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Fall 1: Völkerrechtssubjektivität / -quellen 1. In Staat A herrscht infolge eines Bürgerkriegs eine Hungersnot und die Gefahr einer Epidemie. Es kommt zu einer breit angelegten Hilfskampagne. Organisation X aus Staat B schickt Nahrungsmittel nach A, die vor Ort von lokalen Mitarbeitern verteilt werden. Staat C sendet Medikamente. Er schliesst mit der Regierung von A eine Vereinbarung, gemäss der diese für den Schutz der vor Ort tätigen Mitarbeiter des Aussenministeriums von C sorgt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beteiligt sich ebenfalls an der Hilfsaktion. Sie entsendet sechs Berater nach A, die die Behörden bei der Eindämmung der Epidemie unterstützen. – Bei einem Überfall von betrunkenen Soldaten der Regierungstruppen auf ein Hotel werden je ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation X, des Aussenministeriums von C sowie der WHO getötet. Kann auf völkerrechtlicher Ebene gegen Staat A vorgegangen werden? Welches Problem ist hier angesprochen? Hinweis: Gefragt ist nur, ob gegen A auf völkerrechtlicher Ebene vorgegangen werden kann, nicht, ob ein Vorgehen Aussicht auf Erfolg hätte. 2. Staat A besitzt Erdölreserven. Er schliesst mit dem weltweit operierenden Unternehmen X, dessen Muttergesellschaft in Staat B ihren Sitz hat, einen Konzessionsvertrag betreffend Förderung von Erdöl auf dem Gebiet von A. Die Laufzeit des Vertrages beträgt dreissig Jahre. Der Vertrag erklärt das (völkerrechtliche) Recht der Verträge für anwendbar und sieht ein internationales Schiedsgericht als für die Streitbeilegung zuständige Instanz vor. – X errichtet in A vereinbarungsgemäss Förderungsanlagen und betreibt diese während fünf Jahren ungestört. Nach einem Machtwechsel in A beschliesst die Regierung die Enteignung aller ausländischen Unternehmen. Sie beruft sich auf das Recht jedes Staates, über seine natürlichen Ressourcen selbst zu bestimmen. Eine Entschädigung ist nicht vorgesehen. Kann X auf völkerrechtlicher Ebene gegen Staat A vorgehen? Auch hier: Gefragt ist nur, ob gegen A auf völkerrechtlicher Ebene vorgegangen werden kann, nicht, ob ein Vorgehen Erfolg versprechend wäre.) 3. Diplomaten geniessen gemäss Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen neben anderen Privilegien bestimmte Steuerbefreiungen. Art. 34 des Abkommens sieht vor, dass sie von sämtlichen Personal- und Realsteuern mit Ausnahme einiger weniger, ausdrücklich erwähnter Abgaben befreit sind. Dazu gehören gemäss lit. b Steuern auf im Hoheitsgebiet gelegenem privatem unbeweglichem Vermögen. Staat A hat die von ihm gewährten Steuerbefreiungen seit Jahrzehnten freiwillig

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Page 1: Web viewFall 1: Völkerrechtssubjektivität / -quellen . In Staat A herrscht infolge eines Bürgerkriegs eine Hungersnot und die Gefahr einer Epidemie. Es kommt zu einer

Fall 1: Völkerrechtssubjektivität / -quellen

1. In Staat A herrscht infolge eines Bürgerkriegs eine Hungersnot und die Gefahr einer Epidemie. Es kommt zu einer breit angelegten Hilfskampagne. Organisation X aus Staat B schickt Nahrungsmittel nach A, die vor Ort von lokalen Mitarbeitern verteilt werden. Staat C sendet Medikamente. Er schliesst mit der Regierung von A eine Vereinbarung, gemäss der diese für den Schutz der vor Ort tätigen Mitarbeiter des Aussenministeriums von C sorgt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) beteiligt sich ebenfalls an der Hilfsaktion. Sie entsendet sechs Berater nach A, die die Behörden bei der Eindämmung der Epidemie unterstützen. – Bei einem Überfall von betrunkenen Soldaten der Regierungstruppen auf ein Hotel werden je ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation X, des Aussenministeriums von C sowie der WHO getötet. Kann auf völkerrechtlicher Ebene gegen Staat A vorgegangen werden? Welches Problem ist hier angesprochen? Hinweis: Gefragt ist nur, ob gegen A auf völkerrechtlicher Ebene vorgegangen werden kann, nicht, ob ein Vorgehen Aussicht auf Erfolg hätte.

2. Staat A besitzt Erdölreserven. Er schliesst mit dem weltweit operierenden Unternehmen X, dessen Muttergesellschaft in Staat B ihren Sitz hat, einen Konzessionsvertrag betreffend Förderung von Erdöl auf dem Gebiet von A. Die Laufzeit des Vertrages beträgt dreissig Jahre. Der Vertrag erklärt das (völkerrechtliche) Recht der Verträge für anwendbar und sieht ein internationales Schiedsgericht als für die Streitbeilegung zuständige Instanz vor. – X errichtet in A vereinbarungsgemäss Förderungsanlagen und betreibt diese während fünf Jahren ungestört. Nach einem Machtwechsel in A beschliesst die Regierung die Enteignung aller ausländischen Unternehmen. Sie beruft sich auf das Recht jedes Staates, über seine natürlichen Ressourcen selbst zu bestimmen. Eine Entschädigung ist nicht vorgesehen. Kann X auf völkerrechtlicher Ebene gegen Staat A vorgehen? Auch hier: Gefragt ist nur, ob gegen A auf völkerrechtlicher Ebene vorgegangen werden kann, nicht, ob ein Vorgehen Erfolg versprechend wäre.)

3. Diplomaten geniessen gemäss Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen neben anderen Privilegien bestimmte Steuerbefreiungen. Art. 34 des Abkommens sieht vor, dass sie von sämtlichen Personal- und Realsteuern mit Ausnahme einiger weniger, ausdrücklich erwähnter Abgaben befreit sind. Dazu gehören gemäss lit. b Steuern auf im Hoheitsgebiet gelegenem privatem unbeweglichem Vermögen. Staat A hat die von ihm gewährten Steuerbefreiungen seit Jahrzehnten freiwillig auf diese Abgaben ausgedehnt. In jährlichen Schreiben an die diplomatischen Vertretungen hatte er darauf hingewiesen, dies geschehe »als Zeichen der Freundschaft gegenüber den geschätzten Gästen des Landes«. Er will diese Praxis ändern. Ein betroffener Diplomat ist der Meinung, dies verstosse gegen Völkerrecht, von einer lange geübten Praxis könne nicht ohne Einwilligung der Gegenseite abgewichen werden. Was wird Staat A ihm entgegenhalten?

4. Staat A ist Küstenstaat und in besonderem Mass von der Fischerei abhängig. Er behält die Küstenfischerei, völkerrechtlich zulässig, den eigenen Staatsangehörigen vor. Die Art und Weise, wie er sein Küstenmeer bestimmt, ist jedoch umstritten. Fast alle Staaten bestimmen ihre Küstengewässer durch Ziehen einer parallel zur Meeresküste verlaufenden Linie. A besitzt dagegen eine stark zerklüftete Küste. Er bestimmt seinen Küstenstreifen von der Verbindungslinie zwischen den markantesten hervorspringenden Punkten aus. Nachbarstaat B macht geltend, diese Methode sei völkerrechtlich nur bei Buchten, nicht jedoch entlang der ganzen Küste zulässig. Eine gewohnheitsrechtliche Regel, der sich A allerdings stets widersetzt hat, schreibe vor, die Öffnung der Buchten dürfe bei einem solchen Vorgehen nicht länger als 10 Seemeilen sein. Muss sich A diese Regel entgegenhalten lassen, ob sich stets gegen sie gewehrt hat?