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Die Zeugen Jehovas Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft Bearbeitet und herausgegeben von Manfred Gebhard Verlag Hubert Freistühler Schwerte/Ruhr 1. Auflage 1971 Lizenzausgabe für die Bundesrepublik Deutschland und Westberlin Copyright 1970 by Urania- Verlag Leipzig1JenalBerlin Verlag für populärwissenschaftliche Literatur Alle Rechte vorbehalten Printed in the German Democratic Republic ISBN 3 87237 015 4 Inhalt Vorwort Die Watch Tower ß Bible and Tract Society Die Illusion von der Gegenwart als Zeit des Endes der Nationen Was die Bibel über ein Weltende sagt Beginn der sogenannten »Zeit des Endes« Der »König des Nordens« Die »Wiederkunft Christi« Obrigkeitliche Gewalten Die »Fürsten«-Deutungen Das apokalyptische wilde Tier Der »Krieg von Harmagedon« Ein Hasardspiel Im Dienste der psychologischen Kriegführung Frühe WTG-Bibeldeutungen im Interesse des Kapitals Vom Großkapital gekauft Weshalb die Unterstützung des Zionismus? Transaktionen mit dem amerikanischen Großkapital Neue Bindungen an das Kapital Ein USA-Staatsanwalt reißt die Macht an sich Was verbarg sich hinter der Übertretung des Spionagegesetzes? Die mysteriöse Funkanlage im WTG-Hauptbüro in Brooklyn, New York Die WTG und das USA-State Department 118 Eine ständige Verbindung Brooklyn-Washington Die politische Rolle des deutschen WTG-Zweiges in der Weimarer Republik Um das amerikanische Kapital im deutschen WTG-Zweig Die Rettung der WTG-Zentrale in Bern Mit Hilfe der amerikanischen Militärregierung in Wiesbaden Die WTG-Führer und der Hitlerfaschismus Antifaschisten ausgeschlossen Das Buhlen der WTG-Führung um die Gunst der Nazis Fritz Winkler Erich Frost Konrad Franke Nicht nur die höchsten WTG-Führer Todeskandidaten Was hatte der »Reichsführer SS« Himmler mit den Zeugen Jehovas vor?

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Die Zeugen Jehovas

Eine Dokumentation über die Wachtturmgesellschaft

Bearbeitet und herausgegeben von Manfred GebhardVerlag Hubert Freistühler Schwerte/Ruhr1. Auflage 1971Lizenzausgabe für die Bundesrepublik Deutschland und WestberlinCopyright 1970 by Urania- Verlag Leipzig1JenalBerlinVerlag für populärwissenschaftliche LiteraturAlle Rechte vorbehaltenPrinted in the German Democratic RepublicISBN 3 87237 015 4InhaltVorwortDie Watch Tower ß Bible and Tract SocietyDie Illusion von der Gegenwart als Zeit des Endes der NationenWas die Bibel über ein Weltende sagtBeginn der sogenannten »Zeit des Endes«Der »König des Nordens«Die »Wiederkunft Christi«Obrigkeitliche GewaltenDie »Fürsten«-DeutungenDas apokalyptische wilde TierDer »Krieg von Harmagedon«Ein HasardspielIm Dienste der psychologischen KriegführungFrühe WTG-Bibeldeutungen im Interesse des KapitalsVom Großkapital gekauftWeshalb die Unterstützung des Zionismus?Transaktionen mit dem amerikanischen GroßkapitalNeue Bindungen an das KapitalEin USA-Staatsanwalt reißt die Macht an sichWas verbarg sich hinter der Übertretung des Spionagegesetzes?Die mysteriöse Funkanlage im WTG-Hauptbüro in Brooklyn, New YorkDie WTG und das USA-State Department 118Eine ständige Verbindung Brooklyn-WashingtonDie politische Rolle des deutschen WTG-Zweiges in der Weimarer RepublikUm das amerikanische Kapital im deutschen WTG-ZweigDie Rettung der WTG-Zentrale in BernMit Hilfe der amerikanischen Militärregierung in WiesbadenDie WTG-Führer und der HitlerfaschismusAntifaschisten ausgeschlossenDas Buhlen der WTG-Führung um die Gunst der NazisFritz WinklerErich FrostKonrad FrankeNicht nur die höchsten WTG-FührerTodeskandidatenWas hatte der »Reichsführer SS« Himmler mit den Zeugen Jehovas vor?

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Die Konzeption zum Einsatz in den »Ostgebieten«Himmlers Ideen leben weiterDie Neugründung des deutschen WTG-Zweiges ein großangelegter BetrugDie jüngste politische Rolle der WTGDer Wiederaufbau des WTG-InformationsdienstesEin besonderer »Kirchlicher Nachrichtendienst«Erneut psychologisch in die OffensiveDas VerbotWeiter als UntergrundorganisationDas »Ostbüro« in WestberlinDer organisierte GeldschmuggelDie Untergrundbewegung in der DDRPolitisches Verhalten im Spannungsjahr 1953War es mit der Wiedererlangung der Legalität in Osteuropa ernst gemeint?Zeugen Jehovas als »politische Flüchtlinge«Welche Rolle ist den Zeugen Jehovas von der WTG als Staatsbürger zugedacht?RückschauDer Christ und seine soziale VerantwortungAnmerkungenNamen- und Sachregister

VorwortDas vorliegende Werk befasst sich - um durch Selbsterkenntnis zu helfen - mit einer religiösen"Verlagsanstalt", die als leitendes Organ einer Religionsgemeinschaft von ihren Anfängen anbestrebt ist, eine führende Rolle im religiösen Leben zu spielen, und die sich besonders durcheine aggressive Aktivität kennzeichnet. Diese WATCH TOWER BIBLE AND TRACTSOCIETY OF PENNSYLVANIA, USA, (Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft vonPennsylvania, USA abgekürzt WTG) ist die leitende Körperschaft der international als ZeugenJehovas (früher Bibelforscher) auftretenden Gemeinschaft.Aufgabe dieser Abhandlung ist es, eine Einschätzung und Wertung der gesellschaftlichenBedeutung und ihrer Leitung zu geben, wobei dies freilich nur geschehen kann, wenn auch diepolitischen Aspekte beleuchtet werden. Der Grund für diese besondere Aufgabenstellung ist,dass die WTG und damit die Zeugen Jehovas eine Religionsgemeinschaft darstellen ,die -wenngleich verbrämt mit Zitaten aus der Bibel - in ihrer religiösen Tätigkeit zugleich inschärfster Form politisch auftritt. Dabei macht sie sich den Gottesglauben vieler religiöserMenschen zunutze, ausgehend von der intoleranten, dogmatischen Grundlage, das die WTG»alleiniger Vertreter wahrer Gottesanbetung« sei.Die vorliegende Arbeit stützt sich in der Hauptsache auf die WTG-Tätigkeit in Europa bzw.Deutschland und quellenmäßig auf die deutschsprachige WTG-Literatur sowie auf Werke undDokumente, die in deutschsprachigen Ländern erschienen sind oder bekannt wurden. DieMitarbeiter dieser Dokumentation sagen auf diesem Wege all denen Dank, die es ermöglichten,Einblicke in die einschlägigen Unterlagen zu erhalten. So konnte ein auf Tatsachenmaterialaufbauendes Werk entstehen, das es gestattet, sich einen Überblick über die religiös-politischenZusammenhänge zu, verschaffen, die - soweit sie die WTG betreffen - bewusst im verborgenengehalten werden um ihr wirkliches Wesen zuu verschleiern.Aus der Fülle der vorliegenden Fakten konnten in dieser Arbeit nur die wesentlichen Beachtungfinden, nämlich solche, die eindeutig den Charakter der WTG sowohl vom religiösen als auchvom politischen Aspekt aus erhellen. Das verwendete Material ist jedoch so reichhaltig, dass esdem Leser die Möglichkeit bietet, sich ein umfassendes Bild von der Tätigkeit derWachtturmgesellschaft zu machen und diese richtig zu beurteilen. Und wenn die Betrachtungenüber die WTG mit einigen praktischen Konsequenzen schließen, so sollen diese gleichzeitig einWegweiser für Christen sein und ganz besonders für jene, deren Glaubensbereitschaft bislang

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von der WTG missbraucht wurde.Der Herausgeber.

Die Watch Tower Bible and Tract SocietyIn den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstand in vorwiegend kleinbürgerlichreligiösenKreisen der USA aus einer Splittergruppe der Adventisten eine neue religiöseGemeinschaft, die sich den Namen »Ernste Bibelforscher« gab. Ihr Gründer war deramerikanische Textitgroßhändler und Kaufmann Charles Taze Russell, genannt »PastorRussell«, obwohl er von keiner Kirche ordiniert war. Charles T. Russell war vorher Angehörigerder Inneren Mission der amerikanischen Kongregationalistenkirche sowie Mitglied desamerikanischen Christlichen Vereins Junger Männer (CVJM) gewesen. Als Gründungsort wählteman Pittsburgh-Allegheny im USA-Staat Pennsylvania. In Europa wurde diese Gemeinschaftzuerst unter dem Namen »Internationale Bibelforscher-Vereinigung« (IBV) bekannt. 1931 nahmsie den Namen "Jehovas Zeugen« an. In mühsamem Wachstum wurde im Laufe einesJahrhunderts - von 1870 bis in die Gegenwart - aus der einstigen Bibelforschergruppe schließlicheine internationale Gemeinschaft mit etwa eineinhalb Millionen Anhängern in etwa 200 Ländernund Gebieten der Erde, d. h. zahlenmäßig blieb sie nur eine kleine religiöse Gruppe in denjeweiligen Ländern, obwohl sie alles versucht, stark in Erscheinung zu treten.Für die Herstellung und den Vertrieb der Literatur der Gemeinschaft organisierte Russell imJahre 1881 in Pittsburgh eine Geschäftsfirma mit der Bezeichnung »Zions Watch Tower TractSociety« (Zions Wachtturm-Traktat-Gesellschaft). Im Laufe der Zeit wurde dieserGeschäftsbetrieb dann unter dem Namen »Watch Tower Bible and Tract Society« (WTG) dasorganisatorische und geistige Zentrum, die leitende Körperschaft der internationalenBibelforscher oder »Zeugen Jehovas«. Während sie ursprünglich aus Tausenden voneingetragenen Mitgliedern bestand, zählte sie nach dem Stand von 1967 nur 435 eingetrageneMitglieder, vorwiegend Amerikaner. Diese eingetragenen Mitglieder wählen aus ihren Reihenfür die WTG alle drei Jahre ein sogenanntes Direktorium (Board of Directors) aus siebenPersonen, dem nur Amerikaner angehören. Der hierbei gebrauchte Wahlmodus geht aus dem1960 im deutschen Zweigbüro der WTG herausgegebenen Buch »Jehovas Zeugen in GottesVorhaben«, S. 64, hervor.Das heißt, dass die Wahl der sieben Direktoren von den begüterten Mitgliedern der Körperschaftabhängig ist. Die so gewählten WTG-Direktoren, die aus ihrer Mitte wiederum denWTGPräsidentenwählen, sind schließlich die eigentliche Führungsgruppe der Organisation. Das Amtdes Präsidenten gilt auf Lebenszeit, die laufende Wiederwahl ist nur formal. Zu Präsidentenwerden nur solche Mitglieder gewählt, die amerikanische Bürger sind, soCharles Taze Russell, 1881 bis 1916Joseph Fränkin Rutherford, 1917 bis 1942Nathan Homer Knorr, 1942 bis in die Gegenwart.(Zitat aus: JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABEN"JOHANNES: In jenen Tagen war es so, dass jeder, der der Gesellschaft einen Beitrag von zehnDollar leistete, das Anrecht auf eine Stimme erhielt. Somit hatte Pastor Russell zuvor bei denmeisten dieser Versammlungen der Körperschaft 25 000 Stimmen. Zu seinen Lebzeiten hatte erBeiträge von etwa 250 000 Dollar geleistet Als er starb, erloschen nach dem Gesetz natürlichseine Stimmen mit ihm. Die 150 000 Stimmen, die für die Versammlung des Jahres 1917insgesamt vorhanden waren, zeigten an, dass ihre Besitzer irgendwann der Gesellschaft für ihrPredigtwerk 1 500 000 Dollar gegeben hatten. Diese Methode der Abstimmung wurde im Jahre1944 gesetzlich geändert, indem man diese Art und Weise, das Stimmrecht zu erhalten, ganzabschaffte. Jetzt hat jedes Glied dieser Körperschaft nur noch eine Stimme."Amtssitz des Präsidenten sowie des Direktoriums ist die internationale Zentrale der ZeugenJehovas »Bethel«, das Hauptbüro der WTG in Brooklyn, New York, USA. Dieses Büro inBrooklyn leitet über 92 ausländische Zweigbüros die gesamte Tätigkeit der Zeugen Jehovas in

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allen Ländern. Die örtlichen Gemeinden oder Versammlungen stehen in der Regel unter derdirekten Anleitung und Kontrolle des jeweils zuständigen Zweigbüros.Mit Ausnahme der WTG-Führungsspitze, des Direktoriums, das sich durch selbst bestätigt undergänzt, werden sämtliche Funktionen der internationalen Organisation administrativ undautoritär, d. h. durch Entscheid der WTG-Büros besetzt. Dabei gibt es keinerlei demokratischeKritik- oder Kontrollrechte der Anhängerschaft. Alle Funktionen werden nur mit Personenbesetzt, die der WTG im wesentlichen kritiklos gehorsam sind. Das WTG-Regime bis hinunterin die örtlichen Versammlungen ist ein Herrschaftssystem, das jedes innerdemokratische Lebenniederhält und nur von oben durch die Weisungen der WTG und ihrer Beauftragten -Zweigdiener, Bezirksdiener, Kreisdiener und Versammlungsdiener - funktioniert.Das entscheidende Mittel, mit dem die WTG sowohl ihr autoritäres Regime über die ZeugenJehovas aufrechterhält als auch ihre Bibelauslegungen, Lehren und sonstigen religiösen undpolitischen Thesen durchsetzt, ist das Glaubensdogma, sie sei als Körperschaft der unantastbare»Vertreter Gottes auf Erden«. Die Herrschaft der WTG sei der Ausdruck von Theokratie(Gottesherrschaft), die Einsetzung der Verantwortlichen erfolge somit »von Gott«, und wasdurch die WTG-Organisation verkündigt wird, sei der »Wille Gottes«, da sie selbst nur derwillenlose »Sklave Gottes« sei. Die WTG-Schriften müssten deshalb als »Kanal Gottes«angesehen werden. Der Rat, der hierin gegeben wird, komme folglich von Gott, und ihn, zumissachten sei schließlich lebensgefährlich. Die folgenden Auszüge aus dem WTG-Buch»Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben« (S. 148/49) und aus der WTG-Zeitschrift »DerWachtturm« (vom 1. November 1948, 1. August 1956 und 15. September 1965) dokumentierendiese intoleranten Ansprüche:Zitat aus: JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABEN"dass die Vollmacht zur Ernennung von Dienern in Versammlungen der heutigen Gesellschaftder Zeugen Jehovas zu Recht auf der leitenden Körperschaft der Klasse des 'treuen undverständigen Sklaven' ruht, die von Christus Jesus vom Tempel Jehovas aus geleitet wird.Es wurde deshalb vorgeschlagen, dass die Brüder in den verschiedenen Versammlungen derganzen Welt eine Resolution, wie sie Der Wachtturm darlegte, in Betracht ziehen sollten,Die Resolution lautete:Wir, die Gruppe des Volkes Gottes, das für seinen Namen herausgenommen worden ist und sichnun in ........... befindet, anerkennen, dass Gottes Regierung eine reine Gottesherrschaft ist, dassChristus Jesus sich im Tempel befindet und den vollen Befehl und die volle Gewalt über diesichtbare Organisation Jehovas wie auch über die unsichtbare innehat und dass DIEGESELLSCHAFT' der sichtbare Vertreter des Herrn auf Erden ist."Zitat aus:1. November 1948 Der WACHTTURM"So wisse, dass jene, die sich wider Jehovas theokratische Anordnungen und Anweisungen fürsein organisiertes Volk auflehnen, dem Beispiel Korahs, des Rebellen, folgen und ebensobestimmt umkommen werden wie er und seine Schar. Wehe ihnen!"Zitat aus: 1. August 1956 Der WACHTTURM" Da dem 'treuen und verständigen Sklave' alle Güter des Meisters anvertraut worden sind, lasstuns mit dem richtigen geistigen Wahrnehmungsvermögen die Sache so ansehen, dass was immerder 'treue Sklave' tut, zu unserem Guten gereicht. Der Sklave erfüllt dadurch seine eigene Pflichtvor Jehova, dass er das Werk Jehovas tut. Daher ist der Wille des Sklaven der Wille Jehovas.Rebellion gegen den Sklaven ist Rebellion gegen Gott."Zitat aus: 15. September 1965 Der WACHTTURM"Jehova gibt uns auch durch seine irdische Organisation Rat. Da sein heiliger Geist auf dieleitende Körperschaft einwirkt, stimmt deren Rat mit seinem Willen überein."Die WTG-Hauptorgane sind die beiden Zeitschriften »Der Wachtturm«, zur Zeit in einerhalbmonatlichen bzw. monatlichen Auflage von 4 750 000 Exemplaren, und »Erwachet!«, ingleicher Weise mit einer Auflage von 4 450 000 Exemplaren. Dazu kommen laufend zahlreicheBücher und Broschüren in ebenfalls hohen Auflagen. Auf Grund des sogenannten theokratischen

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Autoritätsdogmas der WTG werden sämtliche Lehren als sogenannte göttliche Wahrheitenausgegeben, als geistiges »Licht von Jehova«. Die ständigen Irrtümer und Haltlosigkeitenübertüncht man einfach mit der Erklärung, Jehova gebe eben nach und nach »immer helleresLicht«, mit dem man Schritt halten müsse, wenn man nicht umkommen will. Wer dieses»Fortschreiten« unter der WTG-Führung nicht mit dem Glauben an einen wahren, unfehlbarenund nichtirrenden Gott vereinbaren kann, wird in der Endkonsequenz als »Rebell gegen Gott«aus der Anhängerschaft ausgeschlossen.Zur Veranschaulichung lese man die folgende von der WTG aufgesetzteVerpflichtungserklärung für Personen, die aus der Anhängerschaft als Mitarbeiter herangezogenwerden. Man beachte besonders die als Gottesdienst dargestellte bedingungslose Unterordnungdes Betreffenden in geistiger und materieller Hinsicht unter die von der WTG ausgeübtesogenannte Theokratie, verbunden mit einer völligen Rechtlosigkeit solcher Mitarbeiter, derenpersönlicher Gottesglaube hier ausgenutzt wird .Zitat:"Magdeburg, den 17. Nov. 1945.An dieWachtturm Bibel und Traktat-Gesellschaft,Brooklyn New York, USA,Deutsches ZweigbüroMagdeburgDer Unterzeichnete erklärt hiermit:1. Ich erkenne die Watch Tower Bible and Tract Society, Brooklyn (Wachtturm Bibel undTraktat-Gesellschaft) als Dienerin und legale Verwalterin der Körperschaft der als ZeugenJehovas auf der ganzen Welt bekannten christlichen Leute an, die den Zweck verfolgt, dasEvangelium vom Königreiches Gottes unter Christus Jesus allen Nationen als ein Zeugnis fürden Namen, das Wort und die Oberhoheit Gottes, des Allmächtigen, Jehova zu predigen.2. Mir ist bekannt, dass die Watch Tower Bible and Tract Society - Wachtturm Bibel undTraktat-Gesellschaft - keine Gewinnabsichten verfolgt, sondern eine erzieherische, christliche,gemeinnützige und philanthropische Organisation ist.3. Aus reiner Liebe zu Jehova Gott und seiner Theokratie habe ich den Wunsch, an dem Wirkender Gesellschaft zur Ehre Jehovas und zum wahren Nutzen des Volkes teilzunehmen undbetrachte es als großes Vorrecht, dies tun zu dürfen, und meinen Dienst nicht als der Gesellschaftgeleistet, sondern als meinen wahren und schriftgemäßen Gottesdienst.4. Meine Mitarbeit ist eine völlig freiwillige und, den Grundsätzen der Gesellschaftentsprechend, eine unentgeltliche, auch dann, wenn meine Arbeitskraft und -Zeit weit über das inweltlichen Arbeitsabkommen üblicherweise geforderte Maß hinaus beansprucht wird. AlleZuwendungen der Gesellschaft für meinen notwendigen Lebensunterhalt, Wohnung, Kleidungund sonstige Auslagen stehen im Ermessen der Gesellschaft. Ein Rechtsanspruch meinerseitswird durch solche Zuwendungen, auch wenn sie laufend erfolgen, nicht begründet. Ich erkennean, keinerlei Ansprüche an die Gesellschaft zu haben und verzichte, auch für die Zukunft,ausdrücklich darauf, irgendwelche Ansprüche aus meinem Anstellungs-, bezw. Arbeitsverhältnisherzuleiten oder geltend zu machen. Es steht mir jederzeit frei, meine Mitarbeit bei derGesellschaft zu beenden.Wilhelm Schumann."Dabei wird jedem angedroht, in die verteufelte Welt zurückgestoßen zu werden, wenn er sich»wider Jehovas theokratische Anordnungen« auflehnt, die die WTG allein zum Ausdruck bringe.Am Ende stehe die Vernichtung, wie einst die gegen Mose rebellierende Rotte Korah vernichtetworden sei. So wird jeder vor die Wahl gestellt, entweder der WTG als »Jehovas Organisation«zu folgen oder wieder mit »Verwirrung des Herzens« geschlagen zu werden, »im Finstern«tappend ohne einen Weg zu finden. Voll Grauen soll der Zeuge Jehovas daran denken, dass fürihn, in die »Finsternis« zurückgestoßen, nur das Umkommen im »Harmagedon«-Weltendebleibe, aus dem es keine Wiederkehr gibt. Der Schauder vor der völligen Verdammnis soll dazu

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bewegen, sich um so fester an die WTG zu klammern. Auf diese vielfältige Art erhält die WTGihr Regime über ihre Anhängerschaft, die Zeugen Jehovas, aufrecht und treibt so mit ihnen unddurch sie ihre hintergründige Politik.Auch in den sozialistischen Ländern findet man Gruppen von WTG-Anhängern, wobei es sichvielfach um Menschen handelt, die die durch Tod, Leid, Krankheit oder andere seelischeDepressionen für trost- und endzeitverheißende Lehren und Anschauungen besonders leichtansprechbar sind, die durch das eigene und zuweilen auch durch das gesellschaftlicheFehlverhalten anderer zu Randsiedlern des gesellschaftlichen Lebens geworden sind und die sichdeshalb in ihrer Umgebung unverstanden, mißverstanden und benachteiligt fühlen, wobei nichtzuletzt auch eine mangelhafte und einseitige Bildung als Erbe des kapitalistischen Systemswesentlichen Anteil hat. Kommen solche Menschen nun mit den Zeugen Jehovas in Berührungund hören von "dieser Welt" als von einer bösen, satanischen Welt, so öffnen sie leicht ihr Ohrden Einflüsterungen, die von der WTG kommen, finden sie doch in dem Gehörten dieBestätigung dafür, dass sie nicht selbst an ihrem Jammer schuld seien, sondern jene "böse Welt",die sie umgibt.Schließlich muss in diesem Zusammenhang festgestellt werden, was die WTG im Unterschied zuallen anderen Religionsgemeinschaften im eigentlichen charakterisiert. Das sind jeneVorstellungen, Lehren und Bibelauslegungen, die sie in religiöser, weltanschaulicher Hinsichtentwickelt hat. Es ist ein System von Lehren und Dogmen über eine angeblich in "dieserGeneration" herbeigekommene "Zeit des Endes der Welt", worin die WTG die Hauptrolle spiele.Diese Endzeitlehren sind das eigentliche Fundament, die eigentliche ideologische Grundlage dergesamten WTG-Organisation. Sie sind die Fahne oder das Panier, das alles zusammenhält undalles Hintergründige verdecken soll. Darum müssen zunächst diese Lehren erörtert unduntersucht werden.

Die Illusion von der Gegenwart als Zeit des Endes der Nationen

Was die Bibel über ein Weltende sagtUrsprünglich war die Auffassung der WTG-Bibelforscher des vergangenen Jahrhunderts vomEnde dieser Welt einem zwar einfältigen, aber aufrichtigen Gottesglauben entsprungen alsWeiterentwicklung der adventistischen Lehre von der Zeit des Endes. So lehrte der ehemaligeAdventist und spätere WTG-Präsident Charles T. Russell, dass die ganze kapitalistische Welt ineinem Chaos enden werde, und dann käme das Reich Gottes auf Erden. Als Zeitpunkt nannte erdas Jahr 1914. Diese Lehre war zeitbedingt und hat ihre gesellschaftlichen Ursachen in derbeginnenden Auseinandersetzung zwischen dem wachsenden Kapital und der wachsendenKlasse der Arbeiter, die viele religiöse kleinbürgerliche Kreise in Unruhe und Sorge versetzte.Sie befürchteten, der »ungeheuerliche« Kampf der Arbeiter um bessere Lebensbedingungen, umeine neue, gerechte Ordnung würde die Welt aus den Angeln heben und in Anarchie enden. Wasaber dann? Die Zukunft erschien ihnen ausweglos. Da schien es nur das eine zu geben: als Christauf Gott zu hoffen! Charles T. Russell - als Textilgroßhändler Angehöriger der besitzendenKlasse - wurde ja selbst von diesen Ereignissen unmittelbar berührt. Sie gaben seiner Lehre daspolitische Gepräge, wodurch die WTG geistig auf die Seite der Kapitalisten geführt wurde.Was aber zu Anfang einem einfältigen religiösen Denken entsprang, wurde dann zu einerSpekulation, eigens zu dem Zweck betrieben, die Anhänger der WTG zusammenzuhalten unddie Herrschaft über sie zu festigen und so lange als möglich zu sichern. Immer wieder wurden zudiesem Zweck neue Auslegungen, der einmal zitierten Bibelstellen gefunden oder genauererdacht, jeweils den politischen Ereignissen, dem Entwicklungsstand der gesellschaftlichenKräfte angepasst, wobei sie trotz allem den politischen und gesellschaftlichen Vorgängennachhinkten. Und immer das stereotype: Das Ende der Welt ist nahe! Nur der Termin wurde vonMal zu Mal hinausgeschoben: 1799, 1914, 1925, 1942, 1975. Aber die Welt steht heute noch.

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Alle Spekulationen und Thesen wurden von der Wirklichkeit widerlegt.Worauf stützt sich die Lehre der Zeugen Jehovas von der »Zeit des Endes«? Generell fußt sie aufder Annahme, dass die verschiedenen Stellen in der Bibel, die von einem Ende der Welt, von derErrichtung der Herrschaft Christi und von dem Reiche Gottes sprechen, sich auf diegegenwärtige Zeit beziehen. Anzunehmen, diese Bibelstellen bezögen sich auf die Gegenwartund seien »Vorbilder« für heute und müssten sich heute »erfüllen«, ist in Wirklichkeit jedoch einfundamentaler Irrtum.Um dies nachzuweisen, sollen einige ausschlaggebende Bibelstellen näher betrachtet werden. (Dieser Bibelbetrachtung liegt zweckmäßigerweise die WTG-eigene Bibelübersetzung "NeueWelt Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften" (deutsch) zugrunde. Jedoch geht ausjeder anderen Übersetzung das gleiche hervor.) Da wäre als erstes Matthäus, Kapitel 24. Wer dieEinleitung zu diesem Kapitel, Matthäus 23:36 bis 24:3, aufmerksam durchliest, erkennt, dass hiervon nichts anderem die Rede ist als von der Stadt Jerusalem und dem jüdischen »System derDinge« mit dem Tempeldienst als Mittelpunkt. Das alles sollte während »dieser Generation«zugrunde gehen (Matthäus 24:34). Die Worte »diese Generation« sind eindeutig an die damaligeGeneration gerichtet. Es ist eine Rede Jesu an seine Zeitgenossen, nicht an Menschen des 19.oder 20. Jahrhunderts. Auch aus Markus 9:1 geht das unzweideutig hervor. Hier lässt derEvangelist Jesus sagen, das Gottesreich werde noch zur Lebzeit einiger sein Zeitgenossenkommen. Ein weiterer Beweis ist 1. Thessalonicher 4:15. Hier wird gesagt, dass die damalsLebenden die »Gegenwart des Herrn« oder die »Wiederkunft des Herrn« (Menge-Übersetzung)noch erleben würden, dies sei »Jehovas Wort«. Schließlich zeigen auch Hebräer 1:2 und 9:25,26,dass die Rede vom »Ende dieser Tage« oder vom »Abschluss des Systems der Dinge« sichausschließlich auf die urchristliche Zeit bezieht und nicht auf die heutige Zeitperiode, auf keineGeneration der heutigen Zeit. Auch das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung,zeigt das, denn der Schreiber berichtet dort ebenfalls nicht über eine Jahrtausende ferne Zukunft,sondern will Dinge sagen, »die in kurzem geschehen sollen« (1:1).Nimmt man also die Dinge so, wie sie in der Bibel aufgezeichnet sind, muss man ganzunmissverständlich zu dem Schluss kommen, dass die Bibel nur eine »Zeit des Endes« inurchristlicher Zeit kennt. Bemerkenswert ist auch, dass Jesus selbst gemäß dem Lukas-Evangelium berichtet (Lukas 17:20,21): Das Königreich Gottes komme nicht in auffallenderWeise, so dass man es beobachten könne, sondern es sei schon in ihrer (der Urchristen) Mitte,durch Jesus selbst. Auch der christliche Apostel Johannes, der die Offenbarung verfasste, vertratin seinen Briefen die Auffassung, dass die »letzte Stunde« schon da sei, zu seinen Lebzeiten also(l. Johannes 2:18), womit erwiesen ist, dass die diesbezüglichen WTG-Lehren im Widerspruchzur Bibel stehen. Alle anderen Auslegungen entfernen sich von der Bibel und werden zuSpekulationen, deren Hintergründe aufzudecken sind. Es ist freilich auch der WTG nichtmöglich, die Tatsache völlig zu übergehen, dass die endzeitlichen Bibelaussagen als solche keineBedeutung für die heutige Zeit haben, weil sie an die Adresse der urchristlichen Generation bzw.der Juden im damaligen römischen Reich gerichtet sind. So muss die WTG einräumen, dass es inder urchristlichen Zeit entsprechend den verschiedenen Bibelaussagen die »Vollendung einerWelt« gegeben hat. Das sei eingetreten, als das jüdische »System der Dinge« im Jahre 70 durchdie Römer vernichtet wurde. (Der Wachtturm, 15. Januar 1947; Die Ernte, das Ende der Welt,und Der Wachtturm, 1. Januar 1951, Neue Systeme der Ding (deutsch)). Um sich aber nun nichtselbst den weltanschaulichen Boden unter den Füßen wegzuziehen, behauptet die WTG dann,dass sei nur die erste Erfüllung dieser Bibelweissagungen gewesen, eine »Erfüllung im kleinen«.Die endgültige Erfüllung, die »Erfüllung im großen«, vollziehe sich an der gegenwärtigenGeneration, an den gegenwärtigen gesellschaftlichen »Systemen der Dinge«, die allerdingsweder Jesus, noch die Apostel im Sinn gehabt haben, wenn man bei dem bleibt, was wirklich inden Evangelien aufgezeichnet ist.Charles T. Russell berechnete die Wiederkunft Christi und damit den Beginn des sogenanntenEndgerichtes für das Jahr 1874 und den Beginn der angeblich endgültigen »Zeit des Endes« fürdas Jahr 1799. Was die nachfolgenden Führer der WTG seit dem Zusammenbruch dieser

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Berechnungen weiter betrieben und noch heute tun, ist jedoch nichts weiter als willkürlicheAuslegung der fraglichen Bibelstellen um zu beweisen, dass der von Russell falsch berechneteTermin für die angebliche »Zeit des Endes« aber jetzt herangekommen sei und dass es sichlohne, darauf zu warten und sich innerlich darauf einzustellen. Sie benötigen das, weil es dertragende Pfeiler ihrer Lehre ist, der die Anhänger zusammenhält und sie zum Gehorsamgegenüber der WTG zwingt.Im folgenden soll die Haltlosigkeit der Bibelauslegung durch die WTG und die Willkür, mit derdabei verfahren wird, anhand des WTG-eigenen Schrifttums bewiesen werden. Gibt es einesolche »Zeit des Endes« heute, wie die WTG behauptet, dann müssen sich die hierzuverkündigten »Erfüllungen im großen«, »Zeichen der Zeit« oder sonstigen Dinge, die dieseEndzeit beweisen sollen, als zuverlässige und unanfechtbare Tatsachen, als Wahrheit erweisen.Ist das jedoch nicht der Fall, erweisen sie sich als unglaubwürdig, dann handelt es sich bei derWTG-Weltanschauung folgerichtig um menschliche Phantasie und religiös-politischen Trug. Eswäre dann bestätigt, dass die herangezogenen Bibelstellen keine Bedeutung für die heutige Zeithaben und dass man es nur mit einer zweckdienlichen Spekulation zu tun hat. Damit wären auchdie Behauptungen der WTG, die fraglichen Auslegungen seien nicht die ihren, sondern LehrenGottes, die er nur durch die WTG seinen Kindern gebe, ad absurdum geführt. Dann hat auch dieBehauptung, »was auch immer die leitende Körperschaft der WTG tue, stimme mit dem WillenGottes überein, und ihr Wille sei nur der Wille Gottes", wogegen sich ein »Kind Gottes« nichtaufzulehnen habe, für jeden Anhänger der WTG und andere Christen ihre Bedeutung verloren.Es ist ferner notwendig zu beachten, ob der von der WTG herangezogene Ausspruch Jesu, »dieseGeneration wird nicht vergehen, bis sich alles erfüllt hat«, tatsächlich auf die Jetztzeit zutrifftund ob alle von der WTG zitierten »Erfüllungen« innerhalb der Zeit einer heutigen Generationstattfinden.

Beginn der sogenannten »Zeit des Endes"Die erste festumrissene Vorstellung von einer angeblichen »Zeit des Endes« in der Neuzeitverkündete die WTG in ihrem einstigen siebenbändigen Standardwerk »Schriftstudien«. Es hatteden Rang eines »Schlüssels zur Bibel«. Im 3. Band dieses Werkes wurde erklärt, dass Jahr 1799mit dem Ägyptenfeldzug des französischen Kaisers Napoleon sei der göttlich verbriefte »Anfangdes Zeitabschnittes, der als die Zeit des Endes bekannt ist«.(Schriftstudien Band 3. WTG 1890,deutsch 1926, Magdeburg, S. 34-37) Eine neuere Fassung dieser Lehre findet sich in dem 1922veröffentlichten WTG-Lehrbuch »Die Harfe Gottes«. Es handelt sich hier um eineZusammenfassung der in den »Schriftstudien« enthaltenen Lehren unter Weglassung jenerStellen, die durch die inzwischen eingetretenen Ereignisse der Weltgeschichte haltlos gewordenwaren und der angemaßten göttlichen Autorität der WTG einen empfindlichen Stoß versetzthatten, so z. B. die Harmagedon-Deutungen aus dem 4. Band. Später sah man sich gezwungen,auch die Lehren, die man in dem Buch »Die Harfe Gottes« popularisiert hatte, wieder inVergessenheit geraten zu lassen, obwohl man im Absatz 25 geschrieben hatte: »DieseAufzeichnungen enthüllen die Absicht Gottes mit Bezug auf den Menschen.« Die Festlegung desBeginns der »Zeit des Endes« auf das Jahr 1799 unter Berufung auf die Bibel ist darin auf Seite229/230 nachzulesenZitat:"Die Harfe Gottes.Verlagsrecht 1922Wachtturm Bibel- und Traktat-GesellschaftMagdeburgUnseres Herrn WiederkunftNapoleon begann diesen ägyptischen Feldzug im Jahre 1798, führte ihn zu Ende und kehrte am1. Oktober 1799 nach Frankreich zurück. Der Feldzug ist kurz aber anschaulich in dieserProphezeiung Vers 40-44 beschrieben, und da dieser Feldzug 1799 zu Ende ging, so bezeichneter, nach den eigenen Worten des Propheten, den Beginn der "Zeit des Endes".

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Zitat (Reklameexposee):"SchriftstudienEin wunderbares Werk in 7 Bänden, benannt:Der Schlüssel zur BibelBand 1: Der Göttliche Plan der ZeitalterBand 2: Die Zeit ist herbeigekommenBand 3: Dein Königreich kommeBand 4: Der Krieg von HarmagedonBand 5: Die Versöhnung des Menschen mit GottBand 6: Die Neue SchöpfungBand 7: Das Vollendete GeheimnisDie Harfe GottesDies ist der Titel eines Buches, das in geordneter Uebersicht den ganzen Plan Gottes enthält mitden Abschnitten über SchöpfungOffenbarte GerechtigkeitAbrahamische VerheißungGeburt JesuLösegeldAuferstehungGeoffenbartes GeheimnisUnseres Herrn WiederkunftVerherrlichung der KircheWiederherstellungals zehn Saiten der Harfe Gottes, der Bibelbrosch. 0,50 Mk.Zu beziehen von derInternationalen Vereinigung Ernster BibelforscherMagdeburgLeipziger Straße 11/12"Es braucht nicht näher darauf eingegangen zu werden, dass 1799 als Datum des sogenanntenneuzeitlichen Endzeitbeginns durch die gesellschaftliche Entwicklung widerlegt - von der WTGselbst längst verworfen werden musste und heute allgemein das Jahr 1914 als dieserEndzeitbeginn gepredigt wird. Dabei wurde der neue Zeitpunkt auf der gleichen haltlosen undwillkürlichen Grundlage berechnet wie der frühere, nun verworfene Zeitpunkt. Um auf 1799 zukommen, hatte die WTG unter völlig willkürlicher Heranziehung von Worten des ProphetenHesekiel, die mit einer Endzeitberechnung nicht das geringste zu tun haben, eine bestimmteAnzahl von Tagen einfach in Jahre verwandelt wie der Auszug aus dem Buch "Die HarfeGottes« von 1922, S. 231, zeigt:Zitat:"Unseres Herrn Wiederkunft S. 231Jeder Tag wird als ein Jahr gerechnet, wie der Prophet sagt: "Je einen Tag für ein Jahr habe ichdir auferlegt". (Hesekiel 4:6). Es sind hier somit dreieinhalb Zeiten zu je 360 prophetischenTagen gemeint oder eine Gesamtzahl von 1260 prophetischen Tagen - 1260 Jahren gleich. DemPropheten wurde dann gezeigt, dass die 1260 Jahre den Beginn der Zeit dieser tierischenOrdnung bezeichnen würde. Zwölfhundertsechzig Jahre von 539 nach Chr. bringen uns zumJahre 1799 - ein weiterer Beweis, dass das Jahr 1799 genau den Beginn der "Zeit des Endes"bezeichnet."Die Willkür dieser Berechnungsmethode ist inzwischen durch die Haltlosigkeit der Jahreszahl1799 offenbar geworden. Um nun auf 1914 zu kommen, hat man den gleichen Willküraktwiederholt, nur zeitlich verschoben, wie der folgende Auszug aus dem Buch »Gott bleibtwahrhaftig«, 2. Auflage, S. 270, zeigt.Zitat:

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"Gott bleibt wahrhaftig"Veröffentlicht in Englisch 1946, in Deutsch 1948Revidiert in Englisch 1952, in Deutsch 1958von der WATCH TOWER BIBLE & TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIAIn Offenbarung 12: 6, 14 (Lu) werden 1260 Tage erwähnt und als "eine Zeit und zwei Zeiten undeine halbe Zeit" oder 3 ½ Zeiten beschrieben. Sieben Zeiten sind 2 mal 1260, also 2520 Tage.Durch seinen treuen Propheten Hesekiel sagte Jehova: "Je einen Tag für ein Jahr habe ich dirauferlegt." (Hesekiel 4:6) Wenn diese göttliche Regel angewandt wird, bedeuten die 2520 Tage2520 Jahre. Da Gottes Vorbild-Königreich mit seiner Hauptstadt Jerusalem im Herbst des Jahres607 v. Chr. zu bestehen aufhörte, bringen uns die 2520 Jahre, wenn wir die bestimmten Zeitenvon da an rechnen, zum Herbst des Jahres 1914."Um 1914 wie 1799 waren kriegerische Zeiten, und so war es ein leichtes, auch wiederentsprechende »Zeichen der Zeit« zu konstruieren. Bezeichnend an der ganzen Geschichte ist,dass die letzte deutschsprachige Auflage der »Schriftstudien" im Jahre 1926 erfolgte. Das heißt,.bis 1926 predigte man noch die haltlose Jahreszahl 1799 als Beginn der sogenanntenneuzeitlichen Endzeit, obwohl man andererseits erklärt, ab 1919 erfolge die endgültige»Ausgießung des Geistes Jehovas«, was die WTG insbesondere auf sich bezieht. (Dein Namewerde geheiligt. WTG Wiesbaden 1963, S. 310/11). Wie kann man da trotzdem noch fast einJahrzehnt lang die durch die Tatsachen widerlegte 1799-Lehre im Namen Gottes weiterpredigen?Die Fragwürdigkeit des ganzen Zahlenspiels ist somit von der Weltgeschichte widerlegt und zurUnglaubwürdigkeit verurteilt worden.

Der »König des Nordens«Zur Stützung ihrer Theorie vom »Ende der Welt« hatte die WTG u. a. auch Prophezeiungen desPropheten Daniel aus dem Alten Testament (Daniel 11:40,41) herangezogen. Es handelt sich hierum die aufgezeichnete Geschichte von einem Zusammenstoß zwischen einem »König desSüdens« und einem »König des Nordens«. Die erste »göttliche« Auslegung dieser Geschichtedurch die WTG in »Die Harfe Gottes« (1922), S. 21, 229, 230, besagte:Zitat"Die Harfe GottesDiese Aufzeichnungen enthüllen die Absicht Gottes mit Bezug auf den Menschen."Und zur Zeit des Endes wird der König des Südens mit ihm zusammenstoßen, und der Königdes Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen; under wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten. Und er wird indas Land der Zierde eindringen, und viele Länder werden zu Fall kommen." - Daniel 11: 40, 41.Die Erfüllung dieser Prophezeiung stellt den Beginn der "Zeit des Endes" fest, weil dieProphezeiung dies bestimmt erklärt. Der Feldzug des großen Feldherrn Napoleon Bonaparte isteine klare Erfüllung dieser Prophezeiung, wie aus den historischen Ereignissen dieses Feldzugesdeutlich hervorgeht. Der "König des Südens", von welchem in dieser Prophezeiung die Rede ist,bezeichnet Ägypten; der König des Nordens bedeutet Großbritannien, welches damals einselbständiger Teil des römischen Reiches war.Napoleon begann diesen ägyptischen Feldzug im Jahre 1798, führte ihn zu Ende und kehrte am1. Oktober 1799 nach Frankreich zurück. Der Feldzug ist kurz aber anschaulich in dieserProphezeiung Vers 40-44 beschrieben, und da dieser Feldzug 1799 zu Ende ging, so bezeichneter, nach den eigenen Worten des Propheten, den Beginn der "Zeit des Endes."Wenn man das, was in Daniel 11 über die fraglichen »Könige« geschrieben steht nüchternbetrachtet, so erkennt man, dass es sich lediglich um die Geschichte der Rivalitäten zwischen densyrischen und ägyptischen Königen in vorchristlicher Zeit handelt. Nirgends sind hier »eigeneWorte des Propheten« Daniel zu lesen, die in Neuzeit auf Napoleon hinweisen bzw. aus denenman das »Ende der Welt« gar in der heutigen Zeit entnehmen kann, wie die WTG behauptete.Die gesellschaftliche Entwicklung zwang die WTG dann auch, diese Daniel-Auslegung selbst zuliquidieren. Im Buch »Dein Wille geschehe auf Erden« (1960) werden die 1799-Auslegungen

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völlig fallengelassen, als hätte es sie niemals gegeben. Die einstige Erklärung, damit »AbsichtenGottes« enthüllt zu haben, war also Trug und Falschdeutung der Bibel. 1942 folgte darum eineneue Ausslegung der Bibelstelle Daniel 11:40,41 in dem Buch »Die Neue Welt« (S. 339, 340,347 ff.). Wie nachzulesen ist wird die Zeit um 140 Jahre verschoben. Aus Napoleon wird Hitler.Aus dem ägyptischen Feldzug Napoleons wird die brutale Niederknüppelung Polens, dieUnterjochung der Völker des Balkans und die Unterwerfung Frankreichs durch die nazistischedeutsche Wehrmacht. Aber sonst ändert sich nicht.Zitat:"DIE NEUE WELTKönnen wir bestimmt wissen, dass die Welt ihrem endgültigen Ende nahe ist, wie es JehovasZeugen so zuversichtlich erklären? Man beachte ferner die Prophezeiung: "Und zur Zeit desEndes wird der König des Südens mit ihm zusammenstoßen (ihn stoßen -- engl. B.), und derKönig des Nordens wird gegen ihn anstürmen mit Wagen und mit Reitern und mit vielenSchiffen; und er wird in die Länder eindringen und wird sie überschwemmen und überfluten."Daniel 11: 40Der demokratische, liberale "König des Südens" folgte einer erniedrigendenBesänftigungspolitik gegenüber den Forderungen und Angriffen des 'Nordkönigs', gebot jedochim August 1939 Halt. Beim nächsten Gewaltakt seines Rivalen ergriff er am 3. September 1939Maßnahmen gegen ihn. Die Welt weiß heute, was darauf folgte. Ein Blitzkrieg durch den "Königdes Nordens"In noch mehr Länder wird eingedrungen, noch weitere werden überflutet: Russland,Die erstaunliche Prophezeiung, die vor langem über den "König des Nordens" und den "Königdes Südens" ausgesprochen worden ist, erfüllt, sich jetzt, ja steht vor ihrer Enderfüllung, wasbeweist, dass wir dem endgültigen Ende dieser alten Welt der Bosheit nahe sind. Der großeUrheber aller wahren Prophezeiung erleuchtet jetzt den forschenden Sinn, damit er Neues seheSeine Taten und sein Verfahren sind erhaben über alle Zensur, die Geschöpfe ausüben mögen,und verdienen nicht, dass man sich darüber beschwere, selbst wenn man sie nicht verstünde."Unterwerfung Frankreichs durch die nazistische deutsche Wehrmacht. Aber sonst ändert sichnichts. Diese alte Pseudoweisheit in neuem Gewande wurde den Zeugen Jehovas anlässlich ihresKongresses 1942 in Zürich (Schweiz) vorgesetzt, also zu einer Zeit in der Hunderttausende aufden Schlachtfeldern Hitlers gemordet und sinnlos geopfert wurden, zu einer Zeit in der MillionenMenschen von unsagbarem Leid getroffen wurden. Die WTG-Anhänger hatten eine menschlichunverständliche Freude über dieses »Zeichen der Zeit«, wie aus einem in der Zeitschrift »Trost«vom 15. Mai 1942 abgedruckten Brief hervorgeht:Zitat:"Consolation German editionSemi-monthly - HalbmonatBern 15. Mai 1942Vol. XX, Nr. 472Die Nummer :20 Rp.… Wir möchten es nicht unterlassen, für die gesegneten Tage, die wir anlässlich der großentheokratischen Hauptversammlung in Zürich erleben durften, nebst Jehova Gott, dem großenSchöpfer, dem in erster Linie aller Dank und alle Ehre gebührt, auch Euch unsern herzlichstenDank und unsere Freude zum Ausdruck zu bringen.Unsere Gruppe hatte das Vorrecht, fast vollzählig an diesem, Feste teilzunehmen und man hörtvon jedem einzelnen die gleiche Bestätigung: "Es war die schönste und die gesegnetstetheokratische Hauptversammlung, die wir bisher miterleben durften." Es wäre schwer zu sagenwelches der schönste Tag gewesen sei, denn jeder einzelne war reichlich gesegnet.Hocherfreut waren wir alle am Samstagabend, als aber die Prophezeiung Daniels gesprochen undihre gegenwärtige Erfüllung gezeigt wurde. Man konnte wahrnehmen, wie Jehova die Schleusendes Himmels öffnete, um seinem Volke ein Verständnis über diese wunderbare Prophezeiung zugeben. Jetzt sehen wir ganz klar und dürfen voller Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft

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blicken."Das war jedoch nur ein kurzer Taumel der Einfalt und Blindgläubigkeit den die neue Auslegungder fraglichen Bibelstelle auslöste. Unmittelbar darauf widerlegte die Geschichte diese haltlosenThesen. Alles kam anders, als es angeblich Jehova »aus den Schleusen des Himmels« 1941/42durch das WTG-Buch »Die Neue Welt« zu verstehen gegeben hatte. Es wurde nicht »Russlandüberflutet«, sondern der nazistische Aggressor wurde durch die Sowjetunion und ihreVerbündeten vernichtet.Wie war es zu dieser zweiten Version der Auslegung des Propheten Daniel gekommen? DieNotwendigkeit, die ursprüngliche Lehre aufzugeben, ist bereits dargelegt worden. Mit demAusbruch des Zweiten Weltkrieges verlor die WTG-Organisation faktisch ihre weltanschaulicheOrientierung für ihre These von der »Zeit des Endes«. Es musste etwas geschehen, sollte nichtdas Häuflein der Zeugen Jehovas auseinanderlaufen wie eine führerlose Schar. Die inzwischen inder WTG neu herangewachsene Generation war nicht mehr mit der alten Anschauung, dassNapoleon der »König des Nordens« sei und die »Zeit des Endes« 1799 begonnen habe, belastet.Sie hatte nicht mehr die Theorien der »Schriftstudien« über die »Zeit des Endes« und speziellüber Daniel 11 in sich aufnehmen müssen. Sie war deshalb auch bereit, bedenkenlos die 1942verkündete neue Offenbarung über die »Zeit des Endes« hinzunehmen.Es soll hier nicht näher darauf eingegangen werden, dass bestimmte wirtschaftliche Kräfte undMilitärs hinter dem Krieg der Nazis standen, dass also die Auffassung der Zeugen Jehovas vonder Triebfeder kriegerischer Auseinandersetzungen kapitalistischer Staaten einen primitivenDilettantismus verrät. Peinlich für die WTG ist aber, dass der »große Zeitbestimmer, der daseinmal von ihm Festgesetzte nicht abändert«, es sich scheinbar doch anders überlegt hatte undnun Dinge eintraten, die den 1942 von der WTG verkündeten »Wahrheiten« aufs neuewidersprachen, auch wenn diese als »Tat und Verfahren Jehovas« und »erhaben über alleZensur, die Geschöpfe ausüben mögen,« deklariert wurden. Und daran ändert sich auch nichts,wenn die WTG erklärt, »niemand habe ein Recht, sich darüber zu beschweren, selbst wenn mansie (die Auslegung der Bibelstelle d. V.) nicht verstünde«. Damit wollte die WTG lediglich jedeKritik und Bedenklichkeit von vornherein unterbinden. Denn die Daniel-Endzeitdeutungenerwiesen sich ein zweites Mal als Fehleinschätzung der gesellschaftspolitischen Entwicklung, alstrügerisches Hinterherhinken. 1958, nachdem alte WTG-Hoffnungen auf Vernichtung desKommunismus zusammengebrochen waren, war es wieder soweit. Eine neue Orientierung warnotwendig, wollte man die Organisation durch die Endzeitvorstellungen zusammenhalten Diesozialistische Entwicklung durfte nicht länger ignoriert werden, wie man es bisher getan hatte.Man brachte eine dritte Daniel-Auslegung, wieder als »Wille Gottes« deklariert. DasWesentliche dieser neuen Auffassung ist folgendem Text (»Dein Wille geschehe auf Erden« S.277, 297) zu entnehmen:Zitat:"DEIN WILLE geschehe auf Erden"Veröffentlicht in Englisch 1958Veröffentlicht in Deutsch 1960von derWATCH TOWER BIBLE TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIAIndem Russland auf der Seite der westlichen Demokratien kämpfte, trug es dazu bei,NaziDeutschlandzu schlagen und die Stellung des totalitären, diktatorischen Königs des Nordens zuübernehmen.Zur bestimmen Zeit so sagt es die Prophezeiung, wird Gott, der Allmächtige, in den Reihen allerirdischen Gegner seiner universellen Souveränität Verwirrung anrichten, so dass sich schließlicheines jeden Hand gegen seinen Nächsten erheben wird. - Hesekiel 38:21.Von diesem Gesichtspunkt aus lese man die weiteren Worte des Engels Jehovas: "Und zur Zeitdes Endes wird der König des Südens mit ihm zusammenstoßen [gegen ihn vorstoßen Le], undder König des Nordens ,wird gegen ihn anstürmen [wie ein Sturmwind gegen ihn kommen, Le]

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mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen; und er wird in die [in einige, Le] Ländereindringen und wird sie überschwemmen und überfluten [durchziehen, RegensburgerBibel]."(Daniel 11:40) Bis hinab zur "Zeit des Endes" in Harmagedon wird eine rivalisierendeKoexistenz zwischen den "beiden Königen" bestehen. Irgendwie muss der König des Südenshandeln, ergreife er nun Präventiv- oder Schutzmaßnahmen"Aus den Erfahrungen der Vergangenheit vorsichtiger geworden, interpretiert man nun eineangebliche Vielgestaltigkeit des »Königs des Nordens«. Damit versucht man zu retten, was nochzu retten ist. Die Rolle, die man erst Hitlerdeutschland zugedacht hatte, wird jetzt densozialistischen Staaten zugeschoben. Dabei werden diese Länder als »Angriffsstreitkräfte desTeufels«, als erbarmungslos aggressiv, totalitär und abscheulich hingestellt. Man lese folgendenAuszug aus dem bereits zitierten Buch »Dein Wille geschehe auf Erden«, S. 286, 300:Zitat:"DEIN WILLE geschehe auf Erden"Wenn der Teufel in seiner Rolle als Gog von Magog "vom äußersten Norden her" zu seinemletzten Angriff übergeht, wobei er alle seine Kräfte aufbietet, wird der kommunistische Königdes Nordens zu seinen Angriffsstreitkräften gehören.Jehovas Engel sagte voraus, dass von Seiten des kommunistischen Königs des Nordens weitereAggressionen folgen werden, ehe sein Ende in Harmagedon kommt."Diese dritte Daniel-Version liegt nun schon wieder fast ein Jahrzehnt zurück. Die WTG glaubtzwar, mit ihrer Orientierung auf die sogenannte »rivalisierende Koexistenz« mit einem»aggressiven Kommunismus« als angeblich neuzeitlichsten »König des Nordens« eine Lösunggefunden zu haben, die nun nicht mehr revidiert zu werden braucht, die sich nicht wieder alshaltlos erweist - wurde doch wieder beteuert, die Geschehnisse, »die der Prophezeiungentsprechen«, würden zeigen, »mit welcher Genauigkeit Jehova, Gott, die Dinge voraussieht«.(Dein Wille geschehe auf Erde. WTG Wiesbaden 1960, S. 223)Schon zeigt sich indessen die Haltlosigkeit auch der dritten Daniel-Endzeitdeutung. DieGeschehnisse passen wieder nicht zur angeblichen göttlichen Voraussicht. »Jehovas Engel sagtevoraus, dass von seiten des kommunistischen Königs des Nordens weitere Aggressionen folgenwerden, ehe sein Ende in Harmagedon kommt«, heißt es in »Dein Wille geschehe auf Erden«, S.300. Abgesehen davon, dass nirgends in der Bibel eine Aussage eines »Engels Jehovas« über diesozialistischen Länder steht, muss man feststellen, dass von dem sogenannten »kommunistischenKönig des Nordens« bisher keine kriegerischen Handlungen ausgegangen sind. Deraufmerksame Beobachter der politischen Lage kommt vielmehr zu dem Schluss, dass nicht diesozialistischen Länder der permanente Aggressor sind, sondern die imperialistischenWestmächte, die schon 1917 bis 1922 mit Konterrevolution und Intervention über das damaligeSowjetrussland herfielen. Die Aggression der USA, des mächtigsten imperialistischen Staatesder Welt, gegen das kleine vietnamesische Volk beweist, dass sich an dieser Sachlage bis heutenichts geändert hat. Dagegen ist die Sowjetunion seit Lenins Dekret über den Frieden von 1917bemüht, militärische Konflikte zu verhindern. Die Erkenntnis, dass von; seiten der Sowjetuniondem Frieden keine Gefahr droht, bewog beispielsweise Frankreich, sich nach Abwägung allerFragen aus der NATO zurückzuziehen. All diese Fakten verweisen natürlich auch die dritteAuslegung der fraglichen Danielworte in das Reich der Illusionen. Und es ist nur eine Frage derZeit, wann sich die WTG gezwungen sieht, auch diese Nordkönig-Deutung als haltlosfallenzulassen, ungeachtet aller Berufung auf Jehova.Man überblicke nun die gesamte neuzeitliche Daniel-Deuterei der WTG, die Hauptorientierungder Zeugen Jehovas für den weiteren Verlauf der sogenannten heutigen Endzeit. Von 1799 bis indie Gegenwart umfasst sie bald zwei Jahrhunderte der Neuzeit. Keine Deutung erweist sich als»von Gott«, als zuverlässig, glaubhaft oder unanfechtbar. Jede wird von der sich gesetzmäßigweiterentwickelnden gesellschaftlichen Wirklichkeit widerlegt. Es ist ein haltloses Einhertreibenhinter der gesellschaftlichen Entwicklung, schon mehrere Generationen lang. Das zeigt, dassauch die Daniel-Geschichten keinerlei sogenannte prophetische Endzeitbedeutung im Sinne derWTG-Vorstellungen für die Neuzeit haben. Aber eines dokumentieren die Auslegungen der

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WTG, nämlich, dass sie die Zeugen Jehovas eindeutig in einer bestimmten Richtung festlegen.Ausdrücke, wie »kommunistische Aggressoren«, »kommunistische Marionetten« oder»Satelliten«, die in dem Vokabularium einer ausschließlich religiösen Glaubensgemeinschaft, dieernstgenommen werden will, nichts zu suchen haben, beweisen, dass die WTG für eine dergegenwärtigen gesellschaftlichen Hauptrichtungen Partei ergreift und die andere in unchristlicherWeise schmäht.

Die Wiederkunft ChristiDie Bibelauslegungen über eine Wiederkunft Christi im 20. Jahrhundert gehören ebenfalls zumFundament des von der WTG konstruierten Gebäudes ihrer Endzeitlehren Aber auch diediesbezüglichen Bibelstellen beziehen sich nicht auf eine Jahrtausende ferne Zukunft, d. h. aufdie heutige Zeit, sondern wieder einzig und allein auf die urchristliche Generation. Zum Beweissei eine einschlägige Bibelstelle zitiert:»15 Denn dies sagen wir euch durch Jehovas Wort, dass wir, die Lebenden, die bis zurGegenwart (Wiederkunft) des Herrn am Leben bleiben, denen keineswegs zuvorkommenwerden, die (im Tode) entschlafen sind, 16 denn der Herr selbst wird vom Himmelherabkommen … 17 Danach werden wir, die Lebenden, mit ihnen zusammen in Wolkenentrückt werden zur Begegnung mit dem Herrn in der Luft, und so werden wir allezeit bei demHerrn sein« (l. Thessalonicher 4:15-17 NW, Menge).Nach Auffassung der WTG schrieb der Apostel Paulus seinen ersten Brief an die Thessalonichermit dem zitierten Inhalt ums Jahr 50 n. Chr. Geht man nicht über das hinaus, was dortgeschrieben steht, so ist klar, dass Paulus den Christen in Thessalonich ums Jahr 50 »durchJehovas Wort« eine himmlische Wiederkunft Christi zu ihren Lebzeiten verkündigte. Hier istvon keiner zweitausend Jahre fernen Zukunft die Rede.Bis auf den heutigen Tag hat es, besonders in Krisenzeiten, natürlich immer wieder einfacheMenschen und Gruppen gegeben, die die Zeitgebundenheit jener Bibelaussagen nicht beachteten,darüber hinausgingen und glaubten, für sie und ihre Zeit seien jene Bibelaussagen geschrieben.Die Tragik dieser Menschen bestand darin, dass sie mit ganzem Herzen an solchen haltlosenAuslegungen hingen und oft seelisch zerbrachen, wenn ihre Hoffnungen und Erwartungen in einNichts zerstoben. So gab es um 1475 eine endzeitliche Bewegung unter dem russischen JudenZacharias. Zur Zeit der Reformation, 1538, wandte sich Dr. Martin Luther gegen eine Gruppe,die von Mähren aus eine bevorstehende Wiederkunft Christi verkündete.(Religion in Geschichteund Gegenwart, Bd. V. Tübingen 1913, S. 118) Während der Dreißigjährige Krieg 1618 bis 1648über Europa tobte, trat in Kleinasien ein Jude namens Sabbathai Zwi auf und verkündete für dasJahr 1648 das Erscheinen des Messias. 1666 gab er sich schließlich selbst als solcher aus. 1676starb er in Albanien in der Verbannung. (Geschichte der Juden und ihrer Literatur. Breslau1901,S. 360-365).Heute ist es unter den kleinen Religionsgemeinschaften in der Hauptsache die WTGOrganisation,die diesen Wiederkunfts- und Endzeittrug fortsetzt. Sie hatte erstmalig eineangebliche Wiederkunft Christi für das Jahr 1874 ausgerechnet, wie aus dem folgenden Abdruckaus dem WTG-Buch »Die Harfe Gottes« (1922) S. 231, ersichtlich ist:Zitat:"Die Harfe GottesDie wichtigste Sache, auf welcher alle Prophezeiungen hinweisen und worauf die Apostelerwartungsvoll vorausblickten, ist das zweite Kommen des Herrn gewesen. Es wird von denPropheten als eine gesegnete Zeit beschrieben. Daniel sagt darum: "Glückselig der, welcher harrtund tausenddreihundertundfünfzig (1335) Tage erreicht". (Daniel 12: 12). Die Wächter hier sindohne Frage diejenigen, die von dem Herrn belehrt wurden, auf seine Wiederkunft acht zu geben.Dieses Datum würde deshalb, wenn richtig verstanden, mit Bestimmtheit die Zeit festsetzen, wodas zweiter Erscheinen des Herrn fällig ist. Indem wir also dieselbe Regel, ein Tag für ein Jahranwenden, bringen und 1335 Tage nach Chr. zum Jahr 1874, zu welcher Zeit, gemäß biblischerChronologie des Herrn zweite Gegenwart fällig war."

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Diese Berechnungen hatte C. T. Russell direkt von den Adventisten übernommen, denen erdamals angehörte. 50 Jahre später, im Jahre 1925, setzte die WTG dann ein neues Datum für dieangebliche Wiederkunft Christi in der Neuzeit fest, das Jahr 1914. (Der Wachtturm, 15. März1925. Die Geburt der Nation). Alle Erfüllungen, die für die Wiederkunft von 1874 konstruiertwaren, wurden nun für die Zeit nach 1914 etwas abgewandelt und noch einmal durchgespielt. ImWTG-Lehrbuch »Dinge, in denen es unmöglich ist, dass Gott lügt«, wird das Datum von 1914wie folgt behauptet (S. 329, 336):Zitat:"DINGE, IN DENEN ES UNMÖGLICH IST, DASS GOTT LÜGT"Veröffentlicht in Englisch 1965Veröffentlicht in Deutsch 1965von derWATCH TOWER BIBLE & TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIADas würde die Zeit der Wiederherstellung des Königreiches Gottes bedeuten, dessen König ausder Linie der Familie Davids stammt, und diese Zeit war am Ende der 'bestimmten Zeiten derNationen', im Jahre 1914, gekommen. Kehrte Jesus Christus in jenem Jahre zurück? Beganndamals seine Gegenwar'?Vor neunzehn Jahrhunderten, während der leiblichen Gegenwart des Messias oder Christus aufunserer Erde, war die Zeit noch nicht gekommen, in der sich diese prophetische Vision erfüllensollte. Doch am Ende der Heidenzeiten, im Jahre 1914 u. Z., war die Zeit für die Erfüllung derVision Daniels wirklich gekommen; und das bestätigen 'die vielen Merkmale des Zeichens' derzweiten Gegenwar' oder parousia Christi, die sich erfüllt haben.Bemerkenswert ist, dass man dabei die Wiederkunftslehre von 1874 sorgfältig verschweigt,desgleichen im WTG-Geschichtsbuch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben« (1960). DieHaltlosigkeit der Berechnung des Jahres 1914 ist im Zusammenhang mit dem angeblichenBeginn der Endzeit bereits nachgewiesen worden. Dies und die offen auf der Hand liegendenManipulierungen und Zeitverschiebungen in der Wiederkunftsfrage beweisen dieUnglaubwürdigkeit auch dieser WTG-Lehre. Es geht der WTG hier nicht anders als denEndzeitgruppen vor ihr. Alle entscheidenden »Merkmale« einer heutigen Endzeit erweisen sichals haltlos, wie das schon am Beispiel des »Königs des Nordens« nachgewiesen wurde.

Obrigkeitliche GewaltenBei der WTG-Lehre über die obrigkeitlichen Gewalten geht es um die Anwendung der WortePaulus in seinem Brief an die römische Gemeinde der Christen im ersten Jahrhundert, in dem erihnen Verhaltensregeln gibt, wie sie sich dem Staat gegenüber zu verhalten haben. (Die Bibel,Römer 13: 1-9) Das besonders Schwerwiegende dieser WTG-Lehre besteht darin, dass sieRichtschnur für das Verhältnis der WTG-Anhänger zur staatlichen Ordnungsmacht sein soll, alsoAnleitung zum politischen Verhalten dem Staat gegenüber in der sogenannten heutigen »Zeit desEndes« ist. Wenn man daran denkt, dass von der Einstellung zu Staat und Regierung mituntersogar buchstäblich Freiheit und Leben abhängen können, so gehört es zu den ernstesten Dingen,hier Weisungen zu erteilen.Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, dass die WTG bis zum Jahre 1929 in der Obrigkeitsfrage,d. h. in der Erklärung der biblischen Weisungen über richtiges Verhalten zur staatlichenRegierung, auf dem Standpunkt der anderen christlichen Kirchen und Religionsgemeinschaftenstand. Sie lehrte ebenfalls, natürlich »im Namen Jehovas«, dass die im Brief an die Römerbeschriebenen Obrigkeiten, denen Christen untertan zu sein haben, die jeweiligen politischenRegierungen der verschiedenen Nationen sind. Ab 1929 wurde das, wieder »im NamenJehovas«, direkt auf den Kopf gestellt, 34 Jahre lang. Die wahre Ursache hierfür war allerdingsnicht »Jehova«, sondern die Notwendigkeit für die WTG, ihre besonders durch die Irrlehren von1925 erschütterte Autorität nicht nur weitgehend wiederherzustellen, sondern sich darüber hinausmit einer größtmöglichen religiösen Bemäntelung für die Zukunft gegenüber jeder Kritik zusichern, ja unantastbar zu machen. Das erfolgte wider besseres Wissen um die wahre Bedeutung

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der Worte Paulus an die Römer. Es sei vorweggenommen, dass die Auslegung gerade jenerBibelstellen eine unglaubliche Willkür und Skrupellosigkeit der WTG darstellt, die allein imInteresse der Erhaltung der Macht über die Anhänger geschah, ohne Rücksicht auf die sehrernsten Konsequenzen, die aus der Befolgung der WTG-Lehren entstehen mussten.Im Juli 1929 brachte die WTG in ihrem Organ »Der Wachtturm«, dem sogenannten »KanalJehovas«, einen Artikel, betitelt »Die höheren Gewalten«. Damit begann, was dann vielentausend unschuldigen und einfachen WTG-Anhängern zum Verhängnis werden sollte. Das neue»göttliche Licht« der WTG »leuchtet« aus folgendem Abdruck aus dem Buch »Jehovas Zeugenin Gottes Vorhaben», S. 124:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENDER "OBRIGKEIT' UNTERTANJOHANNES: Nun, im Juli 1929 brachte DerWachtturm einen Artikel, betitelt "Die höherenGewalten", der in zwei Teilen erschien.Ist es nicht klar, dass die Worte des Apostels Paulus ganz entschieden verkehrt ausgelegt wordensind, wenn rnan sie auf die Regierungen dieser Welt anwandte? Wenn er sagt: "Diese[obrigkeitlichen Gewalten], welche sind, sind von Gott verordnet", bezieht er sich da irgendwieauf die Nationen der Erde? Ist es nicht vernünftiger, anzunehmen, dass Gott seine Worteausschließlich an jene obrigkeitlichen Gewalten richtet, die in der Organisation Gottes bestehenund funktionieren, und nicht an die Gewalten in der Organisation Satans?Viele Schrifttexte und weitere Argumente folgten um diese Forderung zu stützen.Dieser neue Gesichtspunkt vom Verhältnis des Christen zu den Regierungen dieser Welt erfüllteJehovas Zeugen mit neuem Eifer und befähigte sie, bei Angriffen in den Kämpfen vor Gerichtstandzuhalten, die nun wie eine Flut über sie hereinbrachen. Angesichts dieser tapferenStellungnahme der Zeugen Jehovas, was ihre Unterwerfung unter Jehova Gott und ChristusJesus, die wahren "höheren Obrigkeite", betrifft, verhärteten sich ihre Gegner gegen deninthronisierten König der Regierung Gottes nur noch mehr."Als weitere Stütze zieht man die Worte des Apostels Petrus aus seinem ersten Brief (l. Petrus2:13-14) heran (Abdruck aus »Der Wachtturm« vom 1. Juli 1957):Zitat:"1. Juli 1957 Der WACHTTURMWenn die Einheit der Organisation bewahrt werden soll, ist es wichtig, dass die leitendeKörperschaft anerkannt und wegen der Stellung, die sie unter Gottes Volk heute einnimmt,respektiert wird. Diesem Laufe folgen die Zweigorganisationen in der ganzen Welt.Eines der hervorragenden Erfordernisse, die an wahre Aufseher gestellt werden, ist Demut. Sogereicht es denn zu unserer persönlichen wie auch zur vereinten theokratischen Förderung, wennwir befolgen was Petrus schrieb. "Um des Herrn willen unterwerfe euch jeder menschlichenSchöpfung: ob nun einem König [d. h. Christus Jesus] als Oberherrn oder den Regenten [d. h.seinen sichtbaren Vertretern, den "Fürsten"] als denjenigen, die von ihm zur Bestrafung derÜbeltäter entsandt werden, aber denen, die Gutes tun, Lob spenden." - 1. Pet. 2:13, 14, NW.17. Weshalb ist die richtige Unterwürfigkeit für den theokratischen Diener so wichtig?"Im »Wachtturm« vom 15. August 1952 kommt das Machtstreben der WTG Organisation mittelseiner entsprechenden Auslegung der Obrigkeitslehre unverhüllt zum Ausdruck, wie in einemgetarnten Sonderdruck für die illegale WTG-Tätigkeit in der DDR nachzulesen ist.Zitat:HÖHEREN OBRIGKEITEN UNTERTAN"UNTERTAN DEN HÖHEREN OBRIGKEITEN"Der Apostel Paulus, der von Beruf Rechtsgelehrter war, ehe er ein eifriger christlicherEvangeliumsdiener wurde, weist machtvoll auf die hervorragende Stellung wahrer höhererObrigkeiten in Gottes Regierung über seine Diener hin. Paulus schreibt: "Jede Seele sei untertanden höheren Obrigkeiten, denn da ist keine Obrigkeit ausser von Gott." (Röm. 13: 1, NW) Dieseletzten Worte: "denn da ist keine Obrigkeit außer von Gott" sind ein schlagender Beweis, dass

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die "höheren Obrigkeiten", von denen Paulus spricht, sich nicht auf die politischen Mächte derCäsar-Regierungen beziehen können.Christen in unserm zwanzigsten Jahrhundert sind rasch bereit, als Untergeordnete, ihre Knie zubeugen zur Anerkennung, dem Jehova und Christus Jesus die göttlichen Obrigkeiten sind, denensie sich in erster Linie unterwerfen und die das Recht haben, ihnen Aufgaben und Pflichtenaufzuerlegen. Paulus sagt weiter: "Die bestehenden Obrigkeiten sind durch Gott in ihrebezüglichen Stellungen gesetzt» (Röm. 13: 1, NW) Hier haben wir wiederum den Beweis, dassdiese die"theokratischen höheren Obrigkeiten" sindDiesen theokratischen höheren Obrigkeiten ist große Macht zu Strafsanktionen anvertraut. Siehaben die Macht, das Gericht an allen Gegnern zu vollziehen.Wahrlich, als Untergeordneter unter Gottes theokratische Organisation gebracht zu werden,bedeutet ein äusserst ernstes Verhältnis. Nie darf vergessen werden, dass Übeltun, grobe Untreueund Widerstand gegen Gottes theokratische Regierungsobrigkeiten furchtbare Folgen nach sichziehen.Die oben angeführten Worte aus dem Briefe des Paulus an die Römer könnten nie auf diepolitischen Mächte der Welt des Cäsars angewandt werden, wie die Geistlichkeit derChristenheit dies fälschlich behauptet."Die hier abgedruckten Texte sind eindeutig. Demnach gibt es keine andere Obrigkeit auf Erdenals die Führer der WTG-Organisation, die bei dieser Deutung schließlich allein in Betrachtkommen.Die fraglichen Bibelstellen lauten indessen nach der Elberfelder Bibelübersetzung:»1 Jede Seele unterwerfe sich den obrigkeitlichen Gewalten, denn es ist keine Obrigkeit außervon Gott, und diese, welche sind, sind von Gott verordnet. 2 Wer sich daher der Obrigkeitwidersetzt, widersteht der Anordnung Gottes, die aber widerstehen, werden ein Urteil über sichbringen. 3 Denn die Regenten sind nicht ein Schrecken für das gute Werk, sondern für das böse.Willst du dich aber vor der Obrigkeit nicht fürchten, so übe das Gute, und du wirst Lob von ihrhaben, denn sie ist Gottes Dienerin, dir zum Guten. 4 Wenn du aber das Böse übst, so fürchtedich, denn sie trägt das Schwert nicht umsonst, denn sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zurStrafe für den, der Böses tut. 5 Darum ist es notwendig, untertan zu sein, nicht allein der Strafewegen, sondern auch des Gewissens wegen. 6 Denn dieserhalb entrichtet ihr auch Steuern, dennsie sind Gottes Beamte, die eben hierzu fortwährend beschäftigt sind. 7 Gebet allen, was ihnengebührt: die Steuer, dem die Steuer, den Zoll, dem der Zoll, die Furcht, dem die Furcht, die Ehre,dem die Ehre gebührt« (Römer 13:1-7).Es bedarf keiner weiteren Erläuterungen, dass mit den Obrigkeiten hier nichts anderes gemeintwar und ist als die politischen Regierungen. Die WTG hatte das selbst bis 1929 anerkannt undlässt das seit 1962/63 wieder gelten, wie noch zu sehen sein wird. Damit ist erwiesen, dass siejahrzehntelang diese entscheidenden Bibelstellen verdrehte und durch Einschiebungen in denText entstellte, wie es deutlich im »Wachtturm«-Zitat vom 1. Juli 1957 zuvor gezeigt wurde. DieAbsicht der WTG war, sich selbst in der Autorität politischer Herrscher undRegentendarzustellen um ihr Regime über die Anhänger wieder zuu festigen.Das war um so gefährlicher und skrupellosen, weil die Anhänger der WTG auf diese Weise ineine Ausnahmestellung gegenüber Staat, Gesetz und Regierung manövriert wurden - dasGegenteil von dem, was die Bibel in dieser Sache fordert. Die Folgen waren ernste Konflikte mitBehörden und Gerichten. Es war in der Tat so, wie die WTG es darstellte - »wie eine Flut« braches über die Zeugen Jehovas herein, ein bibelwidriges und sinnlos heraufbeschworenemMartyrium.Doch nicht alle waren bereit, sich dem WTG-Obrigkeitswahn seit 1929 zu opfern. MitZuckerbrot und Peitsche ging die WTG deshalb daran, die Widerspenstigen »im NamenJehovas« zu unterwerfen. Auf der einen Seite predigte sie dazu Demut und loyale, liebendeUntertänigkeit als die »hervorragenden Erfordernisse« für die Anhänger. Auf der anderen Seiteoperierte sie mit unnachsichtigem psychologischemTerror um jeden Widerstand zuu brechen.Wer nicht »rasch bereit« war, das »Knie zu beugen« zur Anerkennung der WTG als

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obrigkeitliche Gewalt, wurde mit »Strafsanktionen« und »furchtbaren Folgen« bedroht. Die»Wachtturm«-Auszüge von 1929, 1952 und 1957 zeigten das. Das waren keine leeren Worte.Die widerspenstigen örtlichen Ältesten wurden zunächst diffamiert.Man lese folgenden Auszug aus dem WTG-Buch »Rechtfertigung« II (1932), S. 232:Zitat:"RECHTFERTIGUNGDer Name und das Wort des ewigen Gottes bewahrheitet und gerechtfertigt durchHesekiels Prophezeiungoffenbarend, was eilends über die Nationen der Welt kommen muss.Kommentare von J. F. RutherfordVerfasser von "Schöpfung", "Befreiung", "Versöhnung", "Regierung", "Prophezeiung", "Licht"und anderen BüchernBand II."Zitat:"232 Rechtfertigung Hes. 34Es gibt auch unter der Schar des Volkes Gottes einige Älteste, die immer noch meinen undlehren, die von dem Apostel (Römer 13: 1-4) erwähnten "höheren Gewalten" wären dieRegierungen oder herrschenden Mächte dieser Welt. Durch diese Ansicht und Lehre tun sieebenfalls dem Worte Gottes und seinem Volke Gewalt an, versprengen Gottes Volk und machenes den tierischen Regierungen der Organisation Satans zur Speise."Die "Strafsanktionen" der WTG ließen nicht lange auf sich warten. In dem Buch "Bewahrung"(S. 31) erklärte Präsident Rutherford 1932 über jene, die ihre Knie nicht vor der WTG alsObrigkeit beugten:Zitat:"VorwortDas Buch Esther ist ein Teil der Bibel, der jetzt fällig ist verstanden zu werden und ist einetreffende Veranschaulichung des Schutzes und der Fürsorge, die Jehova denen angedeihen lässt,die der Gerechtigkeit unerschütterlich ergeben sind und Gott mit reinem Herzen dienen. DasBuch Esther ist die Aufzeichnung eines prophetischen, von Jehova geleiteten Dramas, das seinentreuen Zeugen zur Zeit des Endes der Welt zeigen soll, welche Vorkehrung er zu ihrem Schutzeund zu ihrer gänzlichen Bewahrung getroffen hat, und ist darum eine Ermutigung für sie alle.HerausgeberWACHTTURM Bibel und Traktat-GesellschaftBrooklyn, New York, U. S. A.Zweigbüros London, Toronto, Strahtfield, Kapstadt und in anderen Ländern.Copyrighted 1932by J. F. RutherfordPreservation -German."Zitat:"BEWAHRUNGEsther 31Sie wurden zum Königreich berufen, wurden Anwärter auf einen Platz im Königreich und hattendie Gelegenheit, ewige Träger der himmlischen Krone zu werden. Sie erklärten, Glieder desLeibes des Christus und daher die Braut oder Königin zu sein. Aber anstatt gehorsam zu sein,bestanden sie auf dem persönlichen Recht, nach ihrer Weise frei und unbehindert zu wandeln.Sie weigerten sich, sich der Ordnung zu fügen und das Hochzeitskleid anzuziehen. Sie lehnten esab, das Werk des Herrn auf die von ihm bestimmte Weise zu tun, und sie bestanden darauf, esauf ihre eigene Weise zu betreiben. Sie folgten der Berufung zum Königreich, aber auseigennützigen Beweggrunde. Sie weigerten sich, der "Obrigkeit" in Gottes Organisationuntertänig zu sein, indem sie sogar daran festhielten, dass sich die betreffende Schriftstelle aufdie irdischen Regenten bezöge. (Römer 13:1; Offenbarung 19:9) Weil sie nicht festgehaltenhatten, was sie besaßen, wurde ihnen die Krone weggenommen."

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Die »Strafsanktionen«, den Widerspenstigen »die Krone« wegzunehmen, besagten, dass sieangeblich ihrer gesamten christlichen Hoffnung verlustig gingen. Das betraf speziell eine großeAnzahl der »Überrestglieder«, d. h. der geistlichen Elite der Zeugen Jehovas, die sich für die»Krone des Lebens« in Ewigkeit und Unsterblichkeit »im Himmel« berufen fühlte. DieSanktionen bedeuteten also ein furchtbares geistliches Urteil für einen Gläubigen.WTG-Präsident Rutherford beschreibt das Ende aller Widerspenstigen, die seineObrigkeitsanmaßungen nicht akzeptierten, in dem Buch »Licht« Band II im Jahre 1930 mit denWorten (S. 7, 60):Zitat:"LichtKapitel 9Sein Gericht (Urteilsspruch) wird offenbar(Offenbarung, Kapitel 15 und 16)Jehova bewahrt seine Geheimnisse, bis der rechte Zeitpunkt kommt, sie offenbar zu machen.Dann tut er sein Vorhaben zunächst denen kund, die sich fürchten, ihm zu missfallen und ihnalso lieben und ihm in treuer, selbstloser Weise dienen.So folgte dem Ausgießen der siebenten Schale, wie prophezeit ein "Erdbeben" oder eineErschütterung.Aber auch solche, die erklären, in einem Bundesverhältnis mit Gott zu stehen, sind gleichzeitigin den Bereich der Erschütterung gekommen. Gottes Blitze haben seine Wahrheit und seinVorhaben klarer als je zuvor offenbart. Die Erleuchtung über die "höheren Gewalten" (Römer13), über die "Pyramide zu Giseh" (Jesaja 19: 19), über das Buch Hiob, über die ProphezeiungenDaniels (Daniel 12) und die Erleuchtung andrer Prophezeiungen hat viel Getöse und Schüttelnverursacht, und es sind viele hinausgeschüttelt worden."Die andere Auswirkung der neuen Obrigkeitsdogmen war eine maßlose Fanatisierung derhörigen WTG-Anhänger gegenüber Staat und Regierung allenthalben. Der Grad vonFanatisierung mag deutlich werden, wenn man die von diesem Obrigkeitsdogma geprägteWTGVerkündigungbetrachtet. So gab man z. B. am 8. November 1949 in Millionen Exemplaren eine»Erwachet!«-Ausgabe (Awake) heraus mit folgenden Schlagzeilen:Zitat:"Gangster in Amt und WürdenÜberzeugender Beweis dafür, dass Politiker nicht die "von Gott verordneten obrigkeitlichenGewalten" sindBern, 8. November 1949 - Vol. XXVII Nr. 21"Awake!" - German Edition - Halbmonatlich."Der deutsche WTG-Bezirksdiener Ernst Pietzko aus Weimar vertrat dazu u. a. die Ansicht: »Fürmich sind alle Regierungen Cliquen von Gangstern und Verbrechern.« Uneingeschränktbestimmte dieser fanatische politische Tenor besonders den nach 1945 wieder auflebendenKampf der WTG gegen die sozialistischen Staaten, während man sich bezüglich der westlichenRegierungen immer im Rahmen der zugestandenen Selbstkritik hält, um die WTG-Zentrale dortnicht in ihrer Existenz zu gefährden.Nicht durch »helleres Licht« von Gott, sondern angesichts der veränderten politischen Lage nachden Ereignissen des Jahres 1961 (Sicherung der DDR-Staatsgrenze) und auf Grund derNotwendigkeit, von westlicher Seite den Realitäten in Europa schließlich Rechnung zu tragen,musste die WTG im Jahre 1962 - nach 34 Jahren - die Obrigkeitserleuchtungen, die man 1929angeblich »von Jehova« erhalten haben wollte, wieder liquidieren. Die Opfer dieser über dreiJahrzehnte währenden politischen Irrlehre wurden dabei allerdings weder erwähnt nochrehabilitiert. Wieder angeblich »von Jehova gelehrt«, erklärte man jetzt in ausführlichen»Wachtturm«-Artikeln im Januar und Februar 1963 (deutsch) als ob es kaum anders gewesen seidie politischen Regierungen der Nationen seien für Christen selbstverständlich Obrigkeiten vonGott, gemäß den genannten Bibelstellen. Nicht mit einem einzigen Wort wird der dreißig Jahre

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lange Bibelmißbrauch in dieser Frage zugegeben, keine der sinnlosen Leiden und Opfer diesesFanatismus werden erwähnt. Folgender »Wachtturm«-Auszug vom 1. Januar 1963veranschaulicht den damaligen Obrigkeitskurswechsel der WTG:Zitat:"1. Januar 1963 Der WACHTTURMWen hat Paulus mit dem Ausdruck "Obrigkeit" und "Behörden" gemeint, denen die Christenuntertan sein oder denen sie sich unterordnen sollen? Hat er jene innerhalb derChristenversammlung gemeint? Oder sind damit die politischen Obrigkeiten oder Regierungenund Behörden außerhalb der Christenversammlung, damals jene unter der Herschaft denkaiserlichen Rom, gemeint? Wem untertan zu sein, sollte Titus den kretischen Versammlungeneinschärfen?Offenbar den politischen Obrigkeiten oder Regierungen und Behörden dieser Welt."Wenn man nun diese verschiedenen Obrigkeitsauslegungen miteinander vergleicht, so kommtman zwangsläufig zu dem Schluss, dass solche Deutungen der WTG nicht auf göttlicheErleuchtungen zurückzuführen sind. Jeweilige Situationen und Interessen sind die Triebfeder.Das Schlimme dabei ist, dass durch den geistigen Terror, den die WTG ausübt, durch ihre»Warnungen« oder Drohungen Tausende von Menschen Opfer dieser »Erkenntnisse« undLehren wurden und sich für eine sinnlose Sache opferten. Das ist unter den kleinenReligionsgemeinschaften beispiellos und einmalig. Damit sind auch in einer der ernstestenFragen für Christen, in der Obrigkeitsfrage, die Willkür und Unglaubwürdigkeit derBibeldeutungen der WTG erwiesen.

Die »Fürsten«-Deutungen

Ein weiteres Kriterium für die Endzeitanschauungen der WTG ist auch ihre Lehre von denvorchristlichen oder jüdischen Gotteszeugen Abraham, Isaak, Jakob, David usw., die als»alttestamentliche Überwinder« bezeichnet werden und die angeblich zur Zeit des sogenanntenEndes, also heutzutage, von den Toten auferstehen sollen, um als irdische Regierungschefs oder»Fürsten« die »neue Welt«, das »neue System der Dinge« oder »Gottes neue Ordnung« aufErden, wie die WTG ihr zukünftiges Reich Gottes auf Erden entsprechend ihrer Weltanschauungnennt, aufzurichten. Einige Stellen aus dem Alten Testament der Bibel, besonders der 45. Psalmund das 32. Jesaja-Kapitel, wurden dafür zurecht gedeutet.Liest man diese Stellen allerdings in ihrem biblischen Zusammenhang, so ist da natürlich vonkeiner heutigen Endzeit die Rede. Der 45. Psalm ist ein Lied für eine israelitischeKönigshochzeit, und das 32. Jesaja-Kapitel spricht von einem erneuerten Gemeinwesen desisraelitischen Volkes in jener Zeit. »Erfüllungen« heute daraus zu konstruieren muss deshalbebenfalls zum Fiasko werden. Die WTG hat denn auch schon vier verschiedene »Erfüllungs«-Versionen in dieser Sache ausdenken müssen, weil eine nach der anderen haltlos wurde.Die erste Version besagte, dass die »alttestamentlichen Fürsten« in den Monaten Oktober bisDezember des Jahres 1914 auferstehen und »mit der Herrscherwürde bekleidet sein« werden. Esheißt darüber in Band 4 der »Schriftstudien« von 1916, S.325, unter dem Titel »Der Krieg vonHarmagedon«Zitat:"Der Krieg von Harmagedon"Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zurTageshöhe."Aufrichtung des Königreichs.

Einsetzung der irdischen Regenten.die Einsetzung der irdischen Regenten aber dürfen wir nicht vor Ablauf der "Zeiten der Heiden",

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Nationen, im Okt. 1914 erwarten. Darin liegt keine Abweichung von Gottes unabänderlichemPlan. Diese Regenten werden gemäß dem Bunde Gottes mit Abraham und seinem irdischenSamen Israeliten sein.Zu Beginn des Reiches, am Ende des Jahres 1914, werden also, soweit wir es verstehen, einzigdie auferstandenen Heiligen des alten Bundes von Johannes dem Täufer rückwärts bis zu Abel,Abraham, Isaak, Jakob und alle Propheten, mit der Herrscherwürde bekleidet sein. (VergleicheMatth. 11: 11; Luk. 13:28; Hebr. 11: 39, 40).INTERNATIONALE VEREINIGUNG ERNSTER BIBELFORSCHERBROOKLYN; N. Y. V. S. A. ,UND BARMEN, DEUTSCHLANDAuch: London, Melbourne, Örebro, Kristiania, Kopenhagen und Genf.1916."Doch weder die »Aufrichtung des Königreiches« noch die »Einsetzung der irdischen Regenten«erfolgte 1914. Die WTG sah sich gezwungen, eine neue Version in die Welt zu setzen, denn mankonnte diese Lehren schwerlich fallenlassen, ohne die gesamten Endzeitvorstellungen zugefährden. Fürstenauferstehung und Kommen des Königreiches wurden auf 1925 festgesetzt(»Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterben«, S. 104):Zitat:"Wir haben, wie zuvor dargelegt, überzeugende Beweise dafür, dass die alte Ordnung der Dinge,die alte Welt, zu Ende geht und deshalb gänzlich vergehen wird; dass die neue Ordnunghereinbricht, und dass das Jahr 1925104 Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterbenZeuge der Auferstehung der altestamentlichen Überwinder und des Beginns eines Wiederaufbausder zertrümmerten Weltordnung sein wird; und gestützt auf diese Beweise ergibt sich dervernunftgemäße Schluss, dass Millionen von Menschen, die jetzt auf der Erde leben, im Jahre1925 noch auf Erden sein werden. Somit müssen wir, gestützt auf die Verheißungen, die in demWorte Gottes niedergelegt sind, zu dem positiven und unanfechtbaren Schluss kommen, dassMillionen jetzt lebender Menschen niemals sterben werden.Internationale Vereinigung Ernster BibelforscherVerlagsrecht 1920"Mit diesem Zitat ist zugleich der ursprüngliche Sinn des auch heute noch von der WTG zitiertenSchlagwortes »Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterben» zu erkennen, wobeiman den Bezug auf 1925 natürlich weglässt.Das Jahr 1925 wurde für die WTG zu einer Katastrophe. Tausende Anhänger erwachten ausihrer Einfalt und begriffen, dass die WTG nur weltanschauliche Illusionen verkündigt. Auchhöchste WTG-Führer machten nicht mehr mit. Sie fühlten sich vor der Öffentlichkeitkompromittiert. Zu ihnen gehörte u. a. der Leiter des Zentraleuropäischen WTG-Büros in derSchweiz, der Amerikaner C. C. Binkele, der noch 1924 zusammen mit Präsident Rutherford, mitdem kanadischen Zweigdiener Salter und dem deutschen Zweigdiener Balzereit auf einerWTGGeneralversammlung in Magdeburg die 1925-Irrlehren eifrig öffentlich verfochten hatte.Mit den sensationellen Naherwartungen von sogenannten Erfüllungen, festgelegt auf bestimmteJahreszahlen, musste man jetzt Schluss machen. Dabei konnte man sich ja um Kopf und Kragenpredigen und den ganzen Zusammenhalt der WTG-Organisation verspielen. Völlig aufgebendurfte man diese »Fürsten«-Lehren jedoch nicht das gäbe eine zu große Erschütterung. War mitihnen doch die Hoffnung auf die Verwirklichung des gepredigten Gottesreiches auf Erden zu engverbunden worden. Die ganzen Endzeitvorstellungen könnten bei den Anhängern ins Wankengeraten. Man entschärfte darum diese Lehren, indem man die in ihnen enthaltenen Zeitangabenso abänderte, dass sie im Grunde genommen unkontrollierbar wurden. Das Ergebnis war einedritte Version.Die Erschütterungen von 1925 müssen jedoch so schwer gewesen sein, dass Rutherford mitneuen Versprechungen und Voraussagen in dieser Sache nicht mehr durchzukommen glaubte. Ersah sich gezwungen, Tatsachen zu schaffen, die trotz des bisherigen Fiaskos einen

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unerschütterlichen Glauben an jene Fürsten und ihr Kommen demonstrieren sollten. Er ließdarum im Jahre 1930 in San Diego, Kalifornien, USA, eine Villa bauen, in die jene Fürsten nachihrer Auferstehung angeblich einziehen würden. Die WTG berichtet darüber 1942 in ihrem Buch»Die Neue Welt«, S. 104:Zitat:"Die NEUE WELTIn dieser Erwartung ist im Jahre 1930 in San Diego, Kalifornien, ein Haus gebaut worden, überwelches die religiösen Feinde in der breiten Öffentlichkeit böswillig vieles geredet haben. Esträgt den Namen "Beth-Sarim", was "Haus der Fürsten" bedeutet. Zur Zeit wird es alsWohnstätte für die zurückkehrenden Fürsten verwaltet. Die jüngsten Geschehnisse zeigen, dassdie Religionisten der gegenwärtigen, dem Untergang geweihten Welt wegen des Zeugnisses, dasdurch dieses "Haus der Fürsten" für die neue Welt gegeben wird, mit den 'Zähnen knirschen'.Diese Religionisten und ihre Bundesgenossen wird es nicht freuen, dass jene treuen Menschender alten Zeit zurückkehren um nach Recht und Gerechtigkeit über das Volk zu herrschen. DenMenschen "guten Willens" aber, von denen die Engel gesungen haben, wird dies ein Anlass zugrenzenlosem Jubel sein, und sie werden sich um jene fürstlichen Vertreter des Reiches derHimmel scharen."Man darf die psychologische Wirkung auf die leichtgläubigen WTG-Anhänger nichtunterschätzen, wenn ihre »gottvertretenden« Führer darangehen, ein Haus zu bauen, dass für jeneGlaubensheiden des Alten Testaments als erste Wohnstätte gedacht ist. Dann muss es ja wirklichnicht mehr weit sein bis »Harmagedon« und zur Auferstehung jener alttestamentlichenÜberwinder, trotz allem! So wurde der Hoffnung neue Nahrung gegeben, und die Anhängererwarteten voller Spannung die kommenden Ereignisse, in Wirklichkeit jedoch die Erfüllung derdritten Version. Im WTG-Buch »Die Wahrheit wird euch freimachen« wurde diese dritteFürstendeutung schließlich öffentlich gepredigt.Zitat:"DIE WAHRHEIT WIRD EUCH FREI MACHEN"28. KapitelFÜRSTEN EINER FREIEN ERDEEinige Bibelaussagen und prophetische Dramen deuten an, dass sie noch vor der Schlacht vonHarmagedon zum Leben erweckt werden, mit dem treuen geistlichen Überrest zusammentreffenund mit ihm die gewaltige Schlacht und den herrlichen Sieg sehen, wovon sie weissagten."Offenbar wurde es für die WTG zu einem unerträglichen Problem, die Anhänger mit der drittenVersion dennoch in Ungewissheit darüber zu halten, wann die »Fürsten« denn nun konkretkommen würden. Man hatte doch inzwischen auch gepredigt, der Zweite Weltkrieg würde in»Harmagedon« und damit ins Weltende übergehen - da wären die »Fürsten« nämlich längstfällig gewesen. Nichts dergleichen war jedoch eingetreten, und so schwebte die Fürstenfrage seitEnde des Zweiten Weltkrieges wieder problematisch in der Luft. Rutherfords Nachfolger, N. H.Knorr, ließ sie deshalb ein für allemal aus der Welt schaffen. Er verkaufte die Villa in San Diego,in der in Wirklichkeit Rutherford bis zu seinem Tode gewohnt hatte, und erklärte 1952 - wieder»von Jehova gelehrt« - im »Wachtturm«, vor "Harmagedon" könne es keine Fürstenauferstehungmehr geben, sie seien längst auferstanden. Die ganze Sache habe sich schon seit 1919 erfüllt - dieseit 1919 in der WTG-Organisation amtierenden Diener oder Funktionäre seien jene "Fürsten"Zitat:"Der WACHTTURM 1. März 1952 S. 41IN DER ZEIT DER WIEDERHERSTELLUNGSollen wir aus dem Umstand, dass Christus Jesus zur Zeit der Geburt des Königreiches im Jahre1914 zu regieren begonnen hat, folgern, dass seine Fürsten seither in Gerechtigkeit sichtbar aufErden geherrscht haben? Jawohl, doch vom Jahre 1919 an.Der König regiert nun in Gerechtigkeit über sie. Im Interesse des Friedens unter ihnen und umder Gerechtigkeit willen hat er eine sichtbare Einrichtung unter ihnen geschaffen, um dieProphezeiung, dass "Fürsten nach Recht herrschen" werden, zu erfüllen. Diese Prophezeiung

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stellt für solche "Fürsten" den Maßstab für ihr Benehmen im Amte auf, damit die Organisationauf Erden rein und gerecht erhalten bleibe. Jene, die auf theokratische Weise zu Dienern in derOrganisation gemacht worden sind, müssen nach Recht und Unparteilichkeit und mithimmlischer Weisheit handeln."Mit anderen Worten, das Regime der WTG-Diener sei die von Jesaja vorausgesagte Herrschaftder "Fürsten in Gerechtigkeit." Man braucht indessen nur in Betracht zu ziehen, wie diese»Fürsten« in der WTG-Organisation seit 1919 in der angemaßten Autorität zu den»obrigkeitlichen Gewalten« zu gehören, Tausende ihrer Mitdiener, die jene Obrigkeitsanrnaßungablehnten, rücksichtslos davonjagten und eine Flut sinnloser Gerichtsprozesse und Leiden für dieHörigen heraufbeschwörten. Damit ist gekennzeichnet, was für ein ausgemachter Trug auch dievierte Version von den angeblich »in Gerechtigkeit herrschenden Fürsten» innerhalb derWTGOrganisationin Wirklichkeit ist, die man jetzt als sogenannte Endzeiterfüllung predigt. Abraham,Isaak, Jakob und die anderen alttestamentlichen Gotteszeugen hat man sich dabei für einenweiteren Verlauf der »Zeit des Endes" heute vom Halse geschafft, indem ihr Kommen auf dieZeit nach »Harmagedon« verschoben wurde.Zusammengefasst sieht man auch am Beispiel der WTG-Fürsten-Lehren die bereits getroffeneFeststellung bestätigt, dass jedes Ausdeuten der Bibel im Sinne einer heutigen »Zeit des Endes«zum Scheitern verurteilt ist. Es bleibt ein endloses Verschieben und Umdeuten, weil dieseBibelstellen eben nicht im Hinblick auf die heutige Zeit verfasst worden sind.

Das apokalyptische wilde TierEine weitere Hauptstütze für die WTG-Anschauung von einer sogenannten heutigen Endzeit istdie Auslegung des letzten Buches der Bibel, der Offenbarung. Es ist natürlich unmöglich, hierdie gesamte Offenbarungsdeutung der WTG vorzustellen, hat sie sich doch schon dreimal imLaufe ihrer Geschichte daran gemacht, die Offenbarung zu deuten, was jedesmal rund 700Buchseiten füllte. Es genügt, das Wesentliche aus diesen drei Deutungsversuchen darzulegenund kritisch zu untersuchen.Die erste umfassende Offenbarungsauslegung im Sinne einer heutigen Endzeit wurde 1917 imAuftrage von Präsident Rutherford vorgenommen. Das Ergebnis veröffentlichte die WTG 1917in Gestalt des 7. Bandes der »Schriftstudien«, betitelt »Das vollendete Geheimnis«. Man erklärtedazu, »die richtige Zeit der Entsiegelung des ganzen Buches« der Offenbarung sei gekommen,die Zeit, wo "die Deutung und Auslegung nicht mehr bestritten und widerlegt werden" könne.Die Auslegung stehe "mit dem göttlichen Plan in Einklang", und das sei der "Beweis für dasÜberwalten dieser Angelegenheit durch den Herrn". Man lese einen Auszug aus dem 7. Band der"Schriftstudien":Zitat:"Schriftstudien"Der Pfad der Gerechten ist wie das glänzende Morgenlicht, das stets heller leuchtet bis zurTageshöhe."Serie 7.Das Vollendete GeheimnisVerlagsrecht 1917Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft, Brooklyn, N. Y., U. S. A.Vorwort der HerausgeberEs schien dem Herrn wohlgefällig zu sein, dass die Brüder C. J. Woodworth und George H.Fisher den siebenten Band unter der Anweisung der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaftschreiben sollten. Obschon beide in derselben Stadt wohnten, so haben sie doch ein jederselbständig für sich und ganz getrennt gearbeitet und nicht einmal Zwiesprache über ihre Arbeitmiteinander gehalten. Der Leser wird beurteilen können, wie völlig trotzdem das Werk des einenmit dem des anderen und mit dem göttlichen Plan in Einklang steht, was ein weiterer Beweis fürdas Überwalten dieser Angelegenheit durch den Herrn ist."

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Von der gesellschaftspolitischen Entwicklung widerlegt, ist dieses angeblich »vom Herrnüberwaltete« und »vollendete Geheimnis« längst auf den Müllhaufen der neuzeitlichenGeschichte gefegt worden. Den einen Verfasser des auch noch in anderer Weiseverhängnisvollen 7. Bandes der »Schriftstudien«, George H. Fisher, WTG-Direktor und -Redakteur, verjagte WTG-Präsident Rutherford später persönlich aus »Amt und Versammlung«.(Fisher hatte sich Anfang der zwanziger Jahre gegen die Sittenskandale in der damaligenWTGFührunggewandt, was durch die 1926 veröffentlichte Korrespondenz zwischen Fisher undseinem Freund und ehemaligen WTG-Mitarbeiter, W. Niemann, Magdeburg, der Öffentlichkeitbekannt wurde.)Das »Licht der Erkenntnis« sei heller geworden, begründete man die bis 1930 endgültigvollzogene Liquidierung des einst »vollendeten Geheimnisses«. Die Wahrheit war, dass man mitder »endzeitlichen« Offenbarungsdeutung unwiderruflich den ersten Schiffbruch erlitten hatte.Was blieb weiter übrig, als eine neue Offenbarungsdeutung vorzunehmen? Es war schließlich einDing der Unmöglichkeit, das letzte Buch der Bibel nun nicht mehr anzurühren. Im Jahre 1930legte Rutherford eine zweibändige neue endzeitliche Deutung in seinem Buch »Licht« vor. Dieeinst als unbestreitbar und unwiderlegbar - weil »vom Herrn überwalltet« - bezeichnetenAuslegungen von 1917 übergeht Rutherford einfach (»Licht«, Band 1, S. 5, 6)Zitat:"LichtEine Darlegung wahrnehmbarer Tatsachen in Erfüllungder Offenbarungdie Gott Jesus Christus gab, um sie seinen Knechten kundzutunIn zwei BändenKommentare von J. F. RutherfordVerfasser von"Schöpfung", "Die Harfe Gottes" "Versöhnung", "Regierung", "Befreiung" "Prophezeiung""Leben" und andren BüchernBand 21. Auflage 1 200 000 ExemplareLight. German - Made in GermanyVerlagsrecht 1930J. F. RutherfordMade in GermanyHerausgeberInternationale Bibelforscher-VereinigungWachtturm Bibel- u. Traktat-GesellschaftMagdeburg Brooklyn, New York, U. S. A. - BernLondon, Toronto, Sydney, Kapstadt, Wien, Brünn u. in andren Ländern."Zitat"VorwortMit dankbarem Herzen Gott gegenüber veröffentlichen wir nun "Licht", worin der Text derOffenbarung und eine kurze Aufzeichnung der Geschehnisse, die die Erfüllung dieser herrlichenProphetie beweisen, vorgelegt werden. Der Bequemlichkeit halber wird "Licht" in zwei Bändenherausgegeben. Für das, was hierin veröffentlicht wird, ist keinem Menschen irgendwelche Ehreoder Verdienst zuzuschreiben. Die Offenbarung gehört Gott, und er hat sie seinen geliebtenSohne zum Nutzen seiner Knechte gesandt.Jedoch ist vor 1930 keine befriedigende Erläuterung der Offenbarung veröffentlicht worden, undzwar aus dem offensichtlichen Grund, weil Gottes Zeit noch nicht gekommen war, um seinenKnechten das Verständnis zu eröffnen."Aber auch die zweite Deutung der Offenbarung für eine angeblich heutige »Zeit des Endes«wurde infolge der gesellschaftlichen Entwicklung haltlos.

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30 Jahre nach dem Erscheinen der beiden Bände »Licht« liegt nun die dritte, angeblichendgültige WTG-Offenbarungsdeutung in dem Buch »Babylon die Große ist gefallen« (1963)vor. Die einstmals als »von Gott« gegebenen Offenbarungserklärungen in »Schriftstudien« Band7 und »Licht« I und II fertigt man ab als »erste Kommentare« und »neuzeitlichere Erklärungen«(S. 678), wobei man verschweigt, dass sie einst als unbestreitbar und unwiderlegbar derWeltöffentlichkeit präsentiert. wurden. Das zuzugeben, würde nämlich als Eingeständnisangemaßter Unfehlbarkeit und des Missbrauchs des Vertrauens der WTG-Anhänger aufgefasstwerden müssen, als Irreführung der Öffentlichkeit. Trotz allem setzt man aber auch die dritteOffenbarungsdeutung unter der unglaubwürdigen Formel in die Welt, Gott gäbe wieder neuesLicht der Erkenntnis. Im einleitenden Kapitel zum »Babylon«-Buch »Vor Enthüllung einesGeheimnisses« - ist das auf Seite 8 wie folgt zu lesen:Zitat:"BABYLON DIE GROSSE IST GEFALLEN!"Veröffentlicht in Englisch 1963Veröffentlicht in Deutsch 1965von derWATCH TOWER BIBLE & TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIADas letzte Buch der Bibel gibt uns viele Anhaltspunkte die uns helfen, diese internationale"Hure" zu kennzeichnen. Diese Anhaltspunkte sind jedoch von prophetischer Art. Aus diesemGrund müssen wir in die Blätter der Geschichte Einblick nehmen und dem Geschichtsbericht diebiblische Prophetie gegenüberstellen, um genau herauszufinden, wer das vorhergesagte Babylonist. Auf diese Weise können wir bestimmt erfahren, wie Gott das Geheimnis Babylons, das er insein Wort, die Bibel, hineingelegt hat, enthüllt."Ein drittes Mal also verschanzt man sich in dieser widerspruchsvollen Sache hinter Gott. Wiederwerden Leichtgläubigkeit und Einfalt der WTG-Anhänger ausgenutzt, um sie mitpseudohistorischen Vergleichen, die einen Anschein von Wissenschaftlichkeit vortäuschensollen, weiterhin willig und hörig zu halten.Die hier allgemein dargelegte Haltlosigkeit auch der gesamten endzeitlichenOffenbarungsdeutung der WTG soll nun an einem charakteristischen Beispiel veranschaulichtwerden.In Offenbarung 17:8 ist in Bildersprache von einem Tier die Rede, »das war, nicht ist und wiederda sein wird«. Man wird sogleich sehen, dass diese Tierdeutung eine zentrale Bedeutung in derpolitischen Endzeitorientierung der WTG-Anhängerschaft hat. In der ersten »göttlichen«Deutung, die angeblich nicht mehr zu bestreiten und zu widerlegen war, stellte dieses Tier inÜbereinstimmung mit der 1799-Endzeitirriehre das als Antichrist bezeichnete Papsttum dar. Eshieß darüber in Band 7 der »Schriftstudien«, S. 358.Zitat:"358 Das Vollendete Geheimnis Off. 17die Entsiegelung des ganzen Buchesund dass er nicht versuchen würde, dies zu tun, bevor die richtige Zeit gekommen sei, wo dieDeutung und Auslegung nicht mehr bestritten und widerlegt werden könne." Diese Zeit ist jetztoffenbar gekommen.17: 8 Das Tier, welches du sahest: Der Antichrist.War: Übte tatsächliche Herrschaft bis 1799 n. Chr. aus.Und ist nicht: Hat nicht einmal eine Spur weltlicher Macht seit 1870 gehabt. Seitdem ist es imZustande der Vergessenheit, dem "Abgrunde", gewesen.Und wird aus dem Abgrunde heraufsteigen: "Aus dem Vatikan eingetroffene Privatbriefe, die anDr. A. Palmieri, der zum Beamtenstabe der Kongreßbibliothek gehört,Werden sich verwundern: Erstaunt sein, erschreckt und bestürzt "über das Wiedererscheinen desTieres." - CookWenn sie das Tier sehen, dass es war und nicht ist und WIEDER da sein wird: Das päpstlicheReich wiederhergestellt."

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In der zweiten Deutung dieser Bibelstelle, entsprechend dem "Licht von Gott" in den WTGBüchern"Licht" von 1930, war dieses Tier nicht das Papsttum, sondern das Haager Weltgerichtseit 1899. Es heißt in "Licht", Band II, S. 103, 104:"Und das Tier, welches war und nicht ist, er ist auch ein achter und ist von den sieben und gehtins Verderben." (Vers 11) Das achte "Tier" ist 1899 als das "Haager Weltgericht" ins Daseingekommen. Es ist ein 'königfarbenes Tier', weil es aus den Herrschern der Weltzusammengesetzt ist. Es ging 1914 in den Abgrund und 'war nicht' und kam nach dem Kriegewieder hervor. Es entstammt der siebenten Weltmacht, da es der britische Gesandte war, der beider Haager Konferenz die Führung bei der Schaffung des Weltgerichts innehatte, und da es dasBritische Weltreich war, (wovon Amerika ein Bestandteil ist, und mit dem zusammen es das'zweigehörnte Tier'104 Licht Offbg. 17ausmacht), das das achte "Tier" in der Gestalt der Völkerliga aus dem Abgrund hervorgebrachthat."Nachdem nun auch diese Tierdeutung infolge der politischen Entwicklung haltlos geworden war,verschwieg man die Deutungen als Papsttum und Haager Weltgericht und verschob die ganzeTierauslegung nach 1945 auf die Vereinten Nationen (UN). Man lese diese dritte Version im"Babylon"-Buch der WTG von 1965, S. 586:Zitat:"586 "BABYLON DIE GROSSE IST GEFALLEN!" Offenbarung 17: 7, 8als damals der katholische Nazi-Diktator Hitler im September 1939 den Zweiten Weltkriegentfachte.Damals ging der Völkerbund tatsächlich in dem bis dahin umfassendsten Krieg der Welt in denAbgrund einer rasenden, aufbrausenden Menschheit. Er war sozusagen vorübergehend aus demLeben ausgeschieden. Der Engel Gottes äußerte sich dem Apostel Johannes gegenüber so, als seidamit das scharlachfarbene Tier im Abgrund; und doch sei es im Begriff, aus dem Abgrundheraufzusteigen. Mit verblüffender Übereinstimmung damit erkannten Jehovas Zeugen im Jahre1942, also mitten im Zweiten Weltkrieg, dass dieses internationale Tier gleichsam im Abgrundwar, und sie wiesen auf Offenbarung 17:8 hin, wo die Voraussage enthalten war, dass das Tiernach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Abgrund heraufsteigen werde.die Vereinten Nationen. Die erste Vollversammlung wurde am 10. Januar 1946 in London,England (das zu der Doppelweltmacht gehört), abgehalten. Der Sicherheitsrat tagte sieben Tagespäter.Jehovas Zeugen erkannten sogleich, dass das scharlachfarbene wilde Tier nun aus dem Abgrundheraufgestiegen war."Ein weiteres Mal hatte die WTG damit ihre Offenbarungsdeutung der politischen Lageangepasst, was man vor der Anhängerschaft jedoch wieder prompt als »Licht von Gott«hinstellte. Allzu deutlich ist dies aber immer wieder nur ein Anpassen an die imperialistischePolitik und deren Globalstrategie, um die illusionistischen Endzeitvorstellungen weiter glaubhafterscheinen zu lassen.So zeigt auch die Offenbarungsdeutung der WTG im allgemeinen wie im einzelnen, dass es einzum Scheitern verurteiltes Unterfangen ist, die Bibel im Sinne einer heutigen »Zeit des Endes«deuten zu wollen. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, wann die WTG zu einer vierten Deutungder Offenbarung gezwungen sein wird.

Der »Krieg von Harmagedon«Die Übersicht und Wertung der ausschlaggebenden WTG-Lehren von einer angeblichenheutigen »Zeit des Endes« soll mit einer Untersuchung der Bibelauslegungen abschließen, die alsHöhepunkt dieser vermeintlichen Endzeit gepredigt wurden und werden. Es ist die WTG-Lehrevom Weltende in der sogenannten »Schlacht von Harmagedon«, dem »Universalkrieg Gottes«,in dem alle gegenwärtigen Gesellschaftsordnungen vernichtet werden sollen. Jenseits dieserVernichtung der heute lebenden Menschheit mit Ausnahme der WTG-Anhänger soll dann das

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ewige irdische Paradies der Überlebenden beginnen, die Zeit der Belohnung für dieWTGGläubigen,das endzeitliche Gottesreich auf Erden. In dieser Vernichtungslehre gipfeltschließlich die WTG-Endzeit-Weltanschauung.Sie baut auf verschiedenen Schriftstellen des Alten Testaments auf, in denen von.»vernichtenden Strafgerichten Gottes« die Rede ist und stützt sich im Neuen Testamentbesonders auf das 16. Kapitel der Offenbarung, wo der Begriff »Harmagedon« das einzige Malin der ganzen Bibel erscheint, allerdings nicht im Sinne der WTG-Vorstellungen. DieseBibelstellen werden nun in der bereits mehrfach geschilderten Weise zweckgerichtetkommentiert und ausgelegt, so dass schließlich eine Lehre daraus entsteht die schrecklicher istals die grausamen Höllendarstellungen der großen Glaubensfanatiker des Mittelalters. Sie ist eineder Geißeln, die die WTG über ihre Anhänger schwingt um sie in Gehorsam zu halten. Über diesogenannte Schlacht von Harmagedon als Abschluss der angeblichen »Zeit des Endes« liegenbisher schon fünf verschiedene und sich widersprechende Bibelauslegungen vor, jede jedoch als»Licht von Gott« verbreitet. Die erste Auslegung besagte, dass »Harmagedon« 1914 zu Ende sei.Man lese die folgenden Auszüge aus Band 1 und 2 der »Schriftstudien«, betitelt »Der göttlichePlan der Zeitalter« von 1886 und »Die Zeit ist herbeigekommen« von 1889 (Band 2, S. 97; Band1. S. 317, 319. 320):Zitat:"Der Göttliche Plan der Zeitalter"Eine Rechtfertigung des Charakters und Walten Gottes. Eine Darstellung unter Berücksichtigungund im Einklange mit der ganzen Heiligen SchriftDie Anstrengungen der Massen, sich aus der Herrschaft des Kapitals und der Maschinen zubefreien, wird eine zu v o r z e i t i g e sein; Pläne und Vorkehrungen werden noch unvollständigund ungenügend sein, wenn sie von Zeit zu Zeit ihren Weg erzwingen und die engen Bande von"Angebot und Nachfrage" sprengen wollen. Jeder erfolglose Versuch wird die Zuversicht desKapitals auf seine Fähigkeit, die bestehende Ordnung der Dinge aufrecht zu erhalten, stärken, bisendlich die zurückhaltende Macht der Organisationen und Regierungen ihre äußerste Grenzeerreicht hat, und die Bande des gesellschaftlichen Organismus zerreißen werden. Gesetz undOrdnung sind dann dahin; und Anarchie wird weit und breit a l l e s das herbeiführen, was diePropheten über diese Drangsal vorausgesagt haben, eine "Drangsal", dergleichen von Anfang derWelt bis jetzt nicht gewesen ist" - und Gott sei Dank für die hinzugefügte Zusicherung - "noch jewieder sein wird."Sie wird alle überzeugen, dass der einzig ausführbare Weg, die Schwierigkeiten zu überwinden,der ist, eine starke und gerechte Regierung aufzurichten, die alle Klassen unterwerfen und dieGrundsätze der Gerechtigkeit erzwingen wird, bis nach und nach die steinern, harten Herzen derMenschen unter günstigen Einflüssen dem ursprünglichen Bilde Gottes den Platz einräumen. Dashat Gott durch die Millenium-Herrschaft Christi zum Besten aller verheißen."Zitat:"Die Zeit ist herbeigekommen.Zeiten der NationenMan verwundere sich daher nicht, wenn wir in den nachfolgenden Kapiteln Beweise beibringen,dass das Aufrichten des Königreiches Gottes schon begonnen habe, dass in der Prophezeiungaufgezeichnet stehe, dass das Jahr 1878 die Zeit sei, da die Ausübung seiner Macht beginnensollte, und dass der "Krieg des großen Tages Gottes des Allmächtigen" (Offb. 16:14), der imJahre 1914 zu Ende gehen soll, bereits angefangen ist."Im Unterschied zu den jüngsten Versionen über »Harmagedon« wurde hier jedoch noch nicht diebarbarische Ausrottung aller Nichtzeugen Jehovas verkündigt, sondern eine Umerziehung derMenschen in ihrer Geisteshaltung in jener »Millenniumsherrschaft«, dem TausendjahrreichGottes. Nur die gesellschaftliche Ordnung sollte untergehen.Gegen Ende des Ersten Weltkrieges 1917/18 brach die internationale Organisation und Tätigkeitder WTG vollkommen zusammen. Nicht etwa, weil man es unterlassen hätte, den Anhängern

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christliche Tugenden und Bruderliebe zu predigen, oder weil man den Glauben an Gott zerstörthätte - das ist ja nicht der eigentliche Zusammenhalt der WTG-Anhänger. Die WTGOrganisationbrach zusammen, lag »wie ein Leichnam auf der Straße«, weil derweltanschauliche Zusammenhalt, die endzeitliche Ausrichtung, in die Brüche gegangen war:1914 war weder »Harmagedon« zu Ende gegangen, noch waren die »Fürsten« auferstanden,noch hatte das »Millennium Christi« auf Erden begonnen. Die gesellschaftliche Entwicklunghatte hier sämtliche »im Namen Jehovas« gepredigten "Erfüllungen« als Illusionenhinweggefegt.Dessenungeachtet war die Zahl der verstörten, aber verbliebenen Anhänger und der durch denKrieg Geschlagenen und Verzweifelten groß genug um erneut leichtgläubige Ohren zu finden.Das Risiko, eine neue grundsätzliche Endzeitorientierung zusammenzuzimmern, schien derWTG nicht zu groß.Zu den neuen Deutungen gehörte auch eine neue Harmagedon-Version, die zweite. Sie stand imZusammenhang mit der sensationellen Verkündigung von 1920 - »Millionen jetzt lebenderMenschen werden niemals sterben!« -, die bei der Erörterung der »Fürsten«-Deutungen für 1925erwähnt wurde. »Harmagedon« sollte jetzt ebenfalls 1925 zu Ende sein. Man vergleiche hierzuden Text im Abschnitt über die »Fürsten«, wo es hieß: »Wir haben, wie zuvor dargelegt,überzeugende Beweise dafür, dass die alte Ordnung der Dinge, die alte Welt, zu Ende geht unddeshalb gänzlich vergehen wird, und dass die neue Ordnung hereinbricht, und dass das Jahr 1925Zeuge der Auferstehung der alttestamentlichen Überwinder und des Beginns einesWiederaufbaus der zertrümmerten Weltordnung sein wird.«(Millionenbroschüre. WTG 1920, S.103/104)Auch diese zweite Harmagedon-Version wurde schließlich von der gesellschaftlichenEntwicklung auf den Müllhaufen der religiösen Irrlehren gefegt. In den neuesten Darstellungender WTG sind diese kompromittierenden Dinge nicht mehr enthalten. So wird man in dem Buch»Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, das eine wahre Darstellung der geschichtlichenEntwicklung der WTG und ihrer Lehren sein soll, kein Wort mehr über die »Fürsten«- und»Harmagedon«-Hoffnungen von 1925 finden. Ganz nebenbei nur heißt es über die fragliche Zeitauf S. 110:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENWährend der Jahre 1922 bis 1925 half Jehova Gott seinem Volke, zu warten oder auszuharrenund das Werk der Verkündigung seines Königreiches in immer größerem Umfangdurchzuführen.Offensichtlich gab es jedoch einige, die nicht mit dem treuen Überrest des Herrn "warteten". imJahre 1926 wurde ein Absinken der Teilnehmerzahl gemeldet, denn am 27. März nahmen nurnoch 89 278 Personen am Abendmahl des Herrn teil. Besonders das Jahr 1925 erwies sich fürviele Glieder des Volkes Jehovas als ein Jahr großer Prüfungen. Einige gaben das Warten aufund gingen mit der Welt. Jene aber, die diese kritische Zeit überstanden, wurden durch dieSegnungen, die Jehova vom Mai 1926 an für sie bereithielt, in der Tat glücklich gemacht."Kein Wort von den nicht auferstandenen »Fürsten«. Und von denen, die auf Grund der nichterfüllten Prophezeiung den Bibelforschern den Rücken kehrten, sagt man fälschlicherweise, dasssie nicht warten konnten und deshalb »mit der Welt gingen«. Das peinliche Nichterscheinenderjenigen, die aufzuerstehen hatten, umschreibt man mit dem Ausdruck »ein Jahr großerPrüfungen«. So wird die wirkliche Geschichte der WTG für die Nachwelt systematisch entstellt.Da die weltanschauliche Orientierung der Zeugen Jehovas auf die Gegenwart als Endzeit, in derdie »Schlacht von Harmagedon« stattfinden soll, eine Existenzfrage ist, weil sie die Anhängerder WTG zusammenhält, mussten anstelle der 1925 Harmagedon-Irrlehren unbedingt neuederartige Zukunftsvisionen proklamiert werden. Eine neue sogenannte Harmagedon-Erfüllungwurde erdacht, die dritte. Die sich verschärfende internationale Situation nach dem Machtantrittdes Faschismus in Deutschland, die auch die WTG-Tätigkeit immer mehr erschwerte (alleWTGKompromisse

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mit dem Hitlerfaschismus waren fehlgeschlagen, wie noch gezeigt wird), machtees immer dringlicher, die seit 1925 fälligen neuen Endzeitorientierungen herauszubringen, wenndie Anhängerschaft nicht wie im Ersten Weltkrieg der Desorientierung preisgegeben werdensollte. Die WTG veranstaltete deshalb 1938 in London einen großen Kongress - es sollte derletzte dieser Art vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa sein. Um den Hauptvortrag desPräsidenten Rutherford so weit wie möglich zu Gehör zu bringen, arrangierte man Radio- undTelefonverbindungen zu 50 Städten der USA, Kanadas, Englands, Australiens, Neuseelands undTasmaniens, in denen Parallelkongresse stattfanden. Von den USA strahlten außerdem 118Radiostationen diesen Vortrag aus, der die neue weltanschauliche Orientierung geben sollte. Erstand unter dem sensationellen Thema: »Schau den Tatsachen ins Auge und erkenne deneinzigen Weg des Entrinnens!« Gott selbst, »der unmöglich lügen kann«, habe sie enthüllt. Überdas Arrangement dieser Kongresse und deren Bedeutung heißt es in einer Drucklegung desHauptvortrages im Vorwort:Zitat:WAS SIND DIE TATSACHEN?Das, was Gott der Allmächtige, der unmöglich lügen kann, selbst enthüllt und nicht das, wasirgendeine Untersuchungskommission voreingenommener, parteiischer Männer zu Tage fördernmag. Richter Rutherford führt sie dir klar vor Augen.Die Tatsachen sind von solcher Wichtigkeit, dass Richter Rutherfords Vortrag in der RoyalAlbert Hall in London durch Radio und direkte Telefonlinien einen Zuhörerkreis von insgesamt150 000 Menschen erreichte, die sich in mehr als 50 Städten der Vereinigten Staaten, Kanadas,Großbritannien, Australiens, Neuseelands und Tasmaniens zu einer Hauptversammlungzusammengefunden hatten. Gleichzeitig wurde der Vortrag durch eine Kette von 118Radiostationen der Vereinigten Staaten über den ganzen Kontinent ausgestrahlt.Er wird jetzt veröffentlicht, damit weitere Millionen ihn lesen, den Tatsachen richtig ins Augeschauen und dauernde Segnungen empfangen können.Verlagsrecht 1938Herausgeber:WATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETYBrooklyn, N. Y. , USABern - Paris"Diese Neuorientierung gipfelte in der Aufforderung aller WTG-Anhänger, jetzt mehr denn jeaktiv zu sein. «Harmagedon« stehe ganz nahe vor der Tür, die Jugendlichen der Zeugen Jehovas,die »Jonadabe«, sollten sogar das Heiraten zurückstellen bis nach "Harmagedon" verkündeteRutherford in »Schau den Tatsachen ins Auge".Zitat:"SCHAU DEN TATSACHEN INS AUGE!Jonadabe, die jetzt ans Heiraten denken würden, wie es scheinen will, besser tun, einige wenigeJahre zu warten, bis der feurige Sturm Harmagedon vorüber ist, und dann die ehelichenBeziehungen aufzunehmen und die Segnungen zu genießen, die mit einer Anteilnahme amFüllen der Erde mit gerechten und vollkommenen Kindern verbunden sind."Die Harmagedon-Proklamationen von 1938 waren selbstverständlich wiederum alles andere als»von Gott dem Allmächtigen enthüllt«. Sie hatten rein gesellschaftspolitische Ursachen. DieWTG-Führung stand damals unter den durch das Aufkommen der faschistischen Gefahr in derkapitalistischen Welt verursachten Depressionen, die im WTG-Fall zu jener Bibelauslegungbenutzt wurden, die Politik des 1933 zur Macht gekommenen Hitlerfaschismus, der auch dieWTG bedrohte, münde in den »Schlusskampf« Gottes, in die »Schlacht von Harmagedon«. Manfindet das in folgendem Rückblick im WTG-Buch »Dein Name werde geheiligt« (1963, S. 319)bestätigt. (In einer "endzeitlichen" Auslegung von 2. Könige Kap. 2 (AT) betrachtet sich dieWTG mit ihrem hörigen Anhang u. a. als "gegenbildlicherer" Elia bzw. Elisa oder als"Eliaklasse" bzw. "Elisaklasse". Elia und Elisa waren alttestamentliche Propheten, die einanderablösten. Dieser Ablösung gab die WTG das erste Mal eine "endzeitliche" Bedeutung im

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Wechsel der WTG-Präsidentschaft Russell/Rutherford 1917, das zweite Mal im WechselRutherford/Knorr 1942, womit auch die Unglaubwürdigkeit dieser Endzeitlehre erwiesen ist:Zitat:"Dein Name werde geheiligt'Veröffentlicht in Englisch 1961Veröffentlicht in Deutsch 1963von derWATCH TOWER BIBLE & TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIAINTERNATIONAL BIBLE STUDENTS ASSOCIATIONBrooklyn, New York, U. S. A.In den Jahren nach dem 1. Weltkrieg war das Werk der Elia-Klasse viel länger weitergegangenals nach menschlichen Erwartungen angenommen worden war. Man hatte geglaubt, dass dasWerk in nicht allzu ferner Zukunft zu Ende gehen werde. Zum Beispiel erhielt PräsidentRutherford am 26. April 1933 ein Telegramm, das besagte, dass die Hitlerbehörden dasZweigbüro der Watch Tower Society in Magdeburg beschlagnahmt hatten. Am gleichen Tagewies Rutherford die Familie im Hauptbüro in Brooklyn, New York, auf die Möglichkeit hin dass,wennn damit das Werk in Deutschland zu Ende wäre, der große Schlusskampf zwischen JehovaGott und der Organisation Satans des Teufels nahe wäre."Als dann der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde den Zeugen Jehovas von der WTG sofort imSinne der 1938 aufgestellten Thesen suggeriert, dieser Krieg werde in die »Schlacht vonHarmagedon« übergehen, denn - wie zitiert - »das Werk in Deutschland sei zu Ende«. Hiermitbestätigt die WTG zugleich, dass ihr Werk in Deutschland, in Mitteleuropa, tatsächlich ihrentscheidendes Werk ist, wie einleitend bei der Charakterisierung der Bedeutung der WTGTätigkeitin Europa hervorgehoben wurde.Aber auch der Zweite Weltkrieg fand sein gesetzmäßiges Ende, und »Harmagedon« zerstobwieder in Rauch und Schall. Was man als »Enthüllungen von Gott« aus gegeben hatte, »derunmöglich lügen kann«, war der der politischen Kurzsichtigkeit der WTG-Führung unter demnun altersschwachen, kranken und starrköpfigen Präsidenten Rutherford entsprungen, als sichder Faschismus in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg politisch und in den ersten zweiKriegsjahren auch militärisch noch auf dem Siegeszug durch die kapitalistische Welt befand.Es war der Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, der die WTG 1942 aus ihrer drittenHarmagedon-Endzeit-Illusion aufschreckte und auch diese als Vergewaltigung der Bibel für dieheutige Zeit als angebliche Endzeit offenbar machte. Man begriff in der WTG-Zentrale inBrooklyn, dass Rutherfords Auslegungen nicht mehr zu halten waren und in Kürze eine ähnlicheSituation entstehen musste, wie man sie 1925 erlebt hatte, wenn man nicht schnellstens eineandere Erklärung anstelle der dritten Harmagedon-Version brachte, die eine neue Orientierunggab und die Zeugen Jehovas weiterhin in Botmäßigkeit der WTG hielt. Denn es zeichnete sich inder Perspektive eine friedliche Nachkriegszeit ab, die Welt würde weiterbestehen. Aber dienachdrängende WTG-Führungsgruppe unter dem jüngeren N. H. Knorr musste erst den Tod desstarrköpfigen Rutherford abwarten, der sich auf den Zweiten Weltkrieg als Beginn»Harmagedons« festgelegt hatte. Nachdem Rutherford am 8. Januar 1942 gestorben und am 25.April beerdigt worden war (die Leiche Rutherfords blieb ein Vierteljahr unbeerdigt, weil dieWTG-Führung das Villengrundstück "Beth Sarim" in San Diego zur Begräbnisstätte machenwollte, was die Behörden von Kalifornien jedoch nicht zuließen.), arrangierte sein Nachfolger N.H. Knorr im September 1992 in Cleveland, Ohio, USA, einen großen Kongress, der die neueOrientierung gab. Es heißt darüber im WTG- Buch »Dein Name werde geheiligt« (1963) auf, S.329:Zitat:"Dein Name werde geheiligt"Der öffentliche Vortrag des Präsidenten stand unter dem Thema Weltfriede - ist er von Bestand?'Er verscheuchte alle Gedanken daran, dass der 2. Weltkrieg in dem universellen Krieg vonHarmagedon enden würde. Der Krieg, in den Amerika kürzlich eingetreten war, sollte von einem

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Frieden abgelöst werden, in welchem der Völkerbund aus seinem Abgrund der Hilflosigkeitwieder hervorkäme"Dass Knorr hier verscheuchte, was einst »Gott der Allmächtige, der unmöglich lügen kann«1938 »selbst enthüllte«, wie die dritte Harmagedon-Version einst begründet worden war, sagteman auf dem Kongress natürlich nicht. Man sieht auch an diesem Beispiel, dass dieWTGBerufungenauf Gott nur religiöse Täuschungen sind.Das Problem bestand für die WTG jetzt darin, eine vierte Harmagedon-Endzeitdeutung zufinden, mit der der Abschluss der sogenannten Endzeit erneut in die Zukunft verschoben werdenkonnte. Denn mit der Kriegsentwicklung 1941/42 - Überfall der Nazis auf die Sowjetunion,Erhebung der Sowjetvölker gegen die faschistische Aggression und Bildung derAntihitlerkoalition einschließlich den USA - war klar, dass es keinen Sieg des Faschismus gebenwürde. So würde auch die WTG überleben! Ihr erster Akt war also, sich erst einmal rund 20Jahre Weiterexistenz chronologisch »biblisch« einzuräumen, wie ihre nach folgendenZeitrechnungen von 1889 und 1943 zeigen (»Schriftstudien«, Band 2, S. 50, »Die Wahrheit wirdeuch freimachen«, S. 152):Zitat:"50 Die Zeit ist herbeigekommenIn diesem Kapitel bringen wir den Schriftbeweis für die Tatsache, dass mit dem Jahre 1872sechstausend Jahre seit der Erschaffung Adams verflossen sind, und dass wir daher, seit demJahre 1872, der Chronologie oder Zeitrechnung gemäß, in das siebente Jahrtausend oder insMillenium eingetreten sind.Von der Erschaffung Adamsbis zur Sintflut 1656 JahreVon da bis zum Bunde mit Abraham 427Von da bis zum Auszug Israels und zurGesetzgebung 430Von da bis zur Teilung Kanaans 46Die Periode der Richter 450Die Periode der Könige 513Periode der Verödung Palästinas 70Von da bis zum Jahre 1 536Von da bis zum Jahre 1873 n. Chr. 1872Summa 6000"Zitat:"152 "DIE WAHRHEIT WIRD EUCH FREI MACHEN"Vom Beginn des Jahres 1 n. Chr. bis zum Beginn des Jahres 1944 n. Chr. sind es volle 1943Jahre, die zusammen mit der obigen Aufstellung das Zeitmaß von Adams Erschaffung an bisheute ergeben.Von der Erschaffung Adams bis zum Ende des Jahres 1 v. Chr. waren es 4028 Jahrevom Beginn des Jahres 1 n. Chr. bis zum Ende des Jahres 1943 sind es 1943 JahreVon der Erschaffung Adams bis zum Ende des Jahres 1943 n. Chr. sind es 5971 JahreWir sind daher nahe am Ende einer sechstausendjährigen Menschheitsgeschichte."Hatte nach der alten Zeitrechnung in dem Buch »Die Zeit ist herbeigekommen« von 1889(»Schriftstudien«, Band 2) die sogenannte Tausendjahrherrschaft Christi schon 1873/74begonnen (das »Millennium«), so begann es nach der neuen im Buche »Die Wahrheit wird euchfreimachen« (1943) erst 1972, wie sich jeder leicht ausrechnen konnte - ein Zeitpunkt, mit demsich jetzt auch das Ende der »Schlacht von Harmagedon« verband. Auf dem »TheokratischenKongress« der WTG 1945 in Zürich, dem ersten auf dem europäischen Kontinent nach demKriege, wurde sodann begonnen, auch unter den europäischen Anhängern, die während desKrieges von der Verbindung mit dem WTG-Hauptbüro in den USA zum größten Teilabgeschnitten waren, das »göttliche» Harmagedon-Licht von 1938 zu verscheuchen. Mit einem

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gestellten öffentlichen Kongressgespräch brachte man den Versammelten bei, sich mindestensnoch auf 10 bis 20 Jahre Warten auf »Harmagedon« einzurichten. Es ist äußerst interessant, wiegeschickt man der einfachen Anhängerschaft diese neue Zeitverschiebung wieder aufzudrängensuchte. Man lese den Kongressbericht der WTG-Zeitschrift »Trost« (Erwachet!) vom 1. Juni1945Zitat:"TrostSEMI-MONTHLY HALBMONATLICHCONSOLATION GERMAN EDITIONBERN 1. Juni 1945 BERNVol. XXIII. Nr. 343BERICHTE VOM THEOKRATISCHEN KONGRESS IN ZÜRICHHarmagedon ist naheIn einem Gespräch, an dem sich vier Zeugen Jehovas beteiligten, wurde die Frage besprochen:"Ist Harmagedon nahe?" Wer hat wohl recht, jene, die sagen, Harmagedon komme sehr bald,oder jene, die meinen, es komme noch nicht so bald?Es wurde ausgeführt, dass wir weder Tag noch Stunde kennen, dass aber die Bibel unsversichert: "Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis alles geschehen ist." (Matthäus 24: 34)Es ist daher belanglos, ob man nun sagt ."bald" oder "nicht so bald". Selbst wenn dieSchlußabrechnung von Harmagedon noch um zehn oder zwanzig Jahre verziehen sollte - eswurde nicht gesagt, dass es wirklich so sein wird - so muss doch des Evangelium mit aller Kraftallen Nationen verkündigt werden, so wirksam als nur möglich.Man sollte sich den Erfolg recht lebhaft vor Augen halten: Stellen wir uns vor, dass es durchGottes Langmut oder scheinbaren Verzug möglich wird, alle Gutgesinnten aller Nationen fürJehova und sein Reich zu gewinnen, so dass sie alle in seiner Organisation versammelt sind.Wäre dieses Ergebnis, so wurden wir gefragt, nicht noch zehn oder sogar zwanzig Jahre tüchtigerArbeit wert?Dauert es jemand zu lange, dann sei daran erinnert, dass Zeit niemals lang wird, wenn man alleHände voll zu tun hat. Haben wir etwa nichts mehr zu tun?Die Errichtung der Theokratie ist etwas so Wunderbares, dass man leicht. ein ganzes Leben langdarauf wartete kann.Bist du im Königreichsdienst vielleicht über deine Kräfte gegangen, weil du die Zeitspanne zuknapp eingeschätzt hast? Dann sei dein Trost, dass, wenn auch deine - Kräfte dahin sein mögen,dein Lohn doch nicht dahin ist."Dies ist nun der Gipfel an Unverfrorenheit gegenüber denen, die den größten Teil ihres Lebensder Sache der WTG gewidmet hatten und ihre Kräfte im Dienste dieser Institution aufzehrten.Nicht sie, sondern die WTG war es doch, die den Beginn von »Harmagedon«, d. h. dieZeitspanne, immer wieder neu einschätzte. Ihre Anhänger glaubten lediglich blindlings - und dasist allerdings ihre Schuld so, dass die WTG mit ihren Neueinschätzungen die Erwartungenimmer wieder hochpeitschen und die Zeugen Jehovas zu letzten Kraftanstrengungen antreibenkonnte. Nun, da die Eifrigsten im WTG-Dienst alt und grau geworden sind, werden sieabgespeist mit Worten, die einer Verhöhnung gleichkommen, als seien sie allein an ihrem Elendschuld, wenn sie 1972 nicht mehr erleben sollten. Der »scheinbare Verzug durch GottesLangmut« - die gängige Bemäntelung der Zeitverschiebetaktik der WTG - näherte sich wiederseinem Ende. Je näher 1972 kommt, desto mehr Fragen erheben sich unter den Anhängern, zumÄrger der WTG, die mit der 1972-Berechnung nichts mehr im Sinn hat. Unter anderem denApostel Paulus vorspannend, ging sie mit psychologischem Terror gegen die aufkommendeUnruhe vor, jeden mit dem Verlust des Lebens bedrohend, der die »unnütze Streitfrage« nach»Harmagedon« nicht aufgeben wollte. Folgender Auszug aus dem »Wachtturm« vom 1. August1962 zeigt das:Zitat:"1. August 1962 Der WACHTTURM

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VERMEIDE unnütze StreitfragenHast du schon bemerkt, wie oft der Apostel Paulus Christen ermahnte, sich vor Spekulation undunnützen Streitfragen zu hüten? Ebensoviel wertvolle Zeit könnte man verschwenden, um überdie Zukunft nachzugrübeln. Man könnte fragen: In welchem Jahr kommt Harmagedon?DIE GEFAHRENUns mit unnützen Streitfragen auseinanderzusetzen beraubt uns aber nicht nur unserer Zeit, eskann uns sogar das Leben kosten."Man war sich in Brooklyn jedoch durchaus klar darüber, dass man es nicht mit derUnterdrückung der aufkommenden Diskussion bewenden lassen konnte. Die 1945 eingeschätzteZeitspanne ging unerbittlich zu Ende, und es musste etwas geschehen. Es ist einfach nichtmöglich, der Anhängerschaft, in der die älteren Jahrgänge in der Überzahl sind, noch einmaleinige Jahrzehnte Wartezeit zu predigen. Im Hinblick auf die Anwendung der These »DieseGeneration wird nicht vergehen« war man tatsächlich an der äußersten Grenze der Zeitangekommen. Ungeachtet der warnenden Beispiele von 1914 und 1925 ging man erneut aufsGanze. Indem man die 1972-Versprechung ignorierte, verkündigte man deshalb auf deninternationalen WTG-Kongressen 1966 eine fünfte Harmagedon-Version mit dem Inhalt, imJahre 1975 sei »Harmagedon« aller Wahrscheinlichkeit nach endgültig vorüber - eineProklamation, die einem Ausverkauf gleichkommt, die die Anhängerschaft seitdem elektrisiertund offensichtlich noch einmal in einen Endspurt treiben soll, wobei man die Sache jedochbewusst so formulierte, dass die mit Sicherheit zu erwartende Enttäuschung von 1975 »einzigund allein« als »Schuld« derjenigen ausgelegt werden kann, die daran glaubten, während sich dieWTG die Hände in »Unschuld« wäscht. Der »Wachtturm« vom 1. Januar 1967 berichtet überdiese Proklamation, in der WTG-Vizepräsident Fred W. Franz, der Hauptbibeldeuter, alsWortführer auftritt, u. a. wie folgt:Zitat:"1. Januar 1967 Der WACHTTURMDAS JAHR 1975Auf der Versammlung in Baltimore gab Bruder Franz in seinen Schlussworten einigeinteressante Kommentare über das Jahr 1975. Er begann beiläufig damit, indem er sagte: 'Geradebevor ich auf das Podium ging, kam ein junger Mann zu mir und sagte: Sag, was bedeutet diesesJahr 1975? Bedeutet es dieses oder jenes oder noch irgend etwas anderes?' Auszugsweisewiedergegeben, fuhr Bruder Franz fort zu sagen: 'Ihr werdet die Tabelle [auf den Seiten 31-35 indem Buch Life Everlasting - in Freedom of the Sons of God] gesehen haben. Sie zeigt, dass 6000Jahre menschlicher Geschichte im Jahre 1975, in ungefähr neun Jahren, enden werden. Wasbedeutet dass? - Bedeutet es, dass Gottes Ruhetag 4026 v. u. Z. begann? Es könnte so gewesensein. Das Buch Life Everlasting sagt nicht, dass es nicht so war. Das Buch gibt lediglich dieChronologie an. Ihr könnt sie annehmen oder ablehnen. Wenn es sich jedoch so verhält, wasbedeutet das für uns? [Er ging ausführlich auf Einzelheiten ein und zeigte, wie begründet dasJahr 4026 v. u. Z. als Datum für den Anfang des Ruhetages Gottes ist.]Was ist nun mit dem Jahr 1975? Was wird es bedeuten, liebe Freunde?' fragte Bruder Franz.'Bedeutet es, dass Harmagedon dann vorüber und Satan bis zum Jahre 1975 gebunden ist? Eskönnte das bedeuten! Es könnte das bedeuten! Alle Dinge sind bei Gott möglich. Bedeutet es,dass Babylon die Große bis 1975 beseitigt ist? Es könnte das bedeuten. Bedeutet es, dass derAngriff Gogs von Magog auf Jehovas Zeugen stattfinden wird um sie zu vernichten, und dassGog dann selbst außer Tätigkeit gesetzt wird? Es könnte das bedeuten. Doch wir sagen das nicht.Alle Dinge sind bei Gott möglich. Doch wir sagen das nicht. Und möge auch niemand von euchsich irgendwie bestimmt äußern und etwas sagen, was zwischen der Gegenwart und dem Jahr1975 vor sich gehen soll. Doch der wichtige Gedanke bei all diesem, liebe Freunde, ist der: DieZeit ist kurz. Die Zeit läuft ab, darüber besteht keine Frage."In Wirklichkeit bedeutet 1975 jedoch nichts weiter als einen neuen Trug im Rahmen derillusionistischen Harmagedon-Deuterei, wie die Beispiele von 1914, 1925, 1938, 1942 und 1972zur Genüge beweisen.

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Ob die WTG viele Anhänger für eine neue Version dieser Bibeldeutungen findet? Die bisherigenfünf verschiedenen und immer wieder haltlosen Harmagedon Auslegungen als Abschluss einerangeblichen »Zeit des Endes« in unseren Tagen dürften die Unglaubwürdigkeit der gesamtenEndzeitlehren hinreichend charakterisiert haben.Indes soll das strittige Problem noch von einer anderen Seite untersucht werden. Die WTG lässtes sich angelegen sein, ihre Harmagedon-Versionen insbesondere Staatsmännern, Politikern undRegierungen zu verkündigen. Können aber diese Bibelauslegungen vonverantwortungsbewussten Menschen ernstgenommen werden ?Die WTG fordert alle »Weltherrscher« in vollem Ernst auf, ihre staatliche Macht undSouveränität an den nach heutigen WTG-Vorstellungen 1914 im Himmel zur Machtgekommenen »König« Christus Jesus als »einzigen rechtmäßigen Herrscher der Erde«abzutreten. Anderenfalls würden sie in »Harmagedon« vernichtet. Man lese, was die WTG amBeispiel des deutschen Kaisers Wilhelm II. in ihrem Buch »Dein Wille geschehe auf Erden« seit1958 millionenfach verbreitet (S. 268):Zitat:"268 "DEIN WILLE GESCHEHE AUF ERDEN"Kaiser Wilhelm wie auch die anderen Weltherrscher behandelten die Botschaft derHeiligtumsklasse Jehovas bezüglich des Jahre 1914 fälligen Endes der Heidenzeiten mitGeringschätzung. Die Watch Tower Bible & Tract Society hatte jedoch seit dem Jahre 1903 einZweigbüro in Barmen-Elberfeld, Deutschland, in dem eine rege Tätigkeit herrschte. Das Herzdes germanischen Königs des Nordens war unleugbar gegen den heiligen KönigreichsbundJehovas, Gottes, gerichtet. Der Kaiser beabsichtigte nicht, seine kaiserliche Souveränität JesusChristus abzutreten, zu der Zeit, da dieser im Jahre 1914 im Himmel auf dem; Thron kommensollte, denn dadurch hätte der Kaiser ihn als den rechtmäßigen Erben des Königtums über dieganze Erde anerkannt. So "handelte" er denn, indem er sich wieder seinen eigenen Plänen, derAusübung der Herrschaft über die Erde durch ihn selbst, den deutschen Kaiser, zuwandte."Es fällt schwer, bei der Betrachtung dieser Kaisergeschichte ernst zu bleiben. Die WTG wirftdem Hohenzollern Wilhelm II. vor, er habe seit 1903 die WTG-Endzeitbotschaft missachtet undsich stattdessen der Verwirklichung seiner eigenen Pläne gewidmet, ohne 1914 seine Herrschaftan Christus im Himmel abzutreten. Folgendes sind indessen die Tatsachen. Die WTG predigtebis 1925 die erst dann als Irrlehre erkannte These, Christus sei schon 1874 im Himmelwiedergekommen. Diese angebliche Wiederkunft Christi stellte man jedoch nicht dar alsVerneinung des Herrschaftsrechtes der staatlichen Regierungen. Im Gegenteil, die WTGAnhängerkonnten sich sogar an der politischen Wahl der jeweiligen Regierungen beteiligen undin deren Armeen Dienst tun. (Die Neue Schöpfung (Schriftstudien Band 6). WTG 1926, S.590/91). Die angebliche Wiederkunft Christi 1874 wurde also nicht so verkündigt, dass dieStaatsmänner ihre Macht an diesen Christus abtreten sollten. Andererseits regierte Wilhelm II.nur bis November 1918. Zu dieser Zeit lag die WTG zusammengebrochen am Boden, sowohltheoretisch als auch organisatorisch - »wie ein Leichnam auf der Straße« nachWTGSelbstdarstellung.Erst 1925 »erkannte« man schließlich in Brooklyn, dass Christus nicht 1874,sondern 1914 wiedergekommen und im Himmel auf den Thron gestiegen sei. (Der Wachtturm.15. April 1925. Die Geburt der Nation). Konnte der 1918 abgedankte Kaiser Wilhelm II. dairgendwie auf Grund der WTG-Verkündigung seine Macht an Christus abtreten? Dienachträglichen Vorwürfe gegen ihn stellvertretend für alle Weltherrscher, erhoben in dem 1958verbreiteten Buch »Dein Wille geschehe auf Erden«, sind also ein als »Wille Gottes«dargestellter politischer Unsinn.Es gehört wirklich eine gewaltige Portion Einfalt dazu, diese absurden religiös politischenTheorien der WTG ernst zu nehmen. Die Verantwortung für das gesellschaftliche und staatlicheLeben, für Sicherheit und Ordnung, Handel und Wandel, Produktion und Wirtschaft, Kultur undWissenschaft, für Recht und Gesetz usw., die auf der Regierung einer jeden Nation ruht, ist vielzu ernst, als dass man das, was die WTG laufend an politischen Bibeldeutungen und sogenannten

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Endzeitauslegungen den Staatsmännern verkündigt, auch nur im geringsten zur Richtschnur desHandelns machen könnte. Die Kaiser-Wilhelm-Geschichte gehört bezeichnenderweise zurdritten Auflage der WTG-Nordkönigsauslegungen. Sie ist ein treffendes Beispiel dafür, was fürein religiös-politischer Scharlatan die WTG in Wirklichkeit ist.Einige humanistische Überlegungen sollen die Untersuchung der WTG-Endzeitanschauungenabschließen. Die Einzelheiten zeigten, dass man hier nichts weiter als unglaubhafte Erfindungenmenschlichen Geistes und willkürlich fabrizierte Bibelauslegungen vor sich hat. Es bleibt noch,sich zum Schluss ihren moralischen Wert vor Augen zu führen.Neuerdings verkündigt die WTG das sogenannte Harmagedon-Weltende in Wort und Bild inihrem Buch »Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies«Zitat:"Wie diese Welt enden wirdDie Vernichtung, die die Engel Christi über alle Gegner des Reiches Gottes und seinerKönigreichszeugen bringen werden, wird schrecklich sein. Viele werden das Opfer einer Plagewerden, durch die ihr Fleisch verwesen wird. Jehova sagt: "Ihr Fleisch wird verwesen, währendsie noch auf ihren Füßen stehen, ihre Augen werden verwesen in ihren Höhlen, und ihre Zungewird in ihrem Munde verwesen." (Sacharja 14: 12, RS) Verwesen wird die Zunge derer, die überdie Warnung von Harmagedon gespottet und gelacht haben! Verwesen werden die Augen derer,die das Zeichen der "Zeit des Endes" nicht sehen wollten! Verwesen wird das Fleisch derer, dienicht begreifen wollten, dass der lebendige und wahre Gott Jehova heißt! Ja, verwesen werdensie, während sie auf ihren Füßen stehen.Vom verlorenen zum wiedererlangten ParadiesVeröffentlicht in Englisch 1958Veröffentlicht in Deutsch 1959von der WATCH TOWER BIBLE & TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIA"Es muss festgestellt werden, dass man zur Zeit, als Russell die ersten endzeitlichenBibeldeutungen schrieb, durchaus noch von einer aufrichtigen religiösen Einfalt, mit der dieSache betrieben wurde, sprechen kann, ungeachtet dessen, dass sich schon die ersten Deutungenals Irrlehre erwiesen. Bemerkenswert ist dabei, dass man damals keine Ausrottung allerNichtzeugen Jehovas predigte, wie es heute geschieht. Die Gesellschaftssysteme solltenuntergehen, die von ihnen bedruckten Menschen dagegen unter der »Millenniumsherrschaft«Christi umerzogen werden. Die Menschheitsvernichtungslehren wurden erst im Verlaufe derUmdeutung der mit dem Tode Russells im Ersten Weltkrieg zusammengebrochenenEndzeitschau aufgestellt. Es war das Werk des zweiten WTG-Präsidenten Rutherford, der jeneursprüngliche Lehre von der Befreiung der Menschen von den bisherigen herrschendenGesellschaftssystemen in eine Menschheitsvernichtungslehre umwandelte. Was für eine Artreligiösen Glaubens und religiös-moralischer Einstellung spiegelt diese Vernichtungslehrewider?Zusammengefasst besagen die »von Gott inspirierten« Ausrottungspläne, dass alle Menschenvernichtet werden sollen, die - ungeachtet persönlicher Aufrichtigkeit - angeblich falsche Formender Religion wie Katholizismus, Protestantismus, Hinduismus, Mohammedanismus,Buddhismus, Judentum u. a. pflegen, obwohl die Zeugen Jehovas kundgemacht hätten, dassdiese Anschauungen vom Teufel seien und die WTG-Endzeitlehren dagegen die »einzig wahreReligion« darstellen. Ertrinken, von der sich auftuenden Erde verschlungen werden, beilebendigem Leibe verwesen usw. sollen alle diese »falschen Religionisten«, die die »Zeichen derZeit des Endes« nicht anerkennen. In gleicher Weise wird ein Bibelbericht über die Ermordungder Einwohner Jerusalems aus Hesekiel 9 ausgelegt, wie die Fragenbeantwortung laut»Wachtturm« vom 1. April 1951 zeigt.Zitat:"Werden Kinder, die das Alter der Verantwortlichkeit nicht erreichten und in Harmagedonsterben, eine Auferstehung erfahren? - Leser aus Ohio.Wir können in dieser Sache nicht dogmatisch sein, weil Gott der Richter ist. Wenn indes Jehova

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Gott wider gewisse Personen einen Schuldspruch fällt und ihn durch seinen König Christus Jesusin Harmagedon zum Ausdruck bringt, muss Gottes Entscheidung gewissermaßen endgültig sein.Wenn dem so ist, werden jene, die durch das Gericht Gottes in der Schlacht von Harmagedonumkommen, tatsächlich vernichtet sein. Hesekiel, Kapitel 9, scheint sich auf Harmagedon zubeziehen, und wir lesen im 6. Vers: "Mordet bis zur Vertilgung Greise, Jünglinge und Jungfrauenund Kinder und Weiber! aber nahet euch niemand, an welchem das Zeichen ist." Jene, die nichtdas Zeichen einer günstigen Aufnahme der göttlichen Warnung tragen, erhalten von Gott keineBarmherzigkeit."In Wahrheit gibt es keinerlei biblischen Hinweis dafür, diese Mordgeschichte aus Hesekiel ineine Menschheitsvernichtungslehre umzudeuten. Doch die WTG kennt da keine Hemmungen.Alle Menschen, vom Säugling bis zum Greis, die nicht den Glauben annehmen, den die WTG fürrichtig hält, sollen umgebracht und ermordet werden. Es soll ein Hinschlachten und Hinrichtenaller Andersdenkenden sein. Mit diesen in den dreißiger Jahren von Rutherford entwickeltenVernichtungslehren sind das Denken und der Geist der mittelalterlichen Inquisition unter denZeugen Jehovas eingezogen. Um das zu erkennen, lese man den folgenden WTG-Bericht überdie mittelalterliche Inquisition (»Wachtturm« vom 1. August 1956; »Erwachet« vom 22. August1956).Zitat:1. August 1956 Der WACHTTURMWährend der spanischen Inquisition wandte man gegen die Juden weithin öffentlicheVerbrennungen an, die man Autodafe, das heißt "Glaubensakt", nannte. Ein Historiker schreibt:"Mehr als drei Jahrhunderte sah man das entsetzliche Schauspiel, wie der Rauch verkohlterUnschuldiger zum Himmel stieg." Tausende von Juden starben auf diese Weise. und dieserteuflische Schrecken wurde als Akt des Glaubens verübt! Welche Art eines religiösen Glaubenswürde solche Taten verlangen ?Doch die Geschichte des Mittelalters ist ein ekelerregendes Gemetzel, das an Unschuldigenverübt wurde, und zwar von jenen, die behaupteten, dadurch Jesus zu dienen!In einem seiner Werke nannte Martin Luther die Juden 'Lügner, Bluthunde, giftige Ottern,gehässige Schlangen, Kinder Satans' und erklärte, dass er, wenn er die Macht dazu besäße, dieGelehrten versammeln und sie 'unter Androhung, ihnen die Zungen aus den Kehlen zu reißen',zwingen würde, sich zur christlichen Lehre zu bekennen.Es ist abstoßend, von solchmenschlicher Verderbtheit zu lesen und unser Geist taumelt und schwankt beim Zusammenprallmit so teuflischer Unmenschlichkeit."ZitatERWACHET! 22. August 1956Oberst Lemanouski und seine französischen Truppen, die dem Wirken der Inquisition beiMadrid im Jahre 1809 ein Ende machten, fanden in Verliesen nicht nur die Leichen von Opfernder Inquisition, noch in Ketten gefesselt, sondern auch "noch lebende Gefangene jeden Alters,beiderlei Geschlechts, vom Jüngling bis zu 70 Jahren alten Greisen, alle splitternackt."Wenn man alle angeführten Textproben über »Harmagedon« in ihrer ganzen Bedeutungüberdenkt, so drängt sich die furchtbare Erkenntnis auf, dass das WTG-Harmagedon dieInquisition des Mittelalters noch weit übertrifft. Man hätte es hier mit einem Autodafe zu tun,aus dessen Flammen der Rauch von Milliarden Menschen, einschließlich Jünglingen, Mädchen,Kindern und Greisen, zum Himmel steigen würde, ermordet wie die Juden und Ketzer imMittelalter, allein um ihres anderen Glaubens willen! Die WTG-Anhänger würden daranunbeteiligt sein? Auch die Inquisitoren mordeten nicht selbst. Sie überließen das dem Arm desStaates. Jehova würde dieses Morden in »Harmagedon« durchfuhren, und darum sei das gerecht?Es wurde indessen gezeigt, dass keine der WTG-Endzeitlehren »von Jehova« stammt. Es sinddie Geistesprodukte der WTG, Ausdruck einer unmenschlichen Gesinnung dieser Organisation,deren Wesen darin besteht, dass das, was im höchsten Grade menschliche Verderbtheit ist,nämlich Menschen um anderen Glaubens willen zu vernichten, bei Gott Gerechtigkeit sein soll.Ohne Zweifel predigten auch die Inquisitoren, wenn sie auf der einen Seite Folter, Verwesung

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und Tod für richtig hielten, auf der anderen Seite christliche Nächstenliebe und andereTugenden. Doch wie kann man aus Nächstenliebe, die sogar Feindesliebe einschließen soll, allenAndersdenkenden Ermordung und Verwesung als gerechten Lohn verkündigen?Man sieht, an die WTG-Vernichtungslehren zu glauben und sie zu predigen offenbart nicht nurbedenkliche religiöse Einfalt, sondern auch eine unmenschliche und antihumanistischeEinstellung, die zugleich auch jede bewusste gesellschaftliche Mitarbeit zur Verhinderungbarbarischer Kriege, für Frieden und soziale Gerechtigkeit verneint.

Ein HasardspielAus der dargelegten Geschichte der WTG-Endzeitlehren soll nun eine Bilanz gezogen werden.Es wurden die wichtigsten und ausschlaggebenden Lehren untersucht, so dass eine hinreichendeGrundlage für ein zutreffendes Urteil vorhanden ist.Vom angeblichen Beginn einer sogenannten heutigen "Zeit des Endes" liegen bereits zweiVersionen vor. Von den sich speziell auf die gesellschaftspolitische Entwicklung beziehenden»König-des-Nordens«-Auslegungen hat die WTG schon die dritte Version ausarbeiten müssen.Von einer »Wiederkunft Christi« in der heutigen Zeit gibt es ebenfalls zwei sichwidersprechende Deutungen. Die verhängnisvollen endzeitlichen Obrigkeitsauslegungenexistieren in der dritten Fassung. Die »Fürsten«-Auferstehung wurde schon viermal andersgedeutet, die Offenbarung der Bibel inzwischen dreimal. Der Abschluss der »Zeit des Endes«,die »Schlacht von Harmagedon«, wurde bereits viermal verschoben. Sämtliche Versionenwurden jedoch jedesmal nicht als »private Auslegungen«, sondern als »Licht von Gott«dargestellt, dem bedingungslos Glauben zu schenken sei.Zeitlich gesehen geht das längst über die Periode einer Generation hinaus, die man entsprechenddem biblisch überlieferten Beginn des Wirkens Jesu und dem Ende des jüdischen Systems derDinge im Jahre 70 n. Chr. als Muster für heute auf einen ähnlichen Zeitraum von 40 Jahrenansetzen müsste, wollte man eine derartige Endzeitdeutung vornehmen. Denn die von der WTGgepredigten sogenannten Endzeitzeichen, beginnend 1799 mit Napoleon, umfassen nun schoneinen Zeitraum von fast 170 Jahren und werden faktisch bereits auf die vierte heutige Generationangewandt. Und das geschieht immer wieder unter Missbrauch der nur an die urchristlicheGeneration gerichteten Worte Jesu: »Diese Generation wird nicht vergehen«, mit der er lediglichsagte, dass seine Zeitgenossen das Ende des jüdischen Systems der Dinge von damals erlebenwürden, was dann nach der Überlieferung auch eintrat. Was die WTG dagegen analog alsZeichen einer heutigen Endzeit »im großen« konstruiert, erweist sich laufend in allenentscheidenden Punkten als unhaltbar.Man sieht, dass es keine glaubwürdige und unanfechtbare »Zeit des Endes« heute im Sinne derWTG-Vorstellungen gibt und geben kann. Die dargelegten Endzeitauffassungen der WTG habendurch ihre Haltlosigkeit die eingangs getroffene Feststellung über die heutigeBedeutungslosigkeit der endzeitlichen Bibelaussagen vollauf bestätigt. Diese Bibelaussagen sindnicht im Hinblick auf die heutige Zeit oder für eine jetzige Generation verfasst. Sie haben alsoauch für die heutige Zeit keinerlei prophetische Bedeutung. Jede Auslegung im Sinne einerheutigen »Erfüllung im großen« muss sich demnach früher oder später als unhaltbar erweisen.Das war der Fall bei allen Bewegungen, die sich vor der WTG als »Christen der letzten Tage«ausgaben, und man kann das heute an der Entwicklung der WTG Endzeitlehren ständig weiterbeobachten.Wären die WTG-Führer ehrlich, so hätten sie allein schon aus diesen Gründen längst ihrenweltanschaulichen Bankrott erklären müssen. Sie tun es aber nicht. Was mag der Grund dafürsein? Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Noch nie hat eine der bisherigen sogenanntenEndzeitbewegungen die Sache freiwillig aufgegeben. Das liegt in der Natur solcherBewegungen. Meist zerfielen sie, nachdem infolge der gesellschaftspolitischen Entwicklungwirklich nichts mehr aufrechtzuerhalten war und auch der Gutgläubigste stutzig wurde. DieZählbigkeit der WTG indes hat andere Ursachen.Es drängt sich von der einmal errichteten internationalen WTG-Organisation her schon förmlich

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die Notwendigkeit auf, die ganze Sache immer weiterzutreiben, denn was sollte wohl mit demgewaltigen internationalen Apparat, den Zweigbüros, Druckereien, Besitzungen und Kapitaliengeschehen, wenn sie ihren geistigen Bankrott erklärt und die Haltlosigkeit ihrer Endzeitlehreneingesteht? Das ist schließlich auch eine Frage der materiellen Existenz eines ganzen Stabes vonMitarbeitern mit gesichertem Lebensunterhalt. Das darf man nicht unterschätzen. So greift manzum Naheliegenden, und das ist die Fortsetzung des einmal eingeschlagenen Weges. Werden dietragenden und zusammenhaltenden Anschauungen, ohne die es ja nicht geht, brüchig und haltlos,dann muss man eben neue oder abgeänderte Auslegungen verkündigen und unter den Anhängernrechtzeitig durchsetzen. Sind sie nicht manipulierbar? Sollte man sie in der Mehrzahl nichtimmer wieder umorientieren können? Das muss nur vorsichtig und unmerklich genugbewerkstelligt werden, schrittweise, allmählich um die Gutgläubigkeit zu erhalten. Wer dennochstutzig wird, die Rolle der WTG-Führer als »einzige Vertreter Gottes« ernsthaft in Frage zustellen beginnt und Neigungen zeigt, aus der geistigen Gefangenschaft auszubrechen, bekommtden psychologischen Terror der Bedrohung mit der Harmagedon-Vernichtung zu spüren. Das hatbisher in den meisten Fällen geholfen so, dass man alle bisherigen Krisen überstehen konnte.Ein weiterer Grund, immer wieder irgendwie weiterzumachen, liegt in dem nicht eingestandenenHerrschaftsbedürfnis und Machtstreben der WTG-Führer. Man könnte hier den Apostel Pauluszitieren, der in 1. Korinther 4:8 die Machtgelüste einiger geistlicher Führer bloßstellt.Der dritte Grund und offenbar der schwierigste dafür, dass die WTG-Führer immer wieder neueEndzeitversionen ersinnen, liegt in der politischen Rolle, die die WTG besonders seit demErsten, Weltkrieg für bestimmte imperialistische Machtinteressen auf religiösem Gebiet spielt.Man hat die WTG-Führung genauso gekauft, wie, dies der Schweizer Professor Adolf Keller inseiner Arbeit »Amerikanisches Christentum heute« feststellt, wenn er bemerkt, dass es bei denamerikanischen Großindustriellen zum guten Ton gehöre, u. a. gewaltige Stiftungen kirchlicherArt anzulegen, die Führer der Kirchen und Glaubensgemeinschaften durch ihre Bindungen zuKlassenkirchenvertretern zu machen, die die Interessen ihrer finanziell starken Gönner mehr oderminder vertreten. (Keller, Adolf: Amerikanisches Christentum heute. Evang. Verlag A. G.Zollikon-Zürich 1943) Die ständig neuen WTG-Endzeitversionen, aufgebaut auf allgemeinemBibel- und Gottesglauben, sind nur Mittel zum Zweck.Die WTG hat sich damit allerdings in ein Spiel eingelassen, das bereits genauso verloren ist wieihre Endzeittheorien. Ihre Chance liegt allein darin, dass den Anhängern die Haltlosigkeit ihrergesamten Endzeitschau und die politische Zielsetzung, die man damit verfolgt, noch nicht zumBewusstsein gekommen ist und sie deshalb immer wieder mit neuen Theorien hingehaltenwerden konnten. Aber wie lange noch? Die WTG-Führer befinden sich auf diese Weise in derRolle eines Hasardeurs, der mit vollem Einsatz immer weiterspielt, ungeachtet der Gefahr, früheroder später mit Sicherheit alles zu verlieren. Die Aufmerksamkeit soll sich nun der politischenRolle der WTG zuwenden.

Im Dienste der psychologischen Kriegführung

Zur Koordinierung ihrer Aktionen in der weltweiten Auseinandersetzung zwischenImperialismus und Sozialismus bemühen sich die imperialistischen Hauptmächte im Rahmen derGlobalstrategie, die historisch gesetzmäßige Entwicklung der Demokratie und des Sozialismuszu verhindern, ihre derzeitigen Positionen zu halten und verlorengegangene nach Möglichkeitwiederzugewinnen.Eine der Hauptsäulen der Globalstrategie des lmperialismus ist die »psychologischeKriegsführung« als spezifische Form des ideologischen Kampfes gegen alle Kräfte des Friedensund des Fortschritts in der Welt, als gegenwärtige Hauptmethode im Kampf gegen diesozialistischen Länder.Das Ziel der psychologischen Kriegsführung besteht darin, Bevölkerung und Streitkräfte derimperialistischen Staaten für Aggressionshandlungen gegen die sozialistischen Länder, gegen die

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revolutionären und demokratischen Volksbewegungen ideologisch vorzubereiten und die Völkerneutraler Länder zur Duldung der Aggressionshandlungen zu bewegen. Zugleich verfolgt sie dasZiel, die politisch-moralische Einheit der Bevölkerung in den sozialistischen Ländern zuuntergraben und die Einheit der für Frieden, Demokratie und Sozialismus kämpfendenweltweiten Bewegung zu spalten. So dient auch die ideologische Diversion durch Infiltrationbürgerlicher Ideologien ausschließlich dem Zweck, Zweifel über die sozialistische Perspektivezu verbreiten.Der hauptsächliche Inhalt der psychologischen Kriegsführung, die von staatlichen, zivilen undmilitärischen Organen der imperialistischen Länder organisiert, finanziert und gelenkt wird, istdemzufolge der Antikommunismus, den bekanntlich der deutsche Schriftsteller Thomas Mannals die Grundtorheit unserer Epoche bezeichnet hat.Freilich muß nicht jeder psychologische Kampf in direkter, sofort augenscheinlicher Beziehungzu den politischen Auseinandersetzungen stehen, obwohl letztlich jedes menschliche Verhaltenseine politische Bedeutung und Auswirkung hat; denn der Mensch ist von Natur her ein sozialesund damit ein politisches Wesen. Es wurde schon eingangs darauf hingewiesen, dass vor allem inden USA bestimmte Kreise bestrebt sind, mit Hilfe finanzieller Mittel Einfluss auf religiöseGemeinschaften zu gewinnen, sie an sich zu binden, um sie eigenen Interessen dienstbar zumachen. Das heißt aber nichts anderes, als dass in solchen Fällen die Gemeinschaften, in denpsychologischen Kampf einbezogen werden, um bestimmte politische und auch militärischeZiele leichter zu erreichen. Wenn jetzt die politische Geschichte der WTG untersucht wird, sogeht aus den nachfolgenden grundsätzlichen politischen Äußerungen unmissverständlich hervor,auf welche Seite der gegenwärtigen ideologischen Auseinandersetzungen sich die WTGprinzipiell eingereiht hat.Seit 1879 schon zählt sich die WTG zu den Kräften des Antikommunismus, wie das Zitat ausdem »Wachtturm« vom 1. Januar 1962 beweist:Zitat"1. Januar 1962 Der WACHTTURMHeute ist der Name "Kommunismus" das Schreckgespenst, vor dem sich die ganze Welt fürchtet,besonders die Christenheit oder ihre einflussreichen politischen, religiösen, wirtschaftlichen undindustriellen Führer. Bereits 1879 brachte die Zeitschrift Der Wachtturm (in Englisch) in ihrerSeptember-Ausgabe - der dritten Ausgabe nach ihrem Erscheinen - einen Artikel, betitelt "DerTag des Herrn", in dem sie die Christenheit vor der Gefahr des Kommunismus warnte.Inzwischen ist ein Block kommunistischer Nationen gebildet worden, der ein Drittel der ganzenErde umspannt, und die Christenheit rüstet sich gewaltig gegen ihn. Aus Furcht vor den Folgen,die ein Atomkrieg haben könnte, tobt heute noch ein "kalter Krieg" zwischen der Christenheitund dem aggressiven kommunistischen Block."Mit ihren Kongressen und Versammlungen will die WTG öffentlich antikommunistisch wirken,»Bollwerke gegen Kommunismus« errichten, wie ein WTG-Sprecher dem »WestdeutschenTageblatt« am 26. Juli 1960 anlässlich eines WTG-Kongresses in Dortmund erklärte:Zitat:"Bollwerke gegen den MaterialismusViertägiger Kongress der Zeugen Jehovas in der Westfalenhalle"Die Kongresse der Zeugen Jehovas sind Bollwerke gegen Kommunismus und Materialismus"erklärte Herr Amann von der Pressestelle der Zeugen Jehovas."Schließlich sieht es die WTG als ihre Aufgabe an, religiös umschrieben dazu beizutragen, dassder »Kommunismus besiegt« werde (»Der Wachtturm« vom 15. September 1961 ):Zitat:15. September 1961 Der WACHTTURM"IN DER KRAFT JEHOVAS DEN KOMMUNISMUS BESIEGTIn diesem Kampf gegen gottlose totalitäre Elemente schöpft Jehovas Volk seine Kraft beständigaus dem himmlischen Quell."Diese grundsätzlichen Äußerungen der WTG zeigen, dass ihr geistiger oder psychologischer

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Kampf alles andere ist als ein ausschließlich religiöser, der nur »gegen die bösen Geister imHimmel« gerichtet sei. Es ist vielmehr recht deutlich die Sprache der imperialistischen Kräfte inder Welt, die hier zum Vorschein kommt, auch wenn sie mit religiösen Formulierungenbemäntelt wird. Diese politischen Äußerungen zeigen, dass die Führer der Zeugen Jehovas sichentgegen ihren sonstigen Behauptungen in die großen gesellschaftspolitischenAuseinandersetzungen der Gegenwart von Anbeginn an eingereiht haben. Sie haben Parteiergriffen und sprechen die Sprache der imperialistischen Politik, die den politischen Grundtonihrer religiösen Verkündigung bestimmt.Selbstverständlich wird diese Parteinahme der WTG nicht direkt ausgesprochen. Das wäre zuplump und würde nur dazu führen, dass sich viele Anhänger, die wirklich nur Christen seinwollen, angewidert zurückziehen. Aber in Verbindung mit entsprechenden Auslegungen derBibel lässt sich manches sagen, was sonst abstoßen würde. Man kann Leichtgläubigen auf dieseWeise eine politische Meinung und Haltung beibringen, ohne dass ihnen das zu Bewusstseinkommt, da es ihnen scheint, als sei alles nur rein religiös und biblisch.Der Blick soll sich nun im einzelnen auf die politische Rolle und Funktion richten, die die WTGseit ihrem Entstehen zu erfüllen hat. Es sollen die verdeckten und geheimen Zusammenhänge umdie WTG beleuchtet werden, die schließlich außer dem persönlichen Machtstreben der WTGFührerund der zweckdienlichen Fortführung und Weiternutzung der WTG-Organisation derAntrieb dafür sind, die Anhänger mit immer neuen illusionistischen Endzeitversionen zubetrügen. Mit anderen Worten, die Aufmerksamkeit gilt nun den politischen Hintergründen desEndzeit-Hasardspiels der WTG.

Frühe WTG-Bibeldeutungen im Interesse des Kapitals

Die WTG erklärte zu ihrer politischen Rolle, dass sie schon seit der dritten Ausgabe ihres Organs»Der Wachtturm« im Jahre 1879 »vor der Gefahr des Kommunismus warnt«, mit anderenWorten, die revolutionäre Bewegung unter den Arbeitern bekämpft. Damit ist dieAufmerksamkeit auf den Ort und die Zeit gelenkt, wo und wann die WTG mit ihrer Tätigkeitbegann.Pittsburgh im USA-Staate Pennsylvania, der Ort, an dem die W'TG gegründet wurde, wardamals schon eine gewaltige Industriestadt, ein Kohle- und Stahlzentrum der USA, dasamerikanische »Ruhrgebiet«. Dieser Ort war damit zugleich eine Stätte größterZusammenballung von Arbeitern und dadurch ein Gebiet erbitterter Klassenkämpfe zwischenArbeitern und Kapitalisten, heraufbeschworen durch die Machtkämpfe des späterenÖlgewaltigen John D. Rockefeller, der Pennsylvania Railroad (Eisenbahngesellschaft) und desUSA-Stahlkönigs und Bankiers Andrew Carnegie, deren Arbeiterausbeutung sich hierkonzentrierte. Folgende zeitgenössische Darstellung vermittelt ein Bild davon: MillionenArbeitslose in den großen Städten des Ostens der USA, zu denen auch Pittsburgh gehörte,forderten billigeres Brot. Sie waren nicht einmal in der Lage, sich Petroleum für ihre Lampen inden armseligen Löchern, in denen sie hausen mussten, zu kaufen. Ständig neue Entlassungen undLohnkürzungen kamen dazu. Der Präsident der Pennsylvania Railroad in Pittsburgh z. B.erzwang Lohnkürzungen und gleichzeitige Verlängerung der Güterzüge von 18 auf 36 Waggons.Die Armut und das Elend der Arbeiter erreichten unvorstellbare Ausmaße. So schlossen sie sichauch in Pittsburgh zusammen wie schon in Baltimore, wo bereits eine Lohnkürzung um 10%erfolgt war und die Arbeiter zum Streik getrieben hatte. Es kam zu dem berühmten Kampf umdas Pittsburgher Heizhaus im Juli 1877, der wie in Baltimore mit Toten und Schwerverletztenbei den Arbeitern endete. 10 Tote und 30 Schwerverletzte in Baltimore, 25 Tote und 50Schwerverletzte - darunter 10 Kinder - in Pittsburgh, während der Ölkönig John D. Rockefellerin jenem Jahr seiner jungen Frau Celista sagen konnte: »Mein schönster Traum hat sich erfüllt.Dieses Jahr kann unsere gute Standard (die Ölgesellschaft, d. V.) 50% Dividenden zahlen. Dankedem Herrn im Gebet, Celly! Der Allmächtige ist auf der Seite der Frommen.« (Wille, Hermann

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Heinz: Die goldene Woge. Verlag Neues Leben, Berlin 1961, S. 47-54)Wie stellte sich die WTG zu diesen Auseinandersetzungen, zu dem Kampf der Arbeiter um einmenschenwürdiges Dasein? In der zitierten »Wachtturm«-Ausgabe vom 1. Januar 1962 brüstetesie sich damit, dass sie bereits 1879, also nur kurz nach den eben geschilderten Vorgängen inPittsburgh und in Zusammenhang damit vor der »Gefahr des Kommunismus« gewarnt habe.Was man da im »Wachtturm«, nur zwei Jahre nach den Blutbädern von 1877 in Pittsburghveröffentlichte, mag in den Ohren des »frommen« Ölkönigs Rockefeller in der Tat wie Musik zuseiner Ausbeutungspolitik geklungen haben. Es erscheint darum als wesentlich, die frühepolitische Wirksamkeit der WTG in einem der Hauptzentren der Arbeiterschaft in den USA, inPennsylvania, näher zu untersuchen, um die politischen Hintergründe von Start und Aufstieg derWTG zu erfassen.In Band 4 der »Schriftstudien«, herausgegeben unter dem Titel »Der Krieg von Harmagedon«(1897), verfasst vom ersten WTG-Präsidenten C. T. Russell, findet sich eine Zusammenstellungder damals von der WTG vertretenen politischen Ansichten und Verkündigungen zurArbeiterfrage, wie sie sich in jener Zeit in den USA ergab. Zweifellos ist in dieser Sacheallgemeingültig, was der westdeutsche Historiker Karl Theo Humbach im Hinblick auf dieReligionsgemeinschaften feststellte, nämlich, dass sich seinerzeit auch die Ideen desamerikanischen Sektenwesens »quer durch die Interessen des Proletariats« zogen, um dieEntwicklung der revolutionären Bewegung aufzuhalten." (Humbach, Karl Theo: Kommunismus,Sozialismus und Arbeiterschaft in den USA. Sonderdruck Saekulum XII, Heft 1, Jahrbuch fürUniversalgeschichte (1962)) Die WTG liefert dafür das klassische Beispiel. Um das zuveranschaulichen, sollen die wichtigsten Einzelheiten dazu aus dem 4. Band der »Schriftstudien«herausgegriffen werden.Grundsätzlich predigte die WTG den ausgebeuteten Arbeitern (S. 190, 191)Zitat:"Es ist wahr, diese Kapitalistenverbände haben große Unternehmungen ins Leben gerufen,welche einzelne Männer weder so rasch hätten verwirklichen noch so nützlich hätten gestaltenkönnen, haben Risicos auf sich genommen, welche die Völker den Regierungen, die sie in ihremNamen hätten übernehmen wollen, schwer verargt hätten. Wir sind nicht der Meinung, dass dieVereinigung des Kapitals als solche verwerflich ist, wir machen nur darauf aufmerksam, dassdieselbe die Macht des Kapitals von Jahr zu Jahr steigert und damit die Interessen, ja die Freiheitdes Volkes gefährdet. Jedermann sagt: "EsZubereitung der Elemente. 191muss etwas in Sachen gethan werden"; aber niemand weiß, was. So steht die Menschheit hülflosjenen Riesenauswüchsen unseres ökonomischen Systems gegenüber, und die einzige Hoffnungist - Gott.Es ist wahr, an der Spitze jener Riesenunternehmungen stehen vielfach Leute, die ihre Macht mitMäßigung zu gebrauchen scheinen.Es ist weder weise noch gerecht, dem Kapital daraus einen Vorwurf zu machen, dass es handeltwie die Arbeiter, dass es auch seinen Vorteil sucht. Unter den Armen sind viele nicht minderherzlos als unter den Reichen und würden, im Besitze von Reichtümern grausamer und wenigerfreigebig sein als ihre gegenwärtigen Beherrscher. Lasst uns daher nicht die Reichen hassen oderbrandmarken, wohl aber die Selbstsucht und den Eigennutz im allgemeinen, der an allemgegenwärtigen Uebel schuld ist. Und laßt uns den Entschluss fassen, durch die Gnade Gottes alleunsere eigene Selbstsucht zu töten, und den Geist der Nächstenliebe in uns mächtig werden zulassen, damit wir dem Bilde von Gottes liebem Sohne, unseres Herrn und Erlösers immerähnlicher werden."Solche Darlegungen sind angesichts der Toten und Schwerverletzten allein von Baltimore undPittsburgh aus dem Mund eines Christen schwer zu verstehen. Rockefeller, Carnegie, Thomas A.Scott, der Präsident der Pennsylvania Railroad, und die anderen Geldmagnaten mögen diesePredigten Russells für ihre Arbeiter mit Wohlwollen aufgenommen haben. Doch Russell ergriffnoch weiter für jene Kapitalisten Partei (S. 179):

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Zitat:"Zubereitung der Elemente 179Oder wenn ein Farmer sich vornehmen würde, seine Knechte statt 12 Stunden täglich um 30Dollars monatlich nur 8 Stunden täglich um 60 Dollars arbeiten zu lassen wie die Arbeiter in denStädten, er wäre bald tief verschuldet. Ja, wenn a l l e Farmer so handeln und ihr Getreide nichtanders als teuer verkaufen wollten, würden sie ihre Scheunen nicht leeren können, und Russland,Indien und Süd Amerika würden in der Union billiges Getreide verkaufen.Die große Kapitalbedürftigkeit der Union zur Zeit des Eisenbahnbaus in der Industrie verschafftevielen Millionen in Europa nutzbringende Anlagen, und diese Millionen schufen die Blüte derUnion. Aber ihre Blütezeit ist vorbei; sie steigt langsam herab, und nichts als ein Krieg oderandere schwere Kalamitäten kann der Industrie wieder aufhelfen, indem er den friedlichenNationen viel Arbeit verschafft. So hat z. B. der Japanisch-Chinesische Krieg die beiden Staatenzu großen Abnehmern von Kriegsmaterial gemacht, und jetzt verwendet Japan die chinesischeKriegsentschädigung zum Bau großer Kriegsschiffe, was die andern Mächte veranlasste,ebenfalls ihre Flotten zu vermehren. Das gibt Arbeit und Verdienst, und so sehr wir den Kriegverabscheuen, wir sehen diese Rüstungen lieber, als den Arbeitsmangel, der Menschenaushungert."Eine bessere Rechtfertigung ihres profitgierigen Handelns hätten Carnegie und seinesgleichengar nicht finden können. Und im gleichen Maße, wie die WTG hier entschuldigt und Verständniszeigt für die »gegenwärtigen Beherrscher« der Arbeiter, versucht sie von jeder Auflehnunggegen die sozialen Missstände und vom Kampf um soziale Gerechtigkeit abzuhalten. So kannman in den »Schriftstudien« schließlich lesen (S. 178):Zitat:"178 Der Tag der Rache.Sie wähnen mit Vereinen, Streiken, Boykottierungen, & den Preis der Arbeit auf einzelnenGebieten zwei- oder dreimal so hoch festhalten zu können als auf andern und bemerken dabeinicht, dass heutzutage eine Arbeit viel rascher gelernt wird als früher, dass Schule und Pressejedem Kenntnisse vermittelt, die die Massen befähigen zu erlernen, was früher nur einzelnekonnten, dass das Massenarbeitsangebot, nachdem es auf einem Gebiet die Löhne unter dasNiveau des Notwendigen herunterdrückt, sich auf noch "gute" Gebiete wirft und diese damitebenfalls ruiniert. Dann müssen Massen von Männern entweder müßig sein und hungern undihre Familien darben lassen, oder Arbeit um die Hälfte oder den Drittel des früher erzieltenLohnes annehmen.Die Vereine haben, solange die Nachfrage das Angebot überstieg, ihren Mitgliedern vielenNutzen gebracht, indem sie gute Löhne, mäßige Arbeitszeit und Abwehr dergesundheitsschädlichen Einflüsse erzielten; aber gegen das eiserne Gesetz von Angebot undNachfrage vermögen sie gar nichts. Die Arbeiter haben nur von e i n e r Seite Hilfe zu erwarten,v o n G o t t , und nicht von Fleisch und Blut."Auf einen einfachen Nenner gebracht, besagt diese politische Predigt an die Adresse derArbeiterschaft, die Verhältnisse seien zweifellos schlimm, aber wer sie verbessern wolle durchirgendwelchen organisierten Kampf mache sie nur noch schlimmer. Darum nehme man dieDinge so hin, wie sie liegen. Jedes Aufbegehren gegen die bestehenden Verhältnisse seizwecklos, da die Menschen die Dinge nicht ändern könnten, sondern nur Gott.Diese Lehren eines passiven Verhaltens zur Umwelt haben aber weitgehende gesellschaftlicheKonsequenzen. Es ist festzustellen, dass jegliche menschliche Ordnung nur durch aktivegesellschaftliche bzw. politische Betätigung ihrer Mitglieder aufrechterhalten oderweiterentwickelt wurde. Jedes passive Verhalten würde bei entsprechendem Ausmaß zuRückgang und Untergang führen und ist daher im buchstäblichen Sinne des Wortes reaktionär.Von dieser Warte aus betrachtet, ist die Auffassung der WTG für die Besitzlosen, Armen undHungernden gleichbedeutend mit weiterer Verdammung ins Elend. Mit der Verbreitung ihrerPassivitätslehren besonders unter den Arbeitern versucht die WTG, die Kampfkraft derArbeiterklasse zu untergraben, und trägt so dazu bei, jeglichen sozialen Fortschritt zu sabotieren.

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Im Hinblick auf die Rechtfertigung der kapitalistischen Kriegs- und Rüstungspolitik durch dieWTG, wie sie aus dem Band 4 der »Schriftstudien«, S. 179, ersichtlich ist, kann man nur sagen:Gar selten liest man eine offenere Verteidigung der kapitalistischen Wolfsmoral des Verdienstesan Leid und Tränen, Blut und Tod der in den Krieg Getriebenen, und das noch dazu aus derFeder des Präsidenten der angeblich einzigen »Vertreter Gottes« auf Erden. Es ist erstaunlich,was für barbarische Theorien der immer als sanftmütig geschilderte Russell hier entwickelte.Es ist der gleiche Geist, der heute aus den WTG-Harmagedon-Vernichtungstheorien spricht.Nach wie vor gibt es eben auch eine Pervertierung christlicher Gesinnung, eine Verderbnischristlichen Geistes. Kreuzzüge, Inquisition, Antisemitismus und ähnliche fanatische undintolerante religiöse bzw. politische Extreme waren ebenfalls Ausdruck solcher Erscheinung.Daran ändert nichts, dass die Vertreter dieser barbarischen Ideen selbst ohnmächtig werdenmögen, müssten sie den ersten Tropfen Blut der von ihnen verteidigten Kriegsmetzeleien sehen.Bemerkenswert ist schließlich auch, was die WTG direkt auf die kommunistischen Forderungender damaligen Zeit zu antworten hatte. Es, heißt in Band 4 der »Schriftstudien«, S. 244:Zitat:" 244 Der Tag der Rache.Wäre das tausendjährige Reich auf Erden aufgerichtet, hätten die für diese Zeit verheißenengöttlichen Regenten ihre Herrschaft angetreten, würden s i e gemäß unfehlbarer göttlicherWeisheit ihre volle Macht ausüben und nicht durch den Beifall der Mehrheit, sondern durchGerechtigkeit als wie mit eiserner Rute regieren, dann könnte der Kommunismus gedeihen; dannwäre es wohl die beste Gesellschaftsform, und wenn ja, dann wird ihn sicher der König derKönige zu seiner Methode machen. Aber auf das w a r t e n wir. Uns geht die Weisheit undMacht solch theokratischer Regierung ab, und darum b e t e n wir bloß: "Dein Reich komme,dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel."Da man die kommunistischen Ideale schlecht leugnen kann, wurde die Sache ins Unmöglicheverkehrt. Katholische Kreise haben diese WTG-Äußerungen wiederholt zu der Anklageumgemünzt, die WTG betreibe kommunistische Propaganda und hetze gegen denkapitalistischen Staat. (Jung, Alois: Zeugen Jehovas. Winfried-Werk Augsburg 1950). Zu einemsolchen Schluss kann man nur bei oberflächlicher Beurteilung der Dinge kommen. InWirklichkeit war es doch so, dass mit dieser Darlegung versucht wurde, zu beweisen, dassMenschen keinen Kommunismus aufbauen könnten, und wäre er noch so ideal. Darum sei esunsinnig, sich solchen Dingen zu widmen. Damit wurde der Kommunismus alsGesellschaftsform in das Reich der Utopie verwiesen. Warum sollten die Kapitalisten wieCarnegie und andere in Pittsburgh oder sonst irgendwo etwas gegen diese WTG-Theorienhaben? Dass Gott durch Aufrichtung des Kommunismus ihrer kapitalistischen Herrschaft einEnde mache, war sowieso Illusion. Gefährlich war allein die revolutionäre kommunistischeGesinnung unter den Arbeitern, und die wurde ja mit dieser Theorie bekämpft.Man sieht, dass sich die WTG schon in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens politischeindeutig für das Kapital festlegte. Sie war ein durchaus brauchbares Instrument gegen dasAufbegehren der hungernden Massen und all derer, die aus den kapitalistischen Raubkriegen alsGeschlagene zurückkehrten, wären sie doch die ersten, die von der barbarischen Konkurrenzerdrückt oder arbeitslos auf die Straße geworfen wurden. Unter ihnen gärte es am meisten. Ihnengegenüber war die Passivitätspolitik der WTG hervorragend geeignet, entstehende revolutionäreStrömungen und Bewegungen ersticken zu helfen oder in ungefährliche Bahnen abzulenken, inein sozialpolitisch tatenloses Hoffen auf die Verwirklichung der WTG-Illusionen. Wer in ihrenpsychologischen Einflussbereich geriet, der unterließ alsbald jedes Aufbegehren und wurde zueinem vergeblichen Harren auf göttliche Hilfe verurteilt.So zeigte sich schon in der Frühzeit der WTG, dass sie in der psychologischen Kriegführung einenicht unbedeutende Rolle spielte. Im Laufe der Jahre stellte sich die WTG jedoch in immerstärkerem Maße durch Verknüpfung von religiösen mit politischen Dingen in den Dienst desGroßkapitals.

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Vom Großkapital gekauft

Weshalb die Unterstützung des Zionismus?Neben der antikommunistischen Betätigung verfolgte die WTG in ihrer religiösen Verkündigungungefähr vier Jahrzehnte lang - den gleichen Kräften des Kapitals dienlich - noch ein anderespolitisches Ziel. Sie wurde von etwa 1890 bis gegen 1930 zum Verfechter des politischenZionismus. Die Fakten machen es möglich, die kapitalistischen Kräfte hinter der WTG imeinzelnen zu erkennen.Um die Rolle der WTG in dieser Frage zu verstehen, ist es angebracht, zuerst einen Blick auf dasWesen, die Triebkräfte und Ziele des politischen Zionismus zu werfen. Das ist um so wichtiger,da dies von der WTG zur Verdunkelung ihrer politischen Bindungen völlig entstellt bzw.vertuscht wird.Der Zionismus ist eine nationalistische Strömung innerhalb des jüdischen Großbürgertums mitdem Ziel, in »Zion«, in Palästina, dem Heimatland der Juden oder Israeliten des biblischenAltertums, wieder einen jüdischen Staat zu errichten, ein Ziel, das mit der Gründung des StaatesIsrael im Jahre 1948 erreicht wurde. Der Zionismus ist somit eine politische Bewegung einerbestimmten Gruppe Juden und daher weder mit dem Judentum insgesamt noch mit allen Judenoder jüdischen Religionsgemeinschaften gleichzusetzen. Die Mehrheit aller Juden hat mit demZionismus nichts zu tun, sondern fühlt sich nach wie vor als Staatsbürger der Nationen, in denensie geboren wurden und leben. Sie denken nicht daran, Zionisten zu werden und nach Palästinaauszuwandern. Das trifft kurioserweise sogar auf die amerikanischen Führer des Zionismus zu,die zwar eifrig für die Palästinabewegung auftraten, selbst jedoch nicht im geringsten daraninteressiert sind, nach Palästina zu gehen. Es gibt also unter den Juden selbst zahlreiche Gegnerund Kritiker dieser Bewegung.Der zionistischen Strömung lagen zwei Haupttriebkräfte zugrunde: einerseits die internationalbetriebene Judenverfolgung und zum anderen das wirtschaftspolitische Interessegroßkapitalistischer Kreise vor allem in den USA, den Orient mit seinen Erdölquellen unter ihreHerrschaft zu bringen.Judenverfolgungen gab es in fast allen Ländern des Abendlandes und zu den verschiedenstenZeiten. Immer dann, wenn in irgendeinem Lande wirtschaftliche und politische Schwierigkeitenauftraten, wurde mit Hilfe nationalistischer Ideologien der Rassenhass geschürt, wurden diearbeitenden Menschen von den wahren Ursachen ihres Elends abgelenkt. Ihr Zorn sollte sichgegen die mit ihnen zusammenlebenden Juden richten, während in Wirklichkeit diegesellschaftlichen Verhältnisse, die Gier der herrschenden Schicht nach Macht und Profit dieUrsachen waren. Gleichzeitig diente die Vertreibung und oft auch die Ermordung jüdischerBürger der persönlichen Bereicherung derjenigen, die die Judenprogrome anzettelten. Dasklassische Beispiel hierfür haben schließlich die Herrscher des »nationalsozialistischen«Deutschlands und ihre Schergen, die SA- und SS-Leute, gegeben.Die Folge der Judenpogrome in der Neuzeit und sonstiger antisemitischer Ausschreitungen wareine immer stärker werdende Flucht der Juden aus den einzelnen Ländern Europas, wobei mananfangs weniger in Palästina als vielmehr in den USA Zuflucht suchte, eine Folge, die imInteresse des gegen Ende des 19. Jahrhunderts sich entwickelnden nordamerikanischenlmperialismus nicht zweckmäßig erschien, der sein Augenmerk, wie schon erwähnt, auf denOrient gerichtet hatte. So begann man, die jüdischen Flüchtlinge mehr und mehr nach Palästinazu lenken. Die Hauptförderer dieses Unternehmens waren vor allem die Finanzkapitalisten derBankiersgruppe Rothschild, Hirsch, Montefior, Kuhn, Loeb, Warburg und Rockefeller. Siesorgten insbesondere für die politische, psychologische und finanzielle Unterstützung der nunauflebenden zionistischen Bewegung.Es handelt sich also beim Zionismus insgesamt um Bestrebungen im Zusammenhang mit derimperialistischen Expansion der USA seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.Nachdem - ohne dass die Palästinafrage völkerrechtlich endgültig geklärt worden wäre - 1948unter dem Druck der bis dahin geschaffenen Tatsachen die Staatsgründung Israels mit

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Mehrheitsbeschluss der Vereinten Nationen vollzogen war, sieht man Rockefeller 1961 alsTeilhaber der Ölaktien in Irak und als Partner der israelischen Ölgesellschaft SONOL.Geld, Pläne und schließlich Abkommen oder Beschlüsse waren wohl diewichtigstenBedingungen um das zionistische Ziel zu erreichen. Der Zionismus war jedochwenig populär. So musste von Anfang an viel getan werden um auch die öffentliche Meinung zugewinnen. Jede Stimme für den Zionismus war dabei wichtig bzw. wurde gefördert. So war z. B.Theodor Herzl, der erste Zionistenführer, in großer Not und musste viel Mühe aufwenden um beiden europäischen Regierungen Unterstützung zuu erlangen. Diese Situation war mitbestimmend,als 1903 in Deutschland das erste WTG-Zweigbüro eröffnet wurde um auch den Zionismuspsychologisch zu unterstützen. Der Schweizer Geschichtsforscher S. Reinhard bestätigt inseinem Werk »Spanischer Sommer« 1948 die treibende Funktion der Finanzkapitalisten Kuhn,Loeb, Warburg und Co. hinter der »psychologischen Vorarbeit«, die überall für die »Errichtungdes jüdischen Staates in Palästina« geleistet werden musste. (Reinhard, S. ; Spanischer Sommer,Affoltern/Schweiz 1948)Als WTG-Präsident Russell im Jahre 1886 die ersten Versionen und Visionen über eineangeblich heutige »Zeit des Endes« im ersten Band seiner »Schriftstudien« als »göttlichen Plander Zeitalter« zusammenfasste, hatte er nicht im geringsten im Sinn, in die Endzeitschau denZionismus irgendwie einzubeziehen, obwohl diese Bewegung mehr oder weniger schon seit1881 im Gange war. »Wir erachten es nicht für wichtig, uns auf eine Erörterung darübereinzulassen, wo wohl die ,verlorenen Stämme' Israels zu suchen seien«, bemerkte Russell zu derFrage, ob man sich mit dem Judentum und seinen Bestrebungen heute irgendwie zu befassenhabe, seine Endzeitschau als »Darstellung unter Berücksichtigung und im Einklang mit derganzen Heiligen Schrift« ausgebend. (Schriftstudien Band 1, WTG 1886, Magdeburg 1926, S.281) Die WTG-Ansicht in dieser Frage änderte sich erst, als den USA gegen Ende der achtzigerJahre im Zuge der Judenverfolgungen eine riesige Einwanderungswelle bevorstand, die dortgroße Unruhe auslöste. Man rechnete mit rund 2 Mill. Emigranten. Diese Tatsachen waren es,die jene aus Konkurrenzsorgen mit der Aufteilung der Welt befassten FinanzkapitalistenRothschild, Rockefeller und ihre Partner zu dem Entschluss kommen ließen, die verfolgten Judenin Zukunft nach Palästina zu lenken mit dem Endziel der Schaffung einer Stätte nationalerSammlung und Gründung eines eigenen Staates in diesem Land, von dem aus der Orient mitseinen Erdölquellen in amerikanisches Einflussgebiet verwandelt werden sollte.Zur Gewährleistung der psychologischen Vorarbeit für dieses politische Unternehmen zog manschließlich auch die »hervorragenden Männer aller Glaubensbekenntnisse« in den USA heran,war doch die öffentliche Meinung ein wichtiger Faktor. Wie die Tatsachen zeigen, gehörte dazuauch die WTG. Bis jetzt - 1890 war ihre Tätigkeit im wesentlichen auf den Osten der USAbeschränkt geblieben. Nach Kanada und England hatte sie noch einige Beziehungen geknüpft.Mit dem Einsatz für den politischen Zionismus jedoch konnte sie erstmalig weltweit auf denSchauplatz treten. Ihre große Stunde internationaler Ausdehnung schlug also mit dem Erwachenwestlicher Machtinteressen für Palästina im politischen Dienste der Rothschild, Hirsch, Warburgund Rockefeller.Das erste, was die WTG tat, war die Einbeziehung der zionistischen Bewegung in ihre »Zeichender Zeit des Endes«, in ihre, Endzeitdeutungen. Das fand seinen Ausdruck in den nächstenbeiden Bänden der »Schriftstudien« (Band 2 und 3), die 1889 und 1891 veröffentlicht wurden,genau zu der Zeit, als in den USA das Problem der jüdischen Emigranten aus Osteuropa auf derTagesordnung stand. Mit diesen beiden Bänden begann die WTG ihre öffentliche psychologischeArbeit für den politischen Zionismus, natürlich »im Namen Jehovas«. Im Band 2 von 1889wurde demgemäß verkündigt, mit dem Berliner Kongress europäischer Regierungen von 1878unter dem Vorsitz des deutschen Kaisers und den Kongressbeschlüssen auch zugunsten derJuden im Orient sei die »Rückkehr der Gnade Gottes zu Israel« eingetreten. (Schriftstudien Band2. WTG 1889, Magdeburg 1926, S. 218/19) In Wirklichkeit waren diese Beschlüsse durch einSpiel hinter den Kulissen zustande gekommen, an dem der Bankier und ZionismusfördererBaron Hirsch einen entscheidenden Anteil hatte. (Weltsch, R.: Deutsches Judentum - Aufstieg

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und Krise. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1963, S. 235)Mit dem Band 3 von 1891 wurde dann die erste große psychologische Schlacht für denZionismus geschlagen. Unter dem Motto: »Die Wiederherstellung Israels in Palästina, ein indieser Erntezeit (Endzeit, d. V.) zu erwartendes Ereignis« begann die WTG, die bisherigePalästina-Bewegung international populär zu machen und damit psychologisch zu unterstützenund zu fördern. Äußerungen einflussreicher politischer Tageszeitungen wie »New York Herald«,»Jewish World« u. a. wurden ausgewertet. Maßgebliche Politiker wie der englische LordShaftesbury wurden zitiert, die sich dafür einsetzten, die verfolgten Juden nach Palästina zulenken. »Palästina kann nur von Russland aus wirksam kolonisiert werden, wo es an dreiMillionen Juden gibt, die für ihr Leben und Eigentum zittern, und die übrigen würden folgen«,zitiert die WTG ein englisches Blatt. (Schriftstudien Band 3, WTG 1891, Magdeburg 1926, S.261) In diesem Zusammenhang wird ganz besonders die damalige südrussische Palästina-Bewegung unter ihrem Leiter Joseph Rabinowitsch unterstützt, die ihr Zentrum in Kitschinew(Kischinijow), der heutigen Hauptstadt der Moldauischen Sowjetrepublik, hatte, wie folgenderAuszug aus »Schriftstudien« Band 3 von 1891 (deutsch 1926) zeigt:Zitat:"Studie 8.Die Wiederherstellung IsraelsDie Wiederherstellung Israels in Palästina ein in dieser Erntezeit zu erwartendes Ereignis.In dieser Richtung sind die Zeichen der Zeit wahrlich überraschend. Die bemerkenswertereligiöse Bewegung unter den Juden im südlichen Russland bringt Tausende jenes Volkes zurAnerkennung Jesu Christi als des lange verheißenen Messias und zum Zugeständnis ihrerNationalsünde in seiner Verwerfung und Kreuzigung. Und dies ist in keinem Sinne das Resultatchristlicher Missionstätigkeit. Es ist eine unabhängige Bewegung, gänzlich aus jüdischen Bodenentspringend. Der Leiter der Bewegung ist ein Jude, Joseph Rabinowitsch, früher ein Kaufmann,und später ein Advokat.Energischen Charakters, und begierig, seine eigene Ausbildung sowie die politische, soziale undmoralische Hebung seines Volkes zu fördern, war Rabinowitsch schon vor Jahren als ein eifrigerReformfreund unter den Juden des Ostens bekannt.Diesen Bruch zu heilen, ist das ideale Ziel des Kitschinew Reformers, indem er da wieder aufsneue einsetzt, wo das erwählte Volk zuerst in einen irrtümlichen Pfad nationaler Entwicklungeingetreten ist. Im Jahre 1880 veröffentlichte er ein Programm, in dem er eine vollständigeReorganisation des rabbinischen Systems vertrat. Er war früher in der Arbeit einer Gesellschaftfür die Förderung des Ackerbaues unter den Juden Südrusslands tätig; und während der Zeit derVerfolgung im Jahre 1882 trat er ernstlich für die Rückkehr seines Volkes nach Palästina ein."WTG-Präsident Russell selbst fuhr 1891 nach Kitschinew, nachdem die »hervorragendenMänner aller Glaubensbekenntnisse« im Frühjahr 1891 in Chicago, USA, auf einer Konferenzbegonnen hatten, ihre Stimme für den Zionismus zu erheben.Die Popularisierung der Dokumente dieser Chicago-Konferenz von 1891 wurde sodann zumHauptinhalt der psychologischen Tätigkeit der WTG für den Zionismus in der nachfolgendenZeit. Das besondere Mittel dazu war Band 3 der »Schriftstudien« mit dem Titel »DeinKönigreich komme«. Man lese folgenden AuszugZitat:"278 Dein Königreich kommeEin jüdisches Reich vorgeschlagen.Washington, D. C., den 5. März 1891."William E. Blackstone von Chicago, besuchte heute den Präsidenten der Vereinigten Staaten inBegleitung des Sekretär Blaine und überreichte folgende Denkschrift inbetreffs der russischenJuden."Er erklärte, dass die Denkschrift das Resultat einer Konferenz von Christen und Juden sei,welche kürzlich in Chicago abgehalten wurde, und lenkte die besondere Aufmerksamkeit auf denUmstand, dass sie nicht gegen Russland streite, sondern versuche, den Juden die Herrschaft über

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ihre alte Heimat - Palästina - auf einem friedlichen Wege zuzuwenden.Die Denkschrift.Die Denkschrift lautet: "Was soll für die russischen Juden getan werden? Es wäre sowohl unklugals auch nutzlos, Russland inbezug auf seine inneren Angelegenheiten etwas diktieren zu wollen.Die Juden haben jahrhundertelang als Fremdlinge in Russland gewohnt, und Russland glaubtvöllig, dass die Juden eine Last für die Bezugsquellen und dem Wohle seiner Landbevölkerungnachteilig sind, und man wird ihnen nicht gestatten zu bleiben. Russland ist entschlossen, dassdie Juden gehen müssen. Folglich müssen diese Aschkenasim (deutsche Juden) gleich wie dieSephardim (spanischen Juden) auswandern. Doch wohin sollen 2 Millionen solcher armer Leutegehen? Sollen sie nach Amerika kommen? Das wäre eine ungeheure Aufgabe und würde Jahre inAnspruch nehmen."Warum ihnen nicht Palästina zurückgeben?"Zu dem Zwecke ersuchen wir ehrfurchtsvoll Seine Exzellenz, Benjamin Harrison, Präsident derVereinigten Staaten, und J. G. Blaine, Staatssekretär, ihre guten Ämter und ihren Einfluss beiden Regierungen ihrer kaiserlichen Majestäten Alexanders des Dritten, Zaren von Russland,Viktoria, Königin von Groß-Britannien und Kaiserin von Indien, Wilhelms des Zweiten, Kaisersvon Deutschland, Franz Joseph, Kaisers von Österreich-Ungarn, Abdul Hamids des Zweiten,Sultans der Türkei, Ihrer königlichen Majestät Marie Christine von Spanien, bei der RepublikFrankreich und den Regierungen Belgiens, Hollands, Dänemarks, Schwedens, Portugals,Rumäniens, Serbiens, Bulgariens und Griechenlands zu gebrauchen, um sobald wie möglich dieAbhaltung einer internationalen Konferenz zu sichern, um die Lage der Israeliten und ihreAnsprüche auf Palästina als ihre alte Heimat zu betrachten und in jeder gerechten und geeignetenWeise die Linderung ihres leidenden Zustandes zu fördern."(Die Denkschrift ist von hervorragenden Männern aller Berufsarten undGlaubensgemeinschaften von Chicago, Boston, New York, Philadelphia, Baltimore undWashington unterzeichnet.)Wie aus dieser Denkschrift zu ersehen ist, hatte sich die Konferenz an den amerikanischenPräsidenten Harrison gewandt, eine Einwanderung der Millionen jüdischer Osteuropa-Emigranten nach den USA als »ungeheure Aufgabe, die Jahre in Anspruch nehmen würde«,abgelehnt und verlangt, die USA-Regierung solle diplomatisch und auf jede andere Weise dafürsorgen, dass Palästina für die Juden geöffnet werde. Insbesondere sollten die USA politischeSchritte bei all den Regierungen unternehmen, die in der Palästinafrage zuständig waren bzw.Druck ausüben konnten. Damit schlug dann im eigentlichen die schon erwähnte große Stunde fürdie WTG. Ihr Präsident Russell wurde dazu ausersehen, die geforderte USA-Regierungsinitiativedurch eine abgestimmte lnformations- und Propagandaweltreise zu unterstützen. EineHauptaufgabe bestand darin, Kontakt mit der südrussischen Zionistenbewegung des JosephRabinowitsch aufzunehmen. Nach heutiger WTG-Darstellung unternahm Russell diese Weltreiseim Jahre 1891, »um das Bibelstudium außerhalb der Vereinigten Staaten und Kanada zufördern«. Der Kommentar in dem Buch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, S. 32 (1960)lautet dazu:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENWegen des zunehmenden Interesses entschloss man sich im Jahre 1891, dass Russell alsPräsident der Gesellschaft seine erste Reise ins Ausland unternehme um dieses Interesse zufördern und das Werk außerhalb der Vereinigten Staaten und Kanada auszudehnen. Seine Reisesollte zwei Monate dauern.Seine Reise führte ihn nach Russland und bis hinab in die Türkei und nach Ägypten, ehe er nachNew York weiterreiste.Russell besuchte auf seiner Reise folgende Orte: Kopenhagen, Dänemark; Berlin und Leipzig,Deutschland; Wien, Österreich; Kischinew, Russland; Konstantinopel, Türkei; Athen,Griechenland; Jerusalem, Palästina; Kairo, Ägypten; wo er die Pyramiden besichtigte; Rom,Italien; Bern, Schweiz; Paris, Frankreich; Brüssel, Belgien; Amsterdam, Holland; London und

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Liverpool, England, wo Russell in jeder der beiden Städte zu 150 Personen sprach, ehe er nachNew York zurückkehrte. (w 1891, S. 95, 148). In bezug auf Russells persönliche Beobachtungenüber protestantische Missionen im Ausland siehe w 1892, S. 3-7; w 1891, S. 148."Natürlich gehörte auch die Förderung des Interesses für die sonstige WTG-Tätigkeit zu RussellsWeltreiseaufgaben, war aber nicht der Hauptzweck. Das wird offenbar, wenn man vergleicht,welche Länder und Regierungen in der Denkschrift der Chicago-Konferenz von 1891 fürpolitische Schritte der USA-Regierung vorgeschlagen wurden und welche Länder undRegierungen Russell daraufhin besuchte. Man sieht, dass er genau die Länder bereiste, die in derChicago-Denkschrift genannt sind, und dass er schließlich im Zentrum des südrussischenZionismus, in Kitschinew, auftauchte. Russells Weltreise von 1891 stand daher in Wirklichkeitim Zusammenhang mit den Forderungen der Chicago-Konferenz gleichen Jahres; sie war eineInformations-, Beobachtungs- und Propagandareise im Interesse der Palästinapläne der imHintergrund stehenden Kreise des amerikanischen Finanzkapitals und ihres erwachten Interessesfür das »Heilige Land« im Orient.Während von nun an im Rahmen der internationalen WTG-Verkündigung der Zionismus alsGotteswerk popularisiert wurde, entsandte die WTG auch Vertreter, die an den zionistischenKongressen und Tagungen teilnahmen. So nahm laut »Wachtturm« Nr. 8 vom August 1914(deutsch) als WTG-Beauftragter Otto Dathe, Leipzig, an der zionistischen Delegiertenkonferenzvom 14. bis 16. Juni 1914 in Leipzig teil. Dathe schrieb anschließend im genannten»Wachtturm«: »Jetzt können wir um so besser verstehen, wie unser himmlischer Vater dieDrangsal Jakobs zulässt, um allen Israeliten zu zeigen, dass er es ist, der sie in ihr Landzurückbringt.« Nicht nur der Zionismus sollte demnach Gottes Werk sein, sondern auch dieJudenverfolgungen gehörten in Gottes Plan!Der Zionismus als »Zeichen der Zeit des Endes« sollte den Zusammenbruch derWTGEndzeitanschauungenim Ersten Weltkrieg überleben. Er gehörte sogar zu den»Endzeitbeweisen«, mit denen der Nachfolger Russells, J. F. Rutherford, die in Untätigkeitversunkene Anhängerschaft nach dem Ersten Weltkrieg unter dem aufreizenden Schlagwort»Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterben!« aus ihrer Lethargie zu neuerAktivität für die WTG herausriss Dieser Feldzug dauerte bis etwa 1925. Das Hauptmittel war einBuch des WTG-Präsidenten Rutherford mit diesem »Millionen«-Schlagwort als Titel, das, invierzehn Sprachen verbreitet, zum ersten WTG-Schlager nach dem Kriege wurde. Dasaufreizende Titelblatt der seit 1920 verbreiteten zionistischen »Millionen«-Broschüre, derenwirklicher Inhalt von der WTG heute weitgehend verschwiegen wird.Zitat:"Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterben!!Dieses Buch ist gewidmet den jetzt auf der Erde lebenden Menschen die sich sehnen nach Leben,Freiheit und GlückJ. F. RutherfordVeröffentlicht von der Internationalen Vereinigung Ernster Bibelforscher124 Columbia Heights Brooklyn, New York, U. S. A.Deutsche Korrespondenz adressiere man an die deutsche Abteilung, wie folgt:Der Wacht Turm P. O. Box 122, Brooklyn, N. Y."Seitenlang versucht man in diesem Buch zu beweisen, dass alles, was in dem neuen jüdischenStaat errichtet wird, allein Gottes Werk sei, denn es sei eine endzeitliche Erfüllung des ProphetenJesaja (65:21-23). Wie sehr die WTG dabei ihrer Phantasie die Zügel schießen lässt, magfolgender Auszug aus dieser Jesaja-Deutung zeigen:Zitat:"Sie werden Häuser bauen."In einer Sitzung des Exekutivausschusses des Zionistenbundes, die am 16. Februar 1920 inLondon stattfand, machte Dr. Ruppin im Verlauf der Debatte den Vorschlag, eine großeGesellschaft ins Leben zu rufen, die so schnell wie möglich damit beginnen solle, in Palästina

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Häuser für Arbeiter zu bauen. Und sogar jetzt schon wird in verschiedenen Teilen Palästinaseifrigst am Bau von Häusern gearbeitet, die so schnell wie möglich hergerichtet werden, um demfortwährenden Strom jüdischer Volksmassen, die nach dem Lande Palästinas zurückkehren, alsHeim zu dienen. Wiederum erkennen wir hierin die klare Erfüllung einer Prophezeiung, die vorlangen Zeiten in der Absicht geschrieben wurde, den Juden Hoffnung und Mut einzuflößen umGlauben an die Verheißungen Gottes zu haben. Die jetzt in Palästina emporschießenden Häuserdienen keiner gewinnbringenden Spekulation, noch auch werden die Unternehmer dieserHäuserbauten die in ihnen wohnenden Juden bedrücken dürfen, sondern die Eigentümer, denendiese Häuser zufallen, werden inMillionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterbenihnen als in ihren eigenen Heimstätten wohnen, wie der Prophet des Herrn geweissagt hat."Wie anders sah es indessen in der jüdischen Heimstatt Palästina aus. Man spekulierte mitHäusern und Land; Trusts, Konzerne und Monopole entstanden oder setzten sich fest wie inanderen kapitalistischen Ländern. Und die aus dem Untergrund entstehende zionistische Armee,die Haganah, entwickelte sich zu einem äußerst rücksichtslosen Kriegsinstrument. Von dem Idylldes Jesaja war in Palästina nie etwas vorhanden. Ungeachtet dessen stellt die WTG in ihrem»Millionen«- Buch die Behauptung auf, die jüdischen Palästinabestrebungen seien einendgültiges »Zeichen der Zeit des Endes«:Zitat:"Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterbenSomit stellt das Zeugnis der Schrift endgültig die Tatsache fest, dass Gottes Gunst zu den Judenzurückgekehrt ist; dass die Parallele sich erfüllt hat; dass der Feigenbaum seine Blätterhervorbringt, gemäß der Verheißung - was alles, wie Jesus sagte, am Ende des Zeitalters, amEnde der Welt eintreffen werde."Die zionistische Propaganda der WTG wurde von den herrschenden kapitalistischen Kreisen inden USA sogar für so nützlich erachtet, dass sie ihr die Möglichkeit einräumten, sie auch überden amerikanischen Rundfunk zu verbreiten. Als das Jahr 1925 herankam - für die WTG heuteein Jahr unseligsten Gedankens -, fasste Rutherford seine zionistischen Rundfunkreden als »ersteunparteiische Darstellung dieser Frage vom Standpunkt der Heiligen Schrift» aus in einem Buchunter dem Titel »Trost für die Juden« zusammen. Man lese das Vorwort dieses Buches:Zitat:"TROST FÜR DIE JUDENVorwort der Herausgeber.Der Wiederaufbau Palästinas nimmt die Aufmerksamkeit der Juden auf der ganzen Erde inAnspruch. Einige Weltmächte unterstützen dem äußeren Anschein nach diese Bewegung, aberoffenbar nur aus selbstsüchtigen Gründen.R i c h t e r R u t h e r f o r d , der in der ganzen Welt als uneigennütziger Freund des jüdischenVolkes bekannt ist, unterstützt den Anspruch der Juden auf das heilige Land in tatkräftigerWeise. Er ist gegen die sogenannte Bekehrung der Juden und vertritt die Ansicht, dass sie nichtnur verkehrt, sondern sogar schriftwidrig ist. Seine vor großen Versammlungen gehaltenenVorträge über das Thema "Rückkehr der Juden nach Palästina", die auch durch Radiovorträgeüber die ganze Welt gefunkt wurden, haben reges Interesse wachgerufen.Dauernde Nachfrage nach den Vorträgen veranlassten ihn, sie in erweiterter Form als Bucherscheinen zu lassen. Dieses Buch ist für Juden und Nicht-Juden von großem Interesse. Es gibtdie unparteiische Darstellung dieser Frage vom Standpunkte der Heiligen Schrift, die je gedrucktwurde.Die Herausgeber veröffentlichen dieses Buch in der Zuversicht, dass es viel Gutes stiften wird.Oktober 1925.Die Herausgeber.Von J. F. RutherfordVerfasser von DIE HARFE GOTTES MILLIONEN JETZT LEBENDER WERDEN NIEMALSSTERBEN."

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Als dann im Frühjahr 1925 von den Zionisten und ihren finanzkapitalistischen Förderern dieerste Dampferlinie von New York nach Palästina eröffnet wurde, gehörte WTG-PräsidentRutherford zu den 350 prominenten Passagieren, die das Vorrecht erhielten, an derEröffnungsfahrt teilzunehmen. Man lese die Ausführungen Rutherfords hierüber in seinem Buch»Trost für die Juden«, S. 70, 71:Zitat:" 70 Trost für die JudenIm Anfang des Frühjahrs 1925 nahm eine von den Juden der Stadt New York eingerichteteDampferlinie mit einer direkten Route zwischen New York und Palästina den Verkehr auf. Dieerste Reise wurde von dem Dampfer "President Arthur" gemacht, der am 12. März 1925 denHafen von New York verließ. Schätzungsweise waren mehr als 125 000 Juden am Dockversammelt, um denen, die die erste Reise unternahmen, ein Lebewohl zuzurufen. Es war fürmich auf diesem Schiffe eine Kabine reserviert worden, und da ich bereits früher zweimal inPalästina war, so freute ich mich darauf, wiederum das Land zu besuchen und die inzwischengemachten Fortschritte näher zu betrachten. Umstände machten es indessen unmöglich für mich,diese Reise anzutreten, und ich ersuchte Herrn A. H. Macmillan von New York, diese Reise fürmich zu unternehmen. Er tat dies, und ich führe aus dem von Herrn Macmillan gegebenenBericht folgendes an:Am Mittag des 31. März 1925 sichtete der Dampfer "President Arthur" den Hafen, in dem wirlandeten. Das Schiff hatte etwa 350 Passagiere, die fast alle Juden waren.Am Sonntag, den 1. April 1925, wurde die Universität eingeweiht.Herr Macmillan berichtet weiter:Um drei Uhr nachmittags begann die Einweihungsfeier an der östlichen Seite des Berges Scopus.Innerhalb der Einfriedung waren die etwa für 8 000 Personen vorgesehenen Sitze besetzt, undTausende standen noch außerhalb an günstig gelegenen Punkten. Die hervorragendenPersönlichkeiten auf der Tribüne waren Lord Balfour, Sir Herbert Samuel, General Allenby, Dr.Weizmann, Dr. Magnus, Oberst Kisch, Dr. Ruppin, Dr. Levy und andere.Wir besuchten darauf Rishon le Zion. Diese Niederlassung wurde vor verschiedenen Jahren vonBaron Edmund Rothschild gegründet."Aus diesen Aufzeichnungen Rutherfords ist ersichtlich, welch enge persönlichen Beziehungenzwischen ihm als WTG-Präsident und den großkapitalistischen Zionistenführern in New Yorkbestanden, so dass sie ihn als einen der wenigen Nichtjuden zur Eröffnung der zionistischenDampferlinie New York-Palästina, zur Einweihung der ersten Universität und zur Besichtigungder Rothschild-Gründungen in Palästina hinzuzogen. Der Vertreter Rutherfords in dieser Sache,A. H. Macmillan, gehörte ebenfalls (bis 1964) zum WTG-Direktorium. (Jahrbuch der ZeugenJehovas 1964, S. 77. Sonderdienstliste. Diese Liste ist seither aus den Jahrbüchern entfernt umeine öffentliche Kontrolle der leitenden WTG-Mitarbeiter zu verhindern).Die Ursache dafür, dass es zu jenem Höhepunkt von 1925 im Einsatz der WTG für denZionismus kam, war selbstverständlich nicht der »himmlische Vater« oder ähnliches. Es wareneher die Anzeichen für neue Judenverfolgungen. Mitte der zwanziger Jahre, besonders in Polen,und die dadurch ausgelöste vierte Palästina-Einwanderungswelle.Die letzte psychologische Kampagne der WTG für den politischen Zionismus begann 1929 mitdem Buch »Leben«, das in weiten Passagen sogar wörtlich nur eine Wiedergabe des Inhalts von»Trost für die Juden« (1925) war. »Leben« wurde wieder als »unfehlbarer Beweis« propagiert.Man sehe sich den wesentlichen Inhalt dieser »unfehlbaren Beweise« näher an, die diesmal ineiner Auslegung der alttestamentlichen Weissagungen des Propheten Hesekiel über ein »Tal derverdorrten Gebeine« (Kapitel 37, S. 156, 177, 178) bestehen:Zitat:"LebenDer unfehlbare Beweis aus dem Worte des Schöpfers, dass er für den Menschen den Weg schuf,sich ewiges Lebens auf Erden zu erfreuen, und dass die Erde in ein Paradies verwandelt werdenwird

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Von J. F. RutherfordOrganisierung des ZionismusBevor die zionistische Organisation wirksam tätig sein konnte, musste sie tatkräftige Männer undGeld haben, im Bilde dargestellt durch das Fleisch und die Sehen; sie musste ferner in denAugen der Juden der Welt ein richtiges und anziehendes Ansehen bekommen. Niemand weißbesser, als die Zionisten selbst, wie schwer sie kämpfen mussten um andre in ihre Reihen zubringen und dafür zu wirken, die Bewegung zum Wiederaufbau Palästinas in wirksamer Weiseöffentlich bekanntzumachen und so den Zionismus in den Augen des jüdischen Volkesanziehend und wohlgefällig zu machen.Daher stellt das Zusammenbringen der Gebeine passenderweise die Bildung des Gerippes einerOrganisation dar.Man beachte nun die tatsächlichen Geschehnisse und wie sie die Erfüllung dieser Prophezeiungbeweisen.Herzl sagte: "Die Judennot" war "die treibende Kraft" zum Entwurf des Zionismus-Planes. DerLärm und die Aufrüttelung durch die Verfolgungen und Verhetzungen veranlassten die Gebeineoder die Juden, zusammenzurücken und das Gerippe einer die Heimkehr nach Palästina und dieWiederherstellung ihres Heimatlandes bezweckenden Organisation zu bilden. Ein menschlichesSkelett besteht aus 206 Knochen. Der Zionismus wurde im Jahre 1897 in Basel, Schweiz, zueiner Körperschaft organisiert; und an jenem Kongress der die Organisation vollendete, warengenau 206 Delegierte anwesend, genau die Zahl wie die Zahl der Knochen desMenschenskelettes. Das war kein bloßer Zufall, sondern eine augenscheinlich von dem Herrnangeordnete Tatsache, und zeigt, dass der Herr auch die kleinsten Dinge in Verbindung mit derWiederherstellung der Juden und ihrer Wiederbringung zu Gott überwaltet. Das sollte dieHoffnung der Juden beleben und ihnen Trost bringen."Das Buch »Leben« war von Rutherford direkt zur Beeinflussung der Juden für den Zionismusgeschrieben worden, wie die Einleitung, eine Diskussion mit einem Juden, veranschaulicht undim »Wachtturm« vom 1. April 1966, S. 214, bestätigt wird.

Transaktionen mit dem amerikanischen GroßkapitalAlle im WTG-Buch »Leben« von 1929 und in den sonstigen »Wachtturm«schriften bisherdargelegten »Beweise«, dass der Zionismus von Jehova bis ins kleinste »überwaltet« wird, d. h.ein Gotteswerk ist, mussten 1932 von der WTG selbst als Betrug bezeichnet werden. Die WTGmusste die psychologische Unterstützung für den politischen Zionismus aufgeben, was zur Folgehatte, dass auch die entsprechenden Endzeitversionen wieder geändert wurden.Selbstverständlich wurde den Anhängern auch das als »von Jehova gelehrt« serviert (»DerWachtturm« vom 15. Juli 1955):Zitat:"15. Juli 1955 Der WACHTTURMDie Wiederherstellung der echten Anbetung des lebendigen Gottes im Jahre 1919 bedeutete nichtden Versammeln großer Mengen gebürtiger oder natürlicher "orthodoxer" Juden in einsogenanntes "Heiliges Land" (Palästina) unter dem Schlagwort "Zionismus" (Joh. 4: 21-23) Inder Tat. in bezug auf ein so lange erwartetes und allgemein bekanntgemachtes Ereigniserkannten die ernsten Erforscher der Bibel im Jahr 1932, dass es nicht Jehovas Weg, sondern nurder Weg sich selbst dienender Menschen ist, die auf schlaue Weise zu menschlichen Zweckenund Vorteilen zur Tat aufgerüttelt worden sind. Durch die Veröffentlichung von Band 2 desBuches Rechtfertigung in jenem Jahre erkannten Jehovas, dass eine solche "Zurück -nach-Palästina"-Bewegung vom Geiste des Erzfeindes Jehovas in die Wege geleitet wurde, von Satan,der die ganze bewohnte Erde betrogen hat."Demnach hätte Satan, der Teufel, die Zeugen Jehovas, die Juden und die Weltöffentlichkeit 40Jahre lang durch die WTG mit dem politischen Zionismus betrogen. Die Purzelbäume der WTGsind wahrlich grotesk, sie spielt in der Tat auf der Bibel die widersprechendsten Lieder.Wichtiger ist indessen, auch in dieser Sache hinter die Kulissen zu schauen.

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Wie für die Entstehung der WTG-Zionismuspropaganda, so war auch für deren Liquidierung1932 das Interesse kapitalistischer Kreise in den USA ausschlaggebend. Offensichtlich warhierin ein Wandel eingetreten. Seit 1929 wurde das kapitalistische Wirtschaftssystem von einervon den USA ausgehenden internationalen Krise erfasst, bekannt als die Weltwirtschaftskrisevon 1929 bis 1932. Deutschland wurde besonders in Mitleidenschaft gezogen, da die deutscheWirtschaft durch amerikanischen Kapitalexport seit 1923 eng mit dem USA-Finanzkapitalverflochten war. Fünf Milliarden Dollar waren durch die Krise eingefroren. Fabriken undBanken machten Konkurs und brachen zusammen.Die Arbeitslosigkeit nahm ungeheure Ausmaße an. Erwerbslose führten unter der Leitung derArbeiterparteien Massendemonstrationen durch, Hunderttausende von Arbeitern streikten.Auch die WTG blieb nicht verschont. Das Leipziger Bankhaus Kölbel & Levy, das für sie inDeutschland arbeitete, geriet ebenfalls in den Strudel des allgemeinen Zusammenbruchs, wobeidie WTG ihr gesamtes dort deponiertes amerikanisches Kapital verlor. Die Wirtschaftskriseschlug schnell in eine politische Krise um. Die revolutionäre Arbeiterbewegung trat auf denPlan. Jetzt sahen die herrschenden Kreise des amerikanischen und die mit ihnen liierten Kreisedes deutschen Finanzkapitals keinen anderen Ausweg mehr, als die Lage radikal zu ihrenGunsten zu ändern. Sie setzten auf den seit 1923 in Deutschland zur Macht strebendenantisemitischen Hitlerfaschismus.Zu den Finanzkapitalisten, die nun den Nazis in den Sattel halfen, gehörte auch diedeutschamerikanischeGruppe Hirsch, Rothschild, Kühn, Loeb, Warburg, Rockefeller. Die Rettung deskapitalistischen Systems durch die einzig hierfür noch brauchbare Kraft in Mitteleuropa, denjudenfeindlichen Hitlerfaschismus, schien den zum Teil selbst jüdischen deutsch-amerikanischenFinanzkapitalisten wichtiger als alles andere, auch wichtiger als eine weitere Förderung deszionistischen Werkes in Europa bzw. Deutschland. Im höheren Interesse der Erhaltung desKapitalismus räumte man daher der Hitlerbewegung auch den zionistischen Stein des Anstoßesaus dem Wege. Reinhard gibt in seinem Buch »Spanischer Sommer« (Affoltern, Schweiz, 1948,S. 174) einen anschaulichen Bericht:Zitat:"Die amerikanische Finanzierung HitlersEs war im Juli 1929 als unter den Bankiers von Wallstreet eine beklemmende Stimmung Einzugzu halten begann. Zwar lief die Spekulation in Amerika noch auf Hochtouren und nur Paul M.Warburg erhob warnend seine Stimme, als müsse dieser besinnungslose Tanz um das goldeneKalb ein drastisches Ende nehmen. Unter der Führung des Leiters der Guaranty Trust Company,Mr. Carter fanden sich die Direktoren der fünf Federal Reservebanken zu einer Besprechung ein,bei welcher auch Rockefeller Junior und Mc. Glean als Vertreter der Oelinteressen teilnahmen.Selbst den Magnaten der Hochfinanz erschien die Lage bedrohlich, als sich ergab, dass über 5Milliarden Dollars von 8 ½ Milliarden, die in Mitteleuropa investiert waren, eingefroren warenund weder Zinsen noch Abzahlungen eintrugen.Die Finanzleute waren sich darüber einig, dass eine Aenderung auf politischem Gebietherbeigeführt werden müsse, nachdem sich die wirtschaftliche und finanzielle Möglichkeit dafürnicht mehr ergab. es erhob sich die Notwendigkeit, in Deutschland einen Mann zu finden, derimstande war, der revolutionären Entwicklung des Bolschewismus zuvorzukommen und einenationale Politik zu betreiben, welche auf Frankreich beängstigend wirken sollte.Mit allerhöchsten Empfehlungen ausgestattet, reiste Warburg nach Deutschland. Er traf sich balddarauf mit Hitler in München.Es dauerte nicht lange, bis Warburg auf seinen Kabelbericht die Ermächtigung bekam, Hitlerzunächst 15 Millionen Dollar, also 60 Millionen Mark auszuhändigen. Die Transaktion vollzogsich in Amsterdam.Warburgs Nachrichten waren ermunternd und Hitler bekam noch einmal eine saftige Zulage von10 Millionen Dollars, welche die geheimen Zuwendungen aus dem Rheinisch-westfälischenSyndikat ergänzten. Die Rhenania in Düsseldorf vermittelte ihm dazu auch die Beiträge des

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holländischen Oelmagnaten Deterding, der es den Russen übel genommen hatte, dass sie ihm dieOelquellen von Baku vorenthielten.Ueberweisung der letzten Summe von sieben Millionen Dollars.Warburg ließ diesmal das Geld an die Rhenania nach Düsseldorf kommen, wo es an Dr.Goebbels ausbezahlt wurde.Eine wachsende Beunruhigung muss die Brüder Warburg ergriffen haben, als die Saat ihrer"deutschen Unternehmung" aufzugehen begann. Die auf Seite der Allierten wirkendenVerwandten versuchten, den überlauten Eifer der zionistischen Feinde Hitlers möglichst zudämpfen und ein amerikanischer Rabbi, Morris Lazaron, aus Baltimore, griff im Auftrag derWarburgfamilie vermittelnd ein, um vor allem die unbändige Hetze des wortgewaltigen RabbiStephan S. Wise, der an der Spitze aller nazifeindlichen Organisationen in Amerika stand undmächtige Entrüstungswellen gegen die Deutschen entfesselte, abzustoppen, damit das Werk MaxM. Warburgs in Deutschland nicht gefährdet und er selber durch vorzeitige Enthüllung seinergeheimen Mission den Nationalsozialisten ausgeliefert würde."In seinen Memoiren »erinnert« sich Warburg dieser Zeit mit der Bemerkung, er müsse gestehen;dass er im Jahre 1933 die Folgen des faschistischen Umsturzes auch nicht im mindestenübersehen habe. Er habe nicht daran geglaubt, dass Hitler zum Alleinherrscher Deutschlandswerden könne. (Entscheidungsjahr 1932. Zur Judenfrage in der Endphase der WeimarerRepublik, S. 20. Wissenschaftliche Abhandlungen des Leo-Baeck-Instituts, J. C. B. Mohr,Tübingen 1966).Dieser politische Kurswechsel des internationalen Finanzkapitals mit dem Ziel, den AntisemitenHitler an die Macht zu bringen, war der politische Hintergrund, der auch die WTG zwang, ihrezionistische Verkündigung abzustoppen und damit überhaupt abzubrechen. Während die ZeugenJehovas in aller Welt noch die »unfehlbaren Beweise« für die »göttliche Überwaltung« desZionismus von Haus zu Haus trugen, schön in rotes Kaliko gebunden, brütete WTG-PräsidentRutherford unter dem Druck der gesellschaftspolitischen Veränderungen über seiner»Rechtfertigung« für die bevorstehende Liquidierung des psychologischen WTG-Einsatzes fürden Zionismus. 1932 war es vollbracht. Zur gleichen Zeit, als Warburgs Dollars in HitlersTaschen rollten, konnte die WTG ihren Anhängern in Gestalt von drei Büchern(»Rechtfertigung«, 1931 und 1932) die neue Orientierung in die Hand drücken, natürlich wieder»vom Standpunkt der Schrift« aus, wonach der Zionismus nun Teufelswerk war. Daran konntensich die Nazis nicht mehr stoßen.Verständlicherweise vollzog die WTG diese Wandlung ihrer sogenannten Endzeit-Beweisführung nicht freiwillig, denn die Sache war schließlich ein riesiges geistiges undmaterielles Verlustgeschäft. Nicht nur barg das die Gefahr einer Erschütterung derGlaubwürdigkeit der WTG-Führung in sich. Die millionenfach verbreiteten Bücher »Leben«waren angesichts dieser radikalen Wandlung keinen Pfifferling mehr wert. Man konnte sie nurnoch einstampfen. Die Sache war also ärgerlich genug. Die Folgen müssen schwerwiegendeinterne Auseinandersetzungen in der WTG-Führung über die Verbindungen mit demamerikanischen Großkapital gewesen sein, denn Rutherford sah sich gezwungen, in seiner»Rechtfertigung« darüber zu sprechen. Faktisch bestätigte er dabei das gesamte bisherigeZusammenspiel der WTG-Führung mit dem deutsch-amerikanischen Finanzkapital. Man lese dieetwas religiös verklausulierten Äußerungen Rutherfords in Band 2 der »Rechtfertigung«, S. 74,75, 126, 127:Zitat:RechtfertigungDer Name und das Wort des ewigen Gottes bewahrheitet und gerechtfertigt durchHesekiels Prophezeiungoffenbarend, was eilends über die Nationen kommen muss.Kommentare von J. F. RutherfordEtliche der Gottgeweihten in der Gegenwart sind durch ihre Geldinteressen in Transaktionen mitdem Großgeschäft hineingezogen worden, was für die, die nach dem Wohlgefallen des Herrn

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trachten, in geistlicher Hinsicht stets nachteilig ist.Die Gott lieben, werden sich nun vom Großgeschäft fernhalten, sich ausschließlich demKönigreich widmen und nur dieses "eine" tun.Wer mit dem Herrn einen Bund eingegangen ist, dann aber diesen Bund vernachlässigt und imGroßgeschäft verwickelt wird, wird mehr Ursache zum Weinen und Wehklagen haben als dieweltlichen Kaufleute.Jehova hat niemals seinen Segen zu irgendeinem Versuch seines Volkes gegeben, die Methodendes Großgeschäfts anzuwenden um Geld für sein Zeugniswerk zu gewinnen.Zur bestimmten Zeit wird Jehova auch diese Männer des Großgeschäfts davon überzeugen, dasser sein Werk ohne sie ausführen kann;Niemand vom Volke Gottes darf sich auf irgendein Geschöpf der Organisation Satans stützen.Diese Lektion muss sowohl dem Großgeschäft als auch denen, die Gottes Volk zu sein erklären,beigebracht werden. Jehovas Zeugen haben durch die Gnade des Herrn diese Lektion gelernt.Der Herr ruft sein Volk aus den kommerziellen Berufen heraus und ladet es ein, in den Dienstder Veröffentlichung seines großen Namens und der Verkündigung von seinem Königreicheinzutreten.Wir dachten einmal, der Herr würde vielleicht die Herzen einiger weltlich Reichen berühren, undsie würden eine Menge Geld beisteuern und so die finanzielle Kraft zur Ausbreitung seinerBotschaft der Wahrheit mächtig vergrößern. Nun aber sieht Gottes Volk, dass eine solcheErwartung unrichtig war."Allgemein muss man zu diesen Äußerungen Rutherfords sagen, dass sie ausgewählteFormulierungen zur Verdunkelung des Sachverhalts um die Transaktionen der WTG mit demFinanzkapital darstellen. Dass er überhaupt diese Äußerungen machte, zeugt davon, wie bedrängtdie WTG in jener Zeit war. Rutherford tut so, als ob es allein darauf ankomme, dieAnhängerschaft, ob jener Transaktionen zu ermahnen, zu rügen und zu kritisieren. Das ist jedochnichts anderes als Demagogie. Die einfachen Anhänger brauchten nie überzeugt zu werden, dasssie sich nicht auf das Großkapital stützen dürfen, gehörten sie doch in der Regel zu denunbemittelten Kreisen, zu den Ärmsten im Volke, die kaum mehr als ihr Scherflein an Geld zurVerfügung hatten. Rutherford praktiziert hier die üble Methode, »Haltet den Dieb!« zu schreien,während es in Wahrheit allein die WTG-Führung selbst ist, um die es hier geht. Es sollen nun dieeinzelnen Geständnisse Rutherfords beleuchtet werden.Rutherford gibt zu, dass die WTG »durch ihre Geldinteressen in Transaktionen mit demGroßgeschäft hineingezogen« wurde. Wenn er sagt, man »werde sich nun vom Großgeschäftfernhalten«, so ist damit bewiesen, dass man sich bisher nicht davon ferngehalten, sondern mitihm zusammengearbeitet hatte. Wenn er weiter sagt, Jehova habe keinen Segen dazu gegeben,durch »Methoden des Großgeschäfts Geld zu gewinnen«, so ist das nur eine religiöseUmschreibung dessen, dass die finanzielle Zusammenarbeit mit dem Großkapital nunmehrzusammengebrochen war. Auch die Äußerung, Jehova würde die Männer des Großgeschäfts,also die Finanzkapitalisten, überzeugen, dass er »sein Werk« - gemeint ist das WTGUnternehmen- »ohne sie ausfahren kann«, beweist, dass das WTG-Werk bisher mit den Gelderndieser Kapitalisten durchgeführt wurde. Das gleiche besagen auch Rutherfords Worte: »Der Herrruft sein Volk« - gemeint sind die Zeugen Jehovas - »aus den kommerziellen Berufen heraus«.Das müsste richtiger heißen, die WTG muss ihre bisherigen Kapitalverbindungen aufgeben, denndie einfachen Anhänger, auf die Rutherford hier geschickt ablenkt sind nie in solche Dingeverwickelt gewesen. Ihnen wurde nicht einmal gesagt, dass solche Verbindungen bestehen, dienun mit dem Zionismus-Debakel zum Vorschein kamen. Eine demagogische Verdrehung desSachverhalts ist es schließlich, wenn Rutherford behauptet, »wir dachten einmal, die Reichen . . .würden eine Menge Geld beisteuern und so die finanzielle Kraft« der WTG darstellen, wo erdoch zuvor bemerkt hatte, man werde sich »nun vom Großgeschäft fernhalten«, und weiter: »n un aber sieht Gottes Volk« - gemeint sind die WTG-Anhänger »dass solche Erwartung unrichtigwar«. Vorher waren diese Erwartungen also nicht unrichtig, sondern sie wurden erfüllt, dieReichen haben Geld beigesteuert. Erst von nun an sollten sie überzeugt werden, »dass Jehova

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sein Werk ohne sie ausfahren kann«. Damit kann als erwiesen und von der WTG selbst bestätigtangesehen werden, dass sie bis zum Zeitpunkt der Liquidierung ihrer zionistischen Propagandaum 1932 mit bestimmten Kreisen des Finanzkapitals finanziell zusammengearbeitet hat.Dass auch heute noch WTG-fremde Gönner oder Geldgeber im Hintergrund stehen die mananonym hält, beweist die Erklärung der WTG in Form eines Zwiegesprächs im »Wachtturm«vom 1. Juli 1962, Wiesbaden.Zitat:"Wer trägt die Kosten?WOHER DAS GELD KOMMTZEUGE: Es ist kein Geheimnis, wie die, Watch Tower Society, Jehovas Zeugen als juristischePerson dient zu ihrem Geld kommt. Wäre sie ein geschäftliches Unternehmen, stiege die Frage,wie sie finanziert wird, gar nicht auf. Da sie aber eine gemeinnützige Organisation ist und nichtwie die Kirchen der Christenheit durch Kollekten oder Zehntenabgabe zu ihrem Geld kommt,hört man immer wieder die Frage: Wie kommt die Gesellschaft zu ihrem Geld? Wie wird sieunterstützt?WOHNUNGSINHABER: Ja, woher erhält sie nun das nötige Geld?ZEUGE: Von Personen, die es freiwillig, ungezwungen und unaufgefordert spenden. Sie tragenzur Unterstützung des Werkes bei, wie es ihnen ihre Verhältnisse erlauben.WOHNUNGSINHABER: Wer sind diese Spender?ZEUGE: Größtenteils Zeugen Jehovas,"Diese Erklärung ist in Wirklichkeit eine geschickte Irreführung und Täuschung darüber, woherdas Geld der WTG kommt, denn Zeugen Jehovas sollen nur »größtenteils« die Spender sein. Derandere Teil der Geldgeber wird nicht genannt. Was in dieser Frage noch festzustellen bleibt, ist,in welchen Kreisen des Großkapitals jene Geldgeber namentlich zu suchen sind, von denenPräsident Rutherford sprach. Er gab eine Finanzierung durch das »Großgeschäft« zwar zu,erwähnte aber keine Namen. Wenn man der Logik der Tatsachen und Zusammenhänge folgt, diebisher dargelegt wurden, so ist eigentlich schon ersichtlich, um, welche Kapitalistenkreise es sichallein handeln kann. Es kommen jene in Frage, die hinter dem politischen Zionismus gestandenhaben bzw. stehen, nämlich die Gruppe Rothschild, Hirsch, Warburg, Kuhn, Loeb undRockefeller. Man findet das von einer ganz anderen Seite her bestätigt. Indes hat die Sache einekleine Vorgeschichte, die hier berichtet werden muss.Seitdem die Öffentlichkeitsarbeit der WTG nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland wiederangelaufen war, erhob sich alsbald die Frage nach der Finanzierung dieser Tätigkeit. Angelpunktwurden die kostspieligen Gratisveranstaltungen für die Öffentlichkeit, sowie die gleichfallskostspielige Gratisverteilung großer Mengen WTG-Literatur. Vor allem führende Kreise derkatholischen Kirche in Südwestdeutschland warfen diese Frage auf, war doch dieWTGVerkündigungnicht nur antikommunistisch und zionistisch, sondern auch in schärfster Formantikatholisch ausgerichtet. In den Auseinandersetzungen, die damals zwischen der WTG undjenen katholischen Kreisen geführt wurden, kamen die Dinge schließlich ans Licht.Eine der katholischen Enthüllungen stand in Verbindung mit einem sogenanntenFreimaurerbrief. Am 18. Mai 1923 veröffentlichte die katholische Zeitung »Der Morgen« inOlten, Schweiz, den Brief eines deutschen Freimaurers namens von Bomsdorff-Bergen. DerBrief besagte u. a., die WTG erhalte in den USA auf indirektem Wege viel Geld vonFreimaurern. Als Grund hierfür wurde angegeben, dass der antikatholische Kampf der WTG denZielen der Freimaurer dienlich sei, die ebenfalls den Katholizismus bekämpften. (Die Freimaurersind ein internationaler Männerbund im Interesse des privatkapitalistischen Besitzbürgertums mitreligiöser Grundhaltung).Die WTG setzte alle Mittel ein, diesen Brief als ein Lügendokument zu erklären, und führteverschiedene Prozesse gegen Personen, die es wagten, darauf öffentlich Bezug zu nehmen.Angeblich ist dieser Brief jedoch bei einem ersten Vergleich der WTG ausgehändigt worden, sodas niemand mehr gegen sie Beweis führen konnte.

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Wie die wirklichen Zusammenhänge zeigen, zielten die katholischen Enthüllungen jedoch amKern der Sache vorbei, denn das Freimaurertum war keineswegs Haupttriebkraft hinter derWTG, obwohl es mit im Spiel gewesen sein mag, war doch USA-Präsident Warren G. Harding,in dessen Amtszeit die Aktivierung der WTG seit 1921 fiel, selbst Freimaurer. Er gehörte seit1901 der amerikanischen Marion-Freimaurerloge Nr. 70 an. (Vereinigte Großloge. Nr. 4/5.Frankfurt (Main) 1956/57, S. 102.)Zudem muss man hier auch die enge Verbindung Rutherfords zu amerikanischenRegierungsmitgliedern sehen. Und schließlich hatte sich die WTG nach der Gründungsurkundevon 1884 das Recht vorbehalten, »alle Arten persönlichen Eigentums oder Gelderentgegenzunehmen«. Das schloss Freimaurergelder nicht aus. Nichtsdestoweniger bleibt dieseSchlussfolgerung eine Annahme.Anders ist es mit den Feststellungen, die sich auf Grund der Nachforschungen des katholischenPublizisten Fritz Schlegel ergaben, die 1922 unter Kontrolle des Erzbischöflichen OrdinariatsFreiburg der katholischen Kirche Deutschlands veröffentlicht wurden mit dem Titel »DieWahrheit über die Ernsten Bibelforscher«. Schlegel stellte fest:Zitat:"Fritz Schlegel."Jüdischen Bankaus Hirsch in Newyork"."Von diesem Bankhaus wird die ganze I. V. E. B. (Internationale Vereinigung ErnsterBibelforscher) mit den reichsten Geldmitteln versorgt.Erzbischöfliches Ordinariat. Nr. 13 868.Freiburg i. B., 1. Dez. 1922.1922 Druck u. Verlag Wilh. Eckmann Kehl."Bei dem hier als Geldgeber der WTG festgestellten New Yorker Bankhaus Hirsch handelt es sichum jenen Kapitalisten, den WTG-Präsident Russell im Band 2 der »Schriftstudien«, S. 256, mitden »Montefior-, Hirsch- und Rothschild-Kapitalien« als Finanzmacht hinter dem Zionismusnannte. Es war derselbe Baron und Bankier Hirsch, der seinerzeit die zionistische Emigration ausSüdrussland organisierte, wobei Russell anlässlich seiner ersten Weltreise 1891 schon eine Rollespielte. Hirsch war, wie schon gezeigt, verbunden mit Rothschild, Kuhn, Loeb, Warburg undRockefeller. Damit sind jene Finanzkapitalisten aus dem amerikanischen Großgeschäft genannt,deren Namen WTG-Präsident Rutherford 1932 in dem Eingeständnis, dass die WTG vomamerikanischen Großkapital finanziert wurde, verschwieg. Die WTG versuchte erst gar nicht,gegen diese Enthüllungen ein Gerichtsverfahren einzuleiten. Spricht die Wahrheit gegen sie, soist es ihr Prinzip, die Dinge ihrerseits einfach totzuschweigen.Zusammengefasst lässt sich nun folgendes sagen: Wenn die WTG rund vierzig Jahre lang nebenihrem ständigen Antikommunismus die zionistische Bewegung der jüdischen Großbourgeoisieunterstützte und als sogenanntes »Zeichen der Zeit des Endes« propagierte, so ist das auf Grundder festgestellten Beziehungen der WTG zu den Finanzkapitalisten hinter dem ZionismusAusdruck der Tatsache, dass die WTG von diesen Finanzkreisen für ihre politischen Zielegekauft worden ist. Auf diese Weise hat die WTG in großem Maße dazu beigetragen, dass dieZionisten in Palästina ihre selbstmörderische Aggressivität entfalten konnten, die sich u. a. in denantiarabischen Eroberungskriegen der unversöhnlichen Führungskreise der Zionisten Israels1948, 1956 und 1967 ausdrückt. Die WTG hat damit auch eine große historische Kriegsschuldauf sich geladen.Die Nazis verdrehten in ihrer verbrecherischen antisemitischen Ideologie mit einem mysteriösen»Weltjudentum« oder »Alljuda« als Popanz die Tatsache des Einsatzes der WTG für denZionismus - was nichts mit einem Bekenntnis zu Judentum oder jüdischer Religion zu tun hatte,sondern politischen Zwecken diente - zu der Anklage, die WTG-Anhänger oder Zeugen Jehovasseien »Bolschewiken des internationalen Judentums« und stünden im »Kampf um die Errichtungeiner jüdischen Weltherrschaft«, und zu ähnlichem, für die WTG aber gefährlichem Unsinn.Dadurch verfiel die WTG jedoch in das Extrem, nach der Liquidierung ihrer zionistischenTätigkeit auf die antisemitischen Positionen der Nazis überzugehen Es war der Versuch, durch

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einen ideologischen Kompromiss die nazistische Gefahr für die WTG abzuwenden.Mit der Abkehr vom politischen Zionismus war jedoch keine Abkehr, kein grundsätzlichesFreiwerden der WTG von der politischen Unterordnung unter die Ziele des amerikanischenImperialismus Oberhaupt vollzogen. Man hatte die WTG lediglich auf den neuen undprofaschistischen Kurs in der amerikanischen Deutschland- bzw. Europapolitik zu Beginn derdreißiger Jahre gezwungen.Die Verbindung mit dem amerikanischen Großkapital wird durch den Nachfolger Rutherfords,N. H. Knorr, fortgesetzt, so dass die politische Linie der WTG gesichert bleibt. Wer ist NathanHomer Knorr? Ursprünglich war er dazu bestimmt, als Großkaufmann in dasfinanzkapitalistische Großgeschäft der USA einzusteigen, wie er selbst 1961 einem Hamburger»Bildzeitungs«-Korrespondenten erklärte:Zitat:"Seite 4 BILD Hamburg, 22. Juli 1961Nummer 1 beim Zeugen-Kongressvon Janos BardiHamburg, 22. JuliDer internationale Kongress der Zeugen Jehovas im Stadtpark geht seinem Ende und einemweiteren Höhepunkt entgegen.BILD unterhielt sich mit dem "Chef" der Zeugen Jehovas, einem Amerikaner, der diebiblischklassischenVornamen Nathan-Homer und den echt deutschen Nachnamen Knorr hat.Nathan-Homer Knorr (56) und seine Frau Audrey, die ihn auf seinen Reisen immer begleitet,widmeten ihr Leben dem Gedanken, der die Zeugen Jehovas erfüllt.Als 18-jähriger wollte er noch Großkaufmann werden."Diese Berufspläne wurden jedoch, abgebrochen und er stieg als Achtzehnjähriger 1923 nicht indas kapitalistische Großgeschäft ein, sondern wurde hauptamtlicher Mitarbeiter der WTGZentralein Brooklyn, New York. Hier machte er auf außergewöhnliche Weise Karriere. Er hattein sehr kurzer Zeit und ziemlich jung und bevorzugt gegenüber allen anderen WTG-Direktoren,die ihm vor allem in geistiger Hinsicht weit überlegen waren, noch unter Präsident Rutherforddie Schalthebel der Macht in der Organisation erreicht. Man lese zunächst die biographischenAngaben über N. H. Knorr in dem Buch »Jehovas Zeugen« des amerikanischen ReportersMarley Cole (deutsch 1956, Pyramidenverlag Frankfurt (Main), der in Absprache mit der WTGKnorrs Laufbahn wie folgt schildert:Zitat:"MARLEY COLEAnhang: Biographie KnorrNATHAN HOMER KNORRNathan Homer Knorr ist der Mann, der als Nachfolger J. F. Rutherfords der dritte Präsident derWachtturm-Gesellschaft und der ihr angegliederten Körperschaften wurde.Mr. Knorr wurde am 23. April 1905 in Bethlehem, Pennsylvania, geboren. Er promovierte 1923an der Hochschule von Allentown in Pennsylvania.Im gleichen Jahr wurde der junge Knorr aufgefordert, Mitglied der Arbeitsfamilie zu Brooklyn,New York, zu werden. Das ist das Hauptquartier und die zentrale Druckereianlage der ZeugenJehovas. Knorr wurde zuerst dem Dienst in der Versand-Abteilung zugeteilt. Dann wurde erbeauftragt, den Druckereibetrieb in der Anlage der Gesellschaft den Erfordernissen anzupassen.Er zeigte eine besondere Begabung, zu organisieren und die Dinge in Gang zu bringen. NeunJahre nachdem er ins Bethel-Heim gekommen war, wurde der 27-jährige Nathan KnorrGeneraldirektor des Verlages und der Druckerei. Das war im Jahr 1932.Zwei Jahre später wurde er zum Direktor der Volks-Kanzelvereinigung (jetzt Wachtturm-, BibelundTraktat-Gesellschaft, e. V., in New York) gewählt. Ein Jahr darauf wurde er Vize-Präsident.Im Jahre 1940 wurde er Direktor und Vizepräsident der Pennsylvania-Körperschaft, derWachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft.

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Nach dem Tode Richter Rutherfords wählte das Direktorium Mr. Knorr einstimmig zumPräsidenten beider amerikanischer Körperschaften, sowie der InternationalenBibelforschervereinigung in England. Die Ernennung zu diesen Ämtern gilt auf Lebenszeit.Mr. Knorr wuchs in der Geschäftsabteilung der Organisation heran;"Diese Biographie beginnt schon mit einer Hochstapelei. Wenn Knorr 1923 an der Hochschule inAllentown promovierte, so bedeutet dies, dass ihm hier mit achtzehn Jahren die Doktorwürdeverliehen wurde. Bestenfalls hat er aber an dieser »Hochschule« als Achtzehnjähriger denReifegrad eines Abiturs erlangt. Von einer Promotion, also der Verleihung einer Doktorwürde,kann nicht im entferntesten die Rede sein. Offensichtlich will die WTG mit dieser Darstellungihrem Präsidenten in der deutschen Öffentlichkeit eine Art Gelehrtennimbus verleihen eine sehrfragwürdige Aufwertung.Knorrs Start in der Geschäftsabteilung der WTG zeigt, dass er systematisch darauf vorbereitetwurde, einmal die höchste Kommando- und Machtposition in der WTG einzunehmen, diegeschäftliche bzw. finanzielle Verwaltung. Sein ursprüngliches Berufsvorhaben lässt erkennen,dass er aus den Kreisen des Großkapitals stammt, zu diesem Milieu gehörte und darin seineZukunft sah. Und hier liegt auch die Ursache seines Überwechselns in die WTG und seinesAufstiegs in die Befehlsgewalt über diese Organisation. Denn nur ein Angehöriger undVertrauensmann des Großkapitals durfte einmal die Nachfolge Rutherfords antreten, wollte mandie WTG politisch in der Hand behalten. Diese Bedingungen sind mit N. H. Knorr gegeben. Erist verwandt mit der südwestdeutschen Konzernfamilie C. H. Knorr in Heilbronn, die er u. a.1951 gelegentlich des WTG-Kongresses »Reine Anbetung« in Frankfurt (Main) aufsuchte. DieC. H. Knorr AG in Heilbronn untersteht dem Konzern Deutsche Maizena AG. Dieser wiederumist eine Niederlassung des amerikanischen Konzerns Corn Product Refining. Die DeutscheMaizena AG wurde 1922 in Hamburg, Sitz des Stammhauses der Bankiers Warburg, errichtet.Der USA-Konzern Corn Product Refining ist verbunden mit der deutsch-amerikanischenBankiersgruppe Kuhn, Loeb, Warburg, die ihrerseits in Kapitalverflechtung mit dem ÖlkönigRockefeller steht. (Baumann: Atlantikpakt der Konzerne. Die internationale Kapitalverflechtungin Westdeutschland, Berlin 1952, S. 33 ff)So befindet sich auch mit N. H. Knorr ein Gewährsmann jener an der politischen Ausnutzungvon Kirchen und Religionsgemeinschaften interessierten USA Finanzkapitalisten an der Spitzeder WTG bzw. Zeugen Jehovas. Der Antikommunismus, den auch N. H. Knorr in immer neuenVarianten und Versionen in der illusionistischen Endzeitverkündigung fortsetzt, weist ihnpolitisch als Gehilfen der psychologischen Kriegführung des Imperialismus aus

Neue Bindungen an das Kapital

Ein USA-Staatsanwalt reißt die Macht an sichBei der Betrachtung der illusionistischen Endzeitlehren der WTG ist zum Ausdruck gekommen,dass das Jahr 1914 darin ein außerordentlich gekennzeichnetes Jahr ist. Es war faktisch derHöhepunkt, dem die erste Generation der Zeugen Jehovas entgegenfieberte. Hatte die WTG doch»im Namen Jehovas« vierzig Jahre lang gepredigt, zu diesem Zeitpunkt eben 1914, breche diegesamte Welt unter dem Zusammenprall zwischen Arbeit und Kapital zusammen, was denAbschluss der »Zeit des Endes« in der »Schlacht von Harmagedon« bedeute. Zur gleichen Zeitstünden die »Fürsten« von den Toten auf und führten das ewige irdische Gottesreich auf Erdenein.Für jeden denkenden Beobachter und somit auch für die herrschenden Kreise der USA, die sichmit der WTG befassten, musste mit dem Näherrücken dieses Jahres klar sein, dass die WTGeiner gefährlichen Krise entgegenging, möglicherweise ihrem Zusammenbruch. Derweltanschauliche Zusammenhalt durch die Endzeitideen musste zerbrechen, und Tausendewürden erkennen, dass sie einer Illusion nachgelaufen waren.Eine solch nützliche Organisation wie die WTG überläßt man jedoch nicht einfach ihrem

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Schicksal. Die Frage wurde schon erörtert, dass es töricht wäre, den gewaltigen internationalenApparat und die Verbindungen der W'TG nicht weiter zu nützen, und dass es naheliegt, dies inzweckmäßiger Fortführung des einmal Begonnenen zu tun. Die politischen Hintermänner derWTG, die sich die unvermeidliche Katastrophe an ihren zehn Fingern ausrechnen konnten,begannen deshalb frühzeitig, für eine Fortführung des WTG-Werkes über das Jahr 1914 hinauszu sorgen.Der Kern dieser Pläne war, die eigentlichen Schlüssel- und Machtpositionen in der WTG mitHilfe einer geeigneten Person in die Hand zu bekommen. Auf dieses Ziel steuerten jeneHintermänner los. Sie fanden den geeigneten Mann in dem amerikanischen Advokaten undStaatsanwalt Joseph Franklin Rutherford aus Missouri. Er wurde Vertrauensmann derUSARegierungfür das Vorhaben, die WTG über ihre herannahende weltanschauliche und damitexistentielle Krise hinwegzubringen und für künftige Aufgaben psychologischer Kriegführungauf religiösem Gebiet zu erhalten. Als zweiter Präsident der WTG, genannt »RichterRutherford«, sollte er somit in ihre Geschichte eingehen.Im WTG-Geschichtsbuch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, S. 65, wird die staatspolitischeLaufbahn Rutherfords, bevor er mit der Organisation in Verbindung kam, geschildert.Zitat:"J. F. RUTHERFORDS VERGANGENHEITJohannes: Nun gut. Joseph Franklin Rutherford wurde am 8. November 1869 auf einer Farm inMorgan County, Missouri, geboren.Nach vollendeter akademischer Ausbildung arbeitete er zwei Jahre unter der Aufsicht vonRichter E. L. Edwards, und schließlich wurde er im Alter von zwanzig Jahren amtlicherBerichterstatter für die Gerichte des vierzehnten Judicial Circuit (Gerichtskreises) in Missouri.Mit zweiundzwanzig wurde er als Advokat im Staate Missouri zugelassen, und er begann alsRechtsanwalt seine Praxis in Booneville, Missouri, wo er Prozeßanwalt der Firma Draffen undWright wurde. Später diente er vier Jahre als Staatsanwalt für Booneville und noch später alsSonderrichter in demselben vierzehnten Gerichtsdistrikt von Missouri.Richter Rutherford verbrachte fünfzehn Jahre als Jurist im Staate Missouri. Er hatte eineerfolgreiche Praxis und wurde später als Sonderanwalt anerkannt, der befugt war, Rechtsfälle vordem obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten in Washington, D. C., zu führen. Im Jahre1894 kam Rutherford mit Vertretern der Watch Tower Society in Berührung."Im Hinblick auf Rutherfords später zutage getretene Verbindungen ist bemerkenswert, dasssolche Anwaltsfirmen wie Draffen & Wright zumeist politische Agenturen von Konzernen undTrusts waren, die durch sie ihre Interessen in politischen und staatlichen Institutionen, in derPresse und in Parteien verfechten ließen. Indes enthält auch der Bericht über RutherfordsVergangenheit eine Hochstapelei, denn dieser Darstellung zufolge hätte Rutherford alsAchtzehnjähriger eine »vollendete akademische Ausbildung« als Jurist gehabt. In Wirklichkeitwar das nur eine College-Ausbildung, eine Art Oberschulbildung, die ihn vorerst nur dazubefähigte, Gerichtsverhandlungen in Kurzschrift mitzuschreiben. So wird auch er in denWTGDarstellungenauf unehrliche Weise aufgewertet.Bei seinem ersten Kontakt mit der WTG im Jahre 1894 hatte sich Rutherford brieflich einigeWTG-Bücher bestellt. Obwohl sein Brief des Lobes voll war, ob ihres angeblichen Wertes und erbeteuerte, sie hätten seine »irdischen Bestrebungen ganz über den Haufen geworfen«, (JehovasZeugen in Gottes Vorhaben. WTG 1960, S. 34) kümmerte er sich in den nächsten zwölf Jahrenüberhaupt nicht mehr um die WTG. Das entscheidende Treffen zwischen ihm und demdamaligen Präsidenten Russell fand erst im Jahre 1906 bei einem Essen im Midland Hotel inKansas City statt. Der amerikanische Reporter Marley Cole schildert in seinem bereits erwähntenBuch »Jehovas Zeugen« (Frankfurt/Main 1956) auf S. 219, 220 den Eintritt Rutherfords in dieWTG auf folgende Weise:Zitat:

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"MARLEY COLE / JEHOVAS ZEUGENZu Beginn des 20. Jahrhunderts traf Richter Rutherford mit Pastor Russell zusammen. Erbewunderte des Pastors Lehren. Eines Tages lud er den Pastor ein, mit ihm im Midland Hotel inKansas City, Missouri, zu speisen. Der Pastor war von dem Richter beeindruckt. "Warumschreiben Sie nicht etwas über die göttliche Vorsehung vom Standpunkt eines Anwalts?" schluger vor.Damals begriff Mr. Rutherford noch nicht einmal, was es heißt, ein frommer Christ zu sein. Aberes gefiel ihm, was Pastor Russell predigte. Es gefiel ihm, was er ihm von der Bibel erzählte Undspäter brachte er auf Drängen des Pastors ein Buch heraus, betitelt "Die Errettung des Menschenvom Standpunkt eines Anwalts."Die Arbeit an diesem Buch veranlasste den Richter zu einem tiefschürfenden Studium, das fürsein Leben entscheidend wurde. "Diese Bibellehre muss wahr sein, und wenn sie wahr ist, dannist sie das Heilmittel für alle menschlichen Leiden." folgerte er. "Von nun an will ich mein Lebendiesem Werk verschreiben."Im darauffolgenden Jahr, 1907, forderte ihn Pastor Russell auf, sich mit ihm in das Amt desPredigens zu teilen. Um die Jahresmitte wurde er selbständig auf eine Vortragsreise durch denganzen Mttelwesten entsandt. Von dieser Zeit an befasste er sich mit seinem Anwaltsberuf nurnoch, wenn er für einen Freund einen Fall übernahm oder Pastor Russell und dieWachtturmgesellschaft vor Gericht vertrat.Im gleichen Jahr, 1907, verteidigte Richter Rutherford in mehreren Fällen den Pastor und dieGesellschaft und rollte in des Pastors Abwesenheit die ganze Streitfrage so erfolgreich auf, dassihm der Pastor daraufhin sämtliche Rechtsangelegenheiten, sowohl persönliche als auch die derGesellschaft zuwies.Um 1907 unternahm er weite Reisen, kam nach Ägypten und Palästina und hielt in Deutschland,Finnland, Dänemark, Norwegen, Schweden und Großbritannien Vorträge."Offenbar war 1906 der Zeitpunkt für Rutherfords Mission und Aufgabe gekommen, in dieSchlüsselpositionen der WTG einzusteigen. Auch wurde Russell mit zunehmendem Alter immerkränklicher. Er sollte keine zehn Jahre mehr zu leben haben. Der Zeitpunkt war also gutabgepasst. Binnen Jahresfrist hatte Rutherford sein Ziel erreicht: Rechtswahrer aller WTGSachen,also die höchste juristische Gewalt über die Organisation, und Vertreter Russells. Bereitsein Jahr später inspizierte er selbständig die wichtigsten Auslandsverbindungen der WTG inÄgypten, Palästina, Deutschland, Finnland, Dänemark, Norwegen, Schweden undGroßbritannien. Sein Aufstieg innerhalb eines Jahres von einem Menschen, der noch nichteinmal wusste, was es heißt, ein frommer Christ zu sein, der also noch nicht einmal die Anfängedes Christentums begriffen hatte, zum höchsten organisatorischen, administrativen undgeistlichen Amt in der WTG neben Russell war selbstverständlich alles andere als eineglaubwürdige christliche Bekehrung. Das sollte den alten, erfahrenen und wirklich noch ernstenBibelforschern im WTG-Direktorium alsbald zum Bewusstsein kommen. Er schaffte esjedenfalls, die gesamte gläubige Anhängerschaft hinters Licht zu führen, was die wahren Grundebetraf, deretwegen er sich dem WTG-Werk verschrieb.Wenn nicht die politischen Hintermänner Rutherfords bekannt wären, so könnte man ihn mitdem Abenteurer Peregrinus zu Lebzeiten der Urchristen in Syrien vergleichen, über den derklassische Historiker des Altertums, Lucian von Samosata, berichtet: »Und da geschah es, dasser auch die wundersame Weisheit der Christianer kennenlernte. Und in kurzer Zeit brachte er esso weit, dass seine Lehrer nur Kinder gegen ihn zu sein schienen. Er ward Prophet,Gemeindeältester, Synagogenmeister, kurz alles in allem, legte ihre Schriften aus und schriebselbst welche in großer Zahl, so dass sie am Ende ein höheres Wesen in ihm zu sehen glaubten,sich Gesetze von ihm geben ließen und ihn zu ihrem Vorsteher ernannten … Die Gutmütigkeitder Christianer genügte, welche ihm überall zur Bedeckung dienten und es ihm an nichtsgebrechen ließen.« Von Zeit und Umständen abgesehen, wird man unschwer Parallelen zuRutherfords Karriere feststellen. Doch er ging noch weiter. Alle, die ihn zu durchschauenbegannen und dadurch zu seinen Gegnern in der WTG-Führung wurden, brachte er schließlich

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mit rücksichtsloser Härte und advokatischer Verschlagenheit zur Strecke und schloss sie aus derWTG aus.Rutherfords politische Dirigierung durch die USA-Regierung trat sehr bald in Erscheinung.Hinter ihm standen Mitglieder des USA-Senats und des USA-Kongresses, die ihn u. a. bei seinenöffentlichen Vorträgen »einführten«. Er pflegte auch Verbindungen zu hohen amerikanischenMilitärs, die ihn einluden. Man lese, was Marley Cole darüber berichtet (»Jehovas Zeugen«, S.220):Zitat:MARLEY COLE/ JEHOVAS ZEUGENJOSEPH FRÄKLIN RUTHERFORDAn einem Tag sprach er zweimal an der Universität von Oregon. Als die Offiziere der Marine-Akademie der Vereinigten Staaten ihn zu einem Vortrag einluden, berichtete die Zeitung"Evening Capitol" in Annapolis, Maryland, dass "der Vortrag gut aufgenommen wurde und diegesamte Zuhörerschaft lebhaften Beifall spendete". Bei einer Gelegenheit führte US SenatorGeorge L. Wellington den Richter ein, und über seine Ansprache berichtete die Zeitung"Evening Times" in Cumberland, Maryland: "Mr. Rutherford wurde seinem Ruf als Redner undBibelgelehrter völlig gerecht und vertrat seinen Standpunkt mit kraftvoller Beredsamkeit."Die Zeitung "Register" in Wheeling, West Virginia, lieferte ihren Lesern eine lebendigeSchilderung des Richters, nachdem sie berichtet hatte, wie er durch Kongressmitglied B. B.Dovener eingeführt worden war:"Man sieht auf diese Weise deutlich die Hand der amerikanischen Regierung hinter Rutherford.Im Jahre 1909, zwei Jahre nach seiner »Bekehrung« schon, legte Rutherford den Grund für seinespätere Alleinherrschaft über die WTG auf Lebenszeit, Ansprüche, die dem biederen Russellnicht im Schlafe eingefallen wären. Zu diesem Zweck wurde auf Rutherfords Initiative neben derWTG-Zentrale in Pittsburgh eine zweite Zentrale in New York geschaffen, die vorerst denNamen »Volkskanzel-Vereinigung« erhielt. Sie wurde später ebenfalls als WTG bezeichnet. Inden Statuten dieser New Yorker Zentrale legte Rutherford fest, dass ihr Präsident - noch war esebenfalls Russell - die absolute Macht und Kontrolle auf Lebenszeit innehaben sollte. Russellüberredete er zur Billigung eines solchen Statuts der Unantastbarkeit des Präsidenten, indem ervorgab, ihn zeitlebens vor einigen Opponenten in der WTG sichern zu müssen. (Rutherford:Erntesichtungen (Harvest Stiftings), 1. 8. 1917) Einmal angenommen, würde dieses StatutRutherford später auf Lebenszeit die absolute Vollmacht über die WTG garantieren, da er dieNew Yorker Zentrale nach und nach zur Hauptzentrale entwickeln wollte.Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENAls die Gesellschaft im Jahre 1909 ihr Hauptbüro nach New York verlegte, wurde - wie ihr euchentsinnen werdet - Richter Rutherford beauftragt, diese Angelegenheit zu erledigen. Um dies tunzu können, stellte er den Antrag, als Rechtsanwalt vor den Gerichten des Staates New Yorkanerkannt zu werden, was ihm auch bewilligt wurde."Auch seinen Wohnsitz verlegte Rutherford 1909 nach New York. Angeblich um die Gründungder dortigen WTG-Zentrale vornehmen zu können, wurde er im gleichen Jahre auch Mitglied derNew Yorker Staatsanwaltschaft. Man lese darüber in »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, S.65, 66, ferner in der Rutherford-Biographie, die Marley Cole im Einvernehmen mit der WTGveröffentlichte (»Jehovas Zeugen«, S. 219):Zitat:"Anhang: Biographie Rutherford 219Hierauf ging er 15 Jahre lang von Boonville aus an alle Gerichtshöfe in Missouri. Er erschien alsAdvokat in den Bundes-Kreisgerichten. In der gleichen Eigenschaft erschien er auch vor demObersten Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten. 1909 wurde er Mitglied der New YorkerStaatsanwaltschaft und übte bis zu seinem Tod in New York seine Praxis aus."Auch hier wird Rutherfords politisches Doppelspiel sichtbar. Zur Gründung einer religiösenVereinigung brauchte er ebensowenig Mitglied einer Staatsanwaltschaft zu sein, wie das Russell

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war. Es verbarg sich demnach hinter seinen politischen Schritten in New York etwas anderes.Offenbar ging es ihm darum, seine besonderen staatlichen Beziehungen weiterhin beruflichabzudecken. Bekanntlich ist ein Staatsanwalt ein sehr realer politischer Teil »dieser Welt«, umauf die WTG-Gaukelei einzugehen, man habe mit Politik nichts zu tun. Rutherford erfülltejedoch seine politischen Verpflichtungen als Mitglied der amerikanischen Staatsanwaltschaft biszu seinem Tode 1942.Inzwischen fieberte die WTG-Organisation dem Jahre 1914 entgegen. Es kam, wie es kommenmusste. Die Nichterfüllung der für dieses Jahr gepredigten Erwartungen wurde zur Katastrophe.Enttäuschung, Verwirrung und Lähmung erfasste die Anhängerschaft. Dazu prasselte von allenSeiten Hohn und Spott hernieder, vor allem von den religiösen Gegnern. In den WTG-ZentralenPittsburgh und New York entstanden Spannungen, Rivalitäten und Spaltungen. Mitten in dieserKrise, 1916, starb Präsident Russell.Jetzt brach ein offener Machtkampf um die Präsidentschaft aus. Zwischen Rutherford und denanderen Direktoren hatte nie ein echtes Vertrauensverhältnis bestanden. Sie fürchteten diesenEmporkömmling, der schwer zu durchschauen war. Russell hatten sie sich freiwilliguntergeordnet. Angesichts der Krise und des Niedergangs der WTG, in die man nun geraten war,wollten sie sich jedoch keiner Alleinherrschaft einer einzelnen Person wieder unterordnen. DaRutherford die WTG verwaltungsmäßig und juristisch schon unter Russell zu leiten begonnenhatte, wurde er zwar als neuer Präsident gewählt - er hatte ja die Organisation faktischvollkommen in der Hand, einschließlich Russells WTG-Aktien -, doch er sollte vom Vorstandbzw. vom Direktorium abhängig sein. Rutherford wollte freilich das Gegenteil. Er wollteabsolute Macht und Kontrolle über die WTG. So kam es zur Rebellion gegen ihn. Die Mehrheitdes Direktoriums, vier von sieben Direktoren, lehnten seine Machtansprüche ab und schicktensich an, ihn zu stürzen. Doch Rutherford holte seinerseits zu einem Todesstoß aus und warf alleOpponenten mit vorgeplanten advokatischen Schachzügen aus der WTG hinaus, insgesamt 31leitende Mitarbeiter. Seine vier Gegner im Vorstand überrumpelte er, indem er hinter ihremRücken einfach vier andere, ihm Hörige, zu Direktoren ernannte, ein formales VersäumnisRussells ausnutzend. Anschließend ließ er sich durch eine vorbereitete Abstimmung unter denAnhängern in den USA seine Präsidentschaft zusätzlich "demokratisch" bestätigen bzw.sanktionieren. Der folgende Bericht des amerikanischen Reporters Marley Cole gibt einanschauliches Bild von diesem Machtkampf Rutherfords um die WTG-Führung (»JehovasZeugen«, S. 89):Zitat:"Als sie Rutherford stürzen wollten, mussten die vier Direktoriumsmitglieder die Erfahrungmachen, dass sie vier Flaschenkorken glichen, die gegen den Felsen von Gibraltar sprangen.Rutherford war ein Mann von gefürchteter persönlicher Macht.Damit die Gesellschaft auch in New York ausüben könne, waren das ganze Eigentum und dieGeschäfte der pennsylvanischen Körperschaft der New Yorker Körperschaft übertragen worden.Und jene Bestimmung in den Satzungen lautete wie folgt:Besagte Körperschaft wird folgende Funktionäre haben:Einen Präsidenten, der auf der ersten Versammlung dieser Körperschaft gewählt und sein Amtlebenslänglich ausüben wird und dessen Pflicht es sein wird, den Versammlungen derKörperschaft oder des Direktoriums vorzusitzen, die gesamte Überwachung und Kontrolledurchzuführen, sowie die geschäftlichen und übrigen Angelegenheiten besagter Körperschaft zuleiten.(Dass der Präsident der Gesellschaft danach fortfuhr, sein Amt in so unumschränkter Freiheitauszuüben, geht aus folgendem Bericht über N. H. Knorrs Tätigkeit bei der Herausgabe einerneuen Bibelübersetzung hervor)Das war den vier widerspenstigen Direktoren nicht recht. Sie versuchten eine Sitzung desVorstandes zu erzwingen. Da fuhr Rutherford in seiner Sachkenntnis als Anwalt mit schweremGeschütz auf.Es ist euch entgangen, Brüder, sagte er, dass ihr alle vier Mitglieder der pennsylvanischen

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Körperschaft seid. Die Satzungen dieser Körperschaft besagen, dass ihr im Staate Pennsylvaniagewählt werden müsst. Seid ihr dort gewählt worden?Nein, antworteten sie.Ihr wurdet im Staate New York gewählt. Wollt ihr nun streng sachlich werden, dann sage icheuch streng sachlich, dass ihr vor allem keine legalen Mitglieder seid.Und warum wurde keine legale Wahl vorgenommen? fragten sie. Der Pastor ließ einige Jahre dieWahlen im Staate New York abhalten. Bisher hat deshalb niemand Schwierigkeiten gemacht,erwiderte er. Wir kamen gut miteinander aus, bis ihr anfingt, euch aufzulehnen.Nur drei Mitglieder des Aufsichtsrates - Pierson, Van Amburgh und Rutherford selbst - warenordnungsgemäß in Pennsylvanien gewählt worden, betonte er. Dann holte er zum Todesstoß aus.Da ihr vier keine legalen Mitglieder seid und die dreißig Tage längst vorbei sind, seit legaleErnennungen vorgenommen wurden, werde ich euch sagen, was ich getan habe, fuhr er fort. Ichhabe in Pennsylvanien vier legal eingesetzte Mitglieder in den Vorstand ernannt. Sie nehmeneure Stellen ein, schloss er.Am 17. Juli 1917, dem Tag des Erscheinens des Siebenten Bandes, gab Rutherford dieErnennungen von Dr. W. E. Spill, J. A. Bohnet, George H. Fisher und des umstrittenen A. HughMacmillan in den Vorstand bekannt. Sie ersetzten die vier Unzufriedenen, R. H. Hirsh, J. D.Wright, A. I Ritchie und I. F. Hoskins.Im Brooklyner Bethel wurden die enthobenen Direktionsmitglieder und noch einige andere"unglückliche Ankläger" ersucht, auszutreten. Ehe das "Sichten der Ernte" im Bethel vorüberwar, hatte man 31 Mitglieder ausgeschlossen.Dann stellte Rutherford die Vertrauensfrage. Alle Zeugengemeinden wurden aufgefordert sichdaran zu beteiligen. Am 13. Dezember 1917 verzeichneten 813 amerikanische Zeugengemeindenfolgendes Abstimmungsresultat:Kandidat, Direktor, Präsident, Vize-Präs., 2. KassiererJ. F. Rutherford, 10 900, 10 869, 14, 3.W. E. Van Amburg, 10 909, 14, 418, 10 700.G. H. Fisher, 10 333, 4, 395, 30."

Was verbarg sich hinter der Übertretung des Spionagegesetzes?Kaum war Rutherford Präsident geworden, machte sich auch schon eine neue politische Linie inder Haltung der WTG bemerkbar, die sich in einer ausgesprochenen Deutschfreundlichkeitausdrückte, und das mitten im Ersten Weltkrieg. In einem weiteren Brief an Hitler, abgesandtvom Juni-Kongreß der WTG 1933 in Berlin, wird das rückblickend wie folgt festgestellt.Zitat:"WATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYPublishers of the Bible Students AssociationGeneral Offices:117 Adams StreetBrooklynNew York, U. S. A.German Branch:Wachtturmstr. 1-19MagdeburgPostsch. K. Magdeburg 4082Telephone: Magdeburg 40886, 40887, 40888Radio and Cable Address: Watchtower MagdeburgKopieSehr verehrter H e r r R e i c h s k a n z l e rDie Watch Tower Bible and Tract Society ist die organisierende Missionszentrale derBibelforscher (für Deutschland: Sitz Magdeburg)

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Das Brooklyner Präsidium der Watch Tower-Gesellschaft ist und war seit jeher inhervorragendem Masse deutschfreundlich. Aus diesem Grunde wurden im Jahre 1918 derPräsident der Gesellschaft und die sieben Glieder des Direktoriums in Amerika zu 80 JahrenZuchthaus verurteilt, weil der Präsident sich weigerte, zwei von ihm in Amerika geleiteteZeitschriften zur Kriegspropaganda gegen Deutschland zu gebrauchen. Diese zwei Zeitschriften"The Watch Tower" und "Bible Students" waren die beiden einzigen Zeitschriften Amerikas, dieeine Kriegspropaganda gegen Deutschland verweigerten und darum während des Krieges inAmerika auch verboten und unterdrückt wurden."Eine nähere Untersuchung dieser Deutschfreundlichkeit im Ersten Weltkrieg fördert ein weiteresBeispiel dafür ans Licht wie die WTG politisch hintergründig in ihrer religiösen Tätigkeitkapitalistischen Interessen dient. Gleichzeitig wird dadurch veranschaulicht, wie sich die WTGnach dem Zusammenbruch ihrer Verkündigung für 1914 die zweckmäßigste Fortführung ihrerArbeit vorstellte, welche Neuorientierung sie zu geben gedachte, um auch der Politik ihreramerikanischen Hintermänner von größtem Nutzen zu sein. Dabei sparte sie nicht mit neuenVersionen ihrer sogenannten »Zeit des Endes«, um den Charakter einer Religionsgemeinschaftzu wahren.Die neue, deutschfreundliche politische Linie in der WTG-Tätigkeit seit 1917 standhauptsächlich in Zusammenhang mit dem Band 7 der »Schriftstudien«, den Rutherford heimlichverfassen ließ, so dass seine Gegner in der WTG-Führung völlig überrascht waren und dieFreigabe dieses Bandes wie eine Bombe wirkte. Die Verfasser waren die beiden Rutherfordhörigen WTG-Direktoren C. J. Woodworth und G. H. Fisher. Letzteren vertrieb Rutherfordjedoch später ebenfalls aus der WTG-Führung.Mit dem 7. Band der »Schriftstudien« unter dem Titel »Das vollendete Geheimnis«, die erstekomplette WTG-Auslegung der Offenbarung, des letzten Buches der Bibel, verfolgte Rutherforddas Ziel, die ganze WTG-Verkündigung den damaligen politischen Interessen seinerHintermänner aus der USA-Regierung entsprechend kriegsfeindlich und pazifistischauszurichten. Das war bisher nämlich keineswegs der Fall. Laut »Wachtturm« Nr. 11 von 1915standen z. B. zu dieser Zeit 350 deutsche WTG-Anhänger als Soldaten im Felde. Im»Wachtturm« wurden laufend Soldatenbriefe veröffentlicht. Die Nr. 9 von 1915 enthielt z. B. dieTodesanzeige: »Unser Bruder Max Nitzsche aus Reichenbach i. V. ist am 15. Juli 1915 beieinem Sturmangriff in Russland gefallen.« Auch die WTG-Führer waren Soldaten, sofern sie imWehrdienstalter standen. So wurde u. a. der Vorsitzende der Norddeutschen Bibelforscher-Vereinigung, Hero von Ahlften, 1913 Teilnehmer an der WTG-Hauptversammlung in Barmenund später Bezirksdienstleiter für Nordwestdeutschland, 1915 zur kaiserlichen deutschen Armeeeingezogen. Im Band 6 der »Schriftstudien« hatte WTG-Präsident Russell in Übereinstimmungmit der urchristlichen Haltung - Cornelius blieb römischer Soldat und Offizier, und auch dieJünger Jesu waren bewaffnet - festgelegt, dass dem »Befehl zum Dienst in der Linie (Front) zugehorchen« sei. (Schriftstudien Band 6. WTG 1904, deutsch, Magdeburg, S. 591)Der Band 7 der »Schriftstudien« hob 1917 diese Grundsätze auf.Aus dem Umstand, dass Rutherford diesen Band heimlich verfassen ließ, ergibt sich die Tatsacheeiner wohlüberlegten Planung. Die Sache wäre gut gegangen, wenn nicht die USA am 6. April1917 scheinbar plötzlich in den Krieg gegen Deutschland eingetreten wären. Rutherford hatte imAuftrage jener politischen Kräfte des USA-Finanzkapitals gehandelt, die in den innenpolitischenAuseinandersetzungen in den USA 1917 besiegt wurden. Um die politischen Hintergründe umden 7. Band, von der WTG »Bombe« genannt, zu klären, muss ein Blick auf die amerikanischeInnenpolitik im Ersten Weltkrieg geworfen werden bzw. auf die damit verknüpfteDeutschlandpolitik, denn darauf bezieht sich die WTG, wenn sie 1933 in ihrem Brief an Hitlervon Deutschfreundlichkeit spricht.Hinter der offiziellen Neutralität der USA im Ersten Weltkrieg bis April 1917 hatten inWirklichkeit erbitterte Kämpfe zwischen den beiden größten USA-Finanzgruppen Morgan undWarburg und ihren Verbündeten getobt. Sie vertraten unterschiedliche Standpunkte im Verhaltenzu den kriegführenden Staaten in Europa. Morgen war Englandfreundlich. Seit Ausbruch des

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Krieges schon war dieses Bankhaus darauf aus, große Kriegsgeschäfte zu tätigen. Man drängtedeshalb die USA-Regierung unter Präsident Wilson, England und Frankreich gegen Deutschlandu. a. mit Munitionslieferungen und einer Anleihe von 500 Millionen Dollar zu unterstützen,wovon Morgan große Profite erhoffte. (Tansill, C. C.: Amerika geht in den Krieg. Stuttgart 1939,S. 84 ff)Die amerikanische Bankwelt um Warburg wandte sich gegen diese Politik Morgans. PaulWarburg war zu der Zeit Leiter des USA-Bundesreservats und faktisch der maßgebendeFinanzdirektor. Aus dieser Position heraus versuchte er, die Morgan-Politik zu verhindern.Warburg war Deutschamerikaner. Das Stammhaus der Warburgs befindet sich in Hamburg, wosein Bruder Max Warburg residierte. Ein anderer Bruder, Otto Warburg, war Leiter derzionistischen Weltorganisation in Berlin, und ein vierter Warburg war Leiter des kaiserlichendeutschen Spionagedienstes. Über diese Deutschlandbeziehungen der Warburgs in New York,ihre deutschfreundliche Politik und die daraus resultierenden innenpolitischen Konflikte in denUSA besagen historische Aufzeichnungen unter anderem:"Woodrow Wilsons inoffizieller Bote und Vertrauter während seiner ganzen Regierungszeit warOberst House . . . House wirkte mehrere Jahre als Wilsons Privatgesandter für Europa und hieltdie herzlichsten Beziehungen zwischen Felix und Paul Warburg von Kuhn, Loeb Co., NewYork, und der übrigen Familie von M. M. Warburg Co., Amsterdam und Hamburg, aufrecht,einschließlich des Bruders, der Chef des deutschen Spionage- und Nachrichtendienstes war . . .In Hinsicht auf seine militärische Bedeutung für die Vereinigten Staaten während der Kriegszeitbesagte folgender Bericht des Geheimdienstes der Marine der Vereinigten Staaten vom 12.Dezember 1918 über Warburg: Warburg, Paul, New York, Stadt … wurde 1912 durch denKaiser ausgezeichnet, war stellvertretender Vorsitzender des Federal Reserverates … Er hatteeinen Bruder, welcher Leiter des deutschen Spionagedienstes ist.« (Mullins:Bankierverschwörung von Jekil Island. Oberammergau/Oberbayern 1956, S. 64, 71).»Warburg, der mit Kuhn, Loeb und Schiff nahe verwandt und ein Bruder des wohlbekanntenWarburg von Hamburg, des Teilhabers Ballins ist, ist Mitglied des Bundesreserverates odervielmehr d a s Mitglied. Praktisch kontrolliert er die Finanzpolitik der (USA-)Regierung …Natürlich war das gleichbedeutend mit einer Unterhandlung mit Deutschland. Jedes Wort warvon Deutschland inspiriert. Die Folge war, dass die Abmachungen als vorteilhaft für diedeutschen Banken angesehen wurden, und die christlichen Banken waren eifersüchtig undaufgebracht.« (Tansill, C. C.: Amerika geht in den Krieg. Stuttgart 1939, S. 84).Morgan war ein Hauptvertreter dieser »christlichen Banken«, die es darauf angelegt hatten,durch Lieferungen und Anleihen am Krieg gegen Deutschland zu verdienen, hatten, wie bereitserwähnt wurde. Ihr Druck auf die USA-Regierung hatte das Ziel, den Bundesreserverat »vonseinen prodeutschen Mitgliedern zu säubern«, d. h. Paul Warburg zum Rücktritt zu zwingen.Aber nicht nur das. Morgen drängte darauf, die diplomatischen Beziehungen zu Deutschlandabzubrechen, was einer Kriegserklärung gleichkam, »und sofort Vorkehrungen ruf Vernichtungdes deutschen Kreditmarktes zu treffen. « (Ebenda S. 365)Dieser Kampf tobte jedoch nicht nur zwischen den verschiedenen Bankierspalästen undRegierungsämtern, sondern auch in der amerikanischen Öffentlichkeit. Jeder suchte auch dieöffentliche Meinung für sich zu gewinnen. Jeder mobilisierte seine Beziehungen, Kräfte undVerbündeten: die »christlichen Banken« um Morgan für den Krieg gegen Deutschland, die mitDeutschland verbundenen Banken um Warburg gegen den Krieg. Jede Seite zog dazu auch dieihr nahestehenden Kirchen und Religionsgemeinschaften heran. Um die zum Krieg gegenDeutschland drängenden »christlichen Banken« scharten sich große Kreise der Geistlichkeit derchristlichen Kirchen. Für die finanzkapitalistischen Gruppen wie Warburg, die an keinem Krieggegen Deutschland interessiert waren, trat u. a. die WTG auf den Plan mit der Aufgabenstellung,gegen jene christlichen Kirchen öffentlich aufzutreten, die zum Krieg gegen Deutschland trieben.So entstand das, was die WTG in ihrem Brief 1933 an Hitler ihre deutschfreundliche Politik imErsten Weltkrieg nannte.Das Mittel dazu, die religiöse Grundlage, war jener bereits erwähnte Band 7 der

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»Schriftstudien«. In ihm wurden die Angriffe gegen die kriegerische Geistlichkeit in denamerikanischen Kirchen vorgetragen. Die WTG verglich sie mit unersättlichen Huren. Sie wurdeangeklagt, Millionen Frauen zu Witwen gemacht zu haben, weil sie die Männer in den Krieggepredigt habe. Die Geistlichen seien reißende Wölfe in Schafskleidern, die Blut vergießen unddas Volk belügen und betrügen, um Geld zusammenzuraffen. Die katholische Kirche wurdeangeklagt, sie erlaube ihren Priestern, Diebstahl zu begehen, zu morden und Verbrecher zuwerden, sie rechtfertige Hurerei zwischen Nonnen und Priestern und Klosterbrüdern. JederPriester sei ein Spion intimster Familienangelegenheiten, des inneren Getriebes von Handel undFinanz und aller vertraulichen Dinge in der Verwaltung von Stadt, Staat, Provinz und Nation.Auf der ganzen Erde habe die Geistlichkeit Millionen Männer zu Kanonenfutter für blutrünstigeKaiser, Zaren, Könige und Herrscher gemacht. (Schriftstudien Band 7. WTG 1917, deutsch1925, S. 600, 639f., 703ff, 715ff)Die Zeugen Jehovas zogen daraus die Konsequenz: Sie verweigerten den Kriegsdienst.Die heimliche Vorbereitung des 7. Bandes mit dieser Offensive gegen die Geistlichkeit und ihreKriegstreiberei war von Rutherford offensichtlich im Vertrauen auf die Überlegenheit dergegenwärtig an keinem Krieg mit Deutschland interessierten amerikanischen Finanzkreise umWarburg erfolgt, »war dieses Buch doch geschrieben worden und vorbereitet, ehe dieVereinigten Staaten am 6. April 1917 in den Krieg eintraten«. (Jehovas Zeugen in GottesVorhaben. WTG 1960, S. 74) Die innenpolitische Niederlage dieser Finanzkreise wurde damitauch zur Katastrophe für die WTG.Trotz dieser Entwicklung der Dinge gab es für Rutherford kein Zurück. Die Geistlichkeit hatte erzwar mit den Anklagen im 7. Band der »Schriftstudien« zur Weißglut gebracht. Aber ohnegesetzliche Handhabe konnte sie ihrerseits nicht mehr tun, als publizistisch gegen die WTGvorzugehen. Wenn deren Anhänger hierdurch in Konflikte gerieten, so war das nur nützlich,denn so konnten sie aus ihrer Lähmung, Verwirrung und klagenden Selbstbetrachtung angesichtsdes Zusammenbruchs der Erwartungen von 1914 herausgerissen werden. Sie wurden in äußerenKampf gestürzt und damit von den inneren WTG-Problemen abgelenkt eine Chance, sie wiederzusammenzuschweißen. Die Sache konnte also ruhig in eine Verfolgung der WTG-Anhängerausarten, an den Märtyrern würde man sie wieder aufrichten. So stellte Rutherford dieVorbereitung seiner »Bombe« auch nach dem Kriegseintritt der USA nicht ein.Vier Wochen vor der geplanten Freigabe des 7. Bandes, die auf den 17. Juli 1917 angesetzt war,wurde die Lage gefährlich. Am 15. Juni wurde ein Gesetz erlassen, das sogenannteUSASpionagegesetz,das jegliche Tätigkeit unterbinden sollte, die sich gegen die nun vorherrschendeLinie der Kriegspolitik in den USA richtete. Doch Rutherford vertraute weiter auf seinepolitischen Hintermänner. Ein heutiger, offensichtlich jedoch frisierter WTG-Bericht in demBuch »Jehovas Zeugen. in Gottes Vorhaben«, S. 79, besagt darüber:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENIn einem Bericht, den Richter Rutherford in späteren Jahren schrieb, gab er eine Bemerkungwieder, die General James Franklin Bell, Kommandant von Camp Upton, Long Island; NewYork, ihm gegenüber gemacht hatte. Bell hatte Rutherford von einer im Jahre 1917 erfolgtenKonferenz von Geistlichen in Philadelphia, Pennsylvanien, erzählt, die ein Komitee ernannthatte, das nach Washington, D. C. gehensollte um eine ihnen genehme Änderung desSpionagegesetzes zuu erwirken. Wenn diesem stattgegeben worden wäre, wären alle Fälle gegendas Spionagegesetz vor einem Militärgericht behandelt worden und hätten als Strafe, dassssTodesurteil zur Folge gehabt."Die Geistlichen kamen in Washington bei Präsident Wilson jedoch nicht durch, der keineÄnderung des Spionagegesetzes zuließ und somit die Gegner einer amerikanischenKriegsbeteiligung vor der Vernichtung bewahrte, also auch die WTG. Zuvor war die engeVerbindung zwischen USA-Präsident Wilson über Oberst House zu Warburg hergestellt worden.So ließ Rutherford seine »Bombe« platzen. Es heißt darüber in »Jehovas Zeugen in Gottes

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Vorhaben«, S. 70:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENDIE FREIGABE DES BUCHES "DAS VOLLENDETE GEHEIMNIS" WIRKT WIE EINEBOMBEAm 17. Juli 1917 wurde mittags bei Tisch im Speisesaal des Bethels dieses Buch freigegeben.Wie einst Bruder Russell gehandelt hatte, so auch Bruder Rutherford, der jedem einzelnen Gliedder Bethelfamilie ein Exemplar davon als Geschenk überreichte. Das wirkte wie eine Bombe.Von der Freigabe dieses Buches völlig überrascht, nahmen; die gegnerischenDirektionsmitglieder die Gelegenheit sogleich wahr und begannen eine Auseinandersetzungbezüglich der Leitung der Dinge der Gesellschaft, die fünf Stunden dauern sollte."Das Ende dieser Auseinandersetzung war die bereits geschilderte Vertreibung aller Opponentenaus dem WTG-Direktorium. Dann, begann mit dem 7. Band der »Schriftstudien« die öffentlicheKampagne gegen die amerikanische Kriegsbeteiligung.Doch im Frühjahr 1918 hatte sich die Politik der Kreise um Morgen, die die USA zum Eintritt inden Krieg gegen Deutschland gedrängt hatten, durchgesetzt. Die Vorherrschaft derFinanzkapitalisten um Warburg in der amerikanischen Regierung wurde gebrochen, ihrepolitische und geheimdienstliche Zusammenarbeit mit Deutschland aufgerollt und zerschlagen.Im Ergebnis wurde Paul Warburg als oberster USA-Finanzdirektor gezwungen, sein Amtniederzulegen, und zwar auf Grund seiner geheimdienstlichen und sonstigen Verbindungen zuDeutschland. Im Mai 1918 trat Warburg zurück. Unter Leitung von USA-Richter Howe wurdegegen die Agenten der deutsch-amerikanischen Spionage gerichtlich vorgegangen. So lieferteman u. a. den von Richter Howe wegen Spionagetätigkeit für Deutschland verurteiltenGeneraldirektor der Hamburg-Amerika-Schiffahrtslinie, Dr. Bünz, im April 1918 ins ZuchthausAtlanta, USA, ein. (Falcke: Vor dem Eintritt Amerikas in den Weltkrieg. Dresden 1928)Paul Warburgs Bruder in Hamburg, Max M. Warburg, saß auf deutscher Seite im Aufsichtsratder Hamburg-Amerika-Schiffahrtslinie.Mit dem Zusammenbruch der Vorherrschaft der deutsch-amerikanischen Finanzkapitalisten inden USA brach auch das WTG-Werk in den USA zusammen. Während man Warburgentmachtete, ging man auch gegen die WTG vor; zur gleichen Zeit, als Warburg zurücktrat,wurden Rutherford und sechs weitere WTG-Leitungsmitglieder verhaftet, und zwar am 8. Mai1918. Zuvor hatte der amerikanische Armee-Geheimdienst im Februar 1918 durchBeschlagnahme eines Funkgeräts in der New Yorker Zentrale der WTG deren geheimeNachrichtentätigkeit für jene deutsch-amerikanischen Finanzkapitalisten zerschlagen. Es halfnichts, dass die WTG danach umschwenkte und am 15. März und 15. April 1918 sich zupolitischen, Kompromissen mit der nun herrschenden Kriegspartei in den USA bereit erklärte,den Kriegseintritt der USA anerkannte, die kriegsfeindlichen Seiten aus dem 7. Band der»Schriftstudien« herausriss und für den Sieg der amerikanischen Waffen zum Gebet aufrief, wieaus folgenden Auszügen aus dem WTG-Buch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben« hervorgeht(S. 77, 91, 92):Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENIn bezug auf die militärische Aushebung in den Vereinigten Staaten erschien jedoch folgendeErklärung:Wir anerkennen, dass die Regierung der Vereinigten Staaten als politische und wirtschaftlicheInstitution gemäß ihrem Grundgesetz die Macht und Autorität besitzt, einen Krieg zu erklärenund ihre Bürger zum Militärdienst einzuberufen. Wir haben nicht die Absicht, der Aushebungoder dem Krieg in irgendeiner Weise entgegenzuarbeiten.dass sie einen Kompromiss eingegangen waren, als sie die Seiten 247 bis 253 aus dem BucheDas vollendete Geheimnis (engl. Ausgabe) herausschnitten um den Wünschen derer zuentsprechen, die sich die Stellung, eines Zensors angemaßt hatten. Ein weiterer Kompromiss warjener, der aus dem englischen Wachtturm vom 1. Juni 1918 hervorgeht.

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In Übereinstimmung mit der vom Kongress am 2. April gefassten Resolution und derProklamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten vom 11. Mai wird angeregt, dass das Volkdes Herrn allenthalben den 30. Mai zu einem Tag des Gebets und Flehens mache.Die Worte, die dieser Bekanntmachung folgten,Möge Gott Lob und Dank dargebracht werden für den verheißenen wunderbaren Ausgang desKrieges, für das Sprengen der Fesseln der Autokratie, für die Befreiung der Gefangenen (Jes. 61:1) und dafür, dass es für das gewöhnliche Volk in der Welt Sicherheit geben soll alles -Segnungen, die der Bevölkerung dieses Landes und der ganzen Menschenwelt durch GottesWort verheißen worden sind."Rutherford und die anderen WTG-Führer wurden vor Gericht gestellt. Die Anklage ist in demBuch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, S. 79, wiedergegeben.Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENVergehen gegen die Vereinigten Staaten von Amerika zu beteiligen, nämlich an dem Vergehender ungesetzlichen, böswilligen und willentlichen Anstiftung zu Insubordination, Untreue undwillentliche Anstiftung zu Insubordination, Untreue und Verweigerung der Dienstpflicht in denMilitär- und Flottenstreitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika, und dies zu einer Zeit, dasich diese im Kriegszustand befanden … [und zwar] durch persönliche Aufforderungen, Briefe,veröffentlichte Reden und indem sie überall in den Vereinigten Staaten von Amerika öffentlichein gewisses Buch, betitelt "Volume VII, Bible Studies. The Finished Mystery [Band 7,Schriftstudien, Das vollendete Geheimnis], und gewisse Artikel, die in Druckschriften, betitelt"Bible Student's Monthly" [Schriftforscher, Monatsheft], "Watch Tower" [Wachtturm],"Kingdom News" [Königreichs-Nachrichten], und in anderen, nicht genannten Flugschriftenerschienen sind, verbreitet und überall in den Vereinigten Staaten öffentlich in Umlauf gesetzthaben."Das Urteil gegen die WTG-Führer - es lautete für alle, bis auf einen, je zwanzig Jahre Zuchthaus- wurde bezeichnenderweise von dem gleichen Gericht gefällt, das zuvor Dr. Bünz auf Grundvon Spionagetätigkeit in Verbindung mit der Hamburg-Amerika-Schiffahrtslinie, an derWarburg beteiligt war, verurteilte, und zwar ebenfalls unter Richter Howe. Dr. Bünz starb imZuchthaus Atlanta.Die WTG berichtete über die Verurteilung Rutherfords in ihrem Buch »Jehovas Zeugen inGottes Vorhaben« auf Seite 80:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENDie New Yorker Tribune vom 22. Juni 1918 berichtete ebenfalls aber dieses Urteil und sagte:"Joseph F. Rutherford und sechs von den anderen "Russelliten", der Übertretung desSpionagegesetze schuldig erklärt, wurden gestern durch Richter Howe zu zwanzig Jahren Haftverurteilt, die sie in der Strafanstalt Atlanta verbüßen werden."Damit war die Politik der WTG im Interesse der deutschen Bourgeoisie im Ersten Weltkrieg, dieman 1933 in einem Brief an Hitler beschwor, zu Ende. Wie man erkennen kann, handelte es sichum keine Verfolgung um des christlichen Glaubens willen, wie die WTG die Dinge seitherdarstellt. Es war vielmehr das Scheitern der politischen Hilfe für die damals neutralistischen oderpazifistischen Kreise des USA-Finanzkapitals, mit denen die WTG nun schon traditionellverbunden war. Auch in ihrer gesamten Selbstdarstellung verschweigt die WTG, dass sie selbstder politische Provokateur ihrer Schwierigkeiten von 1918 war.Zu der Politik der WTG im Ersten Weltkrieg gehört aber nicht nur die psychologische Aktivitätfür die genannten neutralistischen Finanzkapitalisten der USA. Zu ihr gehört auch ein handfestesEngagement der WTG-Führung im Nachrichten- bzw. Geheimdienst im Interesse derdeutschamerikanischenBeziehungen des Bankhauses Warburg. Dieser Seite ist der folgende Abschnittgewidmet.Die mysteriöse Funkanlage im WTG-Hauptbüro in Brooklyn, New York

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Von 1915 bis 1918 arbeitete im WTG-Hauptbüro in Brooklyn, New York, eine Funkanlage fürdie Übermittlung chiffrierter oder verschlüsselter Nachrichten ein äußerst erstaunlichesPhänomen für eine Religionsgemeinschaft wie die WTG, die nicht müde wird, immer wiederihren angeblich unpolitischen und neutralen Charakter zu beteuern, und die somit nichts »mitdieser Welt« zu tun habe. Zunächst ist es jedoch zweckmäßig zu lesen, was die WTG selbst indieser Sache zu sagen hat (»Der Wachtturm« vom 15. Juni 1955):Zitat:"Der WACHTTURM 15. Juni 1955SPÄTER, im Februar 1918, leitete der geheime Armee-Nachrichtendienst der VereinigtenStaaten in New-York-Stadt eine Untersuchung ein über die Zentrale der Watch Tower Society inBrooklyn. Falsche Berichte waren in Umlauf, gemäß denen die Gesellschaft auf dem Bethelheimeine starke Funkstation installiert gehabt hätte, die Botschaften über den Atlantik senden könnteund dazu benutzt worden sei, mit dem Feinde in Deutschland zu verkehren. Tatsache ist, dassPastor Russell zu seinen Lebzeiten von einem Bruder einen kleinen Empfänger für drahtlose'Telegrafie geschenkt erhalten hatte. Ein Sender war nicht vorhanden. Niemals wurde irgendeineBotschaft vom Bethelheim durch drahtlose Telegrafie gesendet. Dies, war m Jahre 1915gewesen, vor der Zeit des Rundfunks, als die drahtlose Telegrafie noch in ihren Kinderschuhensteckte. Im Jahre 1918, als zwei Beamte vom geheimen Armee-Nachrichtendienst durchs Bethelgingen, wurden sie auf das Dach geführt, und es wurde ihnen das Schutzdach gezeigt, unter demder drahtlose Empfangsapparat gewesen war, und darauf, in einem Lagerraum unten, zeigte manihnen das wohlversorgte Instrument selbst. Mit unserer Zustimmung wurde der Empfangsapparatvon diesen Militärpersonen fortgenommen."1959/60 geht die WTG wieder auf diese Angelegenheit ein: in ihrem Geschichtsbuch »JehovasZeugen in Gottes Vorhaben«, S. 76.Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENDer geheime US-Armee-Nachrichtendienst in der Stadt New York führte eine Untersuchung desHauptbüros der Gesellschaft durch. Es war ihm angezeigt worden, die Gesellschaft seiaufrührerisch und sie stehe unter Verdacht, mit dem Feind in Deutschland Kontakt zu haben. Dasich die Vereinigten Staaten mit Deutschland und den Mittelmächten damals im Kriegszustandbefanden, war dies eine schwerwiegende Anklage. Der Regierung der Vereinigten Staaten wardie Falschmeldung gemacht worden. dass das Hauptbüro im Brooklyner Bethel eine Zentrale zurNachrichtenübermittlung an die deutsche Regierung sei.LOIS: Auf welche Weise? Durch einen internationalen Spionagering?JOHANNES: Nein, die Anschuldigung war sogar noch lächerlicherer. Wie du weißt, waren biszum Jahre 1918, also vier volle Jahre vor der Zeit der Radiosendungen, in der ganzen westlichenWelt Fernsprechverbindungen und ein Telegraphendienst eingerichtet worden, und mit dem Jahr1915 hatte man angefangen, mit drahtlosen Nachrichtenübertragungen zu experimentieren Aberdiese waren nicht zuverlässig, und drahtlose, verschlüsselte Nachrichten konnten noch nicht aufgrößere Entfernungen gesandt werden. Im Jahre 1915 hatte jemand Bruder Russell ein kleinesEmpfangsgerät gegeben, obwohl er selbst nicht sehr daran interessiert war, hatten doch anderePersonen im Hauptbüro im Bethel eine kleine Antenne auf dem Dach des Bethels angebracht umzu versuchen, Botschaften aufzufangen, doch ohne viel Erfolg. Im Jahre 1918 wurde dasEmpfangsgerät in einem Schrank abgestellt. Zu keiner Zeit wurden Botschaften vom Bethelausgesandt. Als im Jahre 1918 zwei Leute vom Armeegeheimdienst durch das Bethel gingen,nahm man sie mit auf das Dach und zeigte ihnen den Ort, wo der Empfänger gestanden hatte.Dann zeigte man ihnen das Empfangsgerät selbst, das verpackt weggestellt worden war. DieBrüder, waren sogleich einverstanden, dass die Armeeleute den Empfänger mitnahmen und dieAntenne beseitigten. Es war offenkundig, dass keiner dieser beiden Gegenstände lange Zeitbenutzt worden war."Wenn man unbefangen diese Erklärungen liest, könnte man der Funkgeschichte zunächst garkeine besondere Bedeutung beimessen, wenn es auch verwunderlich erscheint, dass sich in der

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Pionierzeit des Funkwesens auch eine Religionsgemeinschaft schon mit der Installierung undBenutzung einer solchen Anlage beschäftigte. So könnte man aus den Darstellungen der WTGannehmen, dass es sich lediglich um ein harmloses Hobby ihres Präsidenten handelte, das zunichts besonderem getaugt habe und schon gar nicht den Zwecken dienen konnte, die derUSArmeegeheimdienstverfolgte.Stutzig wird man aber, wenn Fachexperten die Darstellungen der WTG in ganz bestimmtenPunkten widerlegen. Man lese, was der ehemalige Chef des amerikanischen Geheimdienstes,Allen Welsh Dulles, in seinem Buch »Im Geheimdienst« (The Craft of Intelligence, 1963), S. 42,über das Aufkommen derartiger Funkgeräte im Ersten Weltkrieg schreibt:Zitat:"Der Erste Weltkrieg brachte jedoch eine Reihe von Neuerungen auf dem Gebiet der Spionage.Eine davon war der Gebrauch von Radiosignalen zur Nachrichtenübermittlung in Kriegszeiten;damit bot sich die Möglichkeit, Nachrichten von ungeheurer taktischer und wohl auchstrategischer Tragweite zu erlangen, indem man die Radiosignale auffing und die geheimenCodes und Chiffren entschlüsselte."Genau ein solches Gerät hatte die WTG 1915 in ihrem Hauptbüro in New York installiert.Weiter ist es Tatsache, dass zu jener Zeit in den USA zwei Funkstationen existierten, die mitDeutschland Verbindung unterhielten, eine in Sayville, Long Island, und die andere inTuckerton, New Jersey. Über die Station in Sayville stand der deutsche Botschafter in den USA,Graf Bernstorff, schon 1915 mit der Reichsregierung in Berlin in Verbindung, deutscherseitsüber die Großfunkanlage in Nauen bei Berlin. Die Anlage in Tuckerton hatte Verbindung mit derAnlage in Eilvese bei Hannover, und zwar für Amerikaner, die mit Deutschland in»Geschäftsverbindung« standen. (Ebenda S. 27, 28; Tansill, C. C. Amerika geht in den Krieg.Stuttgart 1939, S. 480) Das waren in der Hauptsache die deutsch-amerikanischenFinanzkapitalisten bzw. das amerikanische Großkapital um Warburg und Co. Angesichts dieserTatsachen, die die WTG-Angaben über die 1915 eingeführten Funkanlagen und ihre Reichweitewiderlegen, wird man skeptisch und betrachtet die Einlassungen in dieser Sache genauer.Die WTG hebt hervor, dass sie niemals irgendwelche Botschaften mit dieser Anlage gesendethabe, womit sie davon ablenken will, dass es nicht ums Senden, sondern ums Empfangen vonNachrichten ging. Man bedenke: Die neueste Entwicklung für Nachrichtenübermittlung inKriegszeiten, wie Dulles es beschreibt, kaum technisch fertiggestellt, wird schon 1915 imWTGHauptbüroaufgestellt. Damit dürfte klar sein, was hier gespielt wurde. Die WTG lässtdurchblicken, dass ihr Präsident Russell »nicht sehr daran interessiert« gewesen sei. Russell war1915 ein alter, kranker Mann, der nur noch ein Jahr zu leben hatte. Zweifellos wurde er vonRutherford auch in dieser Sache überrumpelt.Es bleibt nun noch die Frage zu klären, wie es dazu kam, dass man im WTG-Hauptbüro einesolche Nachrichtenanlage installierte, und wer hinter dieser Sache stand, worüber die WTGnatürlich ebenfalls schweigt. Dazu muss man wieder einen Blick auf den Konkurrenzkampf derherrschenden amerikanischen Finanzkapitalisten werfen, auf ihre Europa bzw.Deutschlandpolitik. Die Anzeige war gemacht worden, die WTG stehe unter Verdacht, »mit demFeind in Deutschland Kontakt zu haben«.Es wurde bereits erwähnt, dass es Morgans Kriegsgeschäft war, England im Krieg gegenDeutschland zu unterstützen. Im Gegensatz dazu wünschte die Gruppe um Warburg »einsiegreiches, aber nicht zu siegreiches Deutsches Reich«, wie Jakob Schiff vom BankhausWarburg, ein gebürtiger Deutscher aus Frankfurt (Mein), dem Sitz des Stammhauses derRothschilds, in einem Interview mit der amerikanischen Zeitung "New York Times« imNovember 1914 erklärte. (Falcke: Vor dem Eintritt Amerikas in den Weltkrieg. Dresden 1928, S.56) Angeblich, »um eine völlige Neutralität sicherzustellen«, beschlagnahmte die USARegierungim Jahre 1915 jedoch die beiden Funkstationen in Sayville und Tuckerton. Wie ausder diplomatischen Korrespondenz des deutschen Botschafters Graf Bernstorff an Oberst House,

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USA-Präsident Wilsons Sekretär, vom 15. Oktober 1916 hervorgeht, waren die beidenFunkstationen die einzigen für unkontrollierte Verbindung zwischen den USA und Deutschlandgewesen. (Tansill, C. C.: Amerika geht in den Krieg. Stuttgart 1939, S. 480) Mit anderenWorten, die Finanzkapitalisten um Warburg hatten seit 1915 keine unkontrollierteFunkverbindung mehr für ihre »Geschäftsinteressen« mit Deutschland, wo einer der GebrüderWarburg Geheimdienstchef war.Da auf einmal »schenkt« man - den Namen des »Schenkenden« verschweigt die WTG - ihremPräsidenten Russell eine Funkanlage neuester Entwicklung und baut sie im Hauptbüro der WTGin Brooklyn, New York, unter dem Dachboden auf, und das im gleichen Jahre 1915. DieseTatsache führt zu der Schlussfolgerung, dass es sich hier um eine Fortsetzung der von derUSARegierungunerwünschten unkontrollierten Nachrichtenübermittlung handelte, deretwegen diebeiden einzigen derartigen Stationen in Sayville und Tuckerton beschlagnahmt worden waren.Es erhebt sich nun die Frage, woher die WTG über die in ihrem Hauptbüro seit 1915 installierteFunkanlage Nachrichten »aufgefangen« oder empfangen hat. Kein damaliges WTG-Zweigbüround schon gar nicht das deutsche in Barmen verfügte über eine Parallelfunkstation, mit der dasHauptbüro in Brooklyn über Funk hätte in Verbindung stehen können. Was man daher mit derFunkanlage im Hauptbüro auffing, war und konnte nichts anderes sein als das, was dieFunkanlagen des deutschen Nachrichtendienstes in Eilvese bzw. Nauen nach den USAausstrahlten. Und die WTG gibt zu, »Botschaften« aufgefangen zu haben! Das ging bis zumFrühjahr 1918, als der amerikanische Armeegeheimdienst davon erfuhr und die WTGFunkanlagedann sofort beschlagnahmte. Zu jener Zeit wurde die neutralistische Finanzgruppe inder USA-Regierung entmachtet, und ihr Haupt, Paul Warburg, musste zurücktreten, währendman die WTG-Führung unter Rutherford verhaftete und der ganzen Politik, der die WTG diente,in den USA ein Ende bereitete.Damit wäre einiges Licht in das Dunkel um das Phänomen gebracht, das die Installierung einersolchen geheimen Funkanlage im WTG-Hauptbüro in Brooklyn, New York, ohne Zweifeldarstellt, wenn man die WTG nur als eine normale religiöse Organisation betrachtet. Auf Grundder hier aufgezeigten Zusammenhänge und Hintergründe kann man mit Recht sagen, dass dieWTG auf diese Weise auch in letzter Konsequenz den herrschenden imperialistischen Kräften inden USA dienstbar geworden ist.

Die WTG und das USA-State Department

Eine ständige Verbindung Brooklyn-WashingtonEs besteht ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen der amerikanischen Deutschlandpolitikseit dem Ersten Weltkrieg und der Entwicklung der WTG-Tätigkeit seit dieser Zeit inDeutschland. Während Deutschland zu einem Schwerpunkt der amerikanischen Außenpolitikwurde, entwickelte man den deutschen Zweig der amerikanischen WTG-Organisation zu ihremstärksten Auslandszweig. Der Grund dafür war die Zielsetzung des USA-Finanzkapitals seit1917, die Auswirkungen der revolutionären Entwicklung in Russland auf das weitere Europa undspeziell auf Deutschland zunichte zu machen. War das doch eine Aufgabe, bei der es nebenwirtschaftlichen und militärischen Maßnahmen in entscheidendem Maße auf jede Art vonantikommunistischer und antisowjetischer Volksbeeinflussung ankam.Es ist wieder ein Angehöriger der finanzkapitalistischen Gruppe Warburg, der hier alsmaßgeblicher Wortführer in Erscheinung tritt, nämlich James Paul Warburg, im ZweitenWeltkrieg als Leiter in der Deutschlandabteilung des USA-Kriegsinformationsdienstes tätig, derSohn des bereits mehrmals genannten Chefs im USABundesreserverat bis 1918, Paul Warburg.In seinem Buch über die amerikanische Deutschlandpolitik nach den beiden Weltkriegen,»Deutschland - Brücke oder Schlachtfeld«, schreibt James P. Warburg, dass das neue Ziel derUSA-Politik seit dem Ersten Weltkrieg der »Sturz des bolschewistischen Regimes« sei. In

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Deutschland gehe es dabei um die Erhaltung »der alten sozialen und wirtschaftlichen Ordnung«,um zu verhindern, dass auch Deutschland ein sozialistischer Staat werde. Das bedeute,Deutschland zu einem »Damm gegen das sowjetische Sozialisierungsstreben« zu entwickeln.»Deshalb ist die deutsche Frage für uns Amerikaner ein Problem, das an Wichtigkeit hinterkeinem Problem der amerikanischen Innenpolitik zurücksteht«, kommentiert Warburg. Das geltesowohl für die Zeit nach dem Ersten wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Und dieReligionsgemeinschaften und Kirchen hätten dabei eine wichtige Rolle zu spielen. Demzufolgehabe »die alliierte Besetzung den Kirchen in Deutschland eine mächtigere Stellung eingeräumt,als sie jemals in den Jahren der Weimarer Republik innehatte" (Warburg, James Paul:Deutschland - Brücke oder Schlachtfeld, Franz-Mittelbach-Verlag, Stuttgart 1949).Das Nervensystem dieser Politik stellten die imperialistischen Nachrichtendienste dar. Sie hattenauf allen Gebieten zu signalisieren und die Dinge voranzutreiben. Hier interessiert nun imbesonderen die Rolle, die die WTG als kirchliche oder religiöse Organisation in den Plänen derUSA, die sozialistische Entwicklung in Europa »einzudämmen«, zugewiesen erhalten hat, eineRolle, die wieder in erster Linie auf psychologischem Gebiet ihren sichtbaren Ausdruck findenmusste.Zunächst wurden Rutherford und die anderen verhafteten WTG-Führer im Mai 1919 auf freienFuß gesetzt. Am 5. Mai 1920 wurde auf Befehl des USA-Justiz-Ministers die Widerrufung derStrafverfolgung und der Verurteilung der WTG-Führung offiziell bekanntgegeben, und zwar aufInitiative der USA-Regierung. (Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben. WTG 1960, S. 86) Wardoch die antikommunistische und pazifistische WTG-Verkündigung jetzt in der revolutionärenNachkriegszeit höchst zweckmäßig und dienlich. Nach der heutigen Darstellung seitens derWTG handelte es sich damals allerdings um ein Fehlurteil. Die WTG-Führung sei völligunschuldig gewesen, obwohl sie zugeben muss, dass sie »auf irgendeine Weise formell gegendas Gesetz verstoßen« habe. Die Wahrheit ist, dass Rutherford genau wusste, worum esangesichts seiner Beziehungen zu General James Franklin Bell in der Geheimfunkaffäre ging.(Ebenda, S. 85, 97)Nun musste der WTG die Tätigkeit im Ausland gesichert werden. Deshalb bekam Rutherfordbereits wenige Monate nach der Aufhebung der Strafverfolgung am 12. August 1920 vomUSAStateDepartment (Außenministerium) Visa für eine Auslandsreise. Ziele waren Europa und derOrient, beides zugleich Brennpunkte der amerikanischen Außenpolitik; der Orient im Hinblickauf den politischen Zionismus und das Erdöl, Europa wegen der dortigen revolutionärenEntwicklungen. Zwecks ständiger Nachrichtenverbindung in den Orient errichtete Rutherford einWTG-Zweigbüro in Ramallah bei Jerusalem. In Europa wurde eine gründliche Neuorganisierungvorgenommen. In Zürich wurde ein Zentraleuropäisches Büro eröffnet, mit dessen LeitungRutherford der amerikanischen WTG-Mitarbeiter C. C. Binkele beauftragte. Ihm unterstand dasWTG-Werk in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, Holland, Italien, Österreich undDeutschland. Am 1. April 1925 wurde dieses Büro von Zürich nach Bern verlegt. ((Binkelewandte sich nach dem Zusammenbruch der Endzeitillusionen von 1925 mit großem Anhang vonder WTG ab.Nach der Reorganisation des WTG-Werkes in Deutschland durch die Maßnahmen Rutherfordsvon 1920 richtete das deutsche Zweigbüro in Barmen am 23. September 1921 die Forderung andas damalige Reichsministerium des Innern in Berlin, nunmehr der WTG in DeutschlandRechtsfähigkeit zuzuerkennen. In einem Schreiben vom 7. Dezember 1921 teilte dasInnenministerium daraufhin dem Zweigbüro in Barmen einen Beschluss des Reichsrates mit, derdiese Anerkennung aussprach. Damit war der Grundstein für die Errichtung eines »Bollwerkesgegen den Kommunismus« in Verfolg der USA-Politik, Deutschland zu einem »Damm gegendas sowjetische Sozialisierungsstreben« zu machen, im WTG-Fall auch staatsrechtlich gelegtund abgesichert.Von seiner Reorganisationsreise erfolgreich nach den USA zurückgekehrt, begann RutherfordVerhandlungen mit dem USA-State Department in Washington. Das erstaunliche Ziel war, die

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WTG, deren Führung man soeben noch durch jahrelange Zuchthausstrafen vernichten wollte,unter die Fittiche der amerikanischen Regierung zu nehmen, speziell die Deutschlandarbeit derWTG, die nun anlaufen sollte. Es wurde festgelegt, die Tätigkeit in Deutschland, die jetzt zurHauptaufgabe der gesamten internationalen WTG-Organisation wurde, in die staatlichenVerträge einzubeziehen, die nach dem Ersten Weltkrieg zwischen der USA-Regierung und derdeutschen Regierung abgeschlossen werden sollten. Es handelte sich um dendeutschamerikanischen»Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag« von 1923, der in seiner erstenFixierung am 25. August 1921 in der Amtszeit des USA-Präsidenten und Freimaurers Warren G.Harding vorbereitet wurde. Der Beschluss des deutschen Reichsrates betreffs Rechtsfähigkeit derWTG basierte auf den in diesem Zusammenhang geführten Verhandlungen zwischen derdeutschen und der amerikanischen Regierung. Diese Tatsachen sind einer Eingabe des deutschenWTG-Zweiges vom 19. Dezember 1934 an das nazistische Ministerium des Innern in Berlin zuentnehmen. Man überprüfe die entsprechenden Auszüge.Zitat:"(Von Hans Dollinger am 20. 03. 1935 persönlich übergeben.III P 3233/10 XIWATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYPUBLISHERS OF THE BIBLE STUDENTS ASSOCIATIONGENERAL OFFICES:117 ADAMS STREETBROOKLYNNEW YORK, U.S.A.GERMAN BRANCHMAGDEBURGOFFICE FUCHSBERG 4-5Postsch.-K. MAGDEBURG 4082Telefon: 40656Wohnhaus Saarstraße 1-19Telefon: 40658Radio and Cable Addres:Watchtower MagdeburgMagdeburg, den 19. 12. 34Sekte ZJAn das Reichs- und Preußische Ministerium des InnernAbteilung III BerlinBetrifft: Grundsätzliche Erklärung der "Watch Tower Bible and Tract Society", Brooklyn N. Y.Amerika, german branch Magdeburg.WATCH TOWERBible an Tract SocietyBrooklyn N. Y.German branchMagdeburgBalzereit, Hans Dollinger."Zitat:V. Deutsch-amerikanischer Handelsvertrag von 1923.Die nach den Gesetzen des Staates Pennsylvania U. S. A. gegründete und inkorporierte"WatchTower Bible and Tract Society" mit Sitz in Brooklyn, N. Y. ist in Deutschland nachArtikel XII des"Freundschafts-Handels-und Konsularvertrages" von 1923, ratifiziert 1925 gleicherweiseberechtigt, tätig zu sein, wie deutsche Gesellschaften (mit oder ohne Gewinnzweck, religiöse

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oder wirtschaftliche) nach den Grundsätzen der Reziprozität auf dem Gebiet der "VereinigtenStaaten von Amerika" tätig sein dürfen.Deshalb wurde die "Watch Tower Society" im Jahre 1921 auf Grund des Artikels XII des"Freundschafts-Handels-und Konsularvertrages" von 1923, ratifiziert 1925 (RGBl. II Nr. 38 v.22. 8. 25 S. 79 795) in Deutschland auf Grund der Satzungen der Gesellschaft zugelassen undmit Rechtsfähigkeit nach Art. 10 des EG. zum BGB. bekleidet.3.) Die Gesellschaft war in Deutschland schon vor dem Kriege tätig und hatte ihr ständiges Büroin Barmen, Unterdörnerstrasse 76. Die Zulassung im Jahre 1921 stellt sich praktisch dar alsResultat geführter Verhandlungen zwischen den Regierungen Deutschlands und der VereinigtenStaaten. Diese Verhandlungen "zur Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen" fandenzunächst ihren Abschluss im Vertrag vom 25. August 1921, welcher Vertrag durch den obenerwähnten Handelsvertrag von 1923 ergänzt wurde.Demnach ist die Gesellschaft im Jahre 1921, und nachdem sie bereits früher in Deutschland tätigwar, ausdrücklich mit der Rechtsfähigkeit bekleidet worden.4.) Auf Grund dieser Rechtstatsachen hat, - 1921 beginnend, - die amerikanische "Watch TowerSociety" fortgesetzt Kapitalien in Deutschland zu Händen ihrer Zweigniederlassung investiert,die ungefähr eine Höhe von Mk. 4 000 000,- insgesamt ausmachen."Durch die Einbeziehung des deutschen WTG-Zweiges in die staatspolitischen Abkommenzwischen Deutschland und den USA nach 1918 wurde die Arbeit der WTG in Deutschlandfaktisch ein Bestandteil der amerikanischen Außenpolitik Sogar Hitlers Gestapo (GeheimeStaatspolizei) kam anfangs nicht umhin, das zu respektieren.Es blieb jedoch nicht nur bei der Einbeziehung der WTG-Tätigkeit in die deutschamerikanischenStaatsverträge. Es wurde eine ständige Zusammenarbeit zwischen dem WTG-Hauptbüro inBrooklyn, New York und dem USA-State Department in Washington beschlossen. Zu diesemZweck wurde »ein ständiger Vertreter« der WTG nach Washington an den Sitz der USARegierungentsandt. In der zitierten Eingabe des deutschen WTG-Zweigbüros vom 19.Dezember 1934 an das nazistische Innenministerium wird das in Abschnitt VI wie folgtbestätigt:Zitat:VI. Feststellungsklage beim Schiedsgericht im Haag.1.) Im November 1933 wurde die deutsche Verbal-Antwortnote der Botschaft der United Statesin Berlin überreicht. Die Note wurde dem State Department in Washington weitergeleitet.2.) Die "Watch Tower Society", Brooklyn, N. Y. hat in Washington einen ständigen Vertreter,der die Verbindung zwischen dem State Department und der Gesellschaft in Brooklyn darstellt.Ausserdem ist ein ständiger Rechtsanwalt, der zu den ersten Juristen der Vereinigten Staatengehört und der in Washington wohnt, laufend mit der Wahrnehmung der anfallendenAngelegenheiten der "Watch Tower" betraut."Unter den »anfallenden Angelegenheiten der Watch Tower«, der WTG, sind natürlich wenigerdie rein religiösen Dinge zuverstehen, sondern vielmehr das, was in politischer Hinsicht damiterreicht werden sollte.Die Pläne für die Nachkriegsaufgaben der WTG in religiöser wie in politischer Hinsicht wurdenschon gefasst, als sich die WTG-Führung noch in den Händen der USA- Behörden im ZuchthausAtlanta befand. Es ist in diesem Zusammenhang notwendig, zunächst die Rolle des USA-StateDepartments in der amerikanischen psychologischen Kriegführung zu erklären. Das USA-StateDepartment ist unter Einbeziehung der amerikanischen Botschaften und der Geheimdienstedieses Ministeriums hauptverantwortlich u. a. für die gesamte Diversions- undUntergrundtätigkeit in den sozialistischen Ländern. Darüber hinaus dirigiert es die gesamteInformations- und Nachrichtentätigkeit der USA, indem es Nachrichten aller Art einsieht, bevordiese ihre rechtmäßigen Empfänger erreichen, eine Praxis, die auch auf die WTG angewandtwird.Angesichts der Verbindung zwischen dem WTG-Hauptbüro in Brooklyn und dem StateDepartment in Washington und dessen nachrichtendienstlicher Praxis beachte man nun, was,

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WTG-Präsident Rutherford 1918/19 im Zuchthaus Atlanta in diesbezüglicher Hinsicht beschloss.Der amerikanische Reporter Marley Cola schreibt darüber in seinem Buch »Jehovas Zeugen«,1956, S. 97, im Einvernehmen mit der WTG:Zitat:"J. F. Rutherford - Das Königreich ist hier!' 97Irgendwie konnte "Der Wachtturm" weitererscheinen - seit seinem Geburtstag im Jahre 1879 warnoch keine Nummer unterblieben. Diejenigen, die treu geblieben waren, fuhren, obgleichverschreckt, trotz allem fort, sich selbst und der Welt zu sagen, dass "das Königreich hier sei".Dies sei eine Zeit der "Erprobung im Feuer". Es war das Gericht, das mit dem "Hause Gottes"begann und sich auf die ganze Menschheit erstreckte.Kaum hatten Rutherford und seine sechs Mithäftlinge ihre Strafe angetreten, als sie auf denGedanken kamen, eine neue Zeitschrift ins Leben zu rufen. Sie sollte eine Gefährtin desWachtturms werden. Sie sollte eine "Zeitung der Tatsachenberichte, der Hoffnung und desMutes" werden. Sie sollte als Umschlagplatz für alle Arten von Material dienen. Vor allemwürde sie Berichte über laufende Ereignisse bringen, die dazu beitrugen, das großezusammengesetzte "Zeichen" dafür zu bilden, dass der "Beginn der Leiden" über die Weltgekommen sei: Kriege, Hungersnöte, Krankheiten und Seuchen, Erdbeben, Not und Verwirrung,aber auch ermutigende Nachrichten über das Königreich. Jesu Prophezeiung über das Ende derWelt im Matthäus Evangelium 24 gibt einen verständlichen Hinweis, auf die journalistischeReichweite der beabsichtigten Veröffentlichung.Sie beschlossen, das neue Blatt "Das Goldene Zeitalter" zu nennen. Später wurde es umbenanntin "Trost". 1946 wurde der Name wieder geändert auf "Erwachet!" Geboren in einer Kerkerzelleder Strafanstalt Atlanta, hatte es 1955 bereits eine Auflage von 1 525 000 erreicht."Rutherford hatte somit beschlossen, im Rahmen der Organisation der Ernsten Bibelforscher oderZeugen Jehovas unter Leitung der WTG einen Informationsdienst aufzubauen, der sogenannte»Zeichen« für die neue Endzeitorientierung liefern sollte. Zugleich sollte ein »Umschlagplatz füralle Arten von Material" geschaffen werden, also eine Sammelstelle für Nachrichten aller Art ausder Welt. Für den Nachrichtendienst der Zeitschriften »Das Goldene Zeitalter«, »Trost« bzw.»Erwachet« wurden schließlich in allen Teilen der Erde, in die die WTG vorgedrungen war,Sonderkorrespondenten eingesetzt, die unzensierte, an Ort und Stelle abgefasste Nachrichten andie WTG zu senden hatten. In der Zweckerklärung jeder »Erwachet«-Ausgabe wurde das bis1964 wie folgt dargestellt:Zitat:"Die Zeitschrift "Erwachet!" benutzt die üblichen Pressemeldungen, ist aber nicht von ihnenabhängig. Sie hat in allen Erdteilen, in Dutzenden von Ländern, ihre Korrespondenten. Vonüberallher werden ihnen durch diese Spalten unzensierte, an Ort und Stelle abgefasste Berichteübermittelt. Diese Zeitschrift hat keinen engen, sondern einen internationalen Gesichtskreis. Siewird in vielen Ländern und in vielen Sprachen von jung und alt gelesen. Sie behandelt Themenaus vielen Wissensgebieten - Staatswesen, Handel, Religion, Geschichte, Geographie,Naturwissenschaft - sowie soziale Zustände und Naturwunder. So weit wie die Erde und so hochwie der Himmel ist das Gebiet, das sie umfasst.Erscheint halbmonatlichVerlag und Druck: Wachtturm Bibel- und Traktat-GesellschaftDeutscher Zweig e. V., WiesbadenVerantwortliche Redaktion: Erich Frost, Wiesbaden."Hierzu ist jedoch zu bemerken, dass die Formulierung »unzensiert, an Ort und Stelle abgefasst«seit der Ausgabe vom 22. Februar 1964 (deutsch) weggelassen wird. Ließ das doch durchblicken,dass man die internationale Informationstätigkeit offensichtlich ohne Rücksicht etwa aufStaatsgeheimnisse, behördliche Nachrichtensperre oder andere gesetzliche Bestimmungendurchfuhren würde. Für wen hatte diese Art Nachrichtensammeln Bedeutung? Nur für die WTG?Zweifelsohne ist der Anteil, den die WTG für ihre Zeitschriften benötigt, nur gering. Für diesenZweck genügten die üblichen internationalen Pressemeldungen, da man sich bei der

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Konstruktion der sogenannten »Zeichen der Zeit des Endes« schließlich auf bestätigte Dingestützen muss, will man glaubwürdig erscheinen. Weiß man jedoch um die Verbindung desWTG-Hauptbüros, wo alle die geforderten Nachrichten zusammenfließen, mit dem USA-StateDepartment in Washington und kennt man die Informationsbedürfnisse und Praxis dieserInstitution, sowie ihre Rolle in der psychologischen Kriegführung gegen alle revolutionärenEntwicklungen in der Welt, dann wird klar, welchen höheren politischen Zwecken die WTG hierdienstbar gemacht worden ist. Die Tatsachen zeigen, dass sie zu einem idealen internenInformations- und Testinstrument und Organ für psychologische Kriegführung auf religiösemGebiet für das USA-State Department wurde.

Die politische Rolle des deutschen WTG-Zweiges in der WeimarerRepublikZur Charakterisierung des religiösen und besonders des politischen Wesens der WTG ist esunerlässlich, sich eingehend mit den jeweiligen Führern dieser Organisation zu befassen, wiedies schon mit den Präsidenten Russell, Rutherford und Knorr geschehen ist. Denn angesichtsdes autoritären und faktisch diktatorischen Regimes sind Person und Handlungsweise derWTGFührerbestimmender Faktor der Gemeinschaft, selbstverständlich in Abhängigkeit von denjeweiligen Verhältnissen und Gebundenheiten. In religiöser Hinsicht besteht die Bedeutung einerrealistischen Auseinandersetzung mit den WTG-Führern darin, dass man die Haltlosigkeit ihrerAnsprüche, Gottesvertreter zu sein und ein Gotteswerk zu betreiben, erkennt. In politischerHinsicht lassen sich auf diese Weise ebenfalls wesentliche Taktiken der psychologischenKriegführung der herrschenden Kreise des Großkapitals unter Missbrauch des religiösenGlaubens feststellen und unwirksam machen. Daher steht nun im Vordergrund, welchebesonderen politischen Vorgänge deutschen WTG-Zweig nach dem Ersten Weltkrieg bis zurnazistischen Periode kennzeichnen.Für die Durchführung des religiösen und politischen Kurses der WTG nach dem ErstenWeltkrieg unter Berücksichtigung der Interessen des USA-State Departments und desamerikanischen Großkapitals bedurfte es örtlicher und regionaler Funktionäre in Deutschland,die dem WTG-Hauptbüro bzw. dem WTG-Präsidenten Rutherford gegenüber grundsätzlichgehorsam und außerstande waren, hinter die Kulissen der WTG-Führung in Brooklyn zuschauen. Es ist bezeichnend für die ganze Amtszeit Rutherfords von 1917 bis 1942, dass seinHauptaugenmerk auf die Errichtung der sogenannten Theokratie (Gottesherrschaft) über dieWTG-Anhänger oder Zeugen Jehovas gerichtet war oder, anders gesagt, auf die endgültigeDurchsetzung des diktatorischen Prinzips in der Führung dieser internationalen Organisation.Verbunden damit war eine immer stärker werdende Undurchsichtigkeit dieses Regimes,teilweise auch für höhere WTG-Funktionäre. Außenstehende Beobachter kamen gar zu derFeststellung, dass die WTG »in wachsendem Maße den Charakter einer Geheimgesellschaftbekommen hat«. (Stroup, H. H.: Jehovas Witnesses, New York 1945, S. 22) RutherfordsGrundsatz war es darum, nur solche Personen, mit Funktionen zu betrauen, von denen erannahm, dass sie sowohl religiös wie psychologisch in Abhängigkeit zu halten waren.Der erste deutsche WTG-Zweigdiener war Otto Albert Koetitz aus Kranichfeld in Thüringen. Erwar nach den USA ausgewandert, hatte dort Russell und seine Bibelforscherbewegungkennengelernt und wurde 1903 als Vertrauensmann Russells zurück nach Deutschland gesandtum in Barmen das erste deutsche Zweigbüro zu übernehmen. (Interessanterweise erinnert mansich unter den alten Russell-Anhängern in Westdeutschland (1966) im Zusammenhang mit O. A.Koetitz an das Bankhaus Warburg). Verbleib und Ende von Koetitz lässt die WTG in ihrergeschichtlichen Selbstdarstellung im dunkeln.Als es nach dem Ersten Weltkrieg notwendig wurde, das Werk der WTG in Deutschland zureorganisieren und einen neuen deutschen Zweigdiener einzusetzen, fand Rutherford einenseinen Zielen dienlichen Hörigen in dem jungen und brillanten Redner Paul Balzereit aus derGruppe der WTG-Anhänger in Kiel. Der sozialen Herkunft nach war Balzereit Nieter und

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Arbeiter auf der Germania-Werft in Kiel. Eine höhere Bildung besaß er nicht. Angesichts derdargelegten politischen Zusammenarbeit zwischen der WTG und der amerikanischen Regierungbesteht Grund für die Annahme, dass auch Balzereit nicht ohne Zustimmung des amerikanischenNachrichtendienstes bzw. des USA-State Departments von Rutherford zum deutschenZweigdiener bestimmt wurde. Im Hinblick auf die Rolle, die die WTG in den kirchenpolitischenNachkriegsplänen der USA spielen sollte, konnte es Washington nicht gleichgültig sein, wer andie Spitze der WTG in Deutschland kam. Offenbar war Balzereit nicht in der Lage, diesepolitischen Zusammenhänge zu durchschauen. Aber nur derart einfältige Menschen konnte dieWTG hier gebrauchen. Von psychologischer Bedeutung war dabei, an die Spitze der WTG inDeutschland einen Menschen zu stellen, der aus einfachsten Arbeiterkreisen kam. Damit warsowohl die Abhängigkeit von Rutherford gesichert, der ein erfahrener Advokat war, als auch einAushängeschild dafür, dass die WTG die einfachen und bedrückten arbeitenden Menschenvertrete, worauf es in Deutschland jetzt ganz besonders ankam. (Gegner der WTG behaupteten,Balzereit habe in den Revolutionstagen 1918 in Kiel dem Arbeiter- und Soldatenrat angehört,was die WTG bestreitet. Balzereit habe aber bekannt, damals in Kiel in der Kriegshilfe(Unterstützungsamt) tätig gewesen zu sein. Bekanntlich waren die Arbeiter- und Soldatenräte inDeutschland Hauptziele der westalliierten Nachrichtendienste.)Als Rutherford dann seinen Günstling unter den damaligen deutschen WTG-Führern, den»Pilgerbrüdern«, formell zur Wahl stellte, wäre sein Vorhaben beinahe gescheitert, dennBalzereit erwies sich als unbeliebt. Rutherford hatte zwei »Pilgerbrüder« zur Wahl zugelassen:Balzereit und einen zweiten, namens Buchholz Die Abstimmung fiel jedoch für Buchholz aus.Um seinen Kandidaten zu retten, fälschte Rutherford einfach das Abstimmungsergebnis. DerLeiter der »Christlichen Mission unter Jehovas Zeugen«, W. J. Schnell, Florida, USA, einfrüherer WTG-Mitarbeiter, enthüllte das in einem »Offenen Brief an Jehovas Zeugen« .Die Übersetzung des englischen Textes lautet:»Dieser Brief bringt nur eine Tatsache. Einer meiner Jugendfreunde, Bruder Buchholz, diente alsPilgerbruder in Deutschland viele Jahre, bis er in ein Nazikonzentrationslager gebracht wurde.Einmal erzählte mir Bruder Buchholz, dass kurz nach dem Ersten Weltkrieg Richter Rutherfordnach Deutschland kam um den deutschen Zweig der Wachtturmgesellschaft zu reorganisieren. Erberief eine Zusammenkunft von sieben Pilgerbrüdern ein und beauftragte sie, einen neuenZweigdiener zu nennen und zu wählen. Zwei Brüder, Balzereit und Buchholz, wurden nominiert.Das Ergebnis war, dass Bruder Balzereit gewählt wurde, und das Ergebnis wurde von denBrüdern als der Wille Gottes anerkannt. Einige Tage später jedoch traten fünf der Pilgerbrüderan Bruder Buchholz heran und unterrichteten ihn von der Tatsache, dass sie alle für ihn gestimmthatten und dass sie nicht verstehen könnten, wie Balzereit mit einem Stimmenverhältnis 6 zu 1gewählt werden konnte.Zufällig kam mir das wieder in Erinnerung durch einen Brief vom 11. Januar 1957 (den ich inmeinen Dokumenten habe), von einem Mann, der einst eine hohe Funktion in der Gesellschaftinnehatte. Unter anderem schrieb dieser Bruder: Du wirst weiter interessiert sein daran, dassRichter Rutherford mich 1924 informierte, wie die Berufung von Bruder Balzereit zustande kam.Er sagte, dass er (Rutherford) eine Wahl abgehalten habe, um zwischen Balzereit und einemanderen Bruder für das Amt wählen zu lassen, dass er die Auszählung der Wahlzettelvorgenommen habe und dass er selbst, der Vorsitzende, auszahlte. Das Ergebnis war nichtzugunsten von Balzereit gewesen, der andere Bruder hatte die Mehrheit (ich kann mich nichtmehr an den Namen des Bruders erinnern). Jedoch Rutherford dachte, Bruder Balzereit wäre einbesserer Mann, und so erklärte er ihn als gewählt. Er fühlte sich dazu berechtigt um des Werkeswillen. Ich denke nicht, dass viele diese Sache kennen, aber ich war eng mit dem Richterverbunden und reiste mit ihm in zahllosen Gelegenheiten viele Jahre zu Kongressen in denStaaten, in Kanada und Europa.«(Es handelt sich um den früheren WTG-Zweigdiener von Kanada, W. F. Salter, der laut"Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des WT" vom Juli 1942 sowie "Drama derRechtfertigung, 6. Teil, Salter und Genossen" wegen Opposition gegen die WTG-Bibelauslegung

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aus der WTG ausgeschlossen wurde).Mit diesem Bericht wird bestätigt, dass Rutherford in der Bestimmung des neuen deutschenZweigdieners bei seinem Deutschlandbesuch 1920 unter höherem Zwang stand und unbedingtBalzereit durchzubringen hatte, wenn nötig, mit einer Wahlfälschung.Von der Balzereit-Administration sind über diesen Wahlbetrug hinaus auch andere unter denWTG-Anhängern anstößige Handlungen bezeugt. Die »Wahrheitsfreunde«, 1922 von FranzEgle, Ewald Vorsteher und anderen Mitarbeitern des Zweigbüros Barmen gegründet, erhobenAnklage, dass Balzereit sich jetzt »in seidene Hemden kleide, in herrliche Sportanzüge, zweiterKlasse auf der Eisenbahn fahre, sich ein Automobil angeschafft habe, worauf man Kreuz undKrone malte, wie ein Fürst« herumkutschiere, der »Titelsucht, gotteslästerlicher Lehren, derLüge, Frechheit und finanziellen Ausbeutung der Anhänger« verfallen sei. (Abwehrblätter.Mitteilungen aus dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus, Nr. 23/24. Berlin, 20. Dezember1925, S. 121)Als nächstes sollen die juristischen Berater Balzereits bzw. des deutschen Zweigbüros vorgestelltwerden, Personen, die die WTG erst dann öffentlich nannte, als ihr in Deutschland dienazistische Flut schon bis an den Hals reichte. Angesichts der polizeilichen Durchsuchung desMagdeburger Zweigbüros 1933 war in einer »Öffentlichen Erklärung« der WTG in ihrerZeitschrift "Das Goldene Zeitalter« vom 15. Mai 1933 eine erstaunliche Mitteilung zu lesen.Zitat:"Das Goldene Zeitalter.Nr. 10 15. Mai 1933Das Auge der WeltFoto: Werner GaebelÖffentliche Erklärungder "Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft"und der "Bibelforscher-Vereinigung"1.) Die inzwischen wieder beendete Durchsuchung und Besetzung der Grundstücke der"Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft" ist - wie wir von zuständiger amtlicher Seiteerfuhren - erfolgt, weil Anklagen erhoben worden sind, dass die beiden oben genanntenGesellschaften sich kommunistisch betätigten.2.) Seit Jahren ist Rechtsbeistand der "Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft" das Mitgliedder Deutschnationalen Partei, Herr Justizrat Karl Kohl, Rechtsanwalt in München, seit ca. vierJahren auch das Mitglied der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiter-Partei, HerrRechtsanwalt Horst Kohl, München. Dass auch der ehemalige Magdeburger Polizeipräsident,Herr Rechtsanwalt Dr. Bärensprung, als"Demnach war seit etwa 1929 ein Mitglied der Nazipartei, Rechtsanwalt Horst Kohl, München,Sachwalter der »anfallenden Angelegenheiten« der WTG in Deutschland. Wie war das zuerklären? Dazu muss man, wieder eine Brücke zur Entwicklung der politischen Lage schlagen.Zu jener Zeit, im Juli 1929, begannen sich die Herren des Großkapitals in der New YorkerWallstreet angesichts der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise ernste Sorgen um dieEntwicklung in Deutschland zu machen. Es war klar, dass mit der Krise ein Erstarken derrevolutionären Arbeiterbewegung verbunden sein würde. Deshalb galt es, faschistischeOrganisationen und die Hitlerpartei stark zu machen und die Organisationen der Arbeiterschaftdurch den Faschismus zu zerschlagen. Für die psychologische Rolle, die der WTG im Hinblickauf die Beeinflussung der Bevölkerung zugedacht war, würde es ratsam sein, entsprechendeSachwalter in Erscheinung treten zu lassen.Noch interessanter ist, wer der andere Rechtsbeistand Balzereits war, nämlich Justizrat KarlKohl, München, Mitglied der Deutschnationalen Partei, der schon »seit Jahren«, offensichtlichlange vor seinem nazistischen Kollegen für die »anfallenden Angelegenheiten der Watch Tower«zuständig war. Justizrat Karl Kohl war kein Geringerer als der Verteidiger des NazidiktatorsAdolf Hitler, nachdem dessen erster Putsch 1923 in München zusammengebrochen und Hitleranschließend vor Gericht gestellt worden war.

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Natürlich hat die WTG diese erstaunliche Tatsache niemals selbst veröffentlicht. Sie ist einerletzten Eingabe des deutschen WTG-Zweigbüros in Magdeburg vom 5. Januar 1935 an Hitlerpersönlich zu entnehmen. Die Eingabe hatte den Zweck, die endgültig bevorstehende Auflösungdes Zweigbüros in letzter Minute zu verhindern. Unterzeichner war Hans Dollinger, Syndikusdes Zweigdieners Balzereit.Zitat:"Hans Dollinger, MagdeburgMagdeburg, den 5. Januar 1935Am Fuchsberg 4/5Kanzlei der Führers der N. S. D. A. P.004403 7. Jan. 1935An diePrivatkanzlei der FührersHerrn Adolf HitlerBerlin W 8Wilhelmstrasse 55.Beiliegendes Gesuch bitte ich, ergebenst, dem Führer persönlich vorlegen zu wollen.Mit Deutschem Gruß!Hans Dollinger."Zitat:Hans Dollinger. MagdeburgMagdeburg, den 5. Januar 1935.Am Fuchsberg 4/5.An denFührer und ReichskanzlerHerrn Adolf HitlerBerlin.Persönlich.Sehr geehrter Herr Reichskanzler!Seit fast zwei Jahren ist die "Bibelforschervereinigung" verboten,wiederholt, - das letztemal vor einem Jahr, - bitte ich ergebenst, eine Deputation empfangen zuwollen, die einen Bericht über diese bedauerlichen Tatsachen vortragen könnte. DieseDeputation würde bestehen aus den Herren:1) Justizrat Karl Kohl, München (Hitlerverteidiger 1924)2) Dollinger Hans, Syndikus, Magdeburg,3) Balzereit Paul, Direktor, Magdeburg,4) Nikolaus Freiherr von Tornow, Gutsbesitzer, Kottbus-SaspowMit der ausdrücklichen Versicherung meiner großen Wertschätzung und Ergebenheit, zeichneich mit herzlichen Dank im VorausMit Deutschem Gruß!Hans DollingerBisher. Generalbevollmächtigter der Bibelforschervereinigung."Tornow war einer der verkrachten Adligen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg der WTG inDeutschland anschlossen. Schon 1924 war er »Pilgerbruder« und fahrender Redner, 1931WTGBezirksdienstleiterfür das Gebiet Niederlausitz, wo sein Gut lag.Man erinnere sich, dass die amerikanischen Finanzkapitalisten um Warburg nach 1929 zurRettung und Erhaltung des kapitalistischen Systems in Deutschland offen auf denHitlerfaschismus setzten. Die jahrelange Zusammenarbeit der WTG mit dem Hitler-Verteidigervon 1924, Karl Kohl, der die Hitlerbewegung sehr gut kennen musste, deutet angesichts desZusammenspiels zwischen der WTG-Führung und dem USA-State Department darauf hin, dassdie WTG durch ihren Nachrichtenapparat wesentlich dazu beitrug, dass sich das USA-Kapital

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auf Hitler orientieren konnte. Es hatte also für die USA-Regierung einen sehr handfesten Grund,wenn sie nach 1921 den deutschen WTG-Zweig in die deutsch-amerikanischen Staatsverträgemit einbezog, waren doch die »anfallenden Angelegenheiten der Watch Tower« politischhochinteressant, wie man sieht.Ein anderer Fall, der die Aufgabe der WTG als Informationsapparat für politische Zwecke insLicht rückt, ist folgender. Politischer Beobachter für den Nachrichtendienst des »GoldenenZeitalters« in Ungarn, seit 1928 dem deutschen Zweigdiener Balzereit unterstellt, war 1931 »einuns (d. h. der WTG, d. V.) bekannter Rechtsanwalt in Budapest«. Er berichtete der WTG u. a.über das damalige ungarische Wahlsystem und schon im voraus über den Ausgang derbevorstehenden Wahlen (Das Goldene Zeitalter, Nr. 16, Magdeburg, 15. August 1931, S. 242)desgleichen in Jugoslawien. 1930 hatte die WTG einen jugoslawischen Politiker »bekehrt«,einen »Mann von politischem Einfluss, ein persönlicher Freund des Königs« von Jugoslawien.Er sei getauft worden und verrichte »unter der Leitung der Gesellschaft (der WTG, d. V.) einenguten Dienst«. Damit habe sich in Jugoslawien das Tor für die WTG geöffnet. (Jahrbuch derWTG 1931. Magdeburg, S. 104) Hier steht also wieder ein »Mann mit politischem Einfluss« imMittelpunkt, diesmal in der jugoslawischen Regierung, ohne Zweifel zugleich ein interessanterFall für das USA-State Department. In Deutschland hatte die WTG unter Balzereit u. a. geheimeMittelsmänner in den bayrischen Verwaltungsbehörden, die Geheimerlasse und andere wichtigeUnterlagen des Bayrischen Innenministers entwendeten und für die WT kopierten Ein Fall wurdebekannt, und zwar das Kopieren der Geheimerlasse, die zu einer Einschränkung der WTGTätigkeitin Bayern führen sollten. Die WTG deckte in einem Flugblatt »An alle Menschen«, das1932/33 verbreitet wurde selbst die Karten auf:Zitat:"An alle Menschen!Warum aber gab der Herr Bayrische Innenminister in Geheimerlassen an dieVerwaltungsbehörden Anweisungen heraus, wie man versuchen solle die Tätigkeit derBibelforscher zu unterbinden? Wir haben auf einem Wege, den wir hier nicht zu erörternbrauchen, von diesen internen Verfügungen Kenntnis bekommen und besitzen Photographiendes Originals.Wichtig für alle:Befreiung, - Die Harfe Gottes (je 70 Pf.), - Schöpfung, - Versöhnung, - Regierung, - Leben, -Prophezeiung (je 80 Pf.), - Licht Bände I und II, zusammen 1,50 RM,- Neun Bücher nur 6, 40RM!Bibelhaus Magdeburg, WachtturmstraßeDruck und Verlag: Wachtturm, Magdeburg."Die Sache hatte folgenden politischen Hintergrund. Mitte der zwanziger Jahre begann die WTGin Deutschland eine Propagandakampagne gegen den Abschluss eines Konkordats zwischen demDeutschen Reich und dem Vatikan. 1924 war bereits ein Konkordat mit dem Land Bayernzustande gekommen. Mit aufreizenden Schlagzeilen warf sich die WTG in ihremNachrichtenblatt »Das Goldene Zeitalter«, das schon damals eine Massenauflage von 230 000Exemplaren hatte, in den politischen Kampf. Man lese folgende Auszüge:»Ein Konkordat mit dem Reich?Deutsches Volk, halte die Augen auf, solche Verträge gebären Scheiterhaufen denen, die denMut haben, die Wahrheit zu sagen. Wenn einmal das Recht, gegen religiöse Ungereimtheiten zuprotestieren durch Gegenseitigkeits-Verträge genommen ist, dann, deutscher Protestantismus, istim Grabe des Protestrechtes auch dein Grab. Aufgepasst, ihr alle, die es angeht! In Bayern habenberufene Vertreter des Protestantismus ihr Ja gegeben zum oben Angedeuteten die Folgen diesesKonkordates werden sie in Bälde schmecken. Aufgepasst! Schon greift des SensenmannesKnochenhand nach dem Totenglöcklein; er möchte so gerne dem Recht der freienMeinungsäußerung das Sterbeliedlein singen.Deutscher Protestantismus, willst du sterben?« (Das Goldene Zeitalter, Nr. 11. Magdeburg, 1.Juni 1925)

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Dieses publizistische Vorgehen der WTG war eine eindeutige Einmischung in die damaligenkirchenpolitischen Fragen. Wenn Balzereit auch für diese Propaganda in Deutschlandverantwortlich zeichnete, so war er freilich nur der Strohmann für eine Politik, die in Brooklynund Washington bestimmt wurde.Unter dem deutschen Reichskanzler Brüning, einem Katholiken (1930-1932), begann derdeutsche katholische Episkopat (Bischofsvereinigung) schließlich darauf zu drängen, die WTGzu verbieten. Es war jedoch nur das Bayrische Innenministerium, dass in dieser Zeit Maßnahmeneinleitete und Geheimerlasse herausgab, derer sich die WTG dann durch ihre Mittelsmännerbemächtigte. Den Zeugen Jehovas gaukelte man die Folgen auch dieser Einmischung inpolitische Machtkämpfe als Leiden um Christi willen vor, wie immer, wenn es wegen derHandlangerei der WTG für ihre politischen Hintermänner zu Bedrängnissen für die Anhängerkam.Die propagandistische und psychologische politische Haupttendenz der WTG-Tätigkeit in derWeimarer Republik war nicht bloß die Fortsetzung der alten antikommunistischen Politik,eingefügt in die verschiedenen religiösen Lehren. Diedrei vorherrschenden Leitlinien - Liebedienerei dem Kapitalismus gegenüber, offensiveBekämpfung des Kommunismus und Ablenken in sozialpolitisch tatenloses Hoffen auf dieEndzeitillusionen - wurden unter den Bedingungen der Einbeziehung von Kirchen undReligionsgemeinschaften in die antikommunistische USA-Politik seit dem Ersten Weltkriegrigoros verschärft. Ein Hauptmittel dazu war das von Rutherford 1928 verfasste Buch»Regierung«, das man in einer Gesamtauflage von 1 250 000 Exemplaren auf den Markt warf.Einige Auszüge daraus veranschaulichen diese proamerikanische, illusionistische undverschärfte antikommunistische Politik in der WTG-Verkündigung.Zitat:Regierung(Ausriss)Der unbestreitbare NachweisMan sagt, dass von allen Regierungen auf der Erde die der Vereinigten Staaten von Amerikaeiner idealen Regierung am nächsten komme. Kein ehrlicher Mensch, der die Verhältnisse in denVereinigten Staaten kennt, kann aber behaupten, dass ihre Regierung eine zufriedenstellendewäre.Dies sind nur einige der unbefriedigenden Zustände in den Vereinigten Staaten. Es gibt abernoch viel schlimmere Dinge.Ein Mitglied des Senats der Vereinigten Staaten rief öffentlich aus:"Die wichtigste Frage, die an das amerikanische Volk herantritt besteht darin, die Regierung denHänden des Packes von Schwindlern, käuflichen Beamten und gewerbsmäßigen Bestechern derVolksvertreter zu entreißen und in die Hände des Volkes zu legen."Es könnte zugegeben werden, dass die Vereinigten Staaten, wie behauptet wird, die besteRegierung auf der Erde hätten. Aber wenn das wahr wäre, obgleich sie schon so unbefriedigendist, was müsste dann erst von anderen Regierungen, die sich der Volksinteressen noch wenigerannehmen gehalten werden?In der jetzigen Zeit der Bedrängnis und Ratlosigkeit, wo das Volk unter den Lasten ungerechterMenschenherrschaft leidet und nicht weiß, wohin es sich wenden soll, ist den wahrenNachfolgern Jesu eine beispiellose, gesegnete Gelegenheit geboten, das Volk auf den Weg derGerechtigkeit zu leiten, indem es auf Gottes Königreich hingewiesen wird. Nur diese gerechteRegierung allein vermag der Menschheit Hilfe und ewige Freude zu bringen.Die in der Geschichte der Menschheit aufgezeichneten zahllosen leidvollen Erfahrungen vielerJahrhunderte sollten allen Menschen, die bessere Zustände herbeiwünschen, unvergänglicheLehren erteilen. Eine dieser Lehren ist, dass selbst die größten Anstrengungen unvollkommenerMenschen, irgendeinem Lande eine ehrliche und gerechte Regierung zu geben, von vornhereinzum Misserfolg verurteilt sind. Gott hat verheißen, Gerechtigkeit aufzurichten, damit das Volksich einer gerechten Regierung erfreuen könne. Die Zeit ist gekommen, wo Gottes gerechte

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Regierung beginnt. Warum sollte man da den kraft- und fruchtlosen Lehren und Bemühungender Menschen weitere Aufmerksamkeit zuwenden?Gleichzeitig mit dem Weltkriege und hernach brachen Revolutionen aus, die eine Kundgebungdes Verlangens der Völker nach besseren und liberaleren Regierungen waren. SelbstsüchtigeRevolutionäre haben gewöhnlich die Lage des Volkes verschlimmert, anstatt verbessert. EtlicheNationen werden vom Bolschewismus regiert, der insbesondere einen Protest gegen dieRegierung, unter der sie früher leben mussten, darstellt. Jedermann, der die Entwicklung derDinge ruhig und nüchtern beobachtet, weiß wohl, dass der Bolschewismus niemals einezufriedenstellende Regierung für das Volk beschaffen kann. Der Bolschewismus ist zumsicheren und vollständigen Misserfolg verurteilt. Dasselbe muss auch über den Kommunismusgesagt werden. Solche radikalen Bewegungen zur Aufrichtung einer Volksregierung können denVölkern niemals Frieden, Wohlstand und Glück bringen. Viele andre Nationen der Welt fürchtensich sehr vor dem Bolschewismus, und das mit Recht. Irgendeine Regierungsform, die dieRechte und Vorrechte eines Volksteiles verneint, andren aber besondere Begünstigungeneinräumt, wird sicherlich ein unglückliches Ende nehmen. Monarchien sind gegen das Volk hart,grausam und tyrannisch gewesen, aber Bolschewismus und Kommunismus sind noch schlimmerEinführungWenn Sie sich jemals für Politik interessiert haben, wird dieses Buch Ihre Aufmerksamkeitfesseln.Verlagsrecht 1928J. F. RutherfordInternationale Bibelforscher-VereinigungWachtturm Bibel- und Traktat-GesellschaftBrooklyn, New York, U. S. A.Bern, Magdeburg, London, Melbourne, Cape Town etc."Verfolgte Russell im Prinzip noch die Taktik, Kommunismus zwar als eine ideale Sache, abervon Menschen undurchführbar und somit als Illusion hinzustellen, so beginnt Rutherford - wiedie vorstehenden Auszüge zeigen - einen fanatischen Antikommunismus in der WTGVerkündigungaufzuziehen. Er stimmt nunmehr ein in den Chor der kapitalistischen Wahrsagerund Propheten, die die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaftsordnung seit 1917 inRussland bzw. Osteuropa ständig zusammenbrechen sehen und entsprechendenantikommunistischen Hass schüren. Verbunden mit der Propaganda, die Regierung des Kapitalsin den USA sei trotz allem doch »die beste Regierung auf Erden« und alle »Bemühungen derMenschen« um soziale Gerechtigkeit seien »kraft- und fruchtlos«, also sinnlos, reiht sich dieWTG auf diese Weise ein in die »Dammbildung gegen Sozialisierung« im Sinne der vonWarburg formulierten antikommunistischen USA-Politik, mit dem Ziel, in ihrem Einflussbereichdurch Bibelstudien, Versammlungen, Vorträge, Kongresse und massenhafte Literaturverbreitungjede revolutionäre Gesinnung auszurotten.Um das amerikanische Kapital im deutschen WTG-ZweigNachdem die Hitlerregierung die WTG-Tätigkeit im Juni 1933 verboten hatte, trat das USAStateDepartment offiziell zum Schutz der WTG in Deutschland auf den Plan, um wenigstens dasin den deutschen Zweig gesteckte amerikanische Kapital nutzbringend zu erhalten.Das Verbot der Zeugen Jehovas hatte folgende Vorgeschichte. Als Hitler im Januar 1933 dieMacht übernahm, erhob der deutsche katholische Episkopat erneut die Forderung, die WTG inDeutschland aufzulösen. Hierüber ist folgender Bericht veröffentlicht:»Die Auflösung der Sekte, die in Deutschland bereits damals festen Fuß gefasst hatte, erfolgtenicht unter Brüning, obwohl die katholische Kirche in der Brüningschen Zeit darauf drängte. Derallerkatholische Reichskanzler Brüning antworte aber, dass er kein Gesetz hätte, das ihnermächtigte, die Sekte der Ernsten Bibelforscher aufzulösen.Als Adolf Hitler an die Macht gekommen war und der deutsche Episkopat seine Bittewiederholte, sagte Hitler: Diese sogenannten Ernsten Bibelforscher sind Unruhestifter, sie störendas harmonische Zusammenleben der Deutschen, ich betrachte sie als Kurpfuscher, ich dulde

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nicht, dass die deutschen Katholiken durch diesen amerikanischen Richter Rutherford auf einederartige Weise beschmutzt werden, ich löse die Ernsten Bibelforscher in Deutschland auf, ihrVermögen stelle ich der Volkswohlfahrt zur Verfügung, ich lasse ihre sämtlichen Schriftenbeschlagnahmen.« (Deutscher Weg, 29. Mai 1938, zitiert nach: Schau den Tatsachen ins Auge.WTG-Broschüre, deutsch 1938)Hitler hatte sich zur innen- und außenpolitischen Aufwertung seines Regimes in seinerReichstagsrede am 23. März 1933 zu »freundschaftlichen Beziehungen zum Heiligen Stuhl«bereit erklärt, die sodann im Reichskonkordat mit dem Vatikan vom 20. Juli 1933 ihrenNiederschlag fanden. Es ist bereits dargelegt worden, wie sich die WTG in den politischenKampf gegen das Konkordat eingeschaltet hatte. Noch vor dessen Abschluss machte Hitler seineWorte wahr: Am 24. Juni 1933 wurde die Tätigkeit der WTG oder Zeugen Jehovas verboten. DieGunst der mächtigen katholischen Kirche musste hier auf jeden Fall den Vorrang haben, der dieWTG zu opfern war, mochte sie sich sonst gebärden wie sie wollte.Da die WTG jedoch längst auf den Machtantritt durch den Hitlerfaschismus vorbereitet war unddeshalb keinerlei politische Handhabe mehr bot, konstruierten die Nazis auf der Grundlage einesBerichtes des Polizeipräsidenten von Wuppertal politische Falschanklagen:»… Die internationalen Bibelforscher sehen naturgemäß ihren Kampfzielen entsprechend denaus der nationalen Erhebung hervorgegangenen christlichnationalen Staat als einen besondersmarkanten Gegner an, demgegenüber sie die Methoden ihres Kampfes radikal verschärft haben.Dies beweisen die verschiedensten gehässigen Angriffe von führenden Funktionären, die in Wortund Schrift gegen den Nationalsozialismus und seine maßgebenden Vertreter in jüngster Zeitvorgetragen worden sind. (Vgl. Bericht des Polizeipräsidenten von Wuppertal vom 31. 5. 1933 -I Ad. 1 60 001)In Vertretung: gez. Grauert« ((Zürcher, Franz: Kreuzzug gegen das Christentum. Europa-Verlag,Zürich/New York 1938, S. 77)In Wirklichkeit war die WTG tatsächlich unschuldig, was den Kampf gegen den Nazismusbetraf. Man hatte ihr die antifaschistische Tätigkeit einer Gruppe untergeschoben, mit der sienicht das Geringste zu tun hatte: die Tätigkeit der "Wahrheitsfreunde« unter Franz Egle undEwald Vorsteher, die sich von der WTG getrennt hatten. Natürlich versuchte die WTG sofort, ineinem Verwaltungsrechtsprozeß vor dem Oberverwaltungsgericht in Magdeburg dieUnrechtmäßigkeit des Verbots nachzuweisen. Die Nazis ließen es jedoch zu keinem Verfahrenkommen. Der 3. Senat des Magdeburger Gerichts (Staatsminister Dr. Drews) erklärte, gegen dieVerbotsanordnung sei kein Verwaltungsstreitverfahren möglich. Das war am 15. Juli 1933.Jetzt schaltete sich das USA-State Department zugunsten der WTG ein. Martin C. Harbeck, derLeiter des Zentraleuropäischen Büros der WTG in Bern, der in Verbindung zum StateDepartment stand, wies in einem Schreiben vom 28. August 1933 alle deutschen WTGOrtsgruppenan, Ruhe zu bewahren, keine Schriften weiter zu verbreiten, keine Versammlungenabzuhalten und das Verbot vorerst zu respektieren. »Wir wollen gute Bürger des Landes sein«,schrieb Harbeck. Wenn man später, als man einen Sündenbock brauchte, Zweigdiener PaulBalzereit dafür verantwortlich machte, dass die WTG sich diesem Verbot zunächst fügte, so istdas eine Entstellung der Tatsachen, denn diese Weisungen kamen von Rutherfords BeauftragtenM. C. Harbeck. Offensichtlich wollte das USA-State Department keine Aktionen aus den Reihender WTG-Anhänger angesichts der bevorstehenden diplomatischen Schritte zugunsten der WTG.Dies erfolgte am 20. September 1933 in Form einer Protestnote, vom amerikanischenBotschafter in Berlin dem nazistischen Auswärtigen Amt überreicht (Verbalnote Nr. 61 an dasAuswärtige Amt vom 20. 9. 33). Die Note stützte sich auf den deutsch-amerikanischen»Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag« von 1923, Artikel XII, nach dem der WTG inDeutschland Verteidigungsrechte zustanden, die ihr mit dem Entscheid des MagdeburgerOberverwaltungsgerichts verweigert worden waren. Die Antwortnote der Hitlerregierung vom13. November 1933 (Ausw. Amt II A 3495) bestritt jedoch eine Verletzung derdeutschamerikanischenStaatsverträge indieser Sache. Jetzt geriet man in Washington in Harnisch. M. C.

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Harbeck als Mittelsmann und Sonderbevollmächtigter wurde beauftragt, Tatsachenmaterial füreine Klage der USA-Regierung vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof in Den Haag gegendas Deutsche Reich herbeizuschaffen. In der Eingabe des deutschen WTG-Zweigbüros an dasnazistische Innenministerium vom 19. Dezember 1934 heißt es darüber unter »VI.Feststellungsklage beim Schiedsgericht im Haag«, Ziffer 3:Zitat:3.) Noch im Laufe des letzten Monats 1933 gelangte von drüben an einen ständig in Europaweilenden Sonderbevollmächtigten, der amerikanischer Staatsbürger ist, die Anforderung, aufWunsch des State Departments in Washington das erforderliche Tatsachenmaterialzusammenzustellen, da von der Regierung der United States beabsichtigt sei, beimSchiedsgerichtshof im Haag eine Klage gegen das Deutsche Reich anhängig zu machen.Daraufhin übermittelte das USA-State Department am 17. Juli 1934 der Hitlerregierung eineweitere Note mit der Forderung, die amerikanischen Kapitalien und das Vermögen der WTG inMagdeburg freizugeben. Jetzt gab die Hitlerregierung nach. Das nazistische Innenministeriumerließ am 13. September 1934 eine Verfügung, derzufolge die WTG in Magdeburgweiterarbeiten konnte. Die Gestapo musste das Feld räumen. Allerdings wurde nur gestattet,Bibeln und sonstige »unbedenkliche Schriften« zu drucken und zu vertreiben. Es ging dem StateDepartment nur noch um das amerikanische Kapital, das man im deutschen Zweig investierthatte. Wie die WTG jetzt weiterarbeiten würde, war zweitrangig geworden Man hatte sie alspsychologisches Instrument in Deutschland geopfert, denn sie war durch die Machtergreifungdes Hitlerfaschismus und den dadurch ausgelösten Terror gegen alle demokratischen Kräftebedeutungslos geworden. Man konnte auf sie in dieser Sache verzichten. Nachrichtendienstlichwürde man sie jedoch so lange nutzen, wie das irgend möglich sein sollte.Die Intervention der USA-Regierung, um das amerikanische Kapital im deutschen WTGZweigbürofreizubekommen, wird in einer Aufzeichnung des State Departments, KonsulardienstBerlin, vom 26. März 1935 wie folgt festgestellt:Zitat:AMERICAN CONSULAR SERVICEBerlin, den 26. Maerz 1935.AUFZEICHNUNGDie Internationale Bibelforscher Vereinigung ist eine der Wachturm Bibel undTraktatgesellschaft in Magdeburg angegliederte Organisation. Die letztere Gesellschaft istausschließlich von amerikanischem Kapital in Deutschland gegruendet worden, um Bibeln,Traktate und andere religioese Schriften zu drucken.Die Frage der Taetigkeit der Wachtturm Gesellschaft wurde voriges Jahr in Anbetracht dergroßen Investierungen von amerikanischem Kapital in Magdeburg wieder akut. Das Ministeriumdes Innern hat entgegenkommenderweise am 13. September 1934 der Gesellschaft erlaubt,Bibeln und andere unbedenkliche Schriften zu drucken und zu verteilen. Es wurde damals vomMinisterium des Innern und vom Generalkonsulat geglaubt, dass dies leicht moeglich sei und dieGesellschaft in die Lage versetzen wuerde, ihre Anlagen und Kapitalinvestitionen hier nutzbar zumachen. Das Ministerium des Innern ist jetzt der Ansicht, dass dieser Plan nicht durchführbar istund will an Hand von Dokumenten beweisen, dass die Gesellschaft das ihr eingeraeumte Rechtmissbraucht und versucht hat, die Taetigkeit der in Deutschland verbotenen BibelforscherVereinigung zu unterstuetzen."Auf diese Weise ergab sich, dass das WTG-Zweigbüro in Magdeburg noch bis Mai 1935 legalweiter tätig war, während die in der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (IBV)zusammengefasste WTG-Anhängerschaft in Deutschland seit Juni 1933 unter Verbot stand.Mit dieser letzten inoffiziellen Intervention des USA-State Departments für die WTG wirdzugleich die WTG-Propagandalüge bezüglich ihrer Finanzierung widerlegt Bevor Rutherford1932 in seiner »Rechtfertigung« jene verschleierten Eingeständnisse über die Zusammenarbeitder WTG mit den genannten Vertretern des amerikanischen Großkapitals machte, hatte man einJahrzehnt lang die Öffentlichkeit dreist hinters Licht geführt (siehe den Abdruck aus dem Buch

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»Die Harfe Gottes«, WTG-Zweigbüro Barmen, 1922).Zitat:"Woher nehmen Bibelforscher das Geld, da ihre Veranstaltungen alle unentgeltlich sind?Solche, die uns nicht kennen und die Wahrheit nicht lieben, sagen: "Sie bekommen es ausAmerika, oder sie bekommen es von den Juden" usw., das alles ist Unwahrheit! Wir erklärenhiermit öffentlich, dass alle Personen, Zeitungen und Zeitschriften, die solche Nachrichtenverbreiten, mit Unwahrheiten operieren; ihr Beweggrund ist nur, die V. E. B. zu bekämpfen, undweil sie es mit Gottes Wort nicht können, tun sie es mit fleischlichen Waffen der Unwahrheit. (2.Kor. 10, 4-5.) Aber Wahrheit ist, dass Tausende deutscher Bibelforscher - Arbeiter,Dienstmädchen, Beamte, kurz Angehörige aller Stände - ihr übriges Geld nicht für Theater,Vergnügen und Putz verschwenden, sondern für die Verbreitung der Wahrheit uns übergeben.Eine weitere ausführlichere Schrift über Wesen und Zweck der V. E. B. steht zur Verfügung.Was will die Vereinigung Ernster Bibelforscher?Sie will nur eins: Gottes Wort erforschen und verkünden, um so allen, die wollen, zum Glaubenzurückzuverhelfen. Deshalb verkündet sie die Wahrheit um jeden Preis, selbst wenn man siedafür verleumdet und verfolgt."Dem steht die Aufzeichnung des USA-State Departments entgegen, wonach die WTG inDeutschland nach dem Ersten Weltkrieg »ausschließlich von amerikanischem Kapital«gegründet wurde.In der Eingabe der WTG an das nazistische Innenministerium vom 19. Dezember 1934 wird dieSumme dieser amerikanischen Kapitalien mit 4 000 000 Mark beziffert. Ihre Freigabe durch denErlass vom 13. September 1934 währte jedoch kaum ein Jahr. 1935 - in diesem Jahr lief auch derdeutsch-amerikanische »Freundschafts-, Handels- und Konsularvertrag« aus - wurde dasVermögen mit der Auflösung des Zweigbüros in Magdeburg endgültig beschlagnahmt. Imgleichen Jahr unternahm die Hitlerregierung mit der Erklärung der »Wehrhoheit« und derWehrpflichteinführung auch die ersten größeren Schritte zur Verwirklichung der eigenenaggressiven, räuberischen Pläne. Die WTG musste in diesem Konkurrenzkampf in Deutschlandauf der Strecke bleiben.Interessant ist die ideologische Auswirkung der Auflösung des deutschen Zweiges und desVerlustes seiner Kapitalien auf die WTG-Führung in Brooklyn, New York. Man geriet in eineförmliche Weltuntergangsstimmung, wie die Äußerungen des alternden Rutherfords zeigen. Ervertrat nämlich die Auffassung, dass, wenn mit dem Verbot »das Werk in Deutschland zu Endewäre, der große Schlusskampf zwischen Jehova Gott und der Organisation Satans des Teufelsnahe wäre«. (Dein Name werde geheiligt. WTG Wiesbaden 1963, S. 319) Diese Auffassungwurde bereits bei der Erörterung der Deutung von »Harmagedon« in der dritten Versionbehandelt. Das Ende der WTG in Deutschland stützte sie somit in eine neue existentielleweltanschauliche Krise.Die WTG hatte damit zum zweiten Mal zu spüren bekommen, dass ihre Existenz fastausschließlich von den Kräften abhängig geworden war, denen sie sich politisch verschriebenhatte. Die Kreise in den USA, die ihr aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen nach dem ErstenWeltkrieg ein Wiederaufleben in Deutschland ermöglicht hatten, ließen sie sofort wieder fallen,als ihr Ziel, Kräfte gegen die erstarkende Arbeiterschaft in Deutschland zu mobilisieren, erreichtwar. Es lag in der Konsequenz der Sache, dass der deutsche WTG-Zweig dem Hitlerfaschismus,dessen Terror genügend Sicherheit gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung zu bieten schien,geopferte wurde, so dass man schließlich nur noch um das amerikanische Kapital, das hierinvestiert war, handelte.Wie die WTG in diesem Zusammenhang vom USA-State Department nachrichtendienstlichgenutzt wurde, mag an den folgenden Einzelheiten deutlich werden.Die Vorgänge um den deutschen WTG-Zweig in den Jahren 1934/35 machen sichtbar, dass dieWTG auch in ihren ausländischen Zweigstellen Verbindung zum USA-State Department hat,denen von dort Weisungen erteilt werden. Ein solcher Mann war Martin C. Harbeck, einAmerikaner, Leiter des Zentraleuropäischen WTG-Büros in Bern. Hier ist seine vom Hauptbüro

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in Brooklyn ausgefertigte Visitenkarte:Zitat:"M. C. HARBECKGeneral RepresentativeWATCH TOWER BIBLE & TRACT SOCIETYHead Office:Brooklyn, N. Y., U. S. A.Central European Office:Allmendstr. 39 - Tel. 24034Berne, Switzerland"Harbeck war mehr als nur WTG-Diener. Er wurde z. B. vom State Department beauftragt, imHinblick auf den Ablauf des deutsch-amerikanischen »Freundschafts-, Handels- undKonsularvertrages« und etwaige neue deutsch-amerikanische Regierungsverhandlungenpolitische Informationen einzuziehen und nach Washington zu übermitteln. Man lese denfolgenden Auszug aus der Eingabe des deutschen WTG-Zweigbüros an das nazistischeInnenministerium vom 19. Dezember 1934:Zitat:"VII. Neue Vertragsverhandlungen zwischenDeutschland und den Vereinigten Staaten.1.) Der deutsch-amerikanische "Freundschafts- Handels- und Konsularvertrag" von 1923 wurdeim Jahre 1925 ratifiziert. (RGBL II Nr. 38/1925 S. 795).4.) Zweifellos haben beide Regierungen aber den Wunsch, neue Vertragsabmachungen zuschließen und zieht in allen konkreten Fällen die U. S. A.-Regierung offenbar für neueVertragsverhandlungen Informationen ein. Wir entnehmen dies einer an den amerikanischenSonderbevollmächtigten unserer Gesellschaft gerichteten Aufforderung unserer Vertretung inWashington, genaue Feststellungen über die augenblicklichen Tätigkeitsmöglichkeiten derGesellschaft in Deutschland und der Rechte auf Tätigkeit, die der Gesellschaft eingeräumt sind,zu übermitteln unter besonderer Berücksichtigung des Art. XII des deutsch-amerikanischenHandels- und Konsularvertrages.5.) Jedenfalls haben wir aus dieser Erkundigung und dem Umstand, dass dieselbe demSonderbevollmächtigten nicht vom Sitz des Präsidiums unserer Gesellschaft von Brooklyn,sondern von Washington aus zuging, entnommen, dass man vielleicht in WashingtonInformationen wünscht über Verhältnisse, wie sie hinsichtlich der in Deutschland tätigenGesellschaften amerikanischer Provenienz vorliegen und glauben wir uns verpflichtet, diedeutsche Regierung hiervon in Kenntnis zu setzen.Hier zeigt sich die WTG eindeutig als Informant eines staatlichen Organs in Washington; dieInformationen betreffen die nazistische Innenpolitik und Möglichkeiten des Abschlusses neuerStaatsverträge zwischen den USA und Hitlerdeutschland, ein im höchsten Maße weltlichesEngagement im Interesse der USA-Politik. Allerdings war das jetzt umsonst, dennHitlerdeutschland hatte begonnen, alle für die eigenen imperialistischen Pläne hinderlicheninternationalen Bindungen abzuschütteln. Das hatte die WTG ja direkt zu spüren bekommen.Aber so einfach gaben die USA ihre Positionen in Deutschland nicht auf, auch nicht dieWTGPosition,hatte man doch durch sie z. B. sogar zu dem Hitlerverteidiger von 1924 einen Kontakt.Man musste nur die Arbeit der WTG und der von ihr geleiteten Zeugen Jehovas auf Illegalitätumstellen. Hier könnten sich bei geschicktem Operieren sogar neue Möglichkeiten für dasNachrichteninteresse der USA-Stellen ergeben. Und das würde zudem billiger sein als mitbezahlten Verbindungsleuten, wenn man an die Spendenbereitschaft unter den Zeugen Jehovasfür die ihnen vorgesetzten »Diener« denkt. Dazu kommt der Vorteil, dass das WTG-Werk vonunten her auf nahezu bedenkenlosem Gehorsam gegenüber diesen »Dienern« beruht, bedingtdurch deren religiöse Autoritätsansprüche. Wie die Erfahrung zeigte, konnte man auf dieseWeise ahnungslos gehaltene Menschen zu vielem missbrauchen, von der einfachen

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Nachrichtenübermittlung bis zur Gehorsamsverweigerung gegenüber der staatlichenRechtsordnung man musste nur die Bibel entsprechend zurechtdeuten. Den praktischen Beweisliefern die Obrigkeitsbibeldeutungen der WTG. Und sie hatte es bisher geschickt verstanden, diepolitischen Hintergründe, der Verfolgungen ihrer Anhänger stets zu verschleiern und dieseglauben zu machen, sie litten »um des Evangeliums willen«. Auf diese Weise würde man jetztauch in Deutschland verfahren und die Anhänger bis zur Selbstaufgabe im Einsatz für die WTGanspornen. Die bedauerliche Gutgläubigkeit der Anhängerschaft, gepaart mit der traditionellendeutschen Gründlichkeit, sollte hier zu tragischen Ergebnissen führen.Die Sicherung der Interessen des USA-State Departments bei der illegalen Fortführung desdeutschen WTG-Zweiges wurde indessen wie folgt gewährleistet. Nach dem die deutscheWTGLeitung-Paul Balzereit, Hans Dollinger und andere im Mai 1935 verhaftet worden war, setzte derSonderbevollmächtigte Rutherfords, M. C. Harbeck, den Berliner Bezirksdienstleiter FritzWinkler als neuen WTG-Vertreter in Deutschland ein. Harbeck war nach der VerhaftungBalzereits sofort nach Brooklyn, New York, gefahren um die Neuregelung zu arrangieren. ImJuli 1935 kam er wieder zurück, setzte Winkler ein und beauftragte ihn, sämtliche Berichte,Nachrichten und Informationen aus der illegalen deutschen WTG-Organisation nunmehr derZweigstelle des USA-State Departments in Deutschland, dem amerikanischen Konsulat inBerlin, zur Weiterleitung über Bern nach den USA zuzustellen. In einem Dokument dernazistischen Geheimen Staatspolizei vom 28. August 1936 mit der Vernehmungsniederschriftdes Winkler vom 24. August 1936 wird dieses Zusammenspiel der WTG mit demamerikanischen Konsulat bestätigt.Zitat:"Preußische Geheime StaatspolizeiGeheimes StaatspolizeiamtDer Politische Polizeikommandeur der LänderII I B I - S 1035/36Berlin, den 28. August 1936.1483An alle Staatspolizeistellen und Politischen Polizeien der Länder- nachrichtlich den Herren Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten in Preußen.Betr.: Internationale Bibelforschervereinigung.Anl.: 2 Blattsammlungen und 2 Pausskizzen sowie einige rote und grüne Gutscheine.In der Anlage übersende ich zur Kenntnisnahme Abschrift der Vernehmungsniederschrift desIBV-Mitgliedes Winkler v. 24. 8. 1936Über das Ergebnis ist fortlaufend und ausführlich unter Beifügung der wesentlichenVernehmungsniederschriften zu berichten.In Vertretung: gez. …Geh. Staatspolizei. Geheimes StaatspolizeiamtBeglaubigt: Kanzleiangestellte.Harbeck wünscht, dass ich ständig mit den deutschen BDL. in Verbindung bleibe. Außerdemsollte ich aus ganz Deutschland etwa alle Vierteljahre einen Bericht über den Umsatz anLiteratur, über eingegangene Gelder und besonders bemerkenswerte Angelegenheiten anfertigen.Um die Berichte in die Hände des Harbeck gelangen zu lassen, wurde ich beauftragt, diese überdas Amerikanische Konsulat gehen zu lassen. Ich habe die Berichte in einem verschlossenenBriefumschlag eingelegt und diesen wiederum mit einem Umschlag versehen. Auf diesen schriebich:Herrn oder Mr. Jenkins Amerikanisches Konsulat,B e r l i n W., Bellevuestr. 8,mit der Bitte, den inliegenden Brief in Sachen Watch Tower nach Bern weiterzuleiten.Ich nehme bestimmt an, dass die Briefe im Bibelhaus angekommen sind, denn sie sind niereklamiert worden."

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Die Aussagen Winklers beweisen, dass Harbeck nicht nur in Brooklyn war, um dieNeuregelungen für die Illegalität in Deutschland festzulegen. Denn die Einbeziehung desamerikanischen Konsulats in Berlin zur Sicherung der WTG-Nachrichtenübermittlung ausDeutschland konnte nicht ohne Weisung des USA-State Departments erfolgen. Man hat dieganze Sache also in erster Linie mit der USA Regierung in Washington ausgehandelt. Auf dieseWeise konnten die Berichte des illegalen deutschen WTG-Zweiges Deutschland verlassen, derfür das State Department interessante Teil nach Washington weitergeleitet werden und der reindie Organisation der Zeugen Jehovas betreffende Teil ungefährdet nach Bern bzw. Brooklyn,New York, gelangen, da die diplomatischen Wege der USA-Regierung aus Deutschland für dieNazis unzugänglich waren.Dieser Verbindungsweg konnte bis zur Verhaftung Fritz Winklers im August 1936 genutztwerden. Zu dieser Zeit begann die erste große Aktion der Gestapo zur Zerschlagung der illegalenWTG-Organisation in Hitlerdeutschland. Das zog sich bis 1937 hin. Damit brachte die Gestapoder WTG empfindliche Schläge bei, aber nicht nur dieser, sondern auch dem Nachrichtennetzdes State Departments in Washington. Der illegale Apparat der WTG musste mühseligwiederaufgebaut werden, was nur teilweise bzw. immer nur für Teilgebiete Deutschlands gelang.Die Rettung der WTG -Zentrale in BernHauptstützpunkt des WTG-Hauptbüros in Brooklyn, New York, auf dem europäischen Festlandblieb die ganze Nazizeit hindurch das Zentraleuropäische Büro in Bern, Schweiz, das mit derUSA-Botschaft in Bern in Verbindung stand, wie die Berichtsübermittlung aus Deutschland seit1935 über das amerikanische Konsulat in Berlin nach Bern und den USA deutlich macht.1942/43 jedoch geriet auch dieser Stützpunkt der WTG in ernstliche Gefahr. Ein ÜberfallHitlers, der inzwischen fast ganz Europa militärisch besetzt hatte, schien auch die Schweiz zubedrohen. In dieser Situation war die Schweiz gezwungen, die militärischen Kräfte des Landesbis aufs äußerste anzuspannen. Das schloss selbstverständlich ein, jede Schwächung derWehrkraft des Volkes zu unterbinden. Eine der ersten Organisationen, gegen die Maßnahmenergriffen wurden, war die WTG und ihr Zentraleuropäisches Büro in Bern; gehörte doch zu denverkündigten WTG Grundsätzen unter anderem auch absolute Wehr- undMilitärdienstverweigerung. Das musste jetzt für die Schweiz angesichts der faschistischenBedrohung untragbaren und staatsgefährdenden Charakter annehmen. Der Verantwortliche fürdie WTG in der Schweiz, Franz Zürcher, seit 1940 Nachfolger von M. C. Harbeck, wurdedeshalb der »Untergrabung der militärischen Disziplin« und der »Zuwiderhandlung gegen dasVerbot staatsgefährdender Propaganda« angeklagt und am 16. April 1943 zu einem JahrZuchthaus und fünf Jahren Ehrverlust verurteilt. Das hätte das Ende der WTG in der Schweizbedeutet. Doch der neue WTG-Präsident in Brooklyn, N. H. Knorr, wies Zürcher an, politischeKompromisse zu schließen, um die Zentrale in Bern unter allen Umständen zu erhalten. Zürcherschreibt in einem Bericht im »Wachtturm« vom 1. März 1966 darüber:Zitat"1. März 1966 Der WACHTTURMVorwärts im Dienste JehovasVon Franz Zürcher erzähltMir werden vier Delikte zur Last gelegt.Zwei der Anklagen lauten auf "Untergrabung der militärischen Disziplin und Zuwiderhandlunggegen das Verbot staatsgefährlicher Propaganda".Mein Urteil lautet auf zwei Jahre Zuchthaus. Unser Anwalt legt jedoch unverzüglich Berufungein, und am 16. April 1943 fällt das Berufungsgericht den Entscheid. Mein Urteil lautet nun aufein Jahr Zuchthaus bedingt und auf fünf Jahre Aberkennung gewisser bürgerlicher Ehrenrechte.Der Ausgang dieses Prozesses wirkt sich günstig aus, und es gelingt uns zu vermeiden. dass dasWerk verboten wird.Bruder N. H. Knorr, der neue Präsident der Gesellschaft, hat mir schon vorher geschrieben, ichsolle mein möglichstes tun, um das Werk in unserem Land aufrechtzuerhalten, damit nachKriegsschluss die Verbindung mit unseren Brüdern auf dem Festland rasch wieder aufgenommen

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werden könne."Zürcher verschweigt jedoch, was sein »Möglichstes« war um die WTG damals zu retten - es wardie Preisgabe des Grundsatzes der Militärdienstverweigerung. Man lese die folgende Erklärungdes Berner WTG-Büros vom 15. September 1943 nach der Verurteilung Zürchers in derZeitschrift »Trost« (früher »Das Goldene Zeitalter«, jetzt »Erwachet«) vom 1. Oktober 1943, Nr.505.ZitatTrostErklärungJeder Krieg bringt namenloses Leid über die Menschheit. Jeder Krieg bringt Tausende, jaMillionen von Menschen in schwere Gewissensnot. Das gilt besonders auch vom jetzigen Krieg,der keinen Erdteil verschont und in der Luft, zu Wasser und zu Lande ausgetragen wird. Es istunvermeidlich, dass in solchen Zeiten nicht nur einzelne Menschen, sondern auchGemeinschaften aller Art ungewollt verkannt oder auch bewusst falsch verdächtigt werden.Auch uns Zeugen Jehovas ist dieses Schicksal nicht erspart geblieben. Wir werden als eineVereinigung hingestellt, die bezwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sei, "die militärischeDisziplin zu untergraben, insbesondere Dienstpflichtige zum Ungehorsam gegen militärischeBefehle, zur Dienstverletzung, zur Dienstverweigerung oder zum Ausreißen zu bewegen oder zuverleiten."Eine solche Auffassung kann nur vertreten, wer Geist und Wirken unserer Gemeinschaft völligverkennt oder sie wider besseres Wissen böswillig entstellt.Wir stellen ausdrücklich fest, dass unsere Vereinigung weder gebietet noch empfiehlt, noch sonstin irgendeiner Weise nahelegt, gegen militärische Vorschriften zu handeln. Derartige Fragenwerden weder in unseren Versammlungen noch in den von der Vereinigung herausgebenenSchriften behandelt. Wir beschäftigen uns überhaupt nicht mit solchen Fragen. Wir erblickenunsere Aufgabe darin, für Jehova Gott Zeugnis abzulegen und allen Menschen die biblischeWahrheit zu verkündigen. Hunderte unserer Mitglieder und Glaubensfreunde haben ihremilitärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin.Wir haben uns nie angemaßt und werden uns nie anmaßen, in dieser militärischenPflichterfüllung eine Zuwiderhandlung gegen die Grundsätze und Bestrebungen der VereinigungJehovas Zeugen, wie sie in ihren Statuten niedergelegt sind, zu erblicken. Wir bitten alle unsereMitglieder und Glaubensfreunde, bei der Verkündigung der Botschaft vom Königreiche Gottes(Matthäus 24: 14) sich nach wie vor streng auf die Verkündigung der biblischen Wahrheiten zubeschränken und alles zu vermeiden, was Anlass zu Missverständnis geben oder gar alsAufforderung zum Ungehorsam gegen militärische Vorschriften missdeutet werden könnte.Vereinigung Jehovas Zeugen der SchweizDer Präsident: Ad. GammenthalerDer Sekretär: D. WiedemannBern, den 15. September 1943.Consolation - German editionSemi-monthly - HalbmonatlichVol. XXI, Nr. 505Die Nummer: 20 Rp.Bern 1. Oktober 1943."Diese WTG-Erklärung bewirkte, dass die Schweizer Zentrale in Bern nicht aufgelöst wurde. Dervon Zürcher angegebene Hauptgrund für die gemäß den Weisungen Präsident N. H. Knorrsvollzogene Preisgabe der Grundsätze der Militärdienstverweigerung, nach dem Kriege dieVerbindungen zu den Zeugen Jehovas in den anderen Ländern schnell wiederherstellen zukönnen, ist völlig unglaubwürdig. Natürlich war auch der WTG daran gelegen, ihr Werk in derSchweiz zu erhalten. Aber war das Werk in Deutschland nicht bedeutender gewesen, und hatteman hier die Grundsätze der Militärdienstverweigerung preisgegeben? Im Gegenteil, die WTGließ es zu, dass zahlreiche ihrer Anhänger in Hitlerdeutschland als Militärdienstverweigerer

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hingerichtet wurden. In der Schweiz tat man das nicht. Es gab da noch einige politischeHintergründe.Das WTG-Zentralbüro in Bern wurde offenbar vom USA-State Department in Washingtonweiter als Nachrichtenquelle in Europa gebraucht und durfte deswegen unter keinen Umständenauch noch geopfert werden, war es doch der letzte Stützpunkt dieser Art inmitten des vomFaschismus beherrschten Westeuropa. Im November 1942 war als Chef des amerikanischenGeheimdienstes »Office of Strategic Services« (OSS) Allan Welsh Dulles mit seiner Dienststellein die Schweiz gekommen. Er wurde dem amerikanischen Gesandten in der Schweiz alspersönlicher Mitarbeiter zugeteilt. Seine Hauptaufgabe indes war die Verbindung mit den inHitlerdeutschland wirkenden Untergrundorganisationen auch religiöser Art, so dass es am Endekaum noch etwas gab, was Dulles in dieser Hinsicht nicht betrieb. (Dulles, Allan W.: ImGeheimdienst. Econ-Verlag, Düsseldorf/Wien 1963, S. 17, 43, 62f.) Das Zusammenspiel derWTG mit der amerikanischen Gesandtschaft in, Bern und ihrem diplomatischen Dienst wurdedurch die Verbindung Fritz Winklers als erstem Leiter der deutschen WTGUntergrundorganisationzur Dienststelle des USA-State Departments in Berlin veranschaulicht.Bezeichnend ist, wie Präsident N. H. Knorr nach dem Kriege seine Verantwortung für dieKriegsdiensterklärung des Schweizer Büros von 1943 auf die einfachen WTG-Anhängerabwälzte. Man lese den folgenden Bericht im »Wachtturm« vom 15. Januar 1948 über den erstenKongress der WTG mit N. H. Knorr in der Schweiz 1947:Zitat:"Sie werden wissen, dass ich Jehova bin"Hesekiel 35:15Der WACHTTURM51. JahrgangMagdeburg 15. Januar 1948 Nr. 2Zum Beispiel nahm es das Schweizer Büro auf sich, in der Ausgabe des Trost vom 1. Oktober1943 (Schweizer Ausgabe von Consolation), also während der zunehmenden Bedrängnis desletzten Weltkrieges, als die politische Neutralität der Schweiz bedroht zu sein schien, eineErklärung zu veröffentlichen, in welcher ein Satz wie folgt lautete: "Hunderte unserer Mitgliederund Glaubensfreunde haben ihre militärischen Pflichten erfüllt und erfüllen sie weiterhin." Dieseeinlullende Erklärung hatte sowohl in der Schweiz als auch in gewissen Teilen FrankreichsBeunruhigung hervorgerufen. Unter herzlichem Beifall legte nun Bruder Knorr als Präsidentmutig dar, dass diese Worte der Erklärung abgelehnt werden, weil sie nicht die Stellung derGesellschaft dartun und nicht in Harmonie sind mit den christlichen Grundsätzen, wie sie in derBibel deutlich enthalten sind. Jetzt war die Zeit für die Schweizer Geschwister gekommen, vorGott und seinem Christus ein Bekenntnis abzulegen, und als Antwort auf Bruder KnorrsEinladung, sich zu äußern, erhoben viele Geschwister die Hand um alle Zuschauenden wissen zulassen, dass sie ihre stillschweigende Zustimmung zu dieser Erklärung von 1943 zurückziehenund diese in keiner Weise mehr zu unterstützen wünschen."Offenbar erhoben nicht alle die Hand in diesem nachträglichen Reinwaschungsschauspiel desWTG-Präsidenten, hätte man doch in Wirklichkeit das Hauptbüro der WTG in Brooklyn der»stillschweigenden Zustimmung«, mehr noch, der Hauptverantwortung anklagen müssen, war esdoch N. H. Knorr selbst gewesen, der den Leiter des Berner Büros, Franz Zürcher, anwies, das»Möglichste« zu tun, um das Büro vor einer Auflösung durch die Schweizer Behörden zubewahren. Statt dessen spielt sich Knorr hier als »mutiger« Kläger und Richter über dieoffensichtlich unschuldigen Anhänger auf, die in dem undemokratischen System dersogenannten theokratischen WTG-Ordnung im Prinzip nicht das geringste zu entscheiden haben,was die Lehren und Grundsätze der WTG betrifft. Das ist hinreichend bewiesen.Warum hat N. H. Knorr nicht sofort die fragliche Erklärung von 1943 als »einlullend«zurückgewiesen, sondern sie bis Kriegsende gelten lassen? Weil es damals für die WTGzweckmäßiger war, wenn ihre wehrpflichtigen Anhänger Militärdienst leisteten und so ihr Lebenriskierten. Man sieht, wie das Leben ihrer Anhänger im Grunde genommen nur ein Spielball im

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politischen Auf und Ab der WTG-Tätigkeit ist.

Mit Hilfe der amerikanischen Militärregierung in WiesbadenZu Beginn dieses Kapitels wurde unter anderem der Deutschlandexperte der USA-Regierung,James Paul Warburg, zitiert, und zwar seine maßgeblichen Äußerungen über die Einbeziehungvon Kirchen und Religionsgemeinschaften in die Pläne der »Dammbildung gegen dassowjetische Sozialisierungsstreben«. Es soll nun gezeigt werden, dass die WTG nach 1945 imRahmen dieser USA-Politik in Deutschland, das wieder zu einem Brennpunkt der Weltpolitikwurde, eine noch mächtigere Stellung erhielt, als es in der Weimarer Republik der Fall war, eineStellung, die nur auf dem Wert der Tätigkeit der WTG für amerikanische Interessen beruhenkonnte.Im September 1945 versammelten sich in Magdeburg einige deutsche »Beamte« der WTG - wiesie ihre leitenden Mitarbeiter auch bezeichnet, die die nazistische Verfolgung überlebt hatten undaus den Konzentrationslagern befreit worden waren. Ihre Aufgabe war, den deutschen WTGZweigwieder ins Leben zu rufen. Sie bildeten ein Komitee von sieben Personen unter Leitungvon Erich Frost, dem letzten nach der Verhaftung Fritz Winklers 1936 von WTG-PräsidentRutherford in Luzern, Schweiz, eingesetzten deutschen Zweigdiener bzw. »Reichsdiener«.Nachdem man in Magdeburg, Otto-von-Guerickestr. 50, ein provisorisches Büro eingerichtethatte, ging Frost sofort nach Westdeutschland und errichtete in Zusammenarbeit mit deramerikanischen Militärregierung in Wiesbaden ein weiteres Büro in Wiesbaden-Dotzheim, dasin der Folgezeit das eigentliche deutsche Zweigbüro wurde. Frost nahm auch sofort Verbindungmit dem Hauptbüro in Brooklyn auf und erhielt noch 1945 über das Berner WTG-Büro eineprovisorische Vollmacht von Präsident Knorr zur Leitung der neu anlaufenden WTG-Tätigkeit inganz Deutschland.Auf den ersten Blick sieht die Zusammenarbeit mit der amerikanischen MilitärregierunginWiesbaden um das WTG-Werk in Deutschland wiedererrichten zu können, harmlos aus, dennschließlich musste das, wie überall, unter Konsultierung der zuständigen Behörden vor sichgehen. In Magdeburg ließ Frost demzufolge mit der sowjetischen Besatzungsmacht zwecksWiedereröffnung des ehemaligen Zweigbüros verhandeln. Der Unterschied bestand nur darin,dass die WTG über die amerikanische Militärregierung in Wiesbaden wieder unter die Fittichedes USA-State Departments genommen wurde, während man die sowjetischenBesatzungsbehörden hinsichtlich der politischen Pläne und Absichten der WTG hinters Licht zuführen suchte.Zunächst soll dargelegt werden, was Frost mit Hilfe der amerikanischen Militärregierungzustande brachte, soweit es aus seinem ersten Bericht im WTG-Jahrbuch 1947 hervorgeht. Frostschreibt:»Am 13. Januar 1946 durfte ich am Sender Stuttgart den ersten Rundfunkvortrag halten …Der Münchener Sender folgte rasch nach. Dort sprach ich am 14. Februar zum ersten Male …Wenn wir bedenken, dass München die Hochburg des Bayrischen Katholizismus ist und dass wirzudem in der Vergangenheit in Deutschland nie Gelegenheit hatten, über Rundfunk zu sprechen,so bedeutet das einen gewaltigen Sieg der Wahrheit über die Bollwerke der Religion in diesemLande.Am 14. Februar überreichte man mir das von der amerikanischen Militärregierung ausgestellteDokument für die Druck- und Verlagslizenz … Anlässlich eines Besuches bei derMilitärregierung erfuhr ich, dass amerikanische Offiziere eine Druckerei für die Watch Towersuchten. Und wenige Tage später durfte ich mit einigen Brüdern nach Karlsruhe fahren unddaselbst eine den Nazis weggenommene Druckerei in kommissarische Verwaltung übernehmen.Was hatte der Herr in diesen wenigen Wochen für uns getan! Wie machtvoll hatte er sein Werkvorangetrieben!« (Jahrbuch 1947 der Zeugen Jehovas. WTG Bern, S. 112ff)In der Tat, die USA-Militärbehörden erfüllten Warburgs Worte auch in diesem Falle vorbildlich.Sogar der Rundfunk wurde der WTG in Westdeutschland zur Verfügung gestellt, eineMöglichkeit, die es in der Weimarer Republik nie gab, wie Frost in Erinnerung an die

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Auseinandersetzungen mit dem Bayrischen Katholizismus überheblich und triumphierendfeststellt.Frosts Schwärmerei, »der Herr« habe das WTG-Werk »machtvoll vorangetrieben« ist jedochnichts weiter als eine auf die Mentalität der Zeugen Jehovas zugeschnittene Ablenkung von deneigentlichen Kräften, die der WTG nach 1945 in Westdeutschland die Wege bahnten, weil siesich davon wieder einen politischen Nutzen versprachen. Und im übrigen entsprachen FrostsPhrasen gar nicht der Wahrheit, denn auch andere Religionsgemeinschaften blühten nach 1945mit Hilfe der amerikanischen Besatzungsmacht wieder auf, so dass es religiöser Unsinn ist, hiervon einer besonderen »Gunst des Herrn« zu sprechen. Es war die Gunst des USA-StateDepartments im Rahmen der von Warburg umrissenen amerikanischen Religionspolitik inDeutschland, die Frost emporhob und amerikanische Offiziere nach einer Druckerei »für dieWatch Tower« suchen ließ.Das State Department trat jetzt auch selbst wieder in Erscheinung. Offenbar versuchte Frostschon 1945, mit Präsident N. H. Knorr zusammenzutreffen. »Du weißt und kennst die Umstände,welche eintraten um das zu verhindern«, schreibt Frost an Knorr darüber. Offensichtlich hatteman sich in Washington noch nicht entschieden. Erst am 25. Juni 1946 unterzeichnete das StateDepartment die von WTG-Präsident N. H. Knorr ausgefertigte endgültige Vollmacht für das Amtdes neuen deutschen Zweigdieners in der Person Erich Frosts. Frost berichtet darüber in seinembehördlichen Lebenslauf:Zitat:"Erich F r o s tMagdeburg, Leipzigerstr. 16LebenslaufAls Sohn des Buchdruckers und Schriftsetzers Hugo Julius Frost wurdeich Erich Hugo F r o s tam 22. Dezember 1900 in Leipzig geborenNach fast 9-jähriger Gefangenschaft aus dem Konzentrationslager befreit nahm ich unverzüglichmeine Tätigkeit als Zeuge Jehovas wieder auf und wurde durch den gegenwärtigen PräsidentenN. H. Knorr, Brooklyn USA, zunächst durch eine Schweizer Vollmacht vom Jahre 1945, späterjedoch durch eine von der amerikanischen Regierung in Washington beglaubigte Original-Vollmacht vom 25. Juni 1946 zum Bevollmächtigten der Watch Tower Bible and Tract Societyund ihrer gesamten Tätigkeit für alle vier Besatzungszonen Deutschlands ernannt."Damit war der deutsche WTG-Zweig wie früher dem USA-State Department in Washingtonunterstellt, und das alte Zusammenspiel konnte wieder seinen Lauf nehmen. Nachdem unterLeitung von Frost und mit Hilfe der USA-Besatzungsmacht das WTG-Werk in Deutschlandwieder auf die Beine gestellt war, gestattete das State Department der Brooklyner WTG-Leitungden ersten Nachkriegsbesuch in Westeuropa. Es geschah im Verlauf dieser Reise, dass Knorr inder Schweiz die Kriegsdiensterklärung von 1943 widerrufen ließ. Im Mai 1947traf er daraufhinmit seinem Sekretär M. G. Henschel und dem juristischen Berater des WTG-Hauptbüros H. C.Covington, Mitglied der Staatsanwaltschaft von Texas und des New YorkerStaatsanwaltschaftsverbandes, in Westdeutschland ein. (H. C. Covington ist seit 1964 auf Grundvon Differenzen mit Präsident N. H. Knorr aus der WTG ausgeschlossen (Listen der ordiniertenWTG-Sonderdiener, Jahrbücher 1963 und 1964). Der Besuch stand unter strenger Kontrolle deramerikanischen Militärregierung. Die Besucher mussten sich im Quartierbüro derUSAHeeresluftwaffeanmelden und erhielten von dort ihre Quartiere in einem Wiesbadener Hotel füramerikanische Heeresoffiziere. Normalerweise hätten sie bei irgendwelchen Glaubensbrüdernwohnen müssen. Im Reisebericht: des »Wachtturm« vom 1. Februar 1948 kann man darüberfolgendem lesen.Zitat:"Sie werden wissen dass ich Jehova bin"Der WACHTTURM

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41. Jahrgang Halbmonatlich Nr. 31. Februar 1948MAGDEBURGZentraleuropaDie drei Amerikaner, N .H. Knorr, Präsident der Watch Tower Bible & Tract Society, seinSekretär, M. G. Henschel, und der Rechtsberater der Gesellschaft, H. C. Covington, sahen ihrerAnkunft in Frankfurt, wo das Flugzeug die erste und einzige Landung in Deutschland vornahm,erwartungsvoll entgegen. Seit 1933 hatte kein amerikanischer Beamter. der Gesellschaft diedeutschen Geschwister mehr besucht.Gleich nach Ankunft im Zentrum Wiesbadens meldeten sieh die drei Reisenden im (Besucherund)Quartierbüro der Heeres-Luftwaffe an. Dort wurde ihnen ihr Ouartier zugewiesen. Siekamen in ein Hotel für Heeresoffiziere, in das Hotel "Zum Schwarzen Bock". Ferner wurdeihnen das Vorrecht eingeräumt, in der Offiziers-Kantine des Hotels zu essen.Bruder Covington wurde von Bruder Wauer von der Rechtsabteilung des Magdeburger Bürosder Gesellschaft und einem Dolmetscher am Bahnhof begrüßt. Nachdem er sich auf dem Militär-Reisebüro in Berlin angemeldet hatte, erhielt der Reisende in einem Hotel, das von der Armeeder Vereinigten Staaten geleitet wird, seine Quartieranweisung."Für die Zeugen Jehovas wurden zu diesem Besuch die üblichen großen Kongresse veranstaltet.Eine interne Hauptaufgabe der drei Besucher aus den USA neben Inspektion und weiterenAnleitung fürden deutschen WTG-Zweig war indessen, im Rahmen der wieder anlaufendenWTG-Tätigkeit in Deutschland auch den Nachrichtendienst wieder aufzubauen, der durch dienazistische Verfolgung zerschlagen worden war. Zu diesem Zweck nahm H. C. Covington mitden amerikanischen Armee-Nachrichtendienststellen in Wiesbaden und Frankfurt (Main)Verhandlungen auf. Es wurde vereinbart, die gesamte WTG-Berichterstattung aus Deutschlandfür das Hauptbüro in Brooklyn über die amerikanische »Militärpost«, d. h. durch den Militär-Nachrichtendienst und damit durch den amerikanischen Geheimdienst nach den USA zuübermitteln. Im »Wachtturm« Bericht vom 15. Februar 1948 heißt es über die diesbezüglichenVerhandlungen Covingtons: mit den Dienststellen der US-Armee:Zitat:"Sie werden wissen, dass ich Jehova bin".Hesekiel 35:1553. Jahrgang HalbmonatlichBERN 15. Februar 1948 Nr. 4Zentraluropa (Fortsetzung und Schluss) 60ZentraleuropaEs wurde über das Recht verhandelt, auf schnellerem Wege die Korrespondenz durch dieMilitärpost nach Brooklyn befördern zu können sowie über die Benutzung der Kabellinienzwecks Telegrammen nach dem amerikanischen Hauptbüro. Vereinbarungen, die mit denMilitärbehörden in Wiesbaden und Frankfurt getroffen worden waren, wurden bestätigt, dazuauch die Bewilligung, deutschsprachige Bücher einzuführen."Der WACHTTURM"Darüber hinaus konnten im Verlauf der Verhandlungen mit Unterstützung des befehlshabendenUS-Offiziers bei den Wohnungsämtern in Westberlin noch Vorrechtsstellungen für dieWestberliner WTG-Funktionäre erlangt werden, die sonst nur Amerikanern eingeräumt wurden.Covington versuchte ferner Verbindungen in die osteuropäischen Länder Ungarn, Rumänien undJugoslawien herzustellen, doch wurde ihm die Einreise verweigert. Es gelang ihm aber, diesowjetischen Besatzungsbehörden zu täuschen und sich illegal in die damalige Ostzone nachMagdeburg zu begeben, abgeschirmt durch einen geheimen WTG Sicherheitsdienst.Mit dem Abschluss der Verhandlungen zwischen der WTG-Führung und den USAMilitärbehördenin Westdeutschland waren die Voraussetzungen dafür geschaffen, dendeutschen WTG-Zweig wieder voll und ganz für die Ziele der amerikanischenDeutschlandpolitik wirken zu lassen.

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In den bisherigen Ausführungen wurden die Beziehungen der WTG zum USA State Departmentin der Hauptsache am Beispiel des deutschen WTG-Zweiges erläutert. Das heißt aber nicht, dassdies nicht auch auf die anderen Zweige der internationalen Organisation zutrifft. Man kann dasvon folgendem Beispiel ableiten.Da die portugiesische Regierung im Jahre 1964 in einer Anzahl von Fällen die katholischeBevölkerung ihres Landes gegen die Angriffe der WTG in deren Publikationen in Schutz nahmund schließlich dazu überging, die Literatur der WTG in Portugal zu beschlagnahmen undVersammlungen der Zeugen Jehovas zu verbieten, löste die WTG eine internationale Kampagnegegen die portugiesische Regierung aus. Das hatte zur Folge, dass die portugiesischeGesandtschaft in den USA sich veranlasst sah, in Washington zu den Maßnahmen ihrerRegierung Stellung zu nehmen.Das Interessante dabei ist nun, dass die portugiesische Gesandtschaft ihre Stellungnahme sowohlan den verantwortlichen Herausgeber der WTG-Zeitschrift »Erwachet«, Grant Suiter, WTGDirektorin Brooklyn, als auch an den Verbindungsmann der WTG zum USA-State Departmentin Washington, WTG-Mitarbeiter Anton Koerber, sandte, wie die Adressierung dieserStellungnahme laut »Erwachet« vom 8. November 1964 bestätigt:Zitat:"ERWACHET!"Die Stunde ist nun da, … zu erwachen" -Römer 13:11, PerkVol. XLV Wiesbaden, 8. November 1964 Nummer 21PROC. 4, 26Nr. 395AN DEN HERAUSGEBERDER ZEITSCHRIFT "AWAKE!"117 ADAMS STREETBROOKLYN, NEW YORK, 11201SEHR GEEHRTER HERR!PORTUGIESISCHE GESANDSCHAFTWASHINGTON16. JUNI 1964HochachtungsvollJ. de Menezes Rosa (Unterschrift)J. DE MENEZES ROSE GESANDSCHAFTSRATAbschrift an HERRN GRANT SUITER"WATCH TOWER"124 COLUMBIA HEIGHTSBROOKLYN 1, NEW YORKHERRN ANTON KOERBERVERTRETER DER"WATCH TOWER"IN WASHINGTONErwachet!"Wenn sich die portugiesische Regierung über ihre Gesandtschaft nicht nur an Grant Suiter in derWTG-Zentrale in Brooklyn wandte, sondern auch an den WTG-Vertreter Anton Koerber beimState Department in Washington, dann war ihr sehr wohl die Beziehung der WTG in politischenFragen zum USA-State Department bekannt. Offenbar hatte Koerber von Anfang an in dieserSache die Funktion eines Mittelmannes zum State Department innegehabt.So ist bis in die Gegenwart bezeugt und bewiesen, dass die WTG in allen Angelegenheiten, dieirgendwie von politischer Bedeutung sind, gleich welches Land sie betreffen, mit deramerikanischen Regierung zusammenarbeitet, für sie politische Weisungen erfüllt und ihrandererseits Nachrichten aller Art zugänglich macht. Das ist der Zweck des »ständigen,

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Vertreters« der WTG in Washington, der die »Verbindung zwischen dem State Department undder Gesellschaft" in Brooklyn darstellt.

Die WTG-Führer und der Hitlerfaschismus

Antifaschisten ausgeschlossenBis in die Gegenwart stellt die WTG ihr Verhalten in den Jahren der Herrschaft desHitlerfaschismus als ein einziges antifaschistisches Ruhmesblatt ihrer Geschichte dar. DieWahrheit sieht jedoch anders aus. Sie ist eine vernichtende Anklage gegen die amerikanischeund deutsche WTG-Führung und ihre »theokratischen« Ansprüche, »Stellvertreter Gottes aufErden« zu sein.Es wurde schon erwähnt, dass dem Verbot der WTG-Tätigkeit vom 24. Juni 1933 eine politischeFälschung seitens der Nazis zugrunde lag. Der Sachverhalt war folgender. Im Mai 1933 war dieGestapo bei Haussuchungen auf Schriften gestoßen, die schonungslos die antisemitischen undantikommunistischen Verbrechen der Nazis anprangerten. Es hieß darin, die Nazis bedientensich der gemeinsten Verlogenheiten, die je eine Partei angewandt habe, Hitler, Göring und Frickseien blutrünstig schnaubende Naziminister, Nero-Charaktere, deren Absicht es sei,Kommunisten, Sozialisten und Pazifisten abzuschlachten. Hitlerdeutschland halte 150 000Unschuldige in den Gefängnissen, gemeine Mordtaten wurden als Patriotismus verherrlicht,Juden, Kommunisten, Marxisten und Pazifisten geknechtet und verfolgt. Niemals könnte dieAbscheulichkeit der Judendrangsale in der Auslandspresse zu groß aufgemacht werdenangesichts dessen, wie anständige Menschen von Gewalttätern entrechtet werden, DieReichstagsbrandstiftung sei ein Naziverbrechen.Verfasser dieser antifaschistischen Schriften war jedoch nicht die WTG, sondern der Leiter der»Wahrheitsfreunde«, Ewald Vorsteher aus Wuppertal-Barmen.Er war 1921/22 Mitarbeiter des WTG-Zweigbüros in Barmen und wurde 1923 ausgeschlossen,weil er den religiös-politischen Kurs Rutherfords ablehnte. Die Nazis hatten die antifaschistischeTätigkeit Vorstehers einfach auf das Konto der WTG geschoben um einen Verbotsgrund zuhaben. Diesen Zusammenhängen auf den Grund gekommen, stellten derWTGSonderbevollmächtigteM. C. Harbeck und der Magdeburger WTG-Syndikus Hans Dollinger beieiner Besprechung im Polizeipräsidium in Wuppertal am 2. Oktober 1933 eindeutig klar, dassdie WTG nicht das geringste mit der antifaschistischen Tätigkeit Vorstehers gemein hat. Manlese die Aufzeichnung Dollingers, die er persönlich im Nazi-Innenministerium übergab.Zitat:"Wichtig.Betrifft: Bibelforschervereinigung.III P 3233/10Von Dollinger persönlich übergebenDie Ursache des Verbotserlasses vom 24. 6. 33 (II 1316 a/23. 6. 33) und der einzige konkreteVorfall, den der Erlass zu Unrecht anführt, ist derBericht des Pol.Präs. v. Wuppertal v. 31. 5. 33 I Ad I 60001Dieser Bericht ist irrtümlich erfolgt, wie das Pol. Präs. Wuppertal einräumt.Der Bericht des Pol. Präs. in Wuppertal ist unter der Annahme abgegeben worden, dass der inFrage stehende Vorfall auf die "Bibelforschervereinigung" Anwendung findet. Nachträglichwurde dieser Irrtum eingesehen.I. Der Unterfertigte und der amerikanische Staatsbürger M. C. Harbeck, Brooklyn, waren am 2.10. 1933 in Wuppertal beim Polizeipräsidium vorstellig, die Besprechung fand unterHerbeiziehung der Akten beim Leiter der politischen Abteilung (Beine) statt.

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Hierbei wurde festgestellt:II.Der vom Pol. Präs. berichtete Vorfall, der schließlich zum Verbot der Vereinigung führte,bestand darin, dass ein gewisser Ewald Vorsteher aus Barmen am 31. Mai 33 gehässige Angriffeauf den Reichskanzler gerichtet hatte und hierbei verhaftet wurde. Vorsteher war bis 1923Bibelforscher, trennte sich 1923 von dieser Vereinigung und gründete eine eigene Bewegung,Gesellschaft der Wahrheitsfreunde genannt, deren Hauptaufgabe darin bestand, dieBibelforschervereinigung zu bekämpfen. Seine 1923 herausgegebene Zeitschrift wurde 1925oder 1926 mangels Leser eingestellt. Er hat nach 1923 mit der Bibelforscherbewegung keinerleiBeziehung mehr unterhalten, die Vereinigung ihrerseits hatte ihn offiziell ausgeschlossen. (1923)III.Vorsteher wurde in Düsseldorf wegen Beleidigung der Regierung zu längerer Gefängnisstrafeverurteilt. (Aktenzeichen: 16 b KM 45/33 St. A. Düsseldorf.)Die Gerichtsakten dürften diese unsere Erklärung ergänzen.IV.Das Polizeipräsidium in Wuppertal weiß, dass der seinerzeitige Bericht falsch ist. Dieses wurdemir im Polizeipräsidium anlässlich des erwähnten Besuches am 1. 10. 33 auf meine Frage hinausdrücklich vom Leiter der politischen Abteilung bestätigt (Beine).Letzterer hat uns gesagt, dass er weiß, dass Vorsteher kein "Bibelforscher" sei, sondern ein"Wahrheitsfreund".IV.Auf meine Frage, ob ihm bekannt ist, dass die "Wahrheitsfreunde" mit derBibelforscherbewegung weder identisch sind, noch mit derselben Beziehungen unterhalten,wurde bejahend geantwortet.Auf meine Bitte, den Vorfall dem preuß. Innenministerium zu berichten, legte uns dieser Beamtenahe, das Innenministerium zu bitten, einen Bericht anzufordern, den er dann geben wird. Ersagte wörtlich: "Sie müssen veranlassen, dass das Ministerium einen Bericht in der Sacheanfordert, dann werden wir die Angelegenheit nach den inzwischen getroffenen Feststellungenrichtigstellen."V.Die Angelegenheit wurde am 5. 10. 33 dem preuß. Innenministerium (Min. Dir. Fischer)vorgetragen und es wurde gebeten, den Bericht von Wuppertal anzufordern.VI.Diese Sache ist das einzige konkrete Material, das zum Verbot Veranlassung gab.28. I. 35 Hans Dollinger."In einem anschließenden Schreiben an Regierungsrat Dr. Lang im nazistischen Innenministeriumlegte Dollinger dar, was die grundsätzliche Haltung der WTG-Führung »auch für das gesamteAusland«, also auch das Hauptbüro in Brooklyn, zur Machtergreifung des Hitlerfaschismus war.Zitat:"Hans DollingerMagdeburgWatch Tower Society.z. Zt. Berlin, den 29. Januar 1935.III P 3239/10 XXXII 2 Anl.HerrnRegierungsrat Dr. LangBerlinReichs- u. preuß. Ministerium des Innern.Sehr geehrter Herr Regierungsrat!Versprechensgemäss überreiche ich ergebenst in der Anlage die Abschrift; des Berichtes desHerrn Polizeipräsidenten in Wuppertal.Bei der Abschrift dieses Berichtes ist mir in besonders eindringlicher Weise das Ungeheuerliche

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des Tuns dieses Mannes namens Vorsteher zum Bewusstsein gekommen. Ich verstehe esdurchaus, dass der nationalsozialistische Staat sich Derartiges nicht bieten lässt. Das würde keinStaat der Erde sich bieten lassen.Schmerzlich empfinde ich es, dass diese Wahnsinnshandlung eines verdrehten Menschen, derseine "Erzeugnisse" wahllos an jede Adresse, der er habhaft werden konnte, versandt zu habenscheint, als Grundlage für das Verbot einer wirklich tiefreligiösen christlichenReligionsgemeinschaft, der "Bibelforschervereinigung", dienen musste.Ich bin davon überzeugt, dass bei den Behörden sicherlich nicht genügend Einblick in dieTatsache, dass die "Wahrheitsfreunde" mit der "Bibelforschervereinigung" in keinerlei Konnexstanden, vorhanden war und nur darauf das Bibelforscherverbot zurückzuführen ist.Die "Bibelforschervereinigung" hat niemals in allen den Jahren, in welchen derNationalsozialismus im Kampfe um Deutschland stand, versucht, diesen Kampf zubeeinträchtigen.In keinem Vortrag, in keiner Schrift und auch nicht im Gesamtverhalten der Vereinigung wurdegegen den Nationalsozialismus in irgendeiner Form Stellung genommen. Dies trifft sowohl fürDeutschland, auch für die Hunderttausende unserer inländischen Glaubensfreunde, - als auch fürdas gesamte Ausland zu.Wir müssen es entschieden ablehnen, für das, was dieser Vorsteher getan hat, die Verantwortungtragen zu müssen.Vorsteher ist ein Eigenbrötler, der von uns 1922 oder 1923 deshalb ausgeschlossen wurde, weilderselbe die von der Vereinigung beachteten und mit den Gesetzen in Uebereinstimmungbefindlichen Richtlinien nicht einhalten wollte.Es muss doch für die Vereinigung sprechen, dass sie unter keinen Umständen duldete, dass inFragen des gesetzmäßigen Handelns einzelne nach dem eigenen Kopfe marschierten. Diesejederzeit unnachsichtlich gehandhabte Konsequenz gibt doch allein der Behörde die Gewähr,dass keinerlei zweifelhafte Elemente geduldet wurden und nicht einzelne nach eigenen Ideentätige Menschen die Vereinigung nur als Sprungbrett und Plattform benutzen durften.Hierauf haben wir alle die Jahre das größte Gewicht gelegt und es gibt keinen Fall, dassAngehörige der Vereinigung entweder selbst in einen Konflikt mit dem Gesetz kamen oder dieVereinigung in einen solchen hineinzogen.Es kann daher nur als tragisch bezeichnet werden, dass der Fall, der dem Willen zur strenggesetzmäßigen Tätigkeit der Vereinigung beweist, durch Umstände, die wir nicht zuverantworten haben, der Vereinigung zum Verhängnis werden sollte.Ich hoffe und bitte, dass eines Tages die Dinge nachgeprüft werden und wir eine Gelegenheiterhalten, Rechenschaft abzulegen, - dann wird ohne Zweifel die ungeheure seelische Not meinerGlaubensbrüder durch eine völlige Rehabilitierung von Amts wegen zu Ende gebracht werden.Mit deutschem Gruß!Hans Dollinger."Es wurde schon gezeigt, wie selbst die Mehrheit des WTG-Direktoriums 1917 »gegen denFelsen von Gibraltar« sprang, als sie Rutherfords Regime der persönlichen Macht verhindernwollte. In der Tat war es Rutherfords Stärke, jeden unnachsichtig auszuschließen, der sich ihmnicht bedingungslos beugte. Davor blieb selbst der WTG-Direktor George H. Fisher,Mitverfasser des berüchtigten 7. Bandes der »Schriftstudien« (»Das vollendete Geheimnis«)nicht bewahrt nachdem er Rutherfords Handlungsweise als falsch erkannte und ihn deswegenkritisierte. Am Beispiel Vorstehers sieht man erneut, wie unnachsichtig jeder aus der WTGausgeschlossen wurde, der eigene oder andere Wege ging. Rücksicht auf Wahrheit oderRichtigkeit der Sache gab und gibt es für die WTG dabei nicht.Dass Vorsteher sich nicht scheute, selbst nach der Machtergreifung der Nazis Hitlers wahresGesicht schonungslos zu zeigen, war der WTG besonders unangenehm; denn Vorsteher gehörteeinst zu deren Organisation. Die buhlte jetzt aber um die Gunst der Nazis. Vorstehers Tätigkeitkonnte darum äußerst verhängnisvoll für die WTG werden, wenn diese sich nicht radikal vonihm distanzierte. Um so ärger verleumdete und diffamierte sie Vorstehers antifaschistische

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Tätigkeit als »Wahnhandlung eines verdrehten Menschen«. Antifaschisten, die sich gegen dieMachtergreifung des Hitlerfaschismus wandten und die Nazis bekämpften, hatten somit in derWTG-Organisation keinen Platz! Sie wurden mit unnachsichtiger Konsequenz ausgeschlossen.Fatal war angesichts dessen, dass gerade die, Kampfansage Vorstehers an Hitler die WTG inDeutschland zu Fall brachte, ungeachtet der Tatsache, dass Rutherfords Sonderbevollmächtigterund Leiter des Zentraleuropäischen WTG-Büros in Bern, Martin C. Harbeck, persönlich dieDistanzierung der WTG von jedem Antifaschismus vor dem zuständigen nazistischenPolizeipräsidium in Wuppertal bekundete.

Das Buhlen der WTG-Führung um die Gunst der NazisNicht umsonst war seit dem Zeitpunkt, als die an Deutschland interessiertenUSAFinanzkapitalisten auf Hitler als ihren »starken Mann« setzten, in der deutschen WTGFührungein nazistischer Rechtsbeistand, Horst Kohl aus München, aufgetaucht, nachdem schonjahrelang kein Geringerer als Hitlers persönlicher Verteidiger nach dem gescheitertenPutschversuch von 1923 Rechtsbeistand des deutschen WTG-Zweiges war.In seinem ersten Jahresbericht von 1947 unternimmt es der neue deutsche Zweigdiener ErichFrost, die Begünstigung der Machtergreifung des Hitlerfaschismus, soweit es die WTG betrifft,der damaligen deutschen WTG-Führung unter Balzereit und Dollinger in die Schuhe zuschieben, die 1936 vom WTG-Hauptbüro zum Sündenbock gemacht wurden. Frost spricht vonihnen als von Verrätern, die in den Dienst der Nazis getreten seien um ihre Haut zu retten.(Jahrbuch 1947 der Zeugen Jehovas. WTG Bern, S. 113) Dollingers Erklärung, dass die WTGauch im Ausland Hitlers »Kampf um Deutschland« nicht beeinträchtigt habe, und dasAuftauchen von Rutherfords Sonderbevollmächtigtem M. C. Harbeck im Polizeipräsidium inWuppertal beweisen, dass in Wirklichkeit das Hauptbüro in Brooklyn hinter der Haltung derdeutschen WTG-Führer stand. Die folgenden Einzelheiten dieser profaschistischen Haltung undBegünstigung der Nazis durch die WTG zeigen, dass es letzten Endes Präsident Rutherford undder jetzige Präsident Knorr waren, die den WTG-Kurs der Buhlerei um die Gunst der Nazisbestimmten.Da wäre als erste das Verhalten der WTG zur faschistischen Reichstagsbrandstiftung.Bekanntlich ließ Hitlers Polizeichef Göring am 27. Februar 1933 das Reichstagsgebäude inBerlin in Brand setzen, um einen Vorwand für das Verbot der Kommunistischen ParteiDeutschlands zu schaffen, nachdem er ihr dieses Verbrechen in die Schuhe geschoben hatte. Wieschilderte nun die WTG in ihrer Zeitschrift »Das Goldene Zeitalter« den Reichstagsbrand?Stellte sie die nazistischen Brandstifter bloß? Deckte sie die »verhüllte Gefahr« des Faschismusauf, da jetzt über Deutschland hereinbrach? Verteidigte sie die »Freiheit für aller, die jetztunschuldig in die Gefängnisse und Konzentrationslager der Nazis getrieben wurden? Behauptetedie WTG doch in ihrem Geschichtsbuch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, was im Auszugnachzulesen ist.Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENGottes Volk erkannte im Jahre 1919 kaum die wichtige Rolle, die dieses neue Mittel, DasGoldene Zeitalter, bei der Bloßstellung des unheiligen Nazi-faschistisch-katholischenZusammenschlusses bilden sollte. In den folgenden Jahren wurden durch Artikel undKarikaturen, die in dieser mutigen Zeitschrift erschienen, diesem Zusammenschluss zahlreichekräftigere, ja verheerende Schläge versetzt."Das Gegenteil war 1933 der Fall. Unter der ablenkenden Schlagzeile »Wohin treibt Amerika?«heißt es im »Goldenen Zeitalter« vom 1. April 1933, eingeklemmt zwischen anderen kleinenTagesmeldungen:Zitat:"Das Goldene Zeitalter1. April 1933Wohin treibt Amerika?

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In der amerikanischen Zeitung "The New Outlook" (Der neue Ausblick) erschien vor kurzem einArtikel unter der Überschrift: "Was ist Technokratie?" Er glich in etwa dem Artikel: "DasRennen zwischen Mensch und Maschine", den das "Gol…Dann denke man an die Zigarettenfabrikation. Man hat kürzlich Maschinen eingeführt, die ineiner Minute 2500 bis 2600 Zigaretten herstellen, während man bisher 500-600 Stück in derMinute herstellte. Die Tabakfabriken verwenden …polizeilich geschlossen worden. Die letzte Zählung der Rundfunkhörer in Deutschland ergab 4307 722.25. 2. Verschärfung der Bankenkrise in den Vereinigten Staaten, überall werden Bankfeiertageerklärt.27. 2. Das Reichstagsgebäude in Berlin ist in Brand gesteckt worden. Die Sitzungssäle sindausgebrannt. Am Brandort wurde ein Täter verhaftet, der seinen Angaben nach ein holländischerKommunist ist. Daraufhin sind im Reiche mehrere tausend kommunistische Führer verhaftetworden. In Preußen sind alle kommunistischen Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter und Plakateauf einen Monat, alle sozialdemokratischen auf 14 Tage verboten.Die Japaner haben in Jehol die beiden Städte Tschaujang und Kailu in Trümmer gelegt unddringen weiter vor.Die Vickers-Armstrong-Werke (Fabriken für Kriegsmaterial) in England meldenHochkonjunktur. Die hauptsächlichsten Lieferungen gehen nach Siam (und wie vermutet wird,von dort nach Japan)."Diese WTG-Notiz über den Reichstagsbrand entspricht auf die Silbe genau der Sprachregelungdes Goebbels-Propagandaapparates zur Vertuschung der Schuld der Nazis an der Brandstiftungund zur Abwälzung dieses Verbrechens auf Kommunisten. Redaktionell verantwortlich für dieseprofaschistische Propaganda zeichnete neben Paul Balzereit WTG-Präsident Rutherfordpersönlich als Hauptverantwortlicher für »Das Goldene Zeitalter«.Ein weiterer Akt der Begünstigung der nazistischen Machtergreifung durch die WTG-Führungkommt in einem Bekenntnis zum Ausdruck, das 1933 in Form eines Briefes an denfaschistischen Diktator gerichtet wurde. Dieses Bekenntnis war neben einer Erklärung dasErgebnis einer Konferenz aller führenden Vertreter der Zeugen Jehovas in Deutschland, die am25. Juni 1933 - einen Tag nach dem Verbot vom 24. Juni 1933 - in Berlin-Wilmersdorf unterBeteiligung von Präsident J. F. Rutherford und N. H. Knorr, damals WTG-Generaldirektor,abgehalten wurde. An der Konferenz nahmen 5000 WTG-Funktionäre teil. Zweck der Konferenzwar, angesichts des erfolgten Verbots demonstrativ zu bekunden, dass sich die WTGvorbehaltlich ihrer religiösen Anschauungen in völliger Übereinstimmung mit dem Nazistaatbefand und ihn unterstützte. Es gehört etwas Überwindung dazu, den Stil, in dem der Briefgehalten ist, über sich ergehen zu lassen. Aber es kommt auf den Inhalt an. Eindeutiger konntedas Eingeständnis der WTG-Führung jedenfalls nicht sein.Von besonderer Bedeutung ist in diesem Brief auf der zweiten Seite der Abschnitt, in dem dieWTG erklärt, sogar gegen die sogenannte ausländische Greuelpropaganda gegenHitlerdeutschland Stellung genommen zu haben. Damit ist gemeint, dass die WTG gegen dieantifaschistische Propaganda Stellung bezog, die vom Ausland gegen die antisemitischeNazidiktatur vorgetragen wurde. Besonders interessant ist der Schluss des Briefes, in dem dieWTG den Punkt 24 des Programms der NSDAP zitiert und auf sich angewendet wissen will.Dieser Programmpunkt war die nazistische Kriegserklärung gegen die Menschen jüdischerAbstammung und jüdischen Glaubens.Der im Namen der Brooklyner und Magdeburger WTG-Führung an Hitler gerichtete Brief imvollen Wortlaut wiedergegeben.Zitat:"WATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYPUBLISHERS OF THE BIBLE STUDENTS ASSOCIATIONGeneral Offices:

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117 Adams StreetBrooklynNew York, U. S. A.German Branch:Wachtturmstr. 1-19MagdeburgPostsch. K. Magdeburg 4042Telephone: Magdeburg 40556, 40557, 40558Radio and Cable Address: Watchtower MagdeburgKopieSehr verehrter H e r r R e i c h s k a n z l e r !Am 25. Juni 1933 tagte in Berlin in der Sporthalle Wilmersdorf eine ca. 5000 Personenumfassende und mehrere Millionen Deutscher repräsentierende Vertreterkonferenz derBibelforscher Deutschlands (Zeugen Jehovas), welche bereits seit vielen Jahren Freunde undAnhänger dieser Bewegung sind. Der Zweck dieser, von den Abgeordneten der einzelnenBibelforschergemeinden Deutschlands besuchten Tagung war, Mittel und Wege zu finden, umdem Herrn Reichskanzler und den übrigen hohen Regierungsbeamten des Deutschen Reichessowohl, als allen Länderregierungen Kenntnis zu geben von folgendem:Gegen eine auf dem Boden positiven Christentums stehende Vereinigung ernster, christlicherMänner und Frauen wurden und werden in einzelnen Landesteilen Maßnahmen ergriffen, die inihrem Ursprung lediglich als die Verfolgung von Christen durch andere Christen anzusprechensind, weil die - diese Maßnahmen auslösenden - gegen uns erhobenen Anschuldigungen meistensvon klerikaler, besonders katholischer Seite aus erhoben wurden und unwahr sind.Absolut überzeugt von der völligen Objektivität der die Angelegenheit bearbeitendenRegierungsstellen und Beamten, ersehen wir trotz allem, dass - einerseits wohl wegen starkerInanspruchnahme der betreffenden Sachbearbeiter - der Inhalt unserer Literatur und der Sinnunserer Bewegung größtenteils falsch beurteilt wird, und zwar nach dem, was unsere religiösenGegner - Vorurteil bewirkend - gegen uns vorbringen.Darum ist das auf dieser Konferenz Besprochene in beigefügter Erklärung der Watch TowerBible and Tract Society niedergelegt, um es Ihnen, Herr Reichskanzler, sowie den hohenRegierungsstellen des Deutschen Reiches und der Länder zu überreichen als Dokumentierungder Tatsache, dass die Bibelforscher Deutschlands als einziges Ziel ihrer Arbeit nurbeabsichtigen, die Menschen zu Gott zurückzuführen und den Namen Jehovas, desAllerhöchsten, des Vaters unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus, auf Erden zu bezeugen undzu ehren. Wir wissen bestimmt, dass Sie, Herr Reichskanzler, solche Tätigkeit nicht stören lassenwerden.Die Bibelforschergemeinden Deutschlands und ihre Glieder sind allgemein bekannt als Hortwahrhaftiger Ehrfurcht vor dem Allerhöchsten und als eifrige Pfleger sorgsamer Bibelforschung.Örtliche Polizeibehörden werden immer bestätigen müssen, dass Bibelforscher absolut zu denordnungsliebenden und -erhaltenden Elementen des Landes und Volkes zu zählen sind. Ihreeinzige Mission ist Werbung der Menschenherzen für Gott.Die Watch Tower Bible and Tract Society ist die organisierende Missionszentrale derBibelforscher (für Deutschland: Sitz Magdeburg).Das Brooklyner Präsidium der Watch Tower-Gesellschaft ist und war seit jeher inhervorragendem Masse deutschfreundlich. Aus diesem Grunde wurden im Jahre 1918 derPräsident der Gesellschaft und die sieben Glieder des Direktoriums in Amerika zu 80 JahrenZuchthaus verurteilt, weil der Präsident sich weigerte, zwei von ihm in Amerika geleiteteZeitschriften zur Kriegspropaganda gegen Deutschland zu gebrauchen. Diese zwei Zeitschriften"The Watch Tower" und "Bible Students" waren die beiden einzigen Zeitschriften Amerikas, dieeine Kriegspropaganda gegen Deutschland verweigerten und darum während des Krieges inAmerika auch verboten und unterdrückt wurden.In gleicher Weise hat sich das Präsidium unserer Gesellschaft in den letzten Monaten nicht nur

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geweigert, an der Greuelpropaganda gegen Deutschland teilzunehmen, sondern hat sogardagegen Stellung genommen, wie dies auch in der beigefügten Erklärung unterstrichen wirddurch den Hinweis, dass die Kreise, welche diese Greuelpropaganda in Amerika leiteten(Geschäftsjuden und Katholiken), dort auch die rigorosesten Verfolger der Arbeit unsererGesellschaft und ihres Präsidiums sind. Durch diese und andere in der Erklärung enthaltenenFeststellungen soll die Zurückweisung der Verleumdung, Bibelforscher würden durch die Judenunterstützt, erfolgen.Die Vertreterkonferenz dieser fünftausend Delegierten nahm mit großer Befriedigung Kenntnisvon der durch den Herrn Regierungspräsidenten zu Magdeburg erfolgten Feststellung, dass dievon unseren kirchlichen Gegnern behauptete Beziehung zwischen Bibelforschern undKommunisten oder Marxisten nicht erweisbar sei (also auch eine Verleumdung ist). Eindiesbezüglicher Pressebericht, enthalten in der Magdeburger Tageszeitung Nr. 104 vom 5. Mai1933, lautet:Eine Erklärung der Regierung zur Besetzung des Bibelforscher-Hauses - Die Pressestelle derRegierung teilt mit: "Die polizeiliche Besetzung der Grundstücke der "Vereinigung der ernstenBibelforscher" in Magdeburg ist am 29. April aufgehoben worden, weil kein belastendesMaterial hinsichtlich der behaupteten kommunistischen Betätigung gefunden worden ist."Ferner: Magdeburger Tageszeitung Nr. 102 vom 3. Mai 1933:"Vom Büro der Bibelforschervereinigung wird uns mitgeteilt, dass die Aktion, die von derPolizei gegen die Wachtturmgesellschaft und Bibelforschervereinigung eingeleitet wurde,inzwischen gänzlich aufgehoben worden ist. Ferner werde alles freigegeben, da die sorgfältigdurchgeführte Durchsuchung ergab, dass sich die Gesellschaft weder in politischer noch inkrimineller Hinsicht irgend etwas zuschulden kommen ließen, und weil weiter festgestellt wurde,dass die beiden Gesellschaften absolut unpolitisch und streng religiös sind. -Von der Regierung wurde uns auf Anfrage die Richtigkeit dieser Angaben bestätigt."Die Vertreterkonferenz dieser fünftausend Delegierten betonte, dass sie es nach dieser Sachlageunter ihrer Würde halte, sich fernerhin überhaupt noch gegen die verächtliche Verdächtigungmarxistischer oder gar kommunistischer Betätigung verteidigen zu müssen. Diese widerlegtenVerleumdungen unserer religiösen Gegner tragen eindeutig das Signum religiöser Konkurrenz,die einen ehrlichen Mahner statt mit Gottes Wort, mit dem wenig schönen Mittel derVerleumdung erdrosseln möchte.Weiter wurde auf dieser Konferenz der fünftausend Delegierten - wie in der Erklärungausgedrückt - festgestellt, dass die Bibelforscher Deutschlands für dieselben hohen ethischenZiele und Ideale kämpfen, welche die nationale Regierung des Deutschen Reiches bezüglich desVerhältnisses des Menschen zu Gott proklamierte, nämlich: Ehrlichkeit des Geschöpfesgegenüber dem Schöpfer!Auf der Konferenz wurde festgestellt, dass in dem Verhältnis der Bibelforscher Deutschlands zurnationalen Regierung des Deutschen Reiches keinerlei Gegensätze vorliegen, sondern dass imGegenteil - bezüglich der rein religiösen, unpolitischen Ziele und Bestrebungen derBibelforscher - zu sagen ist, dass diese in völliger Übereinstimmung mit den gleichlaufendenZielen der nationalen Regierung des Deutschen Reiches sind.Unter Berufung auf die angeblich harte Sprache unserer Literatur erfolgten einige Verboteunserer Bücher. Die Konferenz der fünftausend Delegierten verwies dazu auf den Umstand, dassder beanstandete Inhalt der Bücher doch nur Bezug nimmt auf Zustände und Handlungen imAnglo-Amerikanischen Weltreich, und dass dieses - speziell England - doch für den Völkerbundund die auf Deutschland gelegten ungerechten Verträge und Lasten verantwortlich zu machenist. Das im obigen Sinne unserer Literatur Gesagte richtet sich also doch - einerlei, ob infinanzieller, politischer oder ultramontaner Beziehung - gegen die Bedrücker des deutschenVolkes und Landes, aber doch nicht gegen das sich gegen diese Lasten sträubende Deutschland,so dass die erfolgten Verbote absolut unverständlich sind.Für diejenigen deutschen Ländergruppen, in denen sogar Verbote der Bibelforscher-Gottesdienste, Verbote ihrer Gebetsversammlungen usw. vorliegen, und die seit vielen Wochen

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auf eine gerechte Lösung dieses, ihr religiöses Leben knebelnden Zustandes warten, wurdefolgendes ausgedrückt:Wir wollen auch weiterhin den erlassenen Verbotsanordnungen Folge leisten; denn wir sindgewiss, dass der Herr Reichskanzler bzw. die einzelnen hohen Landesregierungen dieseMaßnahmen - durch welche Zehntausende christliche Männer und Frauen schließlich einem demUrchristen-Leiden vergleichbaren Märtyrertum verfallen müssten - nach Kenntnis der wirklichenSachlage aufheben werden.Endlich bekundete diese Konferenz der fünftausend Delegierten, dass die Bibelforscher- bzw.die Watch-Tower-Organisation eintritt für die Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheitdes Staates, sowie für die Förderung der vorerwähnten, auf religiösem Gebiet liegenden hohenIdeale der nationalen Regierung. Um hiervon vor allen Dingen dem Herrn Reichskanzler, alsdem Führer des Volkes, und den übrigen hohen Regierungsbeamten des Deutschen Reiches undder Länder Kenntnis zu geben, wurde das vorstehend kurz Gesagte in anliegender Erklärungausführlich niedergelegt.Diese beigefügte Erklärung wurde vom Sekretär der fünftausend Delegierten derBibelforscherkonferenz vorgelesen und von dieser einstimmig gebilligt und angenommen mitdem Auftrag, je ein Exemplar dieser Erklärung zusammen mit diesem Versammlungsberichtdem Herrn Reichskanzler und den übrigen hohen Regierungsbeamten und der Länder zuüberreichen.Dies geschieht hierdurch mit der ergebenen Bitte, dem in der Erklärung zum Ausdruckgebrachten Ansuchen geneigtest entsprechen zu wollen:Nämlich, einer Kommission aus unserer Mitte Gelegenheit zu geben zur verantwortlichenDarlegung des wahren Sachverhalts vor dem Herrn Reichskanzler oder dem HerrnReichsminister des Innern persönlich. Andernfalls wolle der Herr Reichskanzler eineKommission von Männern bestimmen, die nicht durch religiöse Vorurteile gegen unseingenommen sind, also von Männern, die selbst nicht beruflich religiös interessiert sind,sondern die wirklich nur - den für solche Fälle geltenden und vom Herrn Reichskanzler selbstaufgestellten Grundsätzen entsprechen - unsere Angelegenheit vorurteilslos prüfen werden. Mitdiesen Grundsätzen meinen wir das in Punkt 24 des Programms der NationalsozialistischenDeutschen Arbeiterpartei Gesagte:"Wir fordern die Freiheit aller religiösen Bekenntnisse im Staat, soweit sie nicht dessen Bestandgefährden oder gegen das Sittlichkeits- und Moralgefühl der germanischen Rasse verstoßen.Die Partei als solche vertritt den Standpunkt eines positiven Christentums ohne sichkonfessionell an ein bestimmtes Bekenntnis zu binden. Sie bekämpft den jüdischmaterialistischenGeist in und außer uns und ist überzeugt, dass eine dauernde Genesung unseresVolkes nur erfolgen kann von innen heraus …"Wir sind fest überzeugt, dass - wenn man uns religiös vorurteilslos erstens nur nach Gottes Wortund zweitens diesem angeführten Programmpunkten nach beurteilt - die nationale RegierungDeutschlands keinerlei Ursache finden wird, unsere Gottesdienste oder unsere Missionstätigkeitzu hindern.In Erwartung einer baldigen gütigen Zusage, und mit der Versicherung unserer allergrößtenHochachtung, sind wir, sehr verehrter Herr Reichskanzler,ergebenstWatch Tower Bible and Tract SocietyM a g d e b u r g "Um die antisemitische Tendenz und Haltung der in Berlin versammelten 5000 Zeugen Jehovasoder Bibelforscher mit J. F. Rutherford und N. H. Knorr aus Brooklyn besonders hervorzuheben,wurde von der Konferenz noch eine öffentliche Erklärung verabschiedet - für die »hohenRegierungsbeamten« und »allgemein zu verbreiten«. Man lese folgenden Auszug:Zitat:"ErklärungDieser Kongress deutscher Männer und Frauen, friedlicher und ordnungsliebender Bürger aus

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allen Teilen des Landes, die alle miteinander ernsthaft an dem höchsten Wohl des deutschenVolkes mitarbeiten, hat sich heute, den 25. Juni 1933, offiziell in Berlin versammelt und erklärtfreudig seine völlige Ergebenheit gegenüber Jehova Gott,Als Jesus zu den Juden kam, um ihnen die Wahrheit kundzutun, war es die jüdischeGeistlichkeit, das heißt die Pharisäer und Priester, die ihn heftig bekämpfte,JudenWenn in unserer Literatur der Ausdruck "Geistlichkeit" gebraucht wird, so bezieht sich dieserAusdruck auf solche angeblichen Religionslehrer, Priester und Jesuiten, die unrechtmäßigepolitische Mittel anwenden um ihre Zwecke zu erreichen, und die sogar ihre Kräfte verbindenmit solchen, die Gott und den Herrn Jesus Christus verleugnen. Das ist dieselbe Klasse, die Jesusals seine Verfolger bezeichnete. Wir üben keine Kritik an aufrichtigen Religionslehrern.Das Anglo-Amerikanische Weltreich ist die größte und bedrückendste Herrschaft auf Erden.Hiermit ist das Britische Weltreich, wovon die Vereinigten Staaten Amerikas nur einen Teilbilden, gemeint. Es sind die Handelsjuden des Britisch-Amerikanischen Weltreichs, die dasGroßgeschäft aufgebaut und benutzt haben als ein Mittel der Ausbeutung und der Bedrückungvieler Völker. Diese Tatsache bezieht sich insonderheit auf die Städte London und New York alsHauptstützpunkte des Großgeschäfts. Dies ist in Amerika so offenbar, dass es in bezug auf dieStadt New York ein Sprichwort gibt, das heißt: "Den Juden gehört die Stadt, die irischenKatholiken beherrschen sie, und die Amerikaner müssen zahlen."Es wird hierdurch beschlossen, je ein Exemplar dieser Erklärung den hohen Regierungsbeamtenergebenst zu überreichen und sie allgemein zu verbreiten, damit der Name Jehovas immer mehrbekannt gemacht werde.Watch Tower Bible and Tract Society,Magdeburg"Diese Dokumente von 1933 beweisen: Die WTG ist mitschuldig an der allgemeinen Verbreitungdes antisemitischen Giftes, der allgemeinen Diskriminierung der Juden nicht nur in Deutschland.Auch gegen die Auslandspropaganda zur Aufdeckung der verbrecherischen judenfeindlichenPolitik Hitlers hat die WTG nach eigenen Zeugnissen Front gemacht. Der Höhepunkt ist ohneZweifel das Bekenntnis der »Vertreterkonferenz der Bibelforscher Deutschlands, der ZeugenJehovas«, mit dem Naziparteiprogramm Punkt 24 und dem hierin erklärten Kampf gegenjüdischen Geist in völliger Übereinstimmung zu sein, sowie die Forderung an Hitler, diese,Nazirichtlinien als Maßstab an die WTG und die Zeugen Jehovas anzulegen um zu ersehen, dasskeinerlei Gegensätze zum Hitlerstaat bestanden. Die WTG bestätigt selbst, dass diese»Vertreterkonferenz« 1933 in Berlin von dem damaligen Präsidenten Rutherford und demheutigen Präsidenten Knorr inszeniert wurde, die sich zum 25. Juni 1933 nach Berlin begaben,»um zu sehen, was getan werden könnte«. ((Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben. WTGWiesbaden 1960, S. 130) Doch kein Bekenntnis zu »germanischem Rassegefühl«, zuAntisemitismus und Naziparteiprogramm sollte der WTG-Führung mehr helfen.Am 9. Februar 1934, also rund ein dreiviertel Jahr später, wandte sich Rutherford aus seinerFürstenvilla in San Diego, Kalifornien, erneut an Hitler. Er beschwor noch einmal den Kongressvon 1933 in Berlin und die dort gefassten antisemitischen und profaschistischen Bekenntnisseund Erklärungen, von denen »Millionen unter demVolke verbreitet wurden«, wie er beteuerte.Dieser jetzige Brief sei nun »sowohl eine freundliche Mitteilung als auch eine Warnung«. Wennbis zum 24. März» 1934 auf dieses ernstliche Begehren keine Antwort erfolgt, seitens IhrerRegierung nichts getan wird, um obigen erwähnten Zeugen Jehovas in DeutschlandErleichterung zu gewähren«, würde die WTG mit der »Veröffentlichung der Tatsachen überDeutschlands ungerechte Behandlung« der WTG-Anhänger beginnen, drohte Rutherford. (Cole,Marley: Jehovas Zeugen, Frankfurt (Main) 1956, S. 194). Doch der 24. März verging, undRutherford tat nichts; denn inzwischen war das USA-State Department am Werke mit demErfolg, dass das nazistische Innenministerium jenen Erlass vom 13. September 1934 herausgab,der der WTG in Magdeburg aus Rücksicht auf die dort investierten amerikanischen Kapitalieneine beschränkte Fortsetzung der Tätigkeit erlaubte, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas jedoch

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weiter unter Verbot hielt - eine zum Scheitern verurteilte Lösung.Rutherford musste einsehen, dass die nun schon seit vier Jahren offen praktizierte Begünstigungdes nazistischen Machtkampfes nicht honoriert wurde. Weder die Abkehr vom Zionismus nochdie Haltung zum Reichstagsbrandverbrechen, weder das Bekenntnis zum Naziparteiprogrammnoch die antisemitische Schützenhilfe für die Nazis im In- und Ausland hatten etwas genützt. Dieganze hierdurch eingehandelte Mitschuld am Aufkommen des Hitlerfaschismus war umsonst. Esgab offensichtlich für die WTG keinen anderen Weg in Hitlerdeutschland, als unterzugehen oderWiderstand zu leisten. Hitler blieb bei seinem Versprechen an den katholischen deutschenEpiskopat, die WTG in Deutschland aufzulösen. Es gehörte zu Hitlers Programm, mit einerganzen Reihe kleiner Religionsgemeinschaften und anderer weltanschaulicher Gruppenaufzuräumen, ohne Rücksicht darauf, ob sie ihm bei seiner Machtergreifung geholfen undgedient hatten und sich sonst zu ihm bekannten oder nicht. Mit der WTG und den ZeugenJehovas machte er den Anfang.So ordnete die WTG schließlich für den 7. Oktober 1934 an, die Unterordnung unter das Verbotin Deutschland aufzugeben. Korbweise kamen an diesem Tage bei der Hitlerregierung in BerlinTelegramme an, in denen gegen die Behandlung der WTG-Anhänger protestiert wurde, Hitlerund seiner Partei die Vernichtung durch Gott androhend, wenn die Verfolgung der ZeugenJehovas nicht eingestellt würde. Diese organisierte Telegrammaktion wird heute von der WTGals ein Hauptbeweisstück für ihre angeblich konsequente antifaschistische Haltung hingestellt.Die Aktion war aber weder ein Protest gegen den Nazistaat noch gegen die Nazipartei, nochgegen deren faschistisches Programm. Es war allein ein Protest gegen die Verfolgung derWTGAnhänger.Der Hitlerfaschismus sollte durchaus weiterbestehen, wenn die WTG ihre Freiheitwieder erhielte. Keinen anderen Sinn hatten die Proteste.Damit ist zugleich erwiesen, wie die WTG-Führung von einer politischen Skrupellosigkeit in dieandere verfiel. Wurde bis eben noch alles getan um mit den Nazis politisch zu einemKompromiss zu kommen, so wurde jetzt die Nazipartei bis zur Weißglut provoziert, vernichtendgegen die WTG-Anhänger vorzugehen. Mit anderen Worten: Nachdem es nichts genützt hatte,dass man die gesamten »Bibelforscher-Vertreter« Deutschlands mit antikommunistischer,antisemitischer und profaschistischer Schuld belastete, warf man sie in den »Feuerofen« einervernichtenden Verfolgung. Die Ankündigung, Gott werde die Nazipartei vernichten, wenn siedas WTG-Verbot nicht aufhebe, war nichts weiter als provokatorischer Unsinn, mit demRutherford gleichzeitig das Ziel verfolgte, die Anhänger religiös zu fanatisieren, die eigeneprofaschistische Politik aber für die Zukunft zu übertünchen.Wäre die WTG-Führung von echtem christlichem Geist beseelt und benutzte sie das Predigenchristlicher Tugenden nicht nur als Mittel, um ihre Anhängerschaft in Willfährigkeit,Einsatzbereitschaft, Abhängigkeit und Hörigkeit zu halten und ihre sonstigen nichtchristlichenBestrebungen zu verdecken dann hätte sie nach 1945 ein Schuldgeständnis ablegen müssen, wiees manche Kirchen auch getan haben. Aber nichts dergleichen geschah. Mit Lügen, Fälschungenund Entstellungen ist sie vielmehr bemüht, ihre antisemitische und profaschistische Haltung injeder Weise zu vertuschen. So macht WTG-Präsident Knorr aus seiner verbrecherischenUnterstützung der antisemitischen Hitlerpolitik auf der Konferenz vom 25,. Juni 1933 in Berlinin der neuzeitlichen WTG-Geschichtsschreibung skrupellos einen antifaschistischen Protest.Man lese den entsprechenden Auszug aus dem Buch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, S.130:Zitat"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENRichter Rutherford hatte die Lage in Deutschland fortwährend genau beobachtet und war mitihrer Entwicklung, soweit sie das Zeugniswerk betraf, gut vertraut. Bei dieser ernsten Wendungder Dinge verlor er keine Zeit und begab sich in Begleitung von N. H. Knorr nach Deutschland,um zu sehen, was getan werden könnte. Am 25. Juni, an demselben Tage, der für die wiederholteSendung des Vortrags "Wirkung des Heiligen Jahres auf Frieden und Wohlfahrt" über 158

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Radiostationen in den Vereinigten Staaten angesetzt war, wurde ein Kongress in Berlineinberufen. Dort wurde den 7 000 Anwesenden eine vorbereitete Erklärung der Tatsachen alsProtest gegen die Hitler-Regierung wegen ihrer anmaßenden Einmischung in das Zeugniswerkder Gesellschaft vorgelegt, die einstimmig angenommen wurde. Die Erklärung wurde dannjedem höheren Regierungsbeamten, vom Präsidenten abwärts bis zu den Reichstagsmitgliedern,zugesandt, und 2 500 000 Exemplare wurden öffentlich verbreitet."Ein einziger Blick auf den Brief an Hitler, der am 25. Juni 1933 von jenem Kongress abgesandtwurde, zeigt, dass die WTG-Geschichtsschreibung in dieser Sache eine gewissenlose Fälschungdes wahren Sachverhalts ist.Die Tatsachen beweisen, dass die WTG-Führung den Hitlerfaschismus nicht bekämpfen wollte.Im Gegenteil, die Hitlerregierung hätte in ihr sogar einen Bundesgenossen haben können! Trotzallem versuchte die WTG deshalb 1937/38 noch einmal, den faschistischen Diktator davon zuüberzeugen, dass man nichts gegen Hitler und seinen Staat, sondern eher vieles mit ihmgemeinsam habe in einem Brief, den Rutherford 1937 veröffentlichen ließ.Zitat:"15. März 1945TrostVerantwortliche Redaktion:H. Steinemann, BernHerausgeber:Vereinigung "Jehovas Zeugen"Druck und Verlag:WATCH TOWER, Allmendstr. 39, Bern

Persönlicher Brief an Adolf HitlerAngesichts der Kriegsereignisse erhalten manche Gedanken dieses persönlichen Briefes an denFührer des deutschen Reiches vermehrte Bedeutung. Er wurde von einem der vielen ausGlaubens- und Gewissensgründen Bedrängten geschrieben und bereits im Jahre 1937 in unsererZeitschrift veröffentlicht.den 11. Januar 1937An den Führer und ReichskanzlerHerrn Adolf Hitler.Wenn ich nach reiflicher Überlegung endlich zu dem Entschluss gekommen bin, mich an Siepersönlich zu wenden, so ist die Veranlassung hierzu nur der aufrichtige Wunsch, einemschwerbedrängten Teil meiner Volksgenossen, und damit eigentlich dem ganzen deutschenVolke selbst, einen Dienst zu erweisen. Das wiederholte Studium Ihres Buches "Mein Kampf"bestärkte mich in diesem Entschluss; denn ich sagte mir, dieses Buch zeugt von einemgeschichtlichen Wissen, dass der Schreiber desselben meine Ausführungen unbedingt verstehenMus. Es handelt sich um die Sache der "Zeugen Jehovas", auch "Ernste Bibelforscher" genannt,denen ich angehörte.Gleich im Anfang der Machtübernahme wurde gegen uns ein Verbot erlassen.Und doch ist der Zeuge Jehovas durchaus nicht ein grundsätzlicher Bekämpfer des Staates ansich, wie so oft behauptet wird - so wenig dies Jesus war. Was wir von jeher bekämpft haben,waren vor allem die falschen Lehren der Kirchen, die vielfach im Widerspruch zum Wort Gottesstehen. Dieser Kampf hat uns im kirchlichen Lager viele Feinde gemacht. Inzwischen ist aberauch der Staat zu der Erkenntnis gekommen, dass in den Kirchen vieles nicht stimmt. In seinendiesbezüglichen Schriften greift Rosenberg die Kirchen deshalb in einer allerdings oft vielweniger sachlichen Weise an. Wir wurden dafür schon früher vor die Gerichte gestellt.Wenn wir in den letzten Jahren in eine gewisse Opposition dem Staate gegenüber gedrängtworden sind, so geschah dies, weil eben Verschiedenes verlangt wurde, worunter wir uns ausGewissensgründen - nur aus solchen - nicht beugen konnten.Aus den beiliegenden Abschriften von Veröffentlichungen in der Schweiz sind unsere

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Hauptsünden ersichtlich. Ich möchte nicht mehr viel hinzufügen. Zum deutschen Gruß möchteich nur dies bemerken: Wie oft hört man einfache Leute sagen: "Nicht einmal Friedrich derGroße oder Napoleon hat das verlangt!…" "Ich tu's, weil ich muß!…" "Mit den Wölfen mussman heulen! .." Wir teilen diese Ansicht nicht. Wir beten zu Gott: "Geheiligt werde dein Name!"Und wir können dies Heil nicht gleichzeitig mit dem Namen eines Menschen in Verbindungbringen. Wir sehen in Menschen nur Werkzeuge zur Hinausführung des göttlichen Ratschlusses,nicht mehr. 'Es ist in keinem Namen das Heil als in Jesus Christus'. Dies Schriftwort ist für unsmaßgebend. Wir werden diesen Gruß nie leisten, obwohl wir deshalb oft gepeinigt werden. Esmacht nichts. Die Forderung dieses Grußes macht viele Deutsche zu Heuchlern. Ist das IhreAbsicht? Gewiss nicht! Schaffen Sie schon deshalb diesen Gruß ab! Große Menschen sindimmer bescheiden zurückgetreten.Nein, wir werden diesen Gruß nie leisten, nicht weil wir gegen Ihre Person wären, sondern weilwir jeden Personenkult als für beide Teile gefährlich erachten und auf Grund der Kenntnis dermenschlichen Natur ablehnen müssen. Auch für uns bleibt der Mensch eben immer nur einMensch, mag er ein noch so hervorragendes Werkzeug sein - wir wissen, dass gerade solche ingrößter Gefahr sind.Sie selbst sagen in "Mein Kampf", dass Sie in Ihrer schwersten Zeit am meisten gelernt haben.Genau so ergeht es auch uns. Und doch müssen wir in Ihrem höchsten Interesse und im Interessedes Volkes bitten: Heben Sie diese ungerechten Verbote auf und geben Sie den Menschen, diedoch nur nach dem eigenen Gewissen und nach Gottes Wort leben wollen, endlich die Freiheit!"Auch diese eindringlichen Vorstellungen und Bündnisangebote an die Nazis, z. B. zum Kampfgegen die Kirchen, blieben erfolglos. Selbst verhaftete deutsche WTG-Führer, namentlich ausSachsen, erklärten sich 1938 mit den Nazis gegen die Kirchen solidarisch, wie aus einemLagebericht des nazistischen Generalstaatsanwaltes von Naumburg vom Januar 1938 zu ersehenist. Auch das war freilich vergeblich.Zitat:"Herrn MinRat. Dr. Mettgenberg.Herr Staatssekretär Dr. Freisler entnimmt aus dem Gesamtlagebericht über die Berichte derGeneralstaatsanwälte zum 1. 2. 1938:Im Bezirk Naumburg ist eine größere Bibelforscher-Organisation (etwa 1 000 Mitglieder)aufgedeckt worden. Der GStA. hält in diesem Zusammenhange eine Steigerung der Aufklärungin der Presse für notwendig. (S. 11 des Gesamtlageberichts).Herr Staatssekretär bittet um Vortrag.22. 3. 38Auszug aus dem Lagebericht des GenStA Naumburg (Saale) vom 31. 1. 1938:Die Stapostellen der Provinz Sachsen haben eine neue IBV-Organisation aufgedeckt, dieschätzungsweise 1 000 Mitglieder umfasst. Die Einlassung führender Mitglieder dieserOrganisation geht neuerdings dahin, dass sie sich, seit sie erkannt hätten, dass der Staat diebestehenden Kirchen "niederringen" wolle, mit dem Staat in diesem Kampfe solidarisch fühlten.Meiner Ansicht nach dürften auch die Tageszeitungen ihre aufklärende Tätigkeit in dieserHinsicht noch erheblich steigern und nachdrücklicher gestalten.IIIg 2307 38"Ein letzter Akt der WTG-Buhlerei um die Gunst der Nazis vollzog sich im Sommer 1938, justbevor die Nazis am 9. November 1938 ihre Kristallnacht veranstalteten, eine Nacht grausamerVerbrechen an der deutschen jüdischen Bevölkerung. Die braunen Horden setzten Synagogen inBrand, demolierten und raubten jüdische Geschäfte aus, ermordeten zahllose Juden oderschleppten sie in Konzentrationslager Am Vorabend dieses Pogroms veröffentlichte das WTGBüroin Bern am 15. Juli 1938 in der WTG-Zeitschrift »Trost« (»Erwachet«) einen Artikel überdie Juden, worin diese in Bausch und Bogen als »Bundesgenossen in des Teufels Organisation«diffamiert wurden, die ihre Verfolgung allenthalben verdient hätten:Zitat:"Trost

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15. Juli 1938Die Juden in PalästinaDeshalb sind auch ihre Augen blind und die Ohren taub gegenüber Gottes Wahrheit. Was Gottvor alters durch seine Propheten einem abtrünnigen Volke sagen ließ, ist heute sehr zeitgemäß.So wie man sich vor Jahrtausenden auf den "Stab Ägypten" stützte, anstatt auf Jehova, so stütztman sich auf England. Englische Juden suchen mit aller Beredsamkeit die englische Regierungzu überzeugen, wie sehr England einen jüdischen Staat in Palästina aus englischimperialistischenGründen benötige, und wie loyal die Juden dem englischen Weltreichgegenüber seien, und dass sie auch heute wieder bereit wären, für dieses Reich ihr Blut zuvergießen.So geht dieses Volk auch hier in seinem ehemaligen Heimatland einen Weg ohne ErkenntnisJehovas und seines gesalbten König Jesus, des Messias. Mit menschlichen Mitteln undmenschlichen Gedanken sucht man in den Besitz dieses Landes zu kommen und sieht nicht, wieJehova "die Räder des Wagens schwer macht", damit er nicht sein selbstgestecktes Ziel erreicht.Man schreit nach mehr "Religiosität", wie die anderen Bundesgenossen in des TeufelsOrganisation. Blind sind die Juden auch dafür, dass das "alte Weib" in Rom alles daransetzt, zuverhindern, dass die Juden hier selbständig werden. Seine Priester sind die größten Hetzer; ihre"heiligen Stätten" seien gefährdet, sollten die Juden zahlreicher werden! so schreien sie. Deshalbmuss auch England in seiner Abmachung mit Italien "die berechtigten italienischen (lies:katholischen) Interessen" garantieren, d. h. das Recht, dass das "alte Weib" fernerhin durch seineSchulen und Klöster das arme Volk verdummen darf, um es dann auszusaugen.Die Juden sind ein lebendiges Bild dafür, wie furchtbar es ist, den Segen Jehovas nicht zubesitzen. Abgeschnitten von der Gunst Gottes, sind sie auch hier ohne Ruhe. Wind säend, erntensie Sturm! Wie lange noch?G. R."»Auch hier« in Palästina, d. h. wie in Deutschland und anderswo, seien die Schwierigkeiten undDrangsale der Juden gerecht, da »Jehova die Räder ihres Wagens schwer macht«, verkündet dieWTG. Wer von dieser religiös verbrämten antisemitischen Hetze infiziert war, musste dieKristallnacht wie auch andere nazistische Judenverfolgungen, die viele Juden nach Palästinatrieben, zwar als furchtbar empfinden, doch was hilft's: Die Juden haben Wind gesät, und nunbringt Jehova ihren Wagen in den Sturm der Verfolgungen! Jeder Protest, jede Empörung überdie verbrecherische faschistische Judenpolitik musste in dieser WTG-Verkündigung ersticken.Und sie erstickte, selbst im Konzentrationslager im Angesicht der Massenvernichtung von Juden.So vermerkt der KZ-Kommandant von Auschwitz, SS-Sturmbannführer Rudolf Höß, in seinenAufzeichnungen kurz vor seiner Hinrichtung 1947 in Polen mit Verwunderung, dass dieWTGHäftlingeder Ansicht waren, die Juden hätten in den KZ »gerechterweise zu leiden und zusterben «. (Kommandant in Auschwitz. Autobiografische Aufzeichnungen von Rudolf Höß.Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart 1958, S. 113)Die redaktionelle Verantwortung für die allgemeine Judendiffamierung durch die WTG inEuropa im Kristallnachtjahr 1938 trägt Franz Zürcher vom WTG-Büro in Bern, der 1940Nachfolger von M. C. Harbeck wurde. Im »Wachtturm« vom 1. März 1966 (deutsch)veröffentlichte er unter dem Titel »Vorwärts im Dienste Jehovas« seine bisherige Laufbahn alsWTG-Führer. Reuelos verschweigt auch er - wie die Führung der Organisation insgesamt - dieantisemitische WTG-Politik in der Nazizeit.Wenn die WTG-Führung später ihre Ansichten über die faschistische Judenverfolgung geänderthat und diese verurteilt, so besagt das nicht, dass sie grundsätzlich Reue empfindet. Sie passt sichnur der neuen politischen Situation an. Selbst ein Himmler, seines Zeichens »Reichsführer SS«,wollte 1944 sein antisemitisches Kriegsbeil begraben. So bleibt die Schuld der Mittäterschaft derWTG-Führung bei der geistigen Vergiftung der meisten Deutschen durch Antisemitismus, beider geistigen Vorbereitung der nazistischen Verbrechen an den Juden bestehen. Erst im zweitenHalbjahr 1938 ging die WTG zu offener antifaschistischer Grundhaltung über. Rutherford war

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im September 1938 anlässlich eines WTG-Kongresses in London mit den noch freienwesteuropäischen Zweigdienern zusammengetroffen um sich über die Lage zu informieren.Nach den USA zurückgekehrt, veranstaltete er im 2. Oktober 1938 in New York eineKundgebung. Die Rede, die er dort hielt, »Faschismus oder Freiheit«, war das entscheidendeZeichen für den neuen politischen Kurswechsel. Zuvor hatte er noch die Broschüre »Schau denTatsachen ins Auge« und das Buch »Kreuzzug gegen das Christentum« veröffentlichen lassen.Erst damit war die endgültige Distanzierung der WTG-Führung vom Hitlerfaschismus vollzogen,nachdem alle Versuche, Angebote und Leistungen, mit Hitler auf der Grundlage derAnerkennung seines faschistischen Regimes und der Unterstützung seiner verbrecherischenPolitik in den genannten Fragen zu einem politischen Kompromiss zu gelangen, erfolglosgeblieben waren.Vor diesem Hintergrund muss man die Rolle sehen, welche die insbesondere in den Jahren 1936bis 1938 verhafteten deutschen höheren WTG-Führer Fritz Winkler, Erich Frost, Konrad Frankeund andere in den Händen der Gestapo gespielt haben.

Fritz WinklerNachdem Zweigdiener Paul Balzereit zusammen mit Hans Dollinger und anderen im Frühjahr1935 verhaftet worden war, wurde der Leiter des Berliner Büros der WTG in der PotsdamerStraße und spätere Bezirksdiener für Brandenburg und Schlesien, Fritz Winkler aus Berlin, vonM. C. Harbeck, Bern, zum Nachfolger für Balzereit eingesetzt. Zuvor hatte Harbeck in Brooklynund Washington die neue Methode der illegalen Berichterstattung aus Deutschland über dieDienststelle des USA-State Departments in Berlin abgesprochen, wobei Winkler, wie bereitsdargelegt, eine entscheidende Rolle spielte.Winkler wurde am 24. August 1936 von der Gestapo ebenfalls verhaftet. Mit ihm begann eineKette der direkten Gestapo-Handlangerei der hauptverantwortlichen deutschen WTG-Führer, dernach und nach zahllose andere WTG-Funktionäre und auch einfache Anhänger zum Opfer fielen.Es begann ein massenweiser Verrat der eigenen Glaubensbrüder an die Gestapo.Was Fritz Winkler betrifft, so lese man den nachfolgenden Bericht der Geheimen StaatspolizeiBerlin vom 28. August 1936 an die untergeordneten Dienststellen der Gestapo und derPolitischen Polizei der deutschen Länder:Zitat:"Preußische Geheime StaatspolizeiGeheimes StaatspolizeiamtDer Politische Polizeikommandeurder LänderBerlin, den 28. August 1936.II I B I - S 1035/361483Analle Staatspolizeistellen und Politischen Polizeien der Länder- nachrichtlich den Herren Regierungspräsidenten und Oberpräsidenten in Preußen.Betr.: Internationale Bibelforschervereinigung.Anl.: 2 Blattsammlungen und 2 Pausskizzen sowie einige rote und grüne Gutscheine.In der Anlage übersende ich zur Kenntnisnahme Abschrift der Vernehmungsniederschrift desIBV-Mitgliedes Winkler v. 24. 8. 1936 sowie eine Aufstellung über die von der IBV inDeutschland verteilten Grammophonapparate nebst Zubehörteilen und Schallplatten und fernereine Skizze über den Aufbau der illegalen IBV in Deutschland und eine Sonderskizze für dasGebiet Berlin. Weiterhin füge ich einige der roten und grünen, auf Seite 21 der eben genanntenAbschrift erwähnten Gutscheine bei.Winkler hatte die oberste Leitung der IBV in Deutschland. Aus seinen Aussagen sind imeinzelnen der Aufbau, die Hauptfunktionäre, die Arbeitsweise, insbesondere die Art derNachrichtenübermittlung, des Buchvertriebes, die Verteilung von Grammophonapparaten u.

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Schallplatten sowie des Geldverkehrs zu ersehen. Im Zuge einer größeren Aktion ist bereits diegesamte Zentralleitung der IBV ausgehoben worden.Ich ersuche nunmehr, auf Grund der anliegenden für den jeweiligen Bezirk in Betrachtkommenden Unterlagen, in den einzelnen Bezirken die weiteren Maßnahmen zu treffen. In ersterLinie sind die von Winkler angegebenen Bezirksdienstleiter festzunehmen. Durch ihreanschließende Vernehmung sind die ihnen unterstellten Dienstleiter, Postanlaufstellen,Bücherlager,W. T.-Hersteller, Literaturanlaufstellen usw. festzustellen. Die Untergliederung bei den dortigenBezirksdienstleitern muss in den übrigen Bezirken der aus der zweiten Skizze ersichtlichenUntergliederung des Berliner- und des Brandenburgisch-Schlesischen Bezirks entsprechen. Diesüddeutschen BDL haben möglicherweise die Literatur über die Schweizer bezw. französischeGrenze erhalten.Mit Rücksicht darauf, dass voraussichtlich an der am 4. 9. 1936 in Luzern (nicht wie auf Seite 21der Vernehmung Winklers angegeben) beginnenden Tagung auch deutsche Funktionäreteilnehmen werden, ersuche ich, die Maßnahmen einheitlich am 31. 8. 1936 einzuleiten. Überdas Ergebnis ist fortlaufend und ausführlich unter Beifügung der wesentlichenVernehmungsniederschriften zu berichten.In Vertretung:gez. …Beglaubigt: Kanzleiangestellte. K.Geh. Staatspolizei.Geheimes Staatspolizeiamt".

Erich FrostNachfolger Fritz Winklers wurde 1936 der damalige Bezirksdienstleiter Erich Frost aus Leipzig.Frost war früher von Beruf Tanzmusiker. In Leipzig hatte er dann die Funktion eines örtlichenDienstleiters der WTG inne. Er wurde 1936 auf einem WTG-Kongress in Luzern/Schweiz, andem er illegal teilnahm, von Präsident Rutherford persönlich zum deutschen »Reichsdiener«ernannt. Am 21. März 1937 wurde er von der Gestapo verhaftet. Aus Rache dafür, dass ihn derihm unterstellte Bezirksdiener Georg Rabe der Gestapo verraten hatte, lieferte er alle ihmbekannten WTG-Funktionäre der Gestapo aus. Neue Massenverhaftungen waren die Folge. Dasauthentische Material über diese Gestapodienste Frosts ist zu umfangreich um es hier ganz zuveröffentlichen. Es kann nur das Wesentliche unterbreitet werden, das jedoch für dieUrteilsbildung völlig ausreicht Man lese zunächst die folgenden Gestapoberichte:Zitat:"Eilt sehr2. Juli 1937II 1134 - VA. 1541 C.Kp.- Nr. 409/37.36364 II 113Chef der SicherheitspolizeiAdjudanturEing. 6. 4. 1937Nr. 2501C. vorlegen 5. 4. 37Betr.: Aktion gegen die illegale Bibelforschervereinigung.Vorg.: diess. Schreiben VA. 1541 - Nr. 410/37 vom 22. 3. 1937.Im August 1936 wurde die erste Aktion gegen die illegale I. B. V. vom GeheimenStaatspolizeiamt in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Referenten des SD-Hauptamtesdurchgeführt. Mit Ausnahme der nach der Schweiz (Luzern) gereisten Bezirksdienstleiter R a be, D i t s c h i, F r o s t und W a n d r e s konnten sämtliche Hauptfunktionäre festgenommenwerden.

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Durch die am 12. 12. 36 veranstaltete Flugblattaktion der I. B. V. wurde offenbar, dass bereitseine zweite illegale Organisation der I. B. V. im Reich bestand. Durch die Festnahme des BDL.R a b e und durch dessen Aussagen konnte mit der zweiten Aktion gegen die I. B. V. begonnenwerden. Diese führte zur Festnahme der Bezirksdiener D a u t, S i e b e n e i c h l e r,N a w r o t h und des Reichsdieners F r o s t. Die Bezirksdiener D i t s c h i, W a n d r e s, F e h st, S t i c h e l und F r i e s e befinden sich noch auf freiem Fuß. Sie leben illegal.Der Erfolg dieser Aktion ist z. Zt. durch die Personaländerung im zuständigen Dezernat II B 2des Gestapa in Frage gestellt. Nach hiesiger Ansicht muss auch diese Aktion als gescheitertangesehen werden, wenn sie nicht mit allen Mitteln und mit aller Energie durchgeführt wird.Solange noch ein Hauptfunktionär der illegalen I. B. V. auf freiem Fuß ist, muss mit dersofortigen Neuorganisation der I. B. V. gerechnet werden.Es wird daher zur erfolgreichen Bekämpfung der I. B. V. vorgeschlagen, aus den einzelnenStapostellen sachkundige Beamten zu einem Sonderkommando zusammenzustellen und diesemeinige mit der Materie vertraute Sachbearbeiter der SD-Oberabschnitte zur Verfügung zu stellen.Die Erfahrung aus den beiden Aktionen hat gezeigt, dass Beamte, die keine Sachkenntnis aufdiesem Gebiete haben, für derartige Aktionen ungeeignet sind,I. an Stbf. mit der Bitte um Kenntnisnahme und Entscheidung über Vorlage bei C.II. Wiedervorlage bei II 1134 sofort.Stbf. II I1 II1 II11 II 113 II 11342. April 1937."Zitat:"Ad. II B 261/37 S.Berlin, den 16. 4. 371034Bericht.Betrifft: Die "Internationale Bibelforscher-Vereinigung"Über die staatsgefährdende Organisation der "Internationalen Bibelforscher-Vereinigung" istbereits eingehend berichtet worden, so dass von einer näheren Erläuterung über Zweck und Zielder IBV Abstand genommen wird.Bemerkt wird, dass gegen 14 der oben benannten festgenommenen Personen bereits richterlicherHaftbefehl erlassen worden ist.Die Neu-Organisierung der illegalen IBV und deren Arbeitsweise konnte durch die Aussagen derfestgenommenen IBV-Funktionäre S i e b e n e i c h l e r, R a b e, D a u t und F r o s t aufgedecktwerden.Fest steht, dass alle Hauptfunktionäre sich illegal in Deutschland aufhalten bzw. aufhielten, imBesitze von gefälschten und falschen Ausweisen sind und nicht nur bei Glaubensgeschwistern,sondern auch bei alten Leuten Unterschlupf gefunden haben. Sämtliche Funktionäre sind fernerim Besitze von Netzkarten der Reichseisenbahn für das gesamte Reichsgebiet, oder fürTeilbezirke.Grundsätzlich wurden aber weit höhere Beträge gegeben und der Überschuss als "Gute-Hoffnungs"-Beiträge abgeführt.Durch die Festnahme von S i e b e n e i c h l e r und R a b e ist die Aufrollung ihrer Bezirke(Bayern und Ostpreußen) möglich geworden. Desgleichen trifft dies für den Bezirk D a u t(Berlin und Umgebung) zu. Daut hat in seiner Vernehmung vom 13. 4. 37 alle seineGruppendiener genannt, mit deren Inschutzhaftnahme durch die Stapoleitstelle Berlin in nächsterZeit zu rechnen ist. Berlin war in 19 Gruppen eingeteilt. Unter Zugrundelegung der für Berlinangefertigten Wt.-Exemplare von 240 Stück und unter Berücksichtigung, dass jede Zelle 4 bis 6Personen umfasst, ist die Zahl der heute im Berliner Bezirk wohnenden Bibelforscher auf 1000bis 1200 Personen zu schätzen."Zitat:"Ad. II BBerlin, den 2. April 1937.

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Verhandelt!Vorgeführt erscheint Erich Frost, geboren 22. 12. 00 zu Leipzig, ohne festen Wohnsitz, underklärt:Ich stehe jetzt im 36. Lebensjahr und bin seit 1922 Zeuge Jehovas. Die diesbezügliche Taufehabe ich am 4. März 1922 erhalten. Wer mich getauft hat, kann ich heute nicht mehr angeben.Ich will hierbei bemerken, dass auch meine Eltern bereits um diese Zeit Bibelforscher, wie wiruns früher nannten, waren.Nachdem Balzereit, festgenommen war und an seiner Stelle der Glaubensbruder Winkler dasdeutsche Werk der Zeugen Jehovas leitete, befand ich mich in der Tschechoslowakei, wo ich dasSchöpfungsdrama aufführte. An dem Luzerner Kongress im September 1936 habe ichteilgenommen und wurde vom Richter Rutherford an Stelle des festgenommenen Winkler mitder Leitung des deutschen Werkes unter Anlehnung an das Prager Büro, dem der Bruder D w e ng e r vorsteht, beauftragt. In Luzern fand daraufhin eine Konferenz statt, die sich lediglich mitder Weiterführung des deutschen Werkes befasste. Es fand eine Neueinteilung der Bezirke inDeutschland statt, die von folgenden Brüdern übernommen wurde.Georg R a b e. Bezirksdiener für1. Ostpreußen2. Westpreußen3. Pommern4. Mecklenburg.Artur N a w r o t h. Bezirksdiener für1. Ostschlesien2. Grenzmark.August Fehst. Bezirksdiener für1. Westsachsen2. Sachsen (östlich der Elbe), nach der Festnahme des Bezirksdieners Wilhelm E n g e l,festgenommen im Dezember 36 oder Januar 37.Otto D a u t h, Bezirksdiener für1. Berlin2. Mark Brandenburg.Fred M e i e r. Bezirksdiener für1. Westsachsen bis einschließlich Anhalt.Walther F r i e s e. Bezirksdiener für1. Thüringen2. Harzgebiet3. Hannover.Heinrich D i t s c h i. Bezirksdiener für1. Schleswig-Holstein2. Oldenburg3. Ruhrgebiet, Westfalen.Albert W a n d r e s. Bezirksdiener für1. Rheinland2. Baden3. Württemberg.Kurt S i e b e n e i c h l e r . Bezirksdiener für1. Bayern.Über eine direkte Einteilung der Bezirke in sogenannte Unterbezirke bin ich nicht genauorientiert. Bekannt ist mir lediglich, dass in den großen Bezirken von D i t s c h i und W a n d r es Mitarbeiter bezw. sogenannte Unterbezirksdiener tätig waren.Für D i t s c h i kommen hierfür in Frage:1. L ü d e n s c h l o ß, Vorname vermutlich Ernst.2. F e n n h o f e n, die Schreibweise seines Namens und sein Vorname sind mir nicht bekannt; er

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heißt mit Vornamen vermutlich Erich: Ditschi sprach immer von einem Erich.Für W a n d r e s kommen hierfür in Frage:1. S c h l ö m e r, vermutlich Hermann.2. S t i c k e l, Ludwig.Soweit in den einzelnen Bezirken keine Unterbezirke eingerichtet waren, wurde diese einzelnenBezirke organisatorisch in Gruppen und diese wiederum in Zellen eingeteilt."Dann machte Frost Angaben über seine Mitarbeiter im einzelnen. Über den damals noch illegalarbeitenden Bezirksdienstleiter oder Bezirksdiener August Fehst sagte er aus:Zitat:"Den Bezirksdiener August F e h s t kenne ich seit dem Jahre 1931. Ich war früher mit ihm in derTschechoslowakei als Bibelforscher tätig. Seine Wohnung ist mir nicht bekannt. In Deutschlandmuss er sich mindestens 1 Jahr lang ohne feste Wohnung aufhalten. Auch er war mit in Luzern,seit dieser Zeit ist er der Bezirksdiener für Westschlesien und Ostsachsen.F e h s t lieferte bei den bekannten Treffs in Berlin wenig oder überhaupt kein Geld ab, imGegenteil, er ließ sich von mir noch größere Beträge aushändigen, die er zur Bezahlung derSchmuggler, welche ihm verbotene Literatur der illegalen IBV aus der Tschechoslowakei nachDeutschland brachten, benötigte. Außerdem benötigte er viel Geld zur Versendung diesesSchriftmaterials an die Deckadressen der einzelnen Bezirksdiener. Nur in einem Falle in Berlinam 6. März 37 übergab mirF e h s t einen Betrag von ca. 500.-- RM. Quittungen über alle mir ausgehändigten Gelderwurden nichtausgestellt. Das trifft in jedem Falle zu. Fehst selbst verschaffte sich die Literaturaus der Tschechoslowakei durch den Glaubensbruder W a g n e r aus Warnsdorf/CSR. DurchWagner stand Fehst in ständiger Verbindung mit dem Zweigbüro der IBV in Prag wegenBelieferung von IBV-Literatur. Schätzungsweise sind durch Wagner 40 000 Bücher undBroschüren der IBV über die Grenze bei Spindlersmühle im Riesengebirge, sowie bei Warnsdorf(Zittauer Gebirge) gebracht worden. F e h s t übernahm diese Sendungen und verschickte sie andie einzelnen Deckadressen der anderen 6 Bezirksdiener. Einen Teil der Literatur hielt Fehst fürseinen Bezirk zurück. Insgesamt enthielten die Sendungen folgende Bücher und Broschüren:1.) Das Buch "Reichtum", etwa 900 Exemplare,2. Die Broschüre "Entscheidung", etwa 35 000 Exemplare,3.) Die Broschüre "Oberherrschaft", etwa 2000 Exemplare,4.) Die Broschüren "Gesundheit und Leben", "Schlusskampf", "Frohe Botschaft" u. a. mehr,etwa 2 bis 3000.Außerdem wurden noch in der Zeit von 6 Monaten etwa 3 bis 4000 "Goldene Zeitalter" aus derTschechoslowakei durchW a g n e r über die Grenze geschmuggelt. Diese Zeitschriften brachte F e h s t mit zu den Treffsin Berlin, wo sie an die einzelnen Bezirksdiener verteilt wurden. Die gesamte Literatur ist inBern/Schweiz gedruckt worden, von dort aus wurde es unentgeltlich nach Prag an das Zweigbüroder IBV geliefert. Auch wir in Deutschland erhielten diese Literatur ohne Bezahlung. F e h s thatte lediglich eine Vergütung für die Schmuggler zu zahlen, die ihm von mir aus ausgehändigtwurde."August Fehst hielt u. a. auch noch die Verbindung mit dem WTG-Büro in dar Schweiz aufrecht.Er muss im Sommer 1939 verhaftet worden sein.Aus Berlin überlieferte Frost der Gestapo u. a. die Herstellerin der illegalen WTG-Literatur, IdaStrauß. Auch ihren Decknamen nannte er:Zitat:"Bei meinen häufigen Zusammenkünften mit Daut befand sich die Glaubensschwester IdaStrauss, die den Decknamen"M o r i t z " führte. Von Daut habe ich erfahren, dass die Strauss die Vervielfältigungen desWachtturms herstellt."Dem noch in Freiheit lebenden Bezirksdiener Albert Wandres setzte Frost die Gestapo mitfolgenden Angaben auf die Spur:

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Zitat:Bezirksdiener W a n d r e s.Meine Angaben auf Blatt 9 in der Vernehmung vom 15. 4. 37 habe ich wie folgt zu ergänzen:Mit Wandres traf ich in Stuttgart 2 mal zusammen. Der erste Treff lag im November oderDezember 1936. Wir trafen uns am Bahnhof und suchten die Wohnung einer Glaubensschwesterauf. Den Namen der Glaubensschwester kann ich nicht angeben. Die Wohnung befindet sichschräg rüber vom Café "Olga" und zwar in der Straße, die die Olgastr. schneidet. DieHausnummer selbst kann ich nicht angeben. Die Wohnung ist aber im 2. Stockwerk gelegen.Soweit ich mich entsinnen kann sind in diesem Grundstück keine Geschäfte untergebracht. Eshandelt sich um ein reines Wohngrundstück. In der Wohnung, zugegen waren: BezirksdienerWandres, sein Unterbezirksdiener Ludwig S t i c k e l aus Pforzheim, ich selbst, unterhielten wiruns über die Wahrheit und erörterten Fragen des Glaubens. Organisatorische Fragen,insbesondere, ob im Bezirk alles in Ordnung sei wurden schon auf dem Wege zu dieserWohnung behandelt.Bei dieser Gelegenheit möchte ich folgendes bemerken:Gelegentlich des Haupttreffs im Januar d. Js. in Berlin teilte mir W a n d r e s mit, dass er zurVervielfältigung eine Schreibmaschine gekauft habe. Er legte mir eine Abrechnung vor, wonacher für 240,-- RM eine neue Schreibmaschine, Marke unbekannt, gekauft habe. Den Lieferantensowie den Lieferort vermag ich nicht anzugeben, da wir uns darüber nicht unterhalten haben. Ichvermute aber, dass Wandres die fragliche Schreibmaschine in Süddeutschland gekauft hat."Über Heinrich Ditschi, der von WTG-Präsident Rutherford 1936 in Luzern zum Nachfolger fürFrost bestimmt worden war, falls dieser verhaftet wird, machte er folgende Angaben, die von derGestapo sofort unterbrochen wurden, als er Ditschis Verbindungen nach Holland nannte,offenbar um sogleich Fahndungen einzuleiten:Zitat:Bezirksdiener D i t s c h iZu meinen am 15. 4. 37 über den Bezirksdiener Heinrich D i t s c h i gemachten Angabenergänze ich noch folgendes: Mit Ditschi war ich im Oktober 1936 und dann noch einmal imDezember 1936 in Dortmund zusammen. Wir trafen uns beide Male vorerst auf demHauptbahnhof in Dortmund und gingen dann zusammen nach der Wohnung o. g.Glaubensbruders B e i k e oder P e i k e in der Uhlandstr., Nr. unbekannt. Beike muss Inhabereiner im gleichen Grundstück gelegenen Stickerei sein, die sich im Erdgeschoss befindet. Inbeiden Fällen waren bei diesen Treffs anwesend: W a n d r e s, D i t s c h i, sowie derUnterbezirksdiener L ü n e n s c h l o s s vom Bezirk Ditschi und ich selbst. Bei diesen Treffsbehandelten wir die Auslegung der Bibel und unterhielten uns über die Wahrheit. DerWohnungsinhaber war nicht zugegen. Ich muss an dieser Stelle hervorheben, dass ich außer denabgehaltenen Andachten mich immer überzeugen wollte, ob und wie die verschiedenenBezirksdiener überhaupt noch für die IBV arbeiten. Es konnte ja möglich sein, dass in einigenFällen Verhaftungen vorgenommen waren und der Bezirk dann ohne Leitung gewesen wäre. Insolchen Fällen war es meine Aufgabe, einen neuen Bezirksdiener zu finden und einzusetzen.D i t s c h i war bereits in Luzern als mein Nachfolger in dem Falle vorgeschlagen und bestimmtworden, wo ich als Reichsdiener verhaftet werde. Im Falle meiner Verhaftung hat sich Ditschisofort in das Zweigbüro in Prag zu wenden, um weitere Weisungen entgegenzunehmen.Nebenher möchte ich noch erwähnen, dass Ditschi nach seinen Äußerungen Beziehungen zuGlaubensgeschwistern in Holland hat und mit diesen in ständiger Verbindung steht. Nähereshierüber weiß ich nicht anzugeben. Mir ist nur bekannt, dass Ditschi wiederholt mitGlaubensgeschwistern über Sterkrade mit Holland in Verbindung steht. Ich halte es für sehrwahrscheinlich, dass Ditschi wiederholt in Sterkrade war.Die Vernehmung wird abgebrochen."Aus München überlieferte Frost der Gestapo insbesondere die aktiv illegal arbeitende ElfriedeLöhr, die später zusammen mit Frosts Mitarbeiterin Ilse Unterdörfer ins KonzentrationslagerRavensbrück kam. Frost machte folgende, betont freimütigen Angaben in dieser Sache:

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Zitat:"Ad. II BBerlin, den 26. April 1937.Verhandelt.Vorgeführt erscheint Erich F r o s t , Personalien bereits aktenkundig, und erklärt:Am 6. März 1937, also am Tage des letzten Haupttreffs in Berlin, war Siebeneichler nichtzugegen. Weil wir über ihn besorgt waren, schickte ich die Ilse U n t e r d ö r f e r sofort nachMünchen, um über Siebeneichler Erkundigungen einzuziehen. Ich übergab der Unterdörfer einemir von Siebeneichler genannte Münchener Telefonnummer. Nach Anruf beim Inhaber dieserNummer traf sich die Unterdörfer in München mit einer mir unbekannten Glaubensschwester,die mit Vornamen "Gertrud" hieß. Mir ist in Erinnerung, dass die Gertrud personengleich ist mitder Elfriede L ö h r aus München. Ich vermute das wenigstens so, eine nähere Begründung habeich allerdings hier nicht."Als Frost nach 1945 durch Verschweigen seiner Gestapodienste wieder auf den Posten desdeutschen Zweigdieners gelangt war, sandte er Ilse Unterdörfer und Elfriede Löhr, die beide dasKonzentrationslager überlebt hatten, als erste deutsche Absolventinnen 1950 zur »Gilead«-Missionarsschule der WTG in die USA.Sie folgten wiederum ahnungslos ihrem Henkersknecht den sie von Gott eingesetzt wähnten.Der Auszug aus dem Register von Frosts Kollaboration mit der Gestapo soll abgeschlossenwerden mit seinen Angaben über den damaligen WTG-Zweigdiener von Prag, HeinrichDwenger, und dessen Mitarbeiter Joseph Bahner. Diese Angaben waren im Hinblick auf dieEroberungspläne Hitlerdeutschlands, in denen die Tschechoslowakei eines der ersten Opfer seinsollte, besonders bedeutsam. Liquidierte die Gestapo doch auch in allen Ländern, die dieHitlerwehrmacht besetzte, die WTG-Zentralen. Frosts Angaben bei der Gestapo über das»Zweigbüro der IBV«.Zitat:"Der in Prag im Zweigbüro der IVB tätige B a h n e r, Josef, ist Sudetendeutscher,schätzungsweise 34 Jahre alt, Bahner befindet sich für die IBV dauernd auf Reisen in derTschechoslowakei, sein Wohnort ist Brünn, in der CSR., Straße unbekannt. Bahner war früherOffizier im Heere der CSR, er ist etwa 1,63 m groß, hat blasses Aussehen, blondes Haar. Bahnermuss früher zeitweilig im Bibelhaus der Wachtturmgesellschaft in Magdeburg beschäftigtgewesen sein. Von Beruf ist er m. W. Kaufmann.Heinrich D w e n g e r ist der frühere Leiter der Dienstabteilung der W. T.-Gesellschaft inMagdeburg gewesen. Er war dort viele Jahre tätig und ist Reichsdeutscher. Ich schätze ihn auf 45Jahre, er wird 1,70 m groß sein, trägt kurzgeschnittenen Schnurrbart, hat Haare von bräunlicherFarbe, gescheitelt. Dwenger ist unverheiratet und in seiner Art ein Sonderling.Bei dieser Gelegenheit möchte ich angeben, dass die bei mir gefundenen Schweizer Francs, eskönnen etwa über 50 gewesen sein, von dem Bezirksdiener W a n d r e s stammen, der sie mir imFebruar dieses Jahres beim Haupttreff übergeben hatte. Wandres erhielt diese Francs vonsüddeutschen Glaubensgeschwistern, die zum Kongress in Luzern waren und das Geld nichtrestlos verbraucht hatten. Die Francs hatten die Glaubensgeschwister als G. H.-Gelder demDeutschen Werke zur Verfügung gestellt. Wenn ich nicht verhaftet worden wäre, hätte ich dieFrancs bei der Reichsbank eingetauscht. Bisher hatte ich dazu noch keine Gelegenheit gefunden.v. g. u.Erich Frostgeschlossen."Der von Frost zusätzlich als »unverheirateter Sonderling« diffamierte Heinrich Dwenger ist lautJahrbuch 1964 der WTG seit 1945 wieder »ordinierter Sonderdiener« in ahnungslosemEinvernehmen mit dem, der ihn der Gestapo auslieferte. Ein weiteres Mal enthüllt sich hier derTrug der sogenannten theokratischen Überwaltung oder göttlichen Führung der WTGOrganisation.Am 29. Oktober 1937 wurde Frost vom nazistischen Sondergericht in Berlin zu 3 Jahren und 6Monaten Gefängnis verurteilt. Am 29. Oktober 1940 wurde er dann der Gestapo in Berlin, Abt.

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11 B 11 des »Reichssicherheitshauptamtes« (Himmler) aus »besonderen Gründen« zugeführt. Erkam u. a. in das Konzentrationslager Sachsenhausen, wo er außergewöhnlich bevorzugt wurde.Er unterrichtete den Sohn des KZ-Kommandanten im Klavierspielen und musizierte beiSSVergnügenals »musikalischer Gesellschafter des Lageroffiziers«, wie die WTG es darstellt. (DerWachtturm, 15. April 1956, WTG Wiesbaden, S. 247)Es soll hier nun gleich das Ende der WTG-Laufbahn Frosts vorweggenommen werden. Zuminternationalen Kongress der WTG im Juli 1961 in Hamburg vollbrachte er als deutscherWTGRedakteurseinen letzten großen und öffentlichen Betrug. Raffiniert politisch aufgemacht - vorrotem Untergrund mit der Vokabel »totalitär« -, stellte er sich in einem »Wachtturm«-Bericht,betitelt »Befreiung von totalitärer Inquisition durch Glauben an Gott«, wie ein »Daniel in derLöwengrube« vor. »Das Schlimmste« habe er im Konzentrationslager erlebt, das zu Papier zubringen »sich die Feder sträubt«. Nur durch Glauben an Gott sei auch er noch am Leben undkönne »die Geschichte erzählen«.An der Brutalität und Bestialität von SS und Gestapo besteht kein Zweifel, aber im Falle Frostsieht es gänzlich anders aus. Angesichts dessen, was er laut Gestapodokumenten alles berichtethat, ist völlig unglaubwürdig, was er im »Wachtturm« vom 1. Juli 1961 von unablässigen Rufenzu Jehova und Schweigen um der Brüder willen schreibt.Zitat:"1. Juli 1961Der WACHTTURMBEFREIUNG von TOTALITÄRER INQUISITIONVon Erich Frost erzähltUNTER NAZI-DÄCHERNAm 27. März 1937 sollte die jährliche Feier zum Gedächtnis an Christi Tod stattfinden Ich hattemich mit zehn Brüdern verabredet um die Untergrundtätigkeit zu besprechen, doch sollte esanders kommen. Am 21. März, um zwei Uhr morgens, dröhnen heftige Schläge und Fußtrittegegen die Wohnungstür. Binnen weniger Sekunden lasse ich ein dünnes Papierröllchen mitwichtigen Aufzeichnungen in der Matratze der Bettcouch verschwinden, und schon treten zehnMann der Geheimen Staatspolizei ein: "So, ziehen Sie sich an, Frost. Das Spiel ist aus!" Ichbetete zu Jehova und begann mich anzuziehen, während sie das gastliche Zimmer zu einerRäuberhöhle machten. Das Papierröllchen wurde nie gefunden.Alles wickelte sich nun sehr schnell ab. Die Gestapo hatte Kenntnis von unserem Plan, uns anjenem Freitag zur Gedächtnismahlfeier zu treffen, doch wusste sie nicht, wo. Mehr als einmalschlug man mich, bis ich bewusstlos war, überschüttete mich dann mit Wasser um mich wiederzum Bewusstsein zu bringen. Bald konnte ich nicht mehr liegen und nicht mehr sitzen. VonFreitag bis Montag aß und trank ich kaum etwas, rief aber unablässig Jehova um Hilfe an, damitich um der Brüder willen schweigen könnte. Als ich wieder vor die Gestapo-Meute geführtwurde, dachte ich an Daniel in der Löwengrube. Ihr zorniger Wortschwall verriet mir, was ichhören wollte: Die Brüder waren nicht in das Netz geraten, das die Polizei gelegt hatte. MeineFreude war unbeschreiblich."Die Wahrheit ist vielmehr die: Frost hat nicht nur nicht geschwiegen, sondern er hat ohne jedesichtliche Veranlassung durch die Gestapo, geschweige denn durch Schläge, aus eigenemAntrieb ausgepackt, bis hin zu solchen persönlichen Bemerkungen wie, der Leiter desWTGZweigbürosin Prag, Heinrich Dwenger, sei ein »unverheirateter Sonderling«. Nicht nur dievorliegenden Aufzeichnungen über Frosts Berichte an die Gestapo beweisen, dass sein»Wachtturm«-Artikel ein skandalöser öffentlicher Betrug ist, zugleich bezeichnend für die"Wachtturm«Zeitschrift als angeblicher göttlicher Kanal für die Zeugen Jehovas. Bei einemGespräch im Juli 1956 in Wiesbaden hat Frost offen und reuelos zugegeben, dass er aus Rachean seinen Mitarbeitern, die ihn verraten haben, das ganze WTG-Werk in Deutschland 1937

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»hochgehen« ließ.Ebenfalls aus Anlass des internationalen WTG-Kongresses im Juli 1961 in Hamburg und unterBezug auf Frosts Bericht im »Wachtturm« vom 1. Juli 1961 veröffentlichte das HamburgerNachrichtenmagazin »Der Spiegel« am 19. Juli 1961 einen zweiseitigen illustrierten Artikel mitdem Titel »Väterchen Frost«, in dem die wahre Rolle des Frost in der Nazizeit alsGestapohandlanger öffentlich bekanntgemacht wurde. Der Bericht hat folgenden Wortlaut:Zitat:"DER SPIEGELDAS DEUTSCHE NACHRICHTEN-MAGAZIN19. Juli 1961 Nr. 30SEKTENZEUGEN JEHOVAS

Väterchen FrostTausende Zimmerleute, Installateure und Erdarbeiter - sämtlich freiwillige unbezahlte Helfer -verwandeln in diesen Tagen die große Festwiese des Hamburger Stadtparks in einen"Königreichssaal unter freiem Himmel".In diesem windigen Lokal will eine religiöse Sekte tagen, die insgesamt über 700 000 Mitgliederzählt, in der zivilisierten Welt aber nicht auftreten kann ohne belächelt oder verfolgt zu werden:die Zeugen Jehovas.Missionseifrig predigen die in Amerika heimischen Sektierer, dass sich Gott vor der Weltrechtfertigen müsse, weil er Luzifer erlaubt habe, Menschen, Staaten und Kirchen, einschließlichdes Papstes in Rom, zu vergiften.In dem hansestädtischen Saal ohne Dach wollen die Zeugen vom 18. bis zum 23. Juli eineninternationalen Kongress mit Delegierten aus 50 Ländern abhalten. Für die Tage der Erbauungwerden 75 000 Stühle aufgestellt, Proviant-Zelte errichtet und 12 000 Blumen eingepflanzt.Inmitten dieser Bühnenflora wird sich dem Jehova-Publikum eine Dreieinigkeit darbieten,bestehend aus dem Chef der weltweiten Organisation, Mister Nathan Homer Knorr ausBrooklyn (New York) dem Chef des deutschen Zeugen-Jehovas-Zweiges, "Zweigdiener" KonradFranke aus Wiesbaden, und dem Vorgänger Frankes, Erich Frost.Der sechzigjährige Frost gilt in diesem Triumvirat als ideologische Autorität: Er leitet dieWiesbadener Wachtturm-, Bibel- und Traktat-Gesellschaft, die geistige Zentrale der deutschenZeugen Jehovas, und ist außerdem verantwortlicher Redakteur des "Wachtturms".Väterchen Frost, wie er wegen seiner Leutseligkeit in vertrautem Kreis genannt wird, will denwürdigen Rahmen unter anderem nutzen, um der 2000 Opfer aus der Zeit des Hitler-Regimes zugedenken, die seine Sekte zu beklagen hat.Die Rolle, die Frost selbst auf diesem Leidensweg der Zeugen Jehovas gespielt hat, wirdallerdings in überlieferten Gestapo-Akten anders dargestellt, als in einem Aufsatz, der derfrühere Cafehaus-Musikus Frost noch vor dem Hamburger Kongress im "Wachtturm" unter demTitel "Befreiung von totalitärer Inquisition durch Glauben an Gott" veröffentlichte.(Jehovas Reichsdiener FrostInquisition im Wachtturm)Frost bekleidete in der NS-Zeit, als die Zeugen Jehovas in Deutschland nur untergründig wirkenkonnten, das Amt des sogenannten Reichsdieners. Der Reichsdiener war der oberste Jehova-Funktionär; ihm unterstanden die Bezirksdiener, diesen wiederum die Kreis- und Ortsdiener.Da die Diener Jehovas sich tapfer gegen das Dritte Reich auflehnten und behaupteten, auchHitler-Deutschland sei Luzifers Werk, ereilte sie nach 1933 des Führers Auflösungs-Dekret:Büros und Traktat-Druckereien wurden geschlossen, die Vereinsgelder der NS-Volkswohlfahrtübereignet und sämtliche Schriften beschlagnahmt.Die Zeugen ließen sich aber durch derartige Schikanen nicht unterkriegen. Als 1936 ein Jehova-Kongreß in Luzern beschloss, in Deutschland eine große Flugblatt-Aktion wider das Verbot derSekte zu starten, konnte Frost alsbald den prompten Vollzug melden. Am 12. September 1936

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zwischen 17 und 19 Uhr, wurden in fast allen größeren Städten des Reiches die Flugblätter mitder sogenannten Luzerner Resolution - insgesamt 300 000 Exemplare - unbemerkt in Briefkästenund Türschlitze gesteckt. Außerdem schickten die ausländischen Zeugen Jehovas 20 000 Protest-Telegramme an "Exzellenz Hitler, Deutschland".Die Jehova-Zeugen verweigerten im Hitler-Deutschland - wie auch weniger gefahrvoll in allenanderen Staaten - den Militärdienst, und zwar sogar in Friedenszeiten und als Sanitäter.Die aus den USA und aus der Tschechoslowakei ferngesteuerten deutschen Bibelforscherenthielten sich überdies couragiert des Deutschen Grußes. Die Folge: Viele Zeugen Jehovaswanderten im Dritten Reich in die Gefängnisse und Konzentrationslager.Aber selbst nach einer großen Verhaftungswelle im Jahre 1936 arbeitete die Organisation nochexakt, weil der oberste Funktionärskörper nach wie vor anonym blieb. Das änderte sich erst,nachdem es der Geheimen Staatspolizei 1937 gelungen war, des Reichsdieners Frost habhaft zuwerden. Erinnert sich Frost:Am 21. März, um 2 Uhr morgens, dröhnen heftige Schläge und Fußtritte gegen dieWohnungstür. Binnen weniger Sekunden lasse ich ein dünnes Papierröllchen mit wichtigenAufzeichnungen in der Matratze der Bettcouch verschwinden, und schon treten zehn Mann derGeheimen Staatspolizei ein: "So, ziehen Sie sich an, Frost. Das Spiel ist aus!"Nach dieser drehbuchreifen Story seiner Sistierung ist es Frost damals gelungen, die Liste seinerGetreuen vor der Gestapo zu verstecken. Als Frost später vernommen wurde, habe er am"zornigen Wortschall" der Inquisitoren erkannt, dass "die Brüder … nicht in das Netz geraten(waren), das die Polizei gelegt hatte".Frost flehte damals, wie er jetzt im "Wachtturm" schildert, tagelang Jehova um Hilfe an, "damitich um der Brüder willen schweigen könnte". In seiner Leidensgeschichte erweckt Frost dennauch den Eindruck, dass er seinen Vernehmern tatsächlich "wie Daniel in der Löwengrube"widerstand.Im Haftbuch Nr. 292 des Geheimen Staatspolizeiamtes in Berlin, Dienststelle II B 2, steht esfreilich anders. Nach den noch vorhandenen Verhör-Protokollen, die von Frost unterschriebensind, hat nämlich der Jehova-Reichsdiener am 2., 15., 20., 21., 24., 26., und 29. April 1937ausführlich über seine Gefolgsleute berichtet.Frost schilderte - laut Verhör-Protokoll - detailliert die Tätigkeit seiner Organisation und verrietauch zwei Treffpunkte seiner Funktionäre: "der (Berliner) Stadtbahnsteig Alexanderplatz" und"bei Reiche in Zeuthen-Niersdorf, Lange Straße 5."Schließlich nannte er - laut Verhörprotokoll - den Gestapo-Leuten auch noch die Namen seinerBezirksdiener.• Arthur Nawroth (Ostschlesien, Grenzmark)• August Fehst (Westschlesien, Teile Sachsens),• Otto Dauth (Berlin, Mark Brandenburg),• Fred Meier (Westsachsen, Anhalt),• Walter Friese (Thüringen, Harzgebiet, Hannover),• Heinrich Ditschi (Schleswig-Holstein, Oldenburg, Westfalen, Ruhrgebiet),• Albert Wandres (Rheinland, Baden und Württemberg) und• Karl Siebeneichler (Bayern).Frost selbst durfte nach seinen Verhören durch die Gestapo die Haftzelle mit einerZwangsarbeitsstelle im Emslandmoor vertauschen, wurde entlassen, kam im Kriegzeitweilig in das Konzentrationslager Sachsenhausen, und "schließlich landeten wir als… SS-Baubrigade auf der (Frankreich vorgelagerten) Felseninsel Alderney".Auf dieser Kanal-Insel, so schreibt Frost jetzt in seinem "Wachtturm"-Artikel,beobachtete er "in einer sternklaren Nacht … die Invasion der Alliierten".Zum Schluss des Frost-Berichts - die "Wachtturm"-Ausgabe wird jedem Teilnehmer desHamburger Kongresses zum besseren Verständnis der Frost-Gedanken in die Handgedrückt - zitiert der ehemalige Reichsdiener unvermittelt den schwedischen JournalistenBjörn Hallström, der über die Leiden der Jehova-Zeugen unter Hitler sagte: "Durch ihren

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Glauben an Gott gelang es ihnen besser als allen anderen, die Dinge zu überleben."Ein Bericht des »Parlamentarisch-politischen Pressedienstes« in Bonn vom 6. Juli 1961,Nr. 76, unterstützte diese Veröffentlichung im »Spiegel«. Damit begann das Ende derWTG-Laufbahn Frosts. Man konnte ihn der Öffentlichkeit nicht mehr länger alsRepräsentanten der Organisation vorsetzen.Natürlich hat die WTG seine üble Rolle während der Nazizeit niemals zugegeben. Daswürde die »theokratische« Fassade ernstlich gefährden. Vor allem durfte er nicht sofortzurücktreten, denn damit wären die Enthüllungen über ihn bestätigt worden. An einenProzess wegen Verleumdung war nicht zu denken. Schweigen, ablenken und Zeitverstreichen lassen - die Menschen sind vergesslich Unzufriedene unter den Anhängernbetörte man, »der Teufel« sei am Werk, der »verräterische böse Sklave« trete auf mitVerleumdungen und Lügen, um »Personen, die eine besondere Verantwortung tragen, dieSäulen, aus ihren Stellungen zu verdrängen«. (Der Wachtturm, 15. Februar 1962, WTGWiesbaden, S. 123)Das war zugleich allerschwerstes Geschütz auf die eigenen Reihen. Wehe dem, der dieEnthüllungen über Frost aufgriff und weitergab - »böse Sklaven« fallen dem »lebendigenGott« in die Hände zur ewigen Verdammnis.Im Juni 1964 schließlich trat Frost unauffällig und stillschweigend von seinem letztenöffentlichen Posten in der WTG zurück. Seine Stelle als »Wachtturm«Redakteur am»Kanal Jehovas« nahm der in den USA an der »Gilead«-Schule der WTG ausgebildete»Sonderdiener« Günter Künz in Wiesbaden ein. Wo sich missmutige Geister regten,wurde unmissverständlich gedroht: »Sich aufzuregen und die Organisation zu kritisierenlohnt sich nicht". (Der Wachtturm, 15. September 1964, WTG Wiesbaden, S. 563) Frosttauchte schließlich in einer kleinen WTG-Versammlung in einem OrtSüdwestdeutschlands unter.

Konrad FrankeErich Frost blieb deutscher Zweigdiener bis 1955. In diesem Jahr musste er von PräsidentKnorr im Zusammenhang mit Unterschlagungen und Personalausweisfälschungen imOstbüro der WTG in Westberlin seines Postens enthoben werden. An seine Stelle trat derLeiter der Dienstabteilung im Zweigbüro in Wiesbaden, Konrad Franke. Als»Wachtturm«-Redakteur blieb Frost aber noch bis zum 1. Juli 1964 der geistige Kopf desdeutschen WTG-Zweiges.Der Name Konrad Franke taucht in den Annalen der WTG bereits 1933 in besondererWeise auf. Franke war damals noch Dienstleiter (Versammlungsdiener) in Mainz. Ernahm in dieser Funktion an dem antisemitischen und profaschistischen Kongress derWTG vom 25. Juni 1933 mit Rutherford und Knorr in Berlin-Wilmersdorf teil. In einem»Wachtturm«-Bericht über seine angeblich konsequente antifaschistische Haltung in derNazizeit ist er sogar noch stolz auf das »Vorrecht«, an jenem berechtigten Kongress unddessen politischen Beschlüssen mitgewirkt zu haben, d. h. an der Verbreitung desantisemitischen Giftes. Sich selbst, wie es auch Frost getan hat, als einen Daniel in derLöwengrube darstellend, schrieb er darüber im »Wachtturm« vom 1. Juni 1963.Zitat:"1. Juni 1963 Der "WACHTTURM"Jehova ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln"Erzählt von Konrad FrankeIn demselben Jahr war es mein Vorrecht, an dem denkwürdigen Kongress in Berlinteilzunehmen, wo einstimmig eine Erklärung angenommen und beschlossen wurde, sie analle höheren Regierungsbeamten zu senden. Wieder nach Hause zurückgekehrt, sandteich über 50 Briefe an die höchsten Beamten unseres Gebietes."Über den Inhalt der Briefe und Erklärungen schreibt Franke jedoch kein einziges Wort.Wieder sieht man, wie die WTG-Führer ihre Anhänger über die von ihnen in

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Wirklichkeit betriebene Politik systematisch in Unwissenheit halten. Aber auch beiFranke war »Jehova« alles andere als »sein Hirte«. Auch er wurde ein Handlanger derGestapo.Franke wurde Ende August 1936 offenbar auf Grund der Angaben Fritz Winklers durchdie Gestapo verhaftet. Es begannen »neun Jahre einer schweren Lauterkeitsprüfung«,schreibt er in seinem »Wachtturm«-Bericht. Das erweckt ohne Zweifel die Vorstellungvon einem großen Märtyrer. Die überlieferten Dokumente besagen jedoch etwas anderes.Laut Vernehmungsprotokoll vom 9. 9. 1936 fing es bei der Gestapo in Darmstadt so an:Zitat:"AbschriftGeheimes StaatspolizeiamtDarmstadtDarmstadt, den 9. 9. 361) A5 2) b42797Aus der Schutzhaft vorgeführt erklärtF r a n k e, Konradzur Wahrheit ermahnt folgendes:Ich sehe ein, dass ein weiteres Leugnen keinen Zweck hat. Ich bin bereit, die volleWahrheit zu sagen, insbesondere nachdem mir Reichsleiter Winkler (z. S. in Berlin inHaft) einen Brief hat zugehen lassen, in welchem er mich auffordert, die Wahrheit zusagen, da die Polizeibehörden über meine Tätigkeit völlig informiert ist.Ich bin Zeuge Jehovas seit längerer Zeit, wie das in meiner Vernehmung vom 31. 8. und1. 9. 1936 vor der Staatspolizeistelle Mainz angegeben ist. Auf diese Vernehmungennehme ich auch hinsichtlich meiner Einstellung dem Staat gegenüber Bezug.Mit der Organisation meines Bezirkes bin ich noch nicht mehr weit durchgekommen, daich außerhalb Mainz und Wiesbaden bei den Geschwistern unbekannt war und mich erstvon einem anderen bei ihnen einführen musste. Ich habe bisher in meinem Bezirk mitfolgenden Dienstleitern in Verbindung gestanden:1.) Frankfurt/Main S t e i n b a c h, Valentin, Schwarzburgstr. 262.) Mannheim Karl H a a s, Luisenring 543.) Karlsruhe M ü h l h ä u s e r , Vorname? Grenzstr. 44.) Offenburg Albert K e r n, Lindenplatz 125.) Singen Erich Arnold, Hauptstr. 126.) Speyer S a n d, (Vorname u. Anschrift unbekannt) Mit diesem habe ich mich nurin Mannheim getroffen.7.) Mainz Diesen Bezirk habe ich selbst bearbeitet.Diese Dienstleiter habe ich etwa monatlich einmal besucht. Die Auslagen für dieBahnfahrten habe ich mit den eingenommenen Geldern verrechnet.Die Wachtturm (W. T.) Abschriftenherstellung war zur der Zeit als ich den Bezirkübernahm bereits eingerichtet. Die Original W. T. wurden an den Dienstleiter (D. L.)Mühlhäuser gesandt. Absender war meines Wissens das Bibelhaus Bern/Schweiz. DieHerstellung der Abschriften wurde durch Mühlhäuser besorgt."So packte Franke aus. Von »Lauterkeit« keine Spur. Einen besonderen Dienst erwies erschließlich der Gestapo mit seinen Angaben über, Willy Ruhnau aus Danzig, denVerbindungsmann zwischen M. C. Harbeck und Fritz Winkler, nach dem sie noch immerfahndete. Franke ließ es sich angelegen sein, Ruhnau der Gestapo bis auf die ungefähreGröße in Zentimetern zu beschreiben:Zitat:"Bei dem letzten Treffen mit Winkler am 1. 8. 1936 erfuhr ich, dass in der Zeit vom 4.bis 7. 9. 36 eine Hauptversammlung in Luzern stattfinden sollte. Für diese Versammlungsollten Sonderberichte über Verhaftungen, Misshandlungen usw. von Zeugen Jehovas

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gegeben werden. Derartige Fälle sollten in den einzelnen Bezirken gesammelt werden.Die Berichte hierüber sollten anRubau, Danziggegeben werden, der eine Woche nach Winkler die einzelnen B. D. L. besuchen wollte. Rubaukam dann auch wie verabredet auf der Durchreise nach Mainz. Hier übergab ich ihm mehrereZettel mit Meldungen verschiedener Geschwister darüber, dass Geschwister zur Wahl angehaltenworden sind. Rubau hatte ich bei einer Zusammenkunft der B. D. L. in Berlin kennengelernt. Erist etwa 1.65 m groß, hagere Gestalt, schmales Gesicht, bartlos und trägt meines Wissens eineBrille. Er ist meiner Schätzung nach 35 Jahre alt.Rubau brachte mir bei dieser Gelegenheit auch ein Päckchen von den Gutscheinen zu M10,- und M 5,- mit, die für die Reise der Geschwister zu der Hauptversammlung nachLuzern dienen sollten. Ich hatte daher auch schon vor dem ersten August Reisegelder vonden Geschwistern, die nach Luzern fahren wollten, eingenommen. Es hatten an michH a a s , MannheimK e r n , Offenburginsgesamt gegen M 200,-- aus ihren Bezirken abgeliefert, die ich am 1. 8. an Winklerweiterleitete.Ich habe die volle Wahrheit gesagt und bin auch bereit bei etwaigen UnstimmigkeitenAufklärung zu geben.Selbst gelesen, genehmigt und unterschriebengez. Konrad F r a n k eReg. Assessor Gestapa Berlingez. L i s c h k a"Daraufhin konnte die Gestapo auch in dem Bezirk von Franke erfolgreich zuschlagen,wie ein Bericht an das Reichssicherheitshauptamt des »Reichsführers SS« vom 22.September 1936 beweist:Zitat:"SicherheitsdienstdesReichsführers-SSSD-Oberabschnitt RheinII 113 V. 494/35Frankfurt/M., d. 22. Sep. 1936561142614612. BI/1) C 42I22) A 5An dasSicherheitshauptamt RFSSAbteilung II 113Berlin S. W. 68Betrifft: Internationale Bibelforschervereinigung.Vorgang: dort. FS Nr. 29068 v. 29. 8. 36" Schr. I/112 21-6 v. 3. 9. 36Im Verfolg der von dort aus angeordneten Aufrollung der InternationalenBibelforschervereinigung werden als 'Zwischenbericht' folgende Ermittlungen nach dortgemeldet:1. Der in dem Protokoll Winkler genannte Bezirksleiter Franke, Konrad, Mainz , wurdefestgenommen. Bei ihm wurde ein Sprechapparat mit Platten der Bibelforschervorgefunden. Nach anfänglichem Leugnen war Franke geständig, illegal für die

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Bibelforschervereinigung gearbeitet zu haben. Die näheren Einzelheiten über seineBetätigung ergeben sich aus dem in Anlage 1 beiliegendem Vernehmungsprotokoll.2. Auf Grund der Angaben des Franke wurde in Frankfurt/M. der Reisevertreter S t e i nb a c h festgenommen, der laut Aussage des Franke als Dienstleiter für Frankfurt a. M.tätig gewesen sein soll. Steinbach bestreitet Winkler zu kennen und will sich seit demVerbot nicht mehr beteiligt haben. Weitere Ermittlungen laufen in dieser Sache noch.5846SD-Hauptamt5500124. Sep 1936.15417II 1 "Gegen seinen Dienstleiter Adam Sand aus Speyer trat Franke sodann zusammen mit demNazi-Kriminalhauptwachtmeister Friedrich Kling aus Ludwigshafen als Belastungszeugevor Gericht auf, wie folgende Auszüge aus Dokumenten des Reichsjustizministeriumsvom 4. November 1936 beweist.Zitat:"Nr. 0 js. 633, 558/36.Frankenthal (Pfalz), den 28. Oktober 1936Der Oberstaatsanwaltbei dem LandgerichteFernsprecher Nr. 2421 u. 2422Durch denHerrn Generalstaatsanwalt in Zweibrückenan denHerrn Reichsminister der Justizin Berlin W 8Betreff:Die Behandlung wichtiger Strafsachen (AV. d. RJMReichsjustizministerium- 4. Nov 1936Abt. IIHaftEing. 31 Okt 19311692ZweibrückenGegen SAND Adam u. 12 anderevom 18. XII. 1934 Nr. IIIa 25371): wurde die schriftlich beiliegende Anklage erhobenSAND Adam und 12 andere, alle aus Speyerwegen Verg. g. d. Verbot der Ernsten BibelforscherHinzoltZur Aburteilung ist nach §§ 7, 8 RStPO, in Verbindung mit der VO. über dieZuständigkeit der Sondergerichte vom 20. 12. 1934 das Sondergericht bei demLandgericht Frankenthal zuständig.Ich erhebe deshalb die öffentliche Klage zum Sondergerichte und beantrage:a) die Bestimmung eines Termins zur Hauptverhandlung;b) die Bestellung von Pflichtverteidigern;c) die Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft der Angeklagten, da dieHaftgründe fortbestehen.Als Beweismittel bezeichne ich:I. Zeugen:ZIMMER Wilhelm, Fabrikarbeiter von Mannheim, z. Zt. dort in Untersuchungshaft

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FRANKE Konrad, zuletzt Bezirksdienstleiter in Mainz, z. Zt. in Darmstadt inUntersuchungshaft;SPAHN Ernst, kaufm. Angestellter in Mannheim, Feuerbachstr. 17;KLING Friedrich, Krm. Hptwchtmstr. in Ludwigshafen/Rh."Willy Ruhnau (in Frankes Vernehmungsprotokoll liegt eine falsche Schreibweise desNamens vor) wurde einige Wochen nach den Hinweisen, die Franke der Gestapo über ihngab, in Danzig-Zoppot verhaftet. WTG-Zweigdiener Franz Zürcher schreibt darüber inseinem Buch »Kreuzzug gegen das Christentum« (1938), S. 197 und 201:Zitat:"FRANZ ZÜRCHERKREUZZUG GEGEN DAS CHRISTENTUMEuropa-Verlag Zürich-New YorkPetition an den VölkerbundDem sehr geehrten Herrn Generalsekretär Avenol unterbreitet durch Richter J. F.Rutherford, New York (U. S. A.), durch M. C. Harbeck, Bern (Schweiz), für JehovasZeugen in Danzig und in der ganzen Welt.Menschenraub durch deutsche GestapoAm 25. September 1936 wurde Herr Wilhelm Ruhnau, 809, Adolf Hitlerstraße, Zoppot,während er mit seiner Frau spazierenging, durch die Danziger Polizei von der Straße wegverhaftet. Herr Ruhnau ist der Unterzeichner der obenerwähnten, in Beilage Nr. 3aufgeführten Eingabe an den Herrn Senatspräsidenten vom 23. Februar 1936.Niemandem wurde gestattet, Ruhnau zu besuchen, nicht einmal seine Frau oder seinemVater. Nach wochenlanger Ungewissheit gab die Polizei schließlich zu, dass Ruhnaumehrere Tage im Polizeigefängnis von Danzig festgehalten worden sei. Kriminalrat Claßerteilte den Bescheid, dass Ruhnau auf Geheiß der deutschen Geheimen Polizei (Gestapo)verhaftet wurde."Willy Ruhnau blieb seitdem verschollen. Er wurde offensichtlich von der Gestapoermordet. In einer Flugschrift, »Offener Brief« genannt, machte dies die WTG nach 1938international bekannt:Zitat:"OFFENER BRIEFAn das bibelgläubige und Christus liebende Volk Deutschlands!Der biblische Name für den allmächtigen Gott ist JEHOVA; er hat in seinem Wort derBibel, welches Christus die Wahrheit nannte, sein Vorhaben mit allen Menschen gutenWillens geoffenbart.Reichsminister Rudolf Hess und der Chef der Geheimen Staatspolizei, Himmler.Die grausamen Misshandlungen und die gewaltsame Verschleppung von Willy Ruhnau,wohnhaft gewesen in Zoppot, Adolf Hitlerstraße 809, ist bereits als Petition demVölkerbundsrat unterbreitet und in der Weltpresse bekanntgemacht worden. Die DanzigerPolizei weigert sich, irgendwelche Auskunft über den Verbleib Ruhnaus mitzuteilen.Ruhnau ist ohne Zweifel von der Danziger Polizei verschleppt und nachher getötetworden.Zur Rechtfertigung Jehovas und im Namen Christi, gemäß seinem Gebot in Matthäus 24:14, wird zu deinem persönlichen Nutzen dir trotz Lebensgefahr diese Botschaftübermittelt vonJEHOVAS ZEUGEN IN DEUTSCHLAND"Dass Konrad Franke schließlich neun Jahre in Haft bleiben musste und als KZ-Häftlingauf der Insel Wight zusammen mit Erich Frost einem »Weltmenschen«, einemschwedischen Arzt sogar das Leben gerettet haben soll, wie Robert A. Winkler vomniederländischen WTG-Zweigbüro in einem »Wachtturm«-Bericht schreibt (DerWachtturm, 15. Juni 1967, WTG Wiesbaden) löscht Frankes Schuld nicht aus, sich alswillfähriges Werkzeug der Gestapo und ihrer Mordtaten betätigt zu haben. Andere

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WTGFunktionärewurden nach Ableistung ihrer Handlangerdienste sogar aufs Schafottgebracht. Alles in allem zeigen die Dokumente, dass auch der Zweigdiener KonradFranke, Wiesbaden, durch seine Zustimmung zum WTG-Antisemitismus von 1933 unddurch seine folgenschwere Gestapohilfe von 1936 auf das schwerste kriminell belastet ist.Dass er die Tatsachen in seinem »Wachtturm«-Bericht von 1963 über sein Verhalten inder Nazizeit vorsätzlich vertuscht, macht ihn überdies zu einem potentiellen politischenHochstapler. Wohl predigen diese höheren und höchsten WTG-Führer von christlicherReue, Buße und Sündenbekenntnis, doch sie haben das nur auf den Lippen; ihr Sinn istweit entfernt davon, ihre Schuld zu bekennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen.(Franke verlor nach letzten Berichten im Oktober 1969 seinen Posten als Zweigdiener aufGrund von Differenzen über die 1975-These. Er vertritt die Ansicht, 1975 sei mitHarmagedon identisch, während die Brooklyner Leitung sich offiziell dazu nichtbekennen will. Seine schon früher bekannt gewordenen Gestapodienste werden diesenEntschluss gefördert haben.)

Nicht nur die höchsten WTG- FührerAuch auf den unteren Ebenen der WTG-Organisation regieren vielfach charakterlose undpolitisch gewissenlose »Diener« oder Funktionäre, wie Knorr, Franke, Frost es sind, »imNamen Jehovas« die einfache Anhängerschaft. Ein Beispiel dafür ist der im Kreisdienstin Westberlin tätige Julius Riffel. Er wurde 1938 Nachfolger des von Erich Frost bei derGestapo ebenfalls denunzierten Bezirksdienstleiters (BDL) Ludwig Stickel ausPforzheim.Wie aus einem Bericht der Gestapo aus dem »SS-Oberabschnitt Süd-West« in Stuttgartvom 20. Mai 1938 hervorgeht konnte sie damals durch Riffels Hinweise zahlreicheVerhaftungen in Südwestdeutschland vornehmen.Zitat:"Der Sicherheitsdienst des Reichsführers-SSDer SD-Führer des SD-Oberabschnitts Süd-WestStuttgart, den 20. Mai 1938.II 113 4 - 100 33C 422 - 2Pb./III.II 1134-1003842221396An dasSicherheitshauptamtZentralabteilung II 1BerlinSD-Hauptamt72189 25. Mai 1938II 113427. Mai 1938IBVBetr.: Illegale Betätigung für die IBV - Julius Riffel - ProtokolleauszügeVorg.: ohne.Anlg.: keine.Im Zusammenhang mit den Aussagen des zur Zeit in Haft befindlichen Funktionärs derIBV Julius R i f f e l (s. Protokoll, Anlage zu Hies Schreiben vom 7. 4. 1938) wurdenweitere Verhaftungen bzw. Vernehmungen durchgeSo hat Julius Riffel angegeben, auch eine Familie W e l s c h in Esslingen aufgesucht zu

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haben, die ihm als Bibelforscher angegeben worden sei. Es wurde darauf am 6. April inder Wohnung der Eheleute Welsch eine Haussuchung vorgenommen, die jedoch ziemlichergebnislos verlief. Vorgefunden wurde lediglich ein Notizbuch und verschiedeneSchriftstücke. Welsch selbst wurde wegen dringenden Verdachts illegaler Betätigung fürdie IBV festgenommen.W e l s c h, Hermann, geb. 20. 10. 99 in Plielingen, verh. Korbmacher, wohn. Esslingen,Hindenburgstr. 40."Auch Riffel versuchte seine Gestapodienste und wurde nach 1945 vom Zweigbüro inWiesbaden wieder als verantwortlicher Funktionär in der, Organisation eingesetzt. Aufder WTG-Bezirksversammlung vom 19. bis 22. Juli 1956 im Westberliner Olympia-Stadion übertrug man ihm sogar die Leitung einer öffentlichen»Musterpredigtdienstschule«.Zitat:BEZIRKSVERSAMMLUNGder ZEUGEN JEHOVAS,PROGRAMM19., 20., 21., 22. Juli 1956Olympia-StadionOlympischer PlatzBerlin-Charlottenburg19. Juli 1956L. BischoffH. KatinsO. ThieleR. StenzelK. Eder18. 45 Predigtdienstschule (Muster) J. Riffel19.45 Glücklich jene, die sich ihres geistigen Mangels bewusst sind! L. Göbel"Riffel ist eher ein Muster für die Haltlosigkeit des WTG-Dogmas, »Gott selbst« setze dieGlieder der WTG-Organisation in ihre Ämter ein. Hinter der sogenannten theokratischenFassade, die keinerlei Überprüfung, Kontrolle und Kritik von unten zulässt und dieWTG-Führer zu keiner ehrlichen Rechenschaft verpflichtet, ist es nicht schwer,Gewissenlosigkeiten aller Art zu betreiben. Es ist bei der herrschenden Entmündigungund Entrechtung der Anhängerschaft nicht zu erwarten, dass jemals alle Nazi- undGestapodiener unter den WTG-Führern erkannt werden können. Die Gewährung dernotwendigen demokratischen Rechte würde ja die Auflösung des »theokratischen«Regimes bedeuten, und sie wird daher von der WTG-Führung mit allen Mittelnverhindert.

TodeskandidatenZur Verteidigung ihrer sektiererischen Ansprüche, die einzig richtige Form christlicherReligion zu vertreten, weisen die WTG-Führer auch immer wieder auf ihre sogenanntenBlutzeugen hin, auf jene aus ihrer Anhängerschaft, die besonders in der Nazizeit zumTode verurteilt und hingerichtet oder sonstwie getötet wurden. Hier sei echtes christlichesMärtyrertum bezeugt und die WTG als eine lautere christliche Organisation erwiesenworden.Hierzu ist zunächst zu bemerken, dass es bisher alle WTG-Präsidenten verstanden haben,für sich persönlich jedes Martyrium um ihrer Sache willen zu vermeiden. Aufs Schafotthaben sie immer nur ihre Untergebenen gehen lassen. Neben denen, die sich so im gutenGlauben an die vermeintlich richtige Sache opferten, gibt es jedoch auch andereTodeskandidaten, deren Geschichte die WTG-Führung lieber ungeschrieben lassenwürde.

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Im Frühjahr 1943 deckte die Gestapo eine WTG-Neuorganisation auf, die sich von Essenim Ruhrgebiet bis auf die Städte Bochum, Oberhausen, Mühlheim, Karlsruhe, Bruchsal,Mannheim, Speyer, Mainz, München, Innsbruck, Freiberg, Zwickau und Dresdenausdehnte. Im anschließenden Prozess am 2. Juni 1944 wurden von den Verhafteten eineganze Reihe zum Tode verurteilt. Dazu gehörten Wilhelm Bischoff, Theodor Hölter,Johann Hörstgen, Friedrich Stoffels, Auguste Hetkamp u. a. Das Hauptwerkzeug derGestapo war hierbei offensichtlich Johann Hörstgen gewesen. Man lese seinGnadengesuch:Potsdam den 3. Juni 1944»An denHerrn Senats-Präsidentdes Volksgerichtshof 6. SenatGnadengesuch:Bin am 2. Juni vom 6. Senat des Volksgerichtshofes zum Tode verurteilt worden undbitte den Herrn Senats-Präsident, die Todesstrafe in eine angemessene Zuchthausstrafemildern oder begnadigen zu wollen.Wenn ich Sie, Herrn Senats-Präsident, bitten dürfte, doch bei der Geheimen Staatspolizeiin Essen mal nachfragen zu wollen, in wie weit ich mich für den Deutschen Staateingesetzt habe, wie ich selbst bei der Geheimen Staatspolizei zur Ermittlung weitereFestnahme von Bibelforscher geholfen habe und wie ich selbst beim einsetz mit derGestapo meinen Dienst am Deutschen Volk gezeicht habe. Dieser Bogen wäre zu klein,um alle Einzelheiten aufzufahren, was ich zugunsten des Deutschen Volkes getan habe… Ich bitte ganz Gehorsams mein Gnadengesuch genehmigen zu wollen.Johann Hörstgen«Erich Frost, Konrad Franke und andere blieben trotz ihrer Gestapodienste in Haft bzw.wanderten in Konzentrationslager. Johann Hörstgen wurde trotz seiner Mithilfe beiweiteren Verhaftungen, denen fast mit Sicherheit die Todesstrafe für die Ergriffenenfolgte, zum Tode verurteilt und hingerichtet:Zitat:"Der Oberreichsanwalt beim VolksgerichtshofBrandenburg (Havel)-Görden, den 11. Aug. 19447(8) J 191/43Vollstreckung des TodesurteilsgegenJohann H ö r s t g e nGegenwärtig:als Vollstreckungsleiter:EStA Nöbelals Beamter der Geschäftsstelle:Justizangestellter K a r p eUm 11. 58 wurde der Verurteilte, die Hände auf dem Rücken gefesselt, durch zweiGefängnisbeamte vorgeführt. Der Scharfrichter R ö t t g e r aus B e r l i n stand mitseinen drei Gehilfen bereit.Anwesend war ferner:der Anstaltsarzt Reg. Med. Rat Dr. M ü l l e r.Nach Feststellung der Personengleichheit des Vorgeführten mit dem Verurteiltenbeauftragte der Vollstreckungsleiter den Scharfrichter mit der Vollstreckung. DerVerurteilte, der ruhig und gefasst war, ließ sich ohne Widerstreben auf das Fallbeilgerätlegen, worauf der Scharfrichter die Enthauptung mit dem Fallbeil ausführte und sodannmeldete, dass das Urteil vollstreckt sei.Die Vollstreckung dauerte von der Vorführung bis zur Vollzugsmeldung 7 Sekunden."Zwei weitere Todeskandidaten entkamen dem Fallbeil und wurden nach 1945 zum

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besonderen antifaschistischen Aushängeschild der WTG in Deutschland. Es handelt sichum Wilhelm Schumann und Johannes Schindler. Beide waren langjährige Mitarbeiter desdeutschen Zweigbüros in Magdeburg gewesen.Schumann war von 1924 bis 1933 Leiter der Reproduktions- und chemigraphischenAbteilung des Magdeburger Zweigbüros. Von 1933 bis 1934 war er Mitarbeiter imZentraleuropäischen Büro der WTG in Bern. Von 1935 an betrieb er in Magdeburg eineChiropraxis (Handheilkunde). 1942 begann er in seinen Patientenkreisen einen Vertriebvervielfältigter Abschriften solcher WTG-Literatur, die er für »unpolitisch«, d. h. nichtoffen gegen das Naziregime gerichtet, hielt. Daraus entwickelte sich in kurzer Zeit eineOrganisation, die sich bis nach Berlin, Dresden und München erstreckte. Die Sache hat inVerbindung mit der Gestapo schließlich noch eine besondere Bewandtnis, auf die nochnäher eingegangen wird. In Berlin hielt Schumann u. a. Kontakt mit dem dortigen LeiterFranz Fritsche, den er ebenfalls aus früherer Arbeit im Magdeburger Zweigbüro kannte.Der Hauptmitarbeiter in Magdeburg war Johannes Schindler.Im Januar/Februar 1944 wurde die Gruppe Schumann, Schindler, Fritsche und anderevon der Gestapo verhaftet. Der faschistische »Volksgerichtshof« in Berlin erhob Anklagegegen 76 Personen. (Zipfel, Friedrich: Kirchenkampf in Deutschland 1933 bis 1945.Walter de Gruyter & Co., (West-)Berlin 1965, Seite 199)Schumann, Schindler und Fritsche wurden zum Tode verurteilt, Schumann und Schindlerjedoch nicht hingerichtet. Offenbar hatte sich Fritsche als einziger von den Führern dieserGruppe konsequent antifaschistisch verhalten. Wie es um Schumann und Schindler stand,zeigen ebenfalls ihre Gnadengesuche aus dem Zuchthaus Brandenburg (Havel)-Görden.Schumann schrieb darin am 22. Oktober 1944:"An den 3. Senat des Volksgerichtshofes zu BerlinHoher Senat !Mit Vorliegendem erlaube ich mir höflichst die Bitte um Befürwortung meinerBegnadigung von der Todesstrafe vorzutragen …… war es mir möglich, in den vergangenen zehn Jahren Tausende deutscherVolksgenossen, Angehörige der Landwirtschaft, der Rüstungsindustrie u. derWehrmacht, darunter führende Männer der Partei und der Wirtschaft - der schaffendenund wehrhaften Front wieder zuzuführen …Es lag mir fern, irgendeine politische Wirkung oder gar wehrkraftzersetzende Tätigkeit,wie sie mir in der Anklage vorgeworfen wird, zu betreiben …Ich muss bekennen, dass ich durch die Schriften der IBV dazu verleitet worden bin zuglauben, der Wille des Führers, die deutsche Nation vor dem Untergang durch denBolschewismus zu retten, sei ein Trug, es handele sich vielmehr um die Unterstützungder Weltmachtinteressen der katholischen Hierarchie. Heute jedoch, wo der Kampfunseres völkischen Lebens auf Sein oder Nichtsein vor die deutschen Grenzen getragenwird, sehe ich und muss ich leider zu spät erkennen, dass alle politische Wahrsagerei derBibelforscher Phantasie und Irrlehren sind, die nur diejenigen schaden, die schon darübernachdenken. Schon Mitte des Jahres war mir durch die belehrenden Unterhaltungenmeines Sachbearbeiters bei d. Gestapo, Herrn Rabold klar geworden, dass ich anstatt derVolksgemeinschaft zu nützen, durch dieses wahnsinnige Unternehmen nur geschadethabe und zudem meine Familie in namenloses Unglück gestürzt habe. Mein Wunsch istes, dass Gott mir noch einmal die Gelegenheit geben möge, am Kampf unseres Volkesund damit auch meiner Familie, einen Anteil zu nehmen, sei es wo es sei, und wo ichhingestellt werde, will ich meine Pflicht als Deutscher tun. Dies sei mein Gebet! WilhelmSchumann«Schumann sollte Gelegenheit erhalten, der Gestapo bis fünf Minuten vor zwölf zu dienen,»sei es wo es sei«, und später seinen »antibolschewistischen« Ambitionen impsychologischen Einsatz für die WTG hinreichend nachzugehen.Schindler schrieb in ähnlichem Geist um Gnade:

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»An den III. Senat des Volksgerichtshofesbetr. GnadengesuchIch bin am 17. 10. 44 vom III. Senat des Volksgerichtshofes wegen weiterleitensverbotener Bibelforscherschriften zum Tode verurteilt worden. Ich möchte den hohenGerichtshof bitten … Als 1939 der Krieg ausbrach, meldete ich mich sofort freiwillig derRüstungsindustrie und ich wurde am 12. September 1939 als Mobilmachungsersatz ineines der kriegswichtigsten Abteilung der Fa. S. u. B. Magdeburgs verpflichtet. Ichschälte mich im Laufe der Zeit als Oberkontrolleur heraus und hatte nur noch dieSchlußkontrolle über Einzelteile, die für automatische Regelung an Flugzeugmotoren dieüberaus genau funktionieren mussten. Meine Untergebenen, die für diese TeileVorkontrollen ausführten, spornte ich tägl. zur Gewissenhaftigkeit an, indem ich immerzu verstehen gab, an jeden Fehler, den wir übersehen, hängen Menschenleben ab. Durchmein Pflichtbewusstsein und meine außerordentliche Gewissenhaftigkeit entstand einhoher Prozentsatz Ausschuss, aber die Guten waren einwandfrei, was der FirmaAnerkennung vom Luftfahrtministerium einbrachte Nun kam ich 1942 mit Schumannzusammen und es war wiederum ein Akt meiner Gutmütigkeit, dass ich das Tragen dergedruckten Schriften nach Berlin übernahm. Wie ich schon immer zum Ausdruckgebracht habe, habe ich nur Interesse an rein bibl. oder christlichen Abhandlungen. Ichbekenne, dass ich mich innerlich völlig von der IBV gelöst habe und habe die mitpolitischem Inhalt durchsetzten Schriften verworfen.Johannes Schindler«Die Menschenleben, die von den faschistischen Flugzeugen vernichtet wurden.kümmerten Schindler in seiner »außerordentlichen Gewissenhaftigkeit« offensichtlichnicht. Man sieht auch hier ein würdeloses Buhlen um die Gunst der faschistischenHenker.Schumann und Schindler überlebten die Nazizeit und spielten nach 1945 unter Leitungvon Erich Frost bei der Neugründung des deutschen WTG-Zweiges in Magdeburg vorden Behörden, der Öffentlichkeit und der WTG-Anhängerschaft die Rolleantifaschistischer Paradepferde. In seinem Lebenslauf für den Neueintritt in dasMagdeburger Zweigbüro beschreibt Schumann 1946 dieses Überleben u. a. auf folgendeWeise:»Dass ich am Leben blieb, verdanke ich zunächst dem Umstand, dass die Gestapoglaubte, auf mich als Hauptzeugen in vielen weiteren Verhandlungen nicht verzichten zukönnen.«Die Wahrheit jedoch, dass er sich zu einem Werkzeug der Gestapo gemachthatte, »sei es wo es sei«, verschweigt er. »Als die Russen in Küstrin einrückten, kamenwir ins Zuchthaus nach Halle, wobei unterwegs unsere Akten verlorengingen, und vonwo aus ich am 22. April 1945 von amerikanischen Truppen durch des Herrn gütigeÜberwaltung befreit wurde.« Mit diesen Worten beendet Schumann seine Story desÜberlebens.Pech für die WTG, dass auch diese Akten nicht verlorengegangen sind, so dass esmöglich ist, den religiösen und politischen Betrug aufzudecken, mit dem nach 1945 dergesamte deutsche WTG-Zweig wiederaufgebaut wurde, ein Betrug, der unter denReligionsgemeinschaften bisher keine Parallele hat.Man überblicke nun noch einmal das hier dargestellte Verhalten der WTG-Führungwährend der Nazizeit. Joseph F. Rutherford, Nathan H. Knorr, Martin C. Harbeck, PaulBalzereit mit seinen Naziberatern, Hans Dollinger, Fritz Winkler, Erich Frost, KonradFranke, Wilhelm Schumann, Johannes Schindler und all die anderen, die hier ungenanntbleiben müssen, die »theokratischen« Häupter der beiden Hauptbollwerke desinternationalen WTG-Werkes, des amerikanischen und des deutschen Zweiges, dieRepräsentanten für die Öffentlichkeit - sie sind bei genauem Hinsehen alles andere als dielauteren christlichen Persönlichkeiten, die sie zu sein vorgeben. Ihre Rolle in der Nazizeitweist sie allesamt nicht als »Vertreter Gottes auf Erden« aus, sondern als faschistisch

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kompromittierte religiös-politische Abenteurer, die voller Prophetenarroganz ihrendzeitlich-illusionistisches Hasardspiel für sich und ihre politischen Hintermännertreiben, solange sie dafür Gutgläubige und Leichtgläubige finden.

Was hatte der »Reichsführer SS« Himmler mit den Zeugen Jehova vor

Die Konzeption zum Einsatz in den »Ostgebieten«Bevor auf die Rolle eingegangen wird, die die WTG heute in der Auseinandersetzung zwischenOst und West spielt, ist es notwendig, einige Vorgänge zu beleuchten, die sich im Hinblick aufdie imperialistische psychologische Kriegführung insbesondere gegen die Sowjetunion noch inder Nazizeit abspielten. Kein Geringerer insbesondere als der »Reichsführer SS« Himmler hatsich schließlich mit der Frage beschäftigt, wie man sich die Zeugen Jehovas nützlich machen undvor allem im Kampf gegen die Sowjetunion auf psychologischem Gebiet einsetzen könnte. Eineder Hauptsorgen Himmlers war, wie das riesige Gebiet der Sowjetunion nach dem erhofftenfaschistischen Sieg niedergehalten und jeder Widerstand oder gar Aufstand gegen die Nazi-Besatzungsmacht von vornherein unterbunden werden könnte. Hier verfiel er u. a. auf dieWTGAnhängerschaft, auf die Zeugen Jehovas. Sie sollten eine der Hauptrollen dabei spielen.Einzelheiten über diese Pläne Himmlers wurden erstmalig 1965 in Band 11 derVeröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim FriedrichMeinecke-Institut derFreien Universität Berlin (Westberlin), betitelt »Kirchenkampf in Deutschland 1933 bis 1945«,von Dr. Friedrich Zipfel publiziert. Zipfel veröffentlicht hierin einen Brief Himmlers vom 21.Juli 1944 an seinen Sicherheitsdienstchef Kaltenbrunner, worin er über seine Entdeckung derWTG-Anhänger oder Bibelforscher für die nazistische Eroberungspolitik gegenüber derSowjetunion folgendes schreibt:» … Einige Erfahrungen und Erkenntnisse haben mich zu Erwägungen und Absichten geführt,die ich Ihnen bekanntgeben will. Es handelt sich um die Bibelforscher, um die Kosakenfrage undim Zusammenhang damit um die Wlassowfrage, Ferner betreffen meine Überlegungen dengesamten Fragenkomplex wie wollen wir Russland beherrschen und befrieden, wenn wir - wasim Laufe der nächsten Jahre bestimmt erfolgen wird - große Flächen des russischen Landesnächsten wieder erobert haben … Wir müssen aber noch mehr tun, um das Volk im Hinterland(gemeint sind die eroberten sowjetischen Gebiete, d. V.) in eine friedliche und uns gegenüberwaffenlose Form zu bringen. Jeder Gedanke, eine Art Nationalsozialismus einzuführen, istWahnsinn. Die Menschen müssen jedoch eine Religion oder Weltanschauung haben. DieOrthodoxe Kirche zu unterstützen und wieder aufleben zu lassen wäre falsch, da sie immerwieder die Organisation der nationalen Sammlung sein wird. Die Katholische Kirchehereinzulassen wäre mindestens ebenso falsch. Es erübrigt sich jedes Wort zur Begründungdieser Ansicht.4) Es muss von uns jede Religionsform und Sekte unterstützt werden, die pazifizierend wirkt.Bei allen Turkvölkern kommt die buddhistische Glaubenslehre in Betracht, bei allen anderenVölkern die Lehre der Bibelforscher. Die Bibelforscher haben bekanntlich folgende für unsunerhört positive Eigenschaften: Abgesehen davon, dass sie den Kriegsdienst und die Arbeit fürden Krieg, also den Einsatz für irgendeine - wie sie es bezeichnen - abbauende Betätigung,verweigern, sind sie schärfstens gegen die Juden und gegen die katholische Kirche und den Papsteingestellt. Ferner sind sie unerhört nüchtern, trinken und rauchen nicht, sind von emsigem Fleißund von großer Ehrlichkeit, sie halten das gegebene Wort. Weiter sind sie ausgezeichneteViehzüchter und Landarbeiter. Sie sind nicht auf Reichtum und Wohlhabenheit aus, weil ihnendas für das ewige Leben schadet. Das sind insgesamt alles ideale Eigenschaften, wie überhauptfestzustellen ist, dass die wirklich überzeugten, idealistischen Bibelforscher ähnlich wie dieMennoniten, beneidenswert gute Eigenschaften haben.«

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Nachdem Himmler dann eine Überprüfung der verhafteten WTG-Anhänger angeordnet hat, fährter fort:»Es ist damit auch die Möglichkeit gegeben, die echten Bibelforscher in den KL(Konzentrationslagern, d. V.) in allen Vertrauensstellungen, die einer geldlichen oder sonstmateriellen Belastung ausgesetzt sind, zu verwenden und besonders gut zu behandeln. Damitschaffen wir uns die Ausgangsbasis zum Einsatz dieser Bibelforscher in Russland in kommendenZeiten und haben damit die Emissäre mit denen wir das russische Volk durch Verbreitung derBibelforscherlehre pazifizieren können .«(Zipfel, Friedrich: Kirchenkampf in Deutschland 1933bis 1945. Walter de Gruyter & Co., (West-) Berlin 1965 S. 199, 200)Es ist hierbei äußerst bemerkenswert, dass Himmler sich noch 1944 am Antisemitismus, an derJudenfeindlichkeit der WTG-Anhänger, Bibelforscher oder Zeugen Jehovas begeisterte. Wiesoer von ihrer Einstellung zur Arbeit so fasziniert war, mögen einige andere Kommentareveranschaulichen.Der Psychoanalytiker Dr. Bruno Baum, der selbst in den Konzentrationslagern Sachsenhausenund Buchenwald inhaftiert war, schreibt in seinem Buch über diese Zeit, dass die WTGAnhängerin den Lagern wegen »ihrer gewissenhaften Arbeit oft als Vorarbeiter« eingesetztwurden. »Als Vorarbeiter, die einen Auftrag von der SS empfangen hatten, bestanden sie darauf,dass die Gefangenen ihre Arbeit gut und in der vorgeschriebenen Zeit ausführten.« (DerWachtturm, 1. Oktober 1963, WTG Wiesbaden, S. 600) Himmlers Plan, sich eine»Ausgangsbasis zum Einsatz dieser Bibelforscher in der Sowjetunion« zu schaffen, solltetatsächlich reale Gestalt annehmen. Er begann damit im Konzentrationslager Ravensbrück undauf dem SS-Gut Hartzwalde das seinem Leibarzt Felix Kersten gehörte. Beide Orte waren nichtweit von seinem Hauptquartier in Hohenlychen bei Fürstenberg (Havel) entfernt.Auf dem SS-Gut Hartzwalde wurden u. a. WTG-Anhänger aus den KonzentrationslagernRavensbrück, Sachsenhausen und Buchenwald zusammengezogen. Hier sammelte Himmlerseine »Erfahrungen und Erkenntnisse« über die Zeugen Jehovas, die er am 21. Juni l944 demChef seines Sicherheitsdienstes, Kaltenbrunner, mitteilte. Himmler nahm auch persönlich mitführenden WTG-Häftlingen in Hartzwalde Verbindung auf. In den Aussagen des zum Todeverurteilten Wilhelm Schumann 1944 bei der Gestapo spiegelt sich das wie folgt wider:»Am Sonntag nach diesem Besuch der Gertrud besuchte mich der mir von seiner früherenTätigkeit im Bibelhaus her bekannte Monteur Franz Fritsche, wohnhaft in Berlin . . .Fritsche erzählte mir, dass er durch Frau Gertrud von meiner Tätigkeit erfahren habe und dass ereine große Gruppe unter sich habe, die er mit Material beliefern wolle . . .Die 'Gertrud' machte weiter Angaben über eine bestehende Organisation ohne nähere Angabevon Personen. Über die Tätigkeit dieser Organisation führte sie aus, dass der ReichsministerHimmler seine Einstellung zu den Zeugen Jehovas geändert habe. Reichsminister Himmler hätteeinen Mann in seiner Umgebung, der ihm das Wesen und die unpolitische Wirksamkeit der IBVvor Augen geführt habe. Bei diesem Vortrag der Gewährsperson soll insbesondere zur Sprachegekommen sein, dass die IBV eine starke Kampfstellung gegen die Römische Hierarchiebezogen habe. Der Reichsminister habe daraufhin mit verschiedenen kompetenten Häftlingen derIBV eine Aussprache herbeigeführt und darauf entschieden, dass die Zeugen Jehovas nicht mehrmisshandelt werden dürften, auch wenn sie von ihrer Einstellung zu Gott nicht ablassen wollen.Die 'Gertrud' erzählte weiter, dass man die in den KL sitzenden Bibelforscher jetzt alsAufsichtspersonen über ausländische Arbeiter eingesetzt habe. Diese Kenntnis will die 'Gertrud'auf einem Gut erfahren haben, wo Bibelforscher vom KL aus zur Arbeit abgestellt worden seien.Die 'Gertrud' fügte hinzu, es würde nicht mehr lange dauern, dann würde Rom, die politischeHure und der Greuel der Erde, von den vereinigten 10 Hörnern (Offenbarung Joh.), d. h. von dentotalitär gewordenen Staaten Europas gestürzt werden. Denn, wenn diese große Feindin derZeugen Jehovas (die kath. Kirche) aus dem Wege geräumt sei, würden die Tore geöffnet und dieZeugen Jehovas könnten die geistige Führung der bibelgläubigen Bevölkerung übernehmen. Daswar dem Sinne nach der Inhalt ihrer mir gemachten Mitteilungen …Die Gertrud gab bei ihrem dritten Besuch an, aus Litzmannstadt zu kommen, wo die Leitung der

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Organisation sei. Sie wolle dann nach Westfalen weiterfahren.«Mit dem Mann in der Umgebung Himmlers ist Felix Kersten gemeint. Das erwähnte Gut war dasSS-Gut Hartzwalde. Man sieht, dass Himmler seine Pläne, die »Bibelforscherlehre« zurführenden Religion in der Sowjetunion zu machen, in Andeutungen hatte durchblicken lassen.Die »Gertrud« war offenbar eine Beauftragte im Sinne der Himmler-Konzeption. Sie hießGertrud Grunewald. Ihr Mann, Walter Grunewald, Berlin, wurde 1943 als WTG-Anhänger undKriegsdienstverweigerer erschossen, wie sie Schumann erklärte. Für ihre Mittlerrolle imZusammenhang mit Himmlers Plänen spricht der Umstand, dass sie vom SS-Gut Hartzwaldekam, Kenntnis von den Plänen hatte und dann Himmlers Ideen unter den WTG-Anhängern inBerlin, Magdeburg, Westfalen und bis ins faschistisch besetzte Polen hinein nach Litzmannstadt(Lodz) verbreitete.In Magdeburg konnte die Grunewald als Emissär Himmlers offenbar Anfangserfolge beimAufbau einer Bibelforschergruppe im politischen Geiste Himmlers erzielen, denn Schumann, derLeiter der Magdeburger Gruppe, erklärte später vor der Gestapo:»Ich erwähnte, dass auch die Grunewald und die zu ihr stehenden Anhänger die Parolen der IBVnicht befolgen und deshalb sich gegen die Verbreitung von Schriften politischen Inhaltswandten. Wenn mir vorgehalten wird, dass wir die Organisation der IBV, wie sieWehrkraftzersetzend im Ausland betrieben wird, fortgesetzt und dadurch ihre (unseren früherenAnhängern bekannten Parolen) stillschweigend übernahmen und als Bindungen fortsetzten, sohabe ich nicht die Absicht gehabt, die Passivität unserer Anhänger gegenüber denVerpflichtungen des Dritten Reiches zu stärken oder zu beeinflussen. Mir lag lediglich daran,eine Reformation der bibelforscherischen Gedanken vorzunehmen und die Parolen lediglich aufdie religiöse Seite zu beschränken. Im Grunde wollten wir den Kampf gegen Rom führen, wie esuns auch die Grunewald angedeutet hatte. Wenn mir vorgehalten wird, dass die Fortsetzung einerOrganisation wie die IBV und die Verbreitung ihrer politischen Schriften wie 'Fischer und Jägerund Trost für Versprengte' tatsächlich eine Unterstützung der Wehrkraftzersetzung der IBVdarstellt, so kann ich dies nicht bestreiten. Ich möchte aber betonen, dass ich nicht gegen dasDritte Reich eingestellt gewesen bin und dass ich lediglich durch die Zusammenarbeit mitFritsche hierzu gekommen bin.V. g. u. Wilhelm Schumann«Franz Fritsche, der Leiter der Gruppe in Berlin, hat die politische Linie der Grunewaldabgelehnt. Er erklärte, sie reise im Lande umher und stifte Verwirrung. Nachdem er über dieGrunewald Verbindung mit Schumann in Magdeburg aufgenommen hatte, brachte er ihnebenfalls von dieser Linie ab, offenbar wider dessen Willen. Damit war das Schicksal derGruppen in Berlin und Magdeburg besiegelt. Über das Ende von Schumann und Fritsche istschon berichtet worden. Was die »Ausgangsbasis« für Himmlers Pläne, das SS-Gut Hartzwalde,betrifft, so sagten ehemalige WTG-Häftlinge aus, dass Kersten, der im Auftrage Himmlers überSchweden Verbindungen zu den Westmächten aufnahm, die Zeugen Jehovas auf jenem Gut mitWTG-Literatur aus Schweden versorgte. Kersten soll auch WTG-Anhänger von Hartzwalde mitnach Schweden genommen haben.Im Konzentrationslager Ravensbrück begann Himmler mit der Schaffung einer »Ausgangsbasis«für den »Einsatz der Bibelforscherlehre in der Sowjetunion« auf folgende Weise. In Ravensbrückbefanden sich vor allem aus der Sowjetunion zwangsverschleppte Frauen und Mädchen. Manorganisierte es nun so, dass Arbeitskolonnen dieser Frauen und Mädchen unter das Kommandovon KZ-Vorarbeiterinnen kamen, die WTG-Anhänger waren. Hier bestätigt sich genau, was dieGrunewald berichtete. In dem einfältigen Glauben, diese Arrangements Himmlers seien eine»von Jehova« gegebene Möglichkeit des »Zeugnisgebens« im Hinblick auf eine künftigeVerbreitung der »frohen Botschaft« in der Sowjetunion, begannen die Vorarbeiterinnen eineeifrige Bekehrungsarbeit, angesichts der physischen und seelischen Zwangslage und Isoliertheitjener Frauen und Mädchen nicht ohne Erfolg. »Durch dieses furchtlose Zeugnisgeben wurden300 junge Russinnen in jenem Lager Zeugen Jehovas«, schreibt der Gestapohandlanger ErichFrost in seinem biographischen »Wachtturm«-Artikel. (Der Wachtturm, 1. Juli 1961, WTG

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Wiesbaden, S. 412) Auch »russische Kriegsgefangene in Konzentrationslagern« seien aufähnliche Weise gewonnen worden, berichtet die WTG dazu. (Jehovas Zeugen in GottesVorhaben. WTG Wiesbaden 1960, S. 280)Offensichtlich handelte es sich hierbei zumeist um Menschen mit religiöser Familientradition.Sie alle gingen zwar, wie von Himmler vorgesehen, eines Tages zurück in die Sowjetunion umdort die WTG-Lehren zu verbreiten, jedoch nicht unter einem siegreichen Himmler, der vielmehrnach seiner Festnahme 1945 durch die Alliierten mit einer Giftkapsel Selbstmord beging.Dennoch waren auf diese Weise wesentliche »Ausgangsbasen« für ein Vordringen der WTG indie Sowjetunion geschaffen. Hinzu kamen noch Reste von WTG-Anhängern in den baltischenSowjetrepubliken aus der vorsowjetischen Zeit.

Himmlers Ideen leben weiterDas Regime des Hitlerfaschismus und der Gestapo ist zwar vernichtet, doch Himmlers Ideen,»das russische Volk durch Verbreitung der Bibelforscherlehren pazifizieren« zu können, in eine»waffenlose Form« zu bringen, d. h. imperialistischen westlichen Machtinteressen unterwerfenzu können, leben weiter.Die Gedanken Himmlers über einen Einsatz der Zeugen Jehovas bei der »Befriedung« undEntwaffnung der Bevölkerung der Sowjetunion hatten aber nicht nur für ein faschistischesWeltreich Bedeutung. Das spiegelt sich in Verlautbarungen der WTG und anderer westlicherKommentatoren zur Aufgabe und Rolle der WTG »hinter dem Eisernen Vorhang«, also in derSowjetunion und den anderen sozialistischen Ländern, deutlich wider. Man leugnet dabei zwarverständlicherweise, dass die WTG Bewegung politisch von reaktionären Elementen der USAunterstützt wird und in deren Dienst steht. Allerdings gibt man zu, dass die »Prawda«, das Organder Kommunistischen Partei der Sowjetunion, »doch nicht ganz so im Irrtum« ist, was dieseFragen anbetrifft. Aus dem WTG-Geschichtsbuch »Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben«, S.280/281, sei hierzu folgendes abgedruckt:Zitat:"JEHOVAS ZEUGEN IN GOTTES VORHABENDIE RUSSISCHEN ZEUGEN BEWAHREN DEN GLAUBEN, DEN SIE GEFUNDENHABENHört nur, was in folgendem Leitartikel Gesagt wird, der in der Washington Post unter dervielsagenden Oberschrift "Eine Wolke von Zeugen" erschienEs scheint, dass die Zeugen in der« ganzen Sowjetunion Anhänger gefunden haben selbst inentfernten Gebieten wie Sibirien und Kurgan, und dass sie nun eine vorzüglicheUntergrundbewegung bilden, die der Regierung Widerstand leistet.Die Redakteure der Prawda glauben annehmen zu müssen, dass die ganze Bewegung von "denreaktionärsten Elementen des amerikanischen Kapitalismus" unterstützt werde und bezwecke,die Masse der Sowjetbürger mit einem Geist der Sanftmut und Resignation anzustecken,wodurch der weltweite Triumph des revolutionären Proletariats vereitelt oder aufgehalten werde.Die Organisatoren der Bewegung werden als "ehemalige Kriegsverbrecher, faschistischeKollaborateure und Gestapospitzel" bezeichnet, die in den deutschen Konzentrationslagern fürihre Arbeit unterwiesen und geschult worden seien.Die Behauptung, sie seien in den Konzentrationslagern unterwiesen worden, mag nicht ohne einKörnchen Wahrheit sein.LOIS [unterbricht]: Das stimmt doch nicht, oder? Ihr habt uns doch viele Berichte vorgelesen,die zeigen, dass russische Kriegsgefangene in Konzentrationslagern durch deutsche Zeugen dieWahrheit kennenlernten.JOHANNES: Ganz recht. Das wird durch diesen Bericht offensichtlich bestätigt.In einer Wilmingtoner (Delaware, USA) Zeitung, die über diesen Prawda-Artikel einenLeitartikel brachte, wurde dazu geschickt bemerkt:In Russland ist eine solche Lehre kein Opium für das Volk. Aber sie ist zumindest eineAufforderung an den Einzelnen, den Gehorsam zu verweigern. Sie könnte auf die Bedrückten

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eine gewaltigere Wirkung haben, als es sich seine Herren Minister träumen lassen. Die Prawda,die unter jedem Bett Kapitalisten sieht, muss die Bewegung als eine unheimliche Schöpfung derWall Street betrachten; doch wenn auch das Wall-Street-Gespenst Unsinn ist, so mag die Prawdadoch nicht so ganz im Irrtum sein, wenn sie in dieser partikularistischen Religion eine möglicheGefahr für den unvergänglichen Sowjetsaat sieht."»Die ganze Masse der Sowjetbürger mit einem Geist der Sanftmut und Resignation anzustecken«und sie dann dazu zu bringen, »den Gehorsam zu verweigern«, d. h. politischen Widerstandgegen den Sowjetstaat zu leisten, genau darauf kommt es den Strategen der psychologischenKriegführung an. Die WTG lässt sich hier von den zitierten amerikanischen Zeitungen klipp undklar ihre Obereinstimmung mit dieser imperialistischen Strategie bescheinigen. Es ist in der Tatim Wesen das gleiche, was Himmler mit den Zeugen Jehovas in der Sowjetunion vorhatte.Einer der Hauptfunktionäre, der nach 1945 von Klaipeda (früher Memel) aus die WTG-Lehren indie Sowjetunion hineintrug, war der frühere deutsche Bezirksdiener (BDL) von Ostpreußen,Georg Rabe. Er war es gewesen, der der Gestapo 1937 die zweite große Verhaftungswelleermöglichte, bei der auch der Reichsdiener Erich Frost verhaftet wurde. Rabe trat schon 1923 fürdie WTG öffentlich als »Pilgerbruder« auf. Wie der »Wachtturm« vom 1. April 1923 berichtete,hielt Rabe bereits damals aufreizende antikommunistische Reden, so dass die Sicherheitspolizeibei einer seiner Predigten am 1.- Februar 1923 in Insterburg, Ostpreußen, mit 20 Beamten als»Sicherheit gegen Kommunisten« aufmarschierte eine eindeutige Kennzeichnung der politischenRolle der WTG.Rabe berichtet über seinen weiteren Verbleib, nachdem er 1937 der Gestapo geholfen hatte, dieganze WTG-Organisation in Ostpreußen »aufzurollen«, im »Wachtturm« vom 15. Mai 1956.Zitat:"Ich lebte als Verbannter in SibirienDer WachtturmVol. XLIX 15. Mai 1956Als deutscher Staatsangehöriger konnte ich im November 1955 nach 4 ½ähriger Verbannung inSibirien in mein Geburtsland zurückkehren.Während verschiedene Teile Deutschlands von den russischen Streitkräften besetzt wurden,befand ich mich in Ostpreußen (im Memelland). Unter dem Hitleregime hatte ich als ZeugeJehovas bereits über sechs Jahre in verschiedenen Gefängnissen und anderen Einrichtungengelitten. Als das Memelland [jetzt Klaipeda genannt] auf Befehl Hitlers geräumt werden musste,flüchteten die meisten Bewohner dieses Gebietes nach dem Innern Deutschlands. An dieserFlucht nahm ich nicht teil, denn ich konnte es mit meiner Auffassung nicht vereinbaren, unterdem Hitler-Regime Zuflucht zu suchen, das Jehovas Zeugen so unsagbares Leid zugefügt hatte."Rabe war demnach 1944 nicht in einem Konzentrationslager wie die anderen verhaftetenWTGBezirksdiener,sondern in Freiheit im Memelland. Er wohnte dort in Heidekrug. In seinemBericht verschweigt er natürlich, wie das zu jener Zeit möglich war. Es gab indes nur eineMöglichkeit für WTG-Funktionäre, nach ihrer Gefängnishaft nicht in ein Konzentrationslagergebracht zu werden: Sie mussten sich ihre Freiheit durch unterschriftliche Verpflichtungen beider Gestapo erkaufen. Erst recht betraf dies die höchsten WTG-Funktionäre, zu denen Rabezählte.Rabe sagt auch die Unwahrheit, wenn er behauptet, an der Flucht nach Deutschland nichtteilgenommen zu haben, weil er unter dem Hitlerregime aus Gewissensgründen nicht »Zuflucht«nehmen könnte. Angesichts dessen, dass er sich schon 1937 zum Gestapowerkzeug machte, istdas völlig unglaubwürdig. Es besteht vielmehr Berechtigung zu der Annahme, dass er von derGestapo vorgesehen war, in Verwirklichung der Pläne Himmlers bezüglich des Einsatzes der»Bibelforscherlehre in Russland« von Ostpreußen aus eines Tages in Erscheinung zu treten, hattedie Gestapo ihn doch auf Grund seiner Dienste für sie völlig in der Hand. Jetzt, da alles andersgekommen war und das Naziregime seiner Vernichtung entgegenging, hatte er offenbar Furcht,dass seine Gestapodienste nach dem Zusammenbruch des Faschismus ans Licht kommen

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könnten. So blieb er im fernen Ostpreußen bzw. Memelland, das nun zur Sowjetunion gehörte,um wenn auch unter anderen Umständen - die Tätigkeit für die WTG wieder aufzunehmen. Noch1949 veranstaltete er dort öffentliche Versammlungen mit bis zu 300 Zuhörern. Als in dieser Zeitdie antikommunistische Hetze in der WTG-Verkündigung im Gleichklang mit der Verschärfungder internationalen Lage immer mehr zunahm, wurde er von den sowjetischenSicherheitsorganen verhaftet. Es gelang ihm jedoch, die Behörden zu täuschen und sich alsAntifaschist auszugeben. Erst 1951, auf dem Höhepunkt der damaligen antikommunistischenPropaganda der WTG gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder, wurde erschließlich verurteilt, 1955 aber nach Westdeutschland entlassen. Hier empfing ihnWTGZweigdienerErich Frost, den er 1937 ebenfalls der Gestapo überliefert hatte. Über seineErlebnisse in der Sowjetunion verfasste er sogleich einen mehrseitigen Artikel, der 1956 unterder Redaktion von Frost im »Wachtturm« veröffentlicht wurde. Der Titel lautete: »Ich lebte alsVerbannter in Sibirien.« Die WTG zog es allerdings vor, diese Entstellung der Wahrheit überRabe anonym erscheinen zu lassen.Jüngste Verlautbarungen der WTG zeigen an, dass sie die Sowjetunion zu einem Schwerpunktihrer psychologischen Arbeit zu machen gedenkt. »Der russische Zweig der Zeugen Jehovaskann als der stärkste in der ganzen Welt angesehen werden« und er sei die »ideologischwirksamste und verbreitetste illegale Organisation, die je unter sowjetischer Herrschaftbestanden hat«, lässt" sich die WTG 1965 in den USA bescheinigen. (Der Wachtturm, 15.November 1965, WTG Wiesbaden, S. 689) Man will wieder die Ideen des amerikanischenSektenwesens »quer durch die Interessen des Proletariats legen«, um mit dem bereits genanntenwestdeutschen Historiker Karl-Theo Humbach zu sprechen, d. h. jede revolutionäre Bewegungpsychologisch entwaffnen.Himmlers »Ausgangsbasen«, die in den faschistischen Konzentrationslagern im Sinne der WTGbekehrten »jungen Russinnen« und »russischen Kriegsgefangenen«, waren der Ausdruck dieserPolitik im Interesse der antisowjetischen Ziele des Hitlerfaschismus. Mit ihren diesbezüglichen»Wachtturm«-Berichten gibt die WTG zu, dass diese »Basen« nun zu Ausgangspositionen fürden antikommunistischen psychologischen Krieg gegen die bestehende Ordnung in derSowjetunion wurden, jetzt allerdings unter der Regie von Brooklyn und Washington. Mögendiese Verlautbarungen zunächst nur Spekulation und Propaganda sein, um eine neueHauptrichtung der internationalen WTG-Tätigkeit hochzuspielen, so zeigen sie aber an, dass manim USA-State Department Himmlers Schöpfungen ausgezeichnet zu nutzen weiß.Bei der Charakterisierung der WTG-Organisation wurde dargelegt, dass der eigentlicheZusammenhalt ihrer Anhängerschaft zu allen Zeiten durch die illusionistischenweltanschaulichen bzw. endzeitlichen Bibelauslegungen bewerkstelligt wird, wobei man stetsauf dem zumeist vorhandenen Gottesglauben aufbaut und ihn so missbraucht. Bei demBestreben, sich jetzt mehr auf das Weltzentrum des Sozialismus, auf die Sowjetunion, zukonzentrieren, auf ihre religiöse Bevölkerung, käme der WTG entgegen, dass hier faktisch erstnach dem Zweitenn Weltkrieg mit der Tätigkeit begonnen wurde. Das bedeutet, dass ihrehaltlose Endzeitbibeldeuterei hier nahezu unbekannt ist. Die gegenwärtigen Anschauungen derWTG würden somit nicht schon von vornherein durch die Kenntnis ihrer Vorgeschichteunglaubwürdig sein. Es wäre jedenfalls schwierig, die Vergangenheit und politischenHintergründe der WTG aufzudecken und das religiös-politische Hasardspiel für ihreimperialistischen Hintermänner zu enthüllen. Daher räumt man westlicherseits der WTG in derSowjetunion allerlei Chancen ein. Ein westdeutscher Kommentator meinte 1966, dierussischorthodoxeKirche habe kaum noch eine Chance, auf die Sowjetbürger entscheidend einzuwirken.Sie sei durch ihre Zusammenarbeit mit dem Zarismus und dessen Geheimdienst in früherer Zeitzu sehr kompromittiert; nicht so jedoch die im Untergrund wirkenden Sekten wie die ZeugenJehova. (Frankfurter Rundschau, 19. 9. 1966)Die gesellschaftlich negative und antikommunistische Verkündigungs- und Nachrichtentätigkeit

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der WTG am Gängelband imperialistischer Kräfte dürfte die Perspektive der geistigen Himmler-Erben als einer Art religiös-politischer 5. Kolonne in der Sowjetunion jedoch völlig aussichtslosmachen.

Die Neugründung des deutschen WTG-Zweiges - ein großangelegterBetrug

Mit der Neugründung des deutschen WTG-Zweiges als antikommunistisches "Bollwerk«1945/46 wurde der Öffentlichkeit ein ungeheuerliches Trugwerk vorgesetzt, ein Werk derTäuschung und Irreführung der gutgläubigen Anhängerschaft, gekennzeichnet durch bewusstesLügen. Im folgenden soll dieser Betrug enthüllt werden, einmal um den gewissenlosenVertrauensmissbrauch zu beweisen, den die WTG-Führung betreibt, und zum anderen um andem wohl gravierendsten Beispiel zu zeigen, dass die obersten WTG-Führer nichts anderes sindals Abenteurer in religiösem Gewande.Schon Anfang Juni 1945 fand sich der frühere Reichsdiener Erich Frost mit einer Gruppeweiterer WTG-Funktionäre, die die Nazizeit überstanden hatten, auf dem Grundstück desdeutschen Zweigbüros in Magdeburg wieder ein. Eine Inbesitznahme der Gebäude war jedochwegen zu großer Kriegsbeschädigungen und der neu zu klärenden Rechtslage noch nichtmöglich. Außerdem wohnte auf dem Grundstück noch der frühere Zweigdiener Paul Balzereit,der die Nazizeit auch überlebt hatte und noch im Besitz seiner früheren Zweigdienervollmachtwar. Deshalb richtete Frost das erste Büro für den neu zu gründenden deutschen W'G-Zweigzunächst in den Räumen der Chiropraxis des ebenfalls zurückgekehrten Wilhelm Schumann inMagdeburg, Otto-v.-Guericke-Str. 50 ein. Frost berichtet darüber im Jahrbuch 1947 der ZeugenJehovas mit Bezug auf Schumanns sogenanntes Märtyrertum: »In der geräumigen Praxis einesBruders, der zur gleichen Zeit mit mir aus dem Gefängnis nach Hause gekommen war (er warzum Tode verurteilt, aber den Händen des Scharfrichters entschlüpft), richteten wir zunächst einBüro ein.« (Jahrbuch 1947 der Zeugen Jehovas. WTG Bern, S. 114)Am 9. September versammelte Frost sodann unter seiner Regie ein Komitee von siebenPersonen, um die WTG bzw. IBV als Körperschaft des öffentlichen Rechts, für ganzDeutschland erneut offiziell zu gründen. Jeder der sieben zahlte 500 RM zu einemGründungskapital in eine gemeinsame Kasse.Das Gründungsprotokoll, das an jenem 9. September 1945 verfasst und zusammen mit denneuaufgestellten Statuten dem Polizeipräsidenten der Stadt Magdeburg überreicht wurde, hatfolgenden Wortlaut:»GründungsprotokollWir, die diese Urkunde unterzeichnenden Personen, haben den Wunsch, die unter dem Terror-Regime des Nationalsozialismus zwangsweise aufgelöste Internationale Bibelforscher-Vereinigung, Deutscher Zweig, eingetragener Verein - Vereinsregister beim AmtsgerichtMagdeburg, Bd. V Nr. 466 wieder ins Leben zu rufen und im Wege der Wiedergutmachungerneut in das Vereinsregister eintragen zu lassen.Auf Grund unseres langjährigen, ununterbrochenen Kampfes gegen Willkürdiktatur undimperialistisches Weltmachtstreben für die von Gott gebilligte Freiheit des Glaubens und derwahren Gottesanbetung, des unverfälschten Gottesdienstes auf biblischer Grundlage, und imInteresse Tausender freiwilliger, als Jehovas Zeugen bekanntgewordener Missionsarbeiter derInternationalen Bibelforscher-Vereinigung in ganz Deutschland, die gleich uns unter derNaziherrschaft lange Jahre die grausame Tortur der Konzentrationslager, Zuchthäuser undGefängnisse erduldet haben, und nicht zuletzt im Namen vieler Hunderter, die um ihreschristlichen Glaubens willen und ihrer Treue willen in der Zeit der Terrorherrschaft enthauptet,gehängt, erschossen und erschlagen worden sind, fühlen wir uns verpflichtet, das Werk dergenannten Vereinigung in ihrem alten, unveränderten Geiste wieder aufzunehmen undfortzusetzen und der Allgemeinheit dienstbar zu machen.

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Wir erkennen eine weitere Verpflichtung dahingehend, Personen, die früher der Vereinigungangehört haben, die aber in der Zeit der Verfolgung der Hitlerdiktatur und ihrer Gestapo-Agentenoffensichtlich versagt, ihren Glauben verleugnet, die Vereinigung oder ihre Mitarbeiter verraten,bekämpft oder sich dazu bereit erklärt haben oder die sonstwie ihren statutenmäßigen Pflichtender Vereinigung gegenüber verstoßen und sich dadurch zu Werkzeugen der Nazis gemachthaben, aus unseren Reihen zu entfernen und fern zu halten.Deswegen ersetzen wir einige frühere Mitglieder durch solche freiwilligen und langjährigenMitarbeiter der Vereinigung (§ 4,4 und § 5,4 der Satzung), die ausnahmslos ihre Treue undBeständigkeit dadurch unter Beweis gestellt haben, dass sie selbst viele Jahre in Gefängnissenund Konzentrationslagern ausharrten oder zum Tode verurteilt waren und nur durch denZusammenbruch der Naziherrschaft frei geworden sind.Dagegen soll denjenigen früheren Mitgliedern, die den statutenmäßigen Anforderungenentsprechen und gegen die keine Gründe vorliegen, nach denen sie auf Grund des § 18ausgeschlossen werden können, sofern sie infolge Auslandsaufenthalt oder aus anderen triftigenGründen der Wiedergründungsversammlung der Vereinigung nicht beiwohnen können, dasRecht zustehen, ihre Mitgliedschaft zu erneuern. Eine diesbezügliche Bestimmung wurde im §16 der Satzung verankert.Wir bilden eine Vereinigung zu dem alleinigen Zwecke der Wiederaufnahme der Tätigkeit derInternationalen Bibelforscher-Vereinigung auf Grund der auf den Seiten 1-9 vorstehendenStatuten der Vereinigung. Wir vereinbaren weiterhin, dass jeder der Unterzeichneten zumGründungskapital der Vereinigung seinen Teil in der Höhe des neben seinem Nameneingesetzten Betrages zu tragen hat.Magdeburg, den 9. September 1945gez. Otto Dathegez. Erich Frostgez. Johannes Schindlergez. Wilhelm Schumanngez. Erwin Schwafertgez. Ernst Wauer«gez. Ernst Seliger(Als abschriftliche Anlage zu den Statuten vom 9. September 1945 am 6. Juli 1946 an dasPolizeipräsidium in Magdeburg)Wilhelm Schumann empfahl sich dazu in seinem Lebenslauf zum »Fragebogen fürBibelhausmitarbeiter« vom 7. März 1946.Zitat:"M e i n L e b e nAm ersten Juli 1900 wurde ich Gustav Emil Wilhelm Schumann als erster Sohn des TischlersWilhelm Schumann und dessen EhefrauDadurch, dass ich in Freiheit blieb, schenkte der Herr mir die Möglichkeit, in den nachfolgendenJahren in Verbindung mit anderen Brüdern in Berlin und Dresden eine über das ganze Reich neuorganisierte Zeugnistätigkeit zu entfalten, wobei wir in Magdeburg unter Mithilfe meiner beidenSöhne und anderer Geschwister allein 194 Tausend Seiten Druckschriften imHandabzugsverfahren herstellten und an die Gruppen weiterleiteten. Am 9. Febr. 1944 wurde ichverhaftet und am 17. Okt. 44 vom Volksgerichtshof Berlin zum Tode verurteilt. Von dieser Zeitan bis zu unserer Evakuierung am 9. Februar 1945 habe ich - Tag und Nacht in Fesseln liegend -auf meine Hinrichtung gewartet. Dass ich am Leben blieb, verdanke ich zunächst demUmstände, dass die Gestapo glaubte, auf mich als Hauptzeugen in vielen weiterenVerhandlungen nicht verzichten zu können.Als die Russen in Küstrin einrückten, kamen wir ins Zuchthaus nach Halle, wobei unterwegsunsere Akten verloren gingen und von wo aus ich am 22. April 1945 von den amerikanischenTruppen durch des Herrn gütige Überwaltung befreit wurde.Der Herr hat mich in all den Jahren des Kampfes nicht nur am Leben erhalten, sondern er hat

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auch meine Familie stark werden lassen, unter seiner Erziehung und seinem väterlichen Schutzezu kämpfen für die Hoheit Seines Namens und Seiner Theokratie. Nach meiner Rückkehr aus derGefangenschaft haben wir uns dann trotz anfänglicher Opposition einiger gutmeinender Brüderund des Verbotes der Besatzungstruppen an das Vervielfältigen unserer Schriften gemacht unddiese an die Gruppen weitergeleitet. Der Herr hat wie immer, wenn man furchtlos ist, unsreBemühungen gesegnet, indem er uns mit den mit der Leitung des Werkes von ihm betrautenBrüdern in Verbindung brachte.So war es mein schönstes Geschenk, dass ich das Vorrecht hat meine Praxisräume in der Ottovon-Guericke-Straße 50 dem Bruder Frost und seinen Mitarbeitern für die Uranfänge derReorganisation des Zeugniswerkes und den Wiederaufbau des Bibelhauses zur Ehre des Namensdes Höchsten zur Verfügung stellen zu können.Mit stolzer Dankbarkeit werden ich und meine Familie und später - wenn die Theokratie auch indiesem Lande groß sein wird - mit Freuden der Tage zurückerinnern, wo wirBibelhausmitarbeitern, auf ihrem Wege aus dem Konzentrationslager kommend, in unserenRäumen eine Stätte des ersten Sammelns bieten konnten.Eines habe ich von Jehova erbeten; weiterhin in Gemeinschaft mit treuen Brüdern für die Ehreseines Namens zu wirken, ganz gleich, wo der Herr mich hinstellt.Magdeburg, den 7. März 1946Wilhelm Schumann."Erich Frost versicherte in seinem amtlichen Lebenslauf 1946 den Behörden: »Meine und meinerMitarbeiter langjährige Gefangenschaft in der Nazizeit und die dort um demokratischerGrundsätze der Glaubens- und Gewissensfreiheit willen erlittenen schwersten Verfolgungen undSchädigungen an Leben und Gesundheit bietet die Gewähr für eine anhaltende konsequenteStellung gegenüber jeder faschistischen oder undemokratischen Geistesregung.«Ist die »theokratische« Einstellung der WTG-Führer nicht eine einzige undemokratischeGeisteshaltung? Man beachte indessen besonders die Schlussworte Schumanns in seinem Bericht»Mein Leben«! Die Worte »ganz gleich, wo der Herr mich hinstellt«, ähneln zu sehr den Worten»sei es, wo es sei und wo ich hingestellt werde« in seinem Gnadengesuch, mit dem er sich derGestapo verpflichtete Wenn man diese beiden Dokumente gegenüberstellt, dann erkennt mansofort, dass die ganze Erklärung Schumanns vom März 1946 heuchlerisch und verlogen ist. Manbetrachte auch die Abschnitte 3 bis 5 des Gründungsprotokolls vom 9. September 1945. Jederrechtschaffene Mensch fragt sich, woher mögen Frost, Schumann und Schindler angesichts ihrerVergangenheit die Unverfrorenheit nehmen, ein solches Protokoll zu unterschreiben bzw.solchen Lebenslauf zu verfassen, wo doch ihr Verhalten in der Nazizeit dem Hohn spricht? NurMenschen ohne Skrupel oder Hochstapler sind solcher Handlungen fähig.Man überlege weiter. Ausgerechnet Schumann, der im Geiste Himmlers die WTG-Lehrenrevidieren wollte und sich der Gestapo »sei es, wo es sei« zur Verfügung stellte, sollte »vomHerrn gesegnet« sein, den »Wiederaufbau des Bibelhauses zur Ehre des Namens des Höchsten«zu ermöglichen? Und Frost baute auf dieser Grundlage das deutsche WTG-Werk wieder auf!Doch nicht nur das. Im Gründungsprotokoll ist zu lesen, dass er die beiden zum Todeverurteilten Gestapohandlanger Schumann und Schindler ausdrücklich in die WTGMitgliedschafteinbezieht um ein antifaschistisches Märtyrer-Aushängeschild zuu haben. UndFrost selbst als der dritte oder erste in diesem Bunde, angeblich »vom Herrn mit der Leitungbetraut«, war - wie nachgewiesen wurde - eines der ersten und größten Gestapowerkzeuge. Manbraucht seine Nazidienste nicht noch einmal aufzuzählen.Der Gipfel dieses Gaunerstücks von WTG-Neugründung »im Namen Jehovas« ist schließlichdas Gründungsprotokoll selbst, in dem die drei Hauptakteure, Frost, Schumann und Schindler,sich selbst, den betrogenen Mitgliedern und Anhängern sowie den deutschen und sowjetischenVerwaltungsbehörden versichern, jeden aus ihren Reihen auszuschließen, dem sie auch nur dasGeringste an Nazidienst nachweisen könnten, und dies im Namen aller toten und überlebendenWTG-Opfer des Naziregimes, die sie selbst durch ihre persönliche Kollaboration mit derGestapo in Gefängnisse, Konzentrationslager oder aufs Schafott bringen halfen!

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Offenbar fürchtete man jedoch, dass nicht immer alles gut gehen könnte. Besonders injuristischer und politischer Hinsicht sah man besorgt drein, war man sich doch derantidemokratischen und antikommunistischen Grundhaltung der WTG sehr wohl bewusst. Indem Magdeburger Rechtsanwalt Fritz Olaf 1 gedachte Frost einen juristischen und politischenBundesgenossen zu finden. Jedes Geschenk, das die WTG diesem Rechtsanwalt im Laufe derZeit machte, wurde in einer Akte sorgsam registriert. Man lese die Durchschrift einesBegleitschreibens zu einer Gemüse- und Obstgabe der WTG an Olaf vom 24. September 1946:Zitat:"24. September 1946Wachtturmstr. 17-19Fernruf: 31841 B/GHerrnRechtsanwalt Olaf INotarMagdeburgOtto von Guericke Str. 59Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!Wir gestatten uns, Ihnen mit diesem einen kleinen Anteil unserer Ernte zu übersenden undverbleiben mitfreundlichen GrüßenWatch Tower B. & T. Society"Mit einem Schreiben war der Leiter der Rechtsabteilung im Magdeburger Zweigbüro, ErnstWauer, am 12. Februar 1946 an Olaf herangetreten um ihn zur der Verteidigung der WTGPolitikzu gewinnen.Zitat:"WATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYGeneral Offices117 Adam StreetBrooklyn New YorkDeutsches ZweigbüroMAGDEBURGPostscheck-KontoNr. ..... MagdeburgWachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaftden 12. Februar 1946Otto von Guerickestr. 50W/B.HerrnRechtsanwalt u. NotarO l a f IM a g d e b u r gOtto von Guerickestr. 59Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!Mit diesem Schreiben möchten wir an Sie die Frage stellen, ob Sie in Fällen derBeeinträchtigung der geistigen Freiheit und Unabhängigkeit aus innerer Überzeugung bereitsind, die Verteidigung dieser durch jede wirkliche Demokratie gewährleisteten Rechte inwahrhaft kämpferischer Weise im Rahmen der geltenden Gesetze zu übernehmen. Wir fragenSie deswegen ausdrücklich, weil es nicht jedem Menschen liegt, sich für eine solche Sache auchdann konsequent einzusetzen, wenn er Gefahr läuft, sich dadurch gelegentlich zu amtlichenStellen oder politischen Kreisen in Gegensatz zu bringen.Wir bitten Sie um eine kurze Stellungnahme und begrüßen Sie

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hochachtungsvollWATCH TOWERBible an Tract SocietyBrooklyn N. Y.German branchMagdeburg"Beim nächsten Gaunerstück hat Olaf dem Gestapohandlanger Frost tatsächlich geholfen,allerdings in gutem Glauben und in völliger Unkenntnis des wahren Sachverhalts, nämlich dabei,Paul Balzereit, den früheren deutschen Zweigdiener, vom Magdeburger WTG-Grundstück zuvertreiben. Auf Weisung von WTG-Präsident Knorr über Zweigdiener Frost beauftragte ErnstWauer am 18. Februar 1946 mit Schreiben und Information Fritz Olaf, gerichtlich gegenBalzereit vorzugehen. Wauer schrieb zur Begründung an Olaf: »Der Präsident der Gesellschafthat neuerdings nochmals die Anweisung gegeben, Balzereit unbedingt von dem Grundstück zuentfernen, weil sein weiteres Verbleiben daselbst mit der Reinheit des von der Gesellschaftbetriebenen Evangelisationswerkes unvereinbar ist. Es kann Jehovas Zeugen nach jahrelangemKampf gegen nazistischen Terror für die geistige Freiheit nicht zugemutet werden, noch längerauf ihrem Grundstück einen Menschen zu dulden, dessen ganze Handlungsweise ihn eindeutigals einen Verräter brandmarkt.«Der Auftrag der WTG an Olaf hatte folgenden Wortlaut:Zitat:"Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaftden 18. Februar 1946Otto von Guerickestr. 50W/B.Herrn Rechtsanwalt u. NotarO l a f IM a g d e b u r gOtto von Guerickestr. 59Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt!Unter Bezugnahme auf unsere heutige Besprechung in Sachen Balzereit überreichen wir Ihnen1. Eine Information,2. Korrespondenz bestehend aus 10 Blatt.Wir bitten, wenn Sie dies für aussichtsreich halten, die Prozessführung vorzubereiten undzunächst ein Schreiben an Balzereit zu senden.Wir bitten, wie besprochen, uns vor Absenden des Schreibens den Entwurf zwecksStellungnahme zugehen zu lassen.HochachtungsvollWATCH TOWERBible and Tract SocietyBrooklyn N YGerman branchMagdeburgAnlagen"Balzereit musste angeblich vertrieben werden, um die politische »Reinheit« der WTGVerkündigungzu gewährleisten und weil man auf dem WTG-Grundstück keinen »Verräter« ausder Nazizeit dulden könne. Es ist inzwischen hinreichend bewiesen, dass für denprofaschistischen Kurs der WTG seit dem Emporkommen der Nazis das Hauptbüro in Brooklynselbst die Hauptverantwortung trägt. Man denke an die Umfälschung der antisemitischen undprofaschistischen WTG-Buhlerei auf dem Berliner Kongress 1933 durch Präsident Knorr ineinen antifaschistischen Protest! Balzereit ist im wesentlichen stets nur ausführendes Organgewesen ohne die WTG-Politik je zu durchschauen. Und was die politische »Reinheit« derOrganisation betrifft, so zogen nach Balzereit mit Frost, Schumann, Schindler Franke und

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anderen wohl die skrupellosesten Nazidiener in das WTG-Grundstück ein. Aber das konnte Olafalles nicht wissen - man ihn hinters Licht geführt. Es kam jedoch zu keinem Prozess gegenBalzereit. Schon nach den ersten Schritten Olafs übergab er seine alten Vollmachten an Frostund verließ das Grundstück. Den nächsten großen Betrug vollführte Frost gegenüber dendamaligen sowjetischen Verwaltungsbehörden in Magdeburg. Man lese zunächst folgendeAuszüge aus Berichten Frosts im »Wachtturm« vom 1. Juli 1961 und im Jahrbuch 1947 derZeugen Jehovas, S. 116:Zitat:"1. Juli 1961 Der WACHTURMBefreiung von totalitärer Inquisitionvon Erich Frost erzähltWiederaufbauJehovas Geist spornte uns zur Tat an. Viele von uns dachten nicht daran, heimzukehren, obwohlwir noch ein Heim hatten. Unsere erste Sorge galt dem Eigentum der Gesellschaft in Magdeburg.Dort stand man gerade im Begriffe, das Gebäude in ein Hotel für die Russen zu verwandeln. Densowjetischen Offizieren verständlich zu machen, wer Jehovas Zeugen sind, erwies sich als einezermürbende Aufgabe. Unsere Arbeit in der Ostzone wäre wahrscheinlich nie in Flussgekommen, wenn wir nicht tagtäglich betont hätten, dass im Magdeburg früher die Zentraleunserer Organisation gewesen sei und wir die Absicht hegten, von diesem Büro aus auchweiterhin unsere Organisation in allen vier Zonen zu leiten. Schließlich gab man nach, und dasWerk ging in der kommunistischen Zone wie anderswo weiter.JAHRBUCH 1947 DER ZEUGEN JEHOVASmit dem Bericht über das DienstjahrNachdem ich zwei treue Brüder und Mitarbeiter im Bibelhaus Magdeburg mit Vollmachtenversehen hatte, ging ich nach Westdeutschland um dort die Organisation zu befestigen und dieGeschwister zu ermuntern. Wir errichteten in Wiesbaden, einer Stadt in der amerikanischenZone; ein eigenes Büro für den Westen unseres Landes.Watch Tower Bible & Tract SocietyWatchtower Bible and Tract Society, Inc.International Bible Students AssociationVereinigung Jehovas Zeugen der SchweizBrooklyn 2, N. Y., USA - Bern, Allmendstr. 39Zweigbüros siehe letzte Seite."Die vorstehenden Auszüge beweisen, dass Frost niemals die Absicht hatte, das gesamte WTGWerkin Deutschland von Magdeburg aus zu leiten. In Wirklichkeit wartete er auf seineZweigdienervollmacht vom Hauptbüro in Brooklyn und dem USA-State Department inWashington, um nicht von Magdeburg, sondern von Wiesbaden aus das WTG-Werk in allen vierZonen Deutschlands zu leiten.Auch die rechtlichen Ansprüche der WTG auf das Grundstück in Magdeburg, von dem manBalzereit vertrieben hatte, waren fragwürdig.Im März 1941 hatte man nämlich in Verhandlungen zwischen dem WTG-Hauptbüro inBrooklyn, vertreten durch die amerikanische Handelskammer in Berlin - BevollmächtigterArthur Dunning, Berlin, Unter den Linden 38 -, und dem faschistischen »Kommando desRüstungsbereichs Magdeburg« das Eigentum der WTG in Magdeburg dieser faschistischenKriegsinstitution für 178 300 RM zum Kauf überlassen. Frost erklärte dazu im Jahrbuch 1947der Zeugen Jehovas, S. 114, die »deutsche Wehrmacht« habe sich das Grundstück in Magdeburg»zu eigen gemacht. Es bestand somit auf Grund dieses Geschäfts mit den Nazis an demMagdeburger Grundstück überhaupt kein eindeutiges Eigentumsrecht der WTG an demMagdeburger Grundstück, während man von den deutschen und sowjetischen Behörden seineÜberlassung forderte. Man betrachte dazu die folgenden dokumentarischen Angaben über dieVerhandlungen zwischen dem Rüstungskommando und der WTG:Zitat:

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"Anschrift des EigentümersWachturm Bibel- u. Traktat-Ges. MagdeburgBevollm. Arthur Dunning, Amerikanische Handelskammer in Deutschland, Berlin, Unter denLinden 38Vermerk … Betrifft das bebaute Grundstück, Mietergrundstück Saarstraße 17 u. 19 MagdeburgFlurstück …Verfügung für Nachfeststellungen. 1. 1. 39 178300, RMBisheriger EinheitswertbogenEinheitswert der neuen Einheit auf den 1. 1. 1939 nach der Berechnung …"Der WTG-Beschluss, das deutsche Zweigbüro 1941 an die Nazis zu verkaufen, ist mehrfachbemerkenswert. Dahinter standen in religiöser Hinsicht die Irrlehren des alternden Rutherford,mit dem Ende des WTG-Werkes in Deutschland im Zweiten Weltkrieg käme sowie»Harmagedon« und alles wäre zu Ende. Das war die letzte »Harmagedon«-Version Rutherfords,der 1942 starb. Zum anderen wird durch diesen Verkauf der von der WTG nach 1945 erhobeneAnspruch auf Wiedergutmachung fragwürdig. Denn wenn man an die Nazis verkaufte, kann manehrlicherweise hinterher keine Rückgabe im Rahmen einer Wiedergutmachung fordern, wie dieWTG es nach 1945 allenthalben tat.Mit der Verlagerung der Leitung des WTG-Werkes in ganz Deutschland unter Bruch derErklärungen gegenüber den damaligen sowjetischen Behörden nach Wiesbaden wurde diewestdeutsche Zentrale mit der Zeit immer mehr zuständig für die unmittelbare Anleitung derWTG-Tätigkeit in allen osteuropäischen Ländern einschließlich der Sowjetunion. Leiter derwichtigsten Abteilung dieser Zentrale, der Dienstabteilung unter Oberaufsicht von Erich Frost,wurde der schon genannte Gestapokollaborateur Konrad Franke, dessen Mutter sich in derNazizeit aus Verzweiflung erhängt hatte.Angesichts all dieser Tatsachen, die mit der Gründung und Leitung des deutschen WTG-Zweigeszusammenhängen, ergibt sich in bezug auf den religiösen Charakter der WTG-Führungzwangsläufig folgende Feststellung: Abgesehen von den Illusionen, den antisemitischen,profaschistischen und bisherigen antikommunistischen Machenschaften der WTG hat man es beider Neugründung des zweitgrößten WTG-»Bollwerkes gegen den Kommunismus« 1945/46,eben dem deutschen Zweig, mit einem solchen Betrugsmanöver zu tun, dass sämtlichesogenannten theokratischen Ansprüche der WTG-Führung ein für allemal zunichte werden.Auch nicht der kleinste Anschein bleibt davon übrig. Wie einst jener blutbefleckte Peregrinus -er hatte seinen Vater ermordet - sich die »wundersame Weisheit der Christianer« für seineAbenteuer zunutze machte, ging die WTG - das Gewissen voller Nazidienste - 1945 aufs Neuedarauf aus, ihr Werk unter Missbrauch von Christentum und Gottesglauben leichtgläubigerMenschen weiterzuführen.Zitat:"Kommando des RüstungsbereichsMagdeburgNr. 4209f / 41 Z/WiMagdeburg, den 28. 3. 1941Otto-von-Guericke-Str. 65Fernruf: 43151/57Hausapparat: 84An dasFinanzamt Magdeburg-SüdBewertungsstelleMagdeburg-B.Sternstr.FinanzamtMagdeburg-SüdEing. 29. Mrz 1941

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Bezug: Heutiges FerngesprächBetr.: Einheitswert.Unter Bezugnahme auf das heutige Ferngespräch bittet das Kommando um Bekanntgabe desEinheitswertes der Grundstücke, eingetragen im Grundbuch von Magdeburg-S. Band 42 Blatt1727 und Band 43 Blatt 1773, Kartenblatt 3 Parzelle 3075/104 und Kartenblatt 3 Parzelle3076/104 Hausgrundstücke Saarstr. 17, 19 und Leipziger-Str.16.Das Kommando steht mit der Eigentümerin dieser Grundstücke in Kaufverhandlung undversichert, dass es von dem Bevollmächtigten der Eigentümerin berechtigt ist, die Einheitswerteeinzusehen.Dr. R./So.Finanzamt-SüdBewertungsstelleSüd 15a III 269Süd 15b IIIMagdeburg 20. 3. 1941Kanzlei-Eingang am 31. März 1941Gefertigt 31. 3. 41 BoVerglichen 31. 3. 411.) Zu Schreiben an das Kommando des Rüstungsbereichs MagdeburgMagdeburgOtto v. Guericke Str. 65Betr. Grundstücke Saarstr. 17 u. 19 undLeipziger Str. 16Schreiben vom 28. 3. 41 Nr. 42094/41Der Einheitswert beträgt a) für das Grundstück Saarstr. 17 u. 19 = 178 300,-b) Grundstück Leipziger Str. 16 = 117 300,-...."

Die jüngste Politische Rolle der WTG

Der Wiederaufbau des WTG-InformationsdienstesEs wurde bereits dargelegt, wie sehr die Tätigkeit der Zeugen Jehovas unter Leitung der WTGvon der Politik der USA abhängig ist. Den Kern der amerikanischen Kirchenpolitik stellte seit1945 insbesondere die Warburg-Doktrin dar, in der festgelegt wurde, dass in die »Dammbildunggegen das sowjetische Sozialisierungsstreben« auch die Kirchen und Religionsgemeinschafteneinzubeziehen sind. Diese Bemühungen waren schon nach dem Ersten Weltkrieg sichtbar. Nachdem Zweiten Weltkrieg nun wurden sie verstärkt. Die Zeugen Jehovas sind das drastischeBeispiel.Konkrete Formen nahm diese Politik unter dem amerikanischen Präsidenten Truman an. Die1947 von ihm verkündete Doktrin besagte, dass nach der zeitweiligen Zusammenarbeit zwischenden USA und der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges nunmehr wieder "demKommunismus ideologisch und geographisch der Krieg zu erklären« sei. Es sei also erneut zumKampf gegen die Sowjetunion und den Sozialismus überzugehen. Für Deutschland bedeutete dasspeziell, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges rückgängig zu machen und die DeutscheDemokratische Republik zu liquidieren, Den Kirchen und Religionsgemeinschaften wurden imZusammenhang damit »dem Evangelium fremde ideologische Gesichtspunkte für Verkündigungund Dienst" aufgezwungen, wie auf der ständigen Allchristlichen Friedenskonferenz in Prag1964 rückblickend konstatiert wurde. Die Konferenz lehnte diese Bindungen und diese Ideologieals politische Norm ihrer Verkündigung des Evangeliums ab. (Materialien der PragerAllchristlichen Friedenskonferenz 1964. Arbeitsgruppe Friede und Kalter Krieg)Zu denen, die gegen einen solchen psychologischen Missbrauch der religiösen Tätigkeit Stellungnahmen, gehörten Vertreter fast aller großen christlichen Kirchen und Gemeinschaften

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bezeichnenderweise aber nicht die WTG oder Zeugen Jehovas. Sie wurden imNachkriegsdeutschland mit Schwerpunkt in den Westzonen wieder straff und einheitlich unterdie Regie von Brooklyn und Washington genommen, wie die vom USA State Department inWashington unterzeichnete Vollmacht für den WTG-Zweigdiener Erich Frost und dieVerhandlungen und Abmachungen mit dem amerikanischen Militärnachrichtendienst nach 1945beweisen. Wie bei kaum einer anderen Gemeinschaft lebte auf Grund dieser Bindungen in denReden und Schriften der WTG die »dem Evangelium fremde Ideologie« des Antikommunismusgegen die sozialistische Entwicklung wieder auf. Sie wurde in politischer Hinsicht ganz auf diePläne der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der alten kapitalistischen Verhältnisse inDeutschland und anderswo ausgerichtet.Neben dem organisatorischen Aufbau kam es der WTG-Führung in Brooklyn vor allem auchdarauf an, ihr von der Gestapo zerschlagenes Informationsnetz in Deutschland wieder auf undauszubauen. Die Nachkriegsverhältnisse unter den Bedingungen der amerikanischenBesatzungsmacht, die ihre Spezialisten für religiöse Fragen mitgebracht hatte - fürprotestantische Fragen Dr. F. H. Littell als Hauptberater des USA-Hochkommissars fürDeutschland -, bewirkten sogleich eine enge Zusammenarbeit mit den amerikanischenMilitärdienststellen, in deren Interesse letztlich ebenfalls ein schnell funktionierendesWTGNachrichtennetzlag. Die Erörterung der Zusammenarbeit der WTG mit dem USA-StateDepartment hat diese Interessenverflechtung und deren Hintergründe deutlich gemacht. Wiedargelegt wurde, hatte der WTG-Rechtsvertreter H. C. Covington diese Sache mit denzuständigen USA-Militärs 1947 in Westdeutschland geregelt.Nun beauftragte der Präsident der WTG, N. H. Knorr, den inzwischen vom USA-StateDepartment akzeptierten deutschen Zweigdiener Erich Frost, intern geeignete Mitarbeiter unterden deutschen WTG-Funktionären für die Informationstätigkeit auszusuchen und einzusetzen. Eswurden vor allem solche Personen ausgesucht, die sich durch ihre berufliche undgesellschaftliche Stellung gut über politische und staatliche Angelegenheiten informierenkonnten. In der damaligen sowjetischen Besatzungszone Deutschlands zog Frost unter anderemden WTG-Funktionär Georg Bär aus Dresden heran, der von Beruf Techniker und Mitglied desLandesschiedsausschusses für Opfer des Faschismus war um an interessante Informationsquellenzu gelangen.Aus den von Frost zu diesem Zweck versandten Schreiben geht hervor, dass es sich eindeutig umeine politische Nachrichtentätigkeit handelte, die wieder in Angriff genommen werden sollte.Man lese den Abdruck eines solchen Schreibens mit den wesentlichen Fakten undAufgabenstellungen:Zitat:"WATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYGeneral Offices117 Adams StreetBrooklyn New YorkDeutsches ZweigbüroM a g d e b u r gPostscheck Magdeburg …WESTDEUTSCHES BÜROPostscheck Frankfurt 145761, Hannover 99280, Freiburg 2953(16) Wiesbaden, 24. 12. 47Wilhelminenstr. 42Telefon 25203Eingang, am 14. 1. 48Erledigt amBETRIFFT: Mitarbeit am "AWAKE!"

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Lieber Bruder!Bruder KNORR hat mich als Zweigdiener zum Korrespondenten für die Zeitschrift AWAKE!bestellt und erwartet regelmäßige Beiträge aus Deutschland, die für die Leser unserer Zeitschriftin aller Welt von Interesse und voll Spannung sind.Es werden alljährlich zwei Haupt- und zwei Nebenartikel verlangt. Diese zu liefern, erfordertgute Beobachtungsgabe über die Geschehnisse unserer Tage und in unserem Lande. Da ich beider überreichen Arbeitszuteilung nicht in der Lage sein werde, dieser Aufgabe immer gerecht zuwerden, bitte ich Dich um Mitteilung, ob Du Freude daran hast und bereit bist, hierbeimitzuarbeiten. Es wird nur in seltenen Fällen geschehen, dass ein abgeschlossener Artikel oderBeitrag, wie Du ihn einsenden wirst, nach Brooklyn abgeht, da ich noch einige andere Brüder umihre Mitwirkung bitten werde. Jedoch werde ich große Wertschätzung dafür haben, wenn mirBeiträge folgenden Charakters und Inhaltes zugehen werden, die ich dann, je nach Eignung,geschlossen oder mit anderen Beiträgen zusammengestellt, unter Umständen auch nach völligerUmarbeitung der Hauptredaktion in Brooklyn übersenden kann.A. Die Themen oder Beiträge, wie sie von AWAKE! gewünscht werden, können Politik,Religion, Handel, Geographie oder andere Wissenschaften betreffen; in der Tat, alle Themen, diein Awake! erscheinen, sollen dem Leser eine gute Vorstellung geben, wie umfassend seineGrundlage ist und was die Zeitschrift will! Es gibt immer etwas, was sich in unserem Landeereignet, das von weltweiter Bedeutung ist.B. Außerdem gilt es, plötzliche Vorkommnisse, wir politische Aufstände, Wahlen, religiöseStörungen oder Verwirrungen, Auseinandersetzungen, Revolutionen, Katastrophen, Flugzeugeund Fliegerei, Berge, Landschaften, Wunder des Landes, Tiere, Erdbeben, Verfolgungen,Opposition gegen die Wahrheit u. a. festzuhalten, kurz irgendetwas, von dem man glaubt, dass esfür einen über die ganze Erde verbreiteten Leserkreis von Interesse ist. Es muss wichtig genugsein. Die Streitfragen "Freiheit der Predigt" und "Freiheit der Presse" z. B. sind wichtiger als esgerade Erfahrungen von JEHOVAS ZEUGEN sind.Grundsätzlich muss alles, was an A W A K E ! eingesandt wird, Tatsache und Wahrheit sein.Das Material muss einwandfrei sein! Die unter A angeführten gewünschten Beiträge sindperiodisch und sollten immer bis zum 15. Februar und 15. August im Büro der Gesellschafteingehen. Lasse diese Beiträge jeweils etwa 3 Schreibmaschinenseiten lang (DIN A 4, mitdoppeltem Zeilenabstand), jedoch nicht länger als 5 Seiten sein. Sende je ein Exemplar und dasBibelhaus WIESBADEN und MAGDEBURG mit dem Vermerk. FÜR AWAKE!Die unter B angeführten Nachrichten können j e d e r z e i t in kürzester, jedoch genügenddeutlichen Form auf gleichen Bogen und mit gleichem Zeilenabstand gesandt werden. Sie m ü ss e n NEU und AKTUELL sein.A W A K E ! in Brooklyn hat großes Interesse an Vorgängen und Berichten aus Deutschland.Das ist begreiflich, weil die Augen aller Welt auf Deutschland gerichtet sind. Überlege, welchengroßen Wert gute Berichte aus unserem Lande haben, wenn sie durch AWAKE! in vielenLändern und Sprachen bekannt werden, da wir selbst in Deutschland aus Gründen derPapierknappheit noch keine eigene Ausgabe des AWAKE! herausgeben können.Ich bitte Dich also, mir umgehend Deinen Bescheid betreffs Mitarbeit in diesem neuen Zweigder theokratischen Verkündigerorganisation zukommen zu lassen und sende Dir mit vielen gutenWünschen recht herzliche Grüße.Dein Bruder und MitdienerErich Frost"Die Skala der Gebiete, in denen unter dem Motto »ständige Wachsamkeit über die Geschehnisseunserer Tage und in unserem Land« herumspioniert werden sollte, erfasste einfach alles, waszugleich der Verschleierung des politischen Hauptinteresses diente.Wie bereits im Zusammenhang mit dem Beschluss Rutherfords im Zuchthaus Atlanta 1918/19über den Aufbau eines WTG-Nachrichtendienstes dargelegt wurde, hatte die Beschaffung derNachrichten »unzensiert und an Ort und Stelle abgefasst«, also ohne jede Rücksicht aufStaatsgeheimnisse, auf Nachrichten strategischen Charakters oder auf Nachrichtenverbot bzw.

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Nachrichtensperre zu erfolgen. Wozu brauchte die WTG z. B. Berichte über die »Fliegerei«,über das Flugwesen in der damaligen sowjetischen Besatzungszone Deutschlands? Es gab zudieser Zeit dort kein anderes als das sowjetische Militärflugwesen! Allenfalls konnten dieWTGWeisungennoch auf eine vermutete geheime Neuentwicklung auf diesem Gebiet gerichtet sein.Was Frost von seinen Mitarbeitern hier verlangte, grenzte bereits an sehr gefährlicheHandlungen und kam einer Militärspionage gleich. Das musste Frost auf Grund seiner eigenenfrüheren Erfahrungen sehr wohl wissen. Dass man dabei auch Berichte über Naturwunder, Tiereund Landschaften haben wollte, änderte an dem politischen Charakter dieser Tätigkeit nichts,sondern diente höchstens der Verschleierung.Die Sache schließlich als »neuen Zweig der theokratischen Verkündiger-Organisation«hinzustellen ist offensichtlich religiöse Bemäntelung und Anwendung von Gewissenszwang.Denn wer von den gutgläubigen Anhängern würde sich »theokratischen« Weisungenwidersetzen? Als »theokratisch« wurde bisher alles deklariert, was die WTG unternommen hatte,von der ersten Bibelauslegung bis zum Betrug der WTG-Neugründung 1945/46 in Magdeburg,und das geht weiter so.Wichtig ist indessen zu erkennen, dass das, was die WTG an Berichten und Nachrichten fordert,auch für politische Kreise von großer Bedeutung ist und dass die speziellen politischenBindungen und Beziehungen der WTG eine entsprechende Auswertung aller Informationengewährleisten.Ein besonderer »Kirchlicher Nachrichtendienst«Der in Verbindung mit der Zeitschrift »Ewachet« (»Das Goldene Zeitalter« bzw. »Trost«) inDeutschland nach 1945 wiedererrichtete WTG-Nachrichtendienst, der ähnlich in allen Ländernorganisiert wurde, in denen die WTG tätig ist, war jedoch nur ein Mittel zurlnformationsbeschaffung.Unter der irreführenden Bezeichnung »Kirchlicher Nachrichtendienst« (KND) - die WTGbetrachtet sich in Wirklichkeit nicht als Kirche im bekannten Sinne - wurde im Frühjahr 1948vom Zweigbüro in Magdeburg ein weiteres Nachrichtennetz errichtet, das speziell in derdamaligen sowjetischen Besatzungszone Deutschlands wirken sollte. Zugleich wurden durchdieses Nachrichtennetz alle Informationen geschleust, die für die WTG-Organisation in der»Ostzone« bestimmt waren und deren Kenntnisnahme durch staatliche Stellen gefürchtet wurde.Jeden Postweg meidend, funktionierte dieser Nachrichtendienst nur über ausgewählte und sogarvor der Masse der Anhängerschaft geheimgehaltene Kuriere. Eingeweiht wurde grundsätzlichnur der jeweils örtliche Vertreter der Organisation oder »Gruppendiener« (GD). Nicht einmal dasmitverantwortliche »Drei-Brüder-Komitee« wurde hierüber vollständig informiert. Die WTGbestimmte zudem genau, welche Informationen der Ortsversammlung bekanntgegeben werdendurften, welche das Komitee zu erfahren hatte und welche nur der GD zu kennen brauchte. Aufdiese Weise hatten die einfachen Anhänger nicht den geringsten Einblick in die Tätigkeit ihrerFührung und deren Absichten.Organisiert wurde der KND im Mai 1948, als es sich herausgestellt hatte, dass die inzwischenangelaufene Infiltration antikommunistischen politischen Gedankengutes in die religiöseWTGVerkündigungder Nachkriegszeit behördlicherseits nicht unbeachtet und ohne Folgen blieb. Einerster Höhepunkt dieser Infiltration war Frosts »Erwachet«-Bericht vom Dezember 1947»Deutschland unter russischer Herrschaft« gewesen. Das war der Anlass für die damaligenBehörden, die von ihnen zugelassene Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, die sich dochselbst als politisch völlig neutral ausgegeben hatte, näher zu beachten. Man sah sich veranlasst,den Charakter dieser Gemeinschaft zu ergründen und sich vom Wesen der WTG ein klares Bildzu verschaffen. Um dem so weit wie möglich zu entgehen und jede behördliche Einsichtnahmein das interne WTG-Getriebe auszuschalten, baute man dann jenen KND. auf, der unterMissbrauch religiöser Bindungen und Gefühle vor allem die örtlichen »Gruppendiener« dazuanhielt, jede Weisung der WTG in diesem Zusammenhang bedingungslos auszufahren und die

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Behörden zu missachten und zu ignorieren.Zur Charakterisierung des KND folgen einige Auszüge aus der ersten, im gewöhnlichenAbzugsverfahren vervielfältigten Ausgabe vom 15. Mai 1948:WATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYDeutsches Zweigbüro(1 9 b) Magdeburg, den 15. Mai 19Wachtturmstr. 17/19Fernruf: 31871, 31841Streng vertraulich 1»Kirchlicher Nachrichtendienst« für die GD(K. N. D.)Lieber Bruder!In dem uns aufgezwungenen Kampf um die Freiheit des Gottesdienstes macht es sich notwendig,Dir infolge Deiner Verantwortung als GD ab und zu verschiedene Mitteilungen zu machen oderRatschläge zu geben, die nicht zur Bekanntmachung in der Dienstversammlung bestimmt sind.Du willst dieses Schreiben vertraulich behandeln und die einzelnen Punkte, soweit diesnotwendig ist, allein im Drei-Brüder-Ausschuß erörtern. Im übrigen mögest Du besorgt sein, diegegebenen Anweisungen gewissenhaft und entschieden zur Durchführung zu bringen. … Eswurden Polizeibeamte beauftragt, zu kontrollieren, ob auch nur dies und nichts anderes zurBetrachtung käme … man darf es den Widersachern der Wahrheit nicht bereitwillig gestatten,die freie Anbetung Jehovas in Geist und Wahrheit irgendwie zu beeinträchtigen … ZurBegründung behauptet man, dass wir 'politisch' redeten …Es darf kein Zurück geben, sondern es sollte stets versucht werden, im Falle eines Angriffs derFeinde der Wahrheit das zu tun, was Euch möglich ist, um das Werk nun erst rechtvoranzutreiben …Gruppenakten: Sämtliche Gruppenakten sollten grundsätzlich nicht beim Gruppendieneraufbewahrt werden, sondern beim HGD (Hilfsgruppendiener, d. V.) oder einem anderenzuverlässigen Verkündiger, in dessen Haushalt sich keine wahrheitsfremden Personen befinden.Nehmt auch keine Akten, besonders die Informationen der Gesellschaft (WTG, d. V.) und dgl.mit zu den Behörden, sondern höchstens solche Schriftstücke, die Ihr dort unbedingt vorlegenmüsst. Wenn Ihr aus einer Information der Gesellschaft etwas für die Verhandlung benötigt,schreibt Euch dies auf, wenn Ihr es Euch nicht merken könnt! …"Besonders bemerkenswert ist der befehlshaberische Ton am Schluss dieser Anweisungen. Manbeachte auch die Überheblichkeit, die darin liegt, jeden Andersdenkenden als »wahrheitsfremd«und die Behörden grundsätzlich als »Feinde der Wahrheit« zu bezeichnen. Diese Überheblichkeitkommt den WTG-Anhängern schon gar nicht mehr zum Bewusstsein.Die Weisungen, ihre Organisation sorgfältig vor den Behörden abzuschirmen, mussten dieZeugen Jehovas nur noch verdächtiger machen. Und es gab tatsächlich »kein Zurück« - dieörtlichen Gruppen der Zeugen Jehovas wurden immer weiter auf dem politischen Wege derWTG vorangetrieben.Um das Bild abzurunden, sei auch eine der letzten derartigen Weisungen der WTG zitiert, bevorder »Kirchliche Nachrichtendienst« 1950 eingestellt werden musste. Im KND vom 12. Juli 1950verlangte das Magdeburger Zweigbüro von hierfür beauftragten WTG-Anhängern politischeBerichte über innerbetriebliche Schulungen in volkseigenen Betrieben und Behörden der DDR.Diese Weisungen wurden im Auftrage der WTG von Willy Heinicke verfasst, einem Mitarbeiterdes Leiters der juristischen Abteilung des Magdeburger Zweigbüros Ernst Wauer. Man lese denfolgenden Auszug aus dem genannten KND vom 12. Juli 1950:Zitat:"WATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYDeutsches Zweigbüro

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(19b) Magdeburg, den 12. Juli 1950Fernruf: 31817, 31841ab 14. 7. 50: 8724 und 8728Kirchlicher Nachrichtendienst für die GD (KND)Liebe Brüder!Betrifft: Innerbetriebliche Schulungen. Was innerbetriebliche Schulungen betrifft, welcheinsbesondere während der Arbeitszeit stattfinden, möchten die Geschwister, die hierfür inBetracht kommen, über den Verlauf solcher Schulungen kurze Informationen durch den GD anuns einsenden. Diese schließen die Mitteilung ein, ob bei den regelmäßigen Schulungen fürjeden Teilnehmer im Rahmen einer Diskussion hinreichend Gelegenheit gegeben wird, seineStellungnahme vorzutragen, und inwieweit die betreffenden Geschwister vom christlichenStandpunkt aus zum vermehrten Zeugnis für die Wahrheit davon Gebrauch machen.Betrifft: Bezirksversammlung. Hierzu wird vertraulich mitgeteilt, dass diese vom 28. Septemberbis 1. Oktober d. Js. geplant ist.Es soll dies aber nirgends publiziert werden. Auch ist es möglich, dass die Verhältnisse eineÄnderung des Programms notwendig machen. Doch sollten die Geschwister über das Datumprivat informiert werden um zeitlich disponieren zu können.Indem wir mit allen Treuen im Lande vereint "Gott das zahlen, was Gott gebührt", verbleibenwir mit herzlichen GrüßenEure BrüderWATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETYDer Abschnitt: Innerbetriebliche Schulungen wurde von mir verfasst.Willi Heinicke."Dieses Verlangen einer angeblich rein religiösen Gemeinschaft ist doch mehr als sonderbar.Innerbetriebliche Schulungen, wie sie in Betrieben der sozialistischen Länder durchgeführtwerden, haben betriebliche und politische Fragen zum Inhalt. Das ist allgemein bekannt. Waswill die WTG also damit? Wenn sie nach dem Verlauf solcher Schulungen fragt will siedemnach wissen, wie es in den Betrieben aussieht und wie sich die Menschen politisch verhalten.Man erinnere sich, mit welchen Kräften die WTG auf oberer Ebene in Verbindung steht und wasfür eine Rolle Kirchen und Religionsgemeinschaften in deren Plänen gegen die »Sozialisierung«spielen sollen!Schließlich versuchte die WTG auch, über den KND eine Erfassung von verantwortlichenPersonen in Polizei, Justiz und sonstigen Behörden einschließlich sowjetischer Militär- undSicherheitsorgane zu erreichen, die unter der Bezeichnung »Adressensammelaktion« lief. AlsGrund wurde den Zeugen Jehovas angegeben, WT-Schriften »zum Zeugnis« versenden zuwollen. Natürlich tat man das auch. Es war eine geschickte Methode, in den Besitzstaatspolitisch bedeutsamer Personalkarteien zu gelangen, die in der damaligen Situation despsychologischen Krieges gegen die sozialistische Entwicklung unter Einbeziehung vonReligionsgemeinschaften nicht ohne Interesse waren.Mit dem Wiederaufbau des WTG-Nachrichtennetzes und dem KND für die »Ostzone« glaubtedie WTG-Führung offensichtlich, nun auch in Deutschland wieder voll einsatzfähig zu sein, wardoch damit das Nervensystem für ihre psychologische Funktion im Rahmen der amerikanischenKirchenpolitik in Richtung Osten wieder geschaffen. Die Zentrale dafür war zunächst dasZweigbüro in Magdeburg, das vom WTG-Hauptbüro in Brooklyn über den zwischengeschaltetenamerikanischen Militärnachrichtendienst und das Zweigbüro in Wiesbaden angeleitet wurde, woder Vertrauensmann des USA-State Departments, Erich Frost, seinen Hauptsitz hatte.Erneut psychologisch in die OffensiveNachdem 1947 die Verhandlungen zwischen der amerikanischen WTG-Führung (Knorr,Covington, Henschel) mit dem Militärnachrichtendienst der USA abgeschlossen waren undZweigdiener Erich Frost daraufhin vom WTG-Präsidenten Knorr »zum Korrespondenten für dieZeitschrift AWAKE! bestellt« worden war, wie es in dem schon erörterten Schreiben Frosts vom24. Dezember 1947 heißt (mit dem er Mitarbeiter für den WTG-Informationsdienst warb und in

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dem er durchblicken ließ, dass er der deutsche Chef dieses Nachrichtendienstes ist), ging man indie Offensive. Es begann wieder eine systematische Infiltration von antisowjetischer undantikommunistischer Politik in die WTG-Verkündigung, die sich bis in lautstarke öffentlicheKundgebungen voll Hass und Fanatismus steigerte.Bereits in seinem ersten politischen Propagandabericht, der vom 22. Dezember 1947 stammt,ließ Frost erkennen, dass er seinen Auftrag richtig verstanden hatte und gewillt war, seinenAuftraggebern mit »deutscher Gründlichkeit« zu dienen. Dieser Bericht ist in politischerHinsicht völlig im Stil der nun auflebenden psychologischen Kriegführung der USA, des»ideologischen Krieges gegen den Kommunismus« geschrieben. Der nachstehende Auszug zeigtdas (»Erwachet«, 22. Dezember 1947).Zitat:"ERWACHET!"Die Stunde ist nun da, … zu erwachen" - Römer 13:11 - PerkBern, 22. Dezember 1947Deutschland unter russischer HerrschaftSeither hat sich für das deutsche Volk in politischer Hinsicht nicht viel gebessert, und diewirtschaftliche Lage hat sich sehr verschlechtert. Zwar ist der Schrecken der Luftangriffeverblasst, dafür sind Hunger und Seuchen da. Zwar existieren die Konzentrationslager derGestapo nicht mehr, doch fühlt sich die breite Volksmasse hier in der östlichen Zone imallgemeinen nicht viel freier als zur Nazi-Zeit. Eine weitgehende Kontrolle wird auf allenGebieten ausgeübt, und die angewandten Methoden ähneln oft den nazistischen.Die Meinung ist vorherrschend, dass die Russen unbedingt verschwinden müssen, weil essolange keine wirklich freiheitliche Entwicklung gibt.Immer wieder werden verzweifelte Versuche, die Wirtschaft in Ordnung zu bringen, durch diekurzsichtige Haltung der Militärverwaltung vereitelt. Viele meinen, die Weltlage treibe einerneuen, noch größeren Katastrophe entgegen.Von unserem "Erwachet!"-Korrespondenten in Deutschland."Kurz zuvor hatte Frost in seinem ersten Jahresbericht (1946) noch gesagt, man könne »in keinerWeise Klage führen über die russischen Militärbehörden«. Jetzt aber behauptete erverleumderisch, die sowjetischen Behörden glichen den Nazis und der Gestapo, die Propagandaaufgreifend, »dass die Russen unbedingt verschwinden müssen«. Diese Verleumdungen wurdenin allen Sprachen, in denen die WTG-Zeitschrift »Erwachet« erscheint, abgedruckt.Von diesem Zeitpunkt an trat auch der deutsche WTG-Zweig wieder als »Bollwerk gegen denKommunismus« in Aktion. Immer schärfer, provokatorischer und aggressiver wurde diepolitische Ausrichtung der WTG-Tätigkeit, bis man 1950, als mit dem Koreakrieg ein dritterWeltkrieg vor der Tür stand, den Kampf gegen Sozialismus und Kommunismus zum»theokratischen« Glaubensdogma erhob und ihn damit zur grundsätzlichen politischenHauptaufgabe in der religiösen Verkündigung machte. Fortan gilt es als eine religiöseGewissenspflicht für die Zeugen Jehovas, die antikommunistische Hetze mitzubetreiben. Imfolgenden sollen nun die wesentlichsten politischen Aktionen der WTG in dieser Hinsicht bis1950 dargestellt werden, Tatsachen, die die WTG bewusst entstellt oder verschweigt um dieBehauptung aufrechterhalten zuu können, das Verbot der WTG in den sozialistischen Ländernsei Christenverfolgung.Die nächste größere politische WTG-Aktion seit dem Auftakt 1947 war eine im August 1948gestartete internationale Verleumdungskampagne unter der verlogenen Schlagzeile »DieSowjetunion, eine sachliche Betrachtung von Land und Leuten«. Man überzeuge sich von der inWirklichkeit gehässigen antisowjetischen Tendenz dieser Betrachtung an Hand eines Auszugesaus »Erwachet« vom 22. August 1948, Schweizer Ausgabe.Zitat:"Bern, 22. August 1948Die SowjetunionEine sachliche Betrachtung von Land und Leuten

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Was den Sowjetkoloß für seine Gegner so furchterregend macht, ist das Ansteigen desKommunismus in Europa und anderen Erdteilen. Mindestens elf Millionen organisierteKommunisten in Frankreich und Italien! Machtübernahme durch die Kommunisten in Rumänien,Ungarn, der Tschechoslowakei! Kommunistische Regierungen auch in Polen, Jugoslawien,Bulgarien und Albanien! Werden diese für den Bestand der anderen lebensgefährlichen Manövernicht alle von der Moskauer Sowjetzentrale aus gelenkt? Welche Mittel können die anderengefräßigen Reiche dieser Welt anwenden, um dem knurrenden russischen Bären kräftig auf dieausgestreckten Tatzen zu klopfen?"Kaum waren die Hetztiraden verklungen, ging schon die nächste Kampagne dieser Art über dieBühne, diesmal ganz im Stil eines Joseph Goebbels gehalten. Man lese aus »Erwachet« vom 8.Dezember 1948:Zitat:"Die Menschheit am ScheidewegeBern, 8. Dezember 1948 - Vol. XXVI"Awake!" - German Edition - HalbmonatlichDie Bedrängnis der NationenIn der einen Hälfte des europäischen Kontinents sitzen die politischen, militärischen undrevolutionären Kräfte des kommunistischen Russlands im Sattel. So leben nicht nur 192 000 000Russen im unheilkündenden Schatten des Kremls, sondern auch die osteuropäischen Völker biszum Eisernen Vorhang. Anderswo, wie in Frankreich, Italien und Griechenland, macht sich derEinfluss der Bolschewisten immer hartnäckiger bemerkbar, und sie warten nur auf einengünstigen Moment um sich mit vernichtender Gewalt zu Herren ganz Europas aufzuschwingen."Auf Grund der immer stärker anschwellenden politischen Hetze der WTG kam es zu ersteneinschränkenden Maßnahmen der Behörden in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands.An etlichen Orten wurden öffentliche WTG-Vorträge verboten. Schriften mit derartaufhetzendem Inhalt wurden beschlagnahmt und auch einzelne Verhaftungen vorgenommen.Trotzdem konnte die WTG insgesamt noch weiterarbeiten.Die WTG dachte jedoch in keiner Weise daran, ihre Politik zu ändern. Im Gegenteil, sieverstärkte sie noch mehr, besonders nachdem die Watch Tower in den USA im Juni 1949fälschlicherweise auf die Liste der Organisationen geraten war, die der »Verbindung mit demKommunismus« angeklagt wurden. (Das Marinekorps der USA hatte in einem Memorandumvom 6. 6. 1949 die WTG zu den Organisationen gezählt, die als kommunistisch verbunden zubekämpfen seien. Mit Schreiben vom 15. 12. 1949 an die WTG hat das Marinekorps dieseFestellung widerrufen, nachdem die WTG überall antikommunistisch mobil gemacht hatte. - DerWachtturm, 1. November 1949, S. 329 ff (deutsch))Offenbar handelte es sich hier jedoch um eine politische Provokation, um die WTG zumÄußersten in ihrer antikommunistischen Tätigkeit zu veranlassen, was in der Folge dann auchprompt in internationalem Maßstab eintrat. Um jene fälschlichen Anklagen zu widerlegen,machte die WTG nämlich ihre Anhängerschaft einheitlich in allen Ländern antikommunistischmobil.In Deutschland wurde speziell für die WTG-Anhänger in der sowjetischen Besatzungszone vom29. bis 31. Juli 1949 in der Westberliner Waldbühne ein Kongress veranstaltet. Dieeinschränkenden Maßnahmen der deutschen und sowjetischen Behörden gegen die zunehmendepolitische Hetze und Verleumdung durch die Zeugen Jehovas wurden - ausgerechnet von demGestapokollaborateur Frost in seiner Eigenart als deutscher WTG-Zweigdiener - zum Anlassgenommen, um unter den Zeugen Jehovas nicht nur in beiden Teilen Deutschlands, sonderninternational eine Welle des Hasses gegen die sowjetischen und ostdeutschen Behördenauszulösen. Mit demagogischen Mitteln und prahlerischen Phrasen versuchte er dieleichtgläubige Menge zu einem fanatischen Antikommunismus aufzupeitschen und sie in eineHysterie zu treiben, die alles von der WTG bisher Getriebene in den Schatten stellte. FrostsHetztiraden wurden im »Wachtturm« vom 1. April 1950 (deutsch) abgedruckt. Man lese diefolgenden hauptsächlichen Passagen, dabei im Sinn behaltend, dass die WTG politisch völlig

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unparteiisch und neutral sein will und nur ein Bestreben habe, nämlich Jehova zu dienen:Zitat:"Der WACHTTURM1. April 1950Deutsche Bezirksversammlungen 1949Im britischen Sektor Berlins liegt die schöne "Waldbühne", und dort sollte dieBezirksversammlung stattfinden. Die Umstände in der russischen Zone gestatteten es nicht, einegrößere Versammlung dort abzuhalten, und so war es nötig, alle Vorbereitungen so still undgeräuschlos wie möglich zu treffen. Hatten nicht boshafte Handlungen, verursacht von der SED(Sozialistische Einheitspartei von Deutschland), zu einer Einmischung in die freieGottesanbetung in gewissen Gegenden in der Ostzone geführt?Ist der Bolschewismus schöner als andere Systeme? Glauben die Kommunisten, dass das, wasHitler begonnen hat, von ihnen vollendet werden müsse? Wir fürchten die Kommunisten genausowenig, wie wir die Nazi gefürchtet haben!" Mit diesen packenden Worten begegnete derWortführer der in Berlin versammelten Zeugen Jehovas der Herausforderung gewisser roterExtremisten der Ostzone. Diese wenigen Worte sprechen Bände.… Welch jämmerlichen Misserfolg hat doch Hitler, der katholische Diktator, gehabt! Und jetztsuchen rote Totalitäre das zu vollenden, was die Braunhemden nicht tun konnten? Wenn ja, so istihnen unverblümt gesagt worden, dass die mutigen Zeugen Jehovas in Deutschland sich vorihnen genau sowenig fürchten wie vor den Nazi."Diesen hasserfüllten und schmutzigen Anwürfen und politischen Prahlereien muss man die»Entschließung« zur Seite stellen, die auf dem Waldbühnen-Kongress angenommen wurde.Allein friedliebende Menschen hätten sich da versammelt, unschuldig bedrängt, die nicht dasgeringste mit dem »Weltstreit zwischen dem Osten und dem Westen« zu tun hätten. Nachstehendder Hauptinhalt der »Entschließung« gemäß »Wachtturm« vom 1. April 1950 (deutsch).Zitat:"Der WACHTTURMAm Samstagabend las der Zweigdiener der Wachtturm-Gesellschaft in Deutschland, Erich Frost,den versammelten Tausenden folgende Resolution vor:ENTSCHLIESSUNGAchtzehntausend Zeugen Jehovas aus allen Gebieten der östlichen Besatzungszone Deutschlandssind in der Waldbühne Berlin zusammengekommen, um den Namen Jehovas, ihres Gottes, zuerheben und ihn zu preisen. Sie erheben ihre Stimme wie ein Mann, um die gottgewollte unddurch die unveräußerlichen Rechte freien Menschentums verbürgte, in allen freiheitlichenVerfassungen demokratischer Staatswesen fest verankerte Freiheit der Anbetung Gottes und derfreien Religionsausübung zu fordern und zu verteidigen.Sie erheben Protest gegen die undemokratischen und verfassungswidrigen Verbote undEinschränkungen ihrer Gottesdienste in Sachsen und die Beschlagnahme der hierfür benutztenRäume;Sie protestieren gegen die brutale, gewaltsame Sprengung ihrer gottesdienstlichenZusammenkünfte durch ungesetzliche Polizeiaktionen, wie sie im Kreise Bautzen vorkommen;Sie protestieren gegen die von intoleranten fanatisierten Gegnern entfachte politische undreligiöse Hetze, die sich nicht scheut, den Spuren einer vergangenen Schmutzpresse nach Arteines "Stürmers" und eines "Schwarzen Korps" (frühere fanatische Naziblätter) zu folgen, undeine christliche Gemeinschaft aufrichtig gläubiger Männer und Frauen als eine "Mord-Organisation" zu bezeichnen und für vogelfrei zu erklären.Sie protestieren in aller Entschiedenheit dagegen, in bewusst verleumderischer Weise alsKriegshetzer und Feinde des Friedens bezeichnet zu werden, und weisen darauf hin, dass sie dieeinzige Organisation friedliebender Menschen sind, deren Angehörige nahezu hundertprozentigden Kriegsdienst in jeder Form verweigert haben.Sie protestieren in aller Entschiedenheit gegen die unbegründeten freiheitsfeindlichenWillkürmaßnahmen der Eisenbahn-Direktion der Ostzone unter ihrem Generaldirektor

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Kreikemeyer, durch welche seit langem fest zugesagte und bereits voll bezahlte Sonderzüge fürJehovas Zeugen vor der Abfahrt abgesagt wurden; Tausenden ist die Teilnahme an der BerlinerBezirksversammlung durch die kontraktbrüchige Haltung der Eisenbahnverwaltung unmöglichgemacht worden.Jehovas Zeugen setzen ihr Leben für den Frieden ein und verharren in der durch Gottes Gesetzfestgelegten Neutralität allen politischen und weltanschaulichen Streitigkeiten dieser Weltgegenüber, von der Gottes Reich nach den Worten Jesu nicht ist. Jehovas Zeugen geben in jedemLande, in welchem sie Bürgerrecht haben, willig dem Staate, was des Staates ist, aber sieweigern sich ganz entschieden, dem Staate auch das zu geben, was Gott gebührt. Unter keinenUmständen, selbst nicht unter dem Druck diktatorischer Maßnahmen, werden sich JehovasZeugen in den Wettstreit zwischen dem Osten und dem Westen einmischen. Jehovas Zeugenleben sowohl im Osten als auch im Westen. Wir nehmen nicht für einen Weltblock gegen denanderen Partei, weil wir dadurch Gottes Gesetz verletzen und die göttlichen Grundsätze desFriedens und der Einheit verleugnen würden. Wir sind und bleiben Jehova und Christus Jesus,dem König der neuen Welt, völlig ergeben und bezeugen allen Menschen guten Willens, dassohne Gottes Führung und ohne Beachtung seines vollkommenen Gesetzes kein Aufbau möglichist, wie in Psalm 127:1 geschrieben steht: "Wenn Jehova das Haus nicht baut, vergeblich arbeitendaran die Bauleute; wenn Jehova die Stadt nicht bewacht, vergeblich wacht der Wächter."Wir legen die Entscheidung auch in dieser Sache Glaubens voll in die Hand Jehovas, deshöchsten Richters, vor dem jeder für sein Tun verantwortlich ist.Ihm allein verdanken wir Hilfe und Befreiung nach einem zwölfjährigen Kampfe der Lüge unddes Terrors gegen Wahrheit und Gerechtigkeit und wir zweifeln nicht einen Augenblick, dass ernoch einmal und immer wieder sein Wort der Verheißung an uns erfüllen wird: "Schauen wirstdu es mit deinen Augen, und wirst sehen die Vergeltung der Gesetzlosen." - Psalm 91:8.Es ist die Verantwortung der ordentlichen Behörden, die Freiheit der Religion und des Glaubens,die Freiheit der Gottesanbetung allein nach dem eigenen Gewissen zu schützen und zugarantieren. Ihre Beeinträchtigung widerspricht den demokratischen Grundsätzen ebenso sehrwie den von Gott verliehenen Grundrechten aller Menschen, dem Recht auf Freiheit, Wahrheitund Gerechtigkeit. Wer diese Grundsätze verletzt, macht sich zum Feinde Gottes und alleraufrichtigen Recht und Freiheit liebenden Menschen und wird die Verantwortung tragen.Was immer auch geschehen mag, wir geloben aufs neue Jehova unserem großen Gott undewigen König Treue bis in den Tod. Wir werden nicht aufhören, die frohe Botschaft vom ReicheGottes zu verkündigen, wie er geboten hat. Allen Anstrengungen, uns in diesem Gottesdienstdurch Verbote, Verordnungen und ungesetzliche Maßnahmen zu beeinträchtigen, setzen wirentschlossen entgegen: "Man muss Gott mehr gehorchen als Menschen!"Jehovas ZeugenBerlin, den 30. Juli 1949Diese Resolution wurde durch den amerikanischen Sender RIAS in Berlin am gleichen Abendbekanntgegeben und drang anscheinend bis nach Amerika, denn am folgenden Sonntagmittagfanden sich Dutzende von Zeitungsreportern in der "Waldbühne" ein, darunter auch Wagen von"Funk und Bild", und man betonte ausdrücklich, von New York über München veranlasstworden zu sein, für die Presse Bilder von der öffentlichen Versammlung aufzunehmen. Es warein wunderbarer Tag. Die Begeisterung kannte keine Grenzen."Entsprach es der hier wieder proklamierten politischen Neutralität, was Frost in seinerEröffnungsrede desselben Kongresses, der diese »Entschließung« annahm, hasserfülltverkündete? Entsprach es politischer Neutralität, was seit 1947 in der WTG-Verkündigungpolitisch wieder in Erscheinung trat? Wenn die Presse des Landes den Hetzartikeln der WTGentgegentritt, dann sei das eine »Schmutzpresse« nach Art des faschistischen »Stürmers« oder»Schwarzen Korps«? Frost stellt die Wahrheit skrupellos auf den Kopf. Wer fordert denn diePresse gegen die Zeugen Jehovas und die WTG heraus? Und welche Regierung, welcher Staatlässt sich laufend in den Schmutz treten und beschimpfen, wie es in den Publikationen der WTGgeschieht ohne darauf zu reagieren? Was die behauptete Friedensliebe bzw.

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Kriegsdienstverweigerung betrifft, so sei nur an das Verhalten der WTG im Ersten Weltkriegund an ihre Kriegsdiensterklärung in der Schweiz von 1943 erinnert. Und zu dem »zwölfjährigenKampf« der WTG in der Nazizeit möchte man fragen: Hatte nicht derselbe Frost, der hierBrandreden hält, in denen er die WTG als unschuldig verfolgtes Lamm hinstellt, um die Gunstder SS und Gestapo gebuhlt und die ganze deutsche WTG-Organisation »hochgehen« lassen?Man erinnere sich schließlich an das Verhalten der WTG-Führung zum »Kampf um die Macht«der Hitlerfaschisten. Was das Geschrei über die behördlichen Maßnahmen gegen die ZeugenJehovas betrifft, führte man die Behörden nicht spätestens seit Gründung des, KND systematischhinters Licht? Und waren für den Waldbühnenkongress nicht »alle Vorbereitungen so still undgeräuschlos wie möglich« getroffen worden? In diesen Methoden war die WTG ja schließlichMeister ihres Fachs, wenn man nur an die Neugründung ihres deutschen Zweiges 1945/46 denkt.Die im Lande allenthalben von den WTG-Vortragsrednern betriebene religiös bemäntelte Hetzegegen den demokratischen Neuaufbau bestätigte Frost schließlich mit den Worten, »dass ohneGottes Führung und ohne Beachtung seines vollkommenen Gesetzes kein Aufbau möglich ist«,wie in Psalm 127:1 geschrieben stehe: "Wenn Jehova das Haus nicht baut, vergeblich arbeitendaran die Bau »laute.« Da Jehova den Neuaufbau in der »Ostzone« nicht führt, sei jedeBeteiligung daran also vergeblich - eine der üblen Bibelverdrehungen der WTG, denn derPsalmist spricht ein Wallfahrtslied vom Aufbau des Gotteshauses oder Tempels unter KönigSalomo im biblischen Altertum! Das hat mit dem Neuaufbau des gesellschaftlichen Lebens inder damaligen sowjetischen Besatzungszone Deutschlands überhaupt nichts zu tun. Es handeltsich hier eindeutig um einen Bibelmissbrauch im Sinne der Warburg-Doktrin zum Kampf gegendie soziale Neuordnung nach 1945, gegen die auch die WTG im Rahmen ihrer Verkündigung zuFelde ziehen sollte.Wenn Frost schließlich darauf pocht, dass die Behörden die Pflicht hätten, die Freiheit derGottesanbetung zu schützen, dann ging es der WTG in Wirklichkeit gar nicht umGlaubensfreiheit, die ja gegeben war, wie Frost selbst im Jahresbericht 1946 bestätigte. Es gingum eine andere Freiheit. Die WTG wollte Freiheit für ihre staatsfeindliche Tätigkeit, die sie mehroder minder geschickt in bestimmte religiöse Formen kleidete. Denn diese Tätigkeit gehörte zuihrer Aufgabe als »Bollwerk gegen den Kommunismus«.Es dauerte nicht lange, bis Frost den Waldbühnenkongress mit seinen maßlosen politischenVerleumdungen und dramatischen antikommunistischen Herausforderungen völlig fanatisierthatte, so dass er den Versammelten das Gelöbnis abnehmen konnte, »Jehova unserem Gott« -über die WTG selbstverständlich »Treue bis in den Tod« zu halten, wenn sie nun in die»Ostzone« zurückkehren würden.Mit Eifer stürzten sich die Westberliner und westdeutsche Presse, sowie der amerikanischeSender RIAS in Westberlin auf diesen antikommunistischen Waldbühnen-Hexenkessel DieFrage ist, ob Frost derartige antikommunistische Verleumdungen und Provokationen auch dannlosgelassen hätte, wenn er anstatt nach Wiesbaden nach Magdeburg hätte zurückgehen müssen.Er hätte das mit Sicherheit nicht getan! Die Frage ist weiter, warum dieser Kongress inWestberlin veranstaltet wurde. Die Behauptung, in der »Ostzone« wäre kein Kongress möglichgewesen, stimmt nicht. Schon 1946 konnte die WTG in Magdeburg einen Kongress mit mehr als6500 Teilnehmern durchfuhren. Und wäre der WTG wirklich an einer sachlichen Klärung derStreitfragen gelegen gewesen, so hätte sie dies vom Sitz des Zweigbüros in Magdeburg aus tunkönnen und müssen. Westberlin war hier nicht im geringsten zuständig. Aber man wollte ja garkeine sachliche Klärung irgendwelchen Schwierigkeiten. Frosts Hetzrede zeigte deutlich, wohinder Kurs zu gehen hatte. Man vertraute auf den Sieg der USA-Konzeption zum »Zurückrollendes Kommunismus« in Deutschland, auf die Truman-Doktrin einer amerikanischen »Befreiungder Ostzone«, auf einen Erfolg der imperialistischen psychologischen und subversivenKriegführung in Deutschland. Dazu hatte die WTG ihren Anteil zu leisten. Aus diesem Grundewar der ganze Waldbühnenkongress politisch ausschließlich beherrscht von Protesten, Anklagen,Drohungen, Hetztiraden und unnachgiebiger Feindseligkeit gegenüber den ostdeutschenBehörden, die als »Feinde Gottes« gebrandmarkt wurden. Mit »Feinden Gottes« aber spricht und

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verhandelt man nicht, sie werden nach WTG-Auffassung vernichtet. Frosts Tiraden, die»Ostzonenbehörden« würden eine »Vergeltung der Gesetzlosen« erleben wie die Nazis, nehmenjeden Zweifel. Die Parole war, sich auf nichts einzulassen, sondern den Osten unnachsichtig zubrandmarken, zu diffamieren und zu verleumden. Und das nicht nur in der »Ostzone«, d. h. inder DDR. Der Kurs richtete sich gegen alle Länder, die den Sozialismus aufbauten. Die inBrooklyn beschlossene politische Linie lautete: »gegen die Flut des Kommunismus aus demOsten«. Noch einmal wurde sie kurz vor dem Waldbühnenkongress öffentlich proklamiert, wie»Erwachet« vom 22. Juli 1949 beweist:Zitat:"ERWACHET!"Die Stunde ist nun da, … zu erwachen" - Römer 13:11 - PerkBern, 22. Juli 1949Die letzte Verteidigungslinie der ReligionDüsteres Sturmesgewölk ballt sich im Osten zusammen. Mit jedem Tag türmt es sich,unheildrohend, höher empor und senkt sich tiefer, drückender auf die Menschheit herab. Es istnur noch eine Frage der Zeit, bis aufzuckende Blitzstrahlen in dieses Wolkenmeer die Löcherreißen, aus denen ein Sturm der Vernichtung herniederprasseln wird. Hiervon haben dieReligionen der Christenheit am meisten zu befürchten. Sie werden bald in die letzteVerteidigungslinie gedrängt sein. Schon jetzt steht die Religion vor einer Krise, durch diekommunistische Flut aus dem Osten heraufbeschworen. Wird sie das überleben? Wird sie, umsich zu decken, die Nationen durch ihre Schutzmächte in den Wahnsinn eines dritten Weltkriegeshineinpeitschen können?"Damit waren auch für den Waldbühnenkongress die politischen Akzente gesetzt. Er war nichtdazu bestimmt, die Lage zu entspannen, sondern durch rücksichtsloses Verleumden desKommunismus einen neuen Höhepunkt in der psychologischen Kriegführung der WTG imInteresse der amerikanischen Nachkriegspolitik (Warburg) zu schaffen. »Über drei bis vierWochen erstreckte sich die Zeitspanne der Publizität in der Westpresse«, kommentierte dieWTG. (Der Wachtturm, 1. April 1950, S. 111 (deutsch))Trotz allem blieben die Behörden mit den Zeugen Jehovas geduldig, die in ihrer Masseschließlich aufgeputscht und irregeführt waren. Die Hauptdrahtzieher saßen im Westen fern jederVerantwortung. In ihrer politischen Verblendung legte die WTG-Führung die Nachsicht derBehörden jedoch als Schwäche aus und startete im März 1950 eine weitere internationaleHetzkampagne. Man hatte inzwischen einen als Geschäftsmann getarnten »Erwachet«-Korrespondenten auf eine Reise durch die osteuropäischen Länder geschickt, der das Materialfür diese Kampagne zu besorgen hatte. Man lese folgende Auszüge aus »Erwachet« vom 22.März 1950:Zitat:ERWACHET!"Die Stunde ist nun da, … zu erwachen" - Römer 13:11 - PerkBern, 22. März 1950Einblicke ins kommunistische EuropaDer nachstehende Artikel ist recht aufschlussreich. Er wurde geschrieben von einemGeschäftsmann, der sich neutral verhält gegenüber den politischen Ismen, die die Weltaufspalten. Seinem Bericht liegen also keine Propaganda-Absichten zugrunde, weder für denOsten noch für den Westen. Er schildert einfach das, was er bei seinem kürzlichen Besuch derinternationalen Messen in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien hörte und sah. Dieseunparteiische Schilderung, geschrieben am 18. Oktober 1949 und "Erwachet!" zur Verfügunggestellt, gestattet uns einen Blick hinter dem "Eisernen Vorhang". Lies das Folgende uminformiert zu sein!"Gehört das Geschäft immer noch ihnen?", fragte ich einen Herrn in Prag.Er warf einen misstrauischen Blick in eine Ladenecke, wo mein Begleiter Platz genommen hatte,und fragte im Wisperton, der seine innere Unruhe verriet: "Wer ist der Herr, den Sie bei sich

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haben?" Ich versicherte ihm, dass er nicht befürchten müsse, von diesem Herrn, einem Freundvon mir, bei der kommunistischen Gestapo denunziert zu werden.So ist die Lage all jener Tschechoslowaken, die ein Geschäft oder ein Gewerbe haben oderhatten.Steigerung der Arbeitszeit um ein Fünftel und Herabsetzung des Lohnes um ein Fünftel, das ist,was manchen widerfuhr, die den neuen Leistungsmaßstäben der kommunistischen Antreibernicht zu entsprechen vermochten.Wie es scheint, stehen die kommunistischen Fronvögte in nichts den Kapitalisten nach, wenn esgilt, über den Werktätigen die Peitsche zu schwingen. Es ist keine Zufriedenheit eingekehrt.Auf solche Weise sucht der Teufel den Sinn der Menschen mehr und mehr von demallmächtigen Gott abzulenken, und solch eine Missachtung des Höchsten von Seitenmenschlicher Knirpse wird den Untergang der Völker, die sich dessen schuldig machen,beschleunigen.Tatsächlich steht Harmagedon, die Schlacht des großen Tages Gottes des Allmächtigen, nahebevor."Zusätzlich zu dieser Hetzkampagne wurde am 13. Februar 1950 von dem damaligenWTGBezirksdienerFriedrich Adler ein Telegramm an den Ministerpräsidenten der DDR, OttoGrotewohl, und am 19. Mai 1950 ein Brief an das Ministerium des Innern der DDR gesandt,worin Adler u. a. höhnte, die Verfassung der DDR sei »ein Fetzen Papier«, die polizeilichenEinschränkungen der WTG-Hetze seien »parteidiktatorischer Terror«, und die Regierung derDDR habe eine »parteipolitische Brille« auf. Adler verlangte im gleichen Atemzuge nicht mehrund nicht weniger, als mit der Regierung der DDR über die ungehinderte Freiheit, für diepolitische WTG-Hetze zu verhandeln. (Aus den Akten des Obersten Gerichts der DDR) Nachdem Vorangegangenen war das eine neue unerhörte Herausforderung. Aber noch immer ließman die WTG gewähren.Von Fanatismus geblendet startete die WTG als Antwort auf die Duldsamkeit der Organe derDDR die nächste Provokation. Am 10. Juli 1950 sandte das WTG-Ostbüro in Westberlin, dasnach Auslagerung der wichtigsten Akten aus dem Zweigbüro Magdeburg inzwischen dieHauptanleitung der Zeugen Jehovas in der DDR übernommen hatte, eine sogenannte Petition, inder man nicht bat, sondern Forderungen stellte, an alle Behörden der DDR. Gutgläubig undaufgehetzt durchschaute denn auch kaum ein Zeuge Jehovas das betrügerische Spiel. DerWortlaut der Petition.Zitat:"JEHOVAS ZEUGENBüro BerlinBerlin, den 10. Juli 1950AnBehörden, Organisationen und Persönlichkeitendes öffentlichen Lebens!Namens und in Vollmacht sämtlicher im Gebiete der Deutschen Demokratischen Republiklebenden Zeugen Jehovas, wurde der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zuHänden des Herrn Ministerpräsidenten Otto Grotewohl, die nachstehende Protestschrift nebstPetition überreicht. Die wegen fortgesetzter Beeinträchtigungen unserer Gottesdienste vonunserer Kirchenverwaltung in Magdeburg wiederholt gemachten Anstrengungen und bei denhöchsten Regierungsstellen der Deutschen Demokratischen Republik eingereichten Anträge umEinstellung der ungesetzlichen Maßnahmen von Polizei u. a. Behörden blieben nicht nurergebnislos, sondern es erfolgten weiterhin fortgesetzt widerrechtliche Auflösungen vonGottesdiensten, Verhaftungen und Beschlagnahmungen. Aus diesem Grunde erhoben nunmehrsämtliche Gemeinden von Jehovas Zeugen in der Deutschen Demokratischen Republik durcheinmütige Abstimmung entschiedenen Protest in der nachstehenden Beschwerdeschrift undPetition.

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Petitionvon Jehovas Zeugen in Ost-Deutschlandan die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik.Wir, Zeugen Jehovas, fassen unsere Beschwerden und Proteste wie folgt zusammen:1. Wir erklären, dass die fanatische Geistlichkeit und intolerante SED-Funktionäre eineZweckpropaganda inszeniert haben, die religiösen Hass gegen Jehovas Zeugen entfacht unduns durch falsche Behauptungen verdächtigt, eine amerikanische Sekte zu sein, die imInteresse imperialistischer Politiker und Monopolkapitalisten arbeite und diese in derKriegshetze unterstütze und gegen den demokratischen Aufbau des Friedens und des Staateskämpfe. Diese Behauptungen gegen die wir nachdrücklichst protestieren, sind sämtlichunwahr und verstoßen gegen den Artikel 6 der Verfassung für die Deutsche DemokratischeRepublik, der u. a. wie folgt lautet:2. Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegendemokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristischePropaganda, sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen dieGleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübungdemokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze."Wir erklären, dass staatliche und kommunale Behörden Jehovas Zeugen Rechtsgleichheitverweigert und es abgelehnt haben, unseren vollberuflich tätigen Predigern die gleichen Vorteilezu gewähren, die die Geistlichkeit unter dem Gesetz genießt, wogegen wir nachdrücklichstprotestieren, weil es gegen den Artikel 6 der Verfassung der Deutschen DemokratischenRepublik verstößt, der wie folgt lautet:"Alle Bürger sind vor dem Gesetze gleichberechtigt. Boykotthetze gegen demokratischeEinrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung vonGlaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und allesonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinnedes Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keineBoykotthetze."3. Wir, Jehovas Zeugen, erklären, dass uns im Gegensatz zu anderen Organisationen, dieBenutzung von Schulräumen und kommunalen Sälen als Versammlungsorte verweigert werdenoder uns in gesetzwidriger Weise entzogen wurden, wogegen wir nachdrücklichst protestieren,da es gegen den Artikel 6 der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik verstößt, derwie folgt lautet:"Alle Bürger sind vor dem Gesetze gleichberechtigt. Boykotthetze gegen demokratischeEinrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung vonGlaubens-, Rassen-, Völkerhass, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und allesonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinnedes Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keineBoykotthetze."4. Wir erklären, dass Bibelstudien in Privatwohnungen, die von Jehovas Zeugen inverschiedenen Teilen des Landes abgehalten wurden, v e r b o t e n worden sind, was allesungesetzlich ist und wogegen wir nachdrücklichst protestieren, da es gegen den Artikel 8 derVerfassung der Deutschen Demokratischen Republik verstößt, der wie folgt lautet:"Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und das Recht, sich aneinen beliebigen Ort niederzulassen, sind gewährleistet. Die Staatsgewalt kann diese Freiheitennur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze einschränken oder entziehen."Es verstößt ferner gegen Artikel 43 der Verfassung für die Deutsche Demokratische Republik,welcher u. a. wie folgt lautet:"Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften wirdgewährleistet. Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheitenselbstständig, nach Maßgabe der für alle geltenden Gesetze."5. Wir erklären, dass die gedruckten Wachtturm-Predigten, Bibeln und bibelerklärenden

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Schriften, welche für den Gottesdienst für Jehovas Zeugen unerlässlich sind, durch Beamte ingesetzwidriger Weise beschlagnahmt wurden und dass wir gegen diese gesetzwidrigenPolizeimaßnahmen nachdrücklichst protestieren, da sie gegen Artikel 9 der Verfassung derDeutschen Demokratischen Republik verstoßen, welcher wie folgt lautet:"Alle Bürger haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ihreMeinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck friedlich und unbewaffnet zuversammeln. Diese Freiheit wird durch kein Dienst- oder Arbeitsverhältnis beschränkt; niemanddarf benachteiligt werden, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Eine Pressezensur findetnicht statt.6. Wir erklären, dass Jehovas Zeugen gesetzwidrig aus Stellungen und Diensten in staatlichenund kommunalen Behörden, aus volkseigenen oder anderen der Öffentlichkeit gehörendenBetrieben, wie auch aus privaten Betrieben und Arbeitsstätten entlassen worden sind, weil siesich weigerten, die Anbetung des allmächtigen Gottes Jehova aufzugeben, wogegen wirnachdrücklichst protestieren, weil es gegen den Artikel 15 der Verfassung der DeutschenDemokratischen Republik verstößt, welcher lautet:"Die Arbeitskraft wird vom Staat geschützt. Das Recht auf Arbeit wird verbürgt. Der Staatsichert durch Wirtschaftslenkung jedem Bürger Arbeit und Lebensunterhalt. Soweit dem Bürgerangemessene Arbeitsgelegenheit nicht nachgewiesen werden kann, wird für seinen notwendigenUnterhalt gesorgt."Rechtswidrige Entlassungen solcher Art verstoßen auch gegen Artikel 42 der Verfassung derDeutschen Demokratischen Republik, welcher in den beiden ersten Absätzen wie folgt lautet:"Private oder staatsbürgerliche Rechte und Pflichten werden durch die Religionsausübungweder bedingt noch beschränkt. Die Ausübung privater oder staatsbürgerlicher Rechte oder dieZulassung zum öffentlichen Dienst sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis."Sollten diese Erklärungen und dieser Protest abgelehnt werden oder unbeachtet bleiben undsollten solche Vorkommnisse Seiten einer intoleranten Geistlichkeit und extremer politischerFunktionäre weiterhin zugelassen werden ohne dagegen Maßnahmen zu ergreifen, so wird dieunausbleibliche Folge dieser verabscheuungswürdigen Vorkommnisse die sein, dass dergesetzwidrige Hass gegen Jehovas Zeugen weiter gefördert und zu einer lodernden Flamme deroffenen Verfolgung derselben angefacht wird, nur weil sie sich weigern, ihren Glaubenaufzugeben.Wir haben keine Furcht vor tyrannischen Menschen, die sich uns entgegenstellen, und wirschrecken nicht davor zurück, für die Wahrheit auch als Märtyrer und treue Nachfolger Christieinzustehen. Wenn dieser Terror mit seiner Verfolgung gegen uns zugelassen wird, so wird esder Weltöffentlichkeit offenbar werden, dass eine demokratische Ordnung innerhalb derDeutschen Demokratischen Republik nicht errichtet worden und dass auch die letzte Spur vonFreiheit dort verschwunden ist. Die Missstände, gegen die wir Beschwerde erheben, zeigen einWiederaufleben von Nazimethoden, die zu unterbinden und abzuschaffen freiheitsliebendeNationen im vergangenen Kriege gekämpft haben. Die Fortsetzung der geschildertenVerfolgungen und Tyrannei würde die Absicht zeigen, eine Diktatur zu errichten, was durch dasbiblische Beispiel der Misshandlung von Jehovas Zeugen durch den Diktator von Ägypten,Pharao, gezeigt. Er spottete Mose gegenüber und höhnte: "Wer ist Jehova, auf dessen Stimme ichhören soll…?" (2. Mose 5:2). Seine Verfolgung der Zeugen Jehovas stürzten ihn und sein Heerin das feuchte Grab des Roten Meeres. Dagegen gibt es andere Beispiele in der Bibel, welchezeigen, dass Beamte mit Jehovas Zeugen freundlich verfahren sind, was ihnen eine andereBehandlung von Seiten Gottes eintrug, als jener tyrannische Herrscher von Ägypten sie erfuhr.Jehova behütete, beschützte und befreite solche Beamte wegen des 'Glases kalten Wassers' derHilfe, das sie seinen Zeugen reichten. Wir hoffen, dass die Beamten der DeutschenDemokratischen Republik nach der Gunst Jehovas trachten werden, indem sie Jehovas Zeugengerecht behandeln. Tun sie dies, so mögen sie sich freuen, wenn sie feststellen, dass sie sich "zurRechten" von Christus Jesus gestellt und in die "Schaf"-Klasse der Menschen eingereiht wordensind, die für die Segnungen Jehovas bereitstehen.

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In der jüngsten Vergangenheit war die ganze Welt Zeuge des Zusammenbruches desnazifaschistischen Terrorsystems, das sich unter der Leitung der römisch-katholischen Hierarchieangemaßt hatte, Jehovas Zeugen in Deutschland und in anderen Teilen der Welt auszurotten. Diefalsche Proklamierung einer tausendjährigen Herrschaft durch Adolf Hitler und das Dritte Reich,den Verfolgern von Jehovas Zeugen, hatte anstatt 1000 nur 12 klägliche Jahre bestanden. Wirmöchten, dass dem deutschen Volke weitere Erschütterungen, Drangsale und Enttäuschungenähnlicher Art erspart bleiben. Im Namen Jehovas und in seiner Autorität erheben wir hiermitunsere Stimme zur Verteidigung der von ihm kommenden Grundsätze des Friedens, der Freiheitund der Gerechtigkeit und appellieren an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republikund ihre Amtsstellen, diese Beschwerde anzunehmen und ihre Ursachen zu beseitigen.Wir überreichen daher der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik im Geiste derVerfassung nach der die Freiheit und die Rechte der Menschen verbürgt, soziale Gerechtigkeitgestaltet, dem gesellschaftlichen Fortschritt gedient, die Freundschaft mit allen Völkern gefordertund der Friede gesichert werden solle, folgendeP e t i t i o n1. Wir ersuchen, sofort entscheidende Maßnahmen zu ergreifen, durch welche die Glaubenshetzegegen Jehovas Zeugen seitens politischer und religiöser Organe in Presse und Rundfunkunterbunden werden.2. Wir ersuchen, Schritte zu unternehmen, dass den vollberuflichen Predigern von JehovasZeugen durch die zuständigen Regierungs- und Kommunalbehörden die gleichen gesetzlichenRechte und Vorteile gewährleistet werden, wie sie den Geistlichen und Predigern andererreligiöser Organisationen eingeräumt und von diesen in Anspruch genommen werden, handle essich um Körperschaften öffentlichen Rechts oder nicht.3. Wir ersuchen, für Jehovas Zeugen die uneingeschränkte Rechtsgleichheit gegenüber anderenreligiösen Organisationen wiederherzustellen, damit uns der Gebrauch von Schulräumen undkommunalen Sälen für öffentliche gottesdienstliche Versammlungen in derselben Weise wieallen anderen Organisationen gewährt wird, seien diese religiös oder nicht.4. Wir ersuchen, durch klare und eindeutige Anweisung an alle Polizeiorgane die Freiheit desGottesdienstes sofort und durchgreifend wiederherzustellen, damit die Verbote vonGottesdiensten in Privatwohnungen und in öffentlichen Räumen unverzüglich aufgehobenwerden und die fortgesetzten ehr- und gesetzlosen Sprengungen von Gottesdiensten durchPolizeiorgane aufhören.5. Wir ersuchen, sofortige und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um weitereBeschlagnahmungen der Wachtturm-Predigten und anderer biblischer Literatur zu verhindernund um die von der Polizei bereits beschlagnahmten und sichergestellten Exemplare freizugeben.6. Wir ersuchen, die nötigen Schritte zu tun, um weitere Entlassungen von Jehovas Zeugenwegen ihrer politischen Neutralität und Glaubenseinstellung aus Staats- oderKommunalbetrieben, Fabriken etc. vorzubeugen und dass alle Zeugen Jehovas, die aus obigenGründen bereits entlassen wurden, in ihre Stellungen sofort wieder eingesetzt werden und dasgeschehene Unrecht auf die beste mögliche Weise wieder gutgemacht wird.7. Wir ersuchen, alle sonstigen notwendigen Schritte zu tun, um Jehovas Zeugen die gleichehohe Stellung, die andere religiöse Organisationen und ihre Geistlichkeit unter dem Gesetzgenießen, zurückzugeben und uns den gleichen Schutz der Gesetze in Verbindung mit völligerVersammlungs-, Rede-, Presse- und Gottesdienstfreiheit zu sichern, die durch das Grundgesetzdes Landes garantiert ist, die einseitige und tyrannische Entziehung dieser Grundrechte zubeseitigen und damit Schritte zu tun, die Gunst Jehovas zu erlangen.Hiermit wird bestätigt, dass vorstehende Protestschreiben mit der angefügten Petition allenGemeinden von Jehovas Zeugen in der Deutschen Demokratischen Republik vorgelegt wurdeund dass darüber abgestimmt und sie einstimmig von allen diesen Gruppen und allen ZeugenJehovas in Ost-Deutschland angenommen wurde.JEHOVAS ZEUGENBüro Berlin

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Schöndruck Reinikendorf"Die dargelegten Tatsachen über die nachrichtendienstliche und politische Neuentfaltung derWTG nach 1945 in Fortsetzung der antikommunistischen Traditionen, denen sie seit 1879verpflichtet ist, beweisen, dass diese sogenannte Petition ein Machwerk übelster Verdrehung undFalschdarstellung der Sachlage ist. Das politische Verhalten der WTG seit 1947 genügt, die inder sogenannten Petition zitierten Artikel der Verfassung der DDR von 1949 Punkt für Punktgegen die WTG selbst anzuwenden. Nicht eine »fanatische Geistlichkeit und intoleranteSEDFunktionäre« hatten den Streit entfacht, sondern die WTG auf Grund ihrer religiösen undpolitischen Aufgabenstellung - die Geschichte dokumentiert das hinreichend. Sollte man dieWTG-Führer dafür obendrein noch Pfarrern und Bischöfen gleichsetzen? Die politische Haltungder WTG war beim besten Willen nicht mit einer verantwortungsvollen Position imwirtschaftlichen und sozialen Neuaufbau der gesellschaftlichen Verhältnisse vereinbar. DieSache jedoch so hinzustellen, als sei von den WTG-Funktionären verlangt worden, die»Anbetung des allmächtigen Gottes aufzugeben«, ist eine Entstellung der Tatsachen, es sei denn,man betrachtet die von der WTG betriebene staatsfeindliche Tätigkeit als »Anbetung Jehovas«.Wenn es für die irregeleiteten WTG-Anhänger nicht so tragisch wäre, könnte man sagen, dieganze Geschichte ist nichts weiter als politische Gaukelei eines Scharlatans. Zitierte Frost dochselbst Artikel 9 der Verfassung der DDR von 1949, wonach die verlangten Freiheiten imRahmen der für alle geltenden Gesetze zu verstehen sind, also das Grundgesetz nach Artikel 6nicht verletzten dürfen. Begriff er nicht, dass die WTG-Politik aber genau jenes Grundgesetzverletzte?In Wirklichkeit ging es überhaupt nicht um die WTG-Verkündigung schlechthin, sondern um dieAusrichtung dieser Verkündigung im Sinne der amerikanischen psychologischen Kriegführung.Frost begriff das nur zu gut. Darum wird auch mit keiner Silbe in der sogenannten Petition aufdie Gesetzesverletzungen der WTG eingegangen. Statt dessen soll man den Eindruck erhalten,als sei die WTG die verfassungstreueste Organisation, die es in der DDR geben könnte.Angesichts dieser Tatsachen fragt man sich, was die sogenannte Petition in Wirklichkeitbezwecken sollte, denn die WTG wusste doch von vornherein, dass sie keinen Freibrief für ihreDDR-feindliche Tätigkeit erhalten würde. Die Petition war ein heuchlerisches Manövergegenüber den WTG-Anhängern, die einer von ihrer Führung provozierten »Christenverfolgung«in der DDR geopfert werden sollten. Das war jetzt die Aufgabe im psychologischen Krieg gegendie DDR, nachdem man die Spannung mit einer Kampagne nach der anderen immer mehraufgeladen hatte. Man brauchte in der DDR eine »Christenverfolgung« dramatischster Art, undkeine religiöse Gruppe war da leichter zu fanatisieren und zu missbrauchen als die ZeugenJehovas. Frosts Aufgabe war es, die Regierung der DDR mit jener Petition herauszufordern. Dasbeweisen seine Worte: "Wir haben keine Furcht vor tyrannischen Menschen, die sich unsentgegenstellen, und wir schrecken nicht davor zurück, für die Wahrheit auch als Märtyrer undtreue Nachfolger Christi einzustehen. Wenn dieser Terror mit seiner Verfolgung gegen unszugelassen wird, so wird es der Weltöffentlichkeit offenbar werden, dass eine demokratischeOrdnung der Freiheit innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik nicht errichtet wordenist und dass auch die letzte Spur von Freiheit dort verschwunden ist.«Der »Weltöffentlichkeit offenbar« zu machen, dass in der DDR »die letzte Spur von Freiheitverschwunden« sei - in der Tat, darauf kam es an! Stand doch die »Befreiung der Ostzone«vielleicht nahe bevor. Man muss dabei die allgemeine politische Situation von 1950 beachten. ImFernen Osten hatten die USA den Koreakrieg heraufbeschworen, der möglicherweise denAuftakt zum »Zurückrollen des Kommunismus« auch in Europa bilden konnte. Es ist bekannt,dass die imperialistischen Kräfte Westdeutschlands die Verschärfung der internationalen Lagedazu benutzten, ihre Pläne der Remilitarisierung bzw. Wiederaufrüstung weiter voranzutreiben.Um diese Ziele durchzusetzen, musste auch in Deutschland der Popanz der »kommunistischenBedrohung« herhalten, auch auf religiösem Gebiet. »Lodernde Flammen« einer»Christenverfolgung« würden diesem Bestreben in bester Weise dienen. Die WTGAnhängerschaft

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war in ihrer traditionellen Manipulierbarkeit und Leichtgläubigkeit ein idealesObjekt hierfür.Konnte diese Entwicklung der Dinge abgewendet werden? Sie konnte, aber sie sollte nicht. EinWink des USA-State Departments oder der amerikanischen Militärregierung in Wiesbaden hättegenügt, den politischen Kurs der WTG zu ändern. Hatte sie doch schon viele Male auf Winkoder Druck ihrer Hintermänner den Kurs geändert, im Ersten Weltkrieg oder in der Frage desZionismus beispielsweise. Nichts war hier von Gott. Ein Beispiel war auch der Fall desWTGBeauftragtenAugust Sekt in der britischen Besatzungszone. Sekt hatte eine Vortragskampagnegegen die katholische Kirche begonnen unter dem Titel »Der Papst als Steigbügelhalter desFaschismus«. Kaum hatte die britische Militärregierung in Westdeutschland davon Kenntniserhalten, schritt sie ein, verhaftete Sekt und unterband dessen Propaganda. Die WTG erhielt dieAuflage, die Kampagne sofort zu stoppen, was auch, prompt geschah. Eine»Christenverfolgung« in der Ostzone« dagegen würde ausgezeichnet in die Strategie derantikommunistischen psychologischen Kriegführung passen. Die Petition an die Behörden derDDR machte klar, dass nicht ein Jota von der Tätigkeit der WTG gegen die DDR abgestrichenwerden sollte. Im Gegenteil, die WTG-Propaganda wurde immer herausfordernder.Was schließlich die Äußerung Frosts in der Petition betrifft, man habe keine Furcht vor denen,die sich der WTG entgegenstellen, so sei folgendes gesagt: Nie hat sich die WTG-Führungehrlich der Wahrheit gestellt. Warum eilten Präsident Knorr und Frost nicht herbei, um alsHauptverantwortliche für ihre Anhänger einzustehen, wenn sie nichts anderes als unschuldigeNachfolger Christi wären? Predigten sie nicht laufend, »der gute Hirte lässt sein Leben für dieSchafe«? Sie konnten sich an ihren zehn Fingern abzählen, was ihnen die Regierung der DDR anBeweisen staatsfeindlicher Tätigkeit vorlegen würde. Sollten das also die Anhänger ausbaden,die ohnehin nur die Schachfiguren sind. Sie mussten in allen Ortsgruppen über die Petition»abstimmen«, als ob sie die Verantwortung hätten. Die Wahrheit dagegen ist, dass die Petitionvon den Zeugen, Jehovas weder frei erörtert noch frei beschlossen wurde. Kein einziger WTGAnhänger hatte und hat je darüber zu befinden, welchen religiösen oder politischen Kurs dasHauptbüro bzw. das Zweigbüro steuert. Haben Knorr und Frost die Zeugen Jehovas etwaabstimmen lassen, ob man 1947 den alten politischen Kurs im Fahrwasser der imperialistischenpsychologischen Kriegführung wieder aufnehmen sollte oder nicht? Nie haben sie ihre Anhängerdanach gefragt. Ihr diktatorisches »theokratisches« Regime, duldet in Wahrheit keinerlei echtedemokratische Entscheidung oder Abstimmung.Es war allerdings vorauszusehen, dass ohne eine »biblische« Begründung der politische Kurs derWTG auch den Anhängern gegenüber auf die Dauer nicht als politische Neutralität hingestelltwerden konnte. Man durfte ihre Gutgläubigkeit nicht zu sehr strapazieren. Möglicherweise hatteauch Knorr von Washington den »Rat« erhalten, nicht so naiv zu sein und auf eine kurzfristige»Abrechnung mit den Kommunisten« zu hoffen, die politische Propaganda der WTG alsozweckentsprechend und geschickter zu gestalten. Während man unter den Zeugen Jehovas in derDDR insbesondere die Erwartung einer baldigen »Befreiung der Ostzone« verbreitete -Hinhalten mit Naherwartungen ist ja eine Hauptmethode WTG -, brüteten Präsident Knorr undsein Vizepräsident Fred W. Franz als der Chefdogmatiker über einer neuen Bibelauslegung.Durch sie sollte der zu verschärfende Kurs gegen die sozialistischen Länder »neutralisiert« undals ein »unpolitisches«, rein religiöses Anliegen bemäntelt werden. Es sollte ein Dogma sein, dasden Anhängern das Glaubensgefühl gibt, trotz aller antikommunistischen Hetze mit Politik nichtszu tun zu haben.Die Methode, den Kampf der WTG gegen die Ordnung der sozialistischen Länder "unpolitisch"zu machen, bestand darin, dass man den Kommunismus einfach zu einer Religion stempelte.»Von Jehova gelehrt« war das bewährte große Zauberwort, mit dem man schon viele begangeneFehlspekulationen übertüncht hatte.Dieses Mal setzte sich die WTG mit dem Begriff »Religion« auseinander. Bisher galt es alsunantastbare »göttliche Wahrheit«, dass die Zeugen Jehovas nichts mit Religion zu tun hätten.

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Das geht deutlich aus der Definition hervor, die noch 1950 in dem WTG-Buch »TheokratischeHilfe für Königreichsverkündiger« gegeben wird:Zitat:"THEOKRATISCHE HILFE FÜR KÖNIGREICHSVERKÜNDIGERTheokratische Hilfe für KönigreichsverkündigerVeröffentlicht in Englisch 1945Veröffentlicht in Deutsch 1950von derWATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETYInternational Bible Students AssociationWiesbaden, DeutschlandRELIGION"Religion" ist jedes Tun, das Jehovas Willen widerspricht. Für Ohren, die auf die Begriffe derreligiösen "Christenheit" abgestimmt sind, klingt diese Worterklärung zweifellos höchst seltsam.Die Lehrstücke des vorliegenden Teils bringen aber eben doch eine Anhäufung beweiskräftigenMaterials gegen die Religion, durch Rückschau auf ihre Geschichte. Ihre Geschichte istgekennzeichnet von Blutvergießen und Unterdrückung, Spaltung und Zwistigkeiten in deneigenen Reihen und erbittertem Hass gegen Jehovas treue Knechte, die von der Religion verfolgtwurden. Übrigens zeigt sich ihre Abweichung vom Worte Gottes und ihre Stellungnahme gegendie Bibel ganz deutlich in den unbestreitbaren Tatsachen, deren Aufdeckung erfolgt ist. LetztenEndes wird Jehova Gott jedoch durch seine völlige Rechtfertigung über die Religion siegen, undan diesem herrlichen Werk der Gerechtigkeit sind fähige, geschulte Königreichsverkündiger aufder Erde beteiligt. Auf diesen frohgestimmten Ton klingt die Theokratische Hilfe fürKönigreichsverkündiger aus."Jahrzehntelang hatten die WTG und die Zeugen Jehovas auf diese Weise Kirchen undReligionsgemeinschaften aller anderen Richtungen und deren Pfarrer und Geistliche als»Religionisten« verächtlich gemacht und diffamiert. Religion war »Gimpelfang«, »Erpressung«,»Hurerei« und anderes mehr. Es gab nichts Schlimmeres als Religion.Auf dem großen internationalen Kongress der WTG vom 30. Juli bis 6. August 1950 in NewYork wurde diese »göttliche Wahrheit« wieder liquidiert. Der Geist Gottes habe jetzt offenbart,dass das Wort Religion nicht den Sinn von Teufelskult oder ähnlichem habe, sondern es bedeutenichts weiter als »Form der Anbetung«, die richtig oder falsch sein könne. Der Begriff schließedie WTG- Form der Gottesanbetung ein, die jedoch als die allein richtige zu betrachten sei. Ingeschickt entfachtem Massentaumel von Begeisterung wurde dieses neue Dogma imZusammenhang mit der ersten WTG-eigenen Bibelübersetzung auf dem New Yorker Kongresszur kritiklosen Annahme gebracht.Mit dem neuen New Yorker Religionsdogma wurde der Kommunismus als »rote Religion« unterdie sogenannten falschen Religionen eingereiht. Siehe den Auszug aus dem WTG-Buch »Washat die Religion der Menschheit gebracht?«Zitat:"Was hat die Religion der Menschheit gebracht?Was hat die Religion der Menschheit gebracht?Veröffentlicht in Englisch 1951Veröffentlicht in Deutsch 1953Nach der einfachsten Erklärung bedeutet das Wort "Religion", so wie es gebraucht wird, einSystem der Verehrung, eine Form der Anbetung, sei es nun wahre oder falsche Anbetung. Diesstimmt mit dem Sinn des dafür gebrauchten hebräischen Wortes a-boh-dàh überein, dasbuchstäblich "Dienst" bedeutet, ungeachtet, wem er dargebracht werde.WAS HAT DIE RELIGION DER MENSCHHEIT GEBRACHT?ROTE RELIGION UND DER "MENSCH DER GESETZLOSIGKEIT" 343Wenn wir uns jedoch der in Kapitel 1 des Buches gegebenen Definition des Wortes "Religion"erinnern, wonach damit "eine Form oder ein System der Anbetung" bezeichnet wird, müssen wir

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folgern, dass auch die Kommunisten religiös sind und sich gemäß dem Glaubensbekenntnis ihrerPartei einem Kult hingegeben. Wenn man bedenkt, dass Satan der Teufel, Jesus politische Machtin dieser Welt zu geben versprach, sofern er ihn als "Herrscher dieser Welt" anbete, dann könnendie Kommunisten ihre politische Machtstellung nur durch den "Herrscher dieser Welt", Satanden Teufel, für die Anbetung, die sie ihm darbringen, erlangt haben."Summa summarum: Auch der Kommunismus gehört nach den neuesten WTG »Erkenntnissen«zu den falschen Religionen, die wie Protestantismus, Katholizismus und andere von den ZeugenJehovas bekämpft werden müssen - eine ausschließlich religiöse, »unpolitische« Sache. So wiedie WTG-Anhänger in ihrer Leichtgläubigkeit »im Namen Jehovas« bisher alle Andersgläubigenals »Religionisten« diffamierten und jede Religion als Teufelsanbetung anprangerten, so jubeltensie nun in gleicher Leichtgläubigkeit der neuen »Wahrheit« über Religion zu, die denKommunismus einschloss. Bald war der ganze Kongress antikommunistisch fanatisiert. »Zeugenerklären sich gegen Kommunismus« (Witnesses declare against Communism) und »EineResolution gegen den Kommunismus« (Resolution against Communism), »enthusiastischbejubelt« (enthusiasti cally hailed), so lauteten die Schlagzeilen im Kongressbericht:Zitat:"- REPORT -OF INTERNATIONAL ASSEMBLY OFJEHOVAH'S WITNESSESYankee Stadium New York City August 6, 19502 Report of International Assembly of Jehovah's WitnessesRESOLUTION AGAINST COMMUNISMEnthusiastically Hailed, Adopted by 84,950commision as Jehovah's witmesses to the end of this worldIsaiah 43: 10-12. Am. Stan."Die »Resolution gegen den Kommunismus« wurde sogleich in englischer und deutscher Sprachegedruckt und umgehend auch in der DDR verbreitet. Damit hatte der New Yorker Kongress dieTeilnahme der WTG an der antikommunistischen psychologischen Kriegführung zum religiösenGlaubensdogma erhoben.Ein »Erwachet«-Artikei, mit dem gleichzeitig die DDR-feindliche Hetz- undVerleumdungspropaganda der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU), einerWestberliner Agenten- und Terrororganisation, weiterverbreitet wurde, dokumentiert diepolitische Zielsetzung der New Yorker Religionsdoktrin vom 3. August 1950 wie folgt:Zitat:ERWACHET!Die Stunde ist nu daBern, 22. Oktober 1950RUSSLANDS ROTE RELIGIONBeweise dafür dass der Kommunismus auch nur eine falsche Religion istDie Hungerlager in OstdeutschlandDr. Hildebrandt vom antikommunistischen Verband der "Kämpfer gegen Unmenschlichkeit"erklärte, in den meisten ostdeutschen Konzentrationslagern brauchten die Häftlinge nicht zuarbeiten. Dagegen lasse die Verwaltung sie langsam verhungern durch allmähliche Kürzung dertäglichen"Besonderen Ausdruck fand der neue politische WTG-Kurs im Vorgehen gegen die Volkswahlenin der DDR, die seit dem Sommer 1950 für den 15. Oktober 1950 vorbereitet wurden. Dieörtlichen WTG-Funktionäre wurden angeleitet, öffentliche Hetz- und Brandreden gegen dieWahlen zu halten. Die Bestätigung dieser Hetze in der Wahlvorbereitungszeit durch diewestdeutsche Presse wurde. von der WTG ausdrücklich aufgegriffen und im »Wachtturm« vom1. Februar 1951 publiziert:Zitat:1. Februar 1951

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Der WACHTTURM"HANNOVER, 17. Sept - (ST)Die Prediger der Sekte haben nie gezögert, offen zu sagen, was sie vom Kommunistenregimehalten. Sie haben die Wahlen in der Ostzone als einen Trug gebrandmarkt und daskommunistische Regime als 'eine satanische Herschaft'."Während diese Hetze und Verleumdung in den Monaten Juli und August 1950 ihren Höhepunkterreichte, war die WTG von ihrem Westberliner Büro aus eifrig dabei, die Organisation in derDDR auf eine illegale Tätigkeit umzustellen. Man war sicher, dass nach dieser Steigerung despolitischen Vorgehens gegen die DDR ein Verbot kommen würde. Alle wesentlichen Unterlagenwaren von Magdeburg nach Wiesbaden bzw. in das Westberliner Büro verlagert worden, dasnunmehr den Charakter eines Ostbüro der WTG hatte. Die künftigen illegalen Hauptfunktionäre- Kreisdiener, Bezirksdiener - wurden hier stationiert.Einer dieser Kreisdiener - er sollte später im Zusammenhang mit dem von der WTGorganisierten Geldschmuggel aus der DDR eine besondere Rolle spielen - war Oskar Thiele ausLeipzig. Die Kreisdiener hatten die Vorbereitung auf die Illegalität in der DDR im Einzelnenn zuorganisieren. Hier folgt die Wiedergabe eines Briefes des Kreisdieners Thiele an dieGruppendiener (GD) im Bezirk Cottbus zwecks Umstellung auf Illegalität. Mit dem »Fest«, vondem Thiele zum Schluss schreibt, war eine WTG-Bezirksversammlung in Westberlin gemeintmit der die Ergebnisse und Resolutionen des New Yorker Kongresses vom Juli/August 1950auch in der DDR proklamiert und zur Anwendung gebracht werden sollten:Zitat:Oskar ThieleBerlin, den 21. 8. 1950AbschriftV e r t r a u l i c h !!!An alle GD des Kreises 25Liebe Brüder!Aus zwingenden organisatorischen Gründen, können bis zum 15. 10. 50 keine regulärenKDBesuchemehr erfolgen. Sollte ich mich bis zu diesem Zeitpunkt schon bei Euch angemeldethaben, so nimm bitte zur Kenntnis, dass diese Anmeldung hinfällig ist. Falls Du es schon derGruppe bekanntgegeben hast, musst Du den Verk. mitteilen, dass mein Besuch entfällt.Ich werde Dich aber persönlich besuchen, zwecks einer Besprechung. Wenn es irgend möglichist, so mach Dich bitte einen ganzen Tag frei, damit Du diese Zeit mir ganz zur Verfügung stehst,da wir sehr wichtige und dringende Angelegenheiten besprechen müssen.Mein Besuch ist wie folgt geplant: Am 26. August ein Tag.Ankunft: Am 26. früh mit dem Fahrrad von ForstAbfahrt: Am 27. mit Autobus Richtung BerlinDu möchtest bitte in dieser Zeit eine Verkündiger-Geschwister-Versammlung einberufen, dabeimusst folgendes genau beachten:1. Diese Zusammenkunft findet privat statt und darf nicht angemeldet werden. Sollten es aufeinmal zuviel werden, kann die Versammlung geteilt und zweimal durchgeführt werden.2. Mache diese Zusammenkunft auf keinen Fall in der Versammlung öffentlich bekannt, sondernsetze die Geschwister, die dafür infrag kommen, privat davon in Kenntnis. Die Geschwistersollen auch nicht mit anderen darüber sprechen.3. Es sollen nur getaufte Verkündiger eingeladen werden. Unregelmäßige und unzuverlässigeGeschwister werden, selbst wenn sie getauft sind, nicht davon in Kenntnis gesetzt.4. Du brauchst nicht zu sagen, dass ich komme und keinerlei Reklame zu machen. Sag denBetreffenden nur, dass D u ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen hast und dass diese Versammlungvon größter Bedeutung ist.5. Sorge bitte dafür, dass mir sämtliche Gruppenunterlagen, besondere Korrespondenz undGruppenakten, zur Verfügung stehen.

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6. Plane auch eine Besprechung mit sämtlichen Dienern, auch Studienleiter sollten dabeianwesend sein7. Zu Deiner Orientierung möchte ich Dir mitteilen, dass, wenn alles klappt, die Besprechung mitDir persönlich etwa 3 Std., die Verkündiger-Versammlung etwa 2 Std. und die Besprechung mitden Dienern etwa 1 Std. dauern wird.B e z i r k s - V e r s a m m l u n g e nDu bekommst mit dieser Post die Anmeldungs-Formulare für die BV. Fülle sie so aus, dass siespätestens am 7. 9. 50 fertig sind. Wenn sie am 3. September nicht abgeholt werden, so schickesie unbedingt am 5. September durch Kurier an Adresse: Frau Auguste Röstel, (1) BerlBaumschulenweg, Ernststr. 15 ptr.Du trägst als GD die Verantwortung vor dem Herrn, dass die hier gegebenen Anweisungen aufalle Fälle beachtet werden.Bitte beachte, dass dieser Brief für Dich persönlich bestimmt ist und v e r t r a u l i c h ist.Möchte Jehova, der Quelle aller Kraft und Stärke, Dich mit Weisheit und Umsicht ausrüsten,damit Du alles in der rechten Weise vorbereiten kannst.In der frohen Erwartung des Festes, dass Jehova seinem Volke hier bereiten will, verbleibe ich,im "Predigen des Wortes" mit DirDein Bruder und Diener durch GottesGnadegez. Oskar Thiele."Nach den Erfahrungen mit dem Waldbühnenkongress vom Juli 1949 und mit der Petition vom10. Juli 1950 sowie der Erklärung des Kommunismus zu einer falschen Religion war mit demgeplanten »Fest« der WTG im September 1950 in Westberlin eine antikommunistische undDDR-feindliche Aufpeitschung ihrer Anhänger zu erwarten, die alles Bisherige überschreitenwürde. Es muss daher als maßlose Überheblichkeit angesehen werden, dass Präsident Knorr indieser Situation anwies, WTG-Führer aus der DDR sollten mit den Behörden Verhandlungenführen mit dem Ziel, uneingeschränkte Freiheit für ihre Tätigkeit in der DDR zu sichern.Angesichts der rücksichtslosen Verschärfung der Hetze und Verleumdung seitens der WTG wardas von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die WTG hatte alle Grenzen überschritten.Das VerbotSelbstverständlich hatten die Behörden der DDR die politische Entwicklung der WTGbeobachtet. Auch die Vorbereitungen auf die Illegalität waren nicht verborgen geblieben, obwohldie WTG dabei in »theokratischer Kriegslist« Gesetze und Verfassung der DDR nach bestemVermögen hintergangen hatte. In den frühen Morgenstunden des 30. August 1950 wurde dasZweigbüro in Magdeburg geschlossen, wobei die für die staatsfeindliche Tätigkeit gegen dieDDR verantwortlichen WTG-Führer verhaftet wurden, soweit sie sich nicht der Verantwortungdurch die Flucht entzogen hatten, wie z. B. Ernst Wauer, der in letzter Minute in einerabenteuerlichen Fahrt im PKW mit seinem Chauffeur Horst Ritt nach Westberlin flüchtete. Soerwiesen sich alle Phrasen von Furchtlosigkeit gegenüber den »kommunistischen Marionetten«,wie man die DDR-Behörden verhöhnt hatte, als feige und verlogen. Mit, der Schließung desMagdeburger Zweigbüros wurde vom Ministerium des Innern der DDR das Verbot jeglicherWTG-Tätigkeit ausgesprochen:»Die Tätigkeit der Zeugen Jehovas in den letzten 10 Monaten hat klar bewiesen, dass diese denNamen einer Religionsgemeinschaft fortgesetzt für verfassungswidrige Zwecke missbrauchen.Sie haben im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und in Großberlin einesystematische Hetze gegen die bestehende demokratische Ordnung und deren Gesetze unter demDeckmantel religiöser Veranstaltungen betrieben. Außerdem haben sie fortgesetzt illegalesSchriftenmaterial eingeführt und verbreitet, dessen Inhalt sowohl gegen die Verfassung derDeutschen Demokratischen Republik als auch gegen die Bestrebungen zur Erhaltung desFriedens verstößt … «Nachdem man im WTG-Zweigbüro in Wiesbaden glaubte, sich hinreichend über die neueSituation informiert zu haben, richtete Zweigdiener Erich Frost folgendes Protestschreiben an die

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Regierung der DDR:Zitat:"Head OfficeAdministration124 ColumbiaHeightsPublishing117 Adams StreetBrooklyn N. Y. USA.DeutschesZweigbüroRuf …TelegrammadresseWachtowerWiesbadenEing. 4. Oktober 1950A 4853 MWATCH TOWERBIBLE AND TRACT SOCIETYDieses Königreich muss verkündigt werdenWiesbaden-Dotzheim, Am Kohlheck9. September 1950Weitergeleitet 16. 9. 50An dieRegierungder Deutschen Demokratischen Republikz. Hd. des Herrn MinisterpräsidentenB e r l i n - W 8Prinz-Albrecht-Straße 3-4EinschreibenZeugen JehovasSehr geehrter Herr Ministerpräsident!In den frühen Morgenstunden des 30. August 1950 sind Beamte der Volkspolizei bezw. desStaatssicherheitsdienstes in unser Verwaltungsgebäude in Magdeburg, Wachtturmstraße 17-19,gewaltsam eingedrungen, haben das Grundstück polizeilich besetzt und alle männlichenMitarbeiter unserer Gesellschaft zwangsweise abgeführt. Das gesamte weibliche Personal wurdeeinige Tage später buchstäblich aus dem Hause gejagt. Wir erfahren ferner, dass eineDurchsuchung des ganzen Gebäudekomplexes stattgefunden hat und dabei schwereBeschädigungen der Einrichtung vorgekommen sind.FrostDas Grundstück mit den aufstehenden Gebäuden und allen Einrichtungen ist Eigentum unsererGesellschaft, d. h. amerikanisches Eigentum.Die Maßnahme der Polizeibehörde, für welche die Regierung der Deutschen DemokratischenRepublik die volle Verantwortung trägt, entbehrt jeder rechtlichen Grundlage. Jeder aufrichtigeMensch in der Welt und auch in der deutschen Ostzone weiß, dass die Beschuldigungen gegenJehovas Zeugen völlig aus der Luft gegriffen sind und sie des geringsten Scheines von Wahrheitentbehren. Wir verweisen auf unser Schreiben vom 15. 3. und aufWATCH TOWERBible and Tract SocietySeite 2zum Schreiben an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik,z. Hd. des Herrn Ministerpräsidenten

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vom 9. Sept. 1950die Petition von Jehovas Zeugen, die Ihnen kürzlich überreicht wurde. Das Vorgehen IhrerBeamten ist ein völkerrechtswidriger Gewaltakt gegen ausländisches Eigentum und ein offenerBruch der Verfassung des eigenen Landes. Wir erheben hiermit Protest gegen die ungesetzlicheHandlungsweise Ihrer Organe und ersuchen Sie um eine sofortige Anweisung an dieverantwortlichen Stellen, unser Eigentum unverzüglich freizugeben und alle gegen unsereGesellschaft gerichteten Repressalien aufzuheben. Wir werden gezwungen sein, die Regierungder Deutschen Demokratischen Republik für jeden Schaden verantwortlich zu machen, der unsdurch die gesetzwidrigen Handlungen Ihrer Beamten entstanden ist.Über die Vorgänge in Magdeburg haben wir unserem Zentralbüro in Brooklyn/New York, sowieder Interalliierten Hohen Kommission für Deutschland Bericht erstattet.WATCH TOWERBible and Tract SocietyDeutscher ZweigFrost"Dieses Schreiben Frosts im Auftrage der WTG ist eine weitere Anmaßung und Herausforderung.Es zeigt, dass man in Wiesbaden auch jetzt keine Entspannung der Lage will denn man tischtneue dreiste Lügen auf mit der Behauptung, »jeder aufrichtige Mensch in der Welt« wisse, dassdie Beschuldigungen gegen die WTG »völlig aus der Luft gegriffen« seien und nicht dasgeringste daran wahr sei. Hatte Frost seine Waldbühnenreden etwa vergessen? Als»Wachtturm«- und »Erwachet«-Redakteur kannte er wohl den politischen Sinn der WTGSchriftennur zu genau. Die Absicht der WTG, die Lage immer weiter zu verschärfen, trittalsbald zutage. In hellen Flammen lässt sie ihre antikommunistische Wut international lodern.Rasende Schlagzeilen werden in die Welt gesetzt wie: »Verfolgungen wüten inSowjetdeutschland - die tollwütigen Kommunisten versuchen das zu erreichen, was dendämonisierten Nazis versagt blieb!« Die WTG-Führung weiß vor Wut nicht, wie sie sichverhalten soll. Man lese den folgenden »Erwachet«Auszug vom 8. Juli 1951:Zitat:"ERWACHET!8. Juli 1951VERFOLGUNGEN WÜTEN INSowjetdeutschlandLügen, die Zeugen seien eine amerikanische Organisation und verrichten im Interesse desImperialismus Spionagedienst, hetzen das Volk gegen die kommunistische Volksrepublik aufund stellen daher eine Bedrohung für das soziale Wiederaufbauprogramm Deutschlands dar.Eine Unmenge solcher Lügen wurden ausgestreut, um die politischen Gewalten auf die Zeugenloszuhetzen. Leider vermochten sie ihre schändliche Absicht zu verwirklichen."Die Beschuldigungen gegen die WTG seien »völlig aus der Luft gegriffen ohne den geringstenSchein von Wahrheit«? Die Verlogenheit dieser Äußerung ist wahrlich grotesk. Arbeitete sieWTG etwa nicht mit dem USA-State Department zusammen? Gab es 1947 etwa keineAbmachungen mit dem amerikanischen Militärnachrichtendienst in Wiesbaden? Hat Frost etwakeinen Nachrichtendienst zur vorrangigen Sammlung politischer Informationen bis hin zurErkundung des Flugwesens in der damaligen sowjetischen Besatzungszone eingerichtet? Hat eretwa keinen geheimen »KND« zur Abschirmung der auflebenden antikommunistischenWTGTätigkeitund zur Sammlung von Informationen über Volkspolizei, Justiz, Sicherheitsorgane undsowjetische Militäreinrichtungen und ihre Personen geschaffen? Und was waren die jüngstenVerleumdungen, die verantwortlichen Politiker der DDR seien »kommunistische Gestapo,Fronvögte und Marionetten«, ihre Wahl sei »Trug und ihre Herrschaft eine satanische«? Nichtsanderes als die zügelloseste Hetze des lmperialismus. Doch was galt der WTG die Wahrheit Siesah und sieht in Kommunisten nur »Verseuchte« und »wilde Tiere«, »Ungeziefer«, das wert ist,vernichtet und ausgerottet zu werden. In seiner Verblendung schleuderte der verhaftete

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Bezirksdiener-Ost, Friedrich Adler, dem Obersten Gericht der DDR ins Gesicht, als er die Höheseines Urteils vernahm:.»Meine Herren, Sie meinen wohl ein Jahr!«Die WTG hat seitdem nichts unterlassen, die Ursachen des Verbots zu vertuschen und dabei eineUnwahrheit an die andere zu reihen. Die Tatsachen zeigen jedoch eindeutig, dass es sich umkeine Verfolgung um des Glaubens willen handelt. Es handelt sich um die Strafverfolgung vonMenschen, die von der WTG unter Ausnutzung religiöser Gefühle zu Verleumdungen,antidemokratischer Hetze, feindlicher Nachrichtentätigkeit und politischem Missbrauch vonBibelreligiosität benutzt werden und deswegen staatsfeindliche Handlungen begehen. Selbst dieBibel überantwortet Glieder einer christlichen Gemeinschaft oder Kirche, die sich desDiebstahls, des Mordes oder anderer Missetaten schuldig gemacht haben, der staatlichenObrigkeit zur Aburteilung (l. Petrus 4:15). Schließlich erklärt auch die WTG - allerdings nicht imHinblick auf dieses Verbot -, dass »die Christenversammlung kein Glied, das ein Dieb,Schmuggler, Bigamist, Mörder, Verleumder oder Betrüger ist, vor Bestrafung schützen kann. Siemuss zulassen, dass solche Glieder von der weltlichen Obrigkeit bestraft werden. Sie haben dasGesetz des Landes übertreten«. (Der Wachtturm, 15. Januar 1963, WTG Wiesbaden, S. 49).

Weiter als Untergrundorganisation

Das »Ostbüro« in WestberlinIm Zuge der Abwehr gegen die psychologische Kriegführung der westlichen Staaten war dieWTG-Tätigkeit nicht nur in der Deutschen Demokratischen Republik, sondern auch in Polen, derTschechoslowakei, der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern verboten worden. DieWTG hörte allerdings nicht auf, der imperialistischen Politik auf religiösem Gebiet zu dienen.Wie die Vorbereitung der illegalen Weiterarbeit durch das Ostbüro in Westberlin zeigte, hatteman längst die Fortsetzung der Tätigkeit als Untergrundbewegung organisiert, wobei dasWestberliner Ostbüro der WTG zu einem Zentrum für die illegale Tätigkeit sowohl in der DDRals auch in Polen und in der Sowjetunion wurde.In den Ausführungen über den Wiederaufbau der WTG-Organisation nach 1945 in Deutschlandwar dargelegt worden, wie ihre ganze Tätigkeit erneut in die Strategie der »Dammbildung gegenSozialisierung« (Warburg) bzw. des »Zurückrollens des Kommunismus« (Truman-Doktrin)eingeordnet worden war. Bei der Einschätzung und Wertung, der antikommunistischenUntergrundtätigkeit der WTG seit 1950 sollen zunächst die Richtlinien und Regeln dargelegtwerden, die generell von US-Militärspezialisten für subversive, zerstörende und umstürzlerischeUntergrundtätigkeit in den sozialistischen Ländern entwickelt wurden. Das betrifft insbesonderedie psychologische westliche Infiltration, die eine unbedingte Voraussetzung für dieimperialistische Kriegführung ist. 1953 ließen sich einige Experten der amerikanischenOstpolitik darüber wie folgt aus:Es handele sich dabei um die »geplante Anwendung von Propaganda und damitzusammenhängende Nachrichtenmaßnahmen, die gegen feindliche Gruppen gerichtet sind, umdie Meinung, Gefühle, Einstellung und das Verhalten in solch einer Weise zu beeinflussen, dassdie Politik und die Ziele der Nation, die sie einsetzt (in diesem Falle die USA, d. V.), geschätztwerden«. (Dictionary of US Army Terms, 1953). In der Zeitschrift der Generalstabsschule derUS-Armee »Military Review« vom Februar 1957 wurde die amerikanische Ostpolitik mit denWorten erläutert: »Verwirrung der Ansichten, Verwirrung der Gefühle, Organisierung vonUnentschlossenheit und Panik, das sind unsere Waffen«. Ein Sprecher des westdeutschenGeneralstabes, Alfons Dalmar, erklärte bezüglich der DDR, hierfür bedürfe es »entsprechenderpolitischer, ökonomischer, propagandistischer und nicht zuletzt organisatorischer undsubversiver Vorbereitungen des Westens«. (Münchener Merkur, 24. /25. Juni 1961) Laut Robert

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Grimm, einem Bonner Kommentator, ist es dabei Aufgabe der Westmächte, »alle Mittel desKrieges, des Nervenkrieges und des Schießkrieges, anzuwenden. Dazu gehören nicht nurherkömmliche Streitkräfte und Rüstungen, sondern auch Unterwühlung, das Anheizen desinneren Widerstandes, die Arbeit im Untergrund, die Zersetzung der Ordnung, die Störung vonVerkehr und Wirtschaft, der Ungehorsam, der Aufruhr«. (Bonner Rundschau, 9. Juli 1961)Bei Betrachtung der in religiösen Formen vorgetragenen Ostpolitik der WTG tritt zutage, dassdiese in bestimmten Passagen genau den hier skizzierten Forderungen amerikanischer Expertenfür Ostpolitik entspricht. Verhinderung bzw. Verwirrung politisch richtiger Ansichten über denStaat, Beeinflussung des Verhaltens der Menschen in den sozialistischen Ländern in der Weise,dass sie gegen die Ordnung verstoßen, und somit innerer Widerstand und Arbeit im Untergrund,alles das entspricht genau jenen Forderungen für psychologische Kriegführung gegen den»Ostblock«. Natürlich ist es nicht Aufgabe der WTG, militärisch oder direkt umstürzlerischeAktionen durchzuführen. Sie erfüllt mit ihrer Verkündigung die Forderung nachantikommunistischer Hetze und Propaganda, nach Organisierung politischer Unentschlossenheit,nach Arbeit im Untergrund und passivem Widerstand, wobei der Schwerpunkt auf derVernichtung des Vertrauens zur sozialistischen Ordnung liegt, auf der psychologischen»Besiegung des Kommunismus« und dem »Kampf gegen totalitäre Elemente«, wie das in derAusdrucksweise der WTG heißt. (Der Wachtturm, 15. September 191, WTG Wiesbaden, S. 563)Selbstverständlich ist die WTG bemüht, diese politische Einflussnahme nicht zu sehr in denVordergrund treten zu lassen. Das wäre nicht zweckmäßig, sondern würde auch denleichtgläubigsten Zeugen Jehovas stutzig werden lassen, ganz zu schweigen von anderenMenschen. Darum steht immer die Propagierung der endzeitlichen und sonstigen religiösenLehren im Vordergrund. Das neue Dogma von 1950, auch der Kommunismus sei eine Religion,gewährleistet jedoch, dass der Kampf gegen die sozialistische bzw. kommunistischeGesellschaftsordnung grundsätzlich in alle religiösen Betrachtungen einbezogen bleibt. Nachdem Prinzip» steter Tropfen höhlt den Stein« hat die WTG auf diese Weise dazu beizutragen,vornehmlich unter religiösen Menschen eine Haltung gegenüber Sozialismus und Kommunismuszu erzeugen, die den Zielen der USA-Politik dienlich ist. Die Praxis dieser psychologischenUntergrundtätigkeit der WTG verläuft faktisch nach allen zweckdienlichen Regeln derGeheimdienste der westlichen Welt, nur dass sie von einer Religionsgemeinschaft angewendetwerden. Dazu gehören Arbeit mit Deckadressen, Tarnbezeichnungen, geheime Kuriere, CodeundChiffre-Verfahren, Urkundenfälschung und alle Arten von Irreführung der Polizei und derBehörden.Um die Anhängerschaft dazu zu bringen, diese Methoden mitzumachen, hat die WTG dasDogma der »theokratischen Kriegslist« aufgestellt. Danach seien die Zeugen Jehovas genausobefugt, Spionage, Betrug, Lüge und Täuschung anzuwenden, wie dies die israelitischen Könige,Fürsten und Heerführer laut Bibel einst auch getan haben. (Der Wachtturm, 15. April 1956,Wiesbaden, S. 240f. Hier weist die WTG u. a. besonders auf den Fall zweier israelitischer Spionehin, die von einer Hure namens Rahab in "vorbildlicher" Weise verborgen wurden). Natürlich istauch diese Bibelauslegung ein Betrug, hier zu dem Zweck, religiösen Gewissenszwang ausübenzu können. Denn die Kriegslist, von der im Alten Testament der Bibel die Rede ist, hat durch dasNeue Testament der Bibel wie vieles andere eine Aufhebung oder Beendigung gefunden, so dasses für Christen nicht anwendbar oder verbindlich ist. Demgemäß gebietet das Neue Testament,dass Christen »nicht mit List wandeln« dürfen. (2. Korinther 4:2 (NW) Doch die WTG-Hörigkeitsteht bei den Zeugen Jehovas über dem echten Bibelglauben.Die nun folgenden Einzelheiten über die politische und illegale Tätigkeit der WTG, insbesondereüber deren Ostbüro in Westberlin sind mehr oder weniger. symptomatisch für die WTGTätigkeitin allen Ländern, die nicht im politischen und wirtschaftlichen Schlepptau der USAliegen bzw. in denen es darauf ankommt, im Interesse des Kapitalismus revolutionäreEntwicklungen unter Einbeziehung von Kirchen und Religionsgemeinschaften zu verhindernoder ihnen entgegenzuwirken.Die Errichtung des WTG-Ostbüros in Westberlin steht im Zusammenhang mit der besonderen

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Rolle Berlins. Nach dem Zusammenbruch des Hitlerfaschismus erhielt Berlin entsprechend denAbkommen der Siegermächte eine gemeinsame alliierte Verwaltung. Die Stadt wurde in vierSektoren aufgeteilt. Den Bürgern war es gestattet, sich ungeachtet der Sektorengrenzen in derganzen Stadt frei zu bewegen. Das blieb auch so nach der Entstehung der beiden deutschenStaaten, so dass Westberlin seither ein offenes Tor in die DDR darstellte. Eine Änderung trat erstein, seitdem Westberlin immer mehr zu einem »Brückenkopf« und zu einer »Frontstadt« derimperialistischen psychologischen Kriegführung gegen die sozialistischen Länder ausgebautwurde, was schließlich zur Spaltung der Stadt führte. Zunächst war es jedoch noch ohnebesondere Schwierigkeiten möglich, von Westberlin aus Leute »jenseits des EisernenVorhanges« zu schicken, d. h. in die sozialistischen Länder, um bestimmte Aufträgeauszuführen. Umgekehrt bestand über Berlin die Möglichkeit leicht Informationen aller Art ausder DDR und den benachbarten Ländern zu erhalten. Diese Situation forderte geradezu dieKonzentrierung imperialistischer Spionage- und Geheimdienste und sonstiger Institutionen inWestberlin heraus, die auf irgendeine Weise illegal in der DDR und in anderen sozialistischenLändern arbeiten wollten. Dazu gehörte auch die WTG. 1959 voll in dieser Sache engagiert,schätzte sie die politische Bedeutung Westberlins im allgemeinen und für die WTG-Tätigkeit imBesonderen in »Erwachet« vom 22. Juli 1959 wie folgt ein:Zitat:"Berlin - ein BärenfellERWACHET!Heute gibt es wohl kaum eine Stadt in der Welt, die in den Nachrichten des Rundfunks oder derZeitungen so oft genannt wird wie Berlin, und für viele unserer Zeitgenossen, ganz gleich, aufwelchem Kontinent sie leben, ist Berlin nicht nur irgendein Punkt auf der Landkarte, sondern dervorgeschobene Posten der westlichen Welt schlechthin. Zufolge ihrer Lage hat sie engste"Tuchfühlung" mit der östlichen Welt.22. Juli 1959 Nr. 14"Es lag in der Konsequenz der politischen Bedeutung Westberlins, dass sich auch die WTG zurillegalen Fortführung ihres Werkes besonders in der DDR als ein »Zeitgenosse« im Getümmeldieses »vorgeschobenen Postens der westlichen Welt« mit einem »Ostbüro« ansiedelte, um»engste Tuchfühlung mit der östlichen Welt« zu halten.Dieses Ostbüro war auf folgende Weise entstanden. Neben der Wiedereröffnung des früherengesamtdeutschen Zweigbüros in Magdeburg und der Errichtung eines Zweigbüros in Wiesbadenwurde nach 1945 ein Büro der WTG mit Anlaufstellen geschaffen. Zunächst war es nur für dieAnleitung und Kontrolle der Zeugen Jehovas in Berlin verantwortlich, die in engerZusammenarbeit mit dem Magdeburger Zweigbüro erfolgte. Leiter war Ernst Wauer, der unterder Oberaufsicht von Erich Frost Wiesbaden, auch für das Magdeburger Büro verantwortlichwar.Zunehmende Bedeutung erhielt das Büro in Westberlin, als die Tätigkeit der WTG besonders seit1947 erneut gegen die sozialistische Entwicklung ausgerichtet wurde. Seit 1949 wurden allebedeutenden Aktionen dieser Art, so die Waldbühnen-Hetzveranstaltung von 1949 und diePetitionsaktion von 1950, von dem Büro in Westberlin vorbereitet und gelenkt.Mit dem Verbot der WTG in der DDR gewann das Westberliner Büro erhöhte Bedeutung, da esauf Grund der günstigen Lage in der »Frontstadt«, im »Vorposten der westlichen Welt«, ambesten geeignet war, die nun illegale Tätigkeit der Zeugen Jehovas in der DDR zu leiten. Eswurde 1956 in ein selbständiges Zweigbüro umgewandelt, das zwar mit dem Zweigbüro inWiesbaden noch zusammenarbeitete, sonst aber direkt dem Hauptbüro in Brooklyn unterstelltwar. Politisch hatte es indessen den Charakter eines Ostbüros angenommen. WichtigeMitarbeiter des Leiters Ernst Wauer waren u. a. Oskar Thiele, Kurt Hille, Horst Ritt, HeinzSzewczyk und Günther Uhlig.Zunächst galt es, die Organisation der Zeugen Jehovas in der DDR in die Illegalität zu retten unddie Anleitung für Verhalten und Tätigkeit zu sichern. Kreis und Bezirksdiener wurden von ErnstWauer mit gefälschten DDR-Personalausweisen versehen und in Westberlin stationiert, was

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ohne Abdeckung durch zuständige Dienststellen schwerlich möglich war. Derart gefälschteAusweise erhielten u. a. der Bezirksdiener Ernst Pietzko aus Weimar und der Kreisdiener HoldiQuandt aus Grünhainichen. Ein ausgedehntes Netz von Geheimkurieren wurde geschaffen, dieregelmäßig aus der DDR im Ostbüro anliefen, um Informationen sowie Anweisungen undWTGLiteraturin die DDR zu schleusenDas Ostbüro stellte diese Literatur in getarnten Sonderdrucken zur Verfügung, damit sie auf denersten Blick nicht erkennbar wäre. Im Ostbüro wurden spezielle Räumlichkeiten hergerichtet, indenen die Geheimkuriere in strenger Isolierung voneinander die zur Schleusung bestimmtenMaterialien so verbergen konnten, dass sie hoffen durften, mit Erfolg zu erwartende Kontrollenpassieren zu können. Entsprechende Anleitung und Hinweise erhielten sie im Ostbüro, indem siedort mit dem Erfahrungsschatz bewährter Verbindungsleute vertraut gemacht wurden. KeineMethode blieb unversucht. Die Untersuchungen der DDR-Behörden haben das dann auchbestätigt. Oftmals wurden Körperbehinderte benutzt, weil sie unverdächtiger sind und durch ihrGebrechen die Kontrollorgane leichter hinters Licht führen können, da sie Kontrollen bei ihnendurch das Mitleid, das sie bei Passanten oder Mitreisenden erwecken, erschweren. ZurHauptaufgabe der Geheimkuriere gehörte ferner ein umfangreicher Geldschmuggel aus der DDRnach Westberlin unter Ausnutzung des inoffiziellen Ost-West-Kurses, was insgesamt einewirtschaftliche Schädigung der DDR um Millionen Mark zur Folge hatte. Schwerpunkt waraußerdem die Organisierung von Republikflucht aus der DDR in Zusammenarbeit mit derPolitischen Polizei Westdeutschland. Desgleichen bestanden auch Verbindungen in Westberlinund zwischen dem Ostbüro der WTG und in Westberlin stationierten Geheimdiensten. Sounterhielt Willy Pohl, Mitarbeiter und späterer Leiter des Ostbüros, im Rahmen seinerVerkündigungstätigkeit Kontakte mit der Dienststelle des englischen Geheimdienstes imOlympia-Stadion in Westberlin. Enge Zusammenarbeit erfolgte auch zwischen dem Ostbüro derWTG und der amerikanischen Militärpolizei. Wiederholt sprachen leitende Mitarbeiter desOstbüros die Drohung aus, sie würden Personen, die »im Auftrag des Ostens« kämen,unverzüglich der amerikanischen Militärpolizei übergeben.Das Ostbüro der WTG war auch eine Zentrale zur Schaffung und Aufrechterhaltung geheimerVerbindungen nach Polen und in die Sowjetunion. Umgekehrt übermittelte der Leiter derWTGUntergrundorganisationin Polen, Wilhelm Scheidter bzw. sein Vertreter, bei dem dieVerbindungen aus der Sowjetunion zusammenliefen, Nachrichten und Materialien überGeheimkuriere an das Westberliner Ostbüro - eine Verbindung, die ab Westdeutschlandbekanntlich über den amerikanischen Militärnachrichtendienst lief.1955 erfolgte ein Wechsel in der Leitung des Ostbüros. WTG-Präsident N. H. Knorr sah sichgezwungen, sowohl den Zweigdiener in Wiesbaden, Erich Frost, als auch den Leiter desOstbüros, Ernst Wauer, ihrer Posten zu entheben. Die von Wauer durchgeführte Praxisgefälschter DDR-Personalausweise für die Hauptverbindungsleute in die DDR und dieUnterschlagung von 10 000 Mark aus der DDR geschmuggelter Gelder durch den Ostbüro-Kassenleiter Kurt Hille waren öffentlich ruchbar geworden. Natürlich passierte allen dreiennichts Ernsthaftes. Hille wurde zwar abgesetzt, aber es wurde nicht bekannt, ob man ihn zurAburteilung der Justiz übergab. Solche Vorkommnisse werden, wenn es geht, vertuscht. Wauerwurde lediglich in den Kreisdienst der WTG nach Stuttgart versetzt. Frost musste zwar seinenZweigdienerposten an den bisherigen Leiter des Wiesbadener Büros, an den GestapohandlangerKonrad Franke abtreten, konnte aber seine zweite Funktion als Redakteur der gesamtenWTGLiteraturin deutscher Sprache behalten. Die ganze Geschichte war nichts weiter als eineFassadenreinigung.Zum Nachfolger von Ernst Wauer wurde als neuer Leiter des Ostbüros in Westberlin WillCharles Pohl, ein Deutsch-Amerikaner, eingesetzt. Seine Eltern leben heute noch inWestdeutschland als Bürger der Bundesrepublik. Ihr Sohn Willi heute Will Charles - nahm die

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amerikanische Staatsbürgerschaft an. In seiner Eigenschaft als Leiter des Ostbüros in Westberlinund heute in Wiesbaden übt Will Charles Pohl, allgemein als Willi Pohl bekannt, die Funktiondes Zonendieners für die osteuropäischen sozialistischen Staaten aus.Durch die amerikanische Staatsbürgerschaft des Pohl sicherte sich das Hauptbüro inBrooklyn/USA den unmittelbaren Einfluss zur Durchsetzung ihrer Politik in seinemEinflussbereich. Als persönlicher Sonderbeauftragter des WTG-Präsidenten Knorr fungierte L.L. Turner in Westberlin.Die nach geheimdienstlichen Regeln aufgezogene Untergrundtätigkeit des Ostbüros ging nachwie vor weiter, ebenfalls der Geldschmuggel aus der DDR. Knorr ordnete lediglich an, dieFälschung von DDR-Personalausweisen einzustellen. Solange das geheim geblieben war, konnteman sich diesen Schritt erlauben, war es doch im Prinzip gleich, ob man in »theokratischerKriegslist« in Wort oder Schrift falsch aussagte. Öffentlich bekannt geworden, wären das freilichdie ersten Fakten gewesen um das Ostbüro als kriminell und korrupt zu kompromittieren. Dasaber konnte man sich als religiöse Organisation nicht leisten. Hatte man doch just das Beispielder politisch verwandten antikommunistischen Agenten- und Terrororganisation »Kampfgruppegegen Unmenschlichkeit« (KgU) vor Augen. Deren kriminelles Treiben hatte in derÖffentlichkeit derart unliebsames Aufsehen erregt, dass die amerikanische Militärregierung trotzihrer geheimen Zusammenarbeit mit der KgU diese offiziell auflösen musste.Das WTG-Ostbüro in Westberlin setzte seine Tätigkeit bis zum 13. August 1961 fort. Durch dieSicherung der bis zu diesem Tage offenen Grenze der DDR zu Westberlin verlor es seinen Wertfür die illegale Tätigkeit in der DDR und Osteuropa. Seither erfolgt die unmittelbare Anleitungund Organisierung der WTG-Untergrundtätigkeit in diesen Ländern durch die Ostbüro-Mitarbeiter, insbesondere durch Pohl, vom westdeutschen Zweigbüro in Wiesbaden aus.Der organisierte GeldschmuggelDer Aufbau und die Unterhaltung einer illegalen Organisation verlangen nicht unbedeutendeGeldsummen. Diese Mittel wurden zum Teil von der WTG aufgebracht, sowie auch von ihren»Gönnern«, die sie namentlich nicht nennt: Eine andere Quelle waren die Gelder, die in Formvon Spenden oder aus dem Umsatz der Literatur in der DDR der illegalen Organisationzuflossen. Doch blieb dieses Geld nicht in den Händen der illegal arbeitenden Mitarbeiter derWTG in der DDR. Es wurde vielmehr entweder an das Ostbüro in Westberlin oder an dasZweigbüro in Wiesbaden abgeführt, um von dort aus nach den jeweiligen Erfordernissen derillegalen Tätigkeit verwendet zu werden. Insgesamt wurden bis 1961 mehrere Millionen Markaus der DDR geschmuggelt. Dieses Geld wurde dann zum inoffiziellen Wechselkurs im Rahmendes Wirtschaftskrieges gegen die DDR »drüben« umgetauscht um in die WTG-Kasse zuwandern.Dass ein derartiger Geldtransport ungesetzlich ist, liegt auf der Hand. Jeder Staat wehrt sichgegen Maßnahmen, die einer Ausplünderung seiner Wirtschaft gleichkommen, und erlässtGesetze, die ein solches Tun unter Strafe stellen.Um den Geldschmuggel möglichst risikolos durchfuhren zu können, wurden bis 1961 dieleitenden WTG-Funktionäre aus der DDR vor allem zu Feiertagen nach Westberlin beordert, wosie spezielle Anweisungen erhielten, wie sie zu verfahren hatten. Schwerpunktmäßig betraf dasdie Chiffrierung der Berichte und Informationen, die persönliche Tarnung und die Methodeneines unauffälligen Geldtransports nach Westberlin bzw. nach Westdeutschland. Vor allemwurden die Betreffenden geschult, wie sie sich bei eventuellen Verhaftungen den Behördengegenüber zu verhalten hätten. Als oberster Grundsatz gelte es, kein Zugeständnis zu machen, dadas sofort beweisen würde, dass die Verhafteten Agenten und Spione sind - denn derGeldschmuggel sei nach den in allen Ländern geltenden Bestimmungen in der Tat strafbar.Deshalb habe das vorgefundene Geld in jedem Falle als persönliches Eigentum desFestgenommenen zu gelten. Die Organisation sei in jedem Falle abzuschirmen.Dass bei der Übertragung der Verantwortung für den Geldtransport auf den einzelnen Kurierbzw. Funktionär immer öfter die Frage auftauchte, ob denn die WTG in dieser Sache richtighandele, war nur folgerichtig. Bedenken wurden erhoben, man müsse die Finanzgesetze der

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DDR unabhängig von allen anderen Fragen respektieren. Der massenhafte Geldschmuggel nachdem Westen, sei ein kriminelles Vergehen. Ließe sich denn eine solche Handlungsweise mit demGewissen eines Zeugen Jehovas vereinbaren?Das Ostbüro gab daraufhin konkrete schriftliche Weisungen heraus um die Bedenken zuersticken. Die Kuriere hatten diese Weisungen im Ostbüro aus sogenannten Bezirksmappen oderInformationsmappen zur Kenntnis zu nehmen und weiterzuleiten. So hieß es in der InformationNr. 135 zur Frage des Geldschmuggels, nicht der Geldtransport nach Westberlin sei illegal,sondern das Verbot der WTG in der DDR. Die Information Nr. 148 bedeutete in ähnlicherWeise, man solle sich als Untergrundorganisation in der »Ostzone« keine Gedanken zu derGeldfrage machen. Die Regierung sei selber schuldig. Hätte sie das Bibelhaus (WTGZweigbüro)in Magdeburg nicht geschlossen und beschlagnahmt, brauchten keine Gelder nachdem Westen geschafft zu werden. Eindringliche Entgegnungen wies der amerikanischeSonderbeauftragte L. Turner persönlich mit dem Bemerken zurück, man sollte sich nicht bei derWTG beschweren, sondern bei der »Ostzonenregierung«. Es wurde jedoch strengste Weisunggegeben, diese Angelegenheit niemals bei den öffentlichen WTG-Kreis- undBezirksversammlungen in Westberlin, an denen die Untergrundfunktionäre aus der DDR meistteilnahmen, zur Sprache zu bringen. Man war sich des kriminellen Charakters und derjuristischen Haltlosigkeit des Geldschmuggels, der ein nackter Racheakt war, also sehr wohlbewusst! Denn als religiöse christliche Gemeinschaft müsste sich die WTG gemäß deneinschlägigen biblischen Grundsätzen, dem »Cäsar zu geben, was des Cäsars ist«, bedingungslosund unabhängig von allen anderen Fragen der Finanzgesetzgebung eines jeden Staatesunterordnen bzw. anpassen.Die vom WTG-Ostbüro gegebenen Anweisungen und Informationen besagten jedochunzweideutig, dass die WTG den ganzen Geldschmuggel nach dem Westen einmal als RacheundVergeltungsakt für das Verbot in der DDR durchführte, zum anderen aber auch, weil die mitdem Geldschmuggel verbundene Schädigung der Wirtschaft unmittelbar zum Programm deskalten und psychologischen Krieges der USA gegen die sozialistischen Länder gehörte, undschließlich konnten mit diesen Geldern weitere illegale Aktionen in der DDR finanziert werden.Die zu jener Zeit geltende WTG-Irrlehre, Regierung und Staat seien überhaupt keine vonChristen anzuerkennende Obrigkeit von Gott, fanatisierte die Anhänger zusätzlich und gab demSchmuggel eine Art religiöse Sanktion.Die biblischen Bedenken, man müsse die Finanzgesetze der DDR unabhängig von allen anderenFragen respektieren, waren also vollauf berechtigt. Die Mehrheit der Zeugen Jehovas befolgtejedoch gedankenlos und leichtsinnig und in gewissen Sinne sogar verantwortungslos dierechtswidrigen Anweisungen des Ostbüros auch in dieser Angelegenheit. Vor der Öffentlichkeitwar die WTG allerdings ständig darauf bedacht, den Eindruck christlicher Ehrbarkeit undGesetzestreue - und das besonders in Geldsachen - zu erwecken. So heißt es z. B. auf der zweitenSeite einer jeden Ausgabe der »Wachtturm«-Zeitschrift: »Geldüberweisungen werden inWiesbaden aus Ländern angenommen, in denen kein Zweigbüro besteht, jedoch nur durchinternationale Geldanweisung.« Der Geldschmuggel aus der DDR straft diese öffentlicheErklärung Lügen.Es ist offensichtlich. dass von der WTG-Führung angesichts ihrer bisherigen Haltung auchhierbei nichts anderes zu erwarten ist als Heuchelei. Doch wie ist es zu erklären, dass auch dieMehrheit ihrer Anhänger das recht- und gesetzlose finanzielle Treiben gegen die DDRmitmachte? Als eine erste Ursache ist ohne Zweifel die völlige Entrechtung der WTG-Anhängerzu nennen, verbunden mit dem Prinzip des unbedingten Gehorsams, des bedenkenlosenGlaubens, dass alles, was die WTG anordne, »theokratisch«, also der Wille Gottes sei. Aufdieser Grundlage wurde sodann in den Köpfen vor allem der Untergrundfunktionäre einreligiöspolitischerFanatismus gezüchtet, der ohne Beispiel ist. Aus der antikommunistischen Hetze undder Behauptung, Regierungen seien keine Obrigkeiten von Gott, sie seien vor Gott illegal, sowieähnlichen Lehren erwuchs insgesamt eine Missachtung, Verachtung und Verhöhnung von Staat,

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Regierung und Gesetzgebung der DDR, in der die Verletzung der Finanzgesetze völligunbedeutend erscheinen musste, ein Fanatismus, der für die Vernunft vollkommen unzugänglichwurde. War doch der ganze Staat für die WTG verwerflich und dem Untergang geweiht!Seitdem durch die Sicherung der Staatsgrenze der DDR zu Westberlin der Geldschmuggel in derbisherigen Form unmöglich wurde, die WTG aber nach wie vor Geldmittel für die illegaleOrganisation in der DDR benötigt, begann man u. a. die verwandtschaftlichen Beziehungen derZeugen Jehovas in Ost und West auszunutzen. So zahlt z. B. irgendein WTG-Anhänger beimZweigbüro in Wiesbaden eine beliebige Summe ein, um einen Bekannten, der in der DDR ZeugeJehovas ist, finanziell zu unterstützen. Das eingezahlte Geld verbucht die WTG in Wiesbadenjedoch für sich. Sodann ergeht eine Geheimmitteilung an die Untergrundorganisation in derDDR, die aus den in der DDR illegal gesammelten Geldern diesem genannten Bekannten oderVerwandten eine Summe entsprechend dem in Wiesbaden eingezahlten Geld auszuzahlen hat -natürlich entsprechend dem jeweiligen Ost-West-Kurs, anfangs 1:5, dann 1:3. Der Trug beidiesem Verfahren besteht darin, dass die WTG in Westdeutschland an ihre Anhänger appelliert,»armen Verwandten in der Ostzone« doch zu helfen, das Geld aber selbst einstreicht und dafürdie Untergrundorganisation in der DDR zahlen lässt. Entartete die Untergrundbewegung zuerstin kriminellen Geldschmuggel, so wurde sie nun auch zu einem Institut zur persönlichenBereicherung für diejenigen, die in Westdeutschland wohlhabende Verwandte haben. DieHauptsache war, die WTG kam dabei zu Geld. Die ganze Sache florierte, schließlich so gut, dassUntergrundfunktionäre begannen, diese Geldquelle auch für Personen zu erschließen, die keineWTG-Anhänger sind.Andere Methoden bestanden darin, Geld über Deckadressen und Mittelspersonen in Westberlinmöglichst in großen Scheinen direkt nach Wiesbaden zu übermitteln Hier folgt eine Bestätigungeines solchen Schmuggels in Höhe von 100 Mark von einem WTG-Untergrundfunktionär in derHauptstadt der DDR, Berlin, vom 3. April 1963, zugleich ein direkter Beweis für dieVerlogenheit der ständigen Geldüberweisungserklärungen im »Wachtturm« (zweite Seite jederAusgabe). Durch einen Schwall christlich aufgemachten Lobes und Dankes versucht die WTG,jede Bedenklichkeit gegenüber ihren Methoden auszuschalten.Zitat:"WACHTTURMBIBEL- UND TRAKTAT-GESELLSCHAFTDeutscher Zweig e. V.62 Wiesbaden-Dotzheim, Am Kohlheck, Postfach 13025Fernsprecher40891/ 4089241937TelegrammeWachtturm3. April 1963Herrn …1 Berlin 18Friedenstr. …DM 100.00Lieber Bruder"Ein jeder, wie er sich in seinem Herzen versetzt: nicht mit Verdruss oder aus Zwang, denn einenfröhlichen Geber liebt Gott." (2. Kor. 9:7)Da wir uns bewusst sind, dass diese Gabe in oben angegebener Höhe nicht widerwillig oderunter Zwang gegeben ist, freuen wir uns, sie zu bestätigen und mit aufrichtiger Wertschätzunganzunehmen.Für Christen ist es ein wunderbares Vorrecht zu geben. Ja, wir haben etwas zu geben! Wiekostbar ist der Name Jehovas! Wie wertvoll die Erkenntnis seiner Vorsätze! Wie wunderbar, diesmit anderen zu teilen! Jehovas Liebe und seine Segnungen für solche fröhlichen Geber sind

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heute offenbar. Wegen dieses guten Herzenszustandes haben viele von seinen Vorsätzen erfahrenund sind auch in der Lage, dies zu schätzen und zu sagen: "Gott sei Dank für seineunaussprechliche Gabe!"-Sei sicher, dass Deine materielle Gabe verwendet werden wird um vielen weiteren zu helfen, dieguten Dinge Gottes kennenzulernen, wie auch in der Ausdehnung und in der Tätigkeit derNeuen-Welt-Gesellschaft. Wir möchten noch einmal unserer Wertschätzung Ausdruck verleihenund freuen uns mit Dir, da wir wissen, dass Gott mächtig ist, "jede Gnade gegen euchüberströmen zu lassen, auf dass ihr in allem, allezeit alle Genüge habend, überströmend seid zujedem guten Werke." - 2. Kor. 9:8.Im fröhlichen Geben zur Ehre Gottes mit Dir verbunden,Wachtturm B. & T. GesellschaftDeutscher Zweig e. V."Es ist der WTG indessen noch nie schwergefallen, die Bibel auf jene Art und Weise zu zitieren,wie sie es braucht um die Anhänger willfährig zu halten. Ihre in der vorliegendenDokumentation dargestellte religiöse und politische Geschichte beweist das hinreichend.Die Untergrundbewegung in der DDRFür die illegale Organisation der WTG in der DDR war bis 1961 das Ostbüro in Westberlinzuständig. Bis zu dessen Auflösung wurde es vom Zweigbüro in Wiesbaden gesteuert. Zunächstwar das Ostbüro für die Ausbildung und den Einsatz von Mitarbeitern in derUntergrundorganisation in der DDR verantwortlich, deren Struktur laufend der gegebenenSituation angepasst wurde. Das heißt, erkannte illegale Methoden wurden ständig verändert, umsich dem Zugriff der Behörden der DDR solange wie möglich zu entziehen. 1956 wurde eineNeuorganisierung des illegalen Apparates vorgenommen. Danach wurden die bisherigenBezeichnungen der Dienstämter der Zeugen Jehovas, wie Gruppendiener undHilfsgruppendiener, aufgehoben und durch Tarnbezeichnungen ersetzt. Gleichzeitig erfolgte eineZusammenfassung in Ortsgebieten, denen Ortsgebietsdiener vorgesetzt wurden. DieVersammlungen erhielten neue Schlüsselnummern, unter denen sie Berichte und Informationenzu liefern hatten. Auch die monatliche Berichterstattung wurde nach einem neuenVerschlüsselungssystem vorgenommen. Die Berichterstattung an das Ostbüro erfolgte jedochnicht direkt, sondern über Deckadressen. Dazu gehörten u. a.Charlotte Fischer, (West-)Berlin-Charlottenburg, Christstr. 27,Max Trepte, (West-)Berlin-Charlottenburg, Suarezstr. 38,Postschließfach 62, (West-)Berlin-Charlottenburg.Ab 1961 war folgende Struktur zur Aufrechterhaltung der illegalen Tätigkeit gebräuchlich: Ander Spitze stand ein Leitungsgremium, bestehend aus drei Personen, die unter einerTarnbezeichnung mit der Zentrale in Verbindung traten. Diesem Gremium unterstandenBezirksdiener mit ihren Stellvertretern, wobei erstere die Tarnbezeichnung »Umgegenddiener«trugen. Das Territorium der DDR war in mehrere Bezirke aufgeteilt. Die Bezirke waren in Kreiseoder »Gegenden« gegliedert, denen wiederum die entsprechenden Diener vorstanden. Zumbesseren Verständnis werden in den weiteren Darlegungen nicht die Tarnbezeichnungen,sondern die geläufigen, wie Bezirks- und Kreisdiener, benutzt. Ein Kreis war in mehrere»Gebiete« mit den entsprechenden Dienern und Stellvertretern aufgeteilt. Ein Gebiet umfasstedie geografisch oder verkehrsmäßig günstig verbundenen illegalen Versammlungen. DieVersammlungsdiener nannte man »Einer«, die Stellvertreter »Andere«. Jede Versammlung setztesich aus Studiengruppen zusammen, die wöchentlich einmal in Privatwohnungen Treffenabhielten, wo sie Anleitung erhielten und die nächsten Aufgaben besprachen und festlegten.Durch die straff von oben nach unten organisierte Anleitung wurde im wesentlichen eineinheitliches Verhalten und Vorgehen der illegalen Organisation insgesamt gewährleistet.Als die Anleitung durch das Ostbüro infolge der Sicherung der DDR-Staatsgrenze nicht mehrmöglich war, trat das WTG-Zweigbüro in Wiesbaden selbst in Aktion. Dieser Wechsel in derAnleitung im Jahre 1961 hat seine besondere Bewandtnis, da er im Zusammenhang mit denpolitischen Ereignissen jenes Jahres steht.

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Bekanntlich waren die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR in Berlin am 13. August 1961 eineDurchkreuzung imperialistischer Vorbereitungen auf einen größeren Konfliktfall in Deutschland,in deren Endergebnis man die DDR wieder einmal zu beseitigen gedachte. Wie später daswestdeutsche Nachrichten-Magazin »Der Spiegel«, Hamburg, berichtete, fand bereits im Februar1961 in Washington ein Gespräch zwischen dem westdeutschen Propagandachef undZeitungskönig Axel Springer und Vertretern des CIA (amerikanischer Geheimdienst) statt. Siekonstatierten, dass die in jener Zeit von der westdeutschen Propaganda immer mehr angeheizteRepublikflucht aus der DDR eine Bewegung großen Ausmaßes und damit einen Aufstand in derDDR auslösen müsste, wobei die Westdeutschen dann nicht tatenlos zusehen würden. Es müsstedamit gerechnet werden, dass »die Bundeswehr über die Zonengrenze vorstößt«. Die DDRmüsste wahrscheinlich die Grenzen schließen um das zu verhindern. Dann stände das Problemder gewaltsamen Aufbrechung der Grenze in Berlin. (Der Spiegel, Hamburg, Ausgabe vom 15.August 1966)Angesichts der Zusammenarbeit der Zusammenarbeit der WTG mit dem USA-State Departmentund dem amerikanischen Militärnachrichtendienst nimmt es nicht wunder, dass ebenfalls sich dieWTG schon im Frühjahr 1961 auf einen derartigen Konflikt in Deutschland vorbereitete. Einsolcher Fall würde bedeuten, dass das Ostbüro in Westberlin nicht mehr in der Lage sein würde,die Untergrundorganisation in DDR zu steuern, wie es bisher durch die offene Grenze nachWestberlin möglich war. Die illegale Arbeit in der DDR müsste also auf eigene Füße gestelltwerden, etwa in Gestalt eines eigenen Zweiges, natürlich unter Berücksichtigung der besonderenBedingungen. Ostern 1961 wurden demgemäß im WTG-Ostbüro in WestberlinUntergrundfunktionäre aus der DDR zusarnmengeholt, die für eine selbständigeLeitungshierarchie in der DDR geeignet und vorgesehen waren, und mit ihren neuen Funktionen,Arbeits- und Tarnmethoden für jenen »Ernstfall« vertraut gemacht. Zur Aufrechterhaltung derVerbindung nach Wiesbaden wurde eine geheime Sonderkurierverbindung vorbereitet. Der neueApparat sollte jedoch erst in Aktion treten und die Untergrundorganisation übernehmen, wennder »Ernstfall« eingetreten wäre. Bis dahin behielt das Ostbüro die Leitung weiter in der Hand.Die letzten Maßnahmen wurden in einer Sonderzusammenkunft anlässlich des internationalenWTG-Kongresses im Juli 1961 in Hamburg getroffen. Hier waren u. a. auch Präsident Knorr,sein amerikanischer Sekretär, M. G. Henschel, und die Wiesbadener WTG-Führung mit denGestapohandlangern Frost und Franke anwesend, um den aus der DDR illegal erschienenenkünftigen Untergrundfunktionären die letzten Weisungen zu geben. Zu einemErfahrungsaustausch hatte man sogar einige Untergrundfunktionäre aus Jugoslawien, Polen undUngarn herbeigeholt. Ein Hauptpunkt der Weisungen war die künftige Anwendung der schonerwähnten »theokratischen Kriegslist« zur Tarnung der Untergrundtätigkeit durch Lüge undTäuschung gegenüber den Behörden. Besonders Willi Pohl, der Leiter des WestberlinerOstbüros, verfocht mit aller Härte die Weisungen von WTG-Präsident Knorr, jede Täuschungund Lüge sei »theokratisch«, d. h. von Gott gebilligt, wenn sie der WTG diene. Die Kritiker, diedarauf hinwiesen, dass die WTG als Religionsgemeinschaft doch verpflichtet wäre, ihreTätigkeit und Verkündigung so zu gestalten, dass sie den Grundsätzen des Evangeliums, »nichtmit List zu wandeln« (2. Kor. 4:2 NW), entspricht, wurden mundtot gemacht. Dieorganisatorischen Vorbereitungen auf einen Konfliktfall wurden durch eine besondere politischePropagandakampagne unterstützt. So wurde seit April 1961 unter den WTG-Anhängern und inder Öffentlichkeit eine »Erwachet«-Ausgabe mit der Schlagzeile »KommunistischeGehirnwäsche - Schreckgespenst oder Tatsache?« verbreitet. Der Zweck war, durchEntstellungen, Greuelgeschichten und Verleumdungen, die man im Zusammenhang mit demKoreakrieg fabrizierte, Furcht, Panik und Hass gegenüber Sozialismus und Kommunismus zuerzeugen und zu vertiefen, so dass jeder Zeuge Jehovas oder sonstige Leser dieser Propagandavon unüberwindlichem antikommunistischem Abscheu erfüllt wird. Es war ein öffentlicherBeitrag dazu, in jenem spannungsreichen Jahr 1961 unter Christen aller Art und den eigenenAnhängern jede politische Vernunft in antikommunistischer Fanatisierung zu ertränken. Manlese dazu den folgenden »Erwachet«-Auszug vom 22. April 1961:

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Zitat:"Kommunistische Gehirnwäsche - Schreckgespenst oder Tatsache?Deutscher Zweig e. V., Wiesbaden22. April 1961 Nr. 8unterlagen jenem anscheinenden Bann der Gehirnwäsche. Amerikanische Piloten legten vorkommunistischen Gerichten haarsträubende Geständnisse über eine bakteriologischeKriegführung gegen Rotchina ab. Untersuchungen über das Verhalten amerikanischer Soldaten,die während des Koreakrieges in kommunistische Gefangenschaft gerieten, ergaben dieüberraschende Feststellung, dass etwa ein Drittel aller in Gefangenschaft geratenen Männerirgendwie geistig in das Lager der chinesischen Kommunisten hinübergewechselt war, 47 vonihnen mussten sogar nach ihrer Rückkehr wegen krassester Kollaboration vor Gericht gestelltwerden, und 21 weigerten sich überhaupt, die kommunistische Welt zu verlassen und nachAmerika, in ihre Heimat zurückzukehren.Gehirnwäsche ist weder ein schlaues Propagandamätzchen der Kommunisten, das siehintenherum verbreiten, um das Kaninchen gelähmt auf die Schlange starren zu lassen, noch dieErfindung der überhitzen Phantasie nervenschwacher Opfer der kommunistischen Zwangsjustiz,sondern eine ausgeklügelte Methode zur systematischen Zerstörung der Persönlichkeit einesMenschen, die die gewünschten Erfolge bringen kann."Wie man sieht, hielt man es für nötig, jetzt nicht nur mit antikommunistischen Einträufelungen indie WTG-Studienmaterialien zu wirken. Jetzt musste wieder massiv und ohne große biblischeBemäntelung vorgegangen werden. Mit »Kraft und Sicherheit« sollte das antikommunistischeGift eingeimpft werden, damit es gründlich wirkt. Wie das Kaninchen vor der Schlange solltejeder vom Schrecken vor dem Kommunismus gepackt werden - das typische Vorgehen vonFanatikern in Ermangelung überzeugender Argumente.Der Hamburger WTG-Kongress vom Juli 1961 sollte auch einer letzten direktenpsychologischen Stärkung der Untergrundorganisation in der DDR dienen, wenn der »Ernstfall«käme. Man organisierte in Zusammenarbeit mit der Westberliner Politischen Polizei eine illegaleAusreise von Zeugen Jehovas aus der DDR über Westberlin nach Hamburg, ein Unternehmen,das unter rücksichtsloser Missachtung der Pass- und Ausreiseordnung der DDR durchgeführtwurde. Besondere Weisungen galten dem Verhalten auf der Reise. Den Teilnehmern gaukelteman vor, »Jehova« halte seine »schützende Hand« über allem. Die besonderen Anweisungen desOstbüros der WTG vom 10. Juli 1961 zu dieser illegalen Ausreise.Zitat:"Liebe Brüder!Nun ist es soweit. Die Kongresszeit ist herbeigekommen, und Ihr seid hier glücklichangekommen, um den letzten Sprung auf dem Wege nach Hamburg zu machen, Jehova hat seineschützende Hand über allen Vorbereitungen gehalten und wir blicken voll Dankbarkeit zu ihmauf. Der diesjährige Kongress steht unter dem Motto "Vereinte Anbeter", und wir dürfenerwarten, dass Jehova seinem gehorsamen Volke auf der ganzen Erde besondere Anweisungengeben wird. Wir sehen dem Fest mit großer Freude entgegen. Mit diesem Schreiben geben wirEuch nun letzte diesbezügliche Hinweise, damit alles einen reibungslosen Verlauf nehmen kann.Behandelt die Mitteilungen als vertraulich und nur für Euch persönlich bestimmt.HINWEISE FÜR DIE REISE: Alle Maschinen starten in Berlin vom ZentralflughafenTempelhof. Findet Euch pünktlich eine Stunde vor der Abfahrt Eurer Maschine in derAbfahrthalle ein. Der Zugang ist Haupteinfahrt Tempelhofer Damm in der Nähe des Platzes derLuftbrücke. Begebt Euch als einzelne private Reisende zu den Abfertigungsschalter derbetreffenden Luftfahrtgesellschaft, die für den Flug in Eurem Flugschein angegeben ist. (PA =Pan American World Airways, BE = British European Airways, OAL = Overseas AviationLimited. Wenn Ihr nun auch als private Reisende auftretet, trifft es nach wie vor zu, dassniemand seinen Flug selbst bezahlt, sondern nur als Delegierte der Versammlung dieReisemöglichkeit erhalten hat. Für die OAL hat die Europa-Flug G.m.b.H. einen Sonderschalterin der Haupthalle in Benutzung, an dem zeitweilig auch ein Mitarbeiter der Gesellschaft tätig

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sein wird). Legt am Schalter Euren Flugschein vor und gebt Euer Gepäck ab, das bis zu 20 kg.wiegen darf. Sodann begebt Ihr Euch durch die Pass- und Zollkontrolle, wo Ihr noch einmalEuren Flugschein und Euren Personalausweis vorlegen müsst, zur Tür nach der Maschine. Dievorgeschriebene Registrierung als Reisende aus Ostdeutschland haben wir bereits am Tage vordem Abflug bei der Polizeibehörde erledigt, nachdem Ihr Euch rechtzeitig eingefunden, dasMeldeformular ausgefüllt und mit Eurem Personalausweis abgegeben habt. Brüder, die zu spätkommen, müssten die Anmeldung selbst vornehmen. Das Polizeibüro ist gleich die erste Türrechts, wenn man zum Haupteingang der Abfahrthalle hereinkommt.VERHALTEN WÄHREND DER REISE: Sowohl während der Hinfahrt und ebenso auchwährend der Rückfahrt solltet Ihr alle Gespräche und jedes Benehmen vermeiden, das offenbarenwürde, dass Ihr Zeugen Jehovas seid.Helft Euch hierbei gegenseitig und nehmt diese Sache sehr ernst. Einige Verkündiger mögendenken, dies sei nicht nötig, weil sie mit dem Flugzeug fliegen oder weil alle Reisenden ZeugenJehovas sind, wie es bei einigen Reisegruppen der Fall sein mag. Sie sollten jedoch darandenken, dass es zur Sicherheit der nach ihnen kommenden Brüder und zur eigenen sicherenRückkehr wichtig ist, dass selbst das Personal auf den Flugplätzen und in den Maschinen nichterfährt, dass es sich um Reisen von Zeugen Jehovas in Verbindung mit dem HamburgerKongress handelt. Benehmt Euch bitte alle wie private Urlauber, bis Ihr auf demKongressgelände seid. Dort und auch in Euren Unterkünften vermeidet, Eure genaue Herkunftins Gespräch zu bringen; Ihr seid als Delegierte von Westberliner Versammlungen nachHamburg gesandt worden. Merkt Euch die Versammlung, sowie die Westberliner Adresse, unterder Ihr registriert seid. Aber seid selbst in Bezug auf Eure Reisevorkehrungen als Westberlinerverschwiegen um dem Feind keine unnötigen Fingerzeige zu geben. Ein nicht einmalbösgemeintes Wort eines Weltmenschen, der die Probleme der Werkes nicht kennt, mag großeSchwierigkeiten auslösen.Der Rückflug erfolgt von Hamburg-Fuhlsbüttel. Da wir Euch nicht mehr erreichen, ist es nötig,dass Ihr ganz selbstständig handelt. Es ist sehr wichtig, dass Ihr Euch zu den Flügen pünktlicheinfindet, damit Ihr nicht durch unvorhergesehene Verzögerung, die Ihr auf dem Wege habenmögt, die Zeit verpasst und der Platz verfällt. Findet Euch eine Stunde vor dem Abflug ein undmeldet Euch beim Schalter der betreffenden Fluggesellschaft. Vergewissert Euch genau, fürwelchen Rückflugtermin Ihr eingeteilt seid, d. h. welche Daten, Uhrzeiten und Fluggesellschaftvorgesehen sind. In Hamburg hat die Europa-Flug G.m.b.H. gleichfalls für die OverseasAviation Limited einen Sonderschalter zur Abfertigung, an dem zeitweilig ein Mitarbeiter derGesellschaft tätig sein wird. Wenn Ihr Euch auf die Rückfahrt begebt, vergesst nicht, dasKongressabzeichen abzunehmen und entfernt auch alle Kongress-Ausweie, Mitteilungen,Papiere und Notizen aus Euren Taschen, die Euch bei der Rückkehr in die Zone Schwierigkeitenbereiten könnten. Seid hierin wachsam. Haltet Euch auf dem Rückflug an die Anweisung, jedesSicherkennengeben als Zeuge Jehovas zu vermeiden, auch wenn Ihr meint, nur mit BrüdernZusammenzusein. Auch nachdem Ihr wieder gut Zuhause angekommen seid, lasst in EuerWachsamkeit nicht nach. Falls der SSD den Versuch machen sollte, Euch durch raffinierteVerhöre zur Preisgabe dessen, was Ihr wisst, und zu Eurer Selbstbelastung zu bewegen, gehtnicht auf die Dinge ein und lasst Euch nicht verblüffen, wenn man Euch gewisse Einzelheitenvorhält, die zutreffend sein mögen. Seid völlig unwissend. Solange Ihr nichts "bestätigt", wissensie nichts von Euch und können Euch nichts zur Last legen. Ihr selbst würdet ihnen erst dieBeweise in die Hand geben, die sie benötigen.Solltet Ihr in Hamburg irgendein dringendes Problem in Verbindung mit dem Besuch desKongresses haben, versucht bitte, ob man Euch in dem durch den Globus gemachten Zelt helfenkann. Sprecht dort mit dem Kennwort "Tante Maria" vor. Wir wünschen Euch nun eine guteReise und gesegnete Festtage unter Jehovas vereinten Anbetern. Denkt daran, dass es EuerVorrecht ist, all die guten Eindrücke mit nach Hause zu nehmen und sie in Eurer Versammlungweiterzugeben, soweit die verantwortlichen Brüder dies für gut befinden und Euchentsprechende Aufträge erteilen.

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Mit Euch in der Schaustellung der Einheit verbunden, grüßen EuchEure Brüder und MitdienerWachtturm B. & T. GesellschaftDeutscher Zweig e. V.Berlin, den 10. Juli 1961"Am 13. August 1961 wurde die Staatsgrenze in Berlin seitens der DDR unter Kontrollegenommen. Ein Eingreifen der Bundeswehr fand jedoch nicht statt. Für die WTG aber war der»Ernstfall« eingetreten. Es galt jetzt, die vorbereitete illegale Organisationsform in Aktion tretenzu lassen. Das Ostbüro hatte seinen Wert verloren. Es blieb nur noch für die WestberlinerAngelegenheiten der WTG zuständig.In der Meinung, der neue Untergrundapparat sei trotz der Grenzsicherungsmaßnahmenunaufhaltsam angelaufen, höhnte die WTG im Frühjahr 1962, ihre Anhänger mit gefräßigenHeuschrecken vergleichend (»Der Wachtturm«, 1. März 1962):Zitat:"1. März 1962 Der WACHTTURMMan mochte noch so hohe gesetzliche Schranken oder "Mauern" errichten, hinter denen mansich verschanzte, diese Heuschrecken erklommen sie, selbst wenn sie, bis an die höchstenGerichte des Landes gelangen mussten. Sie stiegen über solche Mauern hinweg und rücktenweiter vor. Die Mauern, die der Nationalsozialismus, der Faschismus und die Katholische Aktionzum Schutze der Christenheit errichteten, und auch die Mauern, die der russische Kommunismuserrichtete, konnten Jehovas symbolischen Heuschreckenheer an seinem Vormarsch nichthindern.Zu den Feinden, die sich der Verkündigung der Gerichtsbotschaft widersetzen, sagen die"unterirdisch" und "überirdisch" wirkenden Zeugen Jehovas: "Wir müssen Gott, dem gehorchenals den Menschen"46. Nützten die Mauern, die man zum Schutz vor dieser Invasion errichtete?"Aber man begeiferte nicht nur die Grenzsicherungsmaßnahmen in Berlin, man höhnte nicht nur,sondern schuf sich auch ein buchstäbliches »Loch in der Mauer«, um von Westberlin ausMaterialien für die »unterirdische« Tätigkeit in der DDR einzuschleusen. Eine ganze Reihe vonMaßnahmen liefen nun an, um die Verbindung zwischen der Untergrundorganisation in der DDRund dem Zweigbüro in Wiesbaden zu sichern. Treffs wurden unter bestimmtenTarnbezeichnungen organisiert. In Interzonenzügen glaubte man unauffällig tote Briefkästeneinrichten zu können, die in Westdeutschland mit Originalmaterial oder Filmen gefüllt wurdenund dann auf dem Gebiet der DDR durch Kuriere zu leeren waren. Man verlegte sich auf denMissbrauch der durch die Passierscheinabkommen zwischen der Regierung der DDR und demWestberliner Senat ermöglichten Verwandtenbesuche in Berlin, der Hauptstadt der DDR. Als dieRegierung der DDR die Möglichkeiten schuf, dass Rentner nach Westdeutschland reisen können,wurde auch das für geheime Nachrichten- und Kuriertätigkeit im Interesse derUntergrundorganisation ausgenutzt. Ein Schwerpunkt war ferner die getarnte Materialschleusungauf dem Postwege. Äußerlich harmlose Geschenksendungen mit Kinderspielzeug undGenussmitteln enthielten in Wirklichkeit WTG-Literatur, Bücher und sonstige Materialien fürdie Untergrundtätigkeit. Das Material, das in die DDR gelangte, wurde dort vervielfältigt.Hierfür waren auf diese Weise zumeist die »Kreis«- oder »Gebietsdiener« verantwortlich, beidenen mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen Einrichtungen für Filmmaterial, Kopierenusw. geschaffen wurden.Man organisierte schließlich sogar sogenannte Testreisen in die Sowjetunion, z. B. nachLeningrad und Moskau, um über die Untergrundorganisation in der DDR das illegale Eindringenin die Sowjetunion zu forcieren. Alles geschah in der Illusion, die Behörden in densozialistischen Ländern seien »von Jehova mit Blindheit geschlagen« und man brauche in denZentralen der WTG dafür ja nicht die Haut zu Markte zu tragen.Bei der Gewinnung neuer Anhänger unter den Bedingungen der Illegalität wird wie folgtvorgegangen. Unter Verheimlichung seiner Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas hat der

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WTGVerkündigerangesprochene Personen erst gründlich zu testen, vor allem was die politischeEinstellung betrifft. Dann erfolgt eine Einschätzung und Überprüfung im Hinblick auf dieEinbeziehung in die Untergrundorganisation und Tätigkeit. Verläuft das im WTG-Sinne positiv,so geht man von gelegentlichem Ansprechen zu regelmäßigen Hausbesuchen und Einbeziehungin die illegalen Studiengruppen über. Dies ist eine Methode, labile Menschen zu »jagen undfischen« und zu binden, bis sie keinen Rückweg mehr sehen.Die Gewinnung von neuen Anhängern obliegt besonders sogenannten Pionieren. Das sindZeugen Jehovas, die beruflich nur Arbeitsverhältnisse mit verkürzter Arbeitszeit eingehen. IhrZiel ist: monatlich 100 Stunden im WTG-Einsatz. Sogenannte Ferienpioniere verwenden ihrenJahresurlaub für diese Zwecke. Unter den Bedingungen der Illegalität sind solche Methodenfreilich nur beschränkt möglich, aber sie werden praktiziert.Ein besonderer Schwerpunkt ist schließlich die laufende Schulung der Untergrundfunktionäre inden Methoden und Mitteln der Abdeckung und Tarnung, sowie in der religiösen und politischenAnleitung der einfachen Anhänger. Hierfür wurden sogenannte Königreichsdienstschuleneingerichtet. Bis 1961 befand sich diese Schule für Untergrundfunktionäre aus der DDR undanderen sozialistischen Ländern im WTG-Ostbüro in Westberlin. Seitdem werden solcheSchulungen je nach den Umständen in der DDR in Privatwohnungen oder auch auf Zeitplätzenund dergleichen organisiert.Damit hat die illegale WTG-Organisation in der DDR und anderen sozialistischen Ländern mitihren Tarnmethoden, Schlüsselsystemen, Deckadressen, Kurierverbindungen usw. einenCharakter angenommen, wie ihn Spionage- und sonstige Untergrundorganisationen auch habenum ihre Tätigkeit zu sichern. Den WTG Anhängern wird jedoch laufend eingeredet, Jehova,Gott, halte die sichernde und schätzende Hand über diese Tätigkeit, wofür man beten und dankenmüsse. Die Tatsachen offenbaren indessen die Haltlosigkeit aller derartigen Vorstellungen.Politisches Verhalten im Spannungsjahr 1953Nachdem im Juli 1952 der Aufbau des Sozialismus in der DDR beschlossen worden war,versuchten die imperialistischen Kreise des Westens, diese Entwicklung am 17. Juni 1953 durchden Sturz der Arbeiter-und-Bauern-Macht zu verhindern. Die Hauptdrahtzieher im Hintergrundwaren dabei ohne Zweifel die westlichen Geheimdienste.Aber auch die WTG war in der Zeit, die jenem Tag X »der Liquidierung der DDR« vorausging,psychologisch und politisch auf besondere Weise mit dabei. In ihren Publikationen, dieöffentlich und über die Untergrundorganisation verbreitet wurden, schürte sie Hass undFeindschaft gegenüber der sozialistischen Gesellschaftsordnung und gegenüber der Sowjetunion,wobei sie in den Ausdrucksformen die übelsten Tiraden übertraf, die je von kapitalistischer undfaschistischer Seite gegen Sozialismus und Kommunismus vorgetragen wurden. Die folgendenAuszüge veranschaulichen diese WTG-Propaganda im Einzelnen.Im Sommer 1952 wurde mit der »Wachtturm«-Ausgabe vom 1. Juni 1952 - für die DDR alsgetarnter Sonderdruck aus Wiesbaden ohne die üblichen Herkunftsangaben - unter derSchlagzeile »Ist Gott für die Weltbedrängnis verantwortlich?« fanatisierendeantikommunistische Propaganda unter die christliche Bevölkerung geworfenZitat:"IST GOTT FÜR DIE WELTBEDRÄNGNIS VERANTWORTLICH?Der Kommunismus wurde mittels verderbter Religion und erbarmungsloser Politik durch Satan,den Teufel gezeugt, genährt und zur Reife gebracht. Ob die Groszen Religionen der Welt es gernhören oder nicht, besonders jene, die sich christlich zu sein bekennen, sind sie doch für denSprössling Kommunismus verantwortlich. Er ist ihr Sprössling - diese christuslose,gottentehrende und teuflischste Religion von allen. Ja, ihr eigener Sprössling, der nun aufstehtum sie zu vernichten.Welches Rettungssystem sucht denn der Kommunismus der ganzen Erde aufzuwingen und dasVolk zu dessen Sklaven zu machen? Den befremdenden, unsinnigen Wahn, dass eine gottlose,christuslose, materialistische Gesellschaftsordnung, die den Schöpfer unseres Planeten und die

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von ihm festgelegten Gesetze zur Leitung seiner Geschöpfe völlig außer acht lässt, dem VolkeFrieden, Sicherheit und Rettung bringen könne. Gleich ungezügelten wilden Tieren zwingen siedem Volke hinter dem Eisernen Vorhang ihre Ideen und wilden Träume auf. Und die andernNationen und Völker der Erde haben damit zu kämpfen.Hitler war von einem ähnlichen Wahnsinn besessen.Im Frühjahr 1953 setzte man diese Hetze konzentriert auf die DDR in »Wachtturm«-Nachdrucken über »Ostdeutschland« öffentlich fort (»Jahrbuch« 1953):Zitat:"Berichte aus dem Jahrbuch 1953 der Zeugen JehovasOstdeutschlandIn Ostdeutschland ist der Eiserne Vorhang der Unfreiheit tief heruntergelassen. DieÜberwachung durch den Staat erfasst alle öffentlichen Einrichtungen. Fabriken, Geschäftsfirmenund Verkehrsmittel. Der Staat dringt direkt in den engeren Familienkreis ein, und bestimmterfüllen sich heute in diesem Lande und in vielen anderen die Worte von Matthäus 10:36 (NW):"In der Tat, eines Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein." Ein grausamesTerror-Regime in dem von den Kommunisten beherrschten Ostdeutschland hält die Bevölkerungvom Staate abhängig und in völliger Sklaverei und dauernder Furcht"Druck und Verlag: Watch Tower. Wiesbaden."Zur gleichen Zeit wurde mit der »Erwachet«-Ausgabe vom 8. April 1953 unter Schlagzeile"Hammer und Sichel über Brasilien" eine antikommunistische Hetze im internationalen Maßstaböffentlich vorbereitet:Zitat:"Hammer und Sichel über BrasilienDie Regierung unterdrückt kommunistisches Feuer.Wiesbaden, 8. April 1953ERWACHET!Seitdem die Partido Comunistia verboten wurde, haben die Roten in Brasilien eineSchmierkampagne großen Stils durchgeführt, indem sie im ganzen Lande auf Wände,Bürgersteige und Zäune Schlagwörter und Zeichnungen mit Pech und weißer schmierten. Einigedieser Schlagwörter lauten zum Beispiel: "Schickt eure Söhne nicht nach Korea!" "Herunter mitden hohen Lebenskosten!", "Hinaus mit den Yankee-Imperialisten!"Der "Hammer-und-Sichel"-Gefolgschaft ist schwer beizukommen gewesen, weil sie sich hinterfreiheitsliebende demokratische Führer stellte und die unterstützte, die willens waren, mit ihnenzusammen zu gehen, um die Wählermassen für sich zu gewinnen.Rote Führer ausgehobenEinige von diesen bekleideten hohe Ämter, wie zum Beispiel Major Julio Sergio.Es zeigte sich, dass, wo immer man im Staatsapparat einen Stein wegwälzte, die "roten Käfer"des Kommunismus davonflitzten um Deckung zu suchen. Aber man ist allgemein der Ansicht,dass es noch mehr Steine wegzuwälzen gibt, ehe man all die rotgefärbten "Genossen" gefundenhaben wird, die sich in der ganzen brasilianischen Verwaltung eingenistet haben.Kampf den "Röteln"Der Kreuzzug gegen den Kommunismus fand natürlich am meisten Unterstützung bei derRömisch-katholischen Kirche, die die rote Plage am stärksten fürchtet. Auch protestantischeOrganisationen warnten ihre Gläubigen davor, dem rötelnkranken Säugling nahe zu kommen.Und die Zeitung O Globo (7. Oktober 1952) schrieb, dass die Roten auf Calixto einenverborgenen Flughafen besitzen. Calixto ist eine 162 ha große Insel mitten im Rio Grande, derzwischen Minas und Sao Paulo durch die kommunistenverseuchte Gegend von TrianguloMineiro fließt."Das Niveau dieser »Erwachet«-Verkündigung gleicht völlig dem der antikommunistischenNazipropaganda. Ein unüberbietbarer politischer Hass spricht aus diesen WTG-Publikationen,das Beste, was sich die imperialistischen Strategen im Hinblick auf ihre Umsturzpläne im Jahre1953 zur Verbreitung unter der religiösen Bevölkerung in der DDR und anderswo nur wünschen

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konnten.Schließlich kam zur gleichen Zeit auch noch das WTG-Buch »Was hat die Religion derMenschheit gebracht?« in deutscher Sprache heraus. Darin wurde die gesamteantikommunistische Hetz- und Verleumdungspropaganda der WTG auf Grund ihres neuenDogmas über Religion vom Juli 1950 zu einer ausschließlich religiösen Betätigung erklärt, einTrug, der bereits erörtert wurde. Das Buch gipfelte in politisch verleumderischen Aussagen überKommunisten und Kommunismus.Zitat:"Was hat die Religion der Menschheit gebracht?Kapitel 1Die Religion ist universell. Ungeachtet, wie laut die roten Faschisten oder Kommunistenbehaupten mögen, gottlos zu sein, üben selbst sie Religion aus,Kapitel XXVDie Rote Religion und der "Mensch der Gesetzlosigkeit"Was hat die Religion der Menschheit gebracht?Veröffentlicht in Englisch 1951Veröffentlicht in Deutsch 1953von derWatch Tower Bible & Tract SocietyInternational Bible Students AssociationBrooklyn 1, N. Y., U.S.A. - Wiesbaden"Es liegt in der Konsequenz der Bindungen an die herrschenden Kreise des USA-Finanzkapitals,dass die WTG ausgerechnet in der Zeit vor 1953 mit dieser maßlosen politischen Hetze unter derreligiösen Bevölkerung in Erscheinung trat. Es dürfte jedoch zweckmäßig sein, über denmoralischen Unwert dieser Hetz- und Verleumdungskampagnen der WTG zu jener Zeit etwasweiter nachzudenken.Die abgedruckten Beispiele zeigen, dass man es bei der WTG-Führung mit religiös-politischverbohrten Fanatikern zu tun hat deren politische Denkweise bisher nur eine Parallele hat: dieGesinnung der Himmlerschen SS-Schergen. Der Unterschied ist lediglich der, dass die SS ihreunmenschliche und barbarische Denkweise mittels Einsatzkommandos undGenickschußkolonnen bzw. Gaskammern in die verbrecherische Praxis umsetzte, während fürdie Zeugen Jehovas laut WTG Jehova die endgültige Komrnunistenausrottung vollziehen soll.Was sind das aber für Christen, deren politische Denkweise hier im Prinzip nicht von derGesinnung der Gestapo und SS zu unterscheiden ist?War es mit der Wiedererlangung der Legalität in Osteuropa ernst gemeint?Während man die in der DDR noch tätigen Zeugen Jehovas weiter in dem Glauben hielt, baldwäre die "Ostzone befreit" und das "Regime" - gemeint war die DDR - könne sich unmöglich solange halten wie einst die Nazis, begann man offensichtlich im WTG-Hauptbüro in Brooklyn zubegreifen, dass es sinnlos sei, auf ein kurzfristiges "Zurückrollen des Kommunismus" zu hoffenund die Verkündigung darauf wie bisher festzulegen. Das Juni-Abenteuer von 1953 in der DDRwar gescheitert. Die Stärke und Geschlossenheit der sozialistischen Länder, insbesondere derSowjetunion wurden immer mehr zum bestimmenden Faktor der gesellschaftlichen Entwicklung.Damit sanken auch alle WTG-Spekulationen auf eine baldige Änderung der Lage in Osteuropazugunsten des Kapitalismus in sich zusammen. Angesichts dessen schien das Verbot der WTG inden sozialistischen Ländern von unabsehbarer Dauer zu sein.Im Jahre 1956 hielt die WTG den Zeitpunkt für gekommen, einen Versuch zu unternehmen, umdie Aufhebung des Verbots der Zeugen Jehovas in den sozialistischen Ländern zu erreichen. DasZweigbüro in Wiesbaden spielte dabei mit dem Gedanken, auch in der DDR die WTGOrganisationlegal wiedererstehen zu lassen, »auf einer loyalen Grundlage, nicht wie bisher alsKampfmittel gegen den Staat«, wie sich Erich Frost äußerte. Die Wiedererlangung der Legalitäthätte allerdings erfordert, jeglichen Kampf gegen die sozialistischen Staaten aufzugeben und sichtatsächlich nicht mehr als »Kampfmittel gegen den Staat« einsetzen zu lassen - übrigens ein

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bezeichnendes Eingeständnis der bisherigen politischen Rolle der WTG. Nur so könnte eineloyale Grundlage geschaffen werden.Was die WTG-Führung jedoch in diesem Zusammenhang unternahm, zeigt, dass sie nicht aneine wirkliche Umstellung dachte, wie es vom westdeutschen Zweigbüro offensichtlich inUnkenntnis der Gesamtkonzeption und Taktik des Hauptbüros in Brooklyn ins Auge gefasst war.So sollte sich das vom Zweigbüro in Wiesbaden entwickelte Vorhaben, in Zukunft gegenüberder DDR loyal zu sein, nur als ein Manöver erweisen. Am Prinzip änderte sich nichts, Die Taktikdes Hauptbüros war, die Situation auszunutzen, ohne auch nur im geringsten die alten Zieleaufzugeben.In der Zeit vom Juli 1956 bis etwa Februar 1957 wurde deshalb von 199 Bezirksversammlungender Zeugen Jehovas, »die in der ganzen Welt stattfanden«, eine Petition an die Sowjetregierunggesandt, in der Legalität für die WTG-Tätigkeit und die Zeugen Jehovas in den sozialistischenLändern gefordert wurde. Besonders beachtenswert in dieser Petition sind die Erklärungen, diedie WTG über die politische Haltung und Tätigkeit ihrer Anhänger, der Zeugen Jehovas, abgibt.Man wird dabei an ihre Petition vom 10. Juli 1950 an die Regierung der DDR erinnert.Die erste Petition dieser Art wurde am 30. Juni 1956 von Kemi (Finnland) aus an die Regierungder Sowjetunion abgeschickt. Man lese die darin enthaltenen politischen Behauptungen derWTG an die Adresse der Sowjetregierung ( »Wachtturm« vom 15. April 1957).Zitat:"An die Kommunistenführer eingereichte Petition15. April 1957Der WACHTTURMDie angenommene PetitionAn den Herrn MinisterpräsidentenNikolai A. Bulganin,Vorsitzender des Ministerrates der SowjetunionMoskau, UdSSRP E T I T I O NEine objektive Untersuchung der Sache der Zeugen Jehovas wird offenbaren, dass sie es nieverdienten, eingesperrt, deportiert und in Straflager gesandt zu werden. Darum erachten wir esjetzt als höchst zeitgemäß, an Ihre Regierung eine PETITION zu richten mit dem Ersuchen, dieseaufrichtigen Christen, die sich durch ihre glühende Liebe zur Gerechtigkeit, zur Wahrheit undzum Frieden auszeichnen, (a) freizulassen und (b) sie zu ermächtigen sich zu christlichenVersammlungen zu organisieren, ferner zu Kreisen und Bezirken, die alle diese Versammlungenim ganzen Lande umfassen, wobei ihnen verantwortliche Prediger und Diener gemäß demselbenMuster dienen, dem in allen anderen Ländern gefolgt wird; (c) sie zu autorisieren, reguläreBeziehungen mit der christlichen leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas in Brooklyn, NewYork, Vereinigte Staaten von Amerika, aufzunehmen und (d) sie zu ermächtigen, die ZeitschriftDer Wachtturm in Russisch, Ukrainisch und , je nach Bedarf, in anderen Sprachen zu empfangenund zu veröffentlichen, desgleichen weitere biblische Schriften, wie sie von Jehovas Zeugen inder ganzen Welt verwendet werden.Zum römischen Statthalter Pontius Pilatus sagte Jesus Christus: "Mein Königreich ist nicht vondieser Welt", wodurch er zeigte, dass das Römische Reich, dessen Vertreter Pilatus in Palästinawar, wegen seiner religiösen Tätigkeit nicht beunruhigt zu sein brauchte. Er bekämpfte diemachthabende politische Regierung nicht. Er verfolgte keine politischen Interessen und Ziele.Jehovas Zeugen schaden niemandem. Sie bleiben neutral gegenüber den Streitigkeiten dieserWelt. Sie befassen sich weder mit irgendeiner umstürzlerischen Tätigkeit noch mit Spionage. Siesind nicht Nationalisten, nicht selbstsüchtige Kapitalisten, nicht Imperialisten. Als wahreChristen können sie das gar nicht sein, noch könnten sie für irgendwelche politischen Lehrenoder Ideologien kämpfen, seien diese nun kommunistisch, demokratisch oder kapitalistisch.Sie erfüllen ihre richtigen Pflichten als Bürger des Landes, in dem sie leben. Sie sind intelligenteMenschen, die nicht daran glauben, dass all die Bedrückung und die unrichtige Unterweisung

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durch falsche Religionen Erfolg haben. Sie stehlen nicht und betrinken sich nicht, wodurch derProduktionsgang verlangsamt werden könnte, und sie beteiligen sich niemals an irgendwelchenSabotagehandlungen. Sie folgen den Lehren der Heiligen Schrift, deren Drucklegung undVerbreitung in der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken die Regierung der UdSSR vorkurzem genehmigt hat.VORSCHLAG ZU EINER BESPRECHUNGEs würde uns sehr freuen, die Angelegenheit durch Vertreter unserer leitenden Körperschaft, derWatch Tower Bible and Tract Society, mit Ihnen weiter besprechen zu können, sei es nun durchIhren ersten Vertreter in den Vereinigten Staaten von Amerika oder direkt mit Ihrer Regierung inMoskau.Einstimmig angenommen durch die Bezirksversammlung in Kemi, wie bestätigt durch VäinoPallari, Pressebeamter am 30. Juni 1956 in Kemi, Lappland (Finnland)."Im Grunde genommen bringt die Petition nichts Neues. Das Schreiben enthält die gleichenForderungen und unehrlichen Beteuerungen, wie sie schon bei anderen Gelegenheiten gemachtwurden. Die gesamte politische WTG-Praxis straft auch diese Petition Lügen. Wie wenig dieganze Aktion ernst und ehrlich gemeint war, zeigte nicht nur die maßlose antikommunistischeHetze der WTG in den Jahren zuvor. Skrupellos ließ man auch 1956/57 die antikommunistischepsychologische Kriegführung gegen Sozialismus und Kommunismus in der WTG-Verkündigungmit unverminderter Heftigkeit weiterlaufen.Den Abschluss der Petitionsaktion bildete ein Schreiben des WTG-Direktoriums in Brooklyn,New York, an den damaligen sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin vom 1. März 1957.Das Schreiben enthielt die gleichen unehrlichen Beteuerungen über eine angeblich völligepolitische Unschuld der WTG-Anhänger.Zitat:"15. April 1957 Der WACHTTURMam 1. März 1957 folgende gemeinsame Petition an die KommunistenführerAn den Herrn MinisterpräsidentenNikolai A. BulganinVorsitzender des Ministerrates der SowjetunionMoskau, UdSSRSehr geehrter Herr Ministerpräsident!Hiermit wendet sich die leitende Körperschaft der in der ganzen Welt wirkenden Gruppe vonChristen, Jehovas Zeugen genannt, an Sie.Unter der Leitung der Watch Tower Bible and Tract Society von Pennsylvanien, einerfortwährend zunehmenden Organisation christlicher Prediger, unterrichten Jehovas Zeugen in162 Ländern, Republiken und Kolonien auf der ganzen Erde die Menschen über das Wort desallmächtigen Gottes, Jehovas, des Schöpfers des Universums. Sie sind wahre Christen, die sichin ihrer echten Anbetung Gottes, Jehovas, von den in der Heiligen Schrift niedergelegtengerechten Maßstäben und Grundsätzen leiten lassen.Innerhalb der Grenzen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken befinden sich Tausendedieser Zeugen Jehovas. Sie bemühen sich treulich, dem höchsten Gott, Jehova, unterprüfungsvollen Umständen zu dienen. Viele von ihnen wurden verhaftet und ins Gefängnisgesteckt. Andere sind von ihren Wohnstätten weit weg in die Verbannung nach Sibiriengeschickt worden. Dies geschah nicht etwa, weil sie irgendein Verbrechen begangen oder sich inirgendeiner Weise politisch betätigt hätten. Jehovas Zeugen sind die friedlichste, gesetzestreuesteGruppe Menschen auf Erden. Sie sind einzig und allein deshalb bestraft worden, weil sie Gotthingegebene Christen sind, die sich aufrichtig bemühen, den Anforderungen Jesu Christinachzukommen. Sie trachten allerdings in erster Linie nach dem Königreich Gottes und seinerGerechtigkeit, weil Christus, laut Matthäus 6: 33, alle Christen anwies, dies zu tun. Dabeibefolgen sie auch alle Gesetze des Landes, in dem sie leben, ausgenommen, es werde ein Gesetzerlassen, das im Widerspruch mit dem höchsten Gesetz des Schöpfers steht. Sie sindgewissenhaft und achten sorgfältig darauf, "Cäsars Dinge dem Cäsar zurückzuzahlen, Gottes

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Dinge aber Gott". - Matthäus 22:21 NW.Als leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas in der ganzen Welt sind wir ermächtigt, Ihnenhiermit eine gemeinsame Petition bezüglich der Probleme der Zeugen Jehovas in derSowjetunion zu unterbreiten.Unterbreitet von den Direktionsmitgliedern:WATCH TOWER BIBLE AND TRACT SOCIETY OF PENNSYLVANIAN. H. Knorr, PräsidentF. W. Franz, VizepräsidentGrant Suiter, Sekretär-KassierH. H. Riemer, stellvertretender Sekretär-KassierT. J. Sullivan, DirektionsmitgliedL. A. Swingle, DirektionsmitgliedM. G. Henschel, Direktionsmitglied"Während die WTG-Führung hier also beteuert, ihre Anhänger, die Zeugen Jehovas, würdenvöllig unschuldig bestraft, sie hätten sich nie in irgendeiner Weise politisch betätigt, sie wärenvielmehr politisch völlig neutral, nehme man die folgenden Auszüge aus der WTG- Politik zurKenntnis, die man zur gleichen Zeit betrieb, als man mit jenen Unschuldsbeteuerungen an dieSowjetregierung herantrat. In der gleichen »Wachtturm«-Ausgabe vom 15. April 1957, die diePetition veröffentlichte, höhnte die WTG über die Sowjetunion:Zitat:"STREIFLICHTER AUS DEM ROTEN PARADIESDer WACHTTURM15. April 1957 Nr. 8HalbmonatlichWenn alle Menschen wieder einen Gott anbetenGeistiger Hunger in der ChristenheitStreiflichter aus dem roten ParadiesAn die Kommunistenführer eingereichte Petition"In der parallel laufenden »Erwachet«-Ausgabe vom 22. April 1957 proklamierte die WTG dazuoffen die Vernichtung der Sowjetunion und des Kommunismus, wie die beigefügte Karikatur deszertrümmerten Staatssymbols der Sowjetunion veranschaulicht.Zitat:"GOTTES WORT TRIUMPHIERT ÜBER DEN KOMMUNISMUSWahre Christen werden von kommunistischen Führern misshandelt, aber ihr Glaube an GottesWort hält sie aufrecht. Lesen Sie den ergreifenden Bericht "Streiflichter aus dem Roten Paradies"in der Zeitschrift Der Wachtturm vom 15. April 1957. Er wird Ihren Glauben an die Bibelstärken. Senden Sie den nachstehenden Abschnitt ein. Wenn Sie diese Zeitschrift gelesen haben,wünschen Sie bestimmt auch einen Anteil an der Verbreitung der 10 000 000 Exemplare zuhaben, die von dieser Ausgabe gedruckt worden sind. Bestellen Sie außerdem einige Exemplareder vorliegenden Ausgabe von Erwachet! Bestellen Sie noch heute.Geben Sie diese aufrüttelnde Botschaft auch an Ihre Freunde weiter30 Exemplare von Der Wachtturm oder Erwachet!oder ja 15 Exemplare von beiden für 4 DM (Schweiz 5 Fr.)WACHTTURM-GESELLSCHAFT (16) WIESBADEN-DOTZHEIM AM KOHLHECK"Ebenfalls 1957 erschien der religiös-politische Leitfaden für die WTG-Verkündigung»Vergewissert euch über alle Dinge« in deutsch, worin gegen die sozialistische bzw.kommunistische Staats- und Gesellschaftsordnung vorgegangen wurde.Zitat:"VERGEWISSERT EUCH ÜBER ALLE DINGE"Der Kommunismus wird untergehen, weil er Jehovas Zeugen bekämpftRöm. 13: 2, 3 "Wer sich daher der Obrigkeit widersetzt, widersteht der Anordnung Gottes; dieaber widerstehen, werden ein Urteil über sich bringen."

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KommunismusDefinitionEine Theorie oder ein System sozialer Organisation, das sich auf den Gedanken stützt, dass allerBesitz Gemeinbesitz sei, indem das tatsächliche Eigentumsrecht dem Gemeinwesen als Ganzemzugeschrieben wird. In der Praxis ist es heute ein System, in welchem alle wirtschaftliche,religiöse und politische Tätigkeit von einem totalitären Staate gelenkt oder geleitet wird, welchervon einer einzigen politischen Partei beherrscht wird, die sich selbst an der Macht erhält. DerStaat als der Höhere neigt dazu, seine Untertanen als Untergeordnete vom Staat vollständigabhängig zu machen. Obwohl Gottlosigkeit vorgegeben wird, werden in gewissen FällenReligionen zugelassen, damit sie dem Staate unterwürfig dienen. Der Kommunismus selbst ist zueiner falschen Religion geworden, die in der ganzen Welt gepredigt wird, und dies, weil er sichBefugnisse anmaßt, die Gott gehören und dadurch das Volk veranlasst, zum Staate zur Rettungaufzublicken und ihn zu verehren statt Gott."Vergewissert euch über alle Dinge"Veröffentlicht in Englisch 1953Veröffentlicht in Deutsch 1957von derWATCHTOWER BIBLE AND TRACT SOCIETYOF NEW YORK, NC.International Bible STUDENTS AssociationBrooklyn, New York, U. S. A."Diese politische Hetze stand zudem noch im Zeichen der erst 1962/63 von der WTG selbstverworfenen Obrigkeitslehre, die Regierungen seien unrechtmäßig. Nicht im geringsten kanndaher von Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt der WTG und ihrer Anhänger, »Cäsars Dinge demCäsar zurückzuzahlen«, die Rede sein, wie zum Schluss der Eingabe an die Sowjetregierungbehauptet wird. Besagte doch diese Lehre, auch die Sowjetregierung sei keine rechtmäßigeObrigkeit für Christen. Es war also nicht Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt, sondern krasseProvokation und sinnlose Spannung, die zu der feindseligen politischen WTG-Propagandahinzukam.Gegründet auf eine unwahre Darstellung des politischen Tatbestandes und auf den Vorsatz, imKampf gegen Sozialismus und Kommunismus unbedingt fortzufahren, musste der Versuch, inden sozialistischen Ländern wieder Legalität zu erlangen, folgerichtig scheitern. Es war einunehrliches, ja heuchlerisches Unternehmen.Zeugen Jehovas als »politische Flüchtlinge«Die religiös-politische Zielsetzung der WTG erfordert, dass möglichst viele Zeugen Jehovas inden sozialistischen Ländern und vor allem in der DDR wirken, ungeachtet dernervenaufreibenden Bedingungen der Illegalität. Darum war und ist die WTG gar nicht so sehrdaran interessiert, in akute Gefahr geratene Untergrundmitarbeiter sogleich nach dem Westen inSicherheit zu bringen. Die WTG-Anhänger sind in erster Linie dazu da, die »theokratischen«Weisungen, d. h. die Befehle ihrer Organisation auszuführen und dafür unter Umständen zuleiden, nicht aber den Leiden aus dem Wege zu gehen. In der Praxis betrifft das jedoch zumeistnur die einfachen Anhänger. Anders ist es mit solchen Funktionären, die für die WTG vonWichtigkeit sind. Bei allen Mitarbeitern, die Schlüsselpositionen in der Untergrundorganisationin der DDR innehatten oder sonstwie in wichtigen Diensten standen und mit deren Festnahme zurechnen war, wurde eine Flucht nach Westberlin oder Westdeutschland unterstützt.Die WTG-Büros in Westberlin und Wiesbaden hatten zu diesem Zweck auf Grund bestimmterAbkommen mit der Politischen Polizei in Westberlin und Westdeutschland die Befugniserhalten, eigenverantwortlich Bescheinigungen auszustellen, die den aus der DDR geflüchtetenWTG-Mitarbeitern bestätigten, dass sie »politische Flüchtlinge« seien und auf Grund dessen siealle materiellen Vergünstigungen zu erhalten hätten, die die Bundesrepublik aus politischenErwägungen heraus gewährte. Mit der Einräumung des Rechtes, solche Bescheinigungen zurAnerkennung als »politischer Flüchtling« auszustellen, wird von staatlicher Seite - in diesem

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Falle von den westdeutschen Behörden - bestätigt, dass die WTG und ihre Anhänger eindeutigauch politisch tätig sind, und zwar im Sinne einer DDR-feindlichen Politik. Zugleich erweist sichdamit aufs Neue die Unwahrhaftigkeit jener »Entschließung« auf dem WestberlinerWaldbühnenkongress vom 30. Juli 1949, das Verhältnis der WTG-Anhänger zur DDRbetreffend, »Jehovas Zeugen … verharren in der durch Gottes Gesetz festgelegten Neutralitätallen politischen und weltanschaulichen Streitigkeiten dieser Weit gegenüber«. Die Zuerkennungdes Prädikats »politische Flüchtlinge« an die aus dem WTG-Untergrund in der DDR nach demWesten Geflüchteten durch die westdeutschen Behörden bestätigt es damit sozusagen von Amtswegen, was die gesamte bisherige Geschichte der WTG laufend beweist, nämlich, dass alleNeutralitätsbeteuerungen der WTG unehrlich und unwahr sind.Manchem geflüchteten Untergrundmitarbeiter mag die politische Bedeutung seinerHandlungsweise erst nach und nach in vollem Umfange zum Bewusstsein gekommen sein undgar mancher wurde durch die materiellen Vergünstigungen geblendet, die er nach»Bundesnotaufnahrneverfahren« und Anerkennung als politischer Flüchtling« erhielt. Wie diepersönliche Auffassung der Sachlage seitens der WTG-Anhänger auch immer sein mag - dieganze Angelegenheit zeigt eindeutig, dass die WTG-Untergrundorganisation in der DDR vonden militaristischen und imperialistischen Kreisen des Westens in ihrer politischen Bedeutunganerkannt und begünstigt wird und somit eine wichtige Rolle in der psychologischenKriegführung auf religiösem Gebiet gegen die DDR spielt.Die Zuerkennung des Prädikats »Politische Flüchtlinge« für Zeugen Jehovas aus der DDRerfolgte auf Grund des hier wiedergegebenen und vom Ostbüro der WTG in Westberlinausgestellten Fragebogens:Zitat:"Watch Tower Bible and Tract Societyof PennsylvaniaBerlin-Charlottenburg 9Bayernallee 49/50Berlin, den …Ich habe mich entschlossen, als Flüchtling aus der Sowjetzone Deutschlands nach Westberlinbzw. Westdeutschland zu gehen. Ich bin am … in meiner Heimatversammlung abgereist und am… in Berlin eingetroffen. Hierüber mache ich folgende Angaben: (Bitte alle Namen undAnschriften in Blockschrift schreiben. Nichtzutreffendes bitte durchstreichen.)Mein voller Name lautet … (Vor- und Zuname, Frauen auch Geburtsname)geboren am … in … Familienstand … Beruf …Meine letzte Anschrift in Ostdeutschland lautete: …Versammlung … getauft am … Dienstamt …Vor meiner Abreise habe ich mit … Rücksprache genommen und ihn über mein Vorhabeninformiert und alle von mir verwalteten Versammlungsangelegenheiten übergeben.Zu meinem Haushalt gehören:Ehefrau/Ehemann … getauft am …Kinder oder sonstige Angehörige (Name, Alter, ggf. Taufdatum) …Sie befinden sich bei mir in Berlin Ja/NeinFalls noch in der Zone verblieben, warum? …Ich selbst befand mich vom: … bis … in HaftHöhe der Strafe bei der Verurteilung …Folgende Angehörige befinden sich noch in Haft: …Der Anlass zu meinem Entschluss ist folgender: …Ich habe - bereits - noch nicht - bei den Bundesnotaufnahme-Behörden meinen Antrag aufAnerkennung als Flüchtling eingereicht.Erkundigung über mich könnt ihr bei folgenden Brüdern in Ostdeutschland einziehen: (vollerName) … (Anschrift …Nachdem Ihr über meinen Fall jene notwendigen Auskünfte erhaltet, bitte ich Euch, mir eine

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Bescheinigung für das Bundesnotaufnahmeverfahren auszustellen, in der bestätigt wird, dass ichbis zu meiner Abreise mit der Organisation von Jehovas Zeugen im aktiven Sinne verbundenwar. … (Unterschrift)Meine vorläufige Adresse in Berlin lautet: ...."Die Anerkennung der aus der DDR geflohenen Zeugen Jehovas als »politische Flüchtlinge« wardie eine Seite. Die andere war, dass solche Personen außerdem durch, sogenannteSichtungsstellen, d. h. durch die Dienststellen der westlichen Geheimdienste gingen, die mittelsBefragung der Flüchtlinge Spionagematerial über die DDR sammelten. Diese Tatsache erwecktenatürlich Unruhe unter den Geflohenen, und es kam zu einer Befragung des amerikanischenBeraters im WTG-Ostbüro, des persönlichen Sonderbeauftragten von Präsident Knorr, L. Turner,was eigentlich das Ostbüro mit dem amerikanischen Geheimdienst CIC zu tun habe. Turnerantwortete, natürlich sei es der Fall, dass jeder aus der »Ostzone« geflüchtete WTG-Anhängersich beim CIC vorstellen müsse. Doch stehe es jedem frei, die gestellten Fragen zu beantworten.Von Seiten des Ostbüros gebe es hierzu keinerlei Bedenken. Selbstverständlich könne dasOstbüro keine Verantwortung für die gemachten Aussagen übernehmen. Man müsse verstehen,dass das jedem einzelnen selbst überlassen bleibe.So wurden die Zeugen Jehovas, ob sie es begriffen oder nicht, auch auf diese Weise neben derVerbreitung ihrer verleumderischen politischen Propaganda im Rahmen der psychologischenKriegführung zur Schädigung der DDR ausgenutzt. Mögen viele einfache Zeugen Jehovas dieseZusammenhänge nicht erkannt haben, die WTG-Führung wusste von Anfang an um diepolitische Bedeutung ihrer Tätigkeit, wie das Eingeständnis von Zweigdiener Erich Frost, dieZeugen Jehovas bildeten eine »Kampforganisation gegen den Staat«, beweist.

Welche Rolle ist den Zeugen Jehovas von der WTG als Staatsbürgerzugedacht?

Der europäische Kontinent hatte durch den Zweiten Weltkrieg große Verwüstungen erfahren.Überall waren die Menschen darum bemüht, die Trümmer zu beseitigen und das wirtschaftlicheund gesellschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. Es galt dabei zugleich auchVorkehrungen zu treffen, dass speziell von Deutschland nie wieder ein Krieg ausgehen kann.Auch die WTG-Anhänger gehörten in verhältnismäßig großer Anzahl zu denen, die durch diefaschistische Kriegspolitik viel erleiden mussten. Hunderttausende packten nach dem Kriegefreiwillig zu, um alle Kriegswunden nach bestem Vermögen zu heilen. Hier durfte keinanständiger Mensch abseits stehen - auch ein Zeuge Jehovas nicht.Die Notwendigkeit des wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Wiederaufbaus imzerstörten Nachkriegseuropa ist jedoch nur ein, wenn auch entscheidendes Beispiel. Überall stehtum des physischen Daseins willen seit eh und je die Aufgabe vor den Menschen, ihrewirtschaftliche, soziale und damit politische Existenz gemeinsam zu gewährleisten. Das ist völligunabhängig von jeder religiösen Auffassung, weil es naturbedingt ist, dass die Menschen vorallen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Religion treibenkönnen. Die WTG hat diese einfache Tatsache allerdings mit ihren zahlreichen haltlosenideologischen Überwucherungen und Theorien überdeckt, so dass es die Anhänger schwerhaben, zu einer echten existentiellen Besinnung zu kommen.Was lehrt denn die WTG angesichts dieser unaufgebbaren sozialpolitischen Aufgaben allerMenschen, Christen wie Nichtchristen? Die grundsätzliche Lehre für ihre Anhänger, wie für alleanderen Menschen besagt laut »Wachtturm« vom 15. September 1963:Zitat:"15. September 1963 Der WACHTTURMWer seine Kräfte darauf konzentriert, in einer Welt, die Gott wegen ihrer Bosheit vernichtenwird, etwas aufzubauen, wird bitter enttäuscht werden. Wieviel besser, wieviel lohnender, jawieviel ermutigender ist es, doch, sein Leben dem Dienste Gottes zu widmen, wenn möglich als

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Vollzeit-Pionierprediger!"Besonders wendet sich die WTG in diesem Zusammenhang gegen die Wahrnehmung derallgemeinen sozialpolitischen Pflichten des Menschen aus christlicher Verantwortung, dabei mit»Harmagedon« drohend (»Der Wachtturm«, 1. November 1960):Zitat:1. November 1960 Der WACHTTURMWer sich an den Weltverbesserungsprogrammen dieser Welt beteiligt, also das "sozialeEvangelium" statt der guten Botschaft vom Königreich predigt, zieht sich die Feindschaft Gotteszu. Sich das "soziale Evangelium" statt der in der Bibel beschriebenen reinen Anbetung alsReligion zu wählen führt zu Nichtigkeit und Verderben. Bald wird nun Gott in Harmagedon 'dieverderben, welche die Erde verderbe' Das "soziale Evangelium" kann weder Gottes Beschlussumstürzen noch in Harmagedon Leben retten. Off. 11:18."In dem von der Wachtturm Bibel- und Traktat-Gesellschaft herausgegebenen Buch "NeueHimmel und eine neue Erde" heißt es dabei auf Seite 326:Zitat:"Auf Erden ist heute die Neue-Welt-Gesellschaft die einzige Bewegung, die wahre Aufbauarbeittut. Alle anderen die ein Teil dieser Welt sind und an ihren Plänen, Programmen und Werkenteilhaben, werden ihr Schicksal mit jenen teilen, die die Erde verderben. Sie betreiben eineTätigkeit, die mit Gottes aufgerichtetem Königreich außer Harmonie ist und durch die sie sichRuin und Verderben zuziehen am Tage des Zornes Gottes in Harmagedon.'""Der Wachtturm« vom 15. März 1962 hebt die antikommunistische Hauptangriffsrichtung derWTG noch einmal hervor (mit dem »Überrest« wird die geistige Elite der WTG-Anhänger undFührer bezeichnet ).Zitat:"15. März 1962 Der WACHTTURM"VerstärkungBis dahin konzentriert sich der Überrest des geistigen Israel (oder Jakob) aber nicht nur auf denAngriff auf die Bollwerke des Totalitarismus, der die reine Anbetung Jehovas auf Erden mitallen Mitteln auszurotten versucht. Er führt auch das ihm von Gott aufgetragene Aufbauwerkdurch, das das bedeutendste Werk ist, das heute auf Erden getan wird."Das besonders Verwerfliche an diesen Lehrsätzen ist, dass die WTG damit ihre Anhänger unterAnwendung religiöser Drohungen, also religiösen Gewissenszwanges, in eine Situationhineinbringt, die sie faktisch zu Außenseitern der Gesellschaft werden lässt; denn einegrundsätzliche Verneinung politischer Verantwortung ist Nihilismus.Wie das die WTG im konkreten Fall meint, geht aus folgender Stellungnahme zur Politik hervor("Der Wachtturm", 1. Januar 1957):Zitat:"Der WACHTTURM1. Januar 1957WIE WAHRE CHRISTEN DIE POLITIK ANSEHENLaut der Bibel geht die Antwort dahin, dass wahre Christen weder die Demokratie, denSozialismus, Kommunismus noch irgendeine andere menschliche Regierungsform als Heilmittelfür die Weltbedrängnisse befürworten oder predigen. Was Christen predigen, ist eine himmlischeHerrschaft, das Königreich Gottes, und dieses Reich ist kein Teil dieser Welt.Die Urchristen waren sorgsam darauf bedacht, sich nicht in Politik einzumischen. Sie wussten,dass Gottes Königreich dazu bestimmt ist, alle politischen Herrschaften zu vernichten, und dassjene, die Politik treiben, Feinde Gottes sind und dadurch zur Vernichtung in Betracht kommen.Ungeachtet wie viele Stimmen für die Herrscher dieses bösen Systems der Dinge abgegebenwerden, ist es zum Untergang verurteilt. Kein noch so großer politischer Feldzug, keine Zahl derNamenschristen, die sich mit Politik befassen, und keine der vielen Gebete für diese Welt, dieGeistliche oder Politiker sprechen mögen, wird sie vor der sicheren Vernichtung bewahren.Heute halten sich die christlichen Zeugen Jehovas, so wie die Zeugen Jehovas in den frühen

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Tagen des Christentums, von der Welt unbefleckt. Aus Gewissensgründen stehen sie davon ab,an der Politik dieser Welt teilzunehmen, ja selbst an Wahlen. Sie wissen, dass die politischeBeteiligung nicht nur zu nichts führen würde, sondern ihnen sogar Gottes Missbilligungeintrüge."Das heißt also: Fernhalten von jeglicher Politik! Keine rnenschliche Ordnung ist zu befürworten.Wer zur Wahl geht bzw. sich an Wahlen beteiligt, macht sich zum Feinde Gottes. Wer einöffentliches Amt bekleidet, zieht sich Gottes Missbilligung zu. Wer versucht dieLebensverhältnisse zu verbessern muss damit rechnen, dass er von Jehova vernichtet wird.Natürlich ist das in Wirklichkeit alles reichlich inkonsequent, wenn man an die Politik denkt, diedie WTG-Führung faktisch betreibt und die darauf hinausläuft, revolutionäre Denk- undHandlungsweise in ihrem Einflussbereich zu ersticken.Es fällt auf, dass die WTG hierbei in der Hauptsache mit den Urchristen und dem "KönigreichGottes" argumentiert. Bevor darauf näher eingegangen wird, soll jedoch angesichts der von derWTG gestifteten politischen Verwirrung die Frage beantwortet werden, was denn Politikeigentlich ist. Die WTG gibt sich vor ihren Anhängern den Anschein, als ob der Mensch oderChrist ohne Politik existieren könnte und müsste.Der Begriff »Politik« leitet sich her von dem griechischen Wort »polis«, die Bezeichnung für dieStadt im alten Griechenland. Politik war damit die Kunst, das Bezeichnung für gemeinsameLeben der Stadtbewohner, das sich aus den natürlichen materiellen und geistigen Bedürfnissenzwangsläufig ergab, zu ordnen und zu regeln, also eine ganz natürliche Sache, an der jederMensch interessiert ist, geht es doch um die notwendige Einordnung seiner persönlichenAngelegenheiten. Er müsste aufhören zu essen, zu trinken, zu wohnen und zu arbeiten, ja zuatmen, wollte er Politik vermeiden oder aus seinem Leben verbannen. So macht oder verursachtjeder Mensch zwangsläufig Politik, ob er will oder nicht, sogar ein unnormaler, weil seineAngelegenheiten trotzdem mitgeregelt und mitgeordnet werden müssen. Von der »polis«, derStadt, übertrug sich das zwangsläufig auf jede größere Gemeinschaft, die die Arbeitsteilung unterden Menschen im Laufe der Zeit mit sich brachte, so dass man heute Politik im nationalen undim internationalen Maßstab betreiben muss. Natürlich wird die Politik damit komplizierter undweitreichender, aber am Sinn der Sache ändert sich nichts. Sie bleibt der natürlichste Ausdruckindividueller und gemeinschaftlicher menschlicher Existenz. Der Gegenstand der Politikveranschaulicht das. So muss man Regelungen schaffen und Ordnung halten - also Politik treiben- in Familienfragen, in Schulfragen, in Finanzfragen, in Wirtschaftsfragen, in Rechtsfragen, inKirchenfragen, im Arbeitsleben usw. Wie sollte sonst das Leben in einem Dorf, in einer Stadtoder in einem Land möglich sein?Im Grunde genommen sind das alles Binsenwahrheiten und einfachste Tatsachen, dienatürlicherweise jedem Menschen einleuchten und ihn seine politische Mitverantwortung imgesellschaftlichen Leben erkennen lassen. Es muss allerdings eingeräumt werden, dass im Laufeder Zeit auch viel falsche, schädliche und verbrecherische Politik getrieben worden ist. Doch nur,wer dadurch die Übersicht verloren hat, verwirrt wurde oder scheiterte, kann nun das Kind mitdem Bade ausschütten und alle Politik verwerfen, aber trotzdem weiter, essen, trinken, wohnen,arbeiten und atmen wollen. Denn das Leben geht weiter. Man muss dann eben die Dinge richtigregeln und ordnen, also richtige Politik treiben. Aber hier hakt die WTG mit weiterer Verwirrungund falscher, ja verbrecherischer Politik ein, wie ihre politische Geschichte beweist. Darum giltes, die Politik der WTG zu durchschauen, um die eigene, natürlich bedingte politischeMitverantwortung zu erkennen.Zur Argumentation der WTG, auch die Urchristen hätten sich nicht mit Politik befasst, mussfestgestellt werden, dass die WTG hier ebenfalls die Unwahrheit verbreitet. Die Evangelien derBibel sagen etwas ganz anderes bezüglich der Stellung der Christen zu Staat und politischerVerantwortung.Auch zur Zeit des Urchristentums trugen Christen politische Mitverantwortung im Staate. So warz. B. der Hofbeamte, politische Würdenträger und Schatzmeister der äthiopischen Königin eingetaufter Christ. Der von Apostel Petrus getaufte Hauptmann Cornelius war zugleich

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Kommandeur einer römischen Militärabteilung in Cäsarea. Auch der römische StatthalterSergius Paulus war Christ, desgleichen der Stadtkämmerer oder Kommunalpolitiker Erastus.(Apostelgeschichte 8: 26-39, 10: 1-48, 13: 4-12, Römer 16:23) So haben sich die Urchristen alsosehr wohl mit Politik befasst und politische und militärische Ämter bekleidet, denn in der Bibelist das »Königreich Gottes« oder »Königreich der Himmel« nicht in Gegensatz zur irdischenStaatsordnung gesetzt, so dass Christen Feinde des Staates und Feinde politischer Verantwortungsein müssten. Auch Cornelius, Sergius Paulus und Erastus waren, ungeachtet ihrer politischenFunktionen nach dem Evangelium »Bürger« des »Königreichs der Himmel«. (Philipper 3:20) Siewaren laut Bibel mit ihrem »himmlischen Bürgertum« nicht im Widerspruch zu ihrerstaatsbürgerlichen Verantwortung.Auch WTG-Präsident Russell ließ diese christlichen Grundsätze gelten. So konnten die ZeugenJehovas oder Bibelforscher zu seiner Zeit sich sowohl an Wahlen beteiligen als auchMilitärdienst leisten. (Schriftstudien Band 6, Die Neue Schöpfung, WTG 1904, Magdeburg1926, S. 590, 591) Die Feindschaft gegenüber politischer Mitverantwortung der Zeugen Jehovasim gesellschaftlichen Leben kam erst durch die Irrlehren des WTG-Präsidenten Rutherfordhinsichtlich der Obrigkeiten sowie durch die Lehre auf, seit der angeblichen Wiederkunft Christi1914 »im Himmel« - womit das »Königreich der Himmel« aufgerichtet sei - sei keine politischeOrdnung oder Regierung mehr rechtmäßig vor Gott in Amt und Funktion. Damit setzt sich dieWTG jedoch über den biblischen Grundsatz hinweg, nicht über das Urchristentumhinauszugehen. (1. Korinther 4:6) Es gehörte - wie bereits dargelegt wurde - zu Rutherfordspolitischer Aufgabe, die Bibel so auszulegen, dass der christliche Bürger weitestgehend politischunmündig wird oder bleibt um zu helfen, die revolutionären demokratischen Entwicklungen seitdem Ersten Weltkrieg »einzudämmen« (Warburg).Der Hauptangriff der verantwortungslosen staatsbürgerlichen WTG-Propaganda richtet sichschließlich entsprechend der Rolle der WTG in der imperialistischen psychologischenKriegführung unter den Christen gegen die politische Mitverantwortung des Christen alsStaatsbürger in der DDR und den anderen sozialistischen Ländern. So wird den Propagandistenoder Verkündigern der WTG z. B. beigebracht, der Kommunismus tarne sich nur als ein sozialesund politisches System, er sei aber in Wirklichkeit eine zu bekämpfende falsche Religion. (»DerWachtturm«, 1. Oktober 1960):Zitat:"Der Kommunismus - eine falsche ReligionDer WACHTTURM1. Oktober 1960eine Hierarchie von Priestern und Funktionären, die mit den zeremoniellen Riten undProtokollen betraut sind, eine Reihe von Mysterien und Einweihungsriten - all das und nochmehr vervollständigt das Bild unverkennbar und lässt das, was als ein soziales und politischesSystem getarnt wird, in Wirklichkeit als eine mit allen Einzelheiten ausgestattete Bona-fide-Religion erkennen. Wenn wir diesen wahren Charakter des Kommunismus kennenlernen undPunkt für Punkt seine ÜbereinstimmungVERLAG UND DRUCK: WACHTTURM BIBEL- UND TRAKTAT-GESELLSCHAFTDeutscher Zweig e. V., WiesbadenVerantwortliche Redaktion: Erich Frost, Wiesbaden"Sie werden alle von Jehova gelehrt sein." - Johannes 6:45, NW; Jesaja 54:13"So wird von vornherein bei den angesprochenen Menschen unter Missbrauch religiöserBindungen jede gesellschaftliche Mitverantwortung in der sozialistischen und kommunistischenGesellschaftsordnung zu verhindern versucht. Wo sie vorhanden ist, wirkt die WTGVerkündigungauf deren Zerstörung hin.Eine andere Methode ist die Entstellung der Zielsetzung der revolutionären sozialenVeränderungen, so dass sich jedermann angewidert und voll Furcht von ihnen fernhält ( z. B. derAuszug aus dem »Wachtturm« vom 15. Januar 1964).Zitat:

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"15. Januar 1964 Der WACHTTURMRadikale Gruppen sind entstanden, die mit den Verhältnissen auf Erden, wie sie in denvergangenen Jahrtausenden unter den traditionellen, von der Religion beeinflussten politischenRegierungen geherrscht haben, unzufrieden waren. Diese brandeten an die scheinbar sicherenRegierungen wie wilde Meereswogen an felsige Küsten oder Landzungen. Seit dem Jahre 1914n. Chr. haben sie gewaltige Revolutionen, große politische Umstürze herbeigeführt, und jetztdrohen sie, die Weltherrschaft zu erringen. Sie integrieren erfolgreich, um die Weltverhältnissein einem wirren, unsicheren, besorgniserregenden Zustand zu erhalten, aber Leben können sieden Menschen nicht geben. Es ist eine politische Bewegung des Todes, so leblos wie das Bluteines Toten, das ausgeflossen und geronnen ist. Jeder, der von dieser politischen Bewegungmitgerissen wird, stirbt. - Offb. 16: 3 NW."Ein Höhepunkt der politisch verantwortungslosen WTG-Verkündigung im Jahre 1965 war eineRechtfertigung und Verteidigung des verbrecherischen Krieges der USA gegen dasvietnamesische Volk. Unter der Oberschrift »Vietnam, ein gefährliches Pulverfass« nahm dieWTG in »Erwachet« vom 22. September 1965 in ihrer bewährten »neutralen« Art zu denGründen der USA-Intervention Stellung: »Jetzt gehört zu den Verbindlichkeiten der Amerikanerein ständig wachsender Anteil an dem Krieg gegen die Rebellen, die von den Südvietnamesenmissbilligend als Vietcong bezeichnet werden …Die Furcht davor, dass sich der Kommunismus über Asien ausbreiten wird, ist der Hauptgrund,aus dem sich die Vereinigten Staaten so weit in den Vietnamkonflikt eingelassen haben …Eine wirkliche Bedrohung ist die Ausbreitung des Kommunismus in Ländern, die unbeliebte,korrupte Regierungen haben und deren Bevölkerung in bitterer Armut lebt. Das ist in Vietnamein Problem gewesen … Die Vereinigten Staaten sind entschlossen zu verhindern, dassSüdvietnam kommunistisch wird, und sie sind bereit, die dafür erforderlichen Truppen dorthin zuschicken …Das Vietnamproblem hat bestimmt zwei Seiten. Es ist gut, sie beide zu kennen. Ungeachtet,welche Ansicht jemand in dieser Sache vertreten mag, bleibt die schreckliche Tatsache bestehen,dass der Krieg in Vietnam wie eine Flamme an der Zündschnur eines Pulverfasses ist, dessenExplosion die Welt vernichten könnte."«Wo steht die WTG-Führung in diesem Krieg? Zwar ist sie militärisch unbeteiligt, aber politischhat sie eindeutig Partei ergriffen. Die Einheiten der nationalen BefreiungsbewegungSüdvietnams als »Rebellen« zu bezeichnen, das ist auch der Standpunkt der USA-Regierung. DieWTG spricht weiter von einer »wirklichen Bedrohung« durch die »Ausbreitung desKommunismus«. Damit steht sie ebenfalls mit der USA-Regierung auf dem gleichenStandpunkt. Schließlich wären es doch die USA-Truppen in Südvietnam, die es der WTG durcheinen militärischen Sieg ermöglichen würden, dort weiter ihre antikommunistischeVerkündigung zu betreiben. Die WTG-Anhänger in Südvietnam müssten es demgemäß geradezuals eine »Überwaltung« oder als »Befreiungsakt« Jehovas betrachten, dass die USA entschlossensind, ihre Truppen in Vietnam zu belassen. Kein Wort des Protestes findet die WTG-Führunggegen diesen Mordfeldzug der USA, der in der modernen Geschichte ohne Beispiel ist, währendinzwischen die ganze humanistische Weltöffentlichkeit ihre Stimme erhoben hat, auch in denUSA, wo z. B. der Negergeistliche und Bürgerrechtskämpfer Dr. Martin Luther King, der am 4.April 1968 in Memphis, USA, ermordet wurde, an der Spitze einer solchen Protestbewegungstand. Die WTG aber führte ihre Anhänger politisch an die Seite der amerikanischenAggressoren, wie ihre Stellungnahme beweist. Bei ihrer schon 1879 proklamierten Politik, vorder »Gefahr des Kommunismus« zu warnen, muss sie zwangsläufig auf die verbrecherischen,den Volkswillen missachtenden Positionen der USA-Politik in Vietnam absinken.Hier folgt ein entsprechender Auszug aus der Stellungnahme der WTG in »Erwachet« vom 22.September 1965, zur illegalen Verbreitung in der DDR als Fotokopie vervielfältigt:Zitat:"VIETNAM ein gefährliches Pulverfass22. September 1965 Nr. 18

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Die Rolle der Vereinigten StaatenDie Vereinigten Staaten begannen sich nach dem Zweiten Weltkrieg für die Probleme inVietnam zu interessieren, als die Franzosen versuchten, die kommunistischen Vietminh zubekämpfen. Durch die Franzosen leisteten sie den Südvietnamesen militärische undwirtschaftliche Hilfe. Als dann die Franzosen abzogen, setzten die Vereinigten Staaten ihre Hilfefort und erweiterten ständig ihren Einfluss im Lande. Jetzt gehört zu den Verbindlichkeiten derAmerikaner ein ständig wachsender Anteil an dem Krieg gegen die Rebellen, die von denSüdvietnamesen missbilligend als Vietcong bezeichnet werden.Über diese Frage der Beliebtheit berichtet Drew Pearson in dem in Honolulu erscheinenden Star-Bulletin vom 24. August 1965: "Als man Sergeant Eddie Anderson aus Kansas-City, der inVietnam verwundet wurde die Frage stellte, was dort die grundlegende Schwierigkeit sei,antwortete er: "Ich denke, die Vietcong sind beim Volk des Landes beliebter als die unsrigen."Das ist seit langem so ziemlich das offenste Urteil aus Südostasien, das abgegeben wurde.Andere bruchstückartige Informationen zeigen an, dass es die Wahrheit ist.Die Furcht davor, dass sich der Kommunismus über Asien ausbreiten wird, ist der Hauptgrund,aus dem die Vereinigten Staaten so weit in den Vietnamkonflikt eingelassen haben.Eine wirkliche Bedrohung ist die Ausbreitung des Kommunismus in Ländern, die unbeliebte,korrupte Regierungen haben und deren Bevölkerung in bitterer Armut lebt. Das ist in Vietnamein Problem gewesen. Die Zeitschrift U. S. News & World Report vom 11. Januar 1965bemerkte, dass eines der Probleme in Asien die "Armut" ist, "eine Armut, die nirgendwo in derWelt ihresgleichen hat, eine Armut, die so bedrückend ist, dass Statistiken über dasFamilieneinkommen bedeutungslos sind … Wenn wir keinen Weg ausfindig machen, um denAsiaten wirklich zu helfen, geraten wir in eine Schwierigkeit schlimmster Art. Wir werdenimmer reicher und sie immer ärmer."Die Vereinigten Staaten sind entschlossen zu verhindern, dass Südvietnam kommunistisch wird,und sie sind bereit, die dafür erforderlichen Truppen dorthin zu schicken.Das Vietnamproblem hat bestimmt zwei Seiten. Es ist gut, sie beide zu kennen. Ungeachtet,welche Ansicht jemand in dieser Sache vertreten mag, bleibt die schreckliche Tatsache bestehen,dass der Krieg in Vietnam wie eine Flamme an der Zündschnur eines Pulverfasses ist, dessenExplosion die Welt vernichten könnte."ERWACHET!"Insgesamt konzentriert sich die WTG-Politik der systematischen Untergrabung des Vertrauensund der Mitarbeit im Rahmen der sozialistischen Gesellschaft in besonderer Weise nach wie vorauf die DDR. In fanatischem Antikommunismus sucht die WTG in ihrem Einflussbereich unterden Christen jede normale staatsbürgerliche Haltung und jede bewusste Mitarbeit beim Aufbauder sozialistischen Gesellschaftsordnung zu verhindern oder zu unterbinden, indem sie offenpropagiert, man solle die Vernichtung der DDR-Regierung abwarten. Man lese folgendenAuszug aus dem »Wachtturm« vom 15. Februar 1 965, S. 110:Zitat:"WACHTTURM15. Februar 1965 Nr. 4HalbmonatlichWie David mögen aber auch sie jahrelang warten müssen. Die Zeugen Jehovas inOstdeutschland mussten zuerst auf das Ende der Naziherrschaft Hitlers warten, und jetzt müssensie das Ende der neuen totalitären Regierung abwarten, die die Naziregierung ablöste, das Endeder kommunistischen Regierung, die von dem zur Zeit von Breschnew beherrschtenSowjetrussland abhängig ist. Wie lange sie noch auf ihre Befreiung warten müssen, wissen wirnicht, aber sie sind entschlossen, zu warten, bis Jehova sie befreit."Der Hinweis auf das Ende des Nazisystems in diesem Zusammenhang zeigt, dass, die WTG aufeine militärische Vernichtung der DDR hofft, ihre Hoffnung also auf den westdeutschenMilitarismus gerichtet ist und seine Unterstützung durch die USA. Es würde die WTG lediglicheine neue Bibelauslegung kosten, eine »Befreiung der Ostzone« und ihrer illegalen Organisation

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als »Überwaltung durch Jehova« oder ähnliches hinzustellen, wie das in der Vergangenheitschon oft geschah.Die Propaganda der WTG macht klar, dass diese Organisation zu den reaktionärsten religiösenGruppen gehört, die nach wie vor auf die Strategie der imperialistischen psychologischenKriegführung setzen, die sozialistische Entwicklung in Mitteleuropa eines Tages doch noch»zurückrollen« zu können. Das ist der politische Inhalt der »staatsbürgerlichen« Erziehung, diedie WTG im Rahmen ihrer religiösen Verkündigung betreibt und die darauf hinausläuft, jedenWiderstand gegen die imperialistische Politik in ihrem Einflussbereich zu untergraben.Nach dem Willen der WTG-Führung und ihrer politischen Hintermänner in den herrschendenKreisen der USA, die sich darin einig scheinen, auf das »Ende der kommunistischen RegierungOstdeutschlands« oder auf »das sichere Ende der Zonenmachthaber« zu harren und hinzuwirken,soll es bei der erklärten Rolle ihrer Anhängerschaft als Untergrundorganisation in der DDR undden anderen sozialistischen Ländern bleiben, in Verbindung mit den sogenannten Endzeitlehren»Bollwerke gegen den Kommunismus« zu errichten. Es ist dies ein politischer Missbrauch desreligiösen Glaubens, der als ein warnendes Beispiel unter den christlichen Kirchen undReligionsgemeinschaften dasteht. Die WTG hat sich auf diese Weise zu ihrem eigenenVerhängnis in die Front der Feinde des gesellschaftlichen Fortschritts eingereiht. Fährt sie fort,der imperialistischen Ostpolitik willfährig zu sein, so wird es nichts anderes geben, als dass siesamt ihrer religiös-politischen Endzeitillusionen eines Tages auf dem Müllhaufen der Geschichteendet wie zahlreiche Bewegungen ähnlicher Art vor ihr - die geschichtliche Entwicklung istunaufhaltsam.

Rückschau

Wer die Vergangenheit nicht kennt kann die Gegenwart nicht begreifen und die Zukunft nichtgestalten; das ist ein Erfahrungsgrundsatz für das ganze Leben und für alle Entscheidungen. Dadas Thema der vorliegenden Studie, die Rolle der WTG, in hohem Maße gesellschaftspolitischenCharakter hat gilt dieser Grundsatz auch für die Entscheidungen, die im Falle der WTG getroffenwerden müssen. Nur wenn man ihre Vergangenheit kennt, ist es möglich, ihre gegenwärtigeTätigkeit richtig einzuschätzen und zu beurteilen.Um es zu erleichtern, aus den dargelegten Tatsachen und Zusammenhängen um die WTG dierichtigen Schlussfolgerungen zu ziehen, sollen zum Abschluss noch einmal die Schwerpunkteder vorliegenden Untersuchung vor Augen geführt werden, gleichsam als Rückblick auf dasverantwortungslose religiöse und politische Werk der WTG, das nicht die geringsteUnterstützung eines aufrichtigen Christen verdient. Zunächst die wesentlichen, mehr oderweniger religiösen Gesichtspunkte.Die Endzeitaussagen der Bibel sind nicht im Hinblick auf Erfüllung in einer Generation derheutigen Zeit geschrieben, sondem ausschließlich für die urchristliche Generation vorneunzehnhundert Jahren. Jede Behauptung einer biblisch begründeten »Zeit des Endes« heutemuss sich darum früher oder später als Illusion erweisen. Die WTG-Geschichte ist ein Beweisdafür. Die beiden bisherigen WTG-Berechnungen einer angeblichen Zeit des Endes heute - 1799und 1914 - wurden demgemäß durch willkürliche Anwendung eines Tag-Jahr-Gleichnisses derBibel erstellt.Die Nordköniggeschichte aus dem Buch Daniel der Bibel wurde von der WTG schon dreimalhaltlos ausgelegt neuerdings antikommunistisch, wobei man die erste Auslegung auf Napoleonverschweigt um die Unglaubwürdigkeit zu vertuschen.Eine angebliche Wiederkunft Christi wurde von der WTG schon zweimal errechnet 1874 und1914, wobei wieder Bibelstellen zitiert werden, die mit derartigen Berechnungen nichts zu tunhaben.Wider besseres Wissen hat die WTG sodann durch eine Falschauslegung der Bibellehren über

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die Obrigkeiten das Verhalten der Zeugen Jehovas zu Staat und Regierungen jahrzehntelang aufkrasseste Weise sinnlos fanatisiert und vergiftet und unsinnige Leiden über viele gebracht einzigund allein aus eigenen, Machtgelüsten, selbst Obrigkeit sein zu wollen.Das sogenannte Fürsten-Zeichen der Zeit liegt bereits in der vierten Fassung vor undveranschaulicht ebenfalls die völlige Unglaubwürdigkeit der WTG-Endzeitvorstellungen.Das letzte Buch der Bibel, die Offenbarung, wurde schon dreimal in völlig sichwidersprechender Weise endzeitlich gedeutet jedesmal angeblich unter Leitung Gottes. Damit istersichtlich, dass auch dieses Bibelbuch keine Voraussage Gottes auf heutige gesellschaftlicheVerhältnisse enthält.Über den Ausbruch des sogenannten Krieges von Harmagedon als Abschluss der angeblichenheutigen Endzeit liegt schon die fünfte Bibelauslegung vor, jetzt auf 1975 orientiert. Hiermitoffenbart die WTG zugleich eine barbarische und unmenschliche Gesinnung der IntoleranzAndersdenkenden Menschen gegenüber, was an die Inquisition des Mittelalters erinnert.Trotz dieser Tatsachen versucht die WTG immer wieder aufs Neue, das religiöspolitischeEndzeitspiel fortzusetzen, das faktisch zu einem Hasardspiel geworden ist, womit schließlich nurnoch äußerst leichtgläubige Menschen zu täuschen sind.Aber nicht nur die ausschlaggebenden Bibelauslegungen erwiesen sich als unhaltbar,illusionistisch und verwerflich. Das gleiche gilt auch für das politische Treiben der WTG. Diepolitischen Zusammenhänge enthüllten, dass das Endzeitspiel in erster Linie um politischerInteressen willen weitergespielt wird, die sich auf die Beeinflussung religiöserBevölkerungskreise im Sinne der imperialistischen psychologischen Kriegführung richten. Dabeispielt jedoch auch die Eigendynamik, des einmal errichteten Machtapparates der WTGOrganisationkeine unwesentliche Rolle.Die Politik der WTG in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens war sehr nützlich gegen dasAufbegehren hungernder und durch die kapitalistische Ausbeutung ruinierter Menschen. Sie warhervorragend geeignet, revolutionäre Strömungen besonders unter Christen ersticken zu helfenoder in ungefährliche Bahnen abzulenken, in tatenloses Hoffen und Harren auf dieWTGEndzeitillusionen.Dann kam die große Zeit der WTG im Dienste des politischen Zionismus, jene Woge, die dieWTG international emporhob, rund vierzig Jahre lang für die behauptete Endzeit das angeblichwichtigste »Zeichen der Zeit«. Man denke an die 206 Knochen und die Teilnahme desWTGDirektorsA. H. Macmillan in Vertretung von WTG-Präsident Rutherford an der erstenDampferfahrt nach Palästina im Jahre 1925. In dieser Sache trat zutage, wie die WTG-Führungvon bestimmten Kreisen des amerikanischen Großkapitals gekauft worden war.Der skrupellose Kampf des ehemaligen amerikanischen Staatsanwalts J. F. Rutherford um dieMacht in der WTG offenbarte die völlige Unglaubwürdigkeit ihrer Dogmen von der angeblichgöttlichen Leitung und Überwaltung der WTG-Organisation. Rutherford entpuppte sich als einVertrauensmann der USA-Regierung, um die WTG im Ersten Weltkrieg vor demZusammenbruch zu bewahren und künftig endgültig den Zielen der psychologischenKriegführung der USA dienstbar zu machen.Die Enthüllungen über die Funkanlage im WTG-Hauptbüro in New York während des ErstenWeltkrieges zeigten, dass die WTG auch in das Spionagesystem des imperialistischenGroßkapitals einbezogen worden ist.Dann wurde die Zusammenarbeit der WTG mit dem USA-State Department (Außenministerium)in Washington aufgedeckt. Schwerpunkt dabei war der psychologische Einsatz der WTGzusammen mit anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften gegen die revolutionäreEntwicklung speziell in Deutschland, aber auch die Orientierung des USA-Kapitals auf Hitler.Man denke an den Hitlerverteidiger von 1924 als Rechtswahrer des deutschen WTG-Zweigbürosin Magdeburg. Das USA-State Department ist eine Hauptinstitution für Nachrichtentätigkeit undpsychologische Kriegführung.Ein besonderer Ausdruck der politischen Gewissenlosigkeit der WTG war die Begünstigung der

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nazistischen Machtergreifung 1933 in Deutschland, verbunden mit einer profaschistischen undantisemitischen Haltung und Propaganda. Dabei traten die WTG-Präsidenten Rutherford undKnorr hauptverantwortlich in Erscheinung. Der Betrug, die Führung der Zeugen Jehovas in denUSA sei die Vertretung Gottes auf Erden, kam in ganz besonderer Weise in eben dieser Haltungzur faschistischen Machtergreifung und in der Rolle der deutschen WTG Führer als Werkzeugder Gestapo in der Nazizeit zum Ausdruck.Erschreckend trat sodann die Manipulierbarkeit der Zeugen Jehovas bis hin zur Ausnutzung fürverbrecherische politische Ziele zutage. Das zeigte sich in der Einfalt, mit der WTG-Anhängerim Konzentrationslager Ravensbrück z. B. die Pläne des SS- und Gestapo-Chefs Himmler zuverwirklichen begannen, Ausgangsbasen zu schaffen, um später die faschistischeBesatzungspolitik in einer eroberten Sowjetunion sichern zu helfen. Es wurde gezeigt, in weicherWeise diese Einfalt heute in Richtung Osten ausgenutzt wird.Dann kam die Neugründung des deutschen WTG-Zweiges als »Bollwerk gegen denKommunismus« 1945/46 in Magdeburg, verbunden mit Irreführung, Verlogenheit und Betrugsowohl gegenüber den WTG-Anhängern selbst als auch gegenüber den damaligen deutschen undsowjetischen Behörden.Ein Höhepunkt des Missbrauchs religiöser Einsatzbereitschaft war die Neuerrichtung desNachrichtenwesens der WTG nach 1945 in Zusammenarbeit mit der amerikanischenMilitärregierung in Westdeutschland. Die als »theokratisch« hingestellten WTG-Anweisungenreichten hier bis in das Gebiet der Sammlung von Nachrichten. Wieder trat zutage, wie die WTGihre Anhänger in Dinge verwickelt, deren verbrecherische Tragweite von ihnen überhaupt nichtzu überschauen ist, während sich die WTG-Führer im Machtbereich ihrer politischenHintermänner in Sicherheit halten.Dann wurde aufgezeigt, wie die WTG erneut in die amerikanische Strategie, in denpsychologischen »Krieg gegen den Kommunismus« einbezogen und wie die WTGVerkündigunggleichlaufend mit der Verschärfung dieser amerikanischen Kriegführung immeraggressiver antikommunistisch ausgerichtet wurde. Bei der Einsetzung des neuen deutschenWTG-Zweigdieners sah man im Hintergrund erneut die Hand des USA-State Departments.Höhepunkt dieser Entwicklung war 1950 die Änderung des WTG-Dogmas über Religion, um dieantikommunistische Politik und Hetze religiös bemänteln zu können.Schließlich kam es 1950 zum Verbot der WTG und Zeugen Jehovas in der DDR, eineEntwicklung der Dinge, die hätte abgewendet werden können. Aber im Interesse derimperialistischen Pläne zur »Befreiung der Ostzone« schien eine »Christenverfolgung« in derDDR zweckmäßiger um diese international zu diffamieren. Es wurde erörtert, wie man dieZeugen Jehovas dafür opferte, sie aber bis heute in dem Glauben hält, sie würden allein verfolgt»um ihres Glaubens willen«, um sie weiter für die DDR-feindliche WTG-Politik zumissbrauchen. Die politische Raserei der WTG-Führung nach dem Verbot bestätigte dieseTatsache. Nun beginnt die nach Methoden westlicher Geheimdienste organisierteWTGUntergrundtätigkeitin der DDR und anderen sozialistischen Ländern. Unter Mißachtung auchder Bibel, die dem Christen derartige Hinterhältigkeiten, derartigen »Wandel in List« verbietetdie vielmehr gebietet, sich der gesellschaftlichen Ordnung einzugliedern, werden dieverschiedensten gesetzwidrigen und betrügerischen Methoden angewandt um die Tätigkeitfortsetzen zu können. Ihr politischer Ausdruck wurde immer schärferer Hass, immerskrupellosere Verleumdung.Mit ihren Diffamierungen ist die WTG schließlich bis auf das Niveau der verbrecherischenPropaganda der SS-Schergen gesunken. Berechtigterweise wurde die Frage gestellt, was das fürChristen sind, deren politische Denkweise kaum von der Gesinnung der faschistischen SS undGestapo zu unterscheiden ist.Zu dem gesetzwidrigen Treiben der WTG-Untergrundbewegung gehörte auch der organisierteGeldschmuggel aus der DDR nach dem Westen. Das war nicht nur Ausdruck der unchristlichenRachsucht der WTG, die sie selbst eingestand. Sie beteiligte sich damit auch an den

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Schädigungen und Ausplünderungsmethoden im Zuge des westlichen Wirtschaftskrieges gegendie DDR und leistete auf ihre Weise den revanchistischen Alleinvertretungsansprüchen derwestdeutschen Regierung Vorschub. Der Geldschmuggel veranschaulichte auch, wie dieBibelauslegungen der WTG kriminelle Handlungen begünstigen. Wurde doch dieser Schmuggelu. a. durch die bis 1962/63 gepredigte WTG-Lehre sanktioniert, die politische Regierung desLandes sei keine im Sinne der Bibel zu respektierende Obrigkeit.Die Versuche der WTG-Führung in den Jahren 1956/57, wieder Legalität in den sozialistischenLändern zu erlangen, während sie ihre psychologische Kriegführung unvermindert ja verschärftfortsetzte, enthüllten ein weiteres Mal das heuchlerische Menschenwerk der sogenanntenVertreter Gottes auf Erden. Während man beteuerte, in keiner Weise politisch zu sein,proklamierte man u. a. mit einem zerbrochenen Symbol von Hammer und Sichel zugleich dieVernichtung der Sowjetregierung und des Kommunismus - eine antisowjetische Hetze, die manfür so zugkräftig hielt, dass man davon eine Auflage von 10 Millionen Exemplaren druckte.Die Aufmerksamkeit galt sodann einem besonderen Politikum, der Anerkennung der aus derDDR nach Westdeutschland geflüchteten WTG-Untergrundarbeiter als »politische Flüchtlinge«.Damit ist auch westlicherseits von Amts wegen erwiesen, dass die WTG in den sozialistischenLändern in der Hauptsache politische Bedeutung hat, und zwar im Rahmen derantikommunistischen psychologischen Kriegführung.Die Rückschau sei beendet mit einem Blick auf die Rolle, die die WTG-Anhänger schließlich instaatsbürgerlicher Hinsicht in der Praxis spielen. Es wurde gezeigt, in welch heuchlerischerWeise die WTG ihre Anhänger davon abzuhalten versucht, sich, ihrer natürlichen politischenMitverantwortung im gesellschaftlichen Leben als Staatsbürger bewusst zu werden und sichehrlich und überzeugt für die Schaffung und Erhaltung demokratischer und sozialistischerLebensverhältnisse einzusetzen, wie sie versucht, systematisch sind immer aufs Neue dasVertrauen in die demokratische und sozialistische Staatsordnung zu untergraben und zuzerstören. Die WTG-Verkündigung insbesondere seit 1966, die Zeugen Jehovas in»Ostdeutschland« sollten um ihrer »Befreiung« willen das »Ende der totalitärenkommunistischen Regierung« abwarten, beweist, dass die WTG auch weiterhin politisch imDienste der reaktionärsten imperialistischen Kreise steht die ihre Absicht, den Sozialismus inDeutschland zu vernichten, noch immer nicht aufgegeben haben.Mit dem wider alle imperialistischen Pläne fortschreitenden Aufbau des Sozialismus dagegensind alle Kirchen und Religionsgemeinschaften hineingestellt in einen sozialen Umbruch vonhistorischer Tragweite. Eine Neuorientierung der Christen geht allenthalben vonstatten. VieleTraditionen und Bindungen, müssen da abgebrochen werden. Auch die WTG und ihre Anhänger,die Zeugen Jehovas, stehen in diesem Umbruch. Aber sie haben in der sozialistischenGesellschaft nur eine Zukunft, wenn sie sich aus der Unterwerfung unter die Interessen desKapitalismus lösen und so wahrhaft frei würden. Diesen Weg will oder kann die WTG-Führungoffensichtlich nicht gehen. Doch die Entwicklung erzwingt die Entscheidung. Der Ausweg fürdie Zeugen Jehovas angesichts der WTG-Illusionen und der damit verbundenen verwerflichenPolitik besteht allein in der Besinnung auf die eigene Verantwortung und auf die Möglichkeitenchristlichen Lebens in der sozialistischen Gesellschaft.

Der Christ und seine soziale Verantwortung

Die Geschichte der WTG hat in religiös-weltanschaulicher wie in politischer Hinsicht in demwas die Zeugen Jehovas im eigentlichen charakterisiert, ein völlig unglaubwürdiges undhaltloses Menschenwerk offenbart, das man politisch zu einem Instrument antikommunistischerpsychologischer Kriegführung gemacht hat. Der religiöse Inhalt ihrer Lehren bleibtdemgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Nicht die Religion, sondern die politischeKonzeption bildet das Wesen dieser Gemeinschaft. Aus der Unhaltbarkeit der WTGAnschauungenund der Verantwortungslosigkeit der WTG-Politik ergibt sich für jeden

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aufrichtigen Christen die grundsätzliche Erkenntnis, dass man die WTG und ihr Werk unmöglichals ein Werk Gottes oder auch nur als eine ernst zu nehmende echte Religionsgemeinschaftansehen kann. Das Christentum wird hier missbraucht.Es ist in Wirklichkeit nie anders gewesen, als dass der Mensch, ungeachtet seines religiösenGlaubens ein Teil der Gesellschaft ist und aktiv an deren Gestaltung teilnimmt. Das ist auch beiuns so. Die Haltlosigkeit aller bisherigen Bibeldeutungen insbesondere derjenigen der WTG,bestätigt das im Blick auf das Christentum, in drastischer Weise. Was wäre z. B. geschehen,hätten die verantwortlichen Politiker auf die von der WTG seit 1874 in die Welt gesetztenWeltende-Theorien gehört und es unterlassen, das gesellschaftliche und soziale Leben zugestalten, zu verändern oder zu verbessern? Der Mensch ist seiner Natur nach ein soziales unddamit politisches Wesen. Es ist unnötig, zu betonen, dass das auch auf jeden Christen zutrifft.Die sozialen Bedürfnisse des Menschen, seine materiellen und geistigen Bedürfnisse - Nahrung,Kleidung, Obdach, Arbeit Handel, Wirtschaft, Volksbildung, Wissenschaft, Forschung,Gesundheitswesen, Gesetz und Ordnung lassen es einfach nicht zu, die Hände in den Schoß zulegen und auf ein Weltende oder göttliches Eingreifen zu warten. Täten das alle, so würde jedesgesellschaftlich Leben als Volk, Staat und Nation zusammenbrechen und in Anarchie versinken.Natürlich kann eine Minderheit, wie etwa die WTG-Anhängerschaft, eine Zeitlang dieseSelbstverständlichkeit leugnen und die grundsätzliche Mitverantwortung jedes einzelnen imgesellschaftlichen Leben verneinen und so die Dinge für sich auf den Kopf stellen. Denn dieMehrheit sorgt schließlich für die Aufrechterhaltung und Fortentwicklung des gesellschaftlichenLebens, auch zum Nutzen jener politisch kopfstehenden Minderheit. Es kann aber wederhingenommen noch akzeptiert werden, das gesellschaftliche Leben mit solchen nihilistischenDoktrinen zu durchsetzen. Das wäre nicht nur politisch verantwortungslos, sondern auchunchristlich. Nur Narren können darauf vertrauen, dass vom Himmel her die sozialen Fragen aufErden gelöst werden.Allerdings besteht ein Interesse an der Verbreitung der nihilistischen WTG-Doktrinen,denenzufolge jede politische Mitverantwortung abzulehnen ist. Diese Interessenten sind dieFeinde jeglichen Fortschritts, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit, die Vertreter desinternationalen Monopolkapitals, die das Volk überall beherrschen und manipulieren möchten.Nur ihnen ist die WTG-Tätigkeit untergeordnet und deshalb nützlich, niemandem sonst. DasZusammenspiel der WTG mit diesen Kreisen wurde hinreichend aufgezeigt.Es ist der unvermeidliche Gang der gesellschaftlichen Entwicklung, dass die Arbeiterklasse zurführenden Kraft aller revolutionären, demokratischen und fortschrittlichen Aktionen gewordenist und in der Erfüllung ihrer historischen Mission zur Befreiung der Menschheit vonkapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung eine neue, humanistische, sozialistischeMenschengemeinschaft schafft. Allerdings müssen die Zeugen Jehovas durch die Politik derWTG-Führung mit dieser Entwicklung in Konflikt geraten. Mit der bisher aufgezeigten Politikder WTG-Führung verwirklicht sie den Auftrag des US-Imperialismus, ihre Anhänger in dieKampffront gegen jeden gesellschaftlichen Fortschritt einzureihen.Wie dargelegt wurde, zeigt die Bibel jedoch am Beispiel der Urchristen, dass es nicht imWiderspruch zum Christentum steht politisch mitverantwortlich im gesellschaftlichen Leben zustehen und zu handeln. Der christliche Auftrag, »aller menschlichen Ordnung um des Herrnwillen untertan zu sein« (1. Petrus 2:13) bedeutet Anerkennung und Aktivität auch für diesozialistische Gesellschaftsordnung. Der Christ wird dies in der Kraft des Glaubens an Gott tun.Die Bibel enthält keinen christlichen Kampfauftrag gegen die sozialistische oderkommunistische Ordnung, ist doch das Christentum in keiner Weise dem Kapitalismusverpflichtet. Als es entstand und geprägt wurde, gab es überhaupt noch keinen Kapitalismus.Alle derartigen Verpflichtungen und Bindungen widersprechen dem Wesen des Christentums.Der Christ ist also grundsätzlich frei für die fortschreitende soziale Entwicklung.Die grundsätzlichen Gesichtspunkte von sozialistischer Seite zu diesen Fragen sind in einerReihe maßgeblicher Dokumente und Erklärungen dargelegt worden. In der ProgrammatischenErklärung des Vorsitzenden des Staatsrates der DDR, Walter Ulbricht, vor der Volkskammer der

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DDR am 4. Oktober 1960 wurde als Aufgabe umrissen, dass die Grundfrage aller Bürger dersozialistischen Gesellschaft die Befriedigung der materiellen und geistigen Interessen, nicht imKampf aller gegen alle, nicht auf Kosten des anderen, sondern gemeinsam mit den anderen durchgemeinschaftliches Zusammenwirken zum Nutzen aller und des Einzelnen gelöst undverwirklicht wird, nicht im unproduktiven, egoistischen Gegeneinander, sondern imschöpferischen Miteinander und Füreinander - eine wahrhaft humanistische Aufgabe. Diesehumanistischen Ziele des Sozialismus und des Christentums, heißt es weiter in der Erklärung,sind keine Gegensätze. (Schriftenreihe des Staatsrates der DDR Nr. 2/1960) In Erläuterungdieser Programmatischen Erklärung führte Walter Ulbricht im historischen Gespräch vom 9.Februar 1961 im Amtssitz des Staatsrates der DDR in Berlin mit Theologen, kirchlichenAmtsträgern und christlichen Bürgern aus, was die humanistischen Ideale und Ziele sind, dieChristen und Nichtchristen miteinander verbinden. Es ist das Streben nach Frieden undMenschlichkeit nach gegenseitiger Achtung, nach Glück und Wohlstand aller ehrlich arbeitendenMenschen. Ein Christ, der seine humanistischen und sozialen Ideale ernst nimmt, sollte sich mitdem Sozialismus vereinen. (Schriftenreihe des Staatsrates der DDR, Nr. 5/1961)Diese Übereinstimmung zwischen Christentum und Sozialismus findet in den Grundfragen derPolitik von Partei und Regierung stetig seinen konkreten Ausdruck.Höhepunkte dieser Politik ist das vom VI. Parteitag der SED verkündete Programm zurVollendung des sozialistischen Aufbaus.Vom VII. Parteitag wurde das Programm der SED folgerichtig entsprechend dem Stand dererreichten Entwicklung kontinuierlich weiterentwickelt und beschlossen, das entwickeltegesellschaftliche System des Sozialismus zu gestalten. Im Mittelpunkt aller Aufgaben sieht dieHerausbildung einer wahren humanistischen sozialistischen Menschengemeinschaft in der alleIdeale und Ziele der Menschheit Wirklichkeit werden.Das Volk der DDR gab sich durch einen Volksentscheid seine sozialistische Verfassung vom 6.April 1968, in der der Wille des Volkes zum obersten Gesetz erhoben wurde. Die sozialistischeVerfassung, die das Gundgesetz der DDR ist, fordert von jedem Bürger der DDR, nach demGrundsatz »Arbeite mit, plane mit, regiere mit« zu handeln.Die entwickelte sozialistische Menschengemeinschaft kann nur das Werk aller sein. Daserfordert eine Zusammenarbeit aller Christen und Nichtchristen. Die dargelegte Geschichte derWTG ist demgegenüber ein signalisierendes wie lehrreiches Beispiel für den politischenMissbrauch des Christentums durch die imperialistischen Kräfte gegen die Schaffung einersolchen sozialistischen Gemeinschaft. Die Erkenntnis, sein Leben durch illusionistische, zurEnttäuschung führende Hoffnungen geprägt zu haben - mit allen sich daraus ergebendenKonsequenzen sollte der Anstoß zu einer echten Neubesinnung auf die humanistischen Wertedes Christentums sein - denn nur so wird sich für den Einzelnen eine reale Perspektive eröffnen,seine Fähigkeiten und seinen guten Willen zu einer wirklichen positiven Sache gestalten zukönnen.Man vergleiche (als im sachlichen Zusammenhang stehend) auch:Oberstes Gericht der DDR Aus der Urteilsbegründung im Zeugen Jehovas-Prozess (1950)