kannt. Er erwähnt sie jedoch nur in einer Fuß-note und nennt dabei nur Gründe, die dagegenzu sprechen scheinen.18 Diese Gegengründebeziehen sich im Wesentlichen auf die Art derVisualisierung des Gleichnisses auf dem Ein-band des Folianten (Abb. 2): Es sei kein Hasezu sehen; die beiden Hunde seien nicht vonderselben Rasse; es fehlten die Zuschauer undZuhörer, und auch Lykurg selbst trete in der

Szene nicht auf; der sich auf den Folianten stützende, für Lykurggehaltene Mann trage keine spartanische Kleidung.

Diese Feststellungen sind richtig, schließen aber die vorge-nommene Identifizierung nicht aus. Am geringsten wiegt der Ein-wand unpassender Kleidung. Das mit Edelstein besetzte goldeneDiadem ist durchaus mit einem antiken Herrscher vereinbar – nichtdagegen, so ließe sich de Ridders Kritik gegen seine eigene Deutungwenden, mit einem Gelehrten, wie Plinius d. Ä. es war. Zuzugeben

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18 De Ridder, Gerechtigheidstafere-len voor schepenhuizen (Fn. 10)133 (Anm. 32). Nach der Formu-lierung der Fußnote zu urteilen,scheinen schon andere auf die Ideeeiner Deutung als Lykurg gekom-men zu sein. De Ridder nennt aberkeine Namen, so dass diese Auf-fassung wohl nur mündlich ge-äußert worden ist.

Abb. 2: Detail aus Abb. 1.

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ist, dass die Hermelinfütterung des Gewandes nicht auf das alteSparta deutet, sondern auf Mittelalter und Frühe Neuzeit.19 Es istaber zu bedenken, dass gegen Ende des 16. Jahrhunderts über dasHerrschergewand in Lykurgs Sparta nur Vages bekannt war undder Vorwurf des Anachronismus sich auch auf die Darstellung derKleidung von Moses und Numa Pompilius beziehen ließe, umderen Authentizität sich de Vos ebenfalls wenig gekümmert hat.

Den übrigen Einwänden ist entgegenzuhalten, dass der Kernvon Lykurgs Hundegleichnis – die Gegenüberstellung zweier aufunterschiedlicher Erziehung beruhender Lebenshaltungen – von deVos durchaus treffend zum Ausdruck gebracht wird. Man musssich die Aufgabe des Malers vergegenwärtigen: Es ging ihm beiseiner Darstellung nicht um das Hundegleichnis selbst, sonderndarum, die Identifizierbarkeit einer historischen Persönlichkeitsicherzustellen, und zwar durch eine Textreferenz. Diese Aufgabewird strukturell deutlicher in einer kleinen vorbereitenden Stu-die,20 welche die vier antiken Gesetzgeber zwar schon in den Um-rissen erkennen lässt und ihnen zur Erleichterung der Identifizie-rung jeweils einen Textträger zur Seite stellt (zwei Steintafeln fürMoses, eine Schriftrolle für Justinian, eine Tafel für Numa Pom-pilius und einen Folianten für Lykurg), von den Einzelheiten derTexte jedoch noch absieht, d. h. bei Lykurg vom Hundegleichnis.Man wird daher die Grisaille als Äquivalent eines Kurztitels für dendas Gleichnis repräsentierenden Folianten ansehen dürfen (etwa:»Jagdhund oder Napfhund?«). Man kann dabei zugeben, dassstatt des Hirsches ein Hase die Erinnerung an Lykurg leichtergeweckt hätte, aber ein Hase wäre auf dem Bucheinband not-wendigerweise recht klein ausgefallen und hätte daher die Identifi-zierung Lykurgs für den Bildbetrachter nicht nur erleichtert, son-dern auch erschwert. Die vier historischen Persönlichkeiten warenfür ein humanistisch gebildetes Publikum möglichst treffend zuveranschaulichen. Was Moses und Justinian betraf, so gab es keineSchwierigkeiten, und hinsichtlich Numa Pompilius und Lykurgkonnte de Vos darauf vertrauen, dass sie durch Plutarch ausrei-chend als vorbildliche Gesetzgeber bekannt waren, und sich daheran dessen Berichten orientieren.

De Ridder bündelt die genannten vier Einwände noch zueinem gesondert zu betrachtenden fünften, nämlich dem Einwand,dass – wollte man von Lykurg ausgehen – die Darstellung desHundegleichnisses durch de Vos völlig unüblich gewesen wäre.

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19 So schon Zweite (Fn. 5) 264.20 Sie wurde vom Antwerpener

Rockoxhuis im Sommer 2008 er-worben und mir dankenswerter-weise von der Konservatorin desMuseums, Hildegard Van de Vel-de, in Form einer Bilddatei zu-gänglich gemacht.

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Als Bewertungsmaßstab für die Üblichkeit werden freilich nurzwei Bilder angeführt, und zwar ohne sie abzubilden: ein Gemäldevon Caesar Bovetius van Everdingen (Abb. 3) und ein Emblemaus den »Emblemata Horatiana« von Otto van Veen (Abb. 4).21

In der Tat sieht man hier jeweils neben zwei Hunden einen Hasen.Aber im Übrigen fallen auch deutliche Unterschiede auf. In demGemälde fehlt die Szene des Jagens; der Hase ist bereits erlegt.In dem Emblem, das Lykurg mit einer Gesetzestafel darstellt, sinddie Hunde anscheinend, vergleicht man Schwanz und Größe, wiebei de Vos ebenfalls von unterschiedlicher Rasse, und auch dieArchitektur weist nicht nach Sparta. Von einer einheitlichen oderauch nur sehr ähnlichen Darstellung kann also keine Rede sein.

Die Bildbeispiele de Ridders können aber auch noch aus einemanderen, grundsätzlicheren Grund keinen überzeugenden Ein-wand liefern. Sie sind nämlich später als das Bild von de Vosentstanden (1661/62 bzw. 1607) und scheiden daher als Maßstabfür die Annahme einer erklärungsbedürftigen Abweichung aus.Man könnte meinen, de Ridder habe seine Beispiele nur schlecht

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Abb. 3: C. B. van Everdingen, Lykurg demonstriert die Folgen der Erziehung,1661/62 (aus: Bedaux [Fn. 21] Farbtafel VI).

21 Das Ölgemälde van Everdingens(168 × 212,5 cm) entstand 1661/62 und hängt heute im StedelijkMuseum von Alkmaar; da es ur-sprünglich dazu bestimmt war,über einem Kamin zu hängen,weist es eine Untersicht auf. VanVeens »Emblemata Horatiana«(Haupttitel eigentlich: »Q. HoratiFlacci Emblemata«), eine für dieRegentenerziehung geeignete Sen-tenzensammlung, erschien erst-

malig 1607 in Antwerpen undwurde danach wiederholt aufge-legt. Zu beiden Bildern siehe JanBaptist Bedaux, Discipline forinnocence. Metaphors for educa-tion in seventeenth-century Dutchpainting, in: ders., The reality ofsymbols. Studies in the iconologyof Netherlandish art 1400–1800,Den Haag 1990, 109–169(155 ff.).

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gewählt. Dies ist aber nicht der Fall. Denn wenn es gegen Ende des16. Jahrhunderts auch eine klare Tradition für die literarischePräsentation des Hundegleichnisses gab, so gilt dies nicht fürdessen bildnerische Umsetzung.22 Leider ist in der kunsthistori-schen Literatur die Darstellung Lykurgs in Malerei und Graphikbislang noch nicht systematisch erschlossen worden. Es dürftejedoch nur äußerst wenige Beispiele gegeben haben, an denen deVos sich hätte orientieren können.23 Zeitlich am nächsten kommt

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Abb. 4: O. van Veen, Educationis et consuetudinis typus, 1607 (aus: Bedaux[Fn. 21] Abb. 85).

22 Bedaux betont ebd., 113 und 155,nicht nur, dass Visualisierungendes Gleichnisses selten sind, son-dern hält van Everdingens Werksogar für das einzige, das in derForm eines Gemäldes auf dasGleichnis eingeht; ebenso PaulHuys Janssen, Caesar van Ever-dingen 1616/17–1678. Mono-graph and Catalogue Raisonné,Doornspijk 2002, 72.

23 Frühe Visualisierungen Lykurgsheben andere, weniger anschauli-che Aspekte hervor; siehe z. B., mitBlick auf Lykurgs Beständigkeit(constantia), Roberto Guerrini,Icone plutarchee. Illustrazioni dastampe delle »Vite parallele« inlatino e volgare, in: Biografiadipinta: Plutarco e l’arte del Ri-nascimento 1400–1550, hg. vondems., La Spezia 2001, 99–154(120 ff.).

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ein Kupferstich von Jan Saenredam (Abb. 5), der einerseits zweiHunde von augenscheinlich gleicher Rasse zeigt, andererseits dasGleichnis in eine zeitgenössische niederländische Stadtarchitektureinbettet.24 Doch entstand auch dieses Werk später als das Ge-mälde von de Vos, wenn auch nur zwei Jahre (1596). Ein ihmzeitlich vorausgehendes Beispiel für die Visualisierung Lykurgsergibt sich aus der Fassadenmalerei des ehemaligen Stadtschreiber-hauses in Regensburg, die heute nur noch in den Entwürfen von1573–1574 zugänglich ist.25 Auch hier kommt es zur Abbildungvon zwei Hunden und einem Hasen, doch fehlt die Zuschauer-und Zuhörermenge, wie sie in den Stichen van Veens und Saenre-dams zu sehen ist, und die gezeigten Personen tragen zeitgenössi-sche Kleidung.26

Mag de Vos die Verbildlichung Lykurgs auch nicht ganz ge-lungen sein, so gibt es doch keine überzeugenden Gründe, dieVerbildlichung als solche zu bestreiten. Die Verbindung von Numa

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Abb. 5: J. Saenredam, Lykurg demonstriert die Folgen der Erziehung, 1596(aus: Boon [Fn. 24] Abb. 115).

24 Der Stich (21,7 × 27,7 cm) findetsich in mehreren europäischenSammlungen. Bei Hollstein’sDutch and Flemish etchings, en-gravings and woodcuts ca. 1450–1700, vol. XXIII: Jan Saenredamto Roelandt Savery, hg. von KarlG. Boon, Amsterdam 1980, 88(Abb. 115), trägt er den Titel»Lycurgus Discoursing on the Re-lationship Between Good andEvil«. Der Verzicht, im Titel aufdas Hundegleichnis Bezug zunehmen, überrascht, zumal dessenKern in dem lateinischen Text zurSprache kommt, der in den Stichintegriert ist und dort einem ge-wissen Emporus zugeordnet wird(gemeint ist wohl der im 6. Jahr-hundert wirkende lateinischeRhetor Emporius). Eine Begrün-dung für diese Titelgebung fehltebenso wie ein Bildkommentar.Die im Vordergrund rechts abge-bildete Personengruppe deutet aufeinen Lehrkontext hin, denn indem aufgeschlagenen Buch ist einzum Hundegleichnis passendesgeflügeltes Wort zu lesen, das sichzudem mit Horaz in Verbindungbringen lässt: »quod nova testacapit, inveterata sapit«; sieheErnst Lautenbach, Latein-Deutsch: Zitaten-Lexikon. Quel-lennachweise, Münster u. a. 2002,723, Stichwort »testa (Krug,Topf)«, wo die Sentenz frei mit»Was man in neue Töpfe schütt’,Derselbe Geschmack verläßt sienit« übersetzt wird. Huys Janssen

(Fn. 22) Abb. 10, folgt Boon inder Titelgebung. Anders hingegenund zutreffend Roelof vanStraten, Iconclass Indexes. DutchPrints, vol. 4: Hendrik Goltziusand his School, Leiden 1994, 473,98B (Lycurgus): »Lycurgus dem-onstrates the importance of goodeducation«.

25 Siehe in der Abb. 148 bei SusanTipton, Res publica bene ordina-ta: Regentenspiegel und Bilder

vom guten Regiment. Rathausde-korationen in der Frühen Neuzeit,Hildesheim u. a. 1996, 666, dieSzene links außen zwischen erstemund zweitem Obergeschoss.

26 Ebd., 149, 440, wird darüberhinaus berichtet, dass die 1603durchgeführte, aber inzwischenzerstörte Deckenausmalung derThorner Ratsstube Lykurgs Hun-degleichnis ebenfalls berücksich-tigte.

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Pompilius und Lykurg blieb übrigens, gestützt durch die anhalten-de Präsenz Plutarchs im humanistischen Bildungskanon, auch innachfolgenden Zeiten erhalten, wenn es um Beispiele gelungenerGesetzgebung ging. Zu erwähnen ist hier insbesondere das auchund gerade unter Juristen bekannte Bild von Jacques-Louis Davidvon 1812, das Napoleon um vier Uhr morgens bei verlöschendenKerzen an seinem Schreibtisch zeigt, an dem er die Nacht über fürseinen Code civil gearbeitet hat, denn zu seinen Füßen liegt einPlutarch-Band, der dem gebildeten Betrachter die auf Lykurg undNuma Pompilius zurückführende Tradition großer Gesetzgebungin Erinnerung rufen soll.27

Noch eine weitere Frage stellt sich angesichts der Werkinter-pretation de Ridders. Sie betrifft das Gruppenporträt im Hinter-grund des Bildes, und zwar die Zuordnung von Personen undFunktionen, mithin einen vergleichsweise marginalen Aspekt. Wervon den porträtierten zehn Gerichtsmitgliedern gehört zu den zweiVorsitzenden, wer zu den sieben Schöffen, und wer ist der eineBote? Zustimmen kann man de Ridder darin, dass die Schöffen inder obersten Reihe versammelt sind. Sie tragen alle dieselbe, derzeitgenössischen spanischen Mode entsprechende Kleidung: einenschlichten schwarzen Rock und eine steife weiße Halskrause. In derzweiten Reihe sieht de Ridder die beiden Vorgesetzten nebeneinan-der stehend rechts von der Justitia und den Boten für sich stehendlinks davon.28 Diese Einordnung vermag nicht zu überzeugen,denn sie führt zu dem unerklärbaren Ergebnis, dass die beidenVorgesetzten sich in ihrer Kleidung unterscheiden, der eine nämlichdie der Schöffen trägt, der andere jedoch stattdessen einen Mantel.Dagegen ist es sinnvoll, die Sonderstellung des Boten durch einenMantel zum Ausdruck zu bringen, denn seine Funktion bestanddarin, den Außenverkehr des Gerichts mit den Prozessbeteiligtenwahrzunehmen (unter anderem Ladungen, Vollstreckungen) unddafür im Herzogtum auch zu reisen. Diese Zuordnung wird durchdie bereits erwähnte Studie zum Ölbild29 unterstützt. Auf ihr sindnur neun gleich gekleidete Personen zu sehen: in der oberen Reihelinks vier und rechts drei (die Schöffen), in der Reihe darunter jeeine. Weil man nicht annehmen kann, dass sich das Gildengerichtjemals ohne ihre beiden Vorgesetzten abbilden lassen wollte, bleibtfür die nachträglich hinzugenommene, abweichend gekleidetezehnte Person nur die Annahme, dass es sich hier um den Botenhandelt. Der Vorrang des neben ihm stehenden einen Vorgesetzten

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27 Siehe Jonathan P. Ribner, Bro-ken Tablets: The Cult of the Lawin French Art from David to De-lacroix, Berkeley u. a. 1993, 30und Farbtafel 4; weitere Beispieleaus der französischen Skulpturund Malerei der ersten Hälfte des19. Jahrhunderts ebd., 32 ff.,57 ff., 103 ff.; siehe auch DavidWisner, Quelques représentationsde législateurs antiques dans l’artde la période révolutionnaire

(1789–1799), in: La Révolutionfrançaise et l’Antiquité, hg. vonRaymond Chevallier, Tours1991 (= Caesarodunum,t. XXVbis) 369–390. Speziell zuNuma Pompilius siehe HerbertSchempf, Mythos Numa, in:Scientia iuris et historia. Fest-schrift für Peter Putzer zum 65.Geburtstag, hg. von UlrikeAichhorn, Alfred Rinnertha-ler, Egling 2004, 927–944.

28 De Ridder, Gerechtigheidstafere-len voor schepenhuizen (Fn. 10)139.

29 Siehe Fn. 20.

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wird dadurch hervorgehoben, dass einer der über ihm platziertenSchöffen mit dem Finger auf ihn zeigt.

IV. Ikonographische Würdigung

Die Eigenart des Bildes von de Vos zeigt sich bei einem Ver-gleich mit anderen Gerechtigkeitsallegorien und Gruppenporträts.

Als Gerechtigkeitsallegorie ist das Bild durch die Darstellungder Justitia gekennzeichnet. Für sich genommen erscheint diesezunächst unauffällig. In einer traditionellen symmetrischen Bild-anlage nimmt sie die mittige Position ein, versehen mit ihrengewöhnlichen Attributen, Schwert und Waage. Die beiden Laster-figuren an ihrer Seite erweisen die Gerechtigkeit als eine kämpfe-rische und letztlich siegreiche Tugend. Sie geben ihr darüber hinausex negativo eine besondere Kontur, denn sie zeigen, dass Gerech-tigkeit zum einen etwas mit Wahrheitsfindung und Wahrhaftigkeitzu tun hat, zum anderen mit Gewaltvermeidung und Friedfertig-keit. Sie wird insoweit nicht strikt auf das Recht ausgerichtet,sondern in einem weiten, das Religiöse und Politische miterfas-senden Sinn verstanden. Auch das Fehlen einer Augenbinde undder gen Himmel gerichtete Blick lassen sich als Beleg dafür auf-fassen, dass die Justitia hier noch nicht als eine Personifikation derRechtsprechung (Justiz im engen Sinne) zu verstehen ist, sondernals Personifikation einer ausgreifenden, in sich vielfach gegliedertenGrundtugend und daher nicht nur das Gericht der Münzergildebetrifft, sondern die Münzergilde insgesamt als eine besondereForm eines Gemeinwesens.

Gleichwohl erfährt die Gerechtigkeitsallegorie auch eine starkerechtliche Ausprägung, und zwar – hierin vor allem liegt dasUngewöhnliche – durch den Bezug der Justitia zu vier vorbildlichenantiken Gesetzgebern, durch deren Reihung es zu einer Verbindungvon jüdisch-christlichen und griechisch-römischen Traditionenkommt. In diese Rechtskultur möchten sich die Mitglieder desGildengerichts als Auftraggeber des Bildes offenbar gestellt sehen.Dabei fällt auf, dass alle Gesetzgeber durch Textträger (Tafel,Rolle, Buch) gekennzeichnet werden, die in ihrer Gesamtheit nebenSchwert und Waage wie ein drittes Attribut der Justitia wirken.In deutlich späteren, auf eine behördlich organisierte Justiz aus-gerichteten Justitia-Darstellungen wird das Gesetzbuch zu einem

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geläufigen Attribut, sei es zusätzlich neben Waage und Schwertoder Letzteres ersetzend,30 aber zu der Zeit, als de Vos sein Bild fürdie Brabanter Münzergilde malte, war dies noch nicht der Fall. Amfrühesten tritt das Gesetzbuch dort auf, wo es um die Veran-schaulichung weniger der Justitia als vielmehr der Jurisprudenzgeht. Beispiele dafür, jeweils mit Bezug auf das römische und daskanonische Recht, finden sich in der Spanischen Kapelle desFlorentiner Dominikanerklosters Santa Maria Novella im Fresko»Triumph des hl. Thomas von Aquin« von Andrea di Buonaiutoaus der Mitte des 14. Jahrhunderts31 und in der Stanza dellaSegnatura des Vatikans, die Raffael zu Beginn des 16. Jahrhundertsmit Fresken geschmückt hat.32 Eine recht frühe Verbreitung fanddie Verbindung von Justitia und Gesetzbuch natürlich auch in denTitelkupfern von Gesetzespublikationen und rechtswissenschaft-lichen Büchern.33 Ab 1600 entstanden zuweilen sogar Einzelport-räts von Juristen, die sich ohne jedes allegorische Beiwerk mit ihrerFachbibliothek so genau darstellen ließen, dass einzelne Buchtitelerkennbar sind.34

Zum eigentlichen Gerichtsbild wird die Gerechtigkeitsallegorievon de Vos erst dadurch, dass er sie mit einem Gruppenporträt vonMitgliedern eines Gildengerichts verbindet. Damit verändert sichfreilich auch der Charakter des Bildes. Es lässt sich jetzt aus einerganz anderen Tradition heraus verstehen: der Tradition des hol-ländischen Gildenporträts. Die ebenmäßige, steife Reihung derKöpfe und Oberkörper der Gerichtsmitglieder, welche deren Indi-vidualität zugunsten des Gruppeneindrucks zurücktreten lässt,wirkt im Vergleich zum übrigen Bild sehr schlicht, ähnelt darinaber holländischen Gruppenporträts, die de Vos sicherlich gutvertraut waren, zumal sein Vater aus Leiden stammte. An ihremAnfang standen Bilder der Jerusalemfahrer, die sich in Bruder-schaften organisiert hatten. Es folgten solche von Schützengilden,aber auch von Kaufmanns-, Handwerker- und Chirurgengildensowie der Vorstände von Wohltätigkeitseinrichtungen (Armen-,Alten-, Kranken- und Waisenhäusern), die so genannten Regen-tenstücke.35 Doch sucht man hier vergebens nach Porträts, indenen Recht und Gerechtigkeit in den Vordergrund gerückt werdenoder auch nur eine mehr als randständige Rolle spielen.

Dies gilt auch für die holländischen Porträts städtischer Ma-gistrate. Es werden zwar durchaus Funktionsunterschiede deutlich,etwa zwischen Bürgermeistern, Schöffen und Sekretären, aber es

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30 Beispiele dafür bei Otto RudolfKissel, Die Justitia. Reflexionenüber ein Symbol und seine Dar-stellung in der bildenden Kunst,2. Aufl. München 1997, 25, 112,114, 119, 125, 128.

31 Detailabbildung bei Schild(Fn. 1) 53.

32 Siehe dazu Christiane L. Joost-Gaugier, The Concord of Law inthe Stanza della Segnatura, in: Ar-tibus et historiae 29 (1994) 85–98.

33 Siehe z. B. Gernot Kocher,Zeichen und Symbole des Rechts.Eine historische Ikonographie,München 1992, 15: Titelkupferzur Kurfürstlich-Pfälzischen Lan-desordnung, Heidelberg 1582;Margariet A. Becker-Moe-lands, Die Titelbilder juristischerBücher, herausgegeben vom Ams-terdamer Verleger Lodewijk Elze-vier, in: Forschungen zur Rechts-archäologie und Rechtlichen

Volkskunde 8 (1996) 41–77 (53,57, 59, 71, 72).

34 Siehe Erk Volkmar Heyen, Buchund Schreibtisch im Amtswalter-porträt der Frühen Neuzeit. ZurIkonographie der Orientierungpolitisch-administrativen Han-delns, in: Jahrbuch für europä-ische Verwaltungsgeschichte 19(2007) 205–246 (217–230).

35 Siehe als Klassiker der einschlägi-gen Forschung Alois Riegl, Dasholländische Gruppenporträt. Mitachtundachtzig Tafeln, Wien 1997(1. Aufl. 1931); ferner B. Haak,Regenten en regentessen, overlie-den en chirurgijns. Amsterdamsegroepportretten van 1600 tot1835, Amsterdam 1972, und spe-ziell zu den Schützenstücken AnnJensen Adams, Civic GuardPortraits: Private Interests and thePublic Sphere, in: Beeld en zelf-beeld in de nederlandse kunst,1550–1750 / Image and self-imagein the Netherlandish art, 1550–1750, hg. von Reindert Falken-burg u. a., Zwolle 1995 (= Neder-lands Kunsthistorisch Jaarboek /Netherlands Yearbook of Historyof Art, vol. 46) 168–197.

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fehlt die Offenlegung eines Rechtsbezugs.36 Nicht anders ist esin der zeitgenössischen venezianischen Malerei, die ebenfalls fürihre Gruppenporträts bekannt ist, namentlich für die Porträts vonKämmerern (camerlenghi), die Tintoretto gemalt hat37 und die deVos, als er Mitte des 16. Jahrhunderts in Venedig weilte, kennen-gelernt haben dürfte. Anders hingegen, wenigstens teilweise, liegtder Fall in Frankreich, neben Italien das Land, in dem sich einestarke, bereits auf die Buchmalerei gestützte Tradition für Grup-penporträts von Rechtsgelehrten entwickelte.38 Während sich inParis um 1600 der Magistrat der Stadt in einheitlicher Gebets-haltung porträtieren ließ,39 trifft dies zur selben Zeit zwar auch aufdie Ratsherren von Toulouse (capitouls) zu, doch wurden hier diePorträtierten im Bild mit Namen und Stand sowie aufgrund ihrerbesonderen juristischen Kenntnisse in individualisierender Weisegekennzeichnet. Im Toulouser Musée des Augustins findet sichdafür ein eindrucksvolles Beispiel: ein großes Ölgemälde von JeanChalette, das bis zur Französischen Revolution in der Kapelle desToulouser Rathauses hing.40 Wie schon in den Gruppenporträtsder Stadtchronik41 stößt man hier auf Bezeichnungen wie »doc-teur«, »advocat en la cour« oder auch »maître de requêtes«.

Seinem Kern nach ist das hier besprochene Bild von de Vos alsein Gildenporträt zu betrachten. Davon gibt es zwar viele, aber inseiner Verbindung mit einer gelehrten Gerechtigkeitsallegorie wares gegen Ende des 16. Jahrhunderts und ist es noch heute ganzaußergewöhnlich.

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36 Siehe z. B., aus der ersten Hälftedes 17. Jahrhunderts, die Magis-tratsbilder in J. C. Herpel, Hetoude Raadhuis van ’s-Gravenha-ge, Den Haag 1979, 242 und 788.Der Rechtsbezug der Magistratefindet in gesonderten Gerechtig-keitsbildern Ausdruck.

37 Siehe Irene Kleinschmidt,Gruppenvotivbilder veneziani-scher Beamter (1550–1630). Tin-toretto und die Entwicklung einerAufgabe, Diss. phil. München1976.

38 Siehe dazu Andrea von Hülsen-Esch, Gelehrte im Bild. Reprä-sentation, Darstellung und Wahr-nehmung einer sozialen Gruppeim Mittelalter, Göttingen 2006,246 ff.

39 Siehe von Georges Lallemant »LePrévôt des marchands et le Bureaude la Ville de Paris en 1611«,abgebildet bei Jean-Marc Leri,Musée Carnavalet. Histoire deParis, Paris 2000, 52.

40 »Le Christ en croix et les capitoulsde 1622–1623«, abgebildet beiJean Penent, Le Temps du cara-vagisme. La peinture de Toulouseet du Languedoc de 1590 à 1650

[Ausstellungskatalog Toulouse],Paris, Toulouse 2001, 101.

41 Siehe Christian Cau, Les Capi-touls de Toulouse. L’intégrale desportraits des Annales de la Ville1352–1778, Toulouse 1990. Inder Stadtchronik hat Chalette dieRatsherren von 1616–1617 un-terhalb einer kleinen, unscheinba-ren Kartouche mit einer Justitiaund einer Abundantia abgebildet;siehe Penent (Fn. 40) 97.