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8/6/2019 Vergesst Herbert Von Karajan http://slidepdf.com/reader/full/vergesst-herbert-von-karajan 1/3 URL: http://www.welt.de/kultur/article1869686/Vergesst_Herbert_von_Karajan.html Bilder ein-/ausblenden Artikel drucken 100. GEBURTSTAG Vergesst Herbert von Karajan! Der Dirigent hat den Musikbetrieb geprägt wie sonst keiner. Herbert von Karajan war ein Berserker, ein Machtmensch, ein begnadeter Musiker und Organisator. An diesem Samstag wird sein 100. Geburtstag gefeiert. Aber die Zeit ist über ihn hinweg gegangen. Karajans Moden und Methoden sind passé. Bild 1 von 22 Herbert von Karajan war einer der berühmtesten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. 4. April 2008, 16:19 Uhr VON MANUEL BRUG zurück weiter Foto: obs  Suche nach dem perfekten Klang Ein Mann. Ein Auftaktbefehl. Dem hundert andere Instrumentalisten bei ihrer Klangarbeit zu folgen haben. Nirgendwo manifestiert sich Macht so sichtbar wie in der eigentlich körperlosen Musik. Der symbolhafte und gleichzeitig praktische Beginn eines Konzertabends mehrt um ein weiteres Mal den Ruhm dessen, der da – um ein weiteres Podest erhöht - auf der Bühne seinen um einen Stab verlängerten Arm hebt, lässt ihn als Einzelner gegenüber der Masse namhafter werden, während die namenlose Kohorte vor ihm zum Reagieren gezwungen wird. Ein Akkord ist das Ergebnis. Unterwerfung wird Kunst – anders geht es in der Musik nicht. Niemand hat diesen Moment so bewusst verinnerlicht, gelebt und zelebriert wie Herbert von Karajan. So elegant und dramatisch. So narzisstisch und gleichzeitig so im Dienst der Sache. So versunken und so hellwach. Mit blaugefärbter, geföhnter Locke und geschlossenen Augen. Doch nie hat ihn das anschließende Ergebnis befriedigt. Immer war er auf der Suche nach dem mehr, nach dem perfekten Klang, der reinen, absichtslosen, schwebenden Schönheit. Auf Erden konnte er sie nicht finden. Weder im Konzertsaal noch im zu allen Manipulationen fähigen Plattenstudio, das er nutzte und dessen Möglichkeiten er auskostete und erweiterte wie kein anderer Dirigent vor ihm. Erfüllung fand er wohl höchstens in den geliebten Bergen, in der Straßenkurve im neuesten Flitzer, über den Wolken im eigenen Flieger und auf den Wellen mit seiner pfeilschnellen Yacht. Waren Toscanini und Furtwängler, die beiden großen Antipoden, Produkte ihrer Zeit, oder gar Arthur Nikisch und Hans Page 1 of 3 100. Geburtstag: Vergesst Herbert von Karajan! - NachrichtenKultur - WELT ONLINE 05-04-2008 http://www.welt.de/kultur/article1869686/Vergesst_Herbert_von_Karajan.html?print...

Vergesst Herbert Von Karajan

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100. GEBURTSTAG

Vergesst Herbert von Karajan!

Der Dirigent hat den Musikbetrieb geprägt wie sonst keiner. Herbert von Karajan war ein Berserker, ein

Machtmensch, ein begnadeter Musiker und Organisator. An diesem Samstag wird sein 100.

Geburtstag gefeiert. Aber die Zeit ist über ihn hinweg gegangen. Karajans Moden und Methoden sind

passé.

Bild 1 von 22

Herbert von Karajan war einer der berühmtesten Dirigenten des 20. Jahrhunderts.

4. April 2008, 16:19 Uhr VON MANUEL BRUG

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Foto: obs

 

Suche nach dem perfekten Klang

Ein Mann. Ein Auftaktbefehl. Dem hundert andere Instrumentalisten bei ihrer Klangarbeit zu folgen haben. Nirgendwo

manifestiert sich Macht so sichtbar wie in der eigentlich körperlosen Musik. Der symbolhafte und gleichzeitig

praktische Beginn eines Konzertabends mehrt um ein weiteres Mal den Ruhm dessen, der da – um ein weiteres

Podest erhöht - auf der Bühne seinen um einen Stab verlängerten Arm hebt, lässt ihn als Einzelner gegenüber der 

Masse namhafter werden, während die namenlose Kohorte vor ihm zum Reagieren gezwungen wird. Ein Akkord ist

das Ergebnis. Unterwerfung wird Kunst – anders geht es in der Musik nicht.

Niemand hat diesen Moment so bewusst verinnerlicht, gelebt und zelebriert wie Herbert von Karajan. So elegant und

dramatisch. So narzisstisch und gleichzeitig so im Dienst der Sache. So versunken und so hellwach. Mit blaugefärbter,

geföhnter Locke und geschlossenen Augen. Doch nie hat ihn das anschließende Ergebnis befriedigt.

Immer war er auf der Suche nach dem mehr, nach dem perfekten Klang, der reinen, absichtslosen, schwebenden

Schönheit. Auf Erden konnte er sie nicht finden. Weder im Konzertsaal noch im zu allen Manipulationen fähigen

Plattenstudio, das er nutzte und dessen Möglichkeiten er auskostete und erweiterte wie kein anderer Dirigent vor ihm.

Erfüllung fand er wohl höchstens in den geliebten Bergen, in der Straßenkurve im neuesten Flitzer, über den Wolkenim eigenen Flieger und auf den Wellen mit seiner pfeilschnellen Yacht.

Waren Toscanini und Furtwängler, die beiden großen Antipoden, Produkte ihrer Zeit, oder gar Arthur Nikisch und Hans

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Karajan und Beethovens Sinfonien

Sein Modell taugt heute nicht mehr 

von Bülow, die anderen beiden Leitlöwen an Berlins philharmonischem Dirigentenpult? Keiner jedenfalls wurde so

durch die Zeitumstände geprägt und wurde gleichzeitig durch sie so symbolhaft überhöht wie der am 5. April 1908 in

Salzburg geborene Österreicher Herbert von Karajan.

Ein Großbürgersohn, der Vater war Chefarzt. In seinen jungen Jahren erfuhr er trotzdem Armut. Seinen

Dirigentenberuf lernte er mit brennendem Ehrgeiz und flammendem Wirkungsbewusstsein von der Pike auf, in Ulm

und Aachen an den sprichwörtlich kleinen, durch die Inflation zusätzlich geschwächten deutschen Dreisparten-

Stadttheatern. Unter den Nazis steig Karajan kometenhaft auf, trat gleich zweimal in die Partei ein, lief mit, weil er Karriere machen wollte, beschmutzte sich aber nicht wirklich (da waren Karl Böhm oder Herrmann Abendroth viel

schlimmer).

Der symbolhafte Tod

Nach dem Krieg wurde Karajan ausgebremst und mit Berufsverbot belegt. Dann verwandelte er sich erst Recht

flächendeckend und mit Atem raubender Geschwindigkeit zum musikalischen Taktgeber des Wirtschaftswunder, zum

Meister der schönen, glamourösen Musikwelt, zum technischen Manipulator und Innovator, zum absolutistischen

Herrscher über eine Orchesterrepublik in Berlin, zum Opernkönig in Wien und Mailand, zum Kaiser der Salzburger 

Festspiele. Erst als alter, kranker, verbitterter, von seinem Orchester auf Lebenszeit zurückgestoßener Mann erkannte

er auch die Grenzen des Menschentums. Mitten in der Arbeit in seinem Hightech-Bauernhaus starb Karajan am 16.

Juli 1989 einen wiederum symbolhaften Tod in den Armen des Sonybosses und seiner dritten Frau – und wurde dann

schnell und grausam vergessen.Der Musikbetrieb, den Herbert von Karajan groß gemacht und den er geprägt hat wie kein anderer, wollte mit ihm

nichts mehr zu tun haben. Die Zeit der absoluten Pultherrscher war vorbei. Nirgendwo so sehr wie bei Karajans

eigenem Orchester, den Berliner Philharmonikern, die sich anstatt der Karajan-Vasallen Ozawa und Levine mit

Claudio Abbado Karajans absoluten Antipoden an ihre Spitze wählten. Und das eine Dekade später mit Simon Rattle

noch einmal manifestierten.

Wer Karajan weit gefasstes Repertoire überblickt, seinen wahnwitzigen Arbeitseifer, seine Rücksichtslosigkeit

gegenüber sich selbst, der wird auch den Abstand zum gerne als Nachfolger im Geiste beschworenen Christian

Thielemann begreifen. Ganz abgesehen davon, dass dieser einen dunklen, dräuenden Mischklang bevorzugt und sich

als teutonischer Dickschädel sich positioniert, während Karajans Ideal die weltläufige Eleganz, der strahlende,

körperlos brillante, immer schöne Klang war.

Das freilich ist es auch, was seinen Stern in den letzten Jahren so hat verblassen lassen. Eine zweifelnde, nicht mehr 

nur technikgläubige Welt, mochte sich nicht länger einlullen lassen, begriff Musik nicht mehr nur als Sedativum. Wobei

es das Verdienst der gebündelt neu aufgelegten Einspielungen ist, einiges wieder gerade zu rücken,

Ungerechtigkeiten in der Beurteilung wieder gut zu machen.

So sehr etwa seine diversen Beethoven-Sinfoniezyklen glatter und glanzpolierter, dabei auch lebloser und wie in

digitales Kunstharz eingegossen wurden, so aufregend schnell und modern geriert ihm sein erster Versuch für die

EMI; übertroffen noch von dem dann auch klanglich wunderbar ausbalancierten zweiten Versuch für die Grammophon

in den frühen Sechzigern – der auch heute, trotz historisch informierter Aufführungspraxis - immer noch Maßstäbe

setzt.

Was wird bleiben? Die stilistisch abwechslungsreichen Aufnahmen der frühen EMI-Jahre mit Elisabeth Schwarzkopf 

und Maria Callas, die wunderbaren Opern, die „Salome“, Debussys „Pelléas et Mélisande“, die Dresdner 

„Meistersinger“; dazu die herrlich klingenden Decca-Jahre mit den Wiener Philharmonikern, mit ihrer seltsamen

Mischung aus Ballettmusiken, Wiener Klassik und orchestralen Schaustücken; und vieles aus der Grammophon-Zeit,

nicht nur die Sibelius- und Mahler-Aufnahmen, die Strawinsky-Einspielungen, die berühmte Kassette mit Zweiter 

Wiener Schule bis hin zu den Preußischen Märschen – das ist ewiger Plattenrepertoirebestand.

Und doch wird Herbert von Karajan, sind die multimedialen, aber doch auch ein wenig gezwungen wirkendenAnstrengungen dieses Gedenkjahrs verklungen, wieder vergessen werden; unter Umständen bereits nach diesem 5.

April. Weil er sich in vielem, leider auch seinem späten, kaum noch menschlich atmenden Klangideal einfach überholt

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hat, weil er sich im Dienste der technischen Perfektionierung nur wiederholt, nicht variiert. Und weil er heute als Modell

eines Musikmoguls im uneingeschränkten Orchesterreich nicht mehr taugt.

Seltsamerweise setzen gerade im Zeitalter der Globalisierung und digitalen Totalvernetzung die Dirigenten auf 

regionale Konzentration. Die im Helikopter von Konzertsaal zu Konzertsaal hoppelnden Pultgötter sind längst passé.

Und deswegen tun und taten sich alle so schwer, die Gegner wie die Hofsänger, das Einzigartige, das auch heute

noch Vorbildhafte oder eben Abstoßende im längst schon zum bleichen Schatten gewordenen Herbert von Karajan

hervorzuheben. Karajan ist tot und bleibt es.Man muss gar nicht so weit gehen wie der britische „Guardian“, der eben stoßseufzte: „Rettet uns vor der 

Auferstehung dieses alten Teufels.“ Von Herbert von Karajan geht keine Gefahr mehr aus. Egal, ob Klassikengel oder 

Dirigentendämon, er steht als harmlose Wachspuppe im Musikkabinett, Abteilung Hybris des 20. Jahrhunderts. Nach

seinem Tod fiel nicht nur die Berliner Mauer und wurde die politische Welt neu vermessen. Auch der Musikbetrieb

wurde in Frage gestellt, musste lernen, auf viele seiner subventionierten Privilegien zu verzichten.

Ein Sinfonieorchester nudelt heute nicht mehr das immergleiche Repertoire herunter. Es dient auch nicht bloß zur 

erbaulichen Abendunterhaltung der Spitzen der Gesellschaft. Es hat gelernt, ein sicherer Kulturhafen und

kommunikativer Ort zu sein, ein Ort der Versenkung, aber nicht der Anbetung, ein Ort der Stille, die immer der 

Ursprung der Musik ist, und der Konzentration. Ein Ort, wo kreative Zukunft geschaffen wird, wo der Gemeinschaft

etwas zurückgegeben wird, wo man aufnimmt und nicht abgrenzt und wo vor allem nicht der Ruhm eines einzeln

erhört wird.Hans Scharouns Berliner Philharmonie, der ehemalige Zirkus Karajani, hat zwar die Postadresse Herbert von Karajan-

Str. 1, doch die Büste ihres einstigen Herren ist weit ab, im kaum je frequentierten Südfoyer im dritten Stock platziert.

Dort stehe sie auch weiter in Frieden.

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