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Verliebt – und diesmal richtig Jessica Hart Julia 1154 20/1 1995 gescannt von Geisha0816 korrigiert von Joe

Verliebt - Und Diesmal Richtig

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Verliebt – und diesmal richtig

Jessica Hart

Julia 1154

20/1 1995

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1. KAPITEL

"Offen gesagt, finde ich Sie für die Stellung nicht geeignet, Miss Henderson."

Skye sah betroffen auf den Mann hinter dem Schreibtisch. Lorimer Kingan gehörte zu den ruhigen, verschlossenen und niemals lächelnden Schotten mit dunklem Haar und energischem Wesen. Was hatte sie zu Vanessa gesagt? "Es wird kinderleicht mit ihm sein."

Skye musste an ihre Worte denken, während sie Lorimer Kingans Gesicht und vor allem seinen scharf geschnittenen Mund betrachtete. Was immer man von ihm denken mochte, kinderleicht war sicher nicht mit ihm umzugehen. Skye hatte noch keinen Mann kennen gelernt, der so wenig bereit schien, sich von ihrem Charme beeindrucken zu lassen.

Das Vorstellungsgespräch war von Anfang an schlecht verlaufen. Als man sie hereingeführt hatte, war Lorimer aufgestanden und hatte sie kritisch angesehen - von ihren üppigen blonden Locken bis zu den abstechenden Jadespangen auf ihren türkisfarbenen Wildlederschuhen. Mit einem einzigen Blick hatte er alles an ihr erfasst, sie geprüft, abgeschätzt und verworfen, noch ehe sie ein einziges Wort gesagt hatte.

Skye musste ehrlicherweise zugeben, dass Lorimers kritischer Blick nicht ganz unberechtigt war, aber das würde sie ihm natürlich nicht sagen. Außerdem hatte sie sich geändert. Sie

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war es leid, als lustige Blondine zu gelten. Charles und ihr Vater hielten sie zwar für hoffnungslos verspielt, aber sie würde ihnen beweisen, dass sie auch vernünftig sein und für sich selber sorgen konnte.

Um das zu erreichen, musste sie Lorimer leider irgendwie davon überzeugen, dass sie das Muster einer hingebungsvollen, tüchtigen und erfahrenen Sekretärin war. Darum hatte sie sich zusammengenommen und nur strahlend gelächelt, während er ihr den Stuhl vor

seinem Schreibtisch anbot. Kaum ein Mann konnte Skyes Lächeln widerstehen, aber Lorimer war offensichtlich eine Ausnahme. Wenn er das Lächeln überhaupt bemerkt hatte, war es an ihm abgeprallt. Er hatte sich einfach wieder hingesetzt und die Akte mit ihren Unterlagen aufgeschlagen.

Skye hatte versucht, ruhig dazusitzen, während Lorimer ihren Lebenslauf las, aber dass er fortwährend die Stirn runzelte und die Augenbrauen immer mehr zusammenzog, machte sie doch nervös. Ahnte er, wie sehr sie übertrieben hatte? Vanessa war über ihre Erfindungsgabe entsetzt gewesen, aber Skye hatte nur gesagt: "Auf einige harmlose Lügen kommt es doch nicht an. Wer liest schon einen Lebenslauf?" Inzwischen war sie sich nicht mehr so sicher. Lorimer Kingan zum Beispiel schien keinen Buchstaben auszulassen!

Nach einer halben Ewigkeit legte er die Akte beiseite und sah Skye an. Graue Augen würden eigentlich besser zu ihm passen, dachte sie spontan, aber seine sind tiefblau und erinnern an einen stillen See zwischen nebelverhangenen Bergen.

Leider waren Lorimers Augen nicht nur blau, sondern auch äußerst wachsam, und darum fragte er nach einem abermaligen Blick auf ihre Akte: "Sie sind wirklich Skye Henderson?"

"Ja", antwortete sie und lächelte noch strahlender. Diesmal bemerkte er es, aber er reagierte wieder nicht so, wie sie es

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gewohnt war. Anstatt hingerissen zu sein, schien er erst neugierig und dann misstrauisch zu werden.

"Ich muss zugeben, dass Sie nicht ganz meinen Erwartungen entsprechen", sagte er nach längerem Schweigen und verbarg seine wahren Gedanken hinter einem ironischen Ton.

"Nein?" fragte Skye nervös. "Was haben Sie denn erwartet?" "Sagen wir, einen - neutraleren Typ." Lorimer musterte noch einmal ihre Aufmachung: den kurzen Wollrock und die überweite Jacke, die, so leuchtend türkis war wie ihre Schuhe. "Ihr Lebenslauf ist äußerst beeindruckend, fuhr er sichtlich belustigt fort. "Wer sich in solchen Stellungen bewährt hat, muss tüchtig und vertrauenswürdig sein."

Danach schwieg er wieder, und Skye wurde unter seinem durchdringenden Blick immer unbehaglicher zumute. Hätte sie ihre blonden Locken vielleicht doch etwas bändigen sollen? Sie versuchte, betont seriös auszusehen, aber wie fing man das an, wenn man so fröhliche blaue Augen und einen so üppigen Mund hatte, der zu lächeln schien, auch wenn sie die Lippen zusammenpresste, um wie eine Gouvernante zu wirken?

Lorimer ließ sich von ihren Bemühungen auch keineswegs überzeugen. "Sie müssen mir verzeihen, wenn ich das Wort ,vertrauenswürdig’ bei jemandem, der so aussieht wie Sie, besonders betone", erklärte er rundheraus. "Vertrauenswürdige Sekretärinnen treten meist unauffälliger auf." Ob das nun witzig oder sarkastisch sein sollte - Skye hörte wieder nur heraus, dass er unbeeindruckt blieb.

"Mein letzter Chef ließ sich lieber durch die Leistung als durch die äußere Erscheinung überzeugen", antwortete sie und sah Lorimer möglichst selbstbewusst an. "Schließlich tippt man nicht schneller, nur weil man ein graues Kostüm trägt." Für sie selbst stimmte das allemal, denn sie schrieb immer gleich langsam.

"Vielleicht nicht", gab Lorimer amüsiert zu, möglicherweise, weil er Skye in einem grauen Kostüm vor sich sah. "Aber

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jemand mit Ihren Erfahrungen und Fähigkeiten weiß natürlich, dass die Arbeit einer Sekretärin nicht nur aus Tippen besteht." Also war er doch nur sarkastisch! "Sie muss auch die Firma repräsentieren. Meine Kunden sind eher konservativ und hätten vielleicht Hemmungen, mit jemandem zu verhandeln, der sie an einen Regenbogen oder Karnevalsumzug erinnert. Wahrscheinlich müssten wir am Empfangspult Sonnenbrillen ausgeben, damit unsere Kunden bei Ihrem Anblick nicht geblendet wären."

"Sie sind ganz offensichtlich nicht geblendet", warf Skye missmutig ein. Sonst würde dieses Gespräch anders verlaufen, fügte sie still hinzu.

"Mag sein", antwortete Lorimer gedehnt. "Ich gehöre nun einmal zu den Männern, die schwer zu beeindrucken sind."

Das können Sie getrost zweimal sagen! dachte Skye wütend, aber sie war noch nicht bereit, aufzugeben. "Ich würde mich nach Ihrem Geschmack richten und nur braunen Tweed tragen", bot sie an.

Jetzt lächelte Lorimer Kingan beinahe. "Ein solches Opfer würde ich nie von Ihnen verlangen."

"Es würde mir aber nichts ausmachen", versicherte sie schnell. "Ich ziehe an, was Sie wollen, und bin still wie eine Maus. Ihre Kunden werden mich gar nicht bemerken."

Lorimer betrachtete Skye zweifelnd. Sie hatte sich vorgebeugt, ihr Gesicht wirkte frisch und lebhaft, die bunten Emaillepapageien, die sie als Ohrringe trug, streiften ihre geröteten Wangen.

"Sie sind nicht der Typ, den man nicht bemerkt", meinte er, und das klang beinahe nett.

Skye wusste nicht, ob sie sich über Lorimers Weigerung, sie ernst zu nehmen, ärgern oder in seiner wachsenden Umgänglichkeit ein Kompliment sehen sollte. Wenn er sie nicht ganz so streng musterte und fast wie ein Mensch wirkte, war er überraschend attraktiv. Doch wie auch immer, dies alles verlief

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nicht plangemäß. Lorimers Brief, in dem sie zu einem Gespräch gebeten wurde, hatte so geklungen, als wäre ihre Einstellung bereits fest beschlossen. Vanessa hatte sie zwar darauf hingewiesen, dass ein seriöser Geschäftsmann seine zukünftige persönliche Sekretärin genau unter die Lupe nehmen würde, aber sie hatte nur die Schultern gezuckt und geantwortet, dass man nur lächeln und hübsch aussehen müsse.

Wie sich jetzt herausstellte, hatte Vanessa leider recht gehabt. Sie hatte fast immer recht, aber das fiel Skye zu spät ein. Ob sie auch bei Charles recht hatte?

"Sie würden vergessen, dass ich überhaupt da bin", beteuerte sie noch einmal, aber das nützte auch nichts.

"Das wäre kaum eine Empfehlung", meinte Lorimer mit einem Anflug von Ungeduld. "Wie wollen Sie wirksam arbeiten, wenn ich nicht weiß, ob Sie im Zimmer sind?"

"Aber eben wollten Sie doch, dass mich niemand bemerkt", erinnerte Skye ihn gekränkt. Man konnte es diesem Lorimer Kingan wirklich nicht recht machen!

"Was ich will, ist folgendes, Miss Henderson: eine Sekretärin, die vernünftig ist und Maß halten kann. Sie fallen von einem Extrem ins andere. Entweder wollen Sie die Menschen im Sturm erobern oder sich in Luft auflösen!"

Für Skye war das die alte Litanei. Maßvoll, vernünftig, zuverlässig sein - warum legten Männer so großen Wert darauf? Ihr Vater hatte jahrelang versucht, ihr das einzutrichtern, allerdings ohne spürbaren Erfolg, und auch Charles schien diese langweiligen Eigenschaften zu schätzen. Skye verstand das nicht, aber wenn er es so wollte ... bitte, dann würde sie so sein. Schließlich war sie aus keinem anderen Grund hier.

"Ich bin maßvoll", beteuerte sie. "Außerordentlich maßvoll." Lorimer seufzte und tippte mit dem Zeigefinger auf ihren Lebenslauf. "Sie scheinen großen Wert darauf zu legen, dass ich Sie einstelle, aber wenn ich Ihre bisherige berufliche Laufbahn berücksichtige, erscheint mir das unlogisch. Wenn Sie so

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hochqualifiziert sind, wie Sie behaupten, müssten Sie doch überall Arbeit finden."

Jetzt hatte er wieder seinen sarkastischen Ton angenommen. Und wie er das Wort "behaupten" aussprach. Als glaubte er von ihrem ganzen Lebenslauf kein Wort!

"Selbstverständlich", antwortete Skye überle gen. "Ich habe mich jedoch entschlossen, meine Laufbahn zu ändern und etwas völlig Neues zu versuchen." Damit kam sie der Wahrheit gefährlich nahe. Eine feste Anstellung war etwas völlig Neues für sie.

"Ich verstehe." Wie Skye erwartet hatte, spiegelte sic h dieses Verständnis nicht in Lorimers Gesicht. "Es ist Ihnen doch klar, dass es sich nur um eine vorübergehende Beschäftigung handelt?"

"In der Anzeige stand, dass Sie jemanden für drei Monate suchen", bestätigte Skye, die sich nur deswegen beworben hatte. Sie wollte beweisen, dass sie wie jeder andere berufstätig sein konnte, aber sie wollte es nicht zu lange beweisen. Drei Monate kamen ihr völlig ausreichend vor.

"Ganz recht. Catriona, die seit vier Jahren meine persönliche Sekretärin ist, hat früher aufhören müssen, als sie dachte. Sie erwartet ihr Baby erst im nächsten Jahr, aber der Arzt hat ihr geraten, wegen ihres hohen Blutdrucks schon jetzt sehr vorsichtig zu sein. Ursprünglich sollte sie bis Weihnachten arbeiten, dann wollte Moira Lindsay sie ablösen. Dieser Plan besteht auch noch. Moira ist hochqualifiziert, aber vor Januar leider nicht abkömmlich. Darum brauche ich für die nächsten drei Monate jemanden, der hart arbeiten kann, aber keine dauerhafte Stellung sucht."

"Das entspricht ganz meinen Vorstellungen", versicherte Skye, die neue Hoffnung schöpfte. Wenn Charles bis Weihnachten nicht herausgefunden hatte, dass sie füreinander geschaffen waren, würde er es nie tun. Aber an diese

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Möglichkeit durfte sie nicht einmal denken. Sie musste alles von der positiven Seite sehen.

"Wie Sie sagen, möchten Sie etwas völlig Neues versuchen", meinte Lorimer misstrauisch. "Warum haben Sie sich nicht in London nach einer anderen Beschäftigung umgesehen?"

"Das wäre kein so entscheidender Einschnitt gewesen", antwortete Skye gelassen.

"Darum sind Sie nach Edinburgh gekommen?" "Ja. "Und warum gerade Edinburgh? Warum nicht Cardiff oder

Manchester oder sonst eine Stadt? Man kann doch überall neu anfangen."

Skye zögerte. Ob Lorimer Kingan einen ein Meter achtzig großen, atemberaubend gutaussehenden Mann namens Charles als Grund anerkennen würde? Es war nicht anzunehmen.

Lorimer wartete immer noch auf eine Antwort. Er schrieb etwas in Skyes Akte, und sie hatte Gelegenheit, ihn unauffällig zu betrachten. Die stolze Kopfhaltung entsprach ganz den ausgeprägten Gesichtszügen. Die kräftige Nase, der strenge Mund ... nein, Lorimer Kingan war kein gefühlvoller Typ. Er würde die Sache mit Charles nicht verstehen. Liebe existierte wahrscheinlich nicht für ihn. Wenn er allerdings lächelte und dabei den einen Mundwinkel verzog ... Vielleicht irrte sie sich. Vielleicht verliebte sich Lorimer Kingan nicht leicht, aber wenn er es tat ...

"Nun, Miss Henderson?" fragte er ungeduldig und sah Skye mit seinen blauen Augen an. Sie hatte ebenfalls blaue Augen, aber die erinnerten an einen hellen Sommerhimmel, während Lorimers tiefblau waren und in diesem Moment beinahe dunkel wirkten.

"Wie bitte?" Skye war noch immer so in seinen Anblick vertieft, dass sie die Frage nicht verstanden hatte.

"Ich habe Sie gefragt, warum Sie ausgerechnet nach Edinburgh gekommen sind. Ist das zu hoch für Sie, oder würden Sie mir damit ein Staatsgeheimnis verraten?"

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Skye fühlte den Spott und errötete. "Ich wollte nur aus London fort", erklärte sie vage. Zu dumm, dass sie nicht mit all diesen Fragen gerechnet und sich besser vorbereitet hatte!

"Warum?" "Aus persönlichen Gründen." Wann würde Lorimer Kingan

endlich aufhören, in ihrem Privatleben herumzustochern? Leider schien er in dieser Hinsicht keinerlei Skrupel zu haben.

"Also ein Mann", stellte er nüchtern fest, lehnte sich zurück und fixierte Skye unbarmherzig.

"Wie kommen Sie darauf?" "Sie sind der Typ, der Männer anzieht und unweigerlich

Schwierigkeiten mit ihnen bekommt." Skye hätte gern empört widersprochen, aber sie musste

zugeben, dass das nicht sehr wirkungsvoll gewesen wäre. Außerdem hatte Lorimer recht. Sie befand sich oft in Schwierigkeiten, und wenn, hatte es tatsächlich meist mit einem Mann zu tun. Manchmal kam Skye ihr bisheriges Leben wie ein einziges Durcheinander vor, aber mit Charles würde sich das endlich ändern. Er hatte ihr klar gemacht, wie sehr sie von ihrem Vater verwöhnt worden war, und außerdem schätzte er kühle, beherrschte Frauen. Darum hatte sie sich entschlossen, mit ihrem bisherigen unbekümmerten Leben zu brechen, eine Weile berufstätig zu sein und dadurch zu beweisen, wie gut sie zu Charles passte.

Wenn sie ihm doch bloß noch nicht erzählt hätte, dass sie für Lorimer Kingan arbeitete! Wieder hatte sie sich unnötig in eine fatale Lage gebracht. Wenn Lorimer sie nun nicht einstellte? Die Folgen waren nicht auszudenken. Vor Charles würde sie als Lügnerin und vor ihrem Vater als Versagerin dastehen. Sie würde sich irgendwo verkriechen müssen, in einer kleinen halbverfallenen Dachkammer. In eine m Anflug von wohltuendem Selbstmitleid vergaß Skye, dass man in ihrem teuren Londoner Wohnviertel alle Dachkammern zu Penthäusern ausgebaut hatte und dass sie eine große Familie und

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hingebungsvolle Freunde besaß, die sie nicht unnötig schmachten lassen würden.

"Ich bin nach Edinburgh gekommen, weil ich hier eine Freundin habe", erklärte sie in einer plötzlichen Eingebung und versuchte, möglichst betroffen auszusehen. "Ihr Verlobter hat sie kurz vor der Hochzeit sitzen lassen, und sie ist natürlich verzweifelt." Wenn Vanessa das hörte! Sie war niemals verlobt gewesen und kam großartig ohne Männer aus. Aber Skye hatte sich nun mal auf diese Lügengeschickte eingelassen und musste wohl oder übel dabei bleiben. "Ich möchte nicht, dass sie jetzt allein ist, und habe ihr für die nächsten Monate meine Gesellschaft angeboten, bis sie über den ersten Schmerz hinweg ist. Darum passt mir auch diese befristete Anstellung so gut." Skye machte die unschuldigsten Augen von der Welt. "Ich kann Vanessa nicht zumuten, für meinen Unterhalt aufzukommen, möchte mich aber auch nicht für längere Zeit beruflich binden."

Skye war äußerst zufrieden mit dem Samariterhaften Bild, das sie von sich entworfen hatte, aber auf Lorimer machte es keinen großen Eindruck. "Ihr Entschluss ist bestimmt sehr hochherzig, Miss Henderson", sagte er in dem für ihn typischen ironischen Ton. Es war Skye ein Rätsel, wie er so ernst bleiben konnte, wenn er sie doch offenbar für total verrückt hielt. "Dennoch fürchte ich, dass ich Sie und Ihre bedauernswerte Freundin, deren Wohl Ihnen so am Herzen liegt, enttäuschen muss."

"Aber warum?" Diesmal drückte Skyes Blick fast Entrüstung aus. Entweder hatte Lorimer Kingan ein Herz aus Stein, oder er glaubte ihr noch immer kein Wort.

"Weil Sie einfach nicht für die Stellung geeignet sind." Lorimer stand auf, ging zum Fenster und sah auf die gegenüberliegende Häuserfront. Es war ein klarer, frischer Oktobertag. Die Sonne beschien die eleganten Fassaden, die polierten Messingschilder blitzten, und die gusseisernen Balkongitter warfen Schatten auf den hellen Stein. "Ich habe Sie

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zu diesem Gespräch gebeten, weil Ihr Lebenslauf sehr eindrucksvoll ist und weil ich angenommen habe, dass jemand mit Ihrem Namen und einer Edinburgher Adresse aus Schottland stammt. Hätte ich gewusst, dass Sie Engländerin sind, hätte ich Sie nicht hergebeten."

"Ist der Unterschied denn so wichtig?" fragte Skye irritiert. "Ja, Miss Henderson, sogar sehr wichtig."

"Zur Hälfte bin ich Schottin", erklärte Skye schnell. Sie hatte inzwischen so viel riskiert, dass es nicht mehr darauf ankam. Lorimer kehrte hinter seinen Schreibtisch zurück, blieb aber stehen, was ihn überlegen, beinahe bedrohlich erscheinen ließ. Skye fühlte sich plötzlich verunsichert. Im Sitzen hatte sie Lorimer Kingan für einen typischen, konservativ angezogenen Geschäftsmann gehalten, aber dieser Eindruck änderte sich, wenn er stand und sich wie jetzt leicht nach vorn beugte. Er strahlte dann eine ursprüngliche, kaum gebändigte Kraft aus, die an die raue schottische Natur erinnerte. Skye war noch keinem ähnlichen Mann begegnet, aber tief im Innern spürte sie eine geheime Verwandtschaft mit ihm. Sie waren so verschieden, wie zwei Menschen sein konnten, aber sie waren beide frei, spontan und impulsiv, jederzeit bereit, das Schicksal herauszufordern.

"Welche Hälfte von Ihnen ist schottisch, Miss Henderson?" fragte Lorimer nach einer längeren Pause und beugte sich weiter vor, um Skye besser betrachten zu können. "Für mich sehen Sie ganz und gar nicht schottisch aus. Sie sind zu hübsch, zu bunt und viel zu englisch." Er ließ seine Worte gehörig wirken, ehe er hinzusetzte: "Wissen Sie überhaupt, womit sich die ,Kingan-Gesellschaft` beschäftigt?"

"Es hat etwas mit Golf zu tun", antwortete Skye vorsichtig, denn sie hatte schon beim Hereinkommen die prächtigen Fotos an den Wänden bemerkt.

"Sehr gut beobachtet, Miss Henderson." Diesmal gab sich Lorimer nicht die geringste Mühe, seinen Spott über ihre ungenügende Vorbereitung zu verbergen. "Um es genauer zu

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sagen: wir entwerfen und entwickeln neue Golfplätze. Golf wird heute immer beliebter, und die vorhandenen Plätze reichen bei weitem nicht aus, um die Nachfrage zu befriedigen. Darum ermuntern wir die Bauern, brachliegendes Land nicht neu zu bewirtschaften, sondern für andere Zwecke zur Verfügung zu stellen. Während der letzten Jahre ist es uns gelungen; solches Land aufzukaufen und Golfplätze darauf anzulegen. Der Tourismus wurde dadurch entscheidend gefördert; denn wir organisieren auch Turniere und bieten spezielle Übungsplätze für jüngere Spieler an."

Das alles interessierte Skye nicht besonders. Sie konzentrierte sich lieber auf Lorimers Stimme, die überraschend angenehm klang; wärmer und weicher, als sie es von London her gewohnt war.

"Ich verstehe, nicht ganz, was das mit meiner englischen Herkunft zu tun hat. Mit meiner halbenglischen", verbesserte sie sich schnell, als sie Lorimers Stirnrunzeln bemerkte.

"Das wundert mich nicht", bestätigte er sarkastisch. "Sie haben bisher nicht den Eindruck gemacht, als würden Sie ohne umständliche Erklärungen viel verstehen." Er sah, dass Skye gekränkt war, und fuhr zufrieden fort: "Die ,Kingan-Gesellschaft’ war in letzter Zeit ziemlich erfolgreich. Wir haben inzwischen auch ausländische Projekte - in Europa, Amerika und Japan. Meine eigentlichen Pläne reichen aber viel weiter. Ich möchte nicht beim Golf stehen bleiben, sondern Hotels bauen; die gleichzeitig beste Sportmöglichkeiten bieten. Das erste Hotel soll in Galloway entstehen, aber für ein Projekt der geplanten Größenordnung hat meine Gesellschaft nicht genug Kapital. Ich musste daher Investoren suchen, die sich finanziell beteiligen."

Skye hielt es für geraten, Lorimer nicht zu unterbrechen. Er hatte sich inzwischen auf eine Ecke seines Schreibtischs gesetzt und die Arme vor der Brust verschränkt; "Zuerst lief alles gut", fuhr er fort. "Eine Londoner Unternehmensgruppe zeigte sich

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interessiert und wollte das nötige Kapital vorschießen. Ich verhandelte sofort mit dem Grundstücksbesitzer und stand bereits kurz vor dem Abschluss, als eine Beauftragte der Unternehmensgruppe auftauchte, um sich über den Stand der Dinge zu informieren."

Lorimers Stimme klang plötzlich hart. "Ich hätte mir das als Bedingung für zukünftige Investitionen durchaus gefallen lassen, aber diese Frau überschritt ständig ihre Kompetenzen und mischte sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Sie brachte jeden gegen sich auf, mich am meisten, und das Ergebnis war, dass sich die Londoner aus dem Geschäft zurückzogen. Meine englische Partnerschaft war geplatzt." Lorimer griff nach einer kleinen Bronzefigur, die einen Golfspieler darstellte, und drehte sie hin und her, als müsste er sich beruhigen. "Bei einem anderen Projekt hätte ich mich vielleicht damit abgefunden, aber das Galloway-Projekt ist eine Prestigefrage für mich, ein langgehegter Wunsch, von dem ich weiß, dass er sich verwirklichen lässt."

Lorimer stellte die Figur wieder auf den Schreibtisch und sah Skye an. "Es ist mir gelungen, das Interesse bei den verschiedenen Parteien wachzuhalten, und ich habe sogar einen neuen Investor gefunden, diesmal hier in Edinburgh. Sie werden daher verstehen, dass ich niemanden verärgern will, indem ich eine Sekretärin einstelle, die so englisch wirkt wie Sie."

Skye senkte verlegen den Blick, denn sie spürte plötzlich, wie wenig sie in dieses Büro passte. Es war groß und hell, aber traditionell eingerichtet, mit viel dunklem Holz und Leder. Es war ein sehr männliches Büro, fast schmucklos, ohne das kleinste verspielte Detail. Zwischen soviel Würde und Strenge wirkte sie selbst wie ein bunter Schmetterling, wie eine ganze Farbpalette, lebendig, fröhlich und ausgesprochen weiblich.

Alles in allem standen Skyes Chancen denkbar schlecht, aber sie konnte genauso hartnäckig wie Lorimer sein. Er wollte das

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Hotel in Galloway nicht verlieren, ihr ging es darum, Charles zu gewinnen, und dies war die einzige Möglichkeit.

"Ich begreife trotzdem nicht, wo die Schwierigkeit liegt", versuchte sie es noch einmal. "Niemand braucht zu erfahren, dass eine Engländerin Ihre Briefe schreibt. Computer haben keinen Akzent."

"Computer führen auch keine Telefongespräche und begrüßen keine Besucher. Eine stumme Sekretärin würde mir wenig nützen."

Skye gab sich immer noch nicht geschlagen. "Ich könnte so sprechen", schlug sie vor und ahmte dabei den Edinburgher Akzent nach. Sie besaß beachtliches mimisches Talent und hatte Vanessa mehrfach zu Lachkrämpfen gebracht, wenn sie ihre vornehme Nachbarin imitierte.

Leider war Lorimer so wenig erbaut davon, wie Mrs. Forsyth es gewesen wäre. "Sie scheinen alles für ein vergnügliches Spiel zu halten", sagte er streng und richtete sich auf. "Oder wollen Sie mir mit dieser albernen Vorstellung Ihre berufliche Eignung beweisen?" Er setzte sich wieder hinter den Schreibtisch, um die gehörige Distanz zu schaffen. "Ich habe Ihnen die Situation bereits erklärt. Mein persönlicher Ruf und Erfolg hängen an dem Galloway-Projekt, daher kann ich es mir nicht leisten, die falsche Sekretärin einzustellen. Ich brauche jemanden, der vernünftig, erfahren, diskret und ... schottisch ist." Spott glänzte aus Lorimers tiefblauen Augen. "Sie, Miss Henderson, bringen nicht eine dieser Eigenschaften mit, so bewundernswert Ihre Unterlagen auch sein mögen."

"Das ist unfair", protestierte Skye. "Ich kann nichts dafür, dass ich Engländerin bin."

"Ein bedauernswerter Geburtsfehler", gab Lorimer ohne weiteres zu, "an dem wir beide wenig ändern können. Um Sie jedoch zu trösten... es spricht nicht nur Ihre englische Herkunft gegen Sie. Wie in der Anzeige erwähnt, brauche ich jemanden, der etwas von Golf versteht. Die Fähigkeit, ein Ende eines

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Golfplatzes vom andern zu unterscheiden, ist für mich wichtiger als all Ihre staunenswerten Kenntnisse."

Skye sah Lorimer gekränkt an. Sie hatte Stunden gebraucht, um eindrucksvolle Zeugnisse und lobende Empfehlungen zu erfinden, und wozu das alles? Lorimer Kingan interessierte sich nicht mal dafür! Da hätte sie wirklich nicht die letzte Folge ihrer Lieblingsserie versäumen müssen - ein Opfer, das ihr sehr schwergefallen war.

"Ich habe von Golf -nichts erwähnt, weil ich noch Anfängerin bin", erklärte sie. "Aber es ist mein absoluter Lieblingssport." Lorimer zog skeptisch eine Augenbraue hoch. " Sie sehen nicht wie eine Golfspielerin aus."

"Weil mir die Übung fehlt", beteuerte Skye und hoffte inständig, Lorimer würde sie nicht zum nächsten Golfplatz entführen und zwingen, die Begeisterung für ihren" Lieblingssport" zu beweisen. "Haben Sie ein Handikap?"

Skye sah ihn verständnislos an, bis ihr einfiel, was Vanessa ihr gestern Abend in einem Schnellkurs über Golfsprache beigebracht hatte. Handikap ... ging es dabei nicht um die Bestrafung eines Spielers? Am besten, sie gab gleich alles zu.

"Natürlich", antwortete sie fröhlich. "Ein hohes, nehme ich an?"

"Nein", widersprach Skye, die nicht unbescheiden sein wollte. "Nur ein sehr niedriges. In ganzen sind es jetzt zwei Punkte."

"Zwei Punkte, soso." Lorimers Miene blieb undurchdringlich. Ob sie ihn am Ende falsch eingeschätzt hatte? Wollte er unbedingt einen Profi und keine Anfängerin?

"Ich hoffe, mich wesentlich zu verbessern, solange ich in Schottland bin", versicherte sie.

"Soso." Lorimer sah sie eine Weile an, und dann lächelte er ­so charmant und sexy, dass es Skye förmlich den Atem raubte. Sie hatte vermutet, dass sich hinter seiner strengen Maske nicht nur Spott, sondern auch Witz und Humor verbargen, aber dieser

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offene männliche Charme, der so unerwartet zum Ausdruck kam, war einfach faszinierend. Wer hätte vermutet, dass er so viel jünger, so viel natürlicher und so viel anziehe nder wirken konnte?

"Sie geben nicht so schnell auf nicht wahr?" fragte er in gespielter Verzweiflung.

"Ist das nicht eine gute Eigenschaft?" "Manchmal ja, aber in Ihrem Fall..." Lorimer schüttelte den

Kopf. "Diese Mischling aus Frechheit und Hartnäckigkeit ist eher furchteinflößend."

"O bitte, Mr. Kingan! " Skye ließ allen Stolz fahren und verlegte sich aufs Bitten. "Ich werde alles tun. Ich werde hart arbeiten, möglichst Schottisch sprechen und in Sackleinen erscheinen, wenn Sie mich nur einstellen." Sie legte die Hände zusammen und beugte sich vor. "Bitte!"

Lorimer betrachtete sie schweigend, dann sagte er: "Wenn ich nur wüsste, warum Sie die Stellung unbedingt bekommen möchten."

"Das habe ich Ihnen bereits erklärt. Ich ... " "Unsinn", unterbrach er sie, sah auf seine Uhr und stand auf.

"Ich habe genug von Ihren Geschichten - genug von sitzen gelassenen Verlobten und leidenschaftlichem Interesse für Golf. Und da ich jetzt eine weitere Verabredung habe, werde ich Ihr Geheimnis wohl niemals lüften." Lorimer kam um den Schreibtisch herum und sah auf Skye hinunter. "Eigentlich schade. Es hätte interessant werden können."

Er ging zur Tür und wartete dort, dass Skye ihm folgen würde. Einen Moment überlegte sie, ob sie sich ihm zu Füßen werfen sollte, aber ein Blick in sein Gesicht genügte, um darauf zu verzichten. Das humorvolle Lächeln war längst wieder dem üblichen strengen Ausdruck gewichen. Ein dramatischer Fußfall hätte ihn nur noch mehr abgeschreckt und endgültig davon überzeugt, dass sie nicht zusammenpassten.

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Seufzend stand sie auf und ging zur Tür, wo Lorimer ihr die Hand gab. "Auf Wiedersehen, Miss Henderson", sagte er dabei betont ironisch. "Ich bin sicher, dass jemand mit Ihren ... nun, sagen wir, originellen Bewerbungsmethoden sehr bald einen Chef findet, der, soviel Charme erliegt."

"Ich will aber keinen andern", antwortete Skye, die zu enttäuscht war, um auf ihre Worte zu achten. "Ich will Sie."

"Das ist äußerst schmeichelhaft, aber auch ein so verlockendes Angebot ist nicht geeignet, meine Meinung zu ändern." Lorimers Hand umschloss Skyes warm und fest, und wie in einem Echo hörte sie noch einmal die Worte, die sie eben gesagt hatte: "Ich will Sie."

Sie errötete tief und zog hastig ihre Hand zurück. "Ich wollte damit nicht sagen ... ich meinte nur . . .", stammelte sie verlegen. "Ich weiß, was Sie meinten", versicherte Lorimer und öffnete die Tür. Skye folgte ihm verlegen in das Vorzimmer. In ihrer Verwirrung bemerkte sie zunächst nicht, dass bereits ein neuer Besucher wartete. Erst als er seine Zeitung beiseite legte und aus einem der gewichtigen Ledersessel aufstand, erkannte sie den kräftigen, gut fünfzigjährigen Mann mit dem grauen Haar und den klugen Augen. Es war einer der ältesten Freunde ihres Vaters.

"Fleming!" rief sie und eilte erleichtert auf ihn zu. Sie kannte ihn, solange sie denken konnte. Fleming Carmichael war Börsenmakler wie ihr Vater und teilte seine Zeit und seine Geschäfte zwischen London und Edinburgh. Für Skye hatte er immer zur Familie gehört. Ihn hierzu treffen war so tröstlich, dass sie ihm in ihrer typischen überschwänglichen Art um den Hals fiel und rief: "Was für eine wunderbare Überraschung! Was tust du hier?"

"Ich will mit Lorimer sprechen" antwortete Fleming und erwiderte Skyes Umarmung genauso herzlich. "Wir arbeiten beide an einem sehr interessanten Projekt." Er ließ Skye los und

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wandte sich an Lorimer. "Guten Tag, Lorimer. Nett, Sie wiederzusehen."

Die beiden Männer gaben sich die Hand. Lorimers Gesicht verriet nichts, aber es fiel Skye nicht schwer zwei und zwei zusammenzuzählen. Charles hatte ihr gesagt, dass er mit der "Kingan-Gesellschaft" zu tun habe, und Charles arbeitete für Fleming. Was für ein absurdes Zusammentreffen: Fleming war der Investor, den Lorimer unter keinen Umständen verprellen wollte!

"Charles hat mir erzählt, dass du hier arbeitest", fuhr Fleming fort, ohne etwas von der Spannung zwischen Skye und Lorimer zu bemerken. "Es hat mich überrascht, aber auch außerordentlich erfreut. Weiß dein Vater davon?"

"Noch nicht", gestand Skye, ohne Lorimer dabei anzusehen. "Dann wird er sich besonders freuen, dass du in so zuverlässige Hände gekommen bist." Fleming wusste am besten, wie sehr Skyes schwacher, aber besorgter Vater unter ihrer Unbeständigkeit litt. "Ich hätte große Lust, ihn anzurufen und es ihm zu erzählen." Er wandte sich wieder an Lorimer. "Ich kenne Skye, seit sie ein Baby war, und hätte geschworen, dass sie nie über London hinausgekommen ist. Und jetzt treffe ich sie hier in Edinburgh, noch dazu als Ihre Mitarbeiterin."

"Tatsächlich, ein merkwürdiger Zufall", stieß Lorimer gepresst hervor.

Skye betrachtete ihn unter halbgesenkten Lidern hervor. An seiner Schläfe pochte eine Ader, ein sicheres Zeichen dafür, dass er wütend war und sich in die Enge getrieben fühlte. Sollte sie Fleming sagen, dass noch nichts entschieden war? Aber dann würde Charles davon erfahren. Nein, sie musste es Lorimer überlassen, die Situation zu erklären. Flemings Freude über ihre angebliche Anstellung hatte ihn allerdings in eine schwierige Lage gebracht. Würde er riskieren, seinen neuen Partner zu verärgern, indem er ihm unumwunden sagte, was er von einer gewissen Skye Henderson hielt?

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"Nun wollen wir aber keine Zeit mehr verlieren." Fleming war plötzlich ganz Geschäftsmann. Er küsste Skye auf die Wange und sagte: "Marjorie ist ebenfalls in Edinburgh, du musst unbedingt zum Dinner kommen. Ich werde Charles dazubitten. Wenn ich mich recht erinnere, warst du auf der letzten Party sehr beeindruckt von ihm."

"Das wäre nett", antwortete Skye gezwungen. Lorimer sah auf die Uhr. "Würden Sie schon in mein Büro

gehen, Fleming? Ich komme gleich nach." Fleming verstand den Wink und verschwand in Lorimers

Büro. Sobald er die Tür geschlossen hatte, fragte Lorimer: "Wussten Sie, dass Fleming Carmichael möglicherweise das Galloway-Projekt finanziert?"

Skye schüttelte den Kopf. "Vielleicht wäre ich dahinterkommen, wenn ich genauer nachgedacht hätte, aber so war es eine echte Überraschung." Sie zögerte. "Werden Sie Fleming sagen, dass ich nicht für Sie arbeite?"

"Wie kann ich das?" fragte Lorimer grimmig. "Ich kenne ihn nicht gut genug, um seine Reaktion einzuschätzen, und ich will nicht noch einmal riskieren, dass sich meine Geldgeber aus dem Geschäft zurückziehen. Wenn die Aussicht, Sie hier zu treffen, Fleming geneigter macht . . ." Er zuckte die Schultern. "Also gut, meinetwegen. Bleiben Sie."

Skye seufzte tief. "Sie werden es nicht bereuen", versprach sie. "Darum möchte ich auch gebeten haben", antwortete Lorimer und wollte gehen.

"Wann soll ich anfangen?" rief Skye ihm nach. Lorimer stand schon an der Tür zu seinem Büro und drehte

sich noch einmal um. "Montag morgen um neun Uhr, Miss Henderson. Und seien Sie bitte pünktlich."

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2. KAPITEL

Vanessa wohnte im vierten Stock eines typischen Edinburgher Mietshauses. Die einzelnen Wohnungen in dem grauen Gebäude waren zwar hoch und geräumig, aber Skye fürchtete sich jedes Mal vor dem Aufstieg durch das alte, düstere Treppenhaus. Auch diesmal erschauderte sie leicht, als die schwere Eingangstür hinter ihr ins Schloss fiel. Doch ein Blick nach oben überzeugte sie davon, dass noch immer etwas spärliches Licht durch das Dachfenster hereinfiel, und so machte sie sich halb getröstet auf den mühsamen Weg nach oben.

Anfangs bemühte sie sich um einen raschen Schritt, um in Schwung zu bleiben, aber schon auf dem zweiten Absatz begegnete sie Mrs. Forsyth, die zwei schwere Einkaufstaschen schleppte. Mrs. Forsyth trug wie immer einen Mantel, Handschuhe und eine turbanartige Kappe, die über der Stirn eng zugeknöpft war. Skye behauptete ganz ernsthaft, sie würde in diesem Aufzug auch schlafen gehen. Mrs. Forsyth schien das zu ahnen, denn sie hielt wenig von Skye. Sie fand sie zu hübsch und zu flatterhaft und brachte das bei jeder Begegnung mit einer säuerlichen Miene zum Ausdruck.

Auch heute setzte sie ihr grimmiges Gesicht auf, aber Skye lächelte gutgelaunt und sagte: "Darf ich Ihnen mit den Taschen helfen, Mrs. Forsyth?"

Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Skye schwatzte ungeniert drauflos, was zumindest bewirkte, dass Mrs. Forsyth

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sich für die Hilfe bedankte, als sie den vierten Stock erreicht hatten. Skye hatte das Gefühl, einen Orden bekommen zu haben.

"Heute ist mein Glückstag " rief sie, als sie zu Vanessa in die Küche stürmte. "Ich habe nicht nur die Stellung bekommen, sondern durfte auch Mrs. Forsyths Taschen tragen. Sie hat sich sogar bedankt und beinahe gelächelt."

"Du hast die Stellung bekommen?" Vanessa setzte ihre Tasse ab, sie hatte sich gerade Tee aufgebrüht. "Wie, um Himmels willen, hast du das angestellt?"

"Warum so überrascht?" fragte Skye augenzwinkernd und goss sich ebenfalls eine Tasse Tee ein. "Warum hätte ich die Stellung nicht bekommen sollen?"

"Warum? Weil ich mich inzwischen ein bisschen umgehört habe und weil Lorimer Kingan einen ausgezeichneten Ruf genießt." "Ach ja?" Skye zog einen Stuhl heran und setzte sich auf die andere Tischseite.

"Er wird allgemein bewundert, sogar in meinen Skikreisen. Die von ihm angelegten Golfplätze sollen die besten sein, und angeblich erzielt er phantastische Ergebnisse mit jungen Spielern. Er hat die ,Kingan-Gesellschaft` praktisch aus dem Nichts geschaffen und gilt als harter, realistischer Geschäftsmann."

Skye sah Lorimer wieder vor sich: die dunkelblauen Augen, das markante Gesicht, die kraftvolle Körperbeherrschung. "Als Mann ist er allerdings bewundernswert", gab sie zu und dachte an den Händedruck, den sie noch lange danach gespürt hatte.

"Aber allzu hart oder realistisch kann er nicht sein, wenn er dich eingestellt hat", gab Vanessa zu bedenken. "Oder ist er etwa auf deinen frisierten Lebenslauf hereingefallen?"

"Das wohl nicht." Skye schüttelte bedauernd den Kopf. "Ich hatte eher den Eindruck, dass er den Schwindel von Anfang an durchschaute."

"Warum hat er dir die Stellung dann gegeben?"

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"Nun..." Skye trank einen Schluck Tee und erzählte die ganze Geschichte, bis zudem überraschenden Zusammentreffen mit Fleming Carmichael. "Lorimer war nicht gerade erfreut darüber", schloss sie, "aber für mich, bedeutete es einen Wink des Schicksals. Ich sollte die Stellung bekommen.".

Vanessa war nicht überzeugt. "An Lorimer Kingans Stelle wäre ich mehr als nicht erfreut gewesen", meinte sie. "Ich wäre ausgesprochen wütend gewesen."

"Na, wenn schon." So weit weg von Lorimer fand Skye ihren unbekümmerten Optimismus schnell wieder. "Er brauchte eine Sekretärin und hat eine bekommen. Vielleicht bin ich nicht gerade erste Wahl", räumte sie großzügig ein, "aber ich kann sofort anfangen und bin nicht schlechter als andere Aushilfskräfte."

"Hoffentlich sieht Lorimer das auch so", seufzte Vanessa. "Du hast keine Ahnung von Golf, machst pausenlos Tippfehler und brauchst ein Jahr für eine Zeile Stenografie: Arbeitseinteilung ist ein Fremdwort für dich, du bist sprunghaft, ohne Verantwortungsgefühl und erzählst am liebsten Märchen. Sei mir nicht böse, Skye, aber ich fürchte, dass sich hier eine Katastrophe anbahnt."

"Aber ich werde mir wirklich Mühe geben", protestierte Skye halb gekränkt. "Es wird klappen, das schwöre ich dir."

"Das wäre das erste Mal." "Ich bin ja auch zum erstenmal in einer solchen Situation.

Erst durch Charles habe ich begriffen, wie verwöhnt ich immer war. Ich konnte einfach in den Tag hinein leben, und wenn etwas schief ging, war mein Vater da. Charles hat mir klargemacht, dass ich endlich auf eigenen Füßen stehen muss. Er schätzt kühle, überlegene Frauen, die unabhängig sind und für sich selbst sorgen können. Darum hat er mich bisher nie ernst genommen, sondern immer nur die verzogene Tochter in mir gesehen. Das war hart für mich, aber nachträglich gesehen, hat er mir damit einen unschätzbaren Gefa llen getan. Ich bin

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endlich erwachsen geworden und weiß, wie es im Leben zugeht."

Vanessa sagte nichts dazu, aber ihr Gesicht verriet genug. "Du nimmst mich nicht ernst", fuhr Skye trotzig fort, "aber

das ist nicht fair von dir. Ich weiß jetzt, dass ich me in Leben völlig ändern muss, wenn ich bei Charles Erfolg haben will. Ich habe mir viel zu lange von Daddy helfen lassen. Ich hätte London schon vor Jahren verlassen und irgendwo Arbeit suchen sollen. Zum Glück ist es noch nicht zu spät, sowohl Charles wie Daddy zu beweisen, dass ich jetzt selbständig bin."

"Bist du das denn?" fragte Vanessa zweifelnd. "Ich kann es wenigstens versuchen", beharrte Skye, die mehr

Willenskraft besaß, als die meisten Menschen ihr zutrauten. "Darum ist es gut; dass ich nach Edinburgh gekommen bin. Der arme Daddy! Wie gern wollte er, dass ich eine feste Anstellung finde, aber jetzt kann er endlich stolz auf mich sein. Und Charles muss einsehen, dass er mich nicht so einfach loswird. Ich werde von jetzt an so überlegen und selbständ ig sein wie seine früheren Freundinnen. Nur dann habe ich eine echte Chance bei ihm. Als lustige Blondine hätte ich morgen ausgespielt."

Vanessa sah sie kopfschüttelnd ah. "Aber Skye ", sagte sie. "Du bist eine lustige Blondine. Möchtest du denn nicht, dass ein Mann dich um deiner selbst willen liebt?"

Skye zuckte die Schultern. "Es ist so langweilig, immer nur an geschwärmt zu werden. Was hat man davon, wenn die Männer einem zu Füßen liegen? Charles ist wenigstens anders."

"Weil er nur sich selbst sieht", erklärte Vanessa unbarmherzig. Sie hatte Charles mehrmals in London getroffen und war nicht sonderlich beeindruckt gewesen. "Und dass du ihn liebst, ist nur Einbildung von dir. Er fordert dich heraus, aber er ist nicht der richtige Mann für dich. Glaub mir, Skye. Seine Frau soll einmal die richtige Folie für ihn abgeben, ihn als cleveren, hartgesottenen Managertyp bestätigen. Das wirst du niemals schaffen."

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"Doch", beharrte Skye, "ich werde es schaffen. Und ich liebe ihn. Wäre ich sonst hierher gekommen, um mir so mühsam eine Stellung zu suchen?"

"Was du dir einmal in den Kopf gesetzt hast, das führst du auch aus", sagte Vanessa offen. "Das ist dein Problem, Skye, du fällst immer von einem Extrem ins andere. Du verliebst dich nicht, bei dir ist es immer gleich eine rasende Leidenschaft. Und wenn es dann aus ist, geht die Welt unter. Du verstehst es nicht, die Männer richtig einzuschätzen. Aber glaub mir, wenn du den Richtigen triffst, wirst du dich auch zum erstenmal richtig verlieben."

Lorimers Bild tauchte vor Skye auf, aber sie wischte es beiseite. Sie liebte Charles - und nur Charles. Warum fiel es ihr dann so schwer, sich sein Gesicht vorzustellen? Es wurde immer wieder von Lorimers Gesicht verdrängt, von den spöttisch blickenden Augen und dem ironisch verzogenen Mund, der plötzlich gelächelt hatte.

Skye runzelte die Stirn. Sie wollte nicht an Lorimer Kingan denken. Sie wollte an Charles denken, an sein Gesicht, seine Figur. Sie sprang auf und lief unruhig hin und her. Warum konnte sie sich nicht mehr erinnern, wie Charles aussah? Er war ein gutaussehender Mann, das wusste sie, er sah sogar besser als Lorimer aus. Aber wie, um alles in der Welt? Warum fiel ihr nicht die geringste Kleinigkeit ein?

Und wenn schon ... sie liebte ihn, nur darauf kam es an. Sie würde weiter ihre Rolle spielen, so kühl und selbstverständlich, dass er nichts von ihren Motiven merkte. Wenn er jetzt in Lorimers Büro kam, würde sie ihm nicht mehr als verwöhntes Blondchen, sondern als Lorimers Privatsekretärin entgegentreten - elegant, beherrscht, begeistert für ihre Arbeit. Er würde sich endgültig in sie verlieben, und ganz nebenbei konnte sie ihrem Chef noch beweisen, wie falsch er sie eingeschätzt hatte. Sie würde die beste Privatsekretärin sein, die er je gehabt hatte. Sie würde ihn jeden Tag mehr verblüffen, mit

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ihrer ruhigen, sicheren Art, ihrer Arbeitsleistung und ihrem unenglischen Wesen!

Dieses rosige Zukunftsbild beruhigte Skye so sehr, dass sie stehen blieb, sich zu Vanessa umdrehte und strahlend sagte: "Mach dir keine Sorgen, Van, alles wird gut werden. Ich spüre es mit jedem Nerv. Die Liebe kommt auf mich zu."

Montag früh brach Skye in bester Stimmung. auf. Es war ein typischer Oktobertag, frisch, aber sonnig und klar. Während sie auf den Bus wartete, betrachtete sie die Bäume in dem kleinen gegenüberliegenden Park, deren Laub gelb, braun und kupferrot schimmerte. Noch hielten die Zweige die bunte Pracht fest, aber wenn sie kahl waren, würde sich Skyes Leben endgültig verändert haben. Der Gedanke berauschte sie geradezu:

"Wie kalt es geworden ist", meinte die Frau, die neben Skye in der Warteschlange stand. Ein Wort gab das andere, und bald waren sie tief im Gespräch - über das Wetter, den herannahenden Winter, Mrs. Millers Arthritis, ihre Enkel und Klein-Jimmys anfällige Mandeln. Skye hörte hingebungsvoll zu, nickte gelegentlich, warf ein Wort ein und bemerkte nicht, wie nervös die übrigen Fahrgäste wurden und wie häufig sie auf die Uhr schauten. Erst als auch Mrs. Miller feststellte, dass der Bus längst überfällig sei, erschrak Skye und sah ebenfalls auf die Uhr.

Viertel vor neun! Was hatte Lorimer zum Abschluss gesagt? "Und seien Sie bitte pünktlich." Ein ängs tlicher Schauder lief Skye über den Rücken. Wie sollte sie es in einer Viertelstunde bis in die City schaffen? Selbst wenn der Bus jetzt käme, würde sie zu spät im Büro sein. Sie sah sich nach einem Taxi um, aber es war weit und breit keins zu sehen. Hastig verabschiedete sie sich von Mrs. Miller und versuchte ihr Glück zu Fuß.

Die Büroräume der "Kingan-Gesellschaft" lagen in einem imposanten Gebäude aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert in dem Bezirk New Town. Als Skye dort ankam, war sie überhitzt und außer Atem. Ihr blondes Haar hatte sich gelöst und

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hing wirr um ihr gerötetes Gesicht. Nie in ihrem Leben war sie so lange und so schnell gelaufen, aber sie nahm sich keine Zeit zum Ausruhen; sondern ging gleich, in das Empfangszimmer, wo Sheila hinter ihrem Schreibtisch saß.

"Was ist passiert?" fragte sie, als sie Skyes aufgelösten Zustand bemerkte.

"Der Bus kam nicht", keuchte Skye und betupfte hektisch ihr Gesicht. Wenn sie täglich so kühl und überlegen ins Büro

kam, würde sie ihren neuen Chef kaum im gewünschten Sinn beeindrucken!

Sheila wollte etwas sagen, aber bevor sie dazu kam, wurde die Tür zu Lorimers Büro aufgerissen.

"Sie kommen zu spät!" Skyes Herz, das eben noch wild geklopft hatte, blieb beiden

scharfen Worten beinahe stehen. Sie hatte Lorimers Stimme viel wohlklingender in Erinnerung, und sein Gesicht war ihr zwar markant, aber keineswegs bedrohlich vorgekommen. So, wie er jetzt dastand, flößte er ihr geradezu Angst ein.

"Es tut mir leid", sagte sie. "Der Bus . . ." "Kommen Sie herein", unterbrach er sie schroff. "Was ich zu

sagen habe, braucht nicht überall gehört zu werden." Skye tauschte einen verständnisvollen Blick mit Sheila und

folgte Lorimer zögernd in sein Büro. "Schließen Sie die Tür"" befahl er, als sie auf der Schwelle

stehen blieb. "Und setzen Sie sich hin." "Ja, Sir", murmelte Skye. Ob er erwartete, dass sie die

Hacken zusammenknallte und ihn Stechschritt zu ihrem Stuhl marschierte? Sie hätte ihn gern gefragt, hielt es aber für klüger, ihrem Sündenregister nichts hinzuzufügen. Wenn sie bloß Zeit gehabt hätte, sich etwas zurechtzumachen. Die Spange, mit der sie ihr Haar heute morgen streng zurückgesteckt hatte, hing irgendwo zwischen den aufgelösten Locken. Ihre Wangen glühten, und wenn sie nicht alles täuschte, hatte sie in der neuen Strumpfhose eine Laufmasche. Sie sah verstohlen auf ihr linkes

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Bein. Wie sie gefürchtet hatte, die Laufmasche reichte vom Knöchel bis zum Knie.

Lorimer betrachtete Skye missmutig. Erst als er erkannte, wie verwirrt und durcheinander sie war, nahm sein Gesicht erst einen ungeduldigen und dann einen belustigten Ausdruck an.

"Besitzen Sie eine Uhr, Miss Henderson?" erkundigte er sich in mildem Ton.

"Ja" ,antwortete sie, erleichtert darüber, dass sein Zorn so schnell verflogen war.

"Können Sie sie auch lesen?" Skye nickte. "Sehr leicht sogar. Es ist eine Digitaluhr."

Lorimer schloss vorübergehend die Augen. "Unzweifelhaft eine große Hilfe. Sie besitzen also eine Uhr und geben vor, Sie lesen zu können. Würden Sie mir dann bitte sagen, wie spät es jetzt ist?"

Der beißende Spott blieb selbst Skye nicht verborgen. Trotzdem folgte sie der Aufforderung und sah auf ihre Uhr. "Neun Uhr siebenundzwanzig, Sir, um genau zu sein."

"Und wann sollten Sie hier sein?" "Um neun." "Ganz recht, um neun", bestätigte Lorimer geduldig. "Das

bedeutet, Sie sind..." "Siebenundzwanzig Minuten zu spät." Lorimer lehnte sich zurück. "Großartig, Miss Henderson. Sie

können nicht nur die Uhr lesen, sondern auch zählen." "Ich wäre pünktlich gewesen, wenn der Bus gekommen

wäre", erklärte Skye. "Warum haben Sie sich nicht rechtzeitig nach einer anderen

Fahrgelegenheit umgesehen, als Sie merkten, dass der Bus verspätet war?"

"Ich habe es nicht rechtzeitig gemerkt", gestand Skye, der es immer schwerer wurde, Lorimers Sarkasmus zu parieren. "Da stand diese Mrs. Miller neben mir und erzählte von ihren Enkeln. Wenn Sie wüssten, welchen Kummer sie mit Jimmys

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Mandeln haben. . ." Sie verstummte, als sie Lorimers Blick bemerkte.

"Ich bin nicht an Mandeln interessiert, Miss Henderson", sagte er aufreizend ruhig, aber Skye spürte, dass er sich nur mühsam beherrschte. "Außer Ihnen ist heute morgen jeder rechtzeitig im Büro erschienen, und ich werde Ihnen keine Sonderregelung einräumen. Es ist mir auch egal, mit wem Sie über wessen Enkel sprechen. Ich möchte, dass Sie jeden Morgen pünktlich um neun Uhr hier erscheinen; sonst werfe ich Sie hinaus. Ist das klar?"

Skye nickte nur, um nichts Falsches zu sagen. "Sie wissen so gut wie ich, dass Sie nicht hier sitzen würden,

wenn ich nicht auf Fleming Carmichael Rücksicht nehmen müsste", fuhr Lorimer schneidend fort. "Sie sind die letzte, die ich mir als Sekretärin ausgesucht hätte, aber der Gedanke, dass Sie hier arbeiten, schien Fleming zu freuen, und ich würde alles tun, damit er mir gewogen bleibt. Ich brauche Kapital für das neue Projekt, dafür würde ich jedes Opfer bringen. Sogar das, Sie drei Monate lang zu ertragen."

"Danke für die nette Begrüßung", entfuhr es Skye. "Ich bin nur ehrlich und hätte eigentlich verdient, dass Sie

auch mit mir ehrlich sind." "Ehrlich?" wiederholte sie betroffen. Lorimer seufzte. "Ich fürchtete schon, dass Sie das Wort

nicht kennen, und muss mich daher klarer ausdrücken. Nachdem Sie gegangen waren, hatte ich ein sehr aufschlussreiches Gespräch mit Fleming. Er scheint Sie sehr zu schätzen." Lorimers Ton verriet deutlich, dass er diese Regung unverständlich fand. "Er erzählte mir einiges aus Ihrem Leben, so dass ich mir bald ein genaueres Bild machen konnte. Wie es scheint, sind Sie unverantwortlich verwöhnt worden, mit dem Ergebnis, dass sie unzuverlässig und oberflächlich geworden sind und es in keiner Stellung länger als einige Wochen ausgehalten haben. Keine Sorge, das sind nicht Flemings Worte.

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Er scheint so von ihrem Charme und ihrer Persönlichkeit eingenommen zu sein, dass er Ihnen alles nachsieht. Leider teile ich seine Meinung nicht." Lorimer beugte sich vor und fixierte Skye kalt. "Meiner Ansicht nach haben Sie mich belogen, und ich mag keine Lügner."

Skye kam aus dem Erröten nicht mehr heraus. Erst das Laufen, dann die Schelte und jetzt das schlechte Gewissen. "Ich wollte die Stellung unbedingt haben", gestand sie kleinlaut.

"Das ist mir schon bei unserem ersten Gespräch klargeworden", spottete Lorimer. "Es erklärt jedoch nicht, warum Sie sich mir so aufgedrängt haben. Heraus damit, Miss Henderson und diesmal die Wahrheit, wenn ich bitten darf."

Skye sah ihn zweifelnd an. "Und wenn Ihnen die Wahrheit nicht gefällt?"

"Mir gefällt nichts an der ganzen Sache, also halten Sie mich nicht länger zum Narren."

"Also gut." Skye holte tief Luft und begann: "Fleming und seine Frau Marjorie gaben vor einigen Monaten eine Party, und dort lernte ich jemanden kennen. Einen Mann."

Lorimer klopfte mit seinem Kugelschreiber nervös auf den Schreibtisch. "Sie brauchen mir nicht Ihr ganzes Leben zu erzählen, Miss Henderson. Ich möchte nur wissen, was Sie nach Edinburgh und ausgerechnet zu mir geführt hat."

"Das will ich Ihnen ja gerade klarmachen!" Skye blitzte ihn empört an und fuhr fort: "Ich lernte auf dieser Party Charles kennen und war sehr beeindruckt von ihm. Er glich nicht den Männern, mit denen ich bis dahin zusammengewesen war." Sie machte eine Pause und dachte an ihren ersten Eindruck von Charles. Wie unnahbar und überlegen er ihr vorgekommen war! "Ich begegnete ihm später wieder, bei Dinnerpartys und anderen Anlässen, aber es

kam nie dazu, dass wir uns näher kennen lernten. Charles arbeitet für Fleming und stand kurz vor seiner Versetzung in das

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Edinburgher Büro. Er wusste, dass er London bald verlassen würde, und wollte keine neuen Bekanntschaften schließen."

"Weiter", sagte Lorimer mit der Ergebenheit eines Menschen, der weiß, dass er nichts beschleunigen kann. "Vermute ich richtig, dass Charles' Versetzung Ihren Entschluss, nach Edinburgh zu kommen, beeinflusst hat?"

Skye nickte. "Ich kam mir in London ziemlich überflüssig vor." Sie verschwieg, dass sie wieder einmal entlassen worden war, weil man fand, dass ihre fröhliche Art nicht das Chaos wert war, das sie anrichtete. "Als ich einer alten Schulfreundin, die jetzt hier in Edinburgh lebt, davon erzählte, sagte sie, sie hätte in ihrer Wohnung ein freies Zimmer und ich könnte sie jederzeit besuchen. Der Vorschlag kam wie vom Himmel. Ich glaube nämlich an das Schicksal", fügte sie hinzu, um Lorimer gehörig zu überzeugen. "Charles war in Edinburgh, und Vanessa bot mir eine Unterkunft an. Ich musste ja geradezu das Gefühl haben, dass alles vorherbestimmt war."

"Unbedingt", stimmte Lorimer zu. Skye überhörte die Ironie. "Ich dachte, Charles und ich

würden uns hier besser kennen lernen als in London, wo er mehr zu tun hatte und durch mehr Dinge abgelenkt war." Vor allem durch schicke Frauen, die ihn ständig umlagerten und vierhundert Meilen entfernt weit ungefährlicher waren. Doch das behielt sie für sich.

"Also, folgten Sie Charles hierher nach Edinb urgh?" Lorimer schien die ganze Geschichte für ein Kindermärchen zu halten. "Wusste der arme Mann, dass er so hartnäckig verfolgt wurde?"

"Um Himmels willen!" Skye kam allmählich in Fluss und verlor ihre anfängliche Scheu. "Männer hassen es, verfolgt zu werden, nicht wahr?"

"Es gibt nichts Grässlicheres für sie", bestätigte Lorimer aus tiefstem Herzen.

"Das wusste ich." Skye nickte zufrieden. "Aus diesem Grund musste meine Anwesenheit hier ganz natürlich wirken. Da ich

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nicht genau wissen konnte, wie es mit Charles ausgehen würde, wollte ich mich jedoch nicht unnötig lange binden und entschied mich für eine vorübergehende Stellung. Es genügt, wenn ich etwas Geld verdiene, um Charles zu überzeugen."

Lorimer seufzte. "Eine verrückte Art von Logik kann ich Ihnen nicht absprechen, aber warum haben Sie sich nicht irgendwo als Kellnerin beworben?"

"Weil Charles ein sehr konservativer Mann ist." Vanessa hielt ihn für einen Snob, aber schließlich mochte sie ihn nicht. "Er schätzt moderne, selbständige Frauen, die nie in Verlegenheit geraten und sich überall durchsetzen."

Skye blickte gedankenverloren vor sich hin. Sie hatte im Erzählen vergessen, wo sie war, und erst als Lorimer sich räusperte, blickte sie hastig auf. Sein Gesicht hatte sich verändert. Es drückte zwar immer noch verhaltene Ungeduld aus, aber auch das leise Lächeln war nicht zu übersehen. Es war ein eigenartiges Lächeln, belustigt, aber nicht unfreundlich. Skye fand es charmant, beinahe liebenswert, aber ehe sie sich genau entschieden hatte, war es verschwunden.

"Vermute ich richtig, dass Sie nicht unbedingt Charles' Typ sind?" fragte Lorimer nüchtern.

"Ja", gab Skye traurig zu, "das bin ich nicht unbedingt. Ich wollte ihn beeindrucken, und dazu hätte ein einfacher Job als Kellnerin nicht genügt. Daher kaufte ich mir ‚The Scotsman` und fand darin Ihre Anzeige. Sie klang ideal. Drei Monate Aushilfe, teils hier im Büro, teils unterwegs. Phantastisch."

"Dann war es einfach mein Pech, dass Sie auf meine Anzeige gestoßen sind?"

"Man könnte es so ausdrücken", antwortete Skye halb entschuldigend. "Vielleicht hätte ich mich noch anders besonnen, wenn ich nicht unvermutet mit Charles zusammengetroffen wäre, kurz nachdem ich Ihre Anzeige gelesen hatte. Als er mich fragte, was ich hier tue, fiel mir keine andere Ausrede ein. Ich sagte ihm, ich sei vorübergehend bei der

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,Kingan-Gesellschaft` angestellt, ohne zu ahnen, dass er diese Gesellschaft kannte. Erst als er mir eröffnete, dass er mit Ihrem Büro zu tun habe und mir dort wahrscheinlich öfter begegnen werde, war mir klar, dass ich die Stellung unbedingt haben musste."

Lorimer betrachtete Skye schweigend. Zu Ehren ihres ersten Arbeitstages hatte sie ihr schlichtestes, Kleid angezogen - ein kurzes kirschrotes Wollkleid, das ihre reizvolle Figur und vor allem die langen Beine vollendet zur Geltung brachte. Um nicht zu trist zu erscheinen, hatte sie noch eine ihrer frechen Halsketten umgelegt, von denen sie eine ganze Sammlung besaß. Heute trug sie die Holzkette aus bunten exotischen Früchten, die durch Ohrklips in Form einer Ananas ergänzt wurde. Skye hatte es inzwischen geschafft, ihr Haar etwas zu ordnen, und sah Lorimer mit ihren großen blauen Augen unschuldig an. Sind meine Argumente nicht überaus stichhaltig? schien ihr Blick zu fragen, aber soweit ließ sich Lorimer nicht erweichen.

"Solchen Unsinn habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört", sagte er und stützte den Kopf in beide Hände.

"Sie wollten die Wahrheit hören", erinnerte Skye ihn gekränkt. "Glauben Sie mir etwa nicht?"

"O doch, ich glaube Ihnen. Eine so verrückte Geschichte kann niemand erfinden. Womit habe ich das alles nur verdient?" Skyes Miene wurde noch unschuldiger. "Vielleicht waren Sie ein ungezogener Junge", schlug sie vor und wünschte gleich darauf, sie hätte geschwiegen, denn Lorimer hob den Kopf und sah sie so eisig an, dass sie seine tiefblauen Augen kaum wiedererkannte. "Ich finde das alles durchaus nicht komisch, Miss Henderson. Ich versuche, eine Firma zu leiten, und brauche eine ruhige, vernünftige Mitarbeiterin, die sich mit mir für das Galloway-Projekt einsetzt. Und was bekomme ich statt dessen? Ein vorlautes Geschöpf, das so ruhig ist wie eine Schar bunter Paradiesvögel und genauso vernünftig. Sie finden das

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vielleicht amüsant, aber ich habe nicht Ihren Sinn für Humor. Wenn dieser Charles sie nur halb so gut kennt wie ich, wundert es mich nicht, dass er Ihnen aus dem Weg geht. Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal Sympathie für Charles Ferrars empfinden würde, aber darin habe ich mich offenbar getäuscht. Wir sprechen doch von Charles Ferrars, oder nicht?" Skye nickte.

"Ich kenne ihn. Fleming möchte unbedingt, dass er bei dem neuen Projekt dabei ist. Es kann also durchaus sein, dass Sie sich hier begegnen, und darum rate ich Ihnen, diskret zu sein. Sie werden Dinge mitbekommen, die Charles Ferrars nichts angehen, und wenn ich merke, dass Sie plaudern - ob hier im Büro oder anderswo -, sitzen Sie fristlos auf der Straße. Ist das klar?"

Skye beugte sich lebhaft vor. "Ich darf also weiter für Sie arbeiten?"

"Es scheint so, als müssten wir vorerst miteinander auskommen", erklärte Lorimer schicksalsergeben. "Ich kann es mir nicht leisten, Fleming zu verärgern, und Sie wollen nicht, dass Charles hinter Ihre kleinen Schliche kommt. Wir wissen also, woran wir sind, und sollten das Beste daraus machen. Fragt sich nur noch, mit wem ich es in den nächsten drei Monaten wirklich zu tun habe." Lorimer nahm Skyes Personalakte von einem Stapel und schob sie ihr hin. "Habe ich recht, wenn ich dies für einen einzigen Schwindel halte?"

"Name und Adresse stimmen", sagte sie zögernd. "Und ich bin wirklich dreiundzwanzig und unverheiratet."

"Ihre Aufrichtigkeit rührt mich", bemerkte Lorimer giftig. "Ich darf also davon ausgehen, dass alle anderen Angaben erfunden sind?"

Skye überflog noch einmal, was sie geschrieben hatte. "Der Geburtsort stimmt auch. Ich wurde wirklich in London geboren." "Das ist hier oben kaum eine Empfehlung, selbst

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wenn es stimmen sollte. Und nun zu Ihren Eltern. Haben Sie eine schottische Mutter?"

"Nein", gestand Skye, "aber zur Zeit meiner Geburt erlebte sie gerade eine schottische Phase. Sie bevorzugte karierte Stoffe und las historische Romane über Schottland. Und sie setzte durch, dass ich Skye genannt wurde nach der Hebrideninsel. Das ist typisch für meine Mutter. Sie hat eine lebhafte Phantasie, nur dauern ihre Begeisterungsphasen nie lange. Zur Zeit schwört sie auf die ,Grünen', aber das wird auch vorübergehen." Skye begann zu lachen. "Spätestens wenn sie das ewige Salatessen überhat."

"Sehr komisch." Lorimer verzog keine Miene." Diese überhebliche Haltung gegenüber Schottland ist typisch für die Engländer. Sie lachen über uns und nehmen uns nicht ernst."

Er sagte das so bitter, dass Skye aufhorchte. Ob seine Abneigung gegen England nur mit dem Rückzug der Londoner Investmentgruppe zu tun hatte? Plötzlich fragte sie sich, was Lorimer Kingan alles erlebt hatte und wie er zu dem Mann geworden war, der jetzt vor ihr saß.

Um ihn nicht noch mehr zu reizen, versuchte sie ein ernstes Gesicht zu machen, aber das gelang ihr nur halb. Lorimer bemerkte es, wollte nicht darauf reagieren und musste schließlich doch lächeln. "Wenn ich Fleming richtig verstanden habe", sagte er und zeigte auf ihren Lebenslauf, "ist Ihr Verhältnis zur Arbeit bisher eher ... nun, sagen wir, geistig gewesen?"

"Ich habe etwas mehr aus mir gemacht", gab Skye zu und betrachtete die Liste der hochkarätigen Jobs, die sie sich angedichtet hatte. "Vielleicht etwas zuviel."

"Dann haben Sie in einer Werbeagentur gearbeitet, aber nicht als verantwortliche Abteilungsleiterin?"

Skye schüttelte den Kopf. "Ich habe zwei Wochen lang Schreibarbeiten erledigt."

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"Nur zwei Wochen lang?" Lorimer drückte die Hände gegen die Schläfen. "Sie haben Mut, das muss ich Ihnen lassen. Und wahrscheinlich muss ich dankbar sein, dass Sie überhaupt schon an einer Schreibmaschine gesessen haben. Sie können doch Maschineschreiben, oder?"

"Natürlich!" entrüstete sich Skye. "Siebzig Worte in der Minute?" "Nun, vielleicht nicht ganz..."

"Das dachte ich mir. Von welcher Wortzahl darf ich ausgehen, um mir ein ungefähres Bild zu machen? Zwanzig? Fünfundzwanzig?"

"Vierzig", erklärte sie aufs Geratewohl. Lorimer beherrschte sich bewundernswert. "Also vierzig

Worte in der Minute", wiederholte er. "Ich schätze mich glücklich. Und nun zu meinen Briefen. Ich nehme an, Sie hätten sie gern handschriftlich, oder können Sie nach Diktat mit stenographieren?",

Skye fand das Angebot sehr großzügig und atmete auf. "Eine handschriftliche Vorlage wäre mir lieber", gestand sie offen. "Das dachte ich mir. Haben wir irgendwelche Talente von Ihnen vergessen?"

"Ich kann Telefonanrufe beantworten", erinnerte sie ihn. Lorimer gab sich überrascht. "Dafür verdienten Sie allerdings einen Preis."

"Und ich koche sehr guten, Kaffee." "Eine unschätzbare Hilfe!"

"Und . . ." Skye dachte angestrengt nach. "Ich kann die Akten ordnen, Fotokopien anfertigen, Reiseunterlagen besorgen und Ihre Freizeit mitgestalten." Sie sah Lorimer aufmunternd an, aber er wirkte nicht so, als sei er an langweiligen Geschäftsessen oder überflüssigen Theaterbesuchen interessiert. Er verbrachte seine freie Zeit sicher ausschließlich auf dem Golfplatz und da hatte sie nichts verloren.

Die Liste ihrer Fähigkeiten ließ Lorimer kalt. "Wenn Sie wirklich so langsam schreiben, wie Sie sagen, muss ich bis zum

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Morgengrauen hier sitzen und auf die Unterschrift warten. Damit erübrigt sich jedes Freizeitproblem." Er streckte die Hand aus. "Ihr Lebenslauf ist zwar nicht das Papier wert, auf dem er steht, aber ich hätte ihn doch gern wieder. Ich wollte ihn erst zerreißen, aber ein so geniales Phantasieprodukt hat Seltenheitswert. Es wird mich immer daran erinnern, was Frauen alles anstellen, um einen Mann zu bekommen. Merkwürdig, dass Sie unter der Rubrik, Hobbys nicht auch Charles Ferrars angegeben haben. Was steht hier? Ah ja ... Reisen, Theater und Golf." Er stöhnte. "Ausgerechnet Golf!"

"Ich würde es wirklich gern lernen", erklärte Skye mutig. "Aber Sie sind noch nie in die Nähe eines Golfplatzes gekommen?"

"Nein", gestand sie nach kurzem Zögern. "Das wusste ich. Wären Sie mit allem andern auch

durchgekommen ... als Sie sagten, Ihr Handikap sei zwei, wusste ich, dass Sie lügen."

"Aber ich habe extra eine niedrige Zähl gewählt, um Sie nicht misstrauisch zu machen!"

Lorimer seufzte." Das Damen-Handikap beginnt bei sechsunddreißig, Miss Henderson. Je besser Sie sind, desto weniger Punkte haben Sie. Bei einem Handikap von zwei Punkten, müssen Sie eine ungewöhnlich gute Spielerin sein. Hätten Sie dreißig gesagt, hätte ich Ihnen geglaubt, dass Sie schon einmal einen Golfschläger in der Hand gehabt haben."

"Ein verrücktes System", stellte Skye kopfschüttelnd fest. Dann wurde ihr klar, wie lächerlich sie sich gemacht hatte, und sie begann zu lachen: "Nur gut, dass Sie mich nicht zu einem Spiel aufgefordert haben."

"Es freut mich, dass Sie sich so gut unterhalten", sagte Lorimer ernst. "Wir werden in der kurzen Zeit keinen Profi aus Ihnen machen, aber Sie müssen wenigstens die Grundregeln des Golfspiels kennen, wenn Sie mich nicht lächerlich machen wollen."

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"Könnte ich nicht vorgeben mir den Arm gebrochen zu haben?" "Jetzt reicht es." Lorimer war am Ende seiner Geduld. "Sie können nicht drei Monate lang mit einem falschen Gipsverband herumlaufen. Und Sie müssen wissen was Sie am Telefon sagen, wenn von Golf die Rede ist. Sobald wir nach Galloway kommen, gebe ich Ihnen einen Einführungskurs. Der Platz liegt einsam, niemand wird uns sehen."

Bei der Aussicht auf eine kleine Reise belebte sich Skye. "Wann fahren wir nach Galloway?" fragte sie.

"Das hängt von Ihrem Freund Fleming ab. Wahrscheinlich in zwei oder drei Wochen, aber bis dahin gibt es noch viel zu tun."

Skye war glücklich, dass sich Lorimers anfänglicher Zorn in Resignation verwandelt hatte. Sie setzte ihre strahlendste Miene auf und fragte unbekümmert: "Womit fangen wir an?"

"Sie können damit anfangen, dass Sie sich im Waschraum frisch machen", antwortete Lorimer grimmig. "Sie sehen verheerend aus." Er griff nach einer der Akten, die säuberlich gestapelt vor ihm lagen: "Ich wollte Ihnen nachher diktieren, aber wir haben uns ja geeinigt, dass ich meine Briefe handschriftlich abliefere. Während ich schreibe, können Sie sich mit Ihrem Zimmer vertraut machen. Es liegt gleich nebenan, Sheila wird es Ihnen zeigen. Genießen Sie diese letzten freien Minuten, Miss Henderson. Danach wird gearbeitet."

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3. KAPITEL

Skye merkte schnell, dass Lorimer Kingan seine Worte ernst meinte. Niemals zuvor hatte sie so hart gearbeitet. Ihre früheren Chefs hatten nie viel von ihr erwartet, aber Lorimer ließ nicht locker. Jeden Brief, der nicht fehlerfrei war, musste Skye wieder und wieder abschreiben, bis nichts mehr daran auszusetzen blieb.

Überhaupt musste alles, was sie tat, höchsten Ansprüchen genügen. Bisher hatte sie jede Form von Arbeit auf die leichte Schulter genommen, aber damit war es jetzt vorbei. Auf ihrem Schreibtisch häuften sich Baupläne, die fotokopiert und verschickt werden sollten. Unzählige Berichte und Zwischenberichte mussten abgeschrieben werden, Briefe waren abzuheften, Anfragen zu beantworten. Schon nach wenigen Tagen hatte Skye begriffen, dass es sich nicht lohnte, flüchtig zu sein. Sie erreichte damit nur, dass alles wieder auf ihrem Schreibtisch landete meist mit einer sarkastischen Randbemerkung von Lorimer, in der sie aufgefordert wurde, sich mehr Mühe zu geben und sorgfältiger zu arbeiten.

Niemand hatte es bisher geschafft, Skye zum Arbeiten zu bringen, und wenn sie abends nach Hause kam, war sie so müde, dass sie kaum noch die Treppen bis zu Vanessas Wohnung bewältigte.

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"Du weißt noch nicht, wie es ist, täglich acht Stunden zu arbeiten", tröstete Vanessa sie rigoros. "Aber du wirst dich rasch daran gewöhnen."

"Das behauptet Lorimer auch", antwortete Skye. "Zuerst dachte ich, er nähme mich so hart heran, um mich zum Kündigen zu bewegen, aber die Kollegen haben mir versichert, dass er immer so ist. Alle zittern vor ihm. Stell dir vor, Van, sie wagen nicht mal, sich im

Büro zu unterhalten! Wenn man in ein Zimmer kommt, herrscht tiefstes Schweigen. Alle sitzen mit gesenktem Kopf vor ihren Schreibtischen und schuften."

Vanessa lachte über das entsetzte Gesicht, das Skye bei ihrer Schilderung machte. "Es soll vorkommen, dass Menschen arbeiten", versicherte sie noch einmal. "Wie kommen die Kollegen mit dir aus? Du musst eine Sensation für sie sein."

"Ich glaube, in den ersten Tagen hielten sie mich für verrückt, aber seit wir uns besser kennen, sind sie reizend zu mir. Lorimer darf mich bloß nicht beim Reden erwischen, sonst bekommt er einen Tobsuchtsanfall. Einmal sagte ich, er hätte mir doch kein Schweigegelöbnis abgenommen. Weißt du, was er geantwortet hat? Ich solle gefälligst arbeiten und die andern nicht stören. Und dazu machte er ein Gesicht . . ." Skye verzog den Mund. "Und ausruhen darf man sich auch nicht, da können die Finger von dem ewigen Neuschreiben noch so weh tun."

"Schreibst du denn nicht mit PC?" Skye seufzte. "Doch, aber ich vergesse immer wieder zu

speichern und muss dann alles noch einmal schreiben. Ich in wohl keine geborene Sekretärin. Das Fotokopiergerät und die Kaffeemaschine sind schon kaputt, und die verschiedenen Knöpfe des Telefons bleiben mir ein Geheimnis. Einmal habe ich eine Gespräch fünfmal unterbrochen, als ich versuchte, es zu Lorimer durchzustellen. Zum Schluss musste ich ihm die Nummer geben und ihn bitten, selbst anzurufen. Er knirschte vor Wut."

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"Das wundert mich nicht." "Du bist unfair, Van. Warum hat er kein Telefon wie normale

Leute? Warum müssen immer tausend Knöpfe aufblinken und in einer bestimmten Reihenfolge gedrückt werden? Das verwirrt mich."

Vanessa betrachtete ihre Freundin, die vor dem elektrischen Kamin lag, Gin mit Tonic trank und eine Zeitschrift durchblätterte. "Glaubst du immer noch, dass Charles so viel Mühe wert ist?"

Skye starrte geistesabwesend auf eine Reklame für Schuhe, die so teuer waren, dass sie sich fragte, wer das bezahlen sollte. "Ob du es glaubst oder nicht", sagte sie nach einer Weile, "ich denke seit einigen Tagen kaum noch an Charles. Lorimer lässt mir einfach keine Zeit dazu."

"Dann liebst du ihn nicht genug", stellte Vanessa fest. "Doch, ich liebe ihn", versicherte Skye und sah ihre Freundin

unschuldig an. "Oder vielleicht nicht?" "Ich war immer vom Gegenteil überzeugt", antwortete

Vanessa. "Charles sieht gut aus, aber was weißt du schon von ihm? Wenn er sich nicht so unnahbar gegeben hätte, warst du nie auf ihn aufmerksam geworden. Er hat dich herausgefordert, und das hast du mit Verliebt sein verwechselt. Ich bleibe dabei: Charles ist nicht der richtige Mann für dich."

"Oje", stöhnte Skye. "Und ich dachte, es wäre wahre Liebe. Bin ich so unbeständig, Van? Werde ich vielleicht als alte Jungfer enden?"

"Du brauchst noch nicht in Panik zu geraten", beruhigte Vanessa sie. "Du musst nur den Richtigen finden, das ist alles."

"Aber wo?" "Warum nicht in deiner neuen Firma? Lorimer Kingan

scheint mir ein lohnendes Objekt zu sein." Skye verschluckte sich fast an ihrem Drink. "Lorimer?"

wiederholte sie keuchend. "Warum nicht?"

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"Weil er ... weil er. . ." Skye zögerte. Sie spürte eine tiefe innere Unruhe, als hätte sich plötzlich ein dunkler Abgrund vor ihr aufgetan, in den sie nicht hinunterzuschauen wagte.

"Weil er was?" fragte Vanessa ungeniert. "Weil er unleidlich ist. Er schüchtert jeden ein. Er ist

überheblich, mürrisch, sarkastisch und überhaupt unausstehlich! Ehrlich, Van, er behandelt mich, als wäre ich ein Kind und könnte nicht bis drei zählen."

Vanessa lächelte zufrieden. "Dann ist er der richtige Mann für dich."

Skye schwieg dazu. Sie sollte sich in Lorimer verlieben? Eine total verrückte Idee! Er war ganz und gar nicht ihr Typ, aber sie musste zugeben, dass es schwer war, sein Gesicht und vor allem das Lächeln zu vergessen, das es so plötzlich verändern konnte.

Skye fühlte sich am ersten Wochenende so rastlos, dass Vanessa sie zu einem Spaziergang auf Arthur's Seat überredete. "Du brauchst Bewegung und frische Luft", sagte sie und Skye widersprach nicht.

Als sie obenauf den Klippen standen und auf Edinburgh hinuntersahen, fröstelte Skye. Sie war so überzeugt gewesen, mit Charles den richtigen Mann gefunden zu haben, und nun genügte ein Wort von Vanessa, um sie unsicher zu machen. Irgend etwas stimmte nicht mit ihr. Sie war zu voreilig und ungestüm. Was für eine Idee, einem Mann nachzufahren, den sie kaum kannte! Wie immer hatte sie alle Bedenken kurzerhand abgetan und ihren Plan durchgeführt. Dabei waren alle ihre Freunde gegen Charles. Keiner mochte ihn, aber das hatte sie nur noch bestärkt. Sie hatte sich wieder ein mal in ein Abenteuer gestürzt, dessen Ausgang sie nicht kannte und in das andere Menschen hineingezogen wurden.

Sie hatte Lorimer mehr oder weniger gezwungen, sie einzustellen. Und warum? Um in der Nähe eines Mannes zu sein, der ihr möglicherweise völlig gleichgültig war! Kein Wunder, dass Lorimer sie verachtete. Skye seufzte und schlug

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ihren Mantelkragen gegen den kalten Wind hoch. Wie gequält Lorimer sie ansah, wenn sie wieder tausend Fehler gemacht hatte! Ob sie lieber aufgab? Ob sie ihren Plan fallen ließ und nach London zurückkehrte? Lorimer würde außer sich sein vor Freude und Erleichterung.

Auf dem Rückweg gingen sie ge gen den Wind und konnten nur wenig sprechen. Skye malte sich aus, wie es sein würde, Edinburgh zu verlassen. Bisher hatte sie über ihre Arbeit gestöhnt, aber die Vorstellung, sie aufzugeben behagte ihr ganz und gar nicht. Es gefiel ihr, etwas Sinnvolles zu tun. Ihre früheren Chefs hatten sie gemocht, aber für hoffnungslos unfähig gehalten und daher nur mit nichtssagenden Aufgaben betraut. Lorimer mochte sie vielleicht nicht, aber dafür ließ er ihr keine Zeit, sich zu langweilen.

Außerdem würde sie ihre netten Kollegen verlieren, die sie gerade erst ins Herz geschlossen hatte. Sheila am Empfangspult, Murray in der Buchführung, Lisa und Rab in der Marketing-Abteilung. Ganz zu schweigen von Lorimer selbst. Skye gestand sich lieber nicht ein, wie leid es ihr tun würde, ihn nicht wiederzusehen.

Um sich abzulenken, dachte sie an ihren Vater. Wie Fleming bestätigt hatte, war er sehr erleichtert, dass sie endlich ernsthaft arbeitete. Skye wusste, dass er ihr diesen Schritt kaum zugetraut hatte, und sie wollte ihm nachträglich nicht recht geben. Wie sie es auch betrachtete, Charles hatte ihr einen guten Dienst erwiesen, indem er ihr die Augen über sich selbst geöffnet hatte. Sie war nach Edinburgh gekommen, um ihr Leben zu ändern, und bisher gab es keinen Grund, nicht dabei zu bleiben. Vielleicht liebte sie Charles nicht, aber deswegen brauchte sie ihren Vater nicht zu enttäuschen, indem sie nach Hause kam und ihre alten Gewohnheiten wiederaufnahm. Nein, das hatte er wirklich nicht verdient.

Und auch Vanessa durfte sie, nicht vergessen. Sie würde sich eine neue Untermieterin suchen müssen, und sie - Skye - würde

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ihre praktische, resolute Freundin vermissen. Und auch Edinburgh würde ihr fehlen. Es war kalt hier oben, aber die Stadt hatte entschieden Atmosphäre. Skye war fast überrascht, wie sehr ihr die kopfsteingepflasterten Straßen, die engen Sackgassen und das trübe Licht inzwischen gefielen.

Nein, sie würde nicht so bald von hier fortgehen: Sie hatte sich von Vanessa beirren lassen, weil sie erschöpft war. Mehr nicht. Unter anderen Umständen hätte sie nur gelacht und sich nicht einreden lassen, Charles sei ihr gleichgültig und Lorimer sei der richtige Mann für sie. Zu dumm, dass sie soviel an ihn denken musste. Warum sah sie sein Gesicht und nicht das von Charles vor sich? Warum fragte sie sich, wie es sein würde, von Lorimer und nicht von Charles geküsst zu werden? Sie war ganz einfach überarbeitet, eine andere Erklärung gab es nicht.

Skye hatte fürs erste genug von spontanen Entscheidungen. Von nun an würde sie erst überlegen und dann handeln. Sie würde eine weitere Woche verstreichen lassen und ihre Lage dann neu überdenken. Vielleicht änderte sich einiges bis dahin. Vielleicht konnte sie sich etwas freie Zeit ertrotzen und öfter mit Charles zusammensein. Auge in Auge würde ihre Liebe vielleicht neu erwachen. Mochte es auch dumm und übereilt gewesen sein, Charles nach Edinburgh zu folgen - sie hatte es einmal getan und würde nicht abreisen, ohne ihnen beiden eine Chance zu geben.

"Blöde Maschine!" Skye rüttelte verzweifelt an dem Fotokopiergerät. "Der Techniker war erst gestern da. Du kannst nicht schon wieder kaputt sein! " Sie drückte auf jeden Knopf, den sie finden konnte, aber das Sperrzeichen blieb erleuchtet. "Der Papierschieber ist gefüllt, die Rollen sind gereinigt ... was hast du bloß?"

Das Gerät gab keine Antwort, so dass Skye wütend dagegen trat. "Es gibt keinen Grund für eine Sperre, du Haufen Schrott! Ich habe alles überprüft. Warum, zum Teufel, funktionierst du nicht?" "Was ist hier los?"

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Skye drehte sich erschrocken um und sah Lorimer in der offenen Tür stehen. Ihr Herz begann aufgeregt zu klopfen. Das passierte ihr seit gestern öfter, und warum? Weil Vanessa ihr eine fixe Idee in den Kopf gesetzt hatte. Ohne ihren absurden Vorschlag, sich in Lorimer zu verlieben, hätte Skye am nächsten Tag nicht immer wieder festgestellt, wie breit seine Schultern und wie kraftvoll seine Hände waren. Sie hätte auch nicht den Pulsschlag unter seiner Kehle bemerkt oder groß darauf geachtet, dass er sich mechanisch das Kinn rieb, wenn er nachdachte. Nein, das alles wäre ihr nicht aufgefallen, aber jetzt konnte sie es nicht mehr vergessen, und das irritierte sie sehr. Lorimer hatte ihr gestern Abend mitgeteilt, dass er heute früh direkt zu einer Sitzung fahren würde, und daher hatte sie noch nicht mit ihm gerechnet. Sie hatte sich fest vorgenommen, ihn zu überraschen und alle fehlenden Unterlagen fotokopiert und sauber geordnet auf seinen Schreib tisch zu legen. Doch was hatte sie statt dessen erreicht? Dass sie einmal mehr als dummes Schaf dastand.

"Ihr garstiges Fotokopiergerät streikt" beklagte sie sich. "Es ist eine Maschine, Skye, kein bösartiges Monster. Sie

streikt nicht, sie ist nur nicht richtig eingestellt worden:" "Zumindest schmollt sie.", beharrte Skye und überlegte, ob

sie noch einmal zutreten sollte. "Treten oder Anschreien nützt nichts", wies Lorimer sie

zurecht. Er hatte seinen Aktenkoffer abgestellt, ging zur Maschine und schob Skye beiseite. "Ehe Sie auftauchten, war dies ein normales stilles Büro, Skye. Inzwischen geht es hier so zu, dass mir Princes Street zur Hauptverkehrszeit wie eine Oase des Friedens vorkommt. Warum müssen Sie wegen jeder Kleinigkeit solchen Wirbel veranstalten? Sie können nichts unauffällig und ohne Lärm tun. Entweder Sie reden, oder Sie lachen, oder Sie schimpfen und streiten sich mit leblosen Gegenständen. Ich konnte Sie schon im Vorzimmer hören."

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"Sie würden auch schimpfen, wenn Sie mit diesem Ding arbeiten müssten", verteidigte sich Skye. "Warum gibt es überhaupt Fotokopiergeräte? Sie sind teuer, unnütz und überaus hässlich. Sie stehen einem im Weg, und wenn sie mal etwas tun sollen, geben sie ihren Geist auf."

"Teuer, unnütz und unfähig, etwas zu tun ", wiederholte Lorimer und sah Skye vielsagend an. "Alles sehr vertraute Begriffe, meinen Sie nicht auch? Zugegeben, Sie erfüllen höhere ästhetische Maßstäbe, aber dafür lenken Fotokopiergeräte nicht so ab." Er seufzte. "Wo genau liegt das Problem?"

"Ich wollte diese Unterlagen für Sie ablichten", antwortete Skye und strich eine Locke aus ihrer Stirn. "Zur Hälfte war ich bereits fertig, da versagte die Maschine plötzlich. Ich habe alles nachgesehen, so wie Sheila es mir gezeigt hat, aber sie will einfach nicht mehr."

"Normalerweise geben Maschinen selbst die Erklärung." Lorimer las die Gebrauchsanweisung, während Skye ihm über die Schulter sah und wünschte, er würde genauso wenig ausrichten. "Hier." Er drückte auf einen Knopf, und die Maschine ratterte los.

"Das war Absicht", ereiferte sich Skye. "Ich habe den Knopf schon mehrmals gedrückt."

"Aber vielleicht nicht gefühlvoll genug. Ach, Skye, ich wünschte, Sie würden auch auf Knopfdruck funktionieren."

Sie standen dicht nebeneinander und sahen sich an. Skye versuchte in Lorimers tiefblauen Augen zu lesen. Sie erkannte Ungeduld, zunehmende Belustigung und noch etwas anderes darin, das sie nicht erklären konnte. Sie war sich seiner Nähe noch nie so bewusst gewesen und hatte plötzlich nur einen Wunsch - sich an ihn zu schmiegen und fest in die Arme genommen zu werden.

Erschrocken über sich selbst, trat sie zwei Schritte zurück. Lorimer folgte ihr mit den Blicken und bemerkte erst jetzt ihre Ohrringe, die lebhaft in Bewegung geraten waren.

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"Was ist denn das?" fragte er und fasste einen Ohrring mit Daumen und Zeigefinger. "Ein Golfball?"

Skye spürte nur seine warme Hand. "Gefallen sie Ihnen?" fragte sie atemlos. Ihr Herz klopfte laut, und in ihren Ohren summte es, so dass sie kaum ihre eigenen Worte verstand. Sie glaubte, Lorimers Blick und seine Berührung am ganzen Körper zu spüren, bis in die blonden Haarspitzen hinein, die weich über seine Hand fielen.

"Sie sind immerhin eine Abwechslung", antwortete Lorimer. Skye hatte eine Vorliebe für ausgefallenen Schmuck und besaß eine ganze Sammlung leuchtendbunter hölzerner Ohrringe, die sie begeistert trug. "Bisher hatten wir Papageien, Krokodile, Kängurus und Delphine. Ich weiß nie, welche neue Tierart morgens in mein Büro spaziert. Was hatten wir gestern? Waren es nicht Schlangen?"

"Bananen", erklärte Skye und atmete auf, als Lorimer den Ohrring losließ und zurücktrat. "Die Golfbälle entdeckte ich gestern während der Lunchpause und konnte ihnen nicht widerstehen." Was für unsinniges Zeug sie schwatzte "Ich dachte, sie wären für Ihre persönliche Sekretärin genau passend."

Lorimers Augen schienen immer mehr zu lächeln. Skye hatte sich vergeblich bemüht, ihr Haar mit zwei bunten Schmetterlingsspangen aus der Stirn zu halten, und diese Schmetterlinge wiederholten sich mehrfach auf ihrem pfauenblauen Sweatshirt, das sie zu leuchtendgrünen Leggins trug. Sie wirkte unglaublich bunt, beinahe bizarr, und passte entschieden nicht hierher.

"Mir fallen viele Worte für Ihre Garderobe ein, Skye", sagte Lorimer, "aber passend? Nein, so würde ich sie nicht nennen."

"Sie hätten wohl lieber, dass ich in grauem Rock, dunkelblauem Blazer und Perlen in den Ohren erschiene?"

"Es wäre zumindest weniger aufregend", gab Lorimer seufzend zu. "So habe ich das Gefühl, bei einem Feuerwerk

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dabei zu sein, das jeden Moment gezündet wird. Ich warte auf den ersten Knall und die erste Lichtfontäne."

"Ich fürchte, ich besitze keine vernünftige Kleidung", gestand Skye und wusste nicht, ob sie sich über Lorimer ärgern oder freuen sollte.

"Das habe ich auch nicht angeno mmen." Lorimer lächelte immer ungenierter und brachte Skye damit ganz durcheinander. Hoffentlich merkte er nicht, was ein bloßes Lächeln von ihm bei ihr anrichtete! "Wir werden uns wohl oder übel so an Sie gewöhnen müssen, wie Sie sind."

Skye horchte auf. Das klang ja fast so, als hätte er sich entschlossen, sie endlich zu akzeptieren. Um ihm ihre Freude zu zeigen, lächelte sie ebenfalls, so warm und herzlich, dass ihr ganzes Gesicht strahlte. Aber das Lächeln schwand wieder, als sie Lorimers Reaktion bemerkte. Hatte sie sich geirrt? Der Gedanke, dass er sie vielleicht doch schätzte, hatte sie ganz glücklich gemacht, aber jetzt sah er sie so seltsam an, dass ihr wieder alles zweifelhaft erschien.

Verwirrt wandte sie sich ab. "Ich werde jetzt lieber weiterarbeiten."

"Ja", stimmte Lorimer zu. "Tun Sie das. Die Unterlagen müssen heute noch zur Post. " Er bückte sich nach seinem Aktenkoffer, und dabei fiel sein Blick auf Skyes Schreibtisch, auf dem wie üblich ein unbeschreibliches Durcheinander von Papieren, Akten, Lexika, Handbüchern, Karten und Notizblöcken herrschte, dekorativ aufgelockert durch Kugelschreiber, Nagelfeilen, Lippenstifte, PC-Disketten, Tipp-Ex, Papiertaschentücher und Schokoladenriegel. "Ich verstehe nicht, wie Sie sich in diesem Chaos zurechtfinden", bemerkte er irritiert. "Kein Wunder, dass Sie alles vergessen oder durcheinanderbringen. Und was sollen die vielen Blumen?" Er sah sie scharf an. "Sind sie etwa von Charles Ferrars?"

"Nein." Skye wunderte sich, dass ihm dieser Gedanke kam. "Ich habe sie selbst besorgt. Haben Sie nicht den Strauß auf

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Sheilas Tisch gesehen? Er ist ebenfalls von mir, genau wie die Blumen in Ihrem Zimmer." Sie öffnete die Tür zu Lorimers Büro und wies auf seinen Schreibtisch, auf dem ein Strauß roter Astern prangte.

Lorimer sah erst auf die Blumen und dann auf Skye. "Was soll das?" fragte er, als hätte sie plötzlich den Verstand verloren. "Machen Blumen nicht alles freundlicher?" Skye stellte nieder geschlagen fest, dass Lorimers Vorrat an Menschlichkeit für heute morgen erschöpft war. "Das Büro ist so düster. Oh, natürlich ... alles ist äußerst geschmackvoll eingerichtet, aber Farbe und Wärme fehlen. Finden Sie nicht auch?"

Lorimer zeigte auf ihren Schreibtisch. "Eine bescheidene Vase hätte es auch getan. Warum gleich ein ganzes Blumenbeet? Mussten Sie gleich so viel kaufen?"

"Ich fühlte mich irgendwie dazu verpflichtet, als ich heute morgen bei der Blumenfrau vorbeikam", gestand Skye freimütig. "Wir kamen ins Gespräch, und am Ende mochte ich nicht mit einem kümmerlichen Freesienstrauß abziehen. Ihr Mann hat sie schon vor Jahren verlassen. Sie muss fünf Kinder durchbringen, ganz zu schweigen von ihrem alten Vater, der..."

"Ersparen Sie mir die Einzelheiten", unterbrach Lorimer sie. "Ich interessiere mich nicht für jeden Menschen, dem ich auf der Straße begegne. Sagen Sie mir einfach, ob Sie diese unglückliche Frau dadurch unterstützen wollen, dass Sie täglich ihren Stand leer kaufen."

"Ich glaube, jeder zweite Tag würde genügen. Täglich wäre vielleicht etwas übertrieben."

"Es überrascht mich, dass Sie sich dadurch zurückhalten lassen. Übertrieben ist nämlich das Wort, das am besten auf Sie passt. Erwarten Sie etwa, dass ich Ihr Hilfsprogramm finanziell unterstütze?"

"Es wäre wirklich nicht teuer", erklärte Skye, "und das ganze Büro würde viel freundlicher aussehen." Sie zögerte. "Ich habe Murray gefragt, ob ich das Geld aus der Tageskasse nehmen

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dürfte, und er sagte, Sie hätten bestimmt nichts dagegen. Er wollte Sie allerdings noch fragen", setzte sie schnell hinzu, als sie Lorimers Stirnrunzeln bemerkte.

"Es freut mich, das zu hören", sagte er eisig, ging in sein Zimmer, zog sein Jackett aus und setzte sich an den Schreibtisch. "Wie es scheint, können Sie inzwischen auch meinen Buchhalter um den kleinen Finger wickeln. Sheila hat mir gerade erzählt, dass Sie für heute Abend ein Kollegentreffen arrangiert haben."

"Wir wollen zusammen Pizza essen" ,bestätigte Skye. "Ich finde, wer so eng zusammenarbeitet, sollte sich auch privat besser kennen lernen." Sie schwieg, während Lorimer seine Hemdsärmel aufkrempelte und dabei die Merkzettel studierte, die sie ihm hingelegt hatte. "Möchten Sie nicht mitkommen?"

"Ich?" Lorimer sah überrascht auf, dann schüttelte er den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Zettel. "Nein, danke. Ich habe schon etwas vor."

"Oh." Skye kam sich ziemlich dumm vor. Natürlich hatte er eigene Pläne, die verlockender waren als ein Pizzaessen mit seinen Angestellten. Was er wohl vorhatte? Und mit wem? "Soll ich Ihnen Kaffee bringen?"

"Ja, bitte", antwortete Lorimer, ohne noch einmal aufzusehen. Skye ging in die kleine Küche hinunter, die im Keller lag, und traf dort auf Sheila, die gerade frischen Kaffee aufbrühte.

"Ich freue mich schon auf heute Abend", sagte Sheila. "Bevor Sie zu uns kamen, haben wir nie an so etwas gedacht. Nach der Arbeit ging jeder nach Hause, und auch tagsüber wurde kaum gesprochen. Ich weiß nicht, warum, aber seit Sie hier sind, macht alles mehr Spaß.

Skye trat an das vergit terte Fenster und sah auf die Straße hinaus. Es war ein grauer, regnerischer Tag. Schon seit dem frühen Morgen brannte in allen Büroräumen Licht. "Ich habe Lorimer gefragt, ob er mitkommen möchte", bemerkte sie beiläufig.

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Sheila ließ fast die Kaffeedose fa llen. "Unmöglich!" "Warum nicht?"

"Dazu hätte ich nie den Mut gehabt", gestand Sheila. "Sie haben Charakter, Skye. Wenn ich manchmal höre, wie er sie anschreit ... Ich würde das nicht aushalten."

Skye drehte sich lächelnd um. "Er hat meist Grund dazu. Und heute Abend kommt er nicht, Sie brauchen also keine Angst zu haben."

Sheila entspannte sich sichtlich. "Ich glaube, er geht oft aus." Hat er eine Freundin?" fragte Skye, während sie Becher auf ein Tablett stellte.

"Das weiß ich nicht", gestand Sheila. "Er redet nie über sein Privatleben. Manchmal habe ich ihn zusammen mit Moira Lindsay weggehen sehen, aber das besagt nicht viel. Sie ist allerdings sehr hübsch und soll ausgezeichnet Golf spielen."

"Moira Lindsay?" Den Namen hatte Skye schon einmal gehört. "Soll sie nicht ab Weihnachten für Lorimer arbeiten?"

Sheila nickte. "Moira soll sehr tüchtig sein, aber wir werden Sie vermissen, Skye. Sie sind erst seit einer Woche bei uns, aber ich weiß kaum noch, wie es vorher war."

Skye hörte nur halb, was Sheila sagte. Sie dachte an Moira Lindsay und wunderte sich nicht mehr, dass die nächsten drei Monate für Lorimer nicht schnell genug vergehen konnten. Wie bequem, wenn die Freundin gleichzeitig Sekretärin war! Hübsch sollte sie sein? Tüchtig? Und ein As im Golf? Dann war sie allerdings hochqualifiziert, was Lorimer ja bereits angedeutet hatte. Skye hatte damals nur nicht verstanden, welche zusätzlichen Qualitäten er meinte.

Sie war ungewöhnlich schweigsam, während sie mit Sheila nach oben ging. Nur gut, dass sie noch rechtzeitig von Moiras Doppelrolle erfahren hatte, sonst wäre sie am Ende so unvorsichtig gewesen, sich in Lorimer zu verlieben!

Sie stellte einen Becher auf ihren Schreibtisch und trug den an dem zu Lorimer hinein. Der Becher war bis zum Rand

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gefüllt, und Skye musste ihn vorsichtig balancieren, um nichts zu verschütten. Als sie das halbe Zimmer durchquert hatte, merkte sie, dass sie beobachtet wurde.

"Wenn Sie den Becher nicht so voll gießen würden, ließe er sich besser tragen.

Das klang eher belustigt als verärgert. "Vorsicht, er ist heiß", sagte Skye und hielt Lorimer den Becher hin. Er griff danach und streifte dabei ihre Hand. Sie zuckte zusammen, als wäre sie gestochen worden. Der heiße Kaffee schwappte über und verbrühte ihre Finger.

"Au! " rief sie und ließ den Becher fallen, ehe Lorimer ihn greifen konnte. Er zerbrach mitten auf dem Schreibtisch, und Skye beobachtete entsetzt wie sich die braune Flüssigkeit über die schneeweißen Baupläne ausbreitete:

"Dumme Gans!" Lorimer sprang auf, ehe der Kaffee auf seinen Schoß tropfen konnte. "Warum haben Sie den Becher losgelassen?" Skye hatte die verbrannten Finger in den Mund gesteckt. "Weil ich dachte, meine Hand wäre wichtiger als Ihre Pläne."

"Das kommt sehr darauf an."' Lorimer war außer sich vor Wut. "Sehen Sie, was Sie angerichtet haben? Alle Pläne müssen neu fotokopiert werden." Er knüllte die nassen Bogen zusammen und warf sie in den Papierkorb. Unterdessen bemühte sich Skye ziemlich erfolglos, die restlichen Kaffeelachen mit ihrem Taschentuch aufzuwischen.

"Geben Sie schon her! " herrschte Lorimer sie an. "Sie machen alles nur noch schlimmer, wie gewöhnlich."

"Ich weiß gar nicht, warum Sie mich so anschreien", begehrte Skye auf, "Es war ein Missgeschick."

"Solche Missgeschicke passieren Ihnen zu oft", schimpfte Lorimer. "Alles, was Sie anfangen, endet im Chaos. Ein Blick von Ihnen genügt, und ein ganz normales Fotokopiergerät funktioniert nicht mehr. Seit Sie hier sind, geht alles drunter und drüber. Ich ersticke in Arbeit, weil Sie nichts schaffen und nur

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meine Mitarbeiter ablenken. Nicht mal eine simple Nachricht können Sie richtig übermitteln."

"Was soll das heißen?" "Sehen Sie sich das an." Lorimer griff nach den Merkzetteln,

die Skye ihm am Morgen hingelegt hatte und die jetzt halbnass und fleckig waren. "Jede zweite Notiz ist unlesbar, die anderen sind so ungenau, dass man nichts damit anfangen kann. Nirgendwo ist ein Datum vermerkt, die Tageszeit fehlt, und keine Nummer ist notiert, damit ich zurückrufen kann. Und man schreibt den Ort Kirkcudbright nicht Kerkoobry!"

"So klang es aber", verteidigte sich Skye. "Selbst Sie müssten wissen, dass man nicht alles so schreibt,

wie es klingt." "Was kann ich dafür, wenn viele Ortsnamen in Schottland so

verrückt geschrieben werden?" Skye dachte nicht daran nachzugeben. "Man müsste Hellseher sein, um so viele sinnlose Buchstaben richtig aneinander zureihen."

"Ein Ortnamenverzeichnis würde genügen", sagte Lorimer kalt, "und dazu ein Hauch von Intelligenz. Aber das ist leider Ihr schwächster Punkt." Er warf die Zettel ebenfalls in den Papierkorb. "Und Sie wagen zu behaupten, Fotokopiergeräte seien überflüssig und stünden nur im Weg. Sie sind wenigstens nicht darauf programmiert, Schreibtische mit Kaffee zu überschwemmen! "

"Dann stellen Sie doch einen Roboter ein!" Skyes Temperament ging allmählich mit ihr durch. "Das wäre ganz nach Ihrem Herzen, nicht wahr? Den könnten Sie anschreien, soviel Sie wollten, ohne dass er reagierte."

"Ich müsste überhaupt nicht schreien, wenn meine Sekretärin nur die geringsten Voraussetzungen mitbrächte!"

"Dann schonen Sie in Zukunft Ihre Lungen, Mr. Kingan." Skye konnte ihren Zorn nicht länger beherrschen. "Sie brauchen mich nicht mehr anzuschreien. Ich gehe!" Sie machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zur Tür. "Tippen Sie Ihre Briefe

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gefälligst selbst, bis Ihre kostbare Moira kommt und Ihnen hilft!" Ohne sich noch einmal umzusehen, knallte sie die Tür hinter sich zu.

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4. KAPITEL

Skye kramte auf ihrem Schreibtisch herum und packte alles, was ihr gehörte, in ihre Tasche. Am liebsten hätte sie losgeheult. Dieser gemeine Kerl! Dieser widerliche, überhebliche Besserwisser! Wie sie ihn hasste! Hatte sie sich wirklich noch vor kurzem von seinem Lächeln bezaubern lassen? Sie musste verrückt gewesen sein.

Skye sank auf ihren Stuhl und starrte auf die Blumen, die sie erst heute morgen gekauft hatte. Eigentlich passte es nicht zu ihr, dass sie sich so aufregte. Sie hatte von Natur ein heiteres Temperament, und Kritik machte ihr normalerweise nichts aus. Warum war heute alles so anders verlaufen? Warum hatten Lorimers bissige Bemerkungen sie an einem wunden Punkt getroffen? Machte es ihr inzwischen etwas aus, wenn man sie für hoffnungslos unfähig hielt? War sie enttäuscht, weil Lorimer sie nicht so gern hatte, dass er über ihre Schwächen hinwegsah? Oder lag alles daran, dass sie kurz vor der peinlichen Szene von seiner Beziehung zu Moira Lindsay erfahren hätte?

Skye nahm ein Papiertaschentuch und putzte sich zornig die Nase. Was ging Moira Lindsay sie an? Lorimer konnte seine freie Zeit verbringen, mit wem er wollte, und wenn es Moira war ... bitte! Sie hatte sich mit ihrer falschen Schwärmerei für Charles gerade genug blamiert und würde nicht noch einmal einem Mann nachlaufen, der nicht zu ihr passte. Das hätte gerade noch gefehlt.

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Nein, für sie war es am besten, sich eine Weile gar nicht zu verlieben. Statt dessen würde sie versuchen, beruflich etwas zu leisten und diesmal würde sie es vernünftiger anfangen. Seinen Chef erst zu erpressen, dann durch Unfähigkeit zu reizen und schließlich noch anzuschreien, das war sicher nicht der richtige Weg, eine vertrauenswürdige Sekretärin zu werden.

Skye blickte sich im Zimmer um und gestand ich ein, dass ihr der Abschied schwer fiel. Was immer sie in der Erregung zu Lorimer gesagt hatte, sie liebte ihren Job und wäre für ihr Leben gern geblieben. Sollte alles umsonst gewesen sein, nur weil sie die Beherrschung verloren hatte? Charles war ihr inzwischen gleichgültig, aber ihren Vater durfte sie nicht enttäuschen. Erst gestern hatte sie ihm am Telefon versichert, er brauche sich keine Sorgen mehr zu machen, denn sie sei entschlossen, sich beruflich durchzusetzen.

Nein, sie durfte ihren Vater nicht im Stich lassen, vor allem jetzt nicht, wo er anscheinend finanzielle Probleme hatte. Das wusste sie von ihrem älteren Bruder, der etwas später angerufen hatte, um ihr davon zu erzählen. Zum erstenmal, denn bisher hatte er sie für zu dumm und leichtsinnig gehalten, um überhaupt ein ernstes Gespräch mit ihr zu führen. Sie war lange genug eine schlechte Tochter gewesen und durfte die Last ihres Vaters nicht noch vergrößern.

Skye sah auf die Tür zu Lorimers Büro. Wahrscheinlich saß er zufrieden in seinem Ledersessel und rieb sich die Hände, weil er sie endlich los war. Wenn er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte, würde sie es ihm nicht übel nehmen, aber sie konnte wenigstens zu ihm gehen und ihn um eine letzte Chance bitten. Mehr als nein sagen konnte er nicht.

Sie putzte sich noch einmal kräftig die Nase und stand auf. Vor der Tür zögerte sie, aber dann gab sie sich einen Ruck und klopfte. Die Tür wurde so rasch geöffnet, dass Lorimer praktisch dahintergestanden haben musste. Eine Weile sahen sie sich schweigend an. Skyes Nase war gerötet, ihre Lippen bebten, und

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ihre blauen Augen glänzten von unvergossenen Tränen, aber sie reckte den Kopf stolz empor und hielt Lorimers Blick stand. Was er wohl so dicht hinter der Tür getan hatte?

"Nun?" fragte er endlich kurz. "Ich möchte mich entschuldigen", antwortete Skye unsicher.

Immer war alles schwieriger, wenn Lorimer sie mit seinen klaren Augen betrachtete. "Sie haben recht. Ich bin ein hoffnungsloser Fall, aber ich werde mich ehrlich bemühen, wenn Sie mir noch eine Chance geben."

"Sie wollen also bleiben?" "Ja." Wieder herrschte vorübergehend Schweigen, dann sagte

Lorimer: "Ich will Ihnen nichts verheimlichen. Ich war ebenfalls auf dem Weg, mich bei Ihnen zu entschuldigen."

"Bei mir?" fragte Skye überrascht. "Ja. Ich hätte nicht so zu Ihnen sprechen dürfen. Ich dachte

an..." Lorimer zögerte. "Nun, ich dachte an etwas anderes und war nicht darauf vorbereitet, mit heißem Kaffee überschüttet zu werden. Ich fürchte, ich war unfair und habe mich gehen lassen. Sie hatten recht, es war ein Missgeschick." Er nahm ihre Hand und betrachtete sie. "Haben Sie sich sehr verbrüht?"

"Nein", antwortete sie verlegen. "Es war wohl mehr der Schreck."

Lorimer strich mit dem Daumen über die weiche Innenfläche. "Wirklich?"

"Ja. " Skye wagte kaum zu atmen und war froh, als Lorimer ihre Hand losließ: "Es tut mir leid wegen der Pläne."

"Sie müssen nur noch einmal fotokopiert werden. Vielleicht übernehmen Sie das heute Nachmittag?"

"Dann darf ich bleiben?" Lorimer versuchte, ein strenges Gesicht zu machen. "Das

würde mir die Mühe ersparen, eine neue Sekretärin zu suchen. Es würden mindestens zwei Wochen vergehen, bis ich Ersatz für Sie gefunden hätte. Das ist eine lange Zeit, in der selbst Sie viel schaffen können."

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Skye hielt es für diplomatisch, weiter zerknirscht zu erscheinen, aber Lorimer ließ sich dadurch nicht täuschen. "Wenn Sie es unbedingt hören wollen", sagte er halb lächelnd und schob die Hände in die Hosentaschen, "Sie können einen wirklich aufregen, aber auf Ihre eigene verrückte Art werden Sie leidlich mit Ihren Aufgaben fertig. Ich fange sogar allmählich an, mich an Sie zu gewöhnen."

Also er gewöhnte sich an sie! Skye hatte schon üppigere Komplimente gehört, aber es war immerhin ein Anfang. Plötzlich fühlte sie sich überglücklich.

"Ich werde versuchen, besser zu arbeiten", versicherte sie strahlend, und diesmal musste Lorimer wirklich lachen.

"Eine Bitte, Skye", sagte er, während er zu seinem Schreibtisch zurückging. "Versuchen Sie nichts Neues. Können wir jetzt weiter arbeiten?" "

"Selbstverständlich." Skye hatte das Gefühl, im letzten Augenblick einem furchtbaren Schicksal entronnen zu sein. "Soll ich noch einmal Kaffee holen?"

"Ja, bitte." Lorimer konzentrierte sich schon wieder auf seine Papiere. "Vielleicht versuchen Sie es diesmal mit einem Tablett." Skye schloss die Tür. Sie schwebte im siebenten Himmel, aber das Klingeln des Telefons brachte sie auf die Erde zurück. Sie hätte den Hörer am liebsten nicht abgenommen und weiter an Lorimer gedacht. An sein Lächeln, daran, wie er ihre Hand gehalten hatte ... Das Klingeln schrillte in ihren Ohren, und sie konnte es nicht länger ignorieren. Seufzend nahm sie den Hörer ab. "Ja, bitte?"

"Skye? Hier spricht Charles. Charles Ferrars." "Oh,... Charles, Guten Tag." Noch vor einer Woche hätte

seine Stimme genügt, um Skye in einen Taumel zu versetzen, und jetzt erkannte sie sie kaum wieder. Irgend etwas stimmte nicht mit ihr.

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"Du klingst so neutral, Skye." Irrte sie sich, oder war er beleidigt, weil sie nicht begeisterter reagierte? "Fehlt dir auch nichts?"

"Es geht mir gut." Sie bemühte sich, heiterer zu wirken. "Möchtest du Lorimer sprechen?"

"Später ja, aber zunächst wollte ich etwas mit dir plaudern. Ich habe mit Fleming über dich gesprochen und dabei erfahren, wie gut ihr euch kennt."

War er darum plötzlich so aufgeschlossen? Skye verzog das Gesicht. Es lag ihr eigentlich nicht, zynisch zu sein. "Ich dachte, das wüsstest du schon. Schließlich haben wir uns bei den Carmichaels kennen gelernt."

"Ja, aber da waren so viele Gäste. Ich hie lt dich nur für eine weitläufige Bekannte."

"Ich gehöre praktisch zur Familie, Charles. Marjorie ist meine Patin."

"Das hat Fleming mir erzählt." Charles wirkte wieder so überlegen wie immer. "Wir hatten bisher nicht, viel Zeit füreinander, Skye. Wollen wir uns morgen zum Lunch treffen?"

Skye hatte sich nach dieser Einladung gesehnt, aber jetzt sagte sie: "Morgen kann ich leider nicht, Charles. Ich bin bereits mit Vanessa zum Lunch verabredet"

Charles antwortete nicht gleich, als wartete er darauf, dass sie anbieten würde, die Verabredung mit Vanessa zu verschieben. Als das Angebot ausblieb, fuhr er fort: "Wie wäre es dann mit morgen Abend? Ich bin vorher bei Lorimer und könnte im Büro auf dich warten."

"Einverstanden." Skye wunderte sich, wie lustlos sie zustimmte. Es passte ihr gar nicht, Charles hier im Büro zu treffen, wo Lorimer alles beobachten konnte, aber ihr fiel keine Ausrede ein. Außerdem wollte sie ihren ursprünglichen Plan noch nicht aufgeben. Vielleicht begeisterte sie sich aufs neue für Charles, wenn sie ihn wiedersah. "Also bis morgen. Soll ich jetzt zu Lorimer durchstellen?"

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"Ja, bitte. Bis morgen, Skye." "Charles Ferrars?" fragte Lorimer gereizt, als er hörte, wer

ihn sprechen wollte. "Ach ja, der Grund für Ihre Reise nach Schottland. Und ich dachte, Sie wollten den Job wirklich." Er lachte hart. "Wie dumm von mir."

Skye biss sich auf die Lippe. Sie hätte Lorimer gern versichert, dass sie eben nicht eine Sekunde an Charles gedacht hatte, aber sie wusste, dass er ihr nicht glauben würde. Sie hatte ihm ja die ganze Geschichte selbst erzählt, ohne zu berücksichtigen, für wie dumm und albern er sie halten musste. Und sie war tatsächlich dumm gewesen, denn jetzt konnte sie ihn nicht mehr davon überzeugen, dass sich alles geändert hatte.

"Stellen Sie schon durch", sagte Lorimer ungeduldig, als sie schwieg.

Skye legte den Hörer auf und ging niedergeschlagen in die Küche, um noch einmal Kaffee zu holen. Als sie ihn zu Lorimer hineintrug, las er gerade einen Brief und versah ihn ärgerlich mit Randnotizen. Diesmal gab Skye ihm den Becher nicht in die Hand, sondern stellte ihn vorsichtig auf den Tisch.

"Sie gehen morgen Abend mit Charles Ferrars aus?" fragte er scharf, ohne von dem Brief aufzusehen.

"Nur auf einen Drink", antwortete Skye und fragte sich, warum ihre Stimme so entschuldigend klang. Schließlich ging es Lorimer nichts an, was sie nach Feierabend tat.

"Vergessen Sie trotzdem nicht, was ich Ihnen über Diskretion gesagt habe", fuhr Lorimer streng fort. "Ich möchte nicht, dass Mr. Ferrars alles erfährt, was hier vorgeht."

Skye betrachtete Lorimers gesenkten Kopf. "Warum sollte ihn das interessieren?" fragte sie verwundert.

"Würde er Sie sonst einladen?" Lorimer sah immer noch nicht auf.

"Halten Sie es für ausgeschlossen, dass er mich wiedersehen möchte?" Skye beherrschte ihre Stimme vollendet, nur in ihren Augen blitzte es gefährlich. Sie hatte geglaubt, ein Streit am Tag

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würde genügen, aber Lorimer legte es offenbar auf einen zweiten an.

"Ich kenne Typen wie Charles Ferrars. Sie haben immer ein verstecktes Motiv. Möglich, dass er sich für die ,Kingan-Gesellschaft` interessiert oder sich bei Fleming Carmichael einschmeicheln will, aber um Sie geht es dabei nicht, Skye. Ihre bezaubernden blauen Augen sind ihm gleichgültig."

Skye hätte am liebsten den Becher genommen und über Lorimers Kopf ausgeleert. "Warten wir's ab", sagte sie herausfordernd und reckte das Kinn.

Eine Weile bohrten sich ihre Blicke ineinander, dann lächelte Lorimer grimmig und wandte sich wieder dem Brief zu. "Ja, Skye. Warten wir's ab."

"Du hast mir verschwiegen, wie phantastisch er ist!" Vanessa sah Skye vorwurfsvoll an, als sie sie am nächsten Tag zum Lunch abholte.

"Wen meinst du?" fragte Skye scheinheilig. "Deinen Chef natürlich."

Lorimer hatte gerade mit Murray im Flur gestanden, als Skye und Vanessa das Büro verließen. Er hatte sein Gespräch unterbrochen und betont ironisch zu Skye gesagt: "Ich weiß, Sie haben einen, großzügigen Zeitbegriff, aber vielleicht könnten Sie heute ausnahmsweise pünktlich zurück sein. Wir haben heute Nachmittag viel zu tun, und ehe Sie nicht fertig sind, lasse ich Sie nicht mit Charles davon schwirren."

Lorimer war schon den ganzen Vormittag in gereizter Stimmung gewesen, und Skye hatte ihm nichts recht machen können. Sie hatte sich zusammengenommen und an ihren Vater gedacht. Nur seinetwegen war es nicht noch einmal zum Bruch gekommen, denn zwischen ihr und Lorimer stand alles wie bisher. Sie bemühte sich und wurde dafür kritisiert, gescholten oder verspottet. Von der menschlichen Wärme, die sie gestern einen Augenblick verbunden hatte, war nichts mehr zu spüren ­

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falls sich Skye diese flüchtige Sympathie nicht nur eingebildet hatte.

Ob Charles Anruf Lorimer wieder in so schlechte Stimmung versetzt hatte? Skye hatte es zunächst angenommen, aber dann war ein Anruf von Moira gekommen, und ihr gegenüber hatte Lorimer keine schlechte Laune gezeigt. Im Gegenteil, er war äußerst höflich, ja liebenswürdig gewesen und hatte Skye nach dem Gespräch aufgefordert, in einem der teuersten Restaurants von Edinburgh einen Tisch für zwei Personen zu bestellen!

Nachdenklich überquerte Skye mit Vanessa den Charlotte Square. Sollte Lorimer doch mit Moira in teuren Restaurants schlemmen! Sie selbst hatte sich entschieden, nur noch ihre Karriere zu verfolgen und auf private Unternehmungen zu verzichten. Ihre neue Rolle gefiel ihr. Sie brauchte nichts anderes.

"Es wundert mich nicht, dass du Charles langweilig findest, seit du Lorimer kennst." Vanessa knöpfte ihren Mantel fester zu, denn ein eisiger Wind fegte über den Platz.

"Ich finde Charles nicht langweilig", widersprach Skye, aber sie wusste selbst, dass es nicht sehr überzeugend klang. "Ich lasse mir einfach Zeit. Du selbst hast mir doch geraten, nicht, immer so extrem zu sein."

"Was soll das, Skye?" fragte Vanessa. "Ein Blick genügt, um festzustellen, dass ein Mann wie Lorimer Charles einfach aussticht. Ich verstehe jetzt, warum du ständig alles falsch machst. Wenn mein Chef so aussehen würde, könnte ich mich auch nicht auf meine Arbeit konzentrieren. Diese raue Männlichkeit ist viel faszinierender als Charles glatte Schönheit, hinter der sich nichts verbirgt."

"Jedenfalls besitzt er Charme", verteidigte Skye ihr ehemaliges Idol, "was ich von Lorimer nicht sagen kann." Sie verschwieg, wie hinreißend er lächeln konnte, wenn er gerade nicht missgelaunt war oder an ihr herummäkelte.

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Vanessa sah ihre Freundin von der Seite an. "Du bist nicht so heiter wie sonst", stellte sie fest. "Verschweigst du mir vielleicht etwas?"

"Was denn?" Skye wirbelte mit dem Fuß einen Haufen welker Blätter auf und wich Vanessas Blick aus. Sie war tatsächlich gereizt, aber das hatte weder etwas mit Lorimer noch mit seiner Verbredung mit Moira zu tun. Natürlich nicht. Womit es allerdings zu tun hatte, wusste sie selbst nicht.

Nie zuvor hatte sie so auf einen Mann reagiert, und das brachte sie um ihre gewohnte Selbstsicherheit. Früher hatten sie und ihre Freundinnen nicht genug über einen angeschwärmten Mann tuscheln und kichern können. Manchmal hatte sie das mehr unterhalten als der betreffende Mann selbst, aber bei Lorimer war das anders. Über ihn sprach man einfach nicht, und selbst bei einem Glas Wein wäre Skye nicht in ihr albernes Lachen von früher verfallen. Aber das konnte sie doch nicht Vanessa erzählen!

"Was sollte ich dir verschweigen?" fragte sie zur Vorsicht noch einmal und achtete bis zum Ende der Lunchpause sorgfältig darauf, dass ihr die Vorfreude auf das Wiedersehen mit Charles unmissverständlich aus den Augen leuchtete.

Im Lauf des Nachmittags verschlechterte sich Lorimers Laune noch beträchtlich. Skye war zwar rechtzeitig wieder im Büro, aber der Bericht, den sie vormittags mühevoll abgeschrieben hatte, fand keine Gnade vor seinen Augen und brachte ihr Hohn und Spott ein. Skye wäre am liebsten auf ihn losgegangen, aber dann hielt sie es doch für geraten, nur die Tür zu ihrem Zimmer lauter als nötig zu schließen.

Erst als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass Charles sie bereits erwartete. "Ich weiß, dass ich zu früh komme", sagte er und erhob sich aus einem Sessel. "Ich habe im Vorzimmer gefragt, ob ich hier warten dürfte. Es macht dir doch nichts aus?" Er lächelte so, dass sie früher weiche Knie bekommen hätte, aber heute bemerkte sie es kaum und wunderte sich nur,

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dass er so früh kam. Männer wie Charles erweckten sonst gern den Eindruck, dass sie es kaum von einem Termin zum nächsten schafften.

"Nein, es macht mir nichts aus"', erklärte sie und erwiderte das Lächeln so strahlend wie möglich schon um Lorimer zu ärgern. "Es tut mir leid, dass du allein warten musstest. Niemand hat mir gesagt, dass du schon da bist."

Skye hatte vergessen, wie gut Charles aussah. Sein Haar war tadellos geschnitten, und er trug wie immer einen dezenten grauen Anzug mit unauffälliger Krawatte. Man hätte ihn für einen Dressman halten können mit seinem glatten Gesicht, den weißen regelmäßigen Zähnen und dem bräunlichen Teint. Nur die ausdruckslosen, eher kalten Augen gaben ihm eine individuelle Note.

Während Skye ihn betrachtete, wünschte sie, sie würde sich wieder in ihn verlieben, aber der Wunsch erfüllte sich nicht. Charles ließ sie, schlicht gesagt, kalt.

Um sich nicht zu verraten, ging sie zu ihm und küsste ihn auf die Wange. "Es ist wunderbar, dich wiederzusehen", sagte sie gefühlvoller, als sie sich vorgenommen hatte. Aber schließlich war Lorimer besonders hässlich zu ihr gewesen!

"Es freut mich auch", antwortete Charles und drückte sie übertrieben an sich. "Du weißt nicht, wie sehr."

Hinter ihnen ging die Tür auf. "Ich bin untröstlich, dieses rührende Wiedersehen stören zu müssen", sagte Lorimer eisig. "Sie sind noch im Dienst, Skye. Ihr Arbeitstag endet erst um halb sechs."

Skye ärgerte sich, dass sie schuldbewusst zusammenzuckte, nur weil, sie Lorimers Stimme hörte. Sie ließ Charles los und beobachtete vom Schreibtisch aus, wie Lorimer ihn feindselig begrüßte. Dabei fiel ihr ein, was Vanessa über die beiden gesagt hatte. Charles wirkte kühl und distanziert wie immer, während Lorimer seine Autorität und seine gereizte Stimmung offen spüren ließ.

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Lorimer verschwand mit Charles in seinem Zimmer, und Skye machte sich seufzend daran, den fehlerhaften Bericht zu korrigieren. In ihrer Verfassung gelang ihr das nur schlecht. Sie machte neue Fehler, wenn sie die alten verbesserte, und es war beinahe halb sechs, als sie das letzte Blatt beiseite legen konnte.

Sie zog sich gerade die Lippen nach, als Lorimer und Charles zurückkamen. "Fertig?" fragte sie und sah Charles lächelnd an. "Offensichtlich", antwortete Lorimer für ihn. "Entscheidender ist allerdings, ob Sie fertig sind."

"Natürlich", sagte Skye mit dem Stolz der zuverlässigen Sekretärin. Dann sah sie auf die Uhr. "Himmel!" rief sie scheinbar entsetzt. "Es ist erst fünf Uhr siebenundzwanzig. Würdest du noch drei Minuten warten, Charles? Ich möchte keinen pflichtvergessenen Eindruck machen."

"Gehen Sie schon", fuhr Lorimer sie an. "Sie können es ja kaum erwarten."

Wütend sah er zu, wie Skye sich von Charles in den Mantel helfen ließ. "Du ahnst nicht, wie ich mich den ganzen Tag gefreut habe", sagte sie dabei schwärmerisch und stellte mit einem heimlichen Blick fest, dass sich Lorimers Miene weiter verdüsterte. Endlich konnte er ihr übertriebenes Getue mit Charles nicht mehr ertragen und verschwand ohne ein Wort des Abschieds in seinem Zimmer.

Skye tat, als wäre sie über diese Unhöflichkeit äußerst schockiert. "Also wirklich", murmelte sie vor sich hin, ehe sie Charles von neuem anstrahlte. "Wollen wir gehen?"

Charles hatte eine kleine Bar hinter der Hannover Street ausgesucht. "Es tut mir leid, dass ich mich nicht früher um dich gekümmert habe", entschuldigte er sich, während er Wein einschenkte. "Aber es gab so viel zu tun ... du weißt ja, wie das ist."

Vor zwei Wochen hätte ich es noch nicht gewusst, dachte Skye und kostete von dem Wein. "Gewiss, Charles", sagte sie dann. "Bei uns geht es auch ziemlich hektisch zu."

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"Hoffentlich musst du nicht zu hart arbeiten." Charles rückte näher an sie heran. "Dann könnten wir uns nicht so oft treffen, wie es zwei armen Verbannten zukommt. Ein merkwürdiger Zufall, dass wir beide gleichzeitig in Edinburgh sind. Findest du nicht?"

"Ein sehr merkwürdiger Zufall", bestätigte Skye. Ob Charles ahnte, dass sie ihm gefolgt war? Sie verstand inzwischen nicht mehr, was sie dazu getrieben hatte. Gewiss, man konnte sich mit Charles sehen lassen. Auch heute erntete sie von anderen Barbesucherinnen neidische Blicke, aber warum war der Charles, der sie übersehen und sich nicht um sie gekümmert hatte, soviel attraktiver gewesen? Vanessa hatte recht. Charles war nur eine Herausforderung für sie gewesen. Jetzt, wo er neben ihr saß, ihr zuprostete und sich öfter mit ihr treffen wollte, schämte sie sich nur noch, dass sie einen Mann, der ihr Herz kein bisschen höher schlagen ließ, so wichtig genommen hatte. Wie anders erging es ihr da bei Lorimer! Der brauchte sie nur anzusehen, und schon schlug ihr Puls wie verrückt!

"Gefällt es dir, für Lorimer Kingan zu arbeiten?" erkundigte sich Charles. "Er hat Charakter, wenn auch einen ungehobelten." "Eine Londoner Unternehmensgruppe hat ihn kürzlich schwer enttäuscht", antwortete Skye, ohne nachzudenken. Wie kam sie eigentlich dazu, Lorimer zu verteidigen?

Charles zuckte die Schultern. "Das Investitionsgeschäft ist nun mal hart. Außerdem sind die Schotten zu sentimental, um gute Geschäftsleute zu sein."

"Lorimer sentimental?" rief Skye "So würde ich ihn wirklich nicht beschreiben:"

"Oh, er macht einen harten Eindruck, ist aber bei allem zu sehr mit dem Herzen dabei." Charles schien das für eine absolute Verirrung zu halten. "Es kommt letzten Endes nur auf das Geld an."

Skye trank schnell einen Schluck Wein ehe sie fragte: "Ist das deine wahre Überzeugung?"

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"Ich will ehrlich sein", antwortete Charles. "Fleming hat mich nach Edinburgh geholt, um die hiesige Zweigstelle gründlich zu modernisieren. Sie verstehen hier nicht, gewinnbringende Geschäfte zu machen, und das soll ich ihnen beibringen. Sobald mir das gelungen ist, hält mich hier nichts mehr."

"Gefällt dir Edinburgh nicht?" fragte Skye erstaunt. "Ganz Schottland gefällt mir nicht", bekannte Charles. "Und

wie kalt und langweilig Edinburgh ist! Gerade du müsstest das doch auch empfinden, Skye. Ich habe dich immer für eine eingefleischte Londonerin gehalten."

"Ich mich selbst auch", gab Skye, zu, "aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher. Ich mag Edinburgh. Es ist eine wunderbare Stadt." Charles sah sie halb vorwurfsvoll und halb mitleidig an. "Dann hast du dich verändert."

"Ja, Charles. Ich glaube, du hast recht." Der Abend schien sich endlos hinzuziehen. Früher hätte Skye

es genossen, mit einem attraktiven Mann in einer eleganten Weinbar zu sitzen, aber heute blickte sie immer wieder verstohlen auf die Uhr und fragte sich, was Lorimer und Moira wohl taten. Lächelten sie sich bei Kerzenlicht verliebt an und schwärmten davon, wie schön es sein würde, wenn Moira erst Skyes Stellung einnahm?

Skye trank aus Verzweiflung mehr Wein als sonst. Sie versuchte immer wieder, Lorimer und Moira zu vergessen und sich auf Charles zu konzentrieren, aber er langweilte sie mit jeder Minute mehr, und bald fragte sie sich, warum sie jemals einen Gedanken an ihn verschwendet hatte. Sie dachte an die Dinnerpartys, die sie gegeben hatte, nur um Charles zu sehen. Sie dachte an die Einladungen, die sie sich aus dem gleichen Grund erschlichen hatte, an die vielen kleinen Tricks, die dazu dienen sollten, ein Lächeln von ihm zu erhaschen. Über all das konnte sie sich jetzt nur noch wundern.

Mehr als einmal kam ihr auch der Gedanke, dass Lorimer vielleicht recht hatte, wenn er behauptete, Charles sei mehr an

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der "Kingan-Gesellschaft" und Skyes guten Beziehungen zu den Carmichaels als an ihr selbst interessiert. Er stellte auffällig viele Fragen nach Lorimers Geschäften, und Skye musste immer häufiger übertriebene Sympathie heucheln, um den Antworten auszuweichen. Die Folge war, dass sich Charles weitschweifig über die rückständigen Verhältnisse in Flemings Büro, das schlechte Klima, die mangelnden Unterhaltungsmöglichkeiten in der Stadt und die schlechte Konjunktur ausließ. Skye hörte bald nicht mehr zu, und am Ende war es ihr nur noch peinlich, wie laut Charles klare, scharfe Stimme alle anderen Geräusche in der Bar übertönte.

Skye brach auf, sobald es die Höflichkeit gestattete. Zu Hause gab sie einen ausführlichen Bericht von dem missglückten Abend, und nachdem sie ausgiebig mit Vanessa gelacht hatte, gestand sie sich unumwunden ein, dass sie sich wegen Charles zum Narren gemacht hatte. Danach fühlte sie sich bedeutend besser.

"Ich werde jetzt nur noch arbeiten", beteuerte sie ernsthaft. Vanessa bekam einen neuen Lachanfall, aber Skye wurde nicht müde, ihre Zukunft in neuem Licht darzustellen. Sie würde so gut arbeiten, dass Lorimer nicht wagen würde, sie durch Moira zu ersetzen. Sie würde ihren Vater stolz und glücklich machen. Für Männer würde sie sich nicht mehr interessieren. Charles reichte ihr fürs erste. Wie kam sie dazu, sich pausenlos in Männer zu verlieben, die nichts von ihr wissen wollten? Das galt auch für Männer, die Lorimer Kingan hießen! Nein, von heute an würde Arbeit ihr Losungswort sein.

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5. KAPITEL

"Liebes Kind, es stört dich doch nicht, mit deinem Chef auch privat zusammenzukommen?"

"Natürlich nicht", antwortete Skye automatisch, obwohl sie keineswegs sicher war, wie sie außerhalb des Büros auf Lorimer reagieren würde. "Ich frage mich allerdings, ob es ihn nicht stört."

"Wie sollte es?" fragte Marjorie Carmichael etwas von oben herab. "Du bist eine Schönheit und bereicherst jede Gesellschaft. Es geht nämlich um folgendes", fuhr sie vertraulicher fort. "Fleming hat den Eindruck, dass sich Lorimer und Charles nicht gut verstehen. Darum möchte er sie privat zusammenbringen. Mir ist nicht ganz wohl dabei, und darum musst du unbedingt kommen. Niemand ist für Dinnerpartys so geeignet wie du."

Skye lachte. "Ist das nun ein Kompliment, Marjorie? Ich nehme es so und werde mein Bestes tun."

Marjorie atmete auf. "Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassest kann. Dann bis nächsten Sonnabend. Ist halb acht zu früh für dich?"

"Bis dahin schaffe ich es bequem. Auf Wiedersehen, Marjorie." Skye legte nachdenklich den Hörer auf. Sie hatte Lorimer während der letzten Tage kaum zu Gesicht bekommen. Er war von einem Termin zum nächsten geeilt und hatte gestern den ganzen Tag in Perth verbracht, um ein neues Golfgelände zu besichtigen. Entgegen ihrer Erwartung hatte er sie nicht gebeten

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mitzukommen. Seit Charles mit ihr ausgegangen war, blieb die Atmosphäre im Büro gespannt, und Skye pries sich immer wieder glücklich, dass sie sich entschlossen hatte, nur noch für ihre Arbeit zu leben und alle Träume von einem besseren Verhältnis zu Lorimer aufzugeben. Er betrachtete sie weiter als Geisel des Schicksals, auch wenn sie sich noch soviel Mühe gab.

Ob er seine Meinung änderte, wenn er sie in privater Umgebung

traf? Vielleicht war das ihre große Chance, ihm zu zeigen, dass sie nicht nur eine hoffnungslos unfähige Sekretärin war. Sie würde sich in Szene setzen, mit allen Mitteln die Dame von Welt spielen. Die Aussicht belebte Skye so sehr, dass ihr ein Kribbeln über den Rücken lief. Sie hatte sich zwar fest vorgenommen, sich nicht mehr mit unzugänglichen Männern einzulassen, aber deswegen konnte sie Lorimer doch zeigen, dass sie nicht das Dummerchen war, für das er sie hielt.

Während der nächsten Lunchpause durchstöberte sie einige Boutiquen, bis sie genau das gefunden hatte, was sie suchte ein schlichtes schwarzes Kleid, das gerade durch seine Schlichtheit ungeheuer raffiniert wirkte. Nie hätte sie geglaubt, ein Kleid zu besitzen, dessen Wirkung allein vom Schnitt und vom Material ausging. Der schulterfreie V-Ausschnitt und die kurzen Ärmel waren das einzig Auffällige daran, aber Skye musste zugeben, dass ihre zarte Haut und ihre schön geformten Schultern ideal zur Geltung kamen.

Und das alles für einen Mann, den ich gar nicht mehr erobern will, dachte sie schuldbewusst, als sie Samstag Abend zum letzten Mal vor dem Spiegel stand. Das Kleid hatte fast ein ganzes Monatsgehalt gekostet, und es veränderte sie völlig, soviel war sicher.

"Wolltest du Charles nicht aufgeben?" fragte Vanessa, die Skye misstrauisch bei ihrer Spiegelparade beobachtete.

"Das habe ich bereits getan."

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"Warum gibst du dir dann für heute Abend so große Mühe?" Skye zupfte an den Ärmeln des neuen Kleids und sah weiter in den Spiegel: "Es ist mal etwas anderes", meinte sie vage und wechselte schnell das Thema. "Könntest du mir vielleicht Ohrringe leihen, Van? Ich fürchte, Papageien oder Bananen würden die Wirkung verderben."

Vanessa stellte großzügig ihren Schmuckkasten zur Verfügung, und Skye wählte zwei schwere Goldklips, die das Licht einfingen und wunderbar zu ihrem hochgesteckten blonden Haar passten. Einige Locken ließen sich zwar nicht bändigen und fielen in den Nacken, aber Vanessa fand das gerade charmant.

"Du siehst dann nicht ganz so streng aus", meinte sie. "Nicht so unverschämt blasiert."

"Du findest, ich sehe blasiert aus?" Skye betrachtete sich mit neuem Interesse.

"Früher wäre mir das Wort bei dir nicht über die Lippen gekommen, aber jetzt fällt mir kein passenderes ein." Vanessa schüttelte den Kopf, als würde sie ihre Freundin nicht wiedererkennen. "Du warst schon immer beneidenswert hübsch, aber so elegant, so hinreißend schön habe ich dich noch nicht erlebt. Hast du es wirklich nicht mehr auf Charles abgesehen?"

"Wirklich nicht." Skye hätte niemals zugegeben, dass sie ausschließlich

Lorimer beeindrucken wollte, aber sie war aufgeregter als sonst, als sie an der Wohnungstür der Carmichaels klingelte. Würde Lorimer sie auch schön und elegant finden? Sie versuchte, ein überlegenes Gesicht zu machen, um die Wirkung des Kleids zu unterstützen, aber da die Carmichaels sie kannten, seit sie in Windeln gelegen hatte, gelang der Versuch nur halb.

Fleming drückte Skye väterlich an die Brust, bis sie kaum noch Luft bekam und sich lachend frei machte. Die angenommene Würde war damit fast dahin, und der Rest verlor sich beim Begrüßungskuss mit Marjorie.

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"Wie bezaubernd du aussiehst", schwärmte Marjorie. "Komm herein und begrüße . . ."

Mehr hörte Skye nicht. Sie hatte durch die offene Wohnzimmertür Lorimer entdeckt, und sein Anblick überwältigte sie. Er stand vor dem Kamin mit einem Whiskyglas in der Hand. Dinnerjackett und Fliege machten ihn strenger als sonst, minderten aber keineswegs seine männliche Ausstrahlung. Er sah stark und zuverlässig aus und wirkte so anziehend, dass Skye wie gebannt zu ihm hinübersah.

Er hob den Kopf, und für einen Moment begegneten sich ihre Blicke. Ein überraschter, beinahe schockierter Ausdruck erschien auf Lorimers Gesicht, und in seinen blauen Augen lag etwas, das Skye nicht deuten konnte. Lorimer fasste sich zwar gleich wieder, aber der Blick hatte genügt, um sie beinahe aus der Fassung zu bringen.

"Du erinnerst dich doch an Charles?" Marjorie schob Skye sanft vorwärts. "Ich glaube, ihr habt euch in unserm Haus in London kennen gelernt."

Charles sah ebenfalls gut aus, aber neben Lorimer verblasste er. Da Skye sich von Lorimer beobachtet fühlte, küsste sie Charles auf beide Wangen und stellte anschließend zufrieden fest, dass Lorimer die Stirn runzelte.

"Mit Lorimer muss ich dich nicht bekannt machen", fuhr Marjorie fort, "aber hier ist jemand, den du nicht kennst. Moira ... Moira Lindsay."

Erst jetzt bemerkte Skye die Frau, die neben Lorimer stand. In ihrer kühlen, zurückhaltenden Art fiel sie nicht gleich auf, aber nun erkannte Skye, dass sie einen durchsichtigen Teint und wundervolles rotes Haar hatte. Ihre schlanke Figur verriet eine gesunde Lebensweise. Skye dachte schuldbewusst an die gemütlichen Abende bei Vanessa, zu denen Gin-Tonic, Schokolade, Kartoffelchips und Eiscreme regelmäßig dazugehörten.

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Skye wunderte sich jetzt nicht mehr, dass Lorimer so von Moira schwärmte. Sie war nicht nur attraktiv, sondern auch intelligent und nach den ersten tastenden Worten überraschend freundlich. Skye hatte sich fest vorgenommen, Moira nicht zu mögen, aber das gelang ihr nicht.

"Endlich lerne ich Sie kennen", sagte Moira mit einem Lächeln, das warmherzig und kein bisschen herablassend wirkte." Ich habe schon so viel von Ihnen gehört."

"Oje!" Skye streifte Lorimer mit einem raschen Seitenblick, aber er hatte seine übliche spöttische Miene aufgesetzt, die nichts verriet.

"Keine Sorge", beruhigte Moira sie. "Lorimer verrät niemals ein Geheimnis. Er hat mir sogar verschwiegen, wie bezaubernd Sie aussehen."

Skye erwärmte sich noch mehr für Moira, aber ehe sie antworten konnte, sagte Lorimer: "Sie sieht normalerweise nicht so aus, dafür sorgen schon die Papageien und Bananen, mit denen sie sich behängt. Ich hätte sie eben kaum erkannt, aber dann bemerkte ich die übertriebenen Ohrklips und war beruhigt. Eine gelungene Verwandlung, Skye, aber keine vollkommene."

"Die Ohrklips sind nicht übertrieben", erklärte Skye gekränkt. Sie kam sich plötzlich wie ein Kind vor, das ein Kleid seiner Mutter angezogen hat, um erwachsen zu wirken.

"Sie sind gigantisch", beharrte Lorimer, "und müssen grässlich unbequem sein."

"Unsinn", widersprach Skye, obwohl Lorimer recht hatte. Die Klips drückten und hingen fiel zu schwer an den Ohrläppchen, aber das brauchte er nicht zu wissen.

Er blieb trotzdem bei seiner Meinung und sagte so leise, dass nur Skye es hören konnte: "Was Frauen alles tun, um sich einen Mann zu angeln." Dabei sah er vielsagend auf Charles.

Skye reckte trotzig das Kinn. Wenn Lorimer glaubte, dass sie noch an Charles interessiert sei bitte, ihr sollte es recht sein. Dann argwöhnte er wenigstens nicht, dass sie sich nicht für

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Charles, sondern für ihn so herausgeputzt hatte. Wütend wandte sie sich ab und begann, auffällig mit Charles zu flirten.

Sie fühlte sich unsicher und verraten. Wie sehr hatte sie sieh gewünscht, Lorimer zu beeindrucken und seine Meinung von ihr zu verbessern. Und was war dabei herausgekommen? Er stand da, beobachtete gereizt, wie sie sich scheinbar um Charles bemühte, und verglich sie insgeheim mit Moira, die in ihrer Ausgeglichenheit fast wie ein mahnendes Vorbild wirkte. Skye kam sich neben ihr unreif und verspielt vor.

Beinahe wäre sie in Tränen ausgebrochen. Um diese letzte Demütigung zu vermeiden, trank sie zuviel Sherry und erzählte komische Anekdoten, die alle bis auf Lorimer amüsierten. Dabei flirtete sie weiter ungeniert mit Charles, der sich anfangs geschmeichelt fühlte. Erst als sie lauter und unbeherrschter wurde, spürte man seine Verlegenheit. Als Gast seines Chefs konnte er nichts sagen, aber sein Gesicht verriet, wie unangenehm ihm Skyes unbeherrschte Zuwendung war.

Als Majorie endlich zu Tisch bat, war Skye so erschöpft, dass sich auf ihre anfängliche Rolle besann und wieder die große Dame spielte. Alle wunderten sich darüber, aber der Rollenwechsel gelang, bis sich plötzlich einer der überschweren Ohrklips löste und laut platschend in die Suppe fiel. Das zarte Porzellan klirrte gefährlich, und ein Sprühregen ergoss sich auf Charles, der neben ihr saß. Während er wütend mit der Serviette an seiner Krawatte herumrieb, starrte Skye auf den Goldbrocken in ihrer Suppe und wand sich vor Peinlichkeit. Warum passierten immer ihr diese Missgeschicke? Moiras Ohrklips würden in hundert Jahren nicht herunterfallen!

Alle schwiegen verlegen, nur Charles schimpfte leise vor sich hin und klagte über die ruinierte Krawatte. Skye hätte sterben mögen. Zum Glück rettete Marjorie die Situation, indem sie etwas zu Moira sagte. Skye hob zaghaft den Kopf. Lorimer saß ihr gegenüber und schien nicht gewillt, ihr aus der Verlegenheit zu helfen, indem er sich an dem Gespräch der andern beteiligte.

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Statt dessen betrachtete er sie mit gutmütiger Nachsicht. Ein kaum merkliches Lächeln spielte um seinen Mund, endlich nickte er, als wollte er sie auffordern, die Situation zu beenden.

Skye fischte den Ohrclip mit der Gabel aus der Suppe tauchte einen Zipfel ihrer Serviette in ihr Wasserglas und rieb den Clip damit ab. Dann befestigte sie ihn wieder an ihrem Ohr, mehr aus Trotz als aus Neigung, und sah Lorimer herausfordernd an. Lorimer kämpfte sichtlich mit sich. Er wollte nicht nachgeben, aber am Ende siegten sein Humor und Skyes wiedergewonnene gute Laune, die ihr aus den blauen Augen blitzte. Ergab seinen Widerstand auf und lächelte, wie nur er es konnte Skye atmete auf und lächelte ebenfalls.

Dann war der Augenblick vorbei. Fleming zog Lorimer ins Gespräch, und Marjorie fragte Skye, ob sie ihre Suppe noch essen wolle. Skye aß automatisch weiter. Sie fühlte sich benommen. Lorimers Lächeln wärmte sie wie ein inneres Feuer. Ihr ganzer Körper wurde davon erfasst. Irgendwie schaffte sie es, sich mit Marjorie zu unterhalten, aber ihre eigentliche Aufmerksamkeit galt Lorimer. Keine Bewegung von ihm, entging ihr. Sie sah, wenn er nach seinem Weinglas griff, sah wie sich seine kräftige Hand um den Stiel schloss, und natürlich bemerkte sie jeden Blick, den er Moira zuwarf, jedes Lächeln, das er ihr widmete. Sie verstanden sich offenbar sehr gut, und das schmerzte Skye, weil sie sich ausgeschlossen fühlte.

Lorimer hatte kein zweites Lächeln für sie und allmählich erlosch das innere Feuer, das sie so belebt hatte. Sie ließ sich zwar nichts anmerken, aber ihre gute Laune wirkte verkrampft. Sie warf Charles verliebte Blicke zu, die er zu übersehen versuchte, und ruhte nicht, bis die ganze Tischrunde - allen voran Lorimer - sichtlich nervös wurde.

Wenn Skye sich beim Erzählen lebhaft vorbeugte, schimmerten ihre nackten Schultern im Kerzenlicht. Ihr Gesicht war leicht gerötet, die tanzenden Schatten lenkten die Aufmerksamkeit auf die Wölbungen der Schlüsselbeine und den

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Busenausschnitt. Die strenge Hochfrisur, die bisher wie durch ein Wunder gehalten hatte, begann sich allmählich zu lockern. Skye hielt es nach dem Missgeschick mit der Suppe für überflüssig, weiter die Dame zuspielen. Sie zog kurzerhand alle Kämme aus ihrem Haar, schüttelte wie erlöst den Kopf und ließ die üppigen blonden Locken um ihr Gesicht tanzen:

Im selben Moment fing sie einen Blick von Lorimer auf. Kein Vorwurf lag darin, sondern ein beinahe wilder Ausdruck, eine auflodernde Leidenschaft, die Skye ins Herz traf. Sie stockte in ihrer Erzählung. Erst als Lorimer sich abrupt abwandte, konnte sie weitersprechen. Was war nur mit ihr los? Den ganzen Abend hatte Lorimer sie bewusst ignoriert, und plötzlich genügte ein einziger Blick von ihm, um sie völlig aus der Fassung zu bringen.

Während sie im Wohnzimmer Kaffee tranken, widmete Skye sich ausschließlich Charles. Es entging ihr nicht, dass Lorimer sie immer grimmiger beobachtete, aber sie verstand ihn nicht und kümmerte sich daher nicht darum. Wie kam er dazu, wütend auf sie zu sein? Schließlich hatte er sie ignoriert und nicht umgekehrt. Was hätte sie denn tun sollen? Wie ein Mauerblümchen dasitzen und ergeben auf ein freundliches Wort warten? Trotzig schob sie ihre Kaffeetasse beiseite und bat um ein weiteres Glas Wein.

Skye ging immer mehr aus sich heraus. Als sie sich kaum noch kontrollieren konnte, stand Lorimer plötzlich auf und sagte, er würde sie nach Hause bringen.

Skye wollte sich die Stimmung nicht verderben lassen. "Ich kann später ein Taxi nehmen", erklärte sie trotzig.

"Ich fahre ohnehin in Ihre Richtung." "Und was wird aus Moira? Und Charles?"

"Wenn Sie nicht nur mit sich selbst beschäftigt gewesen wären, hätten Sie gehört, dass Charles Moira eben angeboten hat, Sie zu Fuß nach Hause zu begleiten", sagte Lorimer eisig. Er war offensichtlich mit seiner Geduld am Ende. "Sie wohnen

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beide in der Nähe. Somit bleiben wir übrig, Skye. Ich habe ein Auto, und Sie sind in einem Zustand, indem man Sie nicht allein lassen darf."

Fleming nickte bei diesen Worten, und Marjorie lächelte verständnisvoll. Beides kränkte Skye so sehr, dass sie kindisch aufbegehrte. "Mein Zustand ist völlig normal."

"Keine Widerrede, Skye." Lorimer ließ ihr kaum Zeit, Fleming und Marjorie einen

Abschiedskuss zu geben, ehe er sie mit eisernem Griff nach draußen und in sein Auto verfrachtete. Skye bemerkte noch, dass Fleming und Marjorie ihnen nachwinkten, aber warum sie dabei so sonderbar lächelten, verstand sie beim besten Willen nicht.

"Ich hätte mir viel lieber ein Taxi bestellt", sagte sie noch einmal, als Lorimer den Motor anließ.

Er überhörte die Bemerkung und forderte sie auf, den Sicherheitsgurt anzulegen. Skye gehorchte mürrisch.

"Vielleicht wollten Sie gern so früh nach Hause", beschwerte sie sich. "Ich war gerade in bester Stimmung."

"Als einzige von uns. Ich habe den andern nur einen Gefallen getan, indem ich weitere Entgleisungen verhinderte."

"Was meinen Sie mit Entgleisungen?" fragte Skye gekränkt. Sie hatte die schweren Ohrklips abgenommen und massierte ihre schmerzenden Ohrläppchen. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich. Ohne ihr bisheriges Publikum, mit Lorimer als einzigem Zuhörer, war der Höhenflug rasch beendet. "Wissen Sie, was Ihr Fehler ist, Mr. Kingan? Sie sind so steif und zurückhaltend, dass sie nicht wissen, wie man sich amüsiert."

"Sollte ich es etwa amüsant finden, wie Sie sich wegen Charles Ferrars lächerlich machten?" fragte Lorimer sarkastisch. "Dem armen Kerl war gar nicht wohl in seiner Haut, ich hatte fast Mitleid mit ihm. Wie Moira es fertiggebracht hat, immer wieder über Ihre albernen Geschichten zu lachen, ist mir ein

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Rätsel. Wahrscheinlich wollte sie nur nett sein. Charles und ich waren jedenfalls schockiert."

"Woher wollen Sie wissen ob Charles schockiert war?" fragte Skye hitzig. "Sie haben während des ganzen Abends kaum mit ihm gesprochen."

"Weil Sie pausenlos vor sich hinplapperten, so dass niemand anders zu Wort kam. Außerdem brauchte ich nicht mit ihm zu sprechen, um zu merken wie peinlich ihm Ihr Verhalten war. Geben Sie ihn auf, Skye, Sie haben schon verspielt. Bunte Vögel wie Sie passen nicht zu Charles Ferrars sorgfältig geschliffenem Image"

"Wenn ich Ihren Rat brauche, werde ich darum bitten" Skye steckte die Ohrklips in ihre Handtasche und wandte sich ärgerlich ab. Sie konnte vornehm schweigen, wenn es sein musste, oder auch beleidigt. Das spielte jetzt ohnehin keine Rolle mehr.

Draußen zog sich dichter Nebel zusammen. Die gelben Straßenlaternen verschwammen zu einem trüben Lichtschein, und das konnte ja nur am Nebel liegen. Nicht an den Tränen, die Skye in die Augen gestiegen waren und gefährlich locker saßen.

Lorimer hielt vor dem grauen Mietshaus. Alle Fenster waren dunkel, jeder hatte die Vorhänge gegen die kalte Nachtluft geschlossen. Hoffentlich funktioniert das Treppenlicht, dachte Skye. Es brannte im Dreiminutentakt, so dass sie nie ganz nach oben kam. Normalerweise stand sie irgendwo zwischen dem dritten und vierten Stock plötzlich im Dunkeln und musste sich zum nächsten Schalter vortasten. Sie hasste diese plötzliche Dunkelheit, obwohl sie nicht genau wusste, wovor sie sich eigentlich fürchtete.

Lorimer musste ihr angesehen haben, was sie dachte, denn er bot ihr an, sie bis ins Haus zu begleiten:

"Würden Sie das wirklich tun?" fragte Skye überrascht. Ihre Erleichterung war so groß, dass sie alles Schmollen vergaß.

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Lorimer antwortete nicht. Er stellte den Motor ab, öffnete Skye die Wagentür und brachte sie bis zur Haustür. Skye schloss auf und tastete nach dem Schalter. Die schwachen Glühbirnen leuchteten auf und tauchten das Treppenhaus in trübes Licht.

"Gott sei Dank, es funktioniert", seufzte Skye. Sie schämte sich etwas, weil sie so ängstlich war. "Ich weiß, es ist eine dumme Angewohnheit, aber ich hasse es plötzlich im Dunkeln allein zu sein."'

Lorimers Gesicht verriet nicht, was er davon hielt. "Sie haben wohl kaum damit gerechnet, heute Abend allein zu sein", sagte er endlich und kam einen Schritt näher. Skye wich instinktiv zurück bis sie mit dem Rücken an der Wand stand.

"Wie meinen Sie das?" fragte sie unsicher, denn Lorimers Nähe irritierte sie. Im Dämmerlicht des Treppenhauses wirkte er noch überwältigender als sonst. Jede Einzelheit seines Gesichts trat schärfer hervor: die Furchen in den Wangen, die Fältchen in den Augenwinkeln, der Haaransatz an der Stirn und die verführerischen Lippen.

"Tu doch nicht so, Skye." Lorimers Stimme klang gefährlich sanft. "Du dachtest, du würdest Charles mit nach Hause bringen, aber er hat deine Pläne durchkreuzt. Das muss sehr enttäuschend sein besonders nach dem hohen Einsatz, den du riskiert hast"

Lorimer streckte eine Hand aus und folgte mit dem Zeigefinger der Linie ihrer Schlüsselbeine. Die leichte Berührung war kaum zu spüren, aber Skye reagierte so heftig, dass sie vor sich selbst erschrak. Die Brust war ihr plötzlich zu eng. Sie konnte kaum noch atmen, und als Lorimers Finger langsam tiefe r glitt und den Ansatz ihrer Brüste nachzeichnete, glaubte sie, das Herz würde ihr stillstehen.

Sie wollte Lorimers Hand abwehren und mit erhobenem Kopf die Treppe hinaufgehen, aber sein Blick hielt sie fest. Wachsendes Verlangen lähmte ihren Willen und lieferte sie sich selbst aus. Lorimer berührte sie kaum, aber sie war sicher, dass er ihre Reaktion deutlich spürte.

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"Du warst heute Abend wunderschön", fuhr er mit tiefer, leiser Stimme fort. "Wäre es nicht jammerschade, wenn die ganze Mühe umsonst gewesen wäre?" Er fasste ihre Schultern, seine Hände fühlten sich auf ihrer weichen Haut warm und fest an. "Wäre es nicht schade?" wiederholte er fast flüsternd und vergrub die Hände in ihrem dichten Haar.

Skye hätte nicht antworten können, selbst wenn sie gewollt hätte. Sie konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr denken. Ihre Sinne verlockten sie, der Versuchung nachzugeben, und außerdem war es ohnehin zu spät. Lorimer beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie.

Es war, als schlügen aus einem glimmenden Feuer plötzlich helle Flammen empor. Skye spürte instinktiv, dass Lorimer nicht mit dieser Reaktion gerechnet hatte. Wenn es so war, konnte er sich ebenso wenig bezwingen wie sie, denn nach einem Augenblick des Schocks drückte er sie hart gegen die Wand und küsste sie leidenschaftlicher.

Skye war von Anfang an verloren. Sie hob wie abwehrend die Hände, aber anstatt Lorimer zurück zu stoßen, wie ein letzter Rest von Vernunft ihr riet, fasste sie die Aufschläge seines Jacketts und erwiderte den Kuss rückhaltlos. Lorimer reagierte sofort, indem er sie fester an sich zog und seine Zunge zwischen ihre Lippen drängte.

Skye wusste nichts mehr. Sie spürte nur noch Lorimers Umarmung und das Verlangen, das sie zu ihm trieb. Sie konnte ihn nicht heiß genug küssen, nicht fest genug, an sich drücken. Selbstvergessen knöpfte sie sein Jackett auf und schlang beide Arme um ihn. Die Wärme und die harte Kraft seines Körpers überwältigten sie.

Das Licht im Treppenhaus war längst erloschen, ohne dass sie es in ihrer leidenschaftlichen Umarmung bemerkten. Nie zuvor hatte Skye so intensiv gefühlt. Sie war wie betäubt vor Verlangen, wie berauscht von Lust. Als Lorimer den Kuss

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beendete, beugte sie instinktiv den Kopf zurück und hob ihm Hals und Schultern entgegen.

"O Skye" flüsterte er und hauchte heiße Küsse darauf. Während er nach dem Reißverschluss ihres Kleids tastete, zog Skye ihm das Hemd aus der Hose und ließ die Hände darunter gleiten. Seine Haut war glatt und warm, und sie fühlte, wie sich die Muskeln darunter spannten.

"O mein Gott. . ." Skye begriff nicht gleich, dass Lorimer sich wieder gefasst

hatte. Sie drückte das Gesicht an seinen Hals, fühlte die heftig pochende Ader hinter seinem Ohr und sog den Duft seiner Haut ein. Erst allmählich merkte sie, dass er die Hände still hielt und sich bemühte,

langsam und regelmäßig zu atmen. Endlich zog er den Reißverschluss wieder zu, ließ die Arme sinken und richtete sich auf. Ein Druck auf den Lichtknopf, und das Treppenhaus lag wie vorher in trübem Licht.

Es war Skye, als hätte man sie ohne Vorwarnung in eiskaltes Wasser geworfen. Das Licht, das ihr bisher immer unzureichend erschienen war, blendete sie plötzlich und enthüllte erbarmungslos ihre geröteten Lippen und ihr zerwühltes Haar. Aus ihren weit geöffneten Augen schimmerte noch das Verlangen, und ihre Beine waren so schwach, dass sie sich gegen die Wand lehnen musste, um nicht vor Lorimer zu Boden zu sinken.

Einen langen Augenblick sahen sie sich an, als könnten sie beide nicht begreifen, was gerade passiert war. Draußen fiel eine Autotür zu, ein Motor wurde angelassen, dann war es wieder still. Skye merkte plötzlich, wie kalt und feucht es im Treppenhaus war, und es kam ihr vor, als hallte ihr keuchender Atem von den Wänden wider.

"Charles ist zu beneiden" sagte Lorimer endlich mit einem halb verlegenen Lächeln. "Wäre er heute Abend dein Begleiter gewesen, hätte er einer solchen Aufforderung bestimmt nicht

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widerstanden. Dann hättest du ihn endlich in deinem Netz gefangen."

Skye sagte nichts dazu. Die Nachwirkungen des eben Erlebten waren noch zu stark, und sie musste sich ganz darauf konzentrieren, wenigstens äußerlich Haltung zu bewahren.

"Das nächste Mal", fuhr Lorimer fort, "würde ich die ganze unsinnige Flirterei vergessen und Charles gleich in ein dunkles Zimmer locken. Dann würdest du dein Ziel sehr viel schneller erreichen."

Skye fand endlich ihre Stimme wieder. "Geh weg", flüsterte sie und wandte sich ab.

"Mach kein so tragisches Gesicht", spottete Lorimer. "Es kam mir nur darauf an, deine aufwend ig inszenierten Verführungskünste nicht ganz zu vergeuden." Er ging zur Tür, hielt auf halbem Weg inne und kam wieder zurück. "Verbuch es als Übungsstunde", meinte er, nahm Skye noch einmal in die Arme und küsste sie fest auf den Mund. "Wir sehen uns Montag früh. Vielleicht kommst du ausnahmsweise pünktlich."

"Wie auch immer, mein Kind, um dich brauche ich mich wenigstens nicht mehr zu sorgen." Skyes Vater bemühte sich, das Telefongespräch heiter zu beenden. "Fleming hat mir inzwischen von Lorimer Kingan erzählt. Er fasst dich sicher nicht mit Samthandschuhen an, aber das schadet dir gar nichts. Du ahnst nicht, was es mir bedeutet, dass du endlich in so gute Hände gekommen bist."

Skye dachte an Lorimers Hände, die sie so leidenschaftlich berührt hatten. Ihr Vater meinte es ganz anders, aber da er fast nur über geschäftliche Schwierigkeiten geklagt hatte, brachte sie es nicht übers Herz, ihm zu sagen, wie gefährlich diese "guten Hände" waren.

Sie war verzweifelt gewesen, nachdem Lorimer sie gestern Abend verlassen hatte. Tief verstört durch den unerwarteten sinnlichen Ausbruch und das plötzliche Erwachen, war sie einfach stehen geblieben, hatte die Augen geschlossen und

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versucht, den Kuss und ihr brennendes Verlangen zu vergessen. Als sie die Augen endlich wieder geöffnet hatte, war es dunkel gewesen, und sie hatte zitternd nach dem Schalter getastet, um wieder Licht zu machen.

Mehr als einmal hatte sie sich seitdem geschworen, Lorimer niemals wiederzusehen. Ihr Gesicht glühte, wenn sie daran dachte, wie sie sic h an ihn gepresst und seinen Kuss erwidert hatte. Von Verlangen überwältigt, hatte sie ihm das Hemd aufgeknöpft und seinen Rücken gestreichelt, hatte ihn fühlen, mit allen Sinnen wahr nehmen wollen. Wie hatte sie so haltlos, so unkontrolliert sein können? Nie wieder würde sie ihm unter die Augen treten.

Ihr Vater erinnerte sie daran, welche Sorgen er sich jahrelang gemacht hatte, weil sie es bei keiner Arbeit aushielt, und Skye begriff zum erstenmal, wie verantwortungslos sie in den Tag hineingelebt hatte. Alle Schwierigkeiten, alle Sorgen hatte sie ihrem Vater überlassen, und dafür schämte sie sich jetzt. Er war immer für sie da gewesen, hatte ihr aus einer Patsche nach der andern herausgeholfen. Es war an der Zeit, dass sie endlich etwas für ihn tat.

Was wollte er denn schon? Nichts, als dass sie drei Monate in Lorimers Büro durchhielt. Das war wirklich nicht zuviel verlangt. Gerade jetzt, wo er Sorgen hatte und sich über ihre unerwarteten Fortschritte freute, sollte sie ihn wieder enttäuschen, indem sie alles hinschmiss? Indem sie wieder kündigte, wieder ihr Versagen eingestand? Nein, das durfte sie nicht tun.

War es denn wirklich unmöglich, weiter für Lorimer zu arbeiten? Der peinliche Vorfall würde sich nicht wiederholen, denn Lorimer war nicht an ihr interessiert. Sein Kuss war nur . . . ja, was war sein Kuss gewesen? Eine Herausforderung? Eine Strafe? Ein Mittel, seinen ständigen Verdruss über sie abzureagieren? Mit Liebe hatte der Kuss jedenfalls nichts zu

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tun, das hatten seine spöttischen Abschiedsworte klar und deutlich bewiesen.

Nun, wenn er die Sache so behandeln konnte sie konnte es auch. Zorn stieg in Skye auf und riss sie aus der dumpfen Verzweiflung, die sie den ganzen Tag gequält hatte. Sie richtete sich auf und hob entschlossen den Kopf. Wenn ihr Vater sie jetzt sehen könnte! Er würde stolz auf sie sein.

Was fiel Lorimer eigentlich ein, sie so zu küssen? Wenn er glaubte, dass sie deswegen ihren Job aufgab, hatte er sich geirrt. Wegen eines jämmerlichen Kusses? Da konnte sie nur lachen.

Sie würde morgen wie jeden Tag ins Büro fahren, ihre Arbeit aufnehmen und so tun, als wäre nichts geschehen. Nicht das geringste. Was war denn auch geschehen? Ein Mann hatte sie geküsst, das war alles.

Ja, das war alles.

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6. KAPITEL

"Hast du dir in dieser Woche etwas mit Charles vorgenommen?" Skye drehte sich zögernd um, als Lorimer in ihr Zimmer kam. Sie hatte sich während der vergangenen zwei Wochen bemüht, neutral und unpersönlich zu erscheinen, aber ihr Herz setzte immer noch einen Schlag aus, wenn Lorimer unerwartet bei ihr auftauchte. Er selbst hatte den verhängnisvollen Abend nicht mehr erwähnt und verhielt sich so fremd wie vorher, obwohl er sie weiter duzte. Manchmal ertappte Skye ihn dabei, dass er sie heimlich beobachtete, aber auch dann verriet sein Gesicht so wenig, dass sie sich jedes Mal fragte, ob sie das ganze Erlebnis nicht geträumt hätte.

Das Verhältnis zwischen ihnen blieb so angespannt wie bisher. Lorimer verlor häufig die Geduld, fuhr sie unfreundlich an und verfolgte sie mit seinem Spott. Früher hatte Skye sich darüber gegrämt, aber seit dem leidenschaftlichen Kuss beruhigte es sie eher, weil es ihr bewies, dass sich bei Lorimer nichts geändert hatte.

Ihr selbst fiel es nicht so leicht, das Geschehene zu vergessen, und um nicht ins Grübeln zu kommen, vermied sie es, allein zu sein. Mittags überredete sie Sheila, sie zum Lunch zu begleiten, und abends mussten sich die andern Kollegen für irgendeine Unternehmung bereithalten. Wenn es ihr nicht gelang, eine Gesellschaft zusammenzutrommeln, mussten Vanessa und ihre Freunde herhalten, um Skye die Zeit zu vertreiben. Vanessa

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beklagte sich zwar über diese Amüsierwut, aber Skye ließ nicht locker. Sie machte sich lieber unbeliebt, als dass Lorimer ahnte, wie nah ihr das Erlebnis im dunklen Treppenhaus gegangen war und wie nachhaltig es sie verändert hatte.

"Nun?" wiederholte Lorimer gereizt, als Skye nicht gleich antwortete. "Hast du etwas geplant?"

"Und wenn es so wäre?" fragte sie vorsichtig. Charles hatte sich seit dem Abend bei den Carmichaels nicht mehr bei ihr gemeldet, aber das brauchte Lorimer nicht zu wissen.

"Dann müsstest du absagen. Wir fahren morgen nach Galloway und bleiben bis zum Wochenende dort."

"Heute ist Mittwoch", überlegte Skye laut. "Danke, dass du mir so rechtzeitig Bescheid sagst."

Lorimer verzog den Mund. "Vielleicht ist es dir bisher entgangen, aber dies ist ein Büro und keine Freizeitagentur. Ich kann mich in meinen Plänen leider nicht nach dir richten." Er legte eine Akte auf Skyes Schreibtisch. "Wir werden im Kielven Inn wohnen. Ruf dort an und sag ihnen, dass wir morgen Nachmittag ankommen."

"Und wenn alles besetzt ist?" "Ende November? Wir werden das ganze Haus für uns allein

haben. Außerdem kennen sie mich, ich übernachte oft dort. Die Hinfahrt unterbrechen wir zum Lunch bei den Buchanans. Ihnen gehört das Haus, das ich in ein Golf-Hotel umbauen möchte, und sie sind endlich bereit, nach dem Fiasko mit den Londoner Investoren erneut über das Projekt nachzudenken. Es ist noch nichts beschlossen, daher musst du die Firma würdig repräsentieren. Mit anderen Worten: Du hast zu schweigen, dich korrekt zu benehmen und so anzuziehen, dass man dich nicht für eine Faschingsfee hält." Er sah kopfschüttelnd auf ihren bunt karierten Pullover und die gestreiften Leggins. "Ich hole dich morgen früh um neun Uhr ab. Bitte sei rechtzeitig fertig und erwarte mich vor dem Haus. Um die Zeit finde ich dort keinen

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Parkplatz, und außerdem habe ich wenig Lust, vier Treppen hinaufzusteigen, um festzustellen, wo du bleibst."

Ausgerechnet an diesem Morgen verschlief Skye. Sie hatte die halbe Nacht mit Vanessas Clique gefeiert und sich einzubilden versucht, jeder Mann könnte sie so küssen wie Lorimer. Natürlich hatte sie nicht wirklich daran geglaubt. Vanessas Freunde waren lustige Gesellschafter, aber keiner besaß Lorimers männliche Ausstrahlung, keiner seinen Mund, seine Hände oder seinen starken, imponierenden Körper.

Pünktlich um neun Uhr ertönte unten auf der Straße lautes Hupen. Skye war erst zwanzig vor neun aufgewacht und kam gerade aus der Dusche. Mit noch feuchtem Haar beugte sie sich aus dem Fenster und winkte, bis Lorimer sie bemerkte. Er stieg aus, sah zu ihr hinauf und zeigte dann betont auf seine Uhr.

"Ich brauche noch zehn Minuten!" rief Skye so laut, dass alle Passanten stehen blieben und zu ihr hinaufsahen.

Lorimer hasste nichts so sehr wie öffentliches Aufsehen. Er zeigte auf sein Auto, das mit laufendem Motor in der zweiten Spur stand, und rief: "Eine Minute, Skye. Wenn du dann nicht unten bist, fahre ich allein, und du kannst dir eine neue Stellung suchen!"

Skye schlug das Fenster zu, raffte Fön und Kosmetiktasche zusammen und warf beides in den Koffer. Dann plünderte sie wahllos den Kleiderschrank, bis sie nichts mehr in den Koffer hineinbekam und der Deckel sich kaum noch schließen ließ. Die Folge dieser genialen Packmethode war, dass sie den Koffer nicht mehr tragen konnte und ihn die vier Treppen hinunterschleifen musste.

Erhitzt und atemlos kam sie unten an. Mantel und Schal rutschten ihr aus der einen Hand, in der andern hielt sie die Ohrringe - heute waren es Zebras -, die sie in der Eile nicht mehr hatte anstecken können.

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Lorimer betrachtete sie irritiert, nahm ihr aber bereitwillig den Koffer ab. "Was, zum Teufel, ist da drin?" fragte er, als er ihn hochhob. "Wir sind nur drei Tage unterwegs."

"Ich wusste nicht genau, was ich brauchen würde", keuchte Skye, der es endlich gelungen war, ihre Ohrringe zu befestigen. "Darum habe ich alles mitgebracht." Sie stieg ein und ließ sich er schöpft zurücksinken.

Lorimer verstaute den Koffer und setzte sich hinter das Steuer. "Hoffentlich bedeutet alles, dass etwas Passenderes dabei ist als das, was du jetzt trägst." Er betrachtete seufzend Skyes Reisekostüm, auf das sie besonders stolz war. Der kurze enge Rock und das knappe Bolerojäckchen waren beide schwarzweiß gestreift, dazu trug sie eine schwarze Strumpfhose und hochhackige schwarze Sandaletten. "Hatte ich dich nicht gebeten, dich ausnahmsweise korrekt anzuziehen?"

"Was ist hieran nicht korrekt?" Skye zeigte an sich hinunter. "Es ist sogar ausgesprochen schick. Ich habe extra Schwarzweiß gewählt, weil du keine leuchtenden Farben magst." Sie schob ihr Haar zurück. "Und sogar die Ohrringe passen. Ich habe selten so einheitlich ausgesehen."

"Wir fahren nach Galloway und nicht nach Afrika", erinnerte Lorimer sie. "Deine einzige Aufgabe ist, dich still zu verhalten und nicht aufzufallen. Ich muss die Buchanans davon überzeugen, dass sich das Projekt lohnt und die örtliche Wirtschaft beleben wird. Wie soll mir das gelingen, wenn ich mit einer Sekretärin auftauche, die aussieht, als ginge sie auf Safari? Besitzt du nicht eineinziges unauffälliges Kleidungsstück?"

Skye dachte angestrengt nach. "Doch", sagte sie nach einer Weile. "Das schwarze Kleid." Im selben Augenblick hätte sie sich ohrfeigen können. Sie hatte sich zwei Wochen lang erfolgreich bemüht, den peinlichen Abend nicht zu erwähnen, und jetzt machte sie alles zunichte, indem sie von dem schwarzen Kleid sprach. War sie denn von allen guten Geistern

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verlassen? Wenn Lorimer sich nun an das Kleid erinnerte. Wenn er sich erinnerte, wie er den Ausschnitt befühlt, nach dem Reißverschluss getastet hatte!

Skye wagte kaum zu atmen. Als Lorimer schwieg, warf sie ihm einen verstohlenen Blick zu. Er musste gerade an einer Ampel halten und trommelte nervös auf das Lenkrad. Trotzdem bemerkte er ihren Blick, denn er sagte: "Ach, das Kleid." Also erinnerte er sich doch. Warum hatte sie bloß nicht geschwiegen? "Ich glaube kaum, dass ein so ... gefährliches Kleid für eine Geschäftsreise geeignet wäre. Ich kenne keine andere Frau, die in strengem Schwarz so bunt wirkt."

"Kommt es denn wirklich darauf an, was ich trage?" fragte Skye hastig, um das Thema zu wechseln. "Niemand wird mich bemerken, wenn ich doch nur schweigen und mich still verhalten soll."

"Wie soll man dich nicht bemerken, wenn du so aussiehst?" Lorimer nickte einem Taxifahrer zu, der ihm die Vorfahrt ließ. "Die Leute sollen mir zuhören und dich nicht anstarren."

"Ich sage kein Wort." "Das ist auch gar nicht nötig. Du brauchst dich mit deinen

langen Beinen nur geschickt genug hinzusetzen." Skye sah nach, ob sie vielleicht eine Laufmasche hatte. Als

sie keine entdecken konnte, fragte sie: "Was stimmt nicht mit meinen Beinen?"

"Oh, mit denen stimmt alles." Lorimer benutzte die nächste Ampel, um sich erneut davon zu überzeugen. Skye bemerkte erst jetzt, wie weit der ohnehin kurze Rock hinaufgerutscht war, und zupfte verlegen am Saum. "Sie sind nur zu . . ." Er suchte nach dem richtigen Wort. "Sie lenken einfach zu sehr ab."

"Aber ich habe im Büro oft so kurze Röcke getragen, ohne dass es dich abgelenkt hat", meinte Skye gekränkt.

"Alles an dir lenkt mich ab", erklärte Lorimer und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr.

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Kurz nach neun herrschte noch Berufsverkehr, und deshalb kamen sie nur langsam vorwärts. Skye machte sich ein Vergnügen daraus, die Passanten zu beobachten, die sich gegen den scharfen Wind vorwärts kämpften. Was meint Lorimer wohl mit "ablenken"? überlegte sie dabei. Immer wieder sagte er etwas, das einen verborgenen Sinn hatte und sie unsicher machte. Hätte sie doch bloß das verwünschte Kleid nicht erwähnt! Dann müsste sie jetzt nicht ständig daran denken, wie aufregend sein Kuss gewesen war.

Vielleicht wäre ihr wohler zumute, wenn sie heute morgen nicht verschlafen und sich ein bisschen zurechtgemacht hätte. Die Kosmetiktasche befand sich zwar im Koffer, aber das Notwendigste trug sie immer in ihrer Handtasche bei sich. Etwas Wimperntusche, ein Hauch von Lippenstift, und sie würde sich dem Leben und Lorimer mehr gewachsen fühlen.

"Was machst du da?" fragte Lorimer irritiert, als sie an der nächste Ampel hielten.

"Ich suche nach meinem Taschenspiegel." "Warum das?" "Weil ich meine Augen ... ach, es geht auch so." Sie drehte

kurzerhand den Rückspiegel zu sich herum und schraubte das Tuschfläschchen auf.

"Bist du verrückt geworden?" Lorimer drehte den Spiegel wütend zurück. "Ich muss schließlich fahren!"

"Solange wir halten, brauchst du keinen Rückspiegel. Außerdem dauert es nur einige Sekunden." Sie drehte den Spiegel wieder zu sich herum, machte die Augen weit auf und trug vorsichtig Tusche auf ihre Wimpern auf.

Lorimer ließ stöhnend den Kopf auf das Lenkrad sinken. "Gott, gib mir Mäßigung!"

"Hab dich doch nicht so." Skye war nach dem hektischen Aufbruch immer noch leicht gereizt. "So schlimm ist es auch wieder nicht." Sie schraubte das Tuschfläschchen zu und nahm den Lippenstift. "Ich mache mich ein bisschen zurecht. Ist das vielleicht ein Verbrechen?"

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"Du scheinst dir nicht darüber klar zu sein, dass wir aufs Land fahren", polterte Lorimer los. "Wir werden über schlammige Felder waten und mit starrköpfigen Bauern streiten. Das ist keine Modenschau, Skye! Du fällst so schon genug auf, auch ohne dich anzumalen!"

"Wenn ich ohnehin auffalle, macht das bisschen Lippenstift auch nichts aus." Skye zog seelenruhig ihre Lippen nach und betupfte sie anschließend mit dem Taschentuch. "Ich fühle mich einfach besser, wenn mein Gesicht nicht so nackt ist." Sie verschloss den Stift, steckte ihn wieder ein und lächelte Lorimer strahlend an. "Die Ampel ist grün, falls du es nicht bemerkt hast."

Die Autofahrer hinter ihnen begannen bereits zu hupen. "Wie kann man nur so eitel sein?" schimpfte Lorimer und ließ denWagen vorwärts schießen. "Dich interessiert nur dein Äußeres. Ich mache drei Kreuze, wenn Moira deine Stellung übernimmt. Dann habe ich endlich eine Sekretärin, die nicht nur an sich selbst denkt."

"Auch Moira schminkt sich", sagte Skye beleidigt. "Wenigstens hat sie es für Flemings Dinnerparty getan. Und ich erinnere mich nicht, dass du sie eitel genannt hast."

"Im Gegensatz zu dir war Moira nicht im Dienst. Wir machen keinen Landausflug, Skye. Es hat mich viel Zeit und Mühe gekostet, dieses Projekt zu entwickeln, und ich lasse nicht zu, dass du mit deiner verrückten Garderobe und deinem verantwortungslosen Verhalten alles gefährdest. Schlimm genug, dass ich wieder mit einer Engländerin auftauche, noch dazu mit einer solchen. Mein Gott, werden die Buchanans Augen machen"

"Wenn man dich so reden hört, könnte man denken, ich käme aus dem Weltraum."

"Jeder Außerirdische wäre berechenbarer als du, Skye. Soweit ich es beobachtet habe, lebst du völlig unlogisch."

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"Wir können nicht alle wie Computer funktionieren", verteidigte sich Skye. "Viele Menschen handeln unlogisch. Deshalb sind sie noch keine Monster."

Sie waren lange hinter einem Doppeldeckerbus hergeschlichen, aber Lorimer schaffte es endlich, ihn zu überholen. "Und wie viele von ihnen würden Hals über Kopf, einem Mann nachrennen, der nichts von ihnen wissen will?" fragte er sarkastisch.

Skye errötete. "Wer sagt, dass Charles nichts von mir wissen will?"

"Will er denn?" Schweigen folgte. Skye sah angestrengt hinaus und studierte

die strengen Fassaden der Edinburgher Mietshäuser, denen man nicht ansah, wie warm und gemütlich es dahinter war. Lorimer ist genauso, dachte sie. Er wirkt streng und abweisend, aber das täuscht. Wer so lächeln kann, muss innerlich warmherzig sein. Trotzdem konnte sie ihm nicht sagen, dass sie seit seinem Kuss nicht ein einziges Mal an Charles gedacht hatte.

"Ich gebe die Hoffnung nicht auf", erklärte sie störrisch. Sollte Lorimer doch glauben, dass sie noch in Charles verliebt sei. Sie fühlte sich ihm gegenüber so schutzlos, dass sie auf diese letzte Waffe nicht verzichten konnte.

"Also besessen wie eh und je." Lorimer verzog das Gesicht. "Ich verstehe nicht, was du an ihm findest. Er ist ein eiskalter Fisch." "Das musst du gerade sagen!"

"Wie kommst du darauf, dass ich kalt bin?" Lorimer warf Skye einen raschen Blick zu. Sie hatten inzwischen die Autobahnausfahrt erreicht, und der Verkehr wurde flüssiger. "Fandest du mich kalt, als wir uns küssten?"

Skye errötete so heftig, dass ihre Wangen glühten. "Ich hatte bisher den Eindruck, dass du diesen unpassenden Moment lieber vergessen möchtest", sagte sie mühsam.

"Möchtest du das denn?" Lorimer bemühte sich nicht gerade hilfreich zu sein.

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"Natürlich." Es klang, als wollte Skye sich selbst davon überzeugen.

"Und warum? Der Kuss hat dir doch gefallen. Leugne es nicht", setzte er rasch hinzu, als Skye den Mund öffnete, um genau das zu tun.

"Warum sollte es mir gefallen, von dir geküsst zu werden, wenn ich Charles liebe?" fragte sie trotzdem. Lorimers spöttischer Ton war zu kränkend.

"Vielleicht beweist es, dass du Charles gar nicht liebst." "Willst du damit andeuten, dass ich dich liebe?" entfuhr es

Skye. "Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich", stellte Lorimer sachlich fest. "Außerdem würde es dir wenig nützen. Du brauchst jemanden, der die sprichwörtliche Engelsgeduld hat."

"Ich brauche niemanden." Skye wusste nicht, ob sie wütend oder gekränkt war. "Ich komme gut allein zurecht."

"Dann beweist du das auf ziemlich merkwürdige Weise. Du folgst Charles Ferrars Hunderte von Kilometern, und sobald er dich fallen lässt, machst du dich an meine Angestellten heran."

"An deine . . ." Skye war im wahrsten Sinn des Wortes sprachlos. "Wovon redest du?"

"Ich habe beobachtet, dass du mit jedem Mann im Büro flirtest. Du lächelst vielsagend, flatterst mit den Wimpern . . . keinen lässt du aus."

Lorimers Stimme klang so verbittert, dass Skye unwillkürlich der Verdacht kam, er sei vielleicht eifersüchtig. Doch dann hätte er die Frage, ob sie seiner Meinung nach in ihn verliebt sei, nicht so höhnisch beantwortet. Damit hatte er eindeutig klargemacht, dass ihm der bloße Gedanke unerträglich war.

"Ich flattere nicht mit den Wimpern", protestierte sie energisch. "Ich bin nur liebenswürdig."

"Und warum muss jeden Abend eine Party stattfinden? Offenbar lässt dir das Büro nicht genug Spielraum. Jeden Tag schleppst du einen andern ab."

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Skye wunderte sich, dass Lorimer überhaupt etwas bemerkt hatte. "Hast du noch nichts von Geselligkeit gehört?" fragte sie spitz. "Es geht mir nur darum, dass du die Leute nicht verrückt machst. Sie waren glücklich und zufrieden, ehe du kamst und alles auf den Kopf stelltest. Frauen wie du schaffen immer Probleme. Eines Tages kommt es soweit, dass die Männer im Büro wegen deiner großen blauen Augen aufeinander losgehen"

Skye benutzte die so gerühmten blauen Augen, um Lorimer einen bitterbösen Blick zuzuwerfen. "Ein abendliches Bier im Pub macht niemanden verrückt", verteidigte sie sich. "Es passt dir nur nicht, wenn deine Angestellten sich amüsieren."

"Sei nicht albern, Skye. Was mir nicht passt, ist eine Frau, die sich um jeden Preis einen Mann angeln will."

Skye wünschte, sie hätte Lorimer nie von ihrer Verliebtheit in Charles erzählt. "Warum hast du mich überhaupt mitgenommen?" fragte sie seufzend. "Du musst doch Angst haben, dass ich mich dem erstbesten Mann, dem wir begegnen, an den Hals werfe."

"Da wir nicht die richtigen Männer treffen, besteht diese Gefahr nicht. Ehrlich gesagt, hätte ich dich lieber in Edinburgh gelassen, aber warum soll ich dich fürs Herumsitzen bezahlen, wenn ich unterwegs jemanden brauche? Solange du schweigst und mir nicht in die Quere kommst, dürfte eigentlich nichts passieren."

Skye faltete die Hände und machte ein braves Gesicht. "Du wirst vergessen, dass ich da bin", versprach sie großzügig.

Lorimer seufzte. "Hoffentlich. Bisher ist das nur ein Versprechen."

Sie passierten die Quelle des Tweed und kamen durch kahles gelblich-braunes Bergland. Ab und zu erspähte Skye einen einzelnen Bauernhof, aber sonst war außer weidenden Schafen und sich an den Hängen hinaufziehenden Fichtenschonungen nichts zu sehen, was die Einöde belebt hätte.

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Die blasse Herbstsonne tauchte alles in ein mildes Licht, aber Skye fröstelte, als sie am Devil's Beef Tub, der "Rindersenke des Teufels", vorbeifuhren. Die Grenzschmuggler hatten in diesem natürlichen Talkessel das geraubte Vieh versteckt, und der Teufel soll jedes Mal gelacht haben, wenn er ein neues Opfer von den Bergen in die Tiefe stürzte. Selbst an einem heiteren Tag hatte der Ort eine düstere, bedrohliche Atmosphäre, und Skye war dankbar, dass Lorimer nicht anhielt, um ihr Zeit zur Besichtigung zu lassen.

Als sie die Berge hinter sich hatten, wurde das Land heller und lieblicher. Bäume säumten die gewundenen Landstraßen, und die berühmten Belted Galloways, Zuchtrinder mit gürtelartigen weißen Streifen um den Bauch, grasten friedlich auf den Wiesen, Skye konnte sich nicht an ihnen satt sehen. Wie sie mit gesenkten Köpfen und gespreizten Beinen dastanden und sich leuchtend von dem frischen Grün abhoben, erinnerten sie sie an die bunten Plastikkühe, mit denen ihre Brüder auf ihrem Miniaturbauernhof gespielt hatten.

Gegen Mittag erreichten sie das Dorf Glendorie, an dessen Rand die Buchanans in einem großen grauen Granitgebäude wohnten. Skye erkannte auf den ersten Blick, wie hervorragend Haus und Umgebung für ein Golf-Hotel geeignet waren. Das flache Land wurde im Hintergrund von sanften Hügeln begrenzt und reichte vorn bis zu einem Flüsschen, das für einen richtigen Fluss zu schmal und für einen Bach zu breit war.

Die Buchanans waren ein freundliches Ehepaar von Ende Siebzig. Sobald sie das Auto auf dem kiesbestreuten Vorplatz hörten, kamen sie heraus, gefolgt von zwei schwarzen Labradorhunden.

"Vergiss nicht, wie du dich benehmen sollst", erinnerte Lorimer Skye, als sie die Tür öffnen wollte. "Und trink bitte nicht zuviel. Der Abend bei Fleming war nicht so gelungen, dass man ihn wiederholen sollte."

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"Keine Sorge", entgegnete Skye. "Ich riskiere nichts, denn das, was danach geschah, war auch nicht wiederholenswert." Sie lächelte entwaffnend und stieg aus, ehe Lorimer antworten konnte.

Es lag in ihrem eigenen Interesse, bei dieser wichtigen Gelegenheit die Mustersekretärin herauszukehren, aber die künstliche Würde war dahin, als die beiden Labradors angesprungen kamen und sie stürmisch begrüßten. Alle Rufe von Angus und Isobel Buchanan waren vergeblich. Die Hunde umdrängten Skye, bis sie sich hinkniete und beiden das seidige Fell streichelte.

"Ach herrje", meinte Isobel bekümmert. "Jetzt sind Sie über und über mit Haaren bedeckt." Sie scheuchte die Hunde beiseite und gab Skye freundlich die Hand. "Hoffentlich stören die Hunde Sie nicht?"

" Im Gegenteil", antwortete Skye in ihrer frischen, natürlichen Art. "Wir hatten zu Hause auch Labradors. Ich liebe Hunde." "Und die Hunde lieben Sie." Angus Buchanan hatte inzwischen Lorimer begrüßt und betrachtete Skye wohlgefällig. "Tiere sind die besten Menschenkenner."

"Wenn sie bloß nicht das schicke Kostüm ruiniert haben." Isobel fürchtete offensichtlich mehr um die extravagante Kleidung ihres Gastes.

"Keine Spur", tröstete Skye sie lachend. "Und wenn, würde Lorimer nur sagen, dass es mir recht geschieht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ich heute einen Tweedrock mit Twinset angezogen."

Isobel lächelte beruhigt. "Wenn Sie älter sind, können Sie noch genug Tweed und Twinsets tragen", meinte sie. "Junge Menschen sollen sich jung anziehen."

Als sie hineingingen, sah Skye Lorimer triumphierend an, erntete aber nur die wiederholte Ermahnung "Denk daran, was du versprochen hast. Du wolltest dich ganz im Hintergrund halten."

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Skye versuchte, ihr Versprechen einzulösen. Sie versuchte es wirklich, aber die Buchanans folgten dem Urteil ihrer Hunde und schlossen Skye ins Herz. Sie überhäuften sie mit Fragen, und schon nach wenigen Minuten erzählte Skye munter drauflos, trank Sherry, liebkoste die Hunde und bewunderte die Fotos, die ihr die Buchanans von ihren Enkelkindern in Australien zeigten.

"Noch einen Sherry, Skye?" Angus beugte sich lächelnd zu ihr hinüber. Hinter ihm

machte Lorimer ein drohendes Gesicht, dem Skye unschwer entnahm, was es ausdrücken sollte Hör auf zu trinken und halt endlich den Mund Von wegen, antwortete sie mit einem süßen Lächeln und reichte Angus ihr Glas. "Gern, Mr. Buchanan. Vielen Dank."

Beim Lunch war Skye in bester Form, und die Buchanans zeigten immer offener ihre Sympathie. Da Lorimer machtlos war und Skye nicht zurechtweisen konnte, was er sicher gern getan hätte, saß er mit grimmiger Miene da und nutzte die erste Gelegenheit, um sie zu entführen.

"Wir dürfen uns doch das Haus ansehen?" fragte er Angus. "Ich würde gern einige Räume ausmessen."

"Aber ja, natürlich." Angus schlug ihm gutgelaunt auf die Schulter. "Wir freuen uns so über Ihren Besuch, dass wir den geschäftlichen Anlass fast vergessen haben. Aber wer spricht schon gern über Geschäfte, wenn eine so bezaubernde Frau wie Skye dabei ist? Sehen Sie sich überall um und lassen Sie sich Zeit." "Kommst du, Skye?"

Lorimer stand schon ungeduldig an der Tür, aber zwei Gläser Sherry und ein Glas Wein hatten Skye mutig gemacht. Sie trank seelenruhig ihren Kaffee aus, setzte die Tasse betont langsam ab und zwinkerte Angus zu. "Wie Sie befehlen, Meister."

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7. KAPITEL

Während sie die breite Treppe hinaufstiegen, musste Skye sich eine endlose Strafpredigt von Lorimer anhören. Alles, was sich beim Lunch in ihm angestaut hatte, kam jetzt heraus. Sie sei eine schamlose Exhibitionistin, warf er ihr vor, und tue niemals, was man ihr sage. Ihr einziges Bestreben sei es, ihn unglaubwürdig zu machen und ihm mit ihrer laienhaften, unzuverlässigen und unmöglichen Art das Traumgeschäft seines Lebens zu verderben.

Skye vermutete, dass Lorimers Zorn größtenteils darauf beruhte, dass er sich geirrt hatte. Die Buchanans hatten weder an ihrer Kleidung noch an ihrem Verhalten, noch daran, dass sie Engländerin war, Anstoß genommen, und natürlich fiel es Lorimer schwer, das zuzugeben. Darum schwieg sie gutmütig zu seinen Vorwürfen und wartete, bis er alles losgeworden war, was ihn bedrückte.

Als sie den oberen Treppenabsatz erreichten, verstummte Lorimer plötzlich, als sei ihm der Atem ausgegangen. Da Skye immer noch schwieg, sah er sie nur kopfschüttelnd an und meinte: "Du bist wirklich unmöglich."

"Findest du?" fragte sie und machte dabei ein so unschuldiges Gesicht, dass er zu guter Letzt lachen musste und ihren Arm nahm. "Komm", forderte er sie auf und führte sie den la ngen Korridor entlang.

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Seltsamerweise hatte Lorimers Strafpredigt die Atmosphäre zwischen ihnen geklärt, und Skye konnte den Rundgang durch das Haus aufrichtig genießen. Die meisten Räume im ersten Stock waren in schlechtem Zustand, und Lorimer notierte alles, was erneuert oder ganz verändert werden musste. Die Buchanans hatten beim Lunch versichert, dass sie zu alt seien, um das Haus noch instand zu halten. Ihre beiden Kinder lebten inzwischen in Australien, und sie würden gerne zu ihnen ziehen, wenn sie den alten Familienbesitz zu günstigen Bedingungen und ohne ärgerliche Komplikationen, die den ersten Vertragsabschluß verhindert hätten, loswerden könnten.

"Das Grundstück endet unten am Fluss." Lorimer stand in einer Fensternische des großen Schlafzimmers und zeigte hinaus. "Jenseits davon beginnt Duncan McPhersons Land, das ich möglichst dazukaufen möchte. Erst beide Grundstücke zusammen würden einen Golfplatz mit achtzehn Löchern ermöglichen und damit den Standard bieten, den ich mir für meine Golf-Hotels wünsche. Ohne Duncans Land würde nur ein kleiner Golfplatz mit acht Löchern herauskommen. Ich würde dann ebenfalls in das Geschäft einsteigen, aber es wäre doch ein bedauerlicher Kompromiss."

Skye war neben ihn getreten und hörte geduldig zu, als er ihr den geplanten Verlauf der Hindernisse und Ziellöcher erklärte. "Und wenn Duncan nun an seinem Land hängt?" fragte sie nach einer Weile.

"Das glaube ich nicht", antwortete Lorimer, "sonst hätte er sich vor dem Fiasko mit den Londoner Investoren nicht grundsätzlich zum Verkauf bereit erklärt. Die Felder sind nicht sehr fruchtbar, und Duncan braucht dringend Geld, obwohl er das natürlich nicht zugibt."

"Jeder hat seinen Stolz", sagte Skye leise. "Du auch?" Sie drehten sich fast gleichzeitig um und standen plötzlich so

dicht voreinander, dass sie sich tief in die Augen blicken konnten. Skye vermochte kaum zu atmen, denn sie waren sich

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seit zwei Wochen nicht so nah gekommen. Die Erinnerung an den Kuss erwachte plötzlich so lebhaft in ihr, dass sie Lorimers Lippen auf ihren zu fühlen glaubte. Sie glaubte seine Hände zu spüren, seinen männlichen Duft wahrzunehmen, und ihre Fingerspitzen. kribbelten, als strichen sie über Lorimers muskulösen Rücken.

Kaum ein halber Meter trennte sie. Skye brauchte nur die Hand auszustrecken, um Lorimer zu berühren oder ganz in die Arme zu ziehen. Sollte sie ihn bitten, sie wieder zu küssen? Die stumme Frage brachte sie plötzlich zur Besinnung. Kein Zweifel, wie Lorimer reagieren würde. Er würde sie spöttisch zurückweisen, und daher durfte sie ihm nicht zeigen, was in ihr vorging. Sie musste an ihren Stolz denken, wie Duncan McPherson es vielleicht tat.

Sie senkte den Blick und trat aus der engen Fensternische wieder in das Schlafzimmer. "Ja", sagte sie und wunderte sich, wie heiser ihre Stimme klang. "Sogar ich."

Angus wartete unten an der Treppe. "Nun?" fragte er. "War die Besichtigung erfolgreich?"

"Sehr", antwortete Lorimer, und Skye spürte, dass der Augenblick in der Fensternische ihn ebenfalls nachhaltig berührt hatte. "Das einzige Problem könnte Duncan McPherson werden. Wenn er sich weigert zu verkaufen, bleibt alles eine halbe Sache."

Angus machte ein betrübtes Gesicht. "Ich fürchte, Sie werden mit Duncan nicht sehr weit kommen. Er war nie dafür, dass hier ein Hotel entsteht, und nach dem ersten Reinfall..." Er zuckte seufzend die Schultern. "Seitdem ist Duncan beinahe feindselig. Vielleicht weigert er sich sogar, Sie zu empfangen."

"Das wird sich morgen zeigen, und bis dahin sollten wir uns nicht unnötig sorgen. Falls Duncan wirklich Schwierigkeiten macht und meine neuen Investoren kalte Füße bekommen, treibe ich das Kapital anderswo auf. Schlimmstenfalls verkaufe ich das

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Gutshaus."

"Das dürfen Sie nicht tun! "rief Isobel, die inzwischen dazugekommen war. "Ein so bezauberndes Haus, das nur einen liebevollen Bewohner braucht. Man hätte es nicht so verfallen lassen dürfen, aber den Vorwurf müssen wir uns wahrscheinlich auch gefallen lassen."

"Man merkt trotzdem, wie viel Liebe in diesem Haus steckt", sagte Skye, die gern gewusst hä tte, von welchem Gutshaus die Rede war. "Sogar ein neutraler Besucher spürt, dass es voll von glücklichen Erinnerungen ist. Das gibt ihm seine harmonische Atmosphäre."

Isobel sah sie dankbar an. "Wie recht Sie haben, Skye. In ein Haus gehört vor allem Kinderlachen, und das hat im Gutshaus lange gefehlt. Haben Sie den Wink verstanden, Lorimer? Sie sollten endlich heiraten, damit wieder Leben in das alte Haus kommt."

Skye lief es eiskalt über den Rücken. Offenbar kannten die Buchanans Lorimer schon länger. Wenn sie es für möglich hielten, dass er bald heiratete...

"Ich habe vorerst nicht die Absicht", antwortete Lorimer. Sein Gesicht und seine Stimme waren gleich ausdruckslos.

"Oh, das tut mir leid." Isobel wurde verlegen und sah unsicher auf Skye. "Ich dachte . . ."

Skye fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. "Ich bin nur Lorimers Sekretärin", sagte sie schnell.

Lorimer ergänzte: "Skye hilft vorübergehend aus, bis Moira Lindsay bei mir anfangen kann. Sie kennen Moira, nicht wahr?" "O ja, natürlich." Der Irrtum war Isobel sichtlich peinlich. "Eine so nette Frau."

Auf dem Weg zum Auto herrschte verlegenes Schweigen. Endlich fragte Angus: "Nehmen Sie Samstag Abend an dem Jahresessen des Golfklubs teil, Lorimer? Sie sind Mitglied, nicht wahr? Wenn Sie im ,Kielyen Inn' wohnen, sind Sie gleich an Ort

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und Stelle. Glauben Sie mir, wenn aus diesem Hotelplan wirklich etwas werden soll, brauchen Sie auch gute Kontakte zu den hiesigen Klubmitgliedern."

Lorimer zögerte. "Würde es dir etwas ausmachen, einen Tag länger zu bleiben?" fragte er Skye.

"Natürlich würde es ihr nichts ausmachen", antwortete Angus für sie. "Skye sieht mir nicht so aus, als würde sie eine Party ausschlagen. Ich sorge dafür, dass zwei Eintrittskarten für Sie bereitliegen."

Als sie sich von den Buchanans verabschiedet hatten und wieder im Auto saßen, entschuldigte sich Lorimer bei Skye. "Ich kann dich Samstag früh in den Zug setzen", sagte er, "wenn du lieber früher nach Hause möchtest."

"Ich bleibe gern", antwortete sie. Nach dem Augenblick in der Fensternische des Schlafzimmers fiel es ihr noch schwerer, den richtigen Ton bei Lorimer zu treffen. "Seit wann kennst du die Buchanans so gut?"

"Ich kenne sie nicht besonders gut, ich bin nur hier in der Nähe aufgewachsen. Sie haben mir sehr geholfen, als . . ." Lorimer schwieg, setzte aber nach einer Weile hinzu: "Als mein Vater starb."

Skye spürte deutlich, dass er ursprünglich etwas anderes hatte sagen wollen, aber sein schroffer Ton und sein verschlossenes Gesicht hielten sie davon ab, das Thema weiter zu verfolgen:

"Von welchem Gutshaus habt ihr vorhin gesprochen?" fragte sie statt dessen.

"Es liegt unten an der Küste", antwortete Lorimer bereitwillig, als wäre er froh, über etwas anderes reden zu können. "Ich entdeckte es, als ich im vorigen Jahr durchs Land fuhr, um passenden Baugrund für ein Hotel zu suchen. Das Haus selbst war für diesen Zweck nicht groß genug, aber es gefiel mir auf den ersten Blick, obwohl es praktisch eine Ruine war." Lorimer musste das Haus sehr lieben, denn seine Züge entspannten sich, als er davon sprach. "Ich habe es in diesem

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Sommer notdürftig renovieren lassen, so dass es den kommenden Winter heil überstehen müsste Vielleicht können wir vorbeifahren und es uns ansehen, wenn wir genug Zeit haben."

" Wie sieht es aus?" fragte Skye. Sie war dankbar, ein Thema zu haben, das Lorimer freund licher stimmte.

"Es liegt direkt am Meer, mit Blick auf die Berge jenseits der Bucht. Alles ist Meer, Himmel und Licht." Lorimer schien sich seiner schwärmerischen Schilderung fast zu schämen. "Aber für mich allein ist es bei weitem zu groß. Isobel hat recht, es gehört eine Familie hinein."

Skye sah angestrengt aus dem Fenster und bemühte sich, normal weiterzusprechen. "Vielleicht hast du eines Tages eine Familie." Lorimer antwortete nicht gleich. "Das ist höchst unwahrscheinlich", sagte er endlich. "Um zu heiraten und eine Familie zu gründen, muss man an das Glück glauben."

"Und das tust du nicht?" Der zynische Unterton in Lorimers Stimme erschreckte Skye.

"Nein, das tue ich nicht." Lorimer parkte den Wagen abseits des Weges unter einer

alten Eiche. "Von hier aus gehe ich zu Fuß", erklärte er. "Du hast gehört, was Angus über Duncan McPherson sagte. Er ist immer noch verbittert und bekommt dich am besten gar nicht zu sehen. Bleib im Auto sitzen und warte, bis ich wiederkomme."

Lorimer stieg aus, nahm ein Paar alte Gummistiefel aus dem Kofferraum und zog sie an. Ehe er ging, klopfte er noch einmal an das Autofenster. Nachdem Skye die Scheibe heruntergedreht hatte, warnte er sie: "Komm bitte nicht auf die Idee, durch die Gegend zu wandern oder irgendwelchen Unsinn anzustellen."

"Wie soll man Unsinn anstellen, wenn man in einem Auto wartet?" fragte Skye spitz.

"Das weiß ich auch nicht, aber dir traue ich alles zu." Lorimer machte sich auf den Weg und verschwand bald

hinter der Hecke, die das angrenzende Feld umgab. Skye sah

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ihm missmutig nach und konnte nicht verhindern, dass die Erinnerungen an den gestrigen Tag zurückkamen.

Der Abend war eine Qual gewesen. Wie Lorimer vorausgesagt hatte, waren sie die einzigen Gäste im "Kielyen Inn". Sie hatten allein in dem großen Speiseraum gesessen, wo jedes Wort von den Wänden widerhallte, und sich höflich, aber nichtssagend unter halten. Die Atmosphäre zwischen ihnen war gespannt geblieben, und keiner hatte erwähnt, was ihn innerlich beschäftigte. Schließlich hatte Skye Müdigkeit vorgeschützt und war in ihr Zimmer gegangen. Sie hatte auf ihrem Bett gelegen, auf die Stimmen gehört, die aus der Gaststube heraufdrangen, und darüber nachgegrübelt, warum Lorimer so schlecht von der Ehe dachte.

Seine Worte hatten fast wie eine Warnung geklungen und es Skye nicht leichter gemacht. Dass sie sich häufig stritten, war nichts Neues, aber diese Vorsicht, dieses verkrampfte Schweigen hatte es bisher nicht gegeben. Beim Dinner war Skye die Unterhaltung so schwergefallen, dass sie praktisch nach jedem Wort gesucht hatte, um nur ja nichts Falsches zu sagen.

Während sie auf ihrem Bett lag, hatte sie herauszufinden versucht, was sich geändert hatte. Es war etwas geschehen, als sie sich in der Fensternische angesehen hatten, aber was? Skye war einfach nicht darauf gekommen. Sie fühlte nur deutlich, dass ihr ein gereizter, ungeduldiger Lorimer lieber war als ein höflicher, aber unnahbarer.

Am nächsten Morgen hatte sie diese Ansicht allerdings korrigiert. Lorimer war mit ihr auf den Golfplatz gegangen, um ihr die Grundregeln des Spiels zu erklären. Er war dabei so schlechter Laune gewesen und hatte sie so oft angefahren, dass sie sich beinahe nach dem höflichen Lorimer vom Abend zuvor zurücksehnte.

Übrigens war die Golfstunde kein großer Erfolg gewesen. Skye war nicht besonders sportlich. Anfangs hatte sie den Ball fast immer verfehlt und ungeschickt mit dem Schläger

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herumgefuchtelt. Lorimer hatte sich so darüber geärgert, dass sie lachen musste, was seine Laune weiter verschlechterte. Mit der Zeit hatte ihre Ungeschicklichkeit sie allerdings zermürbt. Sie war wütend geworden, weil sie den dämlichen kleinen Ball niemals traf, und Lorimers Anweisungen, wie sie den Schläger halten und nicht halten sollte, hatten sie noch wütender gemacht. Nach neun in äußerster Spannung zurückgelegten Löchern hatte Lorimer die Stunde abgebrochen, und sie waren schweigend in den Gasthof zurückgekehrt.

Skye beobachtete durch das Fenster, wie ein Kaninchen vorsichtig aus der Hecke lugte, dann rasch über den Weg hoppelte und im hohen Gras auf der anderen Seite verschwand. So vorsichtig musste sie auch werden. Sie musste endlich lernen nachzudenken, ehe sie handelte, um nicht ständig in Situationen zu geraten, die sie nicht mehr kontrollieren konnte. Was hatte es ihr eingebracht, dass sie Charles nach Edinburgh gefolgt war? Dass sie in diesem gottverlassenen Winkel zwischen öden Feldern auf einen Mann wartete, der kaum verbergen konnte, wie unsympathisch sie ihm war!

Skye seufzte. Sie hatte wirklich einmal geglaubt, Charles sei die Erfüllung aller ihrer Wünsche. Inzwischen konnte sie sich kaum noch daran erinnern, wie er aussah. Sie versuchte sich sein Gesicht vorzustellen, aber Lorimers Gesicht kam dazwischen. Unwillkürlich lief ihr ein Schauer über den Rücken.

Um auf andere Gedanken zu kommen, schaltete sie das Radio ein, aber der Empfang war so schlecht, dass sie es wieder abstellte. Sie öffnete das Handschuhfach, um nachzusehen, ob vielleicht Kassetten darin wären. Sie entdeckte mehrere und dazu einen in durchsichtiges Geschenkpapier eingepackten Seidenschal.

Skye betrachtete den Erikafarbenen Schal, der so zusammengefaltet war, dass das Monogramm "M" zu erkennen war. Bedeutete dieses "M" Moira? Höchstwahrscheinlich. Lorimer hatte den Schal gekauft und wartete einen günstigen

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Zeitpunkt ab, um ihn Moira als überraschendes Geschenk zu überreichen. Das Muster war bezaubernd, und der Farbton passte ideal zu Moiras blassem Teint. Lorimer musste den Schal sehr sorgfältig ausgesucht haben. Liebte er Moira vielleicht? Skye legte den Scha l wieder ins

Handschuhfach und schloss es unnötig laut. Was ging es sie an, ob Lorimer Moira liebte und ihr darum Geschenke machte?

Von innerer Unruhe getrieben, stieg sie aus und schloss die weite peruanische Strickjacke gegen den kalten Wind. In die Hecke war ein altes, halbverfallenes Gatter eingelassen, durch das man auf das Feld gelangen konnte. Es reichte direkt bis an den Fluss, und am anderen Ende erkannte Skye das Dach und den Schornstein vom Haus der Buchanans. Also musste dies das Land sein, das Lorimer unbedingt dazukaufen wollte, um einen großen Golfplatz anlegen zu können.

Auf Skye übte das herbstlich öde Feld keinen besonderen Reiz aus. Trotzdem kletterte sie über das Gatter, um sich besser umsehen zu können. Es war ohnehin zu kalt, um stehen zu bleiben, und ins Auto, wo Moiras Schal im Handschuhfach lag, zog es sie auch nicht zurück. Da kein Vieh auf dem Feld war, das sie hätte stören können, musste ihr wenigstens ein Spaziergang in der frischen Luft erlaubt sein. Schließlich saß sie nicht wie Lorimer in einer molligen Bauernküche und plauderte mit Duncan McPherson!

Die Erde war schwer und aufgeweicht, und Skye bedauerte schnell, dass sie keine Stiefel trug. Aber sie marschierte tapfer weiter und ließ sich den Wind voll ins Gesicht wehen. Es musste vor kurzem länger geregnet haben, denn der kleine Fluss kam ihr reißender vor, als das schmale Bett vermuten ließ. Außerdem war das Wasser trübe und trug kleine Zweige und Äste mit, die es von tiefhängenden Büschen abgerissen hatte.

Skye trat dicht ans Ufer, wo ein grauer Klumpen ihre Aufmerksamkeit fesselte. Er hatte sich zwischen einer Baumwurzel und einem festgeklemmten Ast verfangen, und bei

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näherem Hinsehen stellte Skye fest, dass es ein Schaf war. Armes Ding, dachte sie. Es muss ertrunken und mitgespült worden sein, bis es hier strandete.

Sie wollte sich schon abwenden, als das Tier eine schwache Bewegung machte. Es hatte sich bei dem Versuch, das Ufer zu erreichen, verfangen, und sein dichtes Fell war inzwischen so schwer geworden, dass es den Kopf kaum noch über Wasser halten konnte. Was war da zu tun? Am besten wäre es gewesen, den Bauern zu rufen, aber der hieß Duncan McPherson, und Lorimer würde sie umbringen, wenn sie mitten in die schwierigen Verhandlungen hineinplatzte. Außerdem konnte es lange dauern, bis sie das Haus fand, und das unglückliche Schaf schien am Ende seiner Kraft zu sein. Sie durfte es nicht einfach seinem Schicksal überlassen.

Skye schlitterte die schlammige Uferböschung hinunter. Unten war der Boden von Schafhufen zertreten und so aufgeweicht, dass sie bei jedem Schritt tief einsank. Ihre Schuhe waren für immer ruiniert.

Sie ging so nah wie möglich ans Wasser und versuchte, das Schaf mit ausgestrecktem Arm zu erreichen, aber es war etwas zu weit weg. Skye hatte keine Wahl. Sie musste sich nasse Füße holen, wenn sie dem Tier helfen wollte.

Das Wasser war eiskalt. Sie ging zaghaft einige Schritte vorwärts und stand plötzlich bis zur Taille im Wasser. Der schlammige Grund hatte unter ihr nachgegeben.

"Hu!" Skye schnappte nach Luft und fühlte eisige Kälte durch ihre Kleidung dringen. Warum hatte sie nicht wenigstens die Strickjacke ausgezogen? Wieder hatte sie erst gehandelt und dann nachgedacht. Aber die Reue kam zu spät. Sie war bereits klatschnass und konnte ihre Rettungsaktion genauso gut fortsetzen.

Zitternd watete sie bis zu dem Schaf und versuchte es von dem Zweig zu befreien, aber das ertrinkende Tier geriet bei ihrer

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Annäherung in Panik und strampelte so wild, dass es sich noch mehr verfing und Skye mit unter Wasser zog.

Prustend tauchte sie wieder auf. "Du dummes Tier!" schimpfte sie vor sich hin. "Ich will dir helfen, begreifst du das denn nicht?" Sie, versuchte es von neuem, und nach einer Weile gelang es ihr, Schlaf und Zweig zusammen bis ans Ufer zu zerren.

Das Schaf rührte sich nicht. "Du darfst jetzt nicht sterben!" keuchte Skye und zog das Tier weiter vom Wasser fort. Irgendwo in der Ferne ertönte ein Ruf, aber sie war zu beschäftigt, um darauf zu achten.

Als das Schaf immer noch kein Lebenszeichen von sich gab, legte Skye ihm beide Arme um den Hals. "Du dummes Tier! Warum hast du . . ." Weiter kam sie nicht, denn das Schaf erwachte so plötzlich zum Leben, dass Skye das Gleichgewicht verlor. Sie sah gerade noch, wie es die Uferböschung hinaufsprang und über das Feld davonjagte, ehe sie mit dem Gesicht voran im Schlamm landete. Die durchweichten Schuhe, inzwischen noch schwerer als der lehmige Boden, waren ihr von den Füßen gerutscht und stehen geblieben.

Einen Moment lang fragte sich Skye, ob sie vielleicht einen Alptraum erlebte, aber der kalte Schlamm in Mund, Nase und Augen war zu echt. Sie rappelte sich auf, spuckte den Schlamm aus und wischte sich das Gesicht ab, so gut es mit ihren schmutzigen Händen ging.

"Hoffentlich bist du mir wenigstens dankbar, Schaf." Sie drehte sich nach dem Flüchtling um und sah direkt in zwei Gesichter, die den gleichen fassungslosen Ausdruck trugen. Das eine war Lorimers, das andere das eines alten, aber noch äußerst rüstig wirkenden Mannes mit weißem Haar und buschigen weißen Augenbrauen. Beide starrten sie an, als sähen sie eine Erscheinung.

Eine lange Pause folgte. "Hallo", sagte Skye endlich, denn ihr fiel beim besten Willen nichts anderes ein. Sie lächelte

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aufmunternd, aber weder Lorimer noch sein Begleiter machten sich die Mühe, das Lächeln zu erwidern.

"Was hat das alles zu bedeuten?" fragte Lorimer statt dessen. "Wie kommst du in diesen Zustand?"

"Da war das Schaf . . ." Sie sah sich nach dem entflohenen Tier um und entdeckte es mitten auf dem Feld, wo es stehen geblieben war und misstrauisch zurückäugte. Das war nun der Dank für ihr heroisches Eingreifen!

Lorimers Begleiter war ihrem Blick gefolgt. "Wollen Sie behaupten, dass Sie in den Fluss gesprungen sind, um dem dummen Biest zu helfen?" fragte er ungläubig.

"Es wäre sonst ertrunken." Skye wusste, dass Landleute kein sentimentales Verhältnis zu Tieren hatten, aber das ging ihr doch zu weit. "Ich konnte es nicht einfach seinem Schicksal überlassen. Glauben Sie, dass es durchkommen wird?"

"Oh, bestimmt." Der alte Mann betrachtete das Schaf ohne eine Spur von Mitleid. "Die Luder sind zäh. Weitaus zäher als Sie, Miss", setzte er nach kurzer Pause ironisch hinzu.

"Du zitterst am ganzen Körper." Lorimer trat dicht an die Uferböschung und reichte Skye die Hand, um sie hinaufzuziehen. "Mein Gott, was für ein Chaos du wieder angerichtet hast!" Er half Skye hinauf und zeigte dabei nicht mehr Mitleid mit ihr, als der alte Mann mit seinem Schaf gezeigt hatte. "Es tut mir leid, Duncan, aber dies ist meine ... dies ist Skye Henderson."

Skye lächelte schüchtern, aber Duncan McPherson nickte ihr nur kurz zu. "Kommen Sie mit ins Haus. Sie müssen trockene Sachen anziehen."

"Ich möchte nicht lästig werden", murmelte Skye. "Daran hättest du denken sollen, bevor du gegen meinen

ausdrücklichen Wunsch ausgestiegen bist." Lorimer sprach gereizt wie immer, aber er zog sein Tweedjackett aus und legte es Skye um die Schultern. "Wenn wir Glück haben, bekommst du noch eine Lungenentzündung."

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Der Hof der McPhersons befand sich am Ende des Feldwegs, den Lorimer vorhin benutzt hatte. Nachdem Duncan in der Küche Teewasser aufgesetzt hatte, verschwand er nach oben und kam nach einigen Minuten mit einem Flanellnachthemd zurück. Es hatte lange Ärmel, einen hohen gekrausten Kragen und roch nach Mottenkugeln.

"Das Nachthemd gehörte meiner Frau", sagte er unfreundlich und drückte es Skye in die Hand. "Ziehen Sie es an, wenn Sie sich gewaschen haben."

Skye verschwand im Badezimmer und zog ihre durchweichten Sachen aus. Die Installation wirkte vorsintflutlich, aber das Wasser, das aus der Dusche kam, war wunderbar heiß. Nachdem Skye allen Schlamm von sich abgewaschen und sich abgetrocknet hatte, zog sie das Nachthemd an. Sie ertrank fast in den weiten Stoffmassen, aber das Hemd war warm und vor allem trocken.

Als Skye in die Küche zurückkam, saßen Lorimer und Duncan am Tisch und tranken Tee. Lorimer lächelte über etwas, das Duncan gesagt hatte, und Skye hatte die seltene Gelegenheit, ihn unbemerkt zu betrachten. Sie blieb in der offenen Tür stehen, aber schon hach wenigen Sekunden spürte Lorimer ihre Anwesenheit und hob den Kopf. Sofort verschwand das Lächeln von seinem Gesicht.

Skyes Gesicht glühte noch von der heißen Dusche, das feuchte Haar klebte ihr am Kopf und bildete wirre Locken. Sie sah aus wie ein kleines Mädchen, aber das wusste sie nicht. Sie merkte auch nicht, dass das Flurlicht von hinten durch ihr Nachthemd schimmerte und ihren schlanken Körper erkennen ließ.

Duncan, der Skye den Rücken zukehrte, bemerkte die Veränderung auf Lorimers Gesicht und drehte sich um. "Kommen Sie herein", forderte er Skye auf. "Ich bringe Ihnen Tee."

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"Vielen Dank." Skye setzte sich zögernd auf den Stuhl, den Duncan ihr hinschob, und versuchte, nicht auf Lorimer zu achten. Seine Art, sie anzusehen, machte sie plötzlich scheu. "Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache."

"Nehmen Sie es als Dank dafür, dass Sie eins meiner Schafe gerettet haben." Duncan stellte einen Becher mit dampfendem Tee vor sie hin. "Nicht, dass ein Schaf heute noch viel wert wäre. Die strengen Vorschriften, die man uns Bauern macht, all die Bestimmungen . . . Aber wie auch immer, Sie haben es gut gemeint." Er zwinkerte Skye zu, und sie merkte, dass er nur den ruppigen Bauern spielte. Im Grunde war er heilfroh darüber, dass das Schaf nicht ertrunken war.

"Vermissten Sie das Tier schon?" fragte sie, während sie ihre Hände an dem heißen Becher wärmte.

Duncan nickte. "Ich hatte sie gezählt, und ein Tier fehlte. Die Weide ist zum Fluss hin abgezäunt, aber sie finden immer einen Weg nach draußen. Ich habe bei Hochwasser schon öfter ein Tier verloren und suchte auch heute das Ufer ab. Ich war noch dabei, als mir Ihr Freund entgegenkam."

"Ich traf Duncan nicht im Haus an", berichtete Lorimer weiter, "und ging zum Auto zurück, wo ich dich nicht mehr vorfand. Du kannst dir sicher denken, wie entzückt ich war vor allem, als ich wenig später vom Fluss her höchst unfeine Ausrufe und Flüche hörte."

"Höchst unfeine", bestätigte Duncan und zwinkerte wieder. Skye errötete und senkte den Kopf.

"Immerhin konnten wir uns unterhalten, während du im Badezimmer warst", fuhr Lorimer milder fort. "Duncan ist bereit, meinen neuen Vorschlag zu überdenken."

"Phantastisch!" Skye strahlte Duncan an. Also war das Unternehmen doch kein totaler Reinfall. "Ich habe im Flur Ihre Golfschläger gesehen. Wenn der neue Platz fertig ist, können Sie direkt vor Ihrer Tür spielen."

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"Bauern haben zuviel zu tun, um täglich Golf zu spielen", wehrte Duncan ab. "Außerdem passe ich nicht auf einen Platz, der für die oberen Zehntausend bestimmt ist."

"Natürlich passen Sie dorthin", protestierte Skye, ohne Lorimers warnenden Blick zu beachten. "Es wäre nur recht und billig, wenn man Sie aus Dankbarkeit für den Verkauf Ihres Landes zum Ehrenmitglied des neuen Klubs machen würde."

Duncan sah Lorimer nachdenklich an. "Der Vorschlag klingt eigentlich vernünftig, oder?"

Lorimer musste sich geschlagen geben. "Wir werden bestimmt eine Lösung finden", versprach er.

"Stellen Sie sich vor, wie nett es wäre, den neuen Platz zu benutzen, wann immer Sie wollen", schwärmte Skye weiter. "Sie fühlen sich manchmal sicher sehr einsam. Ich wette, viele Gäste würden den Wunsch haben, gege n einen Spieler anzutreten, der den Boden besser als jeder andere kennt."

Ein versonnener Ausdruck trat in Duncans Augen. "Ich glaube, das könnte mir gefallen", sagte er endlich. "Spielen Sie selbst Golf?"

"Ja", log Skye im Bewusstsein ihrer ersten missglückten Übungsstunde. Dann bemerkte sie Lorimers Blick und korrigierte sich. "Ein bisschen."

"Dann können wir vielleicht einmal zusammen spielen." "Mit Vergnügen!"

"Dazu müsste Skye noch viel lernen", warf Lorimer trocken ein. "Sie sind ein Meister, Duncan."

Es erwies sich, dass Duncan unter seiner rauen Schale viel Sinn für Humor besaß, und entgegen Lorimers Prophezeiung gefiel ihm Skye. Er begann von seiner Frau zu erzählen, von der Mühe, die es sie gekostet hatte, das Land zu erhalten, und von ihrem Sohn, der jede Mitarbeit verweigert hatte und zu ihrem Kummer nach Dundee gegangen war, um Buchhalter zu werden. Seit Duncans Frau vor zehn Jahren gestorben war, bewirtschaftete er den Hof allein. Er konnte sich kein anderes

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Leben vorstellen, kein Leben ohne harte, zermürbende Arbeit, die nur einmal wöchentlich von einem Besuch des Golfplatzes in Kielven unterbrochen wurde.

All das erzählte Duncan seiner, aufgeschlossenen Zuhörerin, während Lorimer daneben saß und beide beobachtete - den zähen alten Bauern und die lebhafte junge Frau mit den leuchtendblauen Augen und den blonden Locken, die inzwischen getrocknet waren und ihr frisches Gesicht umrahmten. Als er endlich auf die Uhr sah und zum Aufbruch mahnte, war Duncan so in Fluss gekommen, dass er die Unterbrechung fast bedauerte.

"Fahren Sie nach Edinburgh zurück?" erkundigte er sich. "Wir wollten noch zum Jahresessen des Klubs bleiben",

antwortete Lorimer. "Sie kommen doch auch?" Duncan nickte. "Ich habe den diesjährigen Kielven Cup

gewonnen", berichtete er stolz. "Den will ich persönlich in Empfang nehmen."

"Dann sehen wir uns morgen Abend. Bis dahin haben Sie Zeit, über meinen Vorschlag nachzudenken und vielleicht schon eine Entscheidung zu fällen."

"Vielleicht entscheide ich mich bis dahin, vielleicht auch nicht." Duncan war zu alt und zu vorsichtig, um sich drängen zu lassen. Draußen war es dunkel, kalt und nass. "Ich werde dich lieber tragen", meinte Lorimer mit einem Blick auf Skyes nackte Füße. Duncan hatte darauf bestanden, dass sie das Nachthemd behielt, und ihre nassen Sachen in eine Plastiktasche gepackt.

Skye legte ihre Arme um Lorimers Nacken und ließ sich durch die dunkle Nacht tragen. Sie bebte vor Verlangen, sich ganz dicht an ihn zu schmiegen, und vergaß doch keinen Augenblick, dass sie unter dem Nachthemd nackt war und dass Lorimer das spüren musste.

Er trug sie mühelos, ihr schlanker Körper ruhte leicht an seiner Brust. Duncan ging nebenher und trug die Tasche. Als

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Skye sicher im Auto saß, beugte er sich zu ihr hinunter und drückte ihr fest die Hand. Dann nickte er Lorimer zu.

"Passen Sie in Zukunft besser auf Ihre Freundin auf. Sie ist klüger, als man auf den ersten Blick denkt."

Lorimer stieg ein und ließ den Motor an. Das Licht vom Armaturenbrett reichte gerade aus, um zu zeigen, dass er lächelte. "Ich glaube fast, Sie haben recht", antwortete er durch das offene Fenster und winkte Duncan zum Abschied zu.

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8. KAPITEL

Kielven war ein kleiner Ort, dessen niedrige Häuser sich zwischen den auslaufenden Hügeln und dem Solway Firth zusammendrängten. Bei Ebbe wurde das Wasser aus der tief einschneidenden Bucht herausgezogen und ließ eine unübersehbare Fläche von Schlick und schimmernden Kanälen zurück. Dann konnte man über drei Meilen weit hinausgehen, aber mit dem Meer war nicht zu spaßen. Manchmal kehrte es so schnell zurück, dass es achtlose Spaziergänger mit der Strömung fortriss. An einigen Stellen, hieß es bei den Einheimischen, konnte die auflaufende Flut sogar einen galoppierenden Reiter einholen und ertränken.

Das Meer kehrte gerade in die Bucht zurück, als Lorimer und Skye vor dem Gasthof hielten. Es erregte einiges Aufsehen, als Skye in Mrs. McPhersons Nachthemd hereingetragen wurde, und Lorimer flüsterte ihr zu: "Warum fühle ich mich immer wie in einem schlechten Theaterstück, wenn ich mit dir zusammen bin?"

In schweigendem Einverständnis vermieden sie diesmal den leeren Speiseraum und saßen in der Bar, wo ein knisterndes Kaminfeuer und dekorativ aufgehängte Whiskykrüge für eine gemütliche Atmosphäre sorgten. Skye hatte sich umgezogen, aber sie wirkte in Jeans und weitem Pullover fast genauso auffällig wie in Mrs. McPhersons fußlangem Flanellnachthemd. Draußen prasselte der Regen gegen die Scheiben, als flögen

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kleine Steinchen dagegen. Jedes Mal, wenn die Tür aufging und ein neuer Gast eintrat, fuhr ein kalter Windstoss herein.

Unter den anderen Gästen, die sich lebhaft unterhielten, kam nicht soviel Spannung zwischen Lorimer und Skye auf wie am letzten Abend. Trotzdem wurde Skye eine gewisse Scheu nicht los, und das wunderte sie. Sie hatte nie unter Schüchternheit gelitten, aber das Verlangen, das sie spürte, wenn sie Lorimers Hände ansah, sein unrasiertes Kinn betrachtete oder seine verhaltene Kraftbemerkte, machte sie zutiefst unsicher. Sie empfand eine unerklärliche Furcht und begriff nicht, was sie für diesen schwierigen, unzugänglichen Mann empfand.

"Fehlt dir etwas?" Lorimer beobachtete sie genauer, als ihr lieb war, und das machte sie noch befangener. Verräterische Röte stieg in ihre Wangen.

"Nein", antwortete sie und ärgerte sich darüber, wie belegt ihre Stimme klang." Es ist nur ... Findest du es nicht auch sehr stickig hier drinnen?"

Lorimer sah zum Fenster. "Es scheint nicht mehr zu regnen, und ich wäre einem Gang durch die frische Luft ebenfalls nicht abgeneigt." Ertrank sein Glas aus und stand auf, "Kommst du?"

Er half ihr in die Jacke, und sie erbebte, als seine Hände ihre Schultern berührten. Nachdem er sich ebenfalls angezogen hatte, hielt er ihr die Tür auf. Gemeinsam traten sie in die Nacht hinaus.

Es regnete tatsächlich nicht mehr, aber der Wind trieb die Boote hin und her und ließ die Ankerketten rasseln. Skye beugte sich über die Hafenmauer und sah die Wellen gegen die Steine schlagen. Etwas entfernt trieben zwei Ruderboote mit straff gespannten Tauen an ihren Ankerbojen.

Schweigend gingen sie an den weiß gestrichenen Häusern entlang bis zum Ende der Hafenbefestigung, wo die Mole in steinigen Strand überging. Dichtes Ginstergebüsch bot einiger maßen Schutz vor dem Wind, und so setzten sie sich auf einen

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niedrigen Felsen und lauschten auf die Wellen, die sich rauschend am Ufer brachen.

Als ob wir die einzigen Menschen auf der Welt wären, dachte Skye und erschauerte in der nächtlichen Dunkelheit. Schon im Dorf war es dunkel gewesen, aber hier draußen unterbrach nichts die schwarze Leere. Nur der Schaum der Brandung war vage zu erkennen, sonst herrschte völlige Finsternis. Der Wind pfiff über das Wasser, und manchmal traf ein Schaumspritzer Skyes Gesicht. Hätte sie nicht gewusst, dass Lorimer neben ihr saß, wäre sie sich sterbenseinsam vorgekommen.

Seit einer ihrer Brüder sie als Kind einen ganzen langen Nachmittag in einen Schrank eingeschlossen hatte, hasste und fürchtete Skye die Dunkelheit. Das war einer der Gründe, warum sie gern in der Stadt wohnte, wo es nie ganz dunkel oder ganz still wurde. Hier draußen war es anders. Hier gab es keine Straßenlaternen, keine Autoscheinwerfer, keine Lichtreklamen und keine rücksichtslosen

Nachbarn, die ihr Fernsehgerät bis zum frühen Morgen eingeschaltet ließen. Hier herrschten Wind, Regen und Dunkelheit.

In der Hoffnung, Lorimer würde es nicht merken, rückte Skye etwas näher an ihn heran. Solange er bei ihr war, fühlte sie sich sicher, bei ihm hatte sogar die Dunkelheit ihr Gutes. Sie verbarg die bunten Farben, die ihn so oft geärgert hatten, und verwischte die Unterschiede zwischen ihnen.

Skye drehte sich zu Lorimer um. Er war kaum zu erkennen, nur die Nase und das Kinn zeichneten sich undeutlich ab, und einmal glaubte sie, einen Schimmer seiner Augen wahrzunehmen. Er blickte in die Dunkelheit, als säße er allein auf dem Felsen. Skye hätte gern gewusst, woran er dachte, aber gleichzeitig kränkte es sie, dass er sie vergessen hatte.

"Wo, liegt dein Haus?" fragte sie, ohne lange zu überlegen. Sie wollte ihn nur an ihre Gegenwart erinnern.

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"Das Gutshaus?" Lorimer zeigte geradeaus ins Dunkel. "Auf der anderen Seite der Bucht. Wenn es dir recht ist, fahren wir morgen hin. Wir müssen uns ohnehin etwas vornehmen, weil das Essen erst abends stattfindet." Nach einer Pause setzte er hinzu: "Du musst natürlich nicht mitkommen, wenn du nicht möchtest."

"Es würde mir aber Freude machen." Skye redete sich ein, dass sie nur neugierig war, das Haus kennen zu lernen. In Wirklichkeit hätte sie alles getan, um sich nicht von Lorimer trennen zu müssen.

Nachdem sie wieder eine Weile geschwiegen hatten, sagte er plötzlich: "Ich muss mich bei dir entschuldigen. Es war falsch, anzunehmen, du würdest hier nicht willkommen sein, weil du Engländerin bist. Die Buchanans haben dich spontan ins Herz geschlossen, und auch bei dem alten Duncan war es Liebe auf den ersten Blick. Du hast ihn dazu gebracht; ernsthaft über den Verkauf seines Landes nachzudenken - nicht ich. Ohne dich hätte er sich vielleicht nicht einmal bereit erklärt, mit mir zu sprechen." Lorimer hatte bisher geradeaus gesehen, jetzt drehte er sich zu Skye um. "Ich habe dir noch nicht dafür gedankt. Das, war nicht nett von mir."

"Du konntest dich nicht dafür bedanken, dass ich wieder mal eigensinnig war und deine Anordnungen nicht befolgt habe", antwortete Skye großzügig.

Lorimer lachte. "Da ich dich kenne, hätte ich das kaum erwarten dürfen. Aber ich meine es ehrlich, Skye. Du hast eine Entschuldigung verdient."

Skye sah Lorimer nicht an, aber sie fühlte seine Nähe um so stärker. Dies war ein neuer Ton, denn sie noch nicht zu begegnen wusste, eine ungewohnte Vertrautheit, die sie tief bewegte. Sie hörte nicht mehr, wie sich die Wellen an den Felsen brachen. Sie war allein mit Lorimer, eingehüllt in Schweigen, das ihr erst wohlgetan hatte und plötzlich unerträglich wurde. Sie musste sich zwingen, gleichmäßig zu

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atmen und nicht daran zu denken, wie gern sie sich an ihn geschmiegt hätte, um ihn zu küssen und in seinen Armen Trost zu finden. "Skye?" "Ja?"

"Ach, nichts." Es klang schroff, als hätte Lorimer etwas sagen wollen und es sich plötzlich anders überlegt. Er stand auf, die Steine knirschten unter seinen Füssen. "Es wird kalt. Lass uns zurückgehen.

Skye folgte ihm und wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte. Lorimer hatte ihren Namen so anders als sonst ausgesprochen, dass ihr ein Schauer über den Rücken gelaufen war. Wilde Hoffnung erfasste sie, dann Furcht und schließlich erwartungsvolle Spannung.

Sie schwiegen, während sie zum Gasthof zurückgingen, und achteten sorgfältig darauf, sich nicht zu berühren. Vor der Tür sagte Lorimer: "Ich werde noch etwas draußen bleiben. Geh du schon schlafen." Ohne eine Antwort abzuwarten, verschwand er in der Dunkelheit.

Der Gasthof empfing Skye mit Wärme und Licht. In der Bar herrschte noch lebhafter Betrieb, aber sie und Lorimer waren weiterhin die einzigen Logiergäste und hatten die obere Etage für sich allein.

Skye stieg langsam die Treppe hinauf. Oben war es bedeutend kühler, und sie beeilte sich in dem altmodischen Badezimmer, um möglichst rasch in ihr warmes Bett zu kommen. Sie hatte seit Jahren nicht mehr unter einem Überschlaglaken geschlafen, und die schwere Wolldecke lastete auf ihr. Unruhig wälzte sie sich hin und her und überlegte, was Lorimer hatte sagen wollen, ehe er so plötzlich seine Meinung änderte.

Ab und zu klang Lachen aus der Bar herauf, und wenn Skye zum Fenster sah, erkannte sie einen schwachen Lichtschein. Beides tröstete sie und ließ sie ihre Einsamkeit vergessen. Sie hörte auf, über Lorimer nachzugrübeln, und schlief friedlich ein.

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Skye stand mitten im Watt und sah die Flut auf sich zukommen. Sie wusste, dass sie um ihr Leben laufen musste, aber ihre Beine waren wie gelähmt. Gleichzeitig gab der Schlick unter ihr nach und, ließ sie immer tiefer einsinken. Plötzlich war Lorimer da, auf einem schnaubenden Pferd. Skye streckte die Hand nach ihm aus, aber er jagte an ihr vorbei und überließ sie mitleidlos der heranbrausenden Flut, die sie in ihren Wirbel zog und in finstere Tiefen riss.

Skye fuhr aus ihrem Traum auf, einen halberstickten Schrei auf den Lippen. Ihr Herz hämmerte wild, erst als der Schreck nachließ, vermochte sie wieder gleichmäßig zu atmen. Sie glaubte sich noch immer schreien zu hören, aber allmählich klärten sich ihre Gedanken, und sie begriff, dass nur der Wind ums Haus pfiff und der Regen gegen die Fensterscheiben prasselte. Der Lichtschimmer, der sie vorhin getröstet hatte, war verschwunden. Die Dunkelheit im Zimmer wirkte bedrohlich, und gemessen an dem tobenden Unwetter, war es unheimlich still.

Ein greller Blitz zuckte auf und machte die Finsternis noch spürbarer. Skye begann am ganzen Körper zu zittern. Jetzt quälte sie nicht mehr der Alptraum, sondern die Erinnerung an ihre Kindheit, an Harry und den entsetzlichen Schrank. Dabei wusste sie, dass es dumm war, sich vor der Dunkelheit zu fürchten. Sie war in diesem Zimmer völlig sicher, niemand bedrohte sie. Trotzdem tastete sie nach der Bettlampe und drückte auf den Lichtknopf.

Nichts geschah. Sie drückte wieder, diesmal stärker, mit. dem gleichen Ergebnis. Die Lampe funktionierte nicht, oder die Leitung war ohne Strom.

Skye wollte vernünftig sein, aber die panische Angst, die sie an jenem Nachmittag vor siebzehn Jahren empfunden hatte, packte sie mit heimtückischer Macht. Jede Einzelheit war plötzlich wieder lebendig: das Klicken des Türschlosses, das Tuscheln und Kichern ihrer Brüder, das verhallende Geräusch

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ihrer Schritte, die stickige Luft im Schrank, die Dunkelheit und die furchtbare Angst, die sie herausgeschrieen hatte, ohne wieder aufhören zu können.

Irgendwie musste sie Licht machen. Mit äußerster Willensanstrengung schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. Mit ausgestreckten Armen tastete sie sich durch die Dunkelheit, stieß gegen etwas, das polternd umstürzte, und erreichte glücklich die Tür. Sie fand auch den Lichtschalter auf der linken Seite, aber er funktionierte ebenfalls nicht.

Immer wildere Angst krampfte ihr die Brust zusammen. War sie am Ende gar nicht aufgewacht? Erlebte sie den Alptraum wirklich? Sie musste heraus aus diesem Zimmer, heraus aus dieser tödlichen Finsternis. Wenn sie nur Lorimer finden könnte, dann wäre alles gut. Der Gedanke an ihn gab ihr genug Kraft, die Tür zu öffnen und sich draußen an der Wand weiterzutasten. Irgendwo hatte sie einen Lichtschalter gesehen, aber wo?

Im fensterlosen Flur war der Sturm weniger laut zu hören, und Skye erschrak vor ihren keuchenden Atemzügen, die unheimlich von den Wänden widerhallten. Warum fand sie bloß den Schalter nicht? Und wo lag Lorimers Zimmer? "Bitte, lieber Gott", flehte sie leise. "Bitte, lass mich ihn finden!"

Sie fühlte eine Klinke und drückte sie hinunter - gerade als hinter ihr ein lautes Klicken ertönte. Mit einem Schrei fuhr sie herum. "Skye?" Es war Lorimer, und in ihrer übergroßen Erleichterung brach Skye in Tränen aus.

"Ich bin hier", schluchzte sie und stolperte auf ihn zu. Er musste ihr entgegengekommen sein, denn sie stieß hart mit ihm zusammen und umklammerte ihn mit beiden Armen.

"Skye, was ist?" fragte er besorgt, aber sie konnte nicht gleich antworten. Die Angst hielt sie noch gepackt, und sie barg ihr Gesicht an seiner Schulter.

Lorimer hatte eine Hose angezogen, sein Oberkörper war nackt. Skye hielt sich krampfhaft an ihm fest, als könnte nur er sie vor den Schrecken der Dunkelheit beschützen. Er hatte sie in

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die Arme genommen, sprach beruhigend auf sie ein und streichelte sie durch das dünne Nachthemd hindurch. Skye spürte seine warmen, festen Hände und wünschte, er würde sie nie wieder loslassen.

"Was ist?" fragte er noch einmal, als ihr Schluchzen etwas nachgelassen hatte. Er wollte sich zurückbeugen, um ihr Gesicht zu erkennen, aber Skye legte die Arme nur fester um ihn.

"Die Dunkelheit", flüsterte sie an seiner Schulter. Sie fühlte seine glätte, warme Haut, hätte es aber im Leben nicht über sich gebracht, ihn loszulassen.

"Der Sturm muss einen Strommast umgeworfen haben." Skye spürte, wie Lorimers Brust beim Sprechen vibrierte. "Nirgendwo brennt Licht. Warum hast du dein Zimmer verlassen, wenn du dich im Dunkeln fürchtest?"

"Ich suchte dich", gestand Skye. "Aber ich wusste nicht mehr, wo dein Zimmer liegt."

"Um so besser, dass ich dich gehört habe. Du suchtest genau in der falschen Richtung. Ich hörte ein Poltern in deinem Zimmer und dann ein Wimmern auf dem Flur. Erst als ich aufstand, um nachzusehen, was los war, bemerkte ich den Stromausfall. Aber du zitterst, Skye. Komm, ich bringe dich wieder in dein Bett."

Lorimer legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie in ihr Zimmer, wo er vorsichtig. nach dem Bett tastete. "Da sind wir", sagte er, als er es gefunden hatte. "Hinein mit dir."

Skye setzte sich auf den Bettrand, ohne Lorimer loszulassen. Der Gedanke, wieder allein zu sein, jagte ihr neue Angst ein. "Geh nicht weg", bat sie. Als er nicht gleich antwortete, fügte sie flehend hinzu: "Ich weiß, es ist dumm von mir, aber bitte geh nicht."

"Gut, ich bleibe." Lorimer seufzte und drückte Skye auf das Bett. "Aber nur, wenn du dich hinlegst und zudeckst."

Er sagte das nicht besonders freundlich, doch die Bewegungen, mit denen er Skye zudeckte, sich dann neben sie

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legte und die Überdecke ausbreitete, waren sanft und behutsam. Nach einer Weile hob er wortlos den Arm, damit Skye sich an seine Brust schmiegen konnte.

"Danke", sagte sie leise und lauschte auf seinen Herzschlag. Das gleichmäßige Klopfen wirkte wunderbar beruhigend.

"Gern geschehen", antwortete Lorimer in seiner ironischen Art. Gleich darauf wurde er wieder ernst und fragte: "Möchtest du über deine Angst sprechen?"

Skye zögerte. Sie fühlte sich in. Lorimers Armen warm und geborgen, als wäre sie nach einer langen Reise endlich heimgekommen. "Es ist so dumm", flüsterte sie.

"So dumm kann es nicht sein", widersprach Lorimer. "Du warst starr vor Angst, als ich dich draußen auf dem Flur fand, und du weinst auch nicht ohne Grund."

Stockend, von immer neuen Pausen unterbrochen, erzählte Skye von dem traumatischen Kindheitserlebnis, das sie bis heute verfolgte. Sie erzählte von den qualvollen Stunden im Schrank, von ihren Schreien, ihren Tränen und der krankhaften, panischen Angst, die daraus entständen war. "Es klingt kindisch, wenn sich ein erwachsener Mensch im Dunkeln fürchtet", schloss sie kleinlaut. "Es genügt schon, wenn eine Straßenlaterne brennt oder der Mond scheint. Nur die absolute Dunkelheit ängstigt mich, wie damals im Schrank oder heute nacht, als ich aufwachte."

"Oder im Treppenhaus, wenn du zu deiner Wohnung hinauf steigst." Lorimer drückte sie fester an sich, als müsste er etwas gutmachen. "Du hast es mir neulich erzählt, aber ich glaubte dir nicht."

"Du solltest mich auch gar nicht ernst nehmen. Hättest du mich heute nicht tränenüberströmt auf dem Flur entdeckt ... Ach, Lorimer, ich schäme mich so."

"Dafür besteht kein Grund." Lorimer spielte mit Skyes Locken, die weich auf seiner Brust lagen. "Wir alle haben unsere geheimen Ängste."

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"Du bestimmt nicht", protestierte Skye. Lorimer solltegeheime Ängste haben? Der starke, entschiedene Lorimer? Skye konnte sich das beim besten Willen nicht vorstellen.

"Jetzt vielleicht nicht mehr, aber ich weiß trotzdem, was es bedeutet, Angst zu haben." Lorimers Brust hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Es war ein gleichmäßiger, beruhigender Rhythmus. "Weißt du, warum ich anfangs so voreingenommen gegen dich war, Skye?"

"Weil deine englischen Partner dir das Galloway-Geschäft verdorben hatten?"

"Auch deswegen, aber das war nicht der einzige Grund. Du weißt inzwischen, dass ich in der Nähe von Glendorie aufgewachsen bin. Ich habe dir aber noch nicht erzählt, dass meine Mutter meinen Vater und mich verließ, als ich acht Jahre alt war. Sie ging mit einem Engländer auf und davon."

Skye schwieg. Sie stellte sich Lorimer als unglücklichen achtjährigen Jungen vor und schmiegte sich unwillkürlich fester an

"Mein Vater litt sehr", fuhr er nach einer langen Pause fort. "Richard war sein Freund gewesen, und darum ging ihm der Verrat besonders nahe. Ich blieb bei meinem Vater in Schottland und habe mit der Zeit wohl viel von seiner Bitterkeit übernommen. Von der Ehe hielt ich nichts mehr. Meine Eltern waren anscheinend so glücklich gewesen, und von heute auf morgen entlarvte sich alles als Lüge. Mein Vater zog sich ganz in sich selbst zurück und überließ mich mehr oder weniger meinem Schicksal. Als er nach wenigen Jahren starb, war ich völlig verwildert - zum Entsetzen meiner Mutter, die kam, um mich nach Surrey zu holen, wo sie mit Richard lebte. Ich wollte nicht mitkommen, und im Grunde wollte sie mich auch gar nicht wiederhaben. Ich hasste alles, was englisch war, und gebärdete mich so toll, dass sie mich schließlich in ein Internat schickten. Dort wurde es noch schlimmer. Man zog mich wegen meines schottischen Akzents auf und behandelte mich wie einen

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Aussätzigen. Dreimal versuchte ich wegzulaufen, aber ich kam nie weit. Jede Nacht weinte ich mich in den Schlaf."

Skye empfand tiefes Mitleid mit Lorimer. Sie strich sacht über seine Wange und sagte zärtlich: "Armer kleiner Junge."

"Ich habe es überlebt, aber die Vorurteile gegen England blieben haften. Ich sprach mit niemandem darüber, und das machte es noch schlimmer. Erst später wurde mir klar, dass meine Mutter auch mit einem Schotten hätte durchbrennen können. Die Folgen wären dieselben gewesen, ohne dass ich mich zusätzlich mit dummen Vorurteilen belastet hätte. Vorurteile sind oft nur ein Ausdruck heimlichen Kummers, und man darf andere damit nicht kränken - so wie ich dich gekränkt habe. Das wollte ich dir am Strand sagen."

"Du brauchst dich nicht zu entschuldigen", beruhigte Skye ihn. "Nach allem, was du erlebt hast, ist deine Einstellung mehr als verständlich. Merkwürdigerweise habe ich mich nie für besonders englisch gehalten, aber wahrscheinlich bin ich es."

"Ja", bestätigte Lorimer, und es klang, als lächelte er dabei. "Das kann niemand bestreiten."

"Soll ich versuchen, mich zu ändern?" "Bitte nicht. Ich fange gerade an, mich an dich zu

gewöhnen." Lorimer gähnte. "Es ist spät, Skye. Kann ich dich jetzt allein lassen, oder möchtest du, dass ich bleibe?"

Skye wusste, dass es vernünftig gewesen wäre, ihn gehen zu lassen, aber der Gedanke, wieder allein in der Dunkelheit zu sein, erschreckte sie. Nur in Lorimers Armen konnten die bösen Geister ihr nichts tun. Mochten sie noch so an den Fenstern rütteln und lärmend ums Haus jagen - sie lag warm und geborgen in Lorimers Armen und brauchte nichts zu fürchten. .

"Bitte bleib", flüsterte sie. "Es macht dir doch nichts aus?" "Nein", versicherte Lorimer und drückte ihren Kopf an seine Schulter. "Es macht mir nichts aus."

Skye erwachte mit einem Gefühl wohliger Geborgenheit und reckte sich schlaftrunken.

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"Endlich! Ich dachte schon, du würdest den ganzen Tag schlafen."

Die trockene Bemerkung machte Skye sofort hellwach. Sie lag dicht neben Lorimer. Ihr Kopf ruhte auf seiner Brust, mit einem Arm hielt sie ihn umfasst.

Die Ereignisse der letzten Nacht kehrten schlagartig zurück. Skye richtete sich hastig auf und sagte verlegen: "Du hättest mich früher wecken sollen."

"Wozu? Du schliefst ganz fest, und ich wusste, dass du nach der letzten Nacht erschöpft warst. "Lorimer stand auf und zog die Vorhänge beiseite. Der Sturm hatte sich wie durch ein Wunder gelegt und war strahlendem Herbstwetter gewichen. "Außerdem siehst du so friedlich aus, wenn du schläfst." Er drehte sich lächelnd um. "Das ist neu für mich."

Skye wusste nicht, was ihr peinlicher war - Lorimers nackter Oberkörper, ihr verrutschtes hauchdünnes Nachthemd oder die zerwühlten Bettücher. "Es tut mir leid, dass ich so kindisch war", sagte sie errötend und senkte den Blick.

Lorimer kam zurück und setzte sich auf den Bettrand. "Du brauchst dich nicht zu entschuldigen."

"Danke, dass du soviel Verständnis hast." Skye wagte nicht aufzusehen. "Es muss sehr unbequem für dich gewesen sein." "Unbequem?" Er lächelte unschuldig. "Möglicherweise, aber man könnte es auch anders ausdrücken."

Skye überwand sich und hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich, aber keiner sagte etwas. Als das Schweigen unerträglich wurde, stand Lorimer abrupt auf. "Ich gehe in mein Zimmer und ziehe mich an. Du solltest dasselbe tun, wenn du nicht das Frühstück verpassen willst."

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9. KAPITEL

Nachdem Skye geduscht und sich angezogen hatte, fühlte sie sich dem Tag einiger maßen gewachsen. Lorimer saß bereits beim Frühstück, als sie herunterkam. Er las den "Scotsman", sah aber auf und lächelte, als sie an den Tisch kam.

Plötzlich hatte sie das Gefühl, in ihrem ganzen Leben noch nie so glücklich gewesen zu sein. Die Sorge, ihre übertriebene nächtliche Angst und das peinliche Erwachen in Lorimers Armen könnten ihr Verhältnis belasten, war unbegründet. Beides wirkte eher entspannend und ließ sie freier miteinander umgehen. Lorimer beschwerte sich zwar während des Frühstücks, dass sie zuviel sprach und ihn nicht in Ruhe lesen ließ, aber er tat es nur mechanisch und legte die Zeitung schließlich ganz beiseite.

Nach dem Frühstück schlug Lorimer vor, Mrs. Brodie, die Wirtin, um ein Lunchpaket und eine Thermosflasche mit heißem Kaffee zu bitten, damit sie im Gutshaus picknicken könnten. Skye stimmte begeistert zu. Lorimer hätte allerdings vorschlagen können, was er wollte -heute morgen hätte sie zu allem ja gesagt.

Draußen war es klar und kalt. Das Meer glitzerte im Sonnenlicht, und Skye trat von einem Fuß auf den andern, während Lorimer das Auto aufschloss und ihr die Tür öffnete. Sie trug helle Leggins, einen buntgemusterten weiten Pullover und eine pinkfarbene Mütze, die kess auf ihren blonden Locken

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saß. Bunte tropische Fische zierten ihre Ohren und pendelten lebhaft hin und her.

Die Strasse verlief mehrere Meilen landeinwärts, ehe sie einen Bogen machte und zur Küste zurückführte. Rechts und links erstreckten sich Wiesen mit Ginsterbüschen und grauen Felsbrocken. Dahinter stieg das Gelände an und ging in heidebewachsene Hügel über. Schräg vor ihnen glitzerte die Solway-Bucht.

Skye plauderte unbeschwert darauf los. Die frische Luft belebte sie ebenso wie Lorimers nachsichtige Laune und ihre eigene Hochstimmung. Erst als sie von der Hauptstrasse abbogen, einen steilen Weg hinauffuhren und oben vor dem Gutshaus hielten, versank sie in ehrfürchtiges Schweigen. Das Haus schien aus den Felsen herauszuwachsen mit seinen festen weißen Mauern, der schwarzen Tür, den schwarzen Fensterläden und den gewölbten Dachfenstern, die an emporgezogene Augenbrauen erinnerten. Wegen der hohen, freien Lage hatte man den Blick nach Süden, wo England lag, und den Blick über die Bucht zu den nördlichen Hügeln, die sich am Horizont in bläulichem Dunst verloren. Der Garten war bisher nicht mehr als ein verwildertes Feld. An seinem äußersten Ende begann ein Weg, der steil zum Wasser hinunterführte und in einer Bucht mit schmalem Sandstreifen endete.

"Nun?" Lorimer stellte den Motor ab und sah Skye an. Ihr Schweigen schien ihn zu verunsichern, aber davon bemerkte sie nichts. "Es passt gar nicht zu dir, dass du nichts zu sagen weißt. Wie findest du das Haus?"

Skye holte tief Luft. "Es ist phantastisch", antwortete sie schwärmerisch und fügte spontan hinzu: "Als hätte es auf mich gewartet." Zu spät fiel ihr ein, wie missverständlich die Worte waren. Dies war nicht ihr Haus, würde es nie sein. "Ich meine nur. . ."

"Ich weiß, was du meinst", beruhigte Lorimer sie lächelnd. "Ich empfand dasselbe, als ich zum erstenmal hier herkam."

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"Es ist, als würde das Haus einen willkommen heißen", versuchte Skye ihre Worte nachträglich zu erklären. Um nichts in der Welt wollte sie den Eindruck erwecken, irge ndeinen Anspruch auf das Haus zu erheben. "Man spürt, dass man hineingehen kann und mit einem Kaminfeuer, Tee und Kuchen empfangen wird."

Lorimer lachte und stieg aus. "Heute bekommst du weder Tee noch Kuchen. Die Handwerker haben den ganzen Sommer über gearbeitet, um das Haus bewohnbar zu machen, aber es fehlt immer noch viel, ehe ich Teegesellschaften am Kamin geben kann."

Skye begriff, was Lorimer meinte, sobald sie das Haus betreten hatten. Es war entschieden größer, als man von außen erkennen konnte, hatte luftige, helle Räume und ein Gewirr schmaler Korridore. Überall lagen Heizungs- und Wasserrohre herum, es roch stark nach Farbe und frischem Beton. Soweit Skye erkennen konnte, waren alle Fußböden erneuert worden. Ihre Schritte hallten auf den frische n Brettern wider, während sie langsam von Zimmer zu Zimmer gingen.

Zum Essen setzen sie sich auf die Eingangsstufen, um sich von der schwachen Novembersonne wärmen zu lassen. Danach stiegen sie zum Strand hinunter und wanderten in kameradschaftlichem Schweigen am Ufer entlang. Sie kletterten über flechtenbewachsene Felsen, zwängten sich zwischen stachligen Ginsterbüschen durch und beobachteten die Möwen, die über ihnen dahinschossen und schrille Schreie ausstießen.

Das Unwetter der letzten Nacht hatte die Luft so gereinigt, dass sie meilenweit sehen konnten. Alles schien, zum Greifen nah zu sein. Vor kurzer Zeit hatte die Ebbe eingesetzt und gab die ersten Schlickbänke frei. Wenn zu hohe Felsbrocken den Weg versperrten, wichen sie auf das Watt aus, balancierten zwischen Tang und Pfützen hindurch und kehrten auf den festen Ufersand zurück.

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Manchmal bückte sich Skye nach einer zartrosa Korallenmuschel, um sie mitzunehmen. Lorimer suchte flache Steine und spielte damit, bis sie an eine offene Wasserfläche kamen, über die er sie springen lassen konnte. Er trug Jeans und einen dicken schwarzen Pullover, der seine blauen Augen heller strahlen ließ. Überhaupt wirkte er heiterer und gelöster, als Skye ihn jemals erlebt hatte.

Angeregt durch die Kälte, das klare Licht und Lorimers gute Laune, nahm Skye einen Anlauf und schlug mehrmals hintereinander ein Rad. Als sie sich atemlos aufrichtete, merkte sie, dass Lorimer sie lächelnd beobachtete. Der Wind spielte mit seinem dunklen Haar, seine Augen waren sehr blau und unergründlich tief.

Plötzlich wusste Skye, was sie bis zu diesem Augenblick vor sich selbst verborgen hatte. Sie liebte Lorimer. Sie liebte ihn so sehr, dass sie sich fassungslos fragte, warum sie es nicht früher gemerkt hatte.

Wie dumm sie gewesen war! Was sie früher Liebe genannt hatte, war nichts, gemessen an dem, was sie jetzt fühlte. Statt flüchtiger Anziehung empfand sie eine tiefe, fast schmerzliche Sehnsucht, ein Verlangen, für das es nur eine Befriedigung gab sie musste Lorimer gewinnen. Für immer.

Was hatte Vanessa vor einiger Zeit gesagt? "Glaub mir, wenn du den Richtigen triffst, wirst du dich zum erstenmal richtig verlieben." Nun, jetzt wusste sie, wer der richtige Mann für sie war, aber ein Problem gab es immer noch. Sie war nicht die richtige Frau für Lorimer.

Gewiss, er war an diesem Wochenende geduldiger und freundlicher als sonst gewesen, aber er liebte sie nicht und würde sie niemals lieben. Außerdem hatte er ihr klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass er nichts von der Ehe hielt. Ein naives, leichtlebiges Gemüt wie sie war kaum geeignet, ihn in diesem Punkt umzustimmen. Wenn er jemals heiraten sollte, würde er sich eine intelligente, zuverlässige Frau suchen, die ihn

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nicht ständig wütend machte oder bloßstellte. Eine Frau wie Moira Lindsay. Der Seidenschal im Handschuhfach fiel ihr ein, und es war, als griffe eine kalte Hand nach ihrem Herzen.

Während sie zurückgingen, war Skye still und in sich gekehrt. Manchmal sah Lorimer sie verwundert an, aber er respektierte ihren Stimmungswechsel und schwieg. Im Haus gab er vor, den Stand der Reparaturen genauer begutachten zu müssen, und überließ Skye sich selbst.

Niedergeschlagen wanderte sie umher und quälte sich mit Gedanken an die Zukunft. Es war ihr, als könnte sie schon jetzt alles deutlich voraussehen, das Haus gemütlich, aber nicht zu aufwendig eingerichtet, erfüllt von Kinderlachen und der liebenden Fürsorge einer Frau. Aber diese Frau würde nicht sie sein. Eine andere würde Lorimer zeigen, was Liebe bedeutete, und ihm beweisen, dass es in der Ehe wahres Glück gab.

Wohin sie auch ging, überall verfolgten Skye diese Zukunftsbilder. In der Küche, im Esszimmer, im Flur, überall spürte sie das kommende Familienleben, von dem sie ausgeschlossen war. Im Wohnzimmer stand sie lange vor dem Kamin, stellte sich ein knisterndes Feuer darin vor, hörte den Regen gegen die dicht verhangenen Fenster prasseln und sah Lorimer in einem bequemen Sessel sitzen, mit einem Hund zu Füssen, dessen Pfoten im Schlaf zuckten. Plötzlich sah Lorimer lächelnd auf, weil eine Frau hereinkam. Es war Skye selbst. Sie setzte sich vor ihm auf den weichen Teppich, lehnte den Kopf an sein Knie und fühlte, wie er ihr zärtlich durch das Haar strich.

Skye hörte Lorimer oben hin- und hergehen und schüttelte die quälenden Phantasien ab. Aber die Leere in ihr blieb. Wie würde das Leben ohne ihn aussehen? Sie konnte es sich nicht. mehr vorstellen.

Um sich auf andere Gedanken zu bringen, beschloss sie, zu Lorimer hinaufzugehen. Sie wollte mit ihm sprechen, sich über banale, alltägliche Dinge unterhalten, so tun, als hätte sich seit

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heute morgen nichts geändert. Doch als sie am Elternschlafzimmer vorbei

kam, zögerte sie. Wie von einem inneren Zwang getrieben, drückte sie die Klinke hinunter und öffnete die Tür.

Es war ein großer Raum mit Blick auf die Bucht und die fernen Hügel am jenseitigen Ufer. Die Einrichtung fehlte noch, nur ein paar Kupferrohre lagen herum, und an der Wand lehnten einige Bretter. Wie das Zimmer wohl mit einem breiten Doppelbett wirken würde? Skye überlegte, wo es am besten stehen würde, und sah sich mit Lorimer darin liegen. Sie brauchte nur die Arme nach ihm auszustrecken, brauchte nur die Augen zu schließen, um zu spüren, wie seine Hände liebkosend über ihren Körper glitten.

Das Bild war so lebhaft, dass Skye krampfhaft die Augen schloss, um es zu verscheuchen. Nie hätte sie geglaubt, dass Liebe so weh tun könnte. Verstört bemerkte sie, dass ihre Augen feucht waren und Tränen über ihre Wangen liefen. Und gerade jetzt hörte sie Lorimer auf dem Flur näher kommen. Er blieb vor der angelehnten Tür stehen und kam herein. Hastig drehte Skye sich um und wischte mit dem Handrücken die Tränen ab.

"Was ist los?" fragte Lorimer scharf. "Ach, nichts." Er durchquerte das Zimmer und fasste Skye an den Schultern.

"Was soll das heißen ... nichts? Du hast geweint." "Nein", log sie. "Ich habe nur nachgedacht." "Worüber?" Wie hätte sie ihm die Wahrheit gestehen können? Skye sah

sein entsetztes Gesicht deutlich vor sich. Wahrscheinlich würde er ihr erklären, warum sie nie glücklich werden könnten. Sie brauchte das alles nicht zu erleben. Sie wusste es bereits.

"Ich dachte nur daran, dass es im Leben selten so kommt, wie man es erhofft", sagte sie schließlich ungeschickt und erschrak über die Veränderung, die auf Lorimers Gesicht vorging.

"Mit anderen Worten, du hast wegen Charles Ferrars geweint." Er ließ sie los und trat einen Schritt zurück. "Ich vergesse immer wieder, dass du seinetwegen hier bist. Was ist

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los? Widersteht er deinen Nachstellungen immer noch? Du solltest dir wirklich mehr einfallen lassen."

Skye sah Lorimer unglücklich an. Seine Heftigkeit verletzte sie, aber was hätte es genützt, ihm zu gestehen, dass sie seit Wochen nicht an Charles gedacht ha tte? Vielleicht war es besser so. Sollte er denken, dass sie noch in Charles verliebt sei. Dann argwöhnte er wenigstens nicht, dass er selbst sie bis in ihre Träume verfolgte.

"Danke für den Tipp", sagte sie mechanisch. Sie starrten sich an, beide gleich hilflos gegen die

Feindschaft, die plötzlich wieder zwischen ihnen stand. Einen Augenblick sah es so aus, als wollte Lorimer auf Skye zugehen, aber er überlegte es sich anders und wandte sich ab.

"Wir müssen zurückfahren." Skye folgte ihm schweigend zum Auto. Die Wintersonne

stand groß und leuchtend über den Hügeln im Westen und tauchte Pfützen und Wassergräben in ihr goldenes Licht. Der Wind hatte sich gelegt. Es war so still, als hielte die Natur in der Erwartung des Sonnenuntergangs den Atem an. Die Temperatur war stark gefallen. Während Skye neben dem Auto wartete, bildete ihr Atem weiße Wolken in der kalten Luft. Plötzlich fror sie so sehr, dass sie zu zittern begann. Vom Wasser her roch es nach Schlick und Ginster.

Skye wäre am liebsten niemals von hier weggefahren, aber Lorimer war bereits eingestiegen und öffnete ihr von innen die Tür. Nach einem letzten sehnsüchtigen Blick stieg sie ein. Es hatte keinen, Sinn, von einer Zukunft in diesem Haus zu träumen. Die Zeit der Träume war vorbei.

Das Jahresfest des Golfklubs wurde zu einem der längsten und qualvollsten Abende in Skyes Leben, aber sie lächelte so unbeschwert und unterhielt sich so heiter, dass niemand etwas merkte. Ihr Kleid jadegrün, schulterfrei und mit weitschwingendem Rock - war für die kleine Landgemeinde viel zu schick, aber das kümmerte sie nicht. Lorimer hielt sie

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ohnehin für unmöglich, und jetzt kam es schon gar nicht mehr darauf an.

Lorimer selbst war den ganzen Abend über in einer seltsamen Stimmung. Skye hatte den Eindruck, dass er eine tiefe innere Erregung verbarg, aber sie lächelte nur noch mehr, wenn sie bemerkte, dass er die Zähne zusammenbiss oder den Blick senkte, um sich nicht zu verraten.

Während des Dinners ließ Skye ihren ganzen Charme spielen, obwohl ihr weder der fade Rinderbraten noch das zu weich gekochte Gemüse schmeckten. Lorimer kümmerte sich nicht um sie. Für ihn hätte sie sich genauso gut in Luft auflösen können, und sie war dankbar, als die Buchanans es übernahmen, sie herumzuführen und den andern Gästen vorzustellen.

Nach dem Essen wurden die Preise vergeben, die einzelne Klubmitglieder im Lauf des Jahres gewonnen hatten. Der Redner fasste sich jedes Mal dankenswert kurz, und Skye applaudierte pflichtschuldig. Nur als Duncan McPherson seinen Mastercup entgegennahm, klatschte sie mit echter Begeisterung. Nachdem alle Preise verteilt waren, wurden die Tische weggeräumt, um Platz zum Tanzen zu schaffen.

Akkordeon und Geige eröffneten das musikalische Programm, aber nicht Lorimer kam, um Skye aufzufordern, sondern Duncan. Nach den ersten Schritten bemerkte sie, dass Lorimer Isobel Buchanan als Partnerin wählte. Zu ihr selbst hatte er nicht einmal hingesehen.

Skye tat alles, um sich nicht anmerken zu lassen, wie gekränkt sie über Lorimers Verhalten war. Sie lachte krampfhaft und wirbelte so wild über das Parkett, als könnte sie ihre Lust kaum zügeln. Je hartnäckiger Lorimer sie ignorierte, um so ausgelassener gebärdete sie sich. Sie ließ keinen Tanz aus, bis sie beim "Dashing White Sergeant", bei dem die Partner wechselten, plötzlich vor Lorimer stand. Skye war sicher, dass er sie am liebsten stehen gelassen hätte, aber da alle anderen

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Paare weitertanzten, musste er wohl oder übel ihre Hände nehmen und die vorgeschriebene Drehung mit ihr machen.

"Hör um Himmels willen auf, so herumzuhampeln", zischte er ihr dabei zu. "Es braucht nicht jeder zu merken, dass du von schottischen Tänzen keine Ahnung hast."

Skye fühlte seine Berührung wie Feuer, aber sie lachte nur, streckte ihm die Zunge heraus und wirbelte mit ihrem nächsten Partner davon. Lorimers Worte hatten sie so gereizt, dass sie sich jetzt noch mehr bemühte, ihm zu zeigen, wie blendend sie sich amüsierte. Leider schien er es nicht zu bemerken. Er widmete sich ganz seinen Partnerinnen, darunter einem besonders hübschen Mädchen, das Skye an Moira erinnerte und ihr auf Anhieb unsympathisch war. Warum musste Lorimer gerade mit ihr tanzen? Warum forderte er jede Frau im Saal auf, nur nicht sie selbst?

Als die Band zum Ausklang des Abends zu langsameren Rhythmen überging, hatte sic h Skye gehörig müde getanzt.

"Sie sehen aus, als hätten Sie sich gut amüsiert", meinte Isobel anerkennend. "Es gefällt mir, wenn junge Leute vergnügt sind. Sie haben heute Abend bestimmt viele Herzen gewonnen."

Nur nicht das eine, das ich gewinnen wollte, dachte Skye niedergeschlagen. Laut sagte sie: "Alle waren so nett zu mir." Dabei lächelte sie und mied es, zu Lorimer hinzusehen, der sich mit Angus unterhielt.

Skye hätte sich gern länger ausgeruht, aber die Musik begann aufs neue, und Angus trat auf seine Frau zu. "Unser Tanz, Darling", sagte, er und verbeugte sich ritterlich.

"Wie reizend!" Isobel strahlte und wandte sich an Lorimer. "Das ist Ihre Chance, doch noch mit Skye zu tanzen. Ich habe Sie den Abend über beobachtet. Sie haben Skye nicht aus den Augen gelassen, aber alle andern waren schneller als Sie."

Angus entführte Isobel auf die Tanzfläche, und Skye und Lorimer blieben allein zurück. Skye sehnte sich verzweifelt nach

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diesem Tanz mit ihm, aber er mied ihren Blick und bewies damit deutlich, dass er nichtsweniger wünschte.

"Kommst du?" fragte er endlich gezwungen. "Meinetwegen." Skye verzog keine Miene. Es war zu

kränkend, dass Lorimer sich erst von Isobel dazu drängen ließ, sie aufzufordern.

"Das klingt nicht sehr begeistert", stellte er fest, während sie zur Tanzfläche gingen.

"Es war ja auch keine begeisterte Aufforderung." "Was hast du denn erwartet ? "fragte Lorimer gereizt. "Den

ganzen Abend stellst du dich zur Schau! Glaubst du, ich falle auf dein falsches Lächeln herein wie deine andern armen Opfer? Statt mit mir würdest du doch viel lieber mit Charles Ferrars tanzen!"

Er zögerte, ehe er fast widerwillig ihre eine Hand nahm und sie mit dem freien Arm locker umfasste. Sie bewegten sich steif und ungeschickt, nur darauf bedacht, einander nicht zu berühren. Doch das Licht war schummerig und die Tanzfläche überfüllt. Früher oder später mussten sie dichter zusammenkommen.

Skye hielt den Blick starr auf Lorimers Krawatte gerichtet. Das Verlangen, sich an ihn zu schmiegen, quälte sie mit jedem Augenblick mehr, und sie hörte eine leise Stimme in sich, die sagte, dass er sie vielleicht nie wieder in seinen Armen halten würde. War es da nicht verzeihlich, wenn sie sich etwas mehr zu ihm hinüberbeugte?

Langsam, fast unmerklich gab sie der Versuchung nach. Der Abstand zwischen ihr und Lorimer verringerte sich immer mehr, bis sie leise aufseufzend die Wange an seine Brust legte. Entgegen ihrer heimlichen Erwartung, stieß Lorimer sie nicht zurück. Er hielt sie sogar fester als bisher und drückte sein Gesicht schließlich in ihr weiches, schimmerndes Haar.

Wachsende Erregung erfasste Skye. Sie wünschte, der Augenblick würde nie vorübergehen, und sehnte sich gleichzeitig nach intimeren Zärtlichkeiten. Sie wollte Lorimers

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Lippen spüren, wollte, dass er sie in ihr Zimmer hinaufbrachte, um sie zu lieben und ihr heißes Verlangen zu stillen.

Beides wurde ihr nicht gewährt. Der Tanz ging rasch zu Ende und zum Abschluss des Abends stimmten alle in das Lied "Auld Lang Syne" ein. Skye war plötzlich wieder allein. Sie verstand nicht, warum die Menschen um sie herum lächelten und warum alle ihre Hände drückten. Von einem Augenblick zum andern fühlte sie sich fremd in diesem Kreis.

Draußen verabschiedete sich Lorimer so gelassen von Angus und Isobel, als wäre es ein ganz normaler Abend gewesen. Skye lächelte ebenfalls, aber ihr Herz war nicht dabei. Sie sehnte sich nur nach Lorimer, und erst die kalte Nachtluft brachte sie soweit zu sich, dass sie wieder normal reagieren konnte.

"Ich werde zu Bett gehen", sagte sie, als sie dem Auto der Buchanans nach sahen.

Lorimer begleitete sie schweigend. Während sie die Treppe hinaufstiegen, hörten sie, wie sich die letzten Gäste verabschiedeten und die Musiker lachend, ihre Instrumente einpackten. Erst oben im Flur wurde es still. Skye umklammerte ihren Zimmerschlüssel wie einen Talisman, der sie vor sich selbst schützen sollte. Sie wünschte, Lorimer würde sie berühren, und fürchtete zugleich, sich zu verraten, falls er es wirklich täte.

"Du hast heute Abend eine phantastische Show abgezogen, Skye", sagte er verächtlich, als sie vor ihrer Tür standen.. "Du verstehst es, die Männer verrückt zu machen, oder ist vielleicht alles nur Routine?"

"Ich weiß nicht, wovon du sprichst." "Wirklich nicht? Das hauchdünne Nachthemd, die

flehentlichen Bitten, bei dir zubleiben, und eben jetzt das willenlose Zerfließen in meinen Armen ... Und doch hast du es nur auf einen einzigen Mann abgesehen! Zum Glück weiß ich, dass dieser Mann Charles Ferrars heißt, sonst könnte ich noch auf falsche Gedanken kommen. Zu schade, dass Charles gestern

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nicht hier war, um deine hilflose Nummer mitzuerleben. Welche Verschwendung, neben mir einschlafen zu müssen, wo es Charles hätte sein können!"

"Jeder wäre mir recht gewesen", antwortete Skye kalt. Lorimers beißender Spott hatte alles Verlangen in ihr ausgelöscht. Sie wollte ihm jetzt nur noch wehtun, wie er ihr weh getan hatte. "Du kamst nur gelegen."

Lorimer kniff die Augen zusammen. "Also gelegen kam ich? Um deine billigen Verführungskünste an mir auszuprobieren?" Er zog Skye heftig an sich. "Vielleicht sollten wir die Probe fortsetzen."

Er presste seine Lippen auf ihren Mund und versuchte, sie zu küssen. Skye wehrte sich, so gutes ging. Sie stemmte beide Hände gegen seine Brust, aber er zog sie nur fester an sich, und plötzlich änderte sich der Kuss. Aller Hass, alle Enttäuschung und alle Bitterkeit waren daraus verschwunden und einer süßen Hingabe gewichen, die sie beide nicht verstanden und der sie doch folgen mussten.

Skye legte Lorimer die Arme um den Nacken und drängte sich in wachsender Verzückung an ihn. Sein Kuss überwältigte sie. Sie empfand nur noch das Glück seiner Berührung und die Verheißung seiner Zärtlichkeit.

Als er sie unvermutet los ließ, unterdrückte sie einen Laut der Enttäuschung. "Nun?" fragte er leise an ihrem Ohr. "Wie fühlt man sich, wenn man benutzt wird?"

Es dauerte eine Weile, bis Skye den Sinn seiner Worte begriff. Ein eiskalter Schauder überlief sie. Sie wollte Lorimer zurück stoßen, aber er hielt sie unerbittlich fest. Die Hände, die sie eben noch gestreichelt hatten, kamen ihr plötzlich grausam vor.

"Das war nicht fair", flüsterte sie. "Es ist niemals fair, andere zu benutzen", antwortete er hart.

"Aber jetzt weißt du wenigstens, wie man sich danach fühlt."

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"Ich habe dich nicht benutzt!" Es gelang Skye endlich, sich von Lorimer loszumachen.

"Nein?" lachte er höhnisch. "Dabei hast du aus deinen Gefühlen für Charles nicht mal ein Geheimnis gemacht. Ich bewunderte anfangs deine Ehrlichkeit - bis ich merkte, dass ich als Ersatz herhalten musste."

"Du? Ein Ersatz für Charles?" Wie konnte Lorimer sie erst so küssen und dann so abgrundtief erniedrigen? "Dass ich nicht lache! Dazu bist du in hundert Jahren nicht imstande!"

"Wirklich nicht?" Lorimer war jetzt genauso wütend wie sie. "Wie küsst Charles dich denn? Etwa so?" Erzog Skye wieder an sich und küsste sie, bis sie atemlos in seinen Armen lag. "Oder so?" Diesmal war er sanft und so zärtlich, als liebte er sie, als wäre sie das Kostbarste, das es auf der Welt für ihn gab. Auch dagegen war Skye machtlos. Sie schmiegte sich an ihn und überließ sich dem Glück, das sie in diesem Augenblick ganz gefangen nahm.

Als Lorimer sie zum zweitenmal losließ, hätte sie beinahe vor Schmerz geschrieen. Sie starrte ihn an und empfand nur noch bittere Scham. Er wusste, dass sie seinen Kuss diesmal ernst genommen und sich darum ganz hingegeben hatte. Ihre Demütigung war vollkommen. Sie besaß keine Waffe mehr, um ihm zu begegnen.

Lorimers Gesichtszüge waren wieder so verschlossen wie vorher. "Vielleicht hast du recht", sagte er nach einer langen Pause. "Jemanden, den man liebt, küsst man anders."

Skye zuckte zusammen. Also hätte er die ganze Zeit an Moira gedacht und sie mit ihr verglichen! Seine harten Worte zerrissen ihr das Herz, aber das wollte er ja. Er wollte sich rächen und sie für das bestrafen, was sie angeblich getan hatte.

Skye bückte sich nach dem Schlüssel, der ihr aus der Hand gefallen war. "Ja", antwortete sie und wunderte sich, dass die Tränen noch nicht kamen. "Liebe ist etwas anderes."

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10. KAPITEL

Vanessa öffnete Skye die Tür, sah sie kurz an und war klug genug zu schweigen. Skye dankte ihr im stillen dafür. Selbst wenn sie gewollt hätte, sie konnte jetzt nicht über Lorimer sprechen.

Sie saß den ganzen Sonntag Nachmittag vor dem Fernseher und starrte auf die Mattscheibe, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Da Nichtstun jedoch kein gutes Mittel gegen trübe Gedanken war, ließ sie sich von Vanessa überreden, abends mit Freunden in einen Pub zu gehen. Irgendwann musste sie doch ein neues Leben anfangen, da konnte sie es genauso gut gleich tun.

Am Montag begegneten sich Skye und Lorimer mit erlesener Höflichkeit. Das Wochenende wurde mit keinem Wort erwähnt, als hätte es niemals stattgefunden. Skye setzte sich an ihren PC, zog die Tastatur heran und begann die Briefe zu schreiben, die Lorimer ihr hingelegt hatte. Es waren Dutzende: Er musste die halbe Nacht damit zugebracht haben, sie mit Arbeit zu versorgen.

Skye war gerade bei einem Brief an den Anwalt, in dem es um Duncan McPhersons Land ging, als Moira Lindsay hereinkam. Sie trug ein schickes graues Kostüm mit einem Erikafarbenen Seidenschal, der nicht besser passen konnte. Skye erkannte ihn sofort, es war der Schal aus dem Handschuhfach.

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Lorimer hatte gestern also doch noch Gelegenheit gehabt, Moira zutreffen und ihr sein Geschenk zu überreichen.

Moiras Gesicht wirkte belebter als damals auf der Party, als wäre sie besonders glücklich. Ich wäre auch glücklich, dachte Skye, wenn mir jemand ein solches Geschenk gemacht hätte, das bestimmt etwas Besonderes bedeutet.

"Guten Tag, Skye", sagte Moira so fröhlich, dass es Skye fast wie Hohn vorkam. "Ich habe Lorimer versprochen, heute morgen vorbeizukommen. Hat er Zeit für mich?"

"Für dich habe ich immer Zeit, Moira, das weißt du doch." Lorimer war aus seinem Zimmer gekommen und begrüßte Moira so herzlich, dass Skye es kaum ertragen konnte. "Komm herein. Würdest du uns Kaffee bringen, Skye?"

"Gern." Skye war stolz, wie ruhig ihre Stimme klang. Sie stand auf

und nahm das Tablett, das sie jetzt immer benutzte, um den Kaffee von der Küche heraufzutragen. Ehe sie hinausging, hörte sie, wie Lorimer sagte: "Wichtig ist nur, was sich in Zukunft für uns ändert."

Moira lachte und antwortete: "Oh, so viel muss sich gar nicht ändern. Ich möchte nach wie vor für dich arbeiten ... solange wir kein Baby bekommen."

Skye ging in die Küche hinunter, brühte frischen Kaffee auf und goss ihn in zwei Tassen. Was sie eben gehört hatte, ließ nur eine Schlussfolgerung zu: Lorimer wollte Moira heiraten - nach allem, was er Skye noch am Wochenende über seine negative Einstellung zur Ehe gesagt hatte! Moira war die Frau, für die er das Gutshaus am Solway Firth renovieren ließ, um dort mit ihr zu wohnen.

Skye musste ihre ganze Willenskraft zusammennehmen. Sie war so verletzlich geworden, dass ein Hauch genügte, um sie zu vernichten. Wie eine Schlafwandlerin stieg sie mit dem Tablett die Treppe hinauf und trug es in Lorimers Büro, wo er und Moira wie alte Freunde saßen und sich unterhielten. Sie stellte

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die eine Tasse vor Moira, die andere vor Lorimer hin und ging wieder hinaus. Keiner von beiden schien sie bemerkt zu haben.

Skye setzte sich wieder an ihren Schreibtisch und betrachtete ihre zitternden Hände. Wenn Lorimer sie so sah, würde er ihre Komödie leicht durchschauen. Sie musste ihn davon überzeugen, dass ihr seine Küsse, die Nacht in seinen Armen, der romantische Spaziergang am Strand ... dass ihr das alles genauso wenig bedeutete wie ihm.

Das Telefon klingelte so plötzlich, dass Skye zusammenschrak. Sie musste mehrmals tief durchatmen, bis sie so ruhig geworden war, dass sie den Hörer abnehmen konnte.

Es war Charles. Kühl und weltgewandt wie immer, lud er sie für den nächsten Abend zum Dinner ein. Charles war der letzte, dem Skye jetzt begegnen wollte. Sie war schon im Begriff, unter einem Vorwand abzusagen, als sie von nebenan lautes Lachen hörte.

"Danke, Charles", sagte sie. Gab es ein besseres Mittel, Lorimer von ihrer Gleichgültigkeit zu überzeugen, als mit Charles auszugehen? "Morgen Abend passt mir gut."

Lorimer reagierte überrascht, als Charles am nächsten Nachmittag ins Büro kam, um Skye abzuholen.

" Gehst du aus?" fragte er, obwohl es ihn nicht das geringste anging.

"Es ist bereits nach halb sechs", antwortete sie gelassen. Sie hatte Charles übertrieben begrüßt, weil Lorimer dabei war und es beobachten konnte. "Bis morgen Lorimer."

Charles gab sich betont Mühe, nett zu sein. Er führte Skye in ein teures Restaurant und überhäufte sie mit Komplimenten, die sie absolut kalt ließen. Sie verstand gar nicht, warum er sich plötzlich so um sie bemühte. Auf Flemings Party hatte er kaum verbergen können, wie abstoßend er ihre vom Wein geförderte Ausgelassenheit fand, und jetzt drängte er ihr ein Glas nach dem andern auf und flüsterte ihr Albernheiten ins Ohr.

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"Ich hoffe, wir sehen uns regelmäßig, wenn wir erst wieder in London sind", sagte er und füllte ihr Glas nach.

"Du verlässt Edinburgh?" Die Aussicht, nach London zurückzukehren und Lorimer niemals wiederzusehen, erschreckte Skye. "Sobald ich kann." Charles beugte sich vertraulich vor. "Ich wäre vielleicht schon fort, wenn ich nicht sicher sein müsste, dass mein guter Ruf mir vorauseilt. Ich muss noch ein wirklich gutes Geschäft abschließen, damit sich mir zu Hause auch die richtigen Türen öffnen."

"Dann bleibst du nicht bei Fleming?" Charles zuckte die Schultern. "Fleming meint es gut, aber er

hat keine Courage. Er ist zu alt für diese Geschäfte. Darum hat er mich ja nach Edinburgh geholt. Ich sollte den Leuten zeigen, wie man seine Konkurrenten ausbootet."

Lorimer hatte Charles einen eiskalten Fisch genannt, und Skye begriff jetzt, wie recht er damit hatte. Wie war es möglich, dass sie gerade Charles Skrupellosigkeit einmal bewundert hatte?

Charles beugte sich noch näher und nahm Skyes Hand. "Du hast dich verändert, Darling. Du bist ruhiger geworden. Das gefällt mir."

Skye entzog ihm ihre Hand, sie konnte nur Lorimers Berührung ertragen. "Ich bin etwas müde. Mein Wochenende war ziemlich turbulent."

Charles nickte. "Ich wollte dich am Sonnabend sprechen, aber deine Freundin sagte, du seist mit Lorimer unterwegs. Was hattet ihr vor?"

"Wir sind nach Galloway gefahren, um das Gelände für den neuen Golfplatz und das neue Hotel zu besichtigen. Du musst davon gehört haben. ,Carmichael & Co.’ finanzieren das Projekt."

Charles nickte. "Ich habe persönlich nicht viel damit zu tun gehabt - jedenfalls nicht mehr, seit Lorimer mich praktisch ausgeschaltet hat. Er versteht etwas von Golf, nur mit Galloway

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irrt er sich. Ich habe ihm das gesagt und lohnendere Projekte vorgeschlagen, aber davon wollte er nichts wissen." Charles lächelte, und Skye war überzeugt, sich den lauernden Ausdruck in seinen Augen nur eingebildet zu haben. "Nun, das ist seine Sache. Wenn ihm dieses Haus in . . . in . . . Wie hieß doch das Dorf?"

"Glendorie." "Ja, richtig. Ich nehme an, alles verläuft planmäßig?" Skye nickte. Sie war froh, dass Charles bei dem sachlichen

Thema blieb. "Wir bekommen sogar das angrenzende Land, das Lorimer unbedingt für den Golfplatz haben wollte. Das war das größte Problem. Die Buchanans in Glendorie machten keine Schwierigkeiten. Sie möchten unbedingt verkaufen, um zu ihren Kindern nach Australien zu ziehen."

"Ich verstehe." Charles sah nachdenklich vor sich hin und wechselte dann das Thema.

Skye atmete auf, als das Dinner vorüber war. Charles hatte im Lauf des Abends immer eindeutigere Anspielungen gemacht, und sie sehnte sich danach, allein zu sein. Sie wollte sich ein Taxi nehmen, aber Charles bestand darauf, sie nach Hause zu bringen und sie musste schließlich nachgeben, um ihn überhaupt loszuwerden.

Schon im Auto wünschte Skye, sie hätte das Angebot abgelehnt. Charles legte ihr ständig die Hand auf das Knie, und als sie vor dem Haus hielten, wurde er noch deutlicher.

"Hab dich doch nicht so", schimpfte er, als sie sich gege n seine derben Annäherungsversuche wehrte. "Du brauchst nicht mehr Theater zu spielen. Glaubst du, ich weiß nicht, dass du mir nach Edinburgh gefolgt bist?"

"Seitdem hat sich manches verändert." "Du hast dich verändert, Skye, zu deinem Vorteil." Charles

verlegte sich wieder aufs Schmeicheln. "Und du verdienst eine Belohnung dafür, dass du den weiten Weg von London hierher

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gekommen bist." Er zog sie gewaltsam an sich und küsste sie ungeschickt.

Skye war ehrlich genug, zuzugeben, - dass sie Charles provoziert hatte, aber dann meldete sich ihr gerechter Zorn und gab ihr die Kraft, sich freizumachen. Sie stolperte aus dem Auto, schlug die Tür hinter sich zu und lief auf die andere Straßenseite, wo sie wie angewurzelt stehen blieb.

Lorimer erwartete sie, mit höhnisch triumphierendem Gesicht. "Was ist los?" fragte er. "Ist Charles nicht höflich genug, dich die dunklen Treppen hinaufzubegleiten, oder zieht diese Masche nicht bei ihm?"

"Was tust du hier?" fragte Skye nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte.

"Ich habe in der Nähe mein Auto abgestellt. Ich war bei Freunden zu Besuch, und als ich zurückkam, bemerkte ich die leidenschaftliche Szene in Charles Wagen. Du scheinst endlich mit ihm voranzukommen."

"Das macht der gute Unterricht, den du mir in Kielven gegeben hast", antwortete Skye, außer sich vor Wut. Wie konnte Lorimer so blind sein? Aber sie war ja selbst schuld. Er glaubte nur, was sie ihm absichtlich weisgemacht hatte.

Um Lorimers Lippen zuckte es. "Es freut mich, dass ich wenigstens zu etwas nutze war", sagte er bitter, drehte sich um und verschwand in der Nacht..

Während der Woche fragte Skye sich mehrmals, ob es sinnvoll war, sich dieser täglichen Selbstquälerei auszusetzen. Lorimer sprach nur mit ihr, wenn es unbedingt nötig war, und ein schneller Abschied wäre wahrscheinlich für sie beide eine Erlösung gewesen. Aber Skye konnte sich nicht entschließen, Lorimer zu verlassen. Sie liebte ihn immer noch, und der Wunsch, von ihm in die Arme genommen zu werden, ließ sich nicht auslöschen.

Am Freitag teilte Lorimer ihr mit, Angus Buchanan habe angerufen und sie beide für Montag zum Lunch eingeladen. "Es

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gibt da ein kleines Problem, über das er sprechen möchte, nichts Wichtiges. Ich habe gesagt, du müsstest nicht unbedingt dabei sein, aber er bestand darauf, dass wir zusammen kämmen. Richte dich also für Montag darauf ein."

Angus und Isobel warteten bereits ungeduldig, aber das ursprüngliche Problem war durch ein neues, ungleich wichtigeres verdrängt worden.

"Am Sonnabend hatten wir Besuch", erzählte Angus, "von einem gewissen Charles Ferrars. Er behauptete, er vertrete Ihre Investoren und müsse uns mitteilen, dass das Galloway-Projekt nicht länger unterstützt werde. Einen Grund nannte er nicht, aber er sagte uns verbindlich zu, dass wir nichts zu befürchten hätten, da die Investoren unser Haus direkt übernehmen würden. Er bot uns eine Summe an, die beträchtlich über der von uns vereinbarten liegt, Lorimer. Was geht hier vor?"

"Und er wusste alles über unsere persönlichen Verhältnisse", ergänzte Isobel. "Er sagte, wir brauchten unsere Umzugspläne nicht aufzugeben, und wünschte uns alles Gute für Australien. Verstehen Sie das?"

"O ja", antwortete Lorimer grimmig, "und ich bin Ihnen dankbar, dass Sie mich gleich informiert haben." Er stand auf. "Ich möchte lieber nicht zum Lunch bleiben, Isobel. Je eher ich wieder in Edinburgh bin, um so besser."

"Dann kennen Sie diesen Charles Ferrars?" fragte Angus erleichtert.

"Und ob." Lorimer schob Skye ungeduldig zur Tür. "Ich kenne ihn - und Skye kennt ihn auch."

Sobald sie wieder im Auto saßen, fragte er drohend: "Nun? Welchen Plan haben Charles und du ausgeheckt?"

"Ich habe keine Ahnung." Skye war den Tränen nahe. "Spiel gefälligst nicht die Unschuldige! War das alles von

Anfang an abgemacht, oder hast du geplaudert, um dir seine Gunst zu erwerben?"

"Nein!"

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"Woher wusste er dann über die Buchanans Bescheid? Ich habe Fleming nichts von ihren persönlichen Verhältnissen erzählt." Skye erinnerte sich schuldbewusst an das gemeinsame Dinner mit Charles. "Ich habe ihm nur gesagt, alles verlaufe planmäßig und die Buchanans freuten sich darauf, endlich zu ihren Kindern zukommen. Wie sollte ich ahnen, was er mit dieser Information anfangen würde?"

"Du wärest vielleicht darauf gekommen, wenn du rechtzeitig nachgedacht hättest, aber darüber bist du ja erhaben." Lorimer bezwang sich mühsam. "Du dachtest nur an den Kuss, den dir dieser Vertrauensbruch einbringen würde!"

"Nein!" beteuerte Skye verzweifelt. "Du verstehst alles falsch." "Vielleicht wolltest du mir das Projekt nicht bewusst verderben", räumte Lorimer verächtlich ein, "aber am Ende hast du es doch getan. Es ist immer dasselbe mit dir, Skye. Du bist unfähig, an andere zu denken. Was nicht in deine alberne, egoistische Kinderwelt passt, existiert nicht für dich."

Skye wandte sich schweigend ab. Sie kannte Lorimer und wusste dass jetzt nicht mit ihm zu sprechen war. Er wollte sie für schuldig halten, jedes Wort dagegen war überflüssig.

Bis Edinburgh schwiegen sie beharrlich. Vor Skyes Haus hielt Lorimer an und sagte eisig, "Steig aus. Du hast mir von Anfang an mir Schwierigkeiten gemacht. Ich will nie wieder etwas mit dir zu tun haben." Skye stieg schweigend aus und drückte die Tür leise ins Schloss. Sie sah Lorimer davonfahren, fort aus ihrem Leben, für immer. Der Schmerz, den sie bisher tapfer unterdrückt hatte, schlug plötzlich wie eine Woge über ihr zusammen. Sie sank in die Knie und fing verzweifelt an zu schluchzen.

Vanessas Prophezeiung, Lorimer werde Skye vergeben, sobald er sich beruhigt habe, erfüllte sich nicht. Dienstag Abend erschien Sheila in der Wohnung, um Skyes persönliche Dinge abzuliefern: ihre Kosmetiktasche, einen Pullover und zwei Grünpflanzen.

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"Was ist bloß passiert?" fragte sie bekümmert. "Lorimer war den ganzen Tag in fürchterlicher Laune. Er sprach mit niemandem und schrie mich wütend an, als ic h nach Ihnen fragte. Ach, Skye, wie trübe wird es jetzt wieder im Büro werden!"

Skye fiel Sheila um den Hals. "Versprechen Sie mir, mich zu besuchen, wenn Sie nach London kommen?" fragte sie unter Tränen. "Und grüßen Sie alle von mir."

Sheila versprach es und machte sich schweren Herzens auf den Heimweg.

Am nächsten Morgen entschloss sich Skye, Fleming anzurufen und ihn um eine Unterredung zu bitten.

"Was ist los?" fragte Fleming besorgt, als Skye sich hingesetzt hatte. "Ich habe dich noch nie so verstört erlebt."

Skye hörte ihn kaum. "Ich weiß, dass du Lorimers Projekt nicht mehr finanzieren willst", sagte sie ohne Umschweife. "aber könntest du es dir, bitte, nicht noch einmal überlegen? Galloway bedeutet ihm alles, und auch andere werden enttäuscht sein, wenn nichts daraus wird. Die Buchanans, Duncan McPherson, alle, die später, an dem Hotel verdienen würden..."

"Zunächst folgendes", unterbrach Fleming sie ruhig. "Ich habe mein Finanzierungsangebot nicht zurückgezogen. Charles hat zwar versucht, mich dazu zu bewegen, aber ich merkte schnell, dass er dabei nicht an die Interessen meiner Firma dachte, sondern sich aus irgendeinem Grund an Lorimer rächen wollte. Ich habe ihm auf den Kopf zu gesagt, dass ich von solchen Methoden wenig hielte und in Zukunft auf seine Mitarbeit verzichten würde. Als Lorimer Montag Nachmittag empört anrief, habe ich ihn darüber informiert. Es dauerte eine Weile, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er mich verstand, aber am Ende waren wir wieder gute Freunde."

"Lorimer weiß Bescheid?" Skye ließ sich zurücksinken und schickte ein stummes Dankgebet zum Himmel. "Dann hätte ich ja gar nicht kommen müssen."

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Fleming sah sie neugierig an. "Und warum bist du gekommen?" Skye wollte antworten, aber plötzlich konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Fleming wartete geduldig, bis sie sich ausgeweint hatte, und ließ sich dann die ganze verfahrene Geschichte erzählen.

"Hast du Lorimer gesagt, dass du ihn liebst?" fragte er, nachdem Skye alles gebeichtet hatte.

"Wie konnte ich das?" fragte sie. "Er liebt doch Moira." "Moira?" Fleming runzelte die Stirn. "Bist du sicher?" Skye nickte.

"Trotzdem würde ich Lorimer sagen, was du für ihn empfindest", riet Fleming. "Oder soll ich es für dich tun?"

"Um Himmels willen!" Skye sprang auf. "Du musst mir versprechen, dass du ihm kein Wort sagst."

Fleming seufzte. "Meinetwegen, wenn du darauf bestehst. Aber ich fürchte, du machst einen großen Fehler."

Skye fuhr von Fleming direkt zur Waverley Station, um ihre Fahrkarte nach London zu kaufen. Danach wanderte sie ziellos umher. Der Gedanke, in die Wohnung zurückzukehren und zu packen, war ihr unerträglich.

Es hatte in der Nacht geschneit. Ein dünner weißer Schleier bedeckte Dächer und Gärten, und die Menschen, die Skye in dicken Mänteln entgegenkamen und die Köpfe gegen die vereinzelt treibenden Schneeflocken gesenkt hielten, erinnerten sie an schwarze Figuren aus einem Zeichentrickfilm.

Als sie endlich zu ihrer Wohnung zurückkehrte, war sie völlig durchgefroren. Die Flocken, die sich ihr auf Haar und Wimpern gesetzt hatten, schmolzen, während sie langsam die vier Treppen hinaufstieg. Zum letzten Mal, dachte sie, und das machte sie so traurig, dass ihr Tränen über die Wangen liefen und sich mit den schmelzenden Schneeflocken mischten.

Früher habe ich kaum geweint, dachte sie niedergeschlagen, während sie den Wohnungsschlüssel aus ihrer Tasche nahm. Und jetzt? Jetzt kann ich kaum noch aufhören.

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Ihre Finger waren so erstarrt, dass sie eine Weile brauchte, um den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Sie bemerkte nicht, dass sie dabei beobachtet wurde. Erst als sie ihren Namen hörte, ließ sie die Hand sinken und drehte sich betroffen um. Lorimer stand vor ihr. "Du hast geweint", sagte er.

Skye hatte so wenig damit gerechnet, Lorimer wiederzusehen, dass sie zuerst keinen Ton herausbrachte. "Ich bin traurig, weil ich Edinburgh verlassen muss", sagte sie endlich mühsam.

"Du musst nicht fort." Lorimer kam einen Schritt näher. "Ich brauche immer noch eine Sekretärin."

"Für wie lange?" "Für eine Woche - genauer gesagt, bis Weihnachten." "Und außer mir fällt dir niemand ein? Da musst du ja in einer

verzweifelten Lage sein!" "Ich bin verzweifelt", antwortete Lorimer ernst. "Seit ich dich

auf der Straße stehen ließ und davonfuhr." Er hob eine Hand und berührte sanft Skyes Wange. "Kannst du mir verzeihen, wenn ich verspreche, alles wieder gut zumachen?"

"Ich soll dir verzeihen?" Skye wich zurück. Lorimers Berührung löste zu viele Erinnerungen aus. "Wer hat Charles denn von den Buchanans erzählt? Ich meinte es nicht böse, aber am Ende stehe ich immer als die Dumme da. Das scheint mein Schicksal zu sein, auch wenn es mir noch so leid tut."

"Charles wäre auch so dahintergekommen", sagte Lorimer. "Wäre ich nicht blind vor Eifersucht gewesen, hätte ich das schon am Montag begriffen."

Skye starrte ihn an, sie konnte nicht glauben, was sie eben gehört hatte. "Eifersüchtig?" wiederholte sie endlich.

"Hast du wirklich nichts bemerkt?" Lorimer lächelte verlegen. "Ich bin während der letzten beiden Monate so eifersüchtig gewesen, dass ich kaum klar denken konnte."

"Etwa wegen Charles?" fragte Skye verwirrt.

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"Du erzähltest mir am ersten Tag, du seiest in ihn verliebt. Was sollte ich glauben, als du weiterhin alles tatest, um mich von dieser Liebe zu überzeugen?"

"Aber ich..." Skye wusste nicht ob sie lachen oder weinen sollte. "Ich habe alles nur gespielt, weil ich glaubte, du liebtest Moira." Lorimer ergriff ihre Hände. "Das war ein Irrtum. Ich liebe eine andere Frau. Eine Frau mit den blausten Augen, die ich je gesehen habe. Eine Frau, deren Gesicht wie die Sonne strahlt, wenn sie lächelt, die lustig, unmöglich und einfach unwiderstehlich ist."

Skye fühlte, wie eine unerträglich schwere Last von ihr abfiel. "Meinst du etwa mich?" fragte sie bebend.

"Ja, dich." Lorimer zog sie in seine Anne. "Aber lass uns hineingehen. Ich warte seit heute Mittag in diesem zugigen Treppenhaus und kann kaum noch stehen."

Im Wohnzimmer herrschte fürchterliche Unordnung, doch Lorimer schien es nicht zu bemerken. Er ließ sich aufatmend in einen Sessel sinken und zog Skye auf seinen Schoß. "Es kommt mir vor, als hätte ich Stunden auf dich gewartet, aber vielleicht war es etwas kürzer. Genau weiß ich nur noch, dass ich unglücklich im Büro saß, als Fleming anrief. Er sagte, du seist bei ihm gewesen, um ihn um weitere Unterstützung für mich zu bitten."

"Er hatte mir versprochen, darüber zu schweigen!" "Ich bin froh, dass er sein Versprechen gebrochen hat. Ich

glaubte immer noch, du liebtest Charles. Erst als ich hörte, was du für mich getan hattest, kamen mir Zweifel. Ich fuhr sofort hierher und wartete. Wo bist du bloß die ganze Zeit gewesen?"

Skye legte ihren Kopf an seine Schulter. "Nirgendwo. Ich bin ziellos herumgelaufen und dachte an dein und Moiras Glück." "Was hat dich auf den Gedanken gebracht, ich liebte Moira?" "Sie schien mir genau dein Typ zu sein", seufzte Skye. "Dann entdeckte ich im Auto den Schal, mit dem sie einen Tag später im Büro auftauchte. Sie wirkte so glücklich, so verliebt."

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"Das war sie auch" ,bestätigte Lorimer, "aber nicht in mich. Sie hatte sich gerade mit Andrew Peters verlobt - Schottlands aufsteigendem Golfstar. Da er zur Zeit in Amerika spielt, übernahm ich es, mit ihr zu feiern. Der Schal war ein Verlobungsgeschenk."

"Wenn ich das doch gewusst hätte!" Skye schüttelte unglücklich den Kopf. "Ich wäre nie mit Charles ausgegangen und hätte mir einen der unangenehmsten Abende meines Lebens erspart. Als du uns dann noch zufällig im Auto beobachtetest..."

Lorimer zog Skye näher und küsste sie zärtlich. "Wenn es für dich schon schlimm war. . . für mich war es die Hölle! Ich war gar nicht bei Freunden gewesen. Ich hatte mich dazu durchgerungen, dir die Wahrheit zu sagen - dir zu gestehen, dass ich liebe, seit du in mein

Büro kamst, um mich mit haarsträubenden Argumenten davon zu überzeugen, dass du die ideale Sekretärin für mich seist."

Skye lächelte in der Erinnerung und schmiegte sich dicht an Lorimer. "Ich wollte mich nicht in dich verlieben", gestand er. "Das Beispiel meiner Eltern hatte mich hart gemacht. Ein einsames Leben ohne Enttäuschungen war zu meinem Ideal geworden, aber als ich dich kennen lernte, änderte sich das schlagartig. Trotz aller Zweifel an der Ehe, trotz aller Zweifel an dir wusste ich, dass es ohne dich kein Glück für mich geben würde. Und das Wochenende in Kielven machte alles noch schlimmer. Dich eine ganze Nacht in den Armen zu halten und zu glauben, es ließe dich kalt. Am Strand hätte ich dir fast alles gebeichtet, aber dann verließ mich doch der Mut. Vielleicht war ich zu stolz, vielleicht hatte ich nur Angst, dich zu verlieren, nachdem wir gerade Freunde geworden waren."

"O Lorimer!" Skye sah ihn zärtlich an. "Hättest du doch gesprochen."

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"Du hast es mir nicht leichtgemacht, Skye", seufzte Lorimer. "Du lagst so natürlich in meinen Armen, und in dem Gutshaus wirktest du, als gehörtest du dorthin. Nur deswegen hatte ich dich mitgenommen - um festzustellen, ob ihr zusammenpasst. Ein Blick genügte, und ich wusste, dass das Haus ohne dich immer leer bleiben würde. Dann sah ich dich weinen und dachte, du sehntest dich nach Charles. Ich hasste dich dafür, und ich hasste mich, weil ich deinetwegen meine Prinzipien verraten hatte. Abends wollte ich dich einfach ignorieren, aber ich hätte jeden Mann, der mit dir tanzte, umbringen können. Als du dich dann so weich in meine Arme schmiegtest . . ." Lorimer beugte Skyes Kopf zurück und sah ihr tief in die Augen. "Es war unrecht, dich so zu küssen. Ich wusste es, als ich es tat, und fühlte mich hinterher wie ein Schuft. Auch darum fuhr ich Montag Abend zu dir. Ich wollte mich entschuldigen, aber dann sah ich euch im Auto... Sei ehrlich, Skye. Warst du wirklich in Charles verliebt?"

"Ich habe es mir zumindest eingebildet", gab sie freimütig zu. "Inzwischen weiß ich, dass alles nur Schwärmerei war. Ich kannte Charles gar nicht ,den richtigen Charles’ meine ich. Ich fand es nur schick, verliebt zu sein." Skye sah Lorimer an, ihre blauen Augen leuchteten vor Liebe und Glück. "Das war, bevor ich dich traf und erfuhr, was wahre Liebe ist." Sie küsste ihn. "Erzähl weiter."

"Es gibt kaum noch etwas zu erzählen. Ich fuhr in dem Bewusstsein nach Hause, mich deinetwegen zum Narren gemacht zu haben, und behandelte dich von da an noch schlechter. Aber es geschah nur, weil ich dich über alles liebe und den Gedanken, ohne dich weiterleben zu müssen, nicht mehr ertragen konnte."

Skye wartete, bis er seine Worte mit einem leidenschaftlichen Kuss bewiesen hatte, und fragte dann: "Bist du auch ganz sicher, dass du mich liebst? Ich bin die völlig falsche Frau für dich. Ich

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bin hoffnungslos ungeschickt, spiele schlecht Golf, stamme aus England und habe eine Schwäche für verrückte Ohrringe."

Lorimer nahm ihr Gesicht sanft in die Hände. "Das sind allerdings ernste Hinderungsgründe, mein Liebling, aber wie es aussieht, ist die falsche Frau gerade die richtige für mich. Die Einzige." Er lächelte. "Und wer weiß? Vielleicht änderst du dich ja. Vielleicht wirst du eines Tages eine gute Golfspielerin und steckst dir Perlen ins Ohr. Alles andere an dir liebe ich so, wie es ist."

"Ich könnte versuchen, mich mehr zu konzentrieren und besser Maschinezuschreiben", erbot sich Skye, die in diesem Moment alles getan hätte, um Lorimer glücklich zu machen.

Er überlegte und entschied dann: "Es lohnt sich nicht, dich für eine Woche zur perfekten Sekretärin heranzubilden. Du sollst meine Frau werden, Skye, das erfordert ganz andere Fähigkeiten."

Skye seufzte und schmiegte sich zärtlich an ihn. "Und für wie lange hast du mir diese neue Rolle zugedacht?" flüsterte sie. Lorimer drückte sie fest an sich. "Für immer, mein Liebling."

Ende