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Schweizerische Musikforschende Gesellschaft – Ortsgruppe Basel Vortrag von Dr. Carsten Lange (Magdeburg) Mittwoch, 17. April 2013, 19.30 Uhr im Klaus Linder-Saal der Musik-Akademie Basel (Eingang Leonhardsstrasse) „Seine Kirchensachen haben allgemein Beyfall gefunden“ Telemanns Beitrag zur Entwicklung der Kirchenmusik im 18. Jahrhundert Georg Philipp Telemann wurde lange Zeit eher als Komponist von Instrumentalmusik und Opern, denn als Schöpfer außerordentlicher sakraler Werke wahrgenommen. In den letzten Jahren wandelte sich dieser Eindruck, rückte sein kirchenmusikalisches Werk stärker in den Fokus von Wissenschaft und Praxis. Telemann entstammt einer Familie, die über Generationen hinweg evangelische Pfarrer hervorbrachte. Dieses familiäre Umfeld prägte den gebürtigen Magdeburger, der von sich sagte, „allemal die Kirchen-Music am meisten werth geschätzet“ zu haben und von ihr als „den alleredelste[n] Teil der Klinge-Kunst“ sprach. Der Vortrag wird darstellen, auf welch eindrucksvolle Weise der lutherische Kantor Telemann seine Musik in den Dienst Gottes und der Verkündigung der Heiligen Schrift zu stellen wusste. Insbesondere wird dabei Telemanns Beitrag zur Herausbildung des Formmodells der Kirchenkantate betrachtet, die sich – ausgehend vom Kantatenjahrgang „Geistliches Singen und Spielen“ (Eisenach 1710/171) – schnell als Standard etablierte, von Telemanns Zeitgenossen gern genutzt wurde und die dem Bachforscher Philipp Spitta später als „vollendete Kantate“ galt. Ferner wird gezeigt werden, wie Telemann auf dem Gebiet der oratorischen Passionen auf theologisch bemerkenswerte Weise Altes und Neues Testament verbunden und mit Neuerungen zur formalen Gestaltung der Gattung kombiniert hat sowie eine aus seinem Glaubensverständnis heraus sehr eigenständige Sprache für die musikalische Verdeutlichung des Passionsgeschehens fand. Zudem wird Telemanns vielschichtiger Umgang mit Kirchenliedern vorgestellt, der von ihrer Sammlung und Verbreitung („Fast Allgemeines Evangelisch-Musicalisches Lieder-Buch", Hamburg 1730) bis hin zur theologisch tiefsinnigen Verarbeitung in sogenannten Choralkantaten reicht – eine Gattung, die bis zur Wiederentdeckung der „Danziger Kantaten“ bei Telemann nicht belegt war. Angesichts des im Titel des Vortrags aufgegriffenen Urteils des Weimarer Kapellmeisters Johann Ernst Bach, mitgeteilt in seiner Vorrede zur Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit von Jacob Adlung (1758), und vor dem Hintergrund der Einschätzung von Christian Friedrich Daniel Schubart, dass Telemann besonders „im Kirchenstyle […] seines Gleichen nicht“ hatte (Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, posthum gedruckt 1806), will der Vortrag auf die Bedeutung Telemanns für die Gestaltung der Kirchenmusik im 18. Jahrhundert aufmerksam machen. Glaubt man dem Urteil der Zeitgenossen, so gab es damals im deutschsprachigen Raum kaum protestantische Kirchen, in denen keine Musik Telemanns erklungen ist.

Vortrag - Abendmusiken in der Predigerkirche · PDF fileTelemann wirkte mit großem Sendungsbewusstsein und über das Maß seiner dienstlichen Verpflichtungen hinaus für die Aufwertung

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Schweizerische Musikforschende Gesellschaft – Ortsgruppe Basel Vortrag von Dr. Carsten Lange (Magdeburg) Mittwoch, 17. April 2013, 19.30 Uhr im Klaus Linder-Saal der Musik-Akademie Basel (Eingang Leonhardsstrasse) „Seine Kirchensachen haben allgemein Beyfall gefunden“ Telemanns Beitrag zur Entwicklung der Kirchenmusik im 18. Jahrhundert Georg Philipp Telemann wurde lange Zeit eher als Komponist von Instrumentalmusik und Opern, denn als Schöpfer außerordentlicher sakraler Werke wahrgenommen. In den letzten Jahren wandelte sich dieser Eindruck, rückte sein kirchenmusikalisches Werk stärker in den Fokus von Wissenschaft und Praxis. Telemann entstammt einer Familie, die über Generationen hinweg evangelische Pfarrer hervorbrachte. Dieses familiäre Umfeld prägte den gebürtigen Magdeburger, der von sich sagte, „allemal die Kirchen-Music am meisten werth geschätzet“ zu haben und von ihr als „den alleredelste[n] Teil der Klinge-Kunst“ sprach. Der Vortrag wird darstellen, auf welch eindrucksvolle Weise der lutherische Kantor Telemann seine Musik in den Dienst Gottes und der Verkündigung der Heiligen Schrift zu stellen wusste. Insbesondere wird dabei Telemanns Beitrag zur Herausbildung des Formmodells der Kirchenkantate betrachtet, die sich – ausgehend vom Kantatenjahrgang „Geistliches Singen und Spielen“ (Eisenach 1710/171) – schnell als Standard etablierte, von Telemanns Zeitgenossen gern genutzt wurde und die dem Bachforscher Philipp Spitta später als „vollendete Kantate“ galt. Ferner wird gezeigt werden, wie Telemann auf dem Gebiet der oratorischen Passionen auf theologisch bemerkenswerte Weise Altes und Neues Testament verbunden und mit Neuerungen zur formalen Gestaltung der Gattung kombiniert hat sowie eine aus seinem Glaubensverständnis heraus sehr eigenständige Sprache für die musikalische Verdeutlichung des Passionsgeschehens fand. Zudem wird Telemanns vielschichtiger Umgang mit Kirchenliedern vorgestellt, der von ihrer Sammlung und Verbreitung („Fast Allgemeines Evangelisch-Musicalisches Lieder-Buch", Hamburg 1730) bis hin zur theologisch tiefsinnigen Verarbeitung in sogenannten Choralkantaten reicht – eine Gattung, die bis zur Wiederentdeckung der „Danziger Kantaten“ bei Telemann nicht belegt war. Angesichts des im Titel des Vortrags aufgegriffenen Urteils des Weimarer Kapellmeisters Johann Ernst Bach, mitgeteilt in seiner Vorrede zur Anleitung zu der musikalischen Gelahrtheit von Jacob Adlung (1758), und vor dem Hintergrund der Einschätzung von Christian Friedrich Daniel Schubart, dass Telemann besonders „im Kirchenstyle […] seines Gleichen nicht“ hatte (Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst, posthum gedruckt 1806), will der Vortrag auf die Bedeutung Telemanns für die Gestaltung der Kirchenmusik im 18. Jahrhundert aufmerksam machen. Glaubt man dem Urteil der Zeitgenossen, so gab es damals im deutschsprachigen Raum kaum protestantische Kirchen, in denen keine Musik Telemanns erklungen ist.

Telemann wirkte mit großem Sendungsbewusstsein und über das Maß seiner dienstlichen Verpflichtungen hinaus für die Aufwertung und Modernisierung der Kirchenmusik, für eine zeitgemäße Musik zur Ehre Gottes und um dem Nächsten zu dienen. Dabei verwendete er zumeist moderne, theologisch deutliche und sprachlich herausragende Dichtungen, zu denen er eine Musik komponierte, die nicht minder bekenntnishaft ist, der eine große religiöse Durchdringung eigen ist und die mitunter „theatralische“ Züge aufweist. Der mit zahlreichen Musikbeispielen angereicherte Vortrag wird den Besonderheiten des Telemannischen Kirchenstils nachgehen, die zur außerordentlichen Wertschätzung, Mustergültigkeit und weiten Verbreitung seiner Kirchenmusik im 18. Jahrhundert führten.

Georg Philipp Telemann, Kupferstich um 1744 (Georg Lichtensteger) Georgius Philippus Telemann Reipublicae Hamburgensis Director Chori Musici Natus Magdeburgi MDCLXXXI, die 14 Martii Georg Lichtensteger delineavit et sculpsit Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek

– Telemann-Zentrum: http://telemann.org

Hinweis: Der nächste Vortrag von Prof. Dr. Jörg Wiesel (Basel) beschäftigt sich mit „Re-enactment. Zur Performanz kulturhistorischen Wissens“ und wird am Donnerstag, den 30. Mai 2013 um 19.30 Uhr im Kleinen Saal der Musik-Akademie Basel stattfinden. Aktuelle Informationen finden Sie auch auf unserer Homepage: www.smg-basel.ch