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58 I REISEMAGAZIN RUSSLAND I TRANSSIBIRISCHE EISENBAHN TRANSSIBIRISCHE EISENBAHN I RUSSLAND Väterchen Frost fährt Zug Na zdarowje, Genossen! Ein Husarenritt auf der Transsib im tiefsten sibirischen Winter: Mehr als 7000 Kilometer rollt man auf der stählernen Lebensader von Moskau nach Peking. Wodka ist ein ständiger Begleiter. TEXT UND FOTOS ROBERT KROPF A m ersten Tag hamma aussegschaut aus’m Fenster – Steppe. Am zweiten Tag hamma aussegschaut aus’m Fenster – Steppe. Am dritten Tag hamma se angsoffen.“ Das Ehepaar am Nachbartisch, grob geschätzt um die 70 Jahre alt, muss Qualtingers „Travnicek in Russland“ inhaliert haben. Jetzt schicken sich die beiden an, sich bei der obligatorischen Wodka- verkostung in der Transsib zu vernichten, als würde die Sonne über dem russischen Birkenwald nicht mehr aufgehen. Drei Fla- schen Wodka stehen vor ihnen auf dem Tisch im Speisewaggon. Drei Mal ein halber Liter russisches Lebenselixier. „Wodka trinkt man im Takt des Kollektivs“, bringt Reiseleite- rin Ludmilla einen Trinkspruch an. „Na zdarowje“, johlen die zwei mit 40 anderen im Speisewagen des Zugs. Ein Mitreisender aus Hamburg sprintet in sein Abteil, holt die Ziehharmonika und stimmt Seemannslieder an. Das alles irgendwo 2000 Kilometer hinter Moskau. Nach zwei Tagen Fahrt, auf der ausschließlich Bir- kenwald am Fenster vorbeizieht. „Wodka überstand die Revolu- tion, Kriege und Perestroika“, doziert Ludmilla und hebt ihr Glas. „Spasiba, Ludmilla. Na zdarowje“, lallt das alte Ehepaar. Es

Väterchen Frost fährt Zug - ROBERT KROPF · 2009-01-17 · Transsib-Veranstalter im deutschsprachigen Raum. Im Sommer fährt er unter anderem die Strecken Mos-kau–Irkutsk und

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Page 1: Väterchen Frost fährt Zug - ROBERT KROPF · 2009-01-17 · Transsib-Veranstalter im deutschsprachigen Raum. Im Sommer fährt er unter anderem die Strecken Mos-kau–Irkutsk und

58 I REISEMAGAZIN

RUSSLAND I TRANSSIBIRISCHE EISENBAHN TRANSSIBIRISCHE EISENBAHN I RUSSLAND

Väterchen Frost fährt

ZugNa zdarowje, Genossen!

Ein Husarenritt auf der Transsib im tiefsten sibirischen Winter:

Mehr als 7000 Kilometer rollt manauf der stählernen Lebensader

von Moskau nach Peking. Wodka ist ein ständiger Begleiter.

TEXT UND FOTOS ROBERT KROPF

Am ersten Tag hamma aussegschaut aus’m Fenster –Steppe. Am zweiten Tag hamma aussegschaut aus’mFenster – Steppe. Am dritten Tag hamma se angsoffen.“

Das Ehepaar am Nachbartisch, grob geschätzt um die 70 Jahre alt,muss Qualtingers „Travnicek in Russland“ inhaliert haben. Jetztschicken sich die beiden an, sich bei der obligatorischen Wodka-verkostung in der Transsib zu vernichten, als würde die Sonneüber dem russischen Birkenwald nicht mehr aufgehen. Drei Fla-schen Wodka stehen vor ihnen auf dem Tisch im Speisewaggon.Drei Mal ein halber Liter russisches Lebenselixier.

„Wodka trinkt man im Takt des Kollektivs“, bringt Reiseleite-rin Ludmilla einen Trinkspruch an. „Na zdarowje“, johlen diezwei mit 40 anderen im Speisewagen des Zugs. Ein Mitreisenderaus Hamburg sprintet in sein Abteil, holt die Ziehharmonika undstimmt Seemannslieder an. Das alles irgendwo 2000 Kilometerhinter Moskau. Nach zwei Tagen Fahrt, auf der ausschließlich Bir-kenwald am Fenster vorbeizieht. „Wodka überstand die Revolu-tion, Kriege und Perestroika“, doziert Ludmilla und hebt ihr Glas.„Spasiba, Ludmilla. Na zdarowje“, lallt das alte Ehepaar. Es �

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die Schaffnerin schaudernd zu bedenken. Drinnen hat es trockene28 Grad im Abteil. Das lässt nicht viel körperliche und geistigeRegsamkeit zu. Auszug aus dem Gehirnstromprotokoll dieserTage: „Verzweifelter probiert beim Roman ‚Lenins Hirn‘ über dieSeite 20 hinwegzukommen. Geht nicht. Augen fallen zu, Buchknallt konsequent gegen Kopf.“ Tagsüber rollt man an sibirischenDörfern vorbei, ohne sie gesehen zu haben, weil man währendder knappen Zeit zwischen Frühstück, Mittag- und Abendessenim überheizten Abteil meist einschläft. Ähnlich ergeht es einembei den Vorträgen, die zweimal am Tag über den Bordfunk ge-sendet werden. Kaum setzt Chefreiseleiter Bernd Klaube an überGulags, Bau der Transsib sowie Land und Leute zu referieren, entschlummert man sanft und träumt von Kaviar und Wodka.Wovon es übrigens reichlich an Bord gibt

Zugchef Georgi Georgewitsch läuft mit Kappe und Funkgerätdurch sein Reich aus zwölf Waggons. Bei einem Glas Tee aus demdampfenden Samowar gewährt er uns einen kleinen Einblick in

seine Seele. Stolz sei er, dass er den „Zarengold“ lenken darf. „DerZug läuft als Regierungszug, er hat in allen Bahnhöfen Vorfahrtund genießt große Aufmerksamkeit.“ Anfang der Sechzigerjahrewurden die Waggons von der KP in Auftrag gegeben. AlleGrößen der Partei sind damit gefahren. Georgi schwelgt inNostalgie: „Solschenizyn war bei mir auf dem Zug, als er aus demAmerika-Exil zurückkehrte. Von Wladiwostok nach Moskau ister gefahren, er wurde empfangen wie ein Volksheld, mit Brot, Salzund Wodka, wie es in Russland üblich ist.“

Blini, Borschtsch und kein Barrique Der Rechtspopulist Schirinowski tourte acht Wochen mit diesemZug durch Russland. „Da wurde mehr Wodka für die Leute alsDiesel für die Lok verbraucht“, grinst Georgi Georgewitsch. Ei-nem scheint es besonders gefallen zu haben: Waleri, der Kellner,trägt heute noch das T-Shirt der LDPR-Partei. Etwa 30 der rotenWaggons gibt es noch, erzählt Georgi. Man spürt, dass er jetztschon den „guten alten Zeiten“ nachtrauert. Zwei Jahre dürfen sienoch fahren, dann läuft das Pickerl ab, übersetzt ChefreiseleiterKlaube. Jawohl, so was gäb’s auch in Russland.

Der Essensplan bestimmt den Tagesrhythmus an Bord. Aha,nicht auf Toast, sondern auf hauchdünnen Palatschinken, Blinisgenannt, isst der Russe seinen Kaviar. Herrlich, die Rote-Rüben-Suppe Borschtsch. Dazu wird georgischer und moldawischerWein serviert. „Kein Barrique“, sagt die Schweizerin am Tisch

sollte ihnen noch leidtun. Nach zwei Stunden sind die drei Fla-schen leer, die beiden dafür komplett voll. Die Sonne ist amnächsten Tag über dem Birkenwald tatsächlich nicht aufgegangen.Zumindest nicht für die Eheleute. Sie machen das, was hundert-tausende Russen zur selben Stunde tun: Sie schlafen ihren Rauschaus. Draußen bläst ein eisiger Wind, es zieht eine verfalleneKolchose vorüber, der Dachstuhl wurde längst von zarten Birken-stämmen erobert. Nur der Schriftzug „Ruhm der KPdSU“ trotztan der Hauswand Wind und Wetter.

Mit dem Uhustick im LuxuszugSeltsame Menschen sind es, die mit dem „Zarengold“ verreisen.Erstmals rollt der Sonderzug im Februar von Moskau nach Pe-king, ein Husarenritt mit der Transsibirischen Eisenbahn, 7865 Ki-lometer im tiefsten Winter auf der stählernen Lebensader Rich-tung Sibirien, durch die Mongolei und die Wüste Gobi nach Chi-na. Zwei Wochen in Waggons, die aussehen wie mittelalterlicheRittersäle mit Eisenlustern, Holzbänken und Plüschvorhängen.Drinnen wird noch mit Holz geheizt, draußen fällt das Thermo-meter unter minus 30 Grad Celsius. Väterchen Frost lässt grüßen.

Bettlänge: 185 cm. Bettbreite: 80 cm. Gangbreite zwischen denBetten: 60 cm. Abstand vom Bett bis zur Abteildecke: 190 cm.Gepäckablage über der Tür: 30 cm hoch, 160 cm breit, 90 cm tief.Das sind sie also, die tückischen kleinen Transsib-Fallen für ver-

wöhnte Körper. In der dritten (besten) Klasse wollten wir immerfahren, dann ist es sogar die erste Sonderzugklasse geworden, mitZusatzbeleuchtung, weicheren Pölstern und einer Ziervase amTisch samt roter Nelke. Nichts mit offenem Liegewagen, Urin-gestank und heiser hustenden Nachbarn. Unnötig deshalb auchder ganze Rucksack voller Utensilien, die mir ein Freund, der vorJahren in Böckstein in Salzburg in den Zug ein- und in Hongkongwieder ausgestiegen ist, dringend empfohlen hat: Klopapier, einMittel gegen Husten, Heiserkeit und Blasenentzündung, ein Pül-verchen gegen Übelkeit und eines gegen übersäuerten Magen,Augentropfen, Antibiotika, Zwischenstecker, Filzstifte und Uhu-stick für die russischen Briefmarken, die nicht kleben. Die Knorr-Fertigsuppen hätte ich beim Spar lassen können, Eiskratzer undScheibenenteiser war auch zu viel des Guten.

Der Grund dafür ist einfach. Wir sind eben nicht im Regelzug,sondern im „Zarengold“. Alles, was man mitgebracht oder zuHause vergessen hat, wartet bereits in den Regierungswaggons.Abends, wenn man speist, richtet der Schaffner die Betten her,morgens, während des Frühstücks, überzieht er sie neu. Die Käl-te braucht man nicht zu fürchten. Die zwei Wagenchefs heizenpro Waggon einen riesigen Metallofen, als ginge es darum, diePassagiere zu garen. Die Waggonfenster sind aus Sicherheits-gründen verschlossen. „Stellen Sie sich vor, man lüftet am Abendein bisschen durch und schläft dann bei minus 30 Grad ein!“, gibt

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Bist du satt und betrunken, dann sei

Gott dankbar.(Russisches Sprichwort) �

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Je weiter man sich von Moskau entfernt, umso fahlerwird die Gesichtsfarbe der Menschen, umso schiefer wer-den die Häuser und umso funzliger das Licht in ihnen. Bald werden auch die Häuser seltener. Sibirien naht. Wasschwingt da nicht alles mit: sibirische Kälte, Dauerfrost-boden, Straflager. Nach Sibirien ging man nicht freiwillig,man wurde dorthin verbannt.

Wir stoppen in Irkutsk, dem „Paris des Ostens“. UnsereVerbannung hat einen klingenden Namen: Intourist, dasgrößte Hotel in der Stadt, einen Tag Anreise vom Baikalseeentfernt. Die Stimmung ist leicht dunkel gefärbt, es ist sau-kalt. Die Etagenfrau gibt uns den Zimmerschlüssel. Derpositive Eindruck des Zimmers ist enden wollend: braunerTeppichboden, braune Decken, braune Kästen, braune Bet-ten, braune Vorhänge. Draußen alles grau in grau.

Es setzt eine unmittelbare Sibirien-Depression ein. Straf-lager-Blues. Da hilft, was tausenden Russen in dieser Situa-tion auch hilft: ein großer Schluck Wodka. Und noch einer.Doch die Sehnsucht ist groß nach dem „Zarengold“, den roten Plüschvorhängen, dem warmen Abteil, Waleri, demKellner, und sogar Herrn Klaube, dem Chefreiseleiter. Dasnächste Mal schlaf ich beim Vortrag extra nicht ein, schwörich mir. Morgen, wenn ich Gott sei Dank wieder im Zug sitze, auf dem Weg in die Mongolei. a

gegenüber. „Nicht einmal Wein“, sagen wir. Nach jedem Essenund vor dem Sprachkurs (interessant, Gummiknüppel heißt De-mokratisator) wird Wodka ausgeschenkt. „100 Gramm sind ge-nau das Richtige“, rechnet Ludmilla vor. Sie selbst kann es kaumfassen, wie sich das Wodkaangebot nach der Öffnung des Ostensverbreitert hat. Der beste Beweis dafür ist ein kleines, schäbigesGeschäft am Bahnhof von Krasnojarsk. In den Regalen stehendutzende Sorten: Weißer Russ, Silberner Fürst, Stern des Nordens,Smolensker Festung. Seid gegrüßt, Russland und Wahrheit. Nichtzu vergessen die Prominenz: Gorbatschow, Rasputin, Puschkin,Tolstoi. Ganz neu ist die 100-Gramm-Dosis im durchsichtigenPlastikbecher, als „russisches Joghurt“ verspottet.

Der Zug als rollende GoldquelleIn der Mittagspause bei – wie könnt’ es anders sein – einigen Wod-kas kommt der Koch nur sehr langsam ins Reden. „Eisenbahn istwie Militär. Je weniger du sprichst, desto länger bist du dabei“,meint er zurückhaltend. Die Zeiten sind nicht einfach für ihn.

„Wir sind an den Zug gebunden. Steht er im Depot in Moskau,haben wir keine Arbeit und verdienen auch nichts. Dann drehenwir Däumchen“, sagt er lakonisch. „In diesen Zeiten sind wir zurArbeitslosigkeit verdammt.“ Deswegen blüht die Korruption inder Russischen Eisenbahngesellschaft. Jeder besticht jeden, um aufdem „Zarengold“ arbeiten zu können. Die Rechnung ist einfach:„Wir kriegen kein schlechtes Trinkgeld hier. Vom Kartoffelschälerbis zum Chef, jeder der 40 Leute bekommt seinen Anteil“, sagtder Koch. „Was wir in einer Woche hier im Zug verdienen, ent-spricht einem durchschnittlichen Monatsgehalt.“

Lange Zeit ist er auch mit den Regelzügen gefahren. „Das istRussland live“, erzählt er. Die Heizung ständig kaputt, es sei egal,ob „die Idioten“ (gemeint sind die Gäste) Wasser haben, der Ab-fluss ist verstopft und der Speisewagen leer. Der dient nämlich nur dazu, so viel Wodka, Chips und Milchpulver wie möglich hinter den Ural zu schaffen. Der Zug ist ein fahrendes Geschäft.„In den Stationen fahren zwei Lkws vor, dann wird abgeladenund Geld kassiert, erst dann fahren wir weiter.“

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Je langsamer du fährst,desto weiter wirst du

kommen.(Russisches Sprichwort)

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VERANSTALTERHans Engberding sorgt dafür, dass es auf dem „Zaren-gold“ mit rechten Dingen zugeht. Der deutsche Mittel-schulprofessor veranstaltete schon in den Achtziger-jahren Russischkurse in der Transsib. Nach der Ost-öffnung nutzte er seine guten Kontakte in Politik undWirtschaft und mietete die Regierungszüge. Seit eini-gen Jahren ist er mit seiner „Lernidee“ der größteTranssib-Veranstalter im deutschsprachigen Raum. Im Sommer fährt er unter anderem die Strecken Mos-kau–Irkutsk und Ulan-Bator–Moskau. Engberding organisiert auch Fahrten auf den so genannten Regel-zügen der Transsib, also den Linienzügen abseits von Luxus, Kaviar und Plüschpolstern.Info: � 0049/30/786 00 00, www.lernidee.de

KATEGORISCH RUSSISCH � In der Kategorie I des „Zarengold“ wohnen jeweilsvier Gäste in einem Abteil. Je zwei Betten mit 70 mal190 cm sind übereinander angeordnet, in der Mitte un-ter dem Fenster gibt es einen Tisch. Der Waggon hatneun Abteile. An beiden Waggonenden befinden sichkombinierte Wasch- und Toilettenräume.� Mehr Bequemlichkeit bietet die Kategorie II.Man teilt sich ein Abteil zu zweit, geschlafen wird ingegenüberliegenden Betten. Die Toiletten und Wasch-gelegenheiten befinden sich an beiden Waggonenden.In zwei bis vier Waggons dieser Kategorie steht einDuschabteil zur Verfügung.� Nostalgie-Komfort nennt sich die Kategorie III. Hier reist man wie der „rote Zar“: zwei übereinanderliegende Betten (80 cm breit, 185 cm lang), ein Ses-sel. Je zwei benachbarte Räume teilen sich einen eigenen Waschraum mit einfacher Dusche. Aufpassen, dass nichts Wichtiges ins Waschbeckenfällt, denn der Abfluss führt direkt auf die Gleise.

TERMIN „WINTERMÄRCHEN“Vom 13. bis 21. Februar 2005 rollt der Regierungszugwieder auf der eisigen Strecke von Moskau nach Irkutsk.Wirkliche Fanatiker beenden die Route stilecht am 24. Februar in Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongo-lei. Und wem das immer noch nicht genug ist, der rolltmit der chinesischen Transsib weiter bis Peking.

TEMPERATUR Der Eisbär lässt grüßen. Während die Februar-Tempe-raturen in Moskau noch einigermaßen erträglich seinkönnen, fällt das Thermometer in Sibirien nicht selten

unter minus 30 Grad Celsius. Das ist für unsereinsschon sehr heftig. Ohne dicke Haube mit Ohrenklappen,Daunenjacke, Thermo-Unterwäsche, dicke Handschuhe,ordentlichen Wollschal und vor allem gut isoliertesSchuhwerk wird es relativ rasch ungemütlich. Auch die gute alte lange Unterhose sollte im Gepäck nichtfehlen. Unbedingt Kälteschutzcreme auftragen!

TÜR AUF, TÜR ZUTranssib fahren heißt viele Türen auf- und zumachen.Ein Rechenbeispiel: Wohnt man in Waggon 2 und gehtin den Speisewaggon 8, muss man 24 Türen öffnen

INFO REISEN MIT DER TRANSSIBIRISCHEN EISENBAHNUnd zwar die Variante für die ganz Harten – im Winter.

Russland/Strecken der Transsibirischen Eisenbahn

Minsk

Moskau

Nowosibirsk

Teischet

Irkutsk

Komsomolsk

Wladiwostok

ChinaMongoleinach Ulan-Bator

und PekingChina

Kasachstan

Ukraine

Transsib (Hauptlinie)

Transsib (neue Linie)

Transsib (Südural-Linie)

BAM (Baikal-Amur-Magistrale)

Wer kurz aussteigt, um seine Kälteschutz-creme auf ihre Wirksamkeit zu testen, und dann die Abfahrt verpasst, wird soschnell nicht mehr auftauen.

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– one-way. Das macht man etwa zehnmal am Tag. Alsosind das 240 Türen. Praktischerweise führt man auf diesem Weg feuchte Reinigungstücher mit, denn denSpeisewagen erreicht man meist mit recht schmutzigenHänden. Gefahr lauert auch im Freien: Die Verbindungs-türen zwischen den einzelnen Waggons sind der sibiri-schen Kälte ausgesetzt. Handschuhe verhindern, dassman an den Eisengriffen der Türen anfriert.

DURCHAUS NÜTZLICH� Sinnvoll ist eine zweite Armbanduhr oder ein Reise-wecker. Denn einerseits durchquert man sechs Zeit-zonen, andererseits gilt für Zug und Fahrplan MoskauerZeit. Da verliert man schnell den Überblick. � Plastikmüllsäcke nehmen wenig Platz weg und sindfür Abfälle von kleinen Wodka-Orgien, unterwegs ge-kaufte Getränke und vieles mehr sehr praktisch. Wer aus dem Zug steigt, sollte immer seinen Pass,Geld und vor allem genügend Kleidung dabeihaben. Erstaunlicherweise passiert es bei jeder Reise wieder,dass Passagiere die Abfahrt des Zuges versäumen. Ohne Geld und Dokumente – und vor allem ohne Win-terjacke – ist das ein ziemliches Horrorszenario. Ein Arzt fährt übrigens die ganze Strecke von Moskaubis Ulan-Bator mit.

STROM IM WAGGONEine wichtige Frage. Pro Waggon gibt es ein bis zweiSteckdosen mit 220 und 110 Volt. Für Föhn und an-dere verbrauchsintensive Geräte gibt es nur im Speise-wagen Kapazität sowie jeweils eine Steckdose im Gangder Waggons. Ersatzakkus gehören unbedingt ins Ge-päck, da die Stromanschlüsse erfahrungsgemäß nichtimmer ausreichen.

FÜR ZU HAUSE, ZUM ANGEBEN Die Transsib ist die längste Eisenbahnstrecke der Welt.Den Startschuss für ihren Bau gab Zar Alexander III.im Jahr 1891. Die Gesamtstrecke wurde bis 1916 fer-tig gestellt. Die insgesamt 9288 Kilometer langeStrecke (nach Wladiwostok) ist heute doppelspurig undelektrifiziert. 7865 Kilometer sind es von Moskau bisPeking, die der Sonderzug „Zarengold“ zurücklegt.1777 davon fährt er in Europa, den Rest in Asien. Den größten Bahnhof hat Nowosibirsk, der wie eine rie-sige Lokomotive gebaut ist. Täglich 70.000 Reisende.Ein Juwel ist der Bahnhof Sludjanka am Baikalsee: Er ist als einziger der Welt komplett aus Marmor gebaut.

DIE STRECKEMan benötigt gutes Sitzfleisch: Die Kurzversion des„Zarengold“ führt von Moskau über Kazan nach Nowo-sibirsk und Irkutsk und dauert neun Tage. Wem das zuwenig ist, der fährt vom Baikalsee nach Ulan-Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Danach rollt der Zug 36Stunden lang durch die Wüste Gobi und bleibt schließ-lich am Hauptbahnhof von Peking stehen. Wer übrigensglaubt, es führe nur eine Route in den Osten, irrt: � Die Fernost-Route von Moskau nach Wladiwostok ist 9288 Kilometer lang. � Die Transmandschurische Bahn von Moskau nachPeking: 9025 Kilometer.� Die Transmongolische Bahn, die Route des „Zaren-gold“ (Moskau–Peking): 7865 Kilometer. � Die Baikal-Amur-Magistrale (BAM) biegt nach Kras-nojarsk bei Teischet von der Transsib-Route ab und endet in Komsomolsk: 3500 Kilometer, unglaubliche2300 Brücken!

PREISE Skolko eto stoit? Was kostet eine Reise im Zarengold?Moskau–Irkutsk je nach Kategorie von € 2390,– bis3470,–, Moskau–Ulan-Bator je nach Kategorie von € 2950,– bis 3990,–. Sämtliche Flüge ab/bis Frankfurtsowie die Übernachtungen in Moskau und Irkutsk bzw.Ulan-Bator sind inkludiert.

VISUMFür alle drei Staaten (Russland, Mongolei und China)besteht Visumpflicht; Gesamtkosten ca. € 250,–.

� Botschaft der Russischen Föderation,Reisnerstr. 45–47, 1030 Wien, � 01/712 12 29

� Botschaft der Mongolei,Teinfaltstr. 3/6, 1010 Wien, � 01/535 28 07

� Botschaft der VR China, Metternichgasse 4, 1030 Wien, � 01/714 31 49-0

INTERNETADRESSENwww.russland.net� Gut aufbereitete Details über Reisen mit der Trans-sib, geführt oder individuell. Wer sich für einen Sprachkurs an der bekannten Lomonossow-Universitätinteressiert, kann gleich auf der Homepage buchen.

www.marco-bertram.de� Der Reisebuchautor stellt auf seiner Webseite Fotosder Transsib aus Russland und der Mongolei aus. Erstaunlich: tolle Bilder, aber wenig Infos.

www.transsib.de � Umfassende Informationen über Visa, Hotels, Flüge,Transfers, Literatur, Preise etc.

www.transsib.net/transsib.net/start� Forum zur Transsibirischen Eisenbahn. Prima für denErfahrungsaustausch und Antworten auf offene Fragen.

BUCHEN IN ÖSTERREICHRuefa Reisen (89 Reisebüros in ganz Österreich) bietetdas Programm der „Lernidee“ in Österreich an. Dazuzählen die „Wintermärchen“-Reise im „Zarengold“ (siehe Seite 64) sowie mehr als ein Dutzend Routender Transsib von Ost nach West und West nach Ost. Info: � 01/525 55-0, www.ruefa.at; alle Routen imÜberblick auf www.ruefa.at (unter „Wir veranstalten“)

ZUM EIN- UND WEITERLESENPia Thauwald: Transsib. Von Moskau nach Peking.Reise-Know-How-Verlag, 178 Seiten, € 9,20� Der ideale kleine Begleiter mit professionellen Tippsvon Sicherheit, Ausrüstung, Unterbringung, Verpfle-gung bis hin zu Geldfragen, Klima und Kleidung.

Andreas Wenderoth: Mit Ach und Krach nach Wladi-wostok. Eine transsibirische Reise.Picus-Verlag, 140 Seiten, € 14,90� Der „Geo“-Journalist reiste drei Wochen mit derTranssib. Seine Aufzeichnungen sind beeindruckendund wahrlich nicht immer nur positiv. Kleinformat, sehr praktisch für die Reise.

Hans Engberding, Bodo Thöns: Transsib-Handbuch.Trescher-Reihe Reisen, 460 Seiten, € 20,50 � Das umfangreichste Werk zur Transsib. Wer die Reisebucht, findet dieses Werk in den Reiseunterlagen.

Doris Knop: Reisen mit der Transsib. Reise-Know-How-Verlag, € 18,– � Laut „Spiegel“ der meistgelesene Reiseführer überdie Transsib. Seit 2003 in der völlig überarbeiteten 11. Auflage erhältlich.

Zwischen den Mahlzeiten kannman sich bilden oder büseln. Die Entscheidung fällt meist

eindeutig aus.