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Quelle/Publication: Ausgabe/Issue: Seite/Page: Farbe & Lack 12/2006 20 Wasserfilm statt Wasserperlen Superhydrophile Nanotitandioxid-Beschichtungen gegen Schmutz und Bewuchs. Anders als superhydrophobe Leichtreinigungs-Schichten, bei denen Schmutz von abrollenden Wassertropfen abtransportiert wird, setzen Nano-Titandioxid-haltige superhydrophile Beschichtungen auf einen geschlossenen Wasserfilm, der sich auf der Oberfläche ausbildet, den Schmutz unterwandert, anlöst und abspült. Organische Substanzen werden gleichzeitig durch die Nanopartikel photokatalytisch zersetzt. Das Konzept eignet sich für sehr haltbare selbstreinigende Beschichtungen von Fassaden und Gebäudeaußenkonstruktionen. *Frank Groß und Stefan Sepeur, Saarbrücken. *Korrespondierender Autor. Kontakt: Dr. Frank Groß, NANO-X GmbH, Theodor-Heuss-Str. 11a, 66130 Saarbrücken, Tel: +49 (681) 95940-23, Fax +49 (681) 95940-15, [email protected] Das Verschmutzen von Fenstern, Fassaden und anderen Gebäudeaußenkonstruktionen ist ein bislang unvermeidlicher Prozess. Diese Oberflächen müssen regelmäßig gereinigt werden, um eine klare Sicht zu behalten und die Gebäudesubstanz durch Korrosion und mikrobiologischen Bewuchs nicht vorzeitig altern zu lassen. Die anfallenden Reinigungsarbeiten sind zeitaufwendig, teuer und häufig auch gefährlich. Der Personalaufwand, die Kosten sowie die Risiken der Reinigung können zwar durch automatisierte Fassaden- und Fensterreinigungssysteme reduziert werden, aber Fassadenoberflächen, die gar nicht erst verschmutzen, wären die elegantere Lösung. Funktionelle Beschichtungen könnten helfen, solche Oberflächen im Idealfall "selbsttätig" sauber zu halten und somit den Reinigungs- und Pflegeaufwand wesentlich zu verringern. Der "Lotus-Effekt" [1] hat in der Vergangenheit Hoffnungen geweckt, dass selbstreinigende Oberflächen technisch realisiert werden könnten. Die hohen Anforderungen an eine solche Beschichtung konnten aber bislang nur bei wenigen Anwendungen erfüllt werden [2]. Ein innovativer Ansatz geht demgegenüber von photoaktiven bzw. photokatalytischen Beschichtungen aus. Selbstreinigende Oberflächen auf dieser Basis zeigen sich in der Praxiserprobung bereits erfolgreich - Titandioxid (TiO 2 ) scheint das Mittel der Wahl zu sein, um Oberflächen Sauberkeit beizubringen. Weißer Allrounder Titandioxid ist Rohstoff für ein breites Spektrum technischer Anwendungsbereiche. Titandioxidpulver wird als Pigment in Farben, Kunststoffen, Emaille, Papier und Kosmetika eingesetzt. In Zahncreme findet es Verwendung als strahlend weißer Farbstoff sowie als Putz- oder Schleifmittel. In Sonnencreme schützt es als hautverträglicher UV-Absorber vor Sonnenbrand. Dank seines hohen Brechungsindex kann Titandioxid unter den in Lacken und Farben eingesetzten Weißpigmenten mit dem höchsten Aufhell- und Deckungsvermögen punkten. In der Natur kommt Titandioxid in drei Kristallmodifikationen vor (Abb. 1): als tetragonales Rutil, als tetragonales Anatas sowie als orthorhombisches Brookit. Bei allen drei Modifikationen ist das Titanatom oktaedrisch von sechs Sauerstoffatomen umgeben. Die verschiedenen Modifikationen unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Zahl der gemeinsamen Kanten dieser Oktaeder. Rutil ist die stabilste und lacktechnisch wichtigste Modifikation. Sowohl Anatas als auch Brookit wandeln sich bei Temperaturen zwischen 700 und 900 °C in das thermodynamisch stabilere Rutil um. Tab. 1 stellt die wichtigsten Eigenschaften der drei Modifikationen zusammen. Rutil hat den höchsten Brechungsindex und weist dadurch das höchste Streuvermögen auf. Der Brechungsindex liegt mit 2,72 weit über den Werten von SiO 2 und Al 2 O 3 -Pigmenten. Lacktechnisch ist Rutil damit als leistungsfähiges und chemisch besonders stabiles Weißpigment von Bedeutung. Photoeffekt des TiO 2 nicht verhindern, sondern ausnutzen Um Titandioxid als Weißpigment in organischen Farben und Kunststoffen einsetzen zu können, muss das Pigment vorbehandelt werden, damit es nicht zur so genannten Kreidung kommt. Bei der Kreidung wird das (organische) Bindemittel bzw. die Matrix um das TiO 2 -Partikel durch UV-Strahlung in Kombination mit Wasser oder Feuchtigkeit zerstört [3]. Letztendlich wird das TiO 2 -Pigment an der Werkstoffoberfläche freigelegt und lässt sich als weißlicher Belag abwischen. Diese Photooxidationsneigung von TiO 2 -Pigmenten ist seit langem bekannt und wird durch Beschichtung der Pigmentoberfläche mit SiO 2 -, Al 2 O 3 - oder ZrO 2 -Verbindungen verhindert. Dieses besondere Verhalten von Titandioxid-Partikeln kann jedoch ausgenutzt werden, um Oberflächenbeschichtungen mit "aktiven" selbstreinigenden Eigenschaften herzustellen. Titandioxide zeigen einen photokatalytischen Effekt: An der Oberfläche von TiO 2 laufen in Verbindung mit Wasser und UV-Strahlung (Sonnenlicht) Redox-Reaktionen ab. Dabei werden organische Substanzen abgebaut. Hinzu kommt ein weiteres Phänomen: TiO 2 -Oberflächen werden in Gegenwart von (Luft-)Feuchtigkeit und (Luft-)Sauerstoff unter UV-Bestrahlung "superhydrophil" [4]. Beide Effekte laufen parallel, haben aber unterschiedliche Auswirkungen. Je nach Zusammensetzung und Vorbehandlung des TiO 2 (z.B. Glühen), kann die photokatalytische Eigenschaft oder die Superhydrophilie überwiegen. Werden TiO 2 -Partikel in eine inerte Oberflächenbeschichtung eingelagert oder aber kristalline Titandioxidschichten in situ auf einer Oberfläche hergestellt, erhält man Oberflächen mit einem Selbstreinigungseffekt. Der Mechanismus der Redox-Reaktionen von TiO 2 ist in Abb. 2 am Beispiel der Kristallmodifikation Anatas dargestellt, der Modifikation mit der stärksten Photokatalyse-Neigung. Anatas kann unter UV-Licht (ca. 380 nm) Elektron-Elektronenloch-Paare bilden. Im Partikelinneren rekombinieren diese Elektron-Elektronenloch-Paare überwiegend unter Wärmeentwicklung. An der Partikeloberfläche laufen jedoch zusätzlich Reaktionen unter Bildung von Radikalen ab. Das Elektronenloch (h + ) reagiert mit Wasser zu reaktiven Hydroxyradikalen (Oxidation, Abb. 2). Das angeregte Elektron (e - ) reagiert mit Luftsauerstoff zu Sauerstoffsuperoxidradikalen (Reduktion, Abb. 2). Diese Radikale oxidieren organische Verbindungen und greifen Bioorganismen an. Organische Moleküle können aber auch direkt an das Titandioxid adsorbieren und durch Redox-Prozesse zersetzt werden. Organische Verschmutzungen werden dabei im Idealfall zu CO 2 und Wasser gespalten. Nano statt Mikro In Form von Mikropartikeln zeigen Titandioxide eine starke Lichtstreuung und lassen eine Beschichtung weiß oder opak erscheinen. Auf dem Rohstoffmarkt sind inzwischen immer mehr nanoskalige Titandioxide als Pulver oder Dispersionen Vincentz Network +++ Schiffgraben 43 +++ D-30175 Hannover +++ Tel.:+49(511)9910-000

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Wasserfilm statt Wasserperlen

Superhydrophile Nanotitandioxid-Beschichtungengegen Schmutz und Bewuchs.Anders als superhydrophobe Leichtreinigungs-Schichten,bei denen Schmutz von abrollenden Wassertropfenabtransportiert wird, setzen Nano-Titandioxid-haltigesuperhydrophile Beschichtungen auf einen geschlossenenWasserfilm, der sich auf der Oberfläche ausbildet, denSchmutz unterwandert, anlöst und abspült. OrganischeSubstanzen werden gleichzeitig durch die Nanopartikelphotokatalytisch zersetzt. Das Konzept eignet sich für sehrhaltbare selbstreinigende Beschichtungen von Fassadenund Gebäudeaußenkonstruktionen.*Frank Groß und Stefan Sepeur, Saarbrücken.*Korrespondierender Autor. Kontakt: Dr. Frank Groß,NANO-X GmbH, Theodor-Heuss-Str. 11a, 66130Saarbrücken, Tel: +49 (681) 95940-23, Fax +49 (681)95940-15, [email protected] Verschmutzen von Fenstern, Fassaden und anderenGebäudeaußenkonstruktionen ist ein bislangunvermeidlicher Prozess. Diese Oberflächen müssenregelmäßig gereinigt werden, um eine klare Sicht zubehalten und die Gebäudesubstanz durch Korrosion undmikrobiologischen Bewuchs nicht vorzeitig altern zu lassen.Die anfallenden Reinigungsarbeiten sind zeitaufwendig,teuer und häufig auch gefährlich. Der Personalaufwand, dieKosten sowie die Risiken der Reinigung können zwar durchautomatisierte Fassaden- und Fensterreinigungssystemereduziert werden, aber Fassadenoberflächen, die gar nichterst verschmutzen, wären die elegantere Lösung.Funktionelle Beschichtungen könnten helfen, solcheOberflächen im Idealfall "selbsttätig" sauber zu halten undsomit den Reinigungs- und Pflegeaufwand wesentlich zuverringern.Der "Lotus-Effekt" [1] hat in der Vergangenheit Hoffnungengeweckt, dass selbstreinigende Oberflächen technischrealisiert werden könnten. Die hohen Anforderungen an einesolche Beschichtung konnten aber bislang nur bei wenigenAnwendungen erfüllt werden [2]. Ein innovativer Ansatz gehtdemgegenüber von photoaktiven bzw. photokatalytischenBeschichtungen aus. Selbstreinigende Oberflächen aufdieser Basis zeigen sich in der Praxiserprobung bereitserfolgreich - Titandioxid (TiO2) scheint das Mittel der Wahlzu sein, um Oberflächen Sauberkeit beizubringen.

Weißer AllrounderTitandioxid ist Rohstoff für ein breites Spektrum technischerAnwendungsbereiche. Titandioxidpulver wird als Pigment inFarben, Kunststoffen, Emaille, Papier und Kosmetikaeingesetzt. In Zahncreme findet es Verwendung alsstrahlend weißer Farbstoff sowie als Putz- oderSchleifmittel. In Sonnencreme schützt es alshautverträglicher UV-Absorber vor Sonnenbrand. Dankseines hohen Brechungsindex kann Titandioxid unter den inLacken und Farben eingesetzten Weißpigmenten mit demhöchsten Aufhell- und Deckungsvermögen punkten.In der Natur kommt Titandioxid in drei Kristallmodifikationenvor (Abb. 1): als tetragonales Rutil, als tetragonales Anatassowie als orthorhombisches Brookit. Bei allen dreiModifikationen ist das Titanatom oktaedrisch von sechsSauerstoffatomen umgeben. Die verschiedenenModifikationen unterscheiden sich lediglich hinsichtlich derZahl der gemeinsamen Kanten dieser Oktaeder. Rutil ist diestabilste und lacktechnisch wichtigste Modifikation. SowohlAnatas als auch Brookit wandeln sich bei Temperaturenzwischen 700 und 900 °C in das thermodynamisch stabilere

Rutil um. Tab. 1 stellt die wichtigsten Eigenschaften der dreiModifikationen zusammen.Rutil hat den höchsten Brechungsindex und weist dadurchdas höchste Streuvermögen auf. Der Brechungsindex liegtmit 2,72 weit über den Werten von SiO2 und Al2O3-Pigmenten. Lacktechnisch ist Rutil damit alsleistungsfähiges und chemisch besonders stabilesWeißpigment von Bedeutung.

Photoeffekt des TiO2 nicht verhindern, sondernausnutzenUm Titandioxid als Weißpigment in organischen Farben undKunststoffen einsetzen zu können, muss das Pigmentvorbehandelt werden, damit es nicht zur so genanntenKreidung kommt. Bei der Kreidung wird das (organische)Bindemittel bzw. die Matrix um das TiO2-Partikel durchUV-Strahlung in Kombination mit Wasser oder Feuchtigkeitzerstört [3]. Letztendlich wird das TiO2-Pigment an derWerkstoffoberfläche freigelegt und lässt sich als weißlicherBelag abwischen. Diese Photooxidationsneigung von TiO2-Pigmenten ist seit langem bekannt und wird durchBeschichtung der Pigmentoberfläche mit SiO2-, Al2O3- oderZrO2-Verbindungen verhindert.Dieses besondere Verhalten von Titandioxid-Partikeln kannjedoch ausgenutzt werden, um Oberflächenbeschichtungenmit "aktiven" selbstreinigenden Eigenschaften herzustellen.Titandioxide zeigen einen photokatalytischen Effekt: An derOberfläche von TiO2 laufen in Verbindung mit Wasser undUV-Strahlung (Sonnenlicht) Redox-Reaktionen ab. Dabeiwerden organische Substanzen abgebaut. Hinzu kommt einweiteres Phänomen: TiO2-Oberflächen werden inGegenwart von (Luft-)Feuchtigkeit und (Luft-)Sauerstoffunter UV-Bestrahlung "superhydrophil" [4]. Beide Effektelaufen parallel, haben aber unterschiedliche Auswirkungen.Je nach Zusammensetzung und Vorbehandlung des TiO2(z.B. Glühen), kann die photokatalytische Eigenschaft oderdie Superhydrophilie überwiegen. Werden TiO2-Partikel ineine inerte Oberflächenbeschichtung eingelagert oder aberkristalline Titandioxidschichten in situ auf einer Oberflächehergestellt, erhält man Oberflächen mit einemSelbstreinigungseffekt.Der Mechanismus der Redox-Reaktionen von TiO2 ist inAbb. 2 am Beispiel der Kristallmodifikation Anatasdargestellt, der Modifikation mit der stärkstenPhotokatalyse-Neigung. Anatas kann unter UV-Licht (ca.380 nm) Elektron-Elektronenloch-Paare bilden. ImPartikelinneren rekombinieren dieseElektron-Elektronenloch-Paare überwiegend unterWärmeentwicklung. An der Partikeloberfläche laufen jedochzusätzlich Reaktionen unter Bildung von Radikalen ab. DasElektronenloch (h+) reagiert mit Wasser zu reaktivenHydroxyradikalen (Oxidation, Abb. 2). Das angeregteElektron (e-) reagiert mit Luftsauerstoff zuSauerstoffsuperoxidradikalen (Reduktion, Abb. 2). DieseRadikale oxidieren organische Verbindungen und greifenBioorganismen an. Organische Moleküle können aber auchdirekt an das Titandioxid adsorbieren und durchRedox-Prozesse zersetzt werden. OrganischeVerschmutzungen werden dabei im Idealfall zu CO2 undWasser gespalten.

Nano statt MikroIn Form von Mikropartikeln zeigen Titandioxide eine starkeLichtstreuung und lassen eine Beschichtung weiß oder opakerscheinen. Auf dem Rohstoffmarkt sind inzwischen immermehr nanoskalige Titandioxide als Pulver oder Dispersionen

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verfügbar. Diese Partikel zeigen eine weitaus geringereStreunung als die Mikropartikel. Mit nanoskaligen Teilchenlassen sich daher hoch transparente TiO2-Beschichtungenherstellen. Diese "TiO2-Nanos" haben ein im Vergleich zuMikropartikeln stark vergrößertesOberfläche-zu-Volumen-Verhältnis. Deswegen läuft beiihnen die Photooxidation bevorzugt gegenüber der(deaktivierenden) Rekombination ab (Abb. 2).Photokatalytisch selbstreinigende Beschichtungen füranorganische Untergründe sind bereits in der Literaturbeschrieben [5-8] und werden beispielsweise aufKeramikfliesen [9] oder auf Architekturglas [10, 11]eingesetzt, um die Anschmutzung zu verringern und dieReinigung zu vereinfachen.

Selbstreinigende KunststoffoberflächenAnwendungen von photokatalytischen Beschichtungen aufKunststoffen wurden dagegen bisher nicht veröffentlicht. Diegeläufigen organischen Polymertypen, wie Polycarbonat(PC), Polymethylmethacrylat (PMMA), Polyvinylchlorid(PVC), werden, nicht anders als organischeVerschmutzungen, durch die reaktiven TiO2-Partikelangegriffen und zerstört - die Beschichtung würde sichinnerhalb kürzester Zeit ablösen. Die Kunststoffoberflächemuss also vor dem oxidierenden Licht-Effekt der TiO2-Partikel geschützt werden.Deshalb wurde ein 2-Schichtkonzept erarbeitet (Abb. 3).Nach diesem patentierten Verfahren [12] wird zunächst eineUnterschicht bzw. ein Primer auf das Kunststoffsubstrataufgebracht. Unmittelbar danach erfolgt eineNass-in-Nass-Beschichtung der funktionellen Oberschichtmit TiO2-Nanopartikeln. Abschließend wird derSchichtverbund bei Temperaturen zwischen 60 und 130 °Cgetrocknet. Die Trockenschichtdicke der Unterschicht liegtim Bereich von 1 bis 5 µm, die der Oberschicht im Bereichvon 50 bis 100 nm. Durch die dünne, transparenteBeschichtung bleiben der Glanz und die Farbe desUntergrundes weitestgehend erhalten.Die Hauptaufgabe der Unterschicht ist der Schutz desorganischen Kunststoffsubstrats gegen Angriff undZerstörung durch den photokatalytischen Effekt. DesWeiteren dient diese Schicht als Haftvermittler zwischenSubstrat und Oberschicht. Die Sperrwirkung derUnterschicht verhindert zudem, dass störende Substanzen,wie Weichmacher, Wachse oder andere Prozesshilfsmittelaus der Kunststoffherstellung, aus dem Substrat in dieOberschicht wandern. Umgekehrt verhindert dieUnterschicht, dass Schmutz oder andere färbende Stoffe indas Kunststoffsubstrat eindringen und dort die Optik derOberfläche negativ beeinflussen (Migrationsschutz). DieUnterschicht basiert auf Siliziumdioxid (SiO2) und zeigtbereits gut Wasser benetzende Eigenschaften (Hydrophilie).Diese Hydrophilie, in Kombination mit einer feinenNanostruktur, sorgt dafür, dass anorganischeVerschmutzungen - die prinzipiell nicht photokatalytisch anden TiO2-Partikel abgebaut werden - von einem Wasser-bzw. Feuchtigkeitsfilm (Regen, Tauwasser) einfachunterwandert und abgewaschen werden. Die Unterschichtfür sich genommen zeigt also bereits einen passivenReinigungseffekt. Ohne die Oberschicht würden sich auf derhydrophilen Unterschicht jedoch mit der Zeit organischeVerbindungen aus Schmutzimmissionen niederschlagen, diefest auf der Oberfläche haften und zu einerHydrophobierung und somit zu einer Störung desReinigungseffektes führen. Die Oberschicht, auch aktiveWirkstoffschicht genannt, zersetzt diese organischenVerbindungen durch die photokatalytische Wirkung der TiO2-Nanopartikel bzw. kappt deren "Haftungsbrücken" zurSchicht (aktiver Selbstreinigungseffekt). Auf diese Weise

wird der organische Belag angelöst, die Oberfläche bleibtdauerhaft superhydrophil, anorganische und organischeVerschmutzungen werden durch Regenwasser oder selbstdurch Tauwasser leicht unterwandert und abgewaschen.

Superhydrophil statt superhydrophobDas beschriebene Prinzip der kombiniert passiv-aktivenSelbstreinigung ist unter dem Namen"Catalytic-Clean-Effect" bzw. "CC-Effect" als Markeeingetragen. Gegenüber dem oft in der Literatur zitierten"Lotus-Effekt" [13,14] zeigt dieser Effekt deutliche Vorteile:Eine ausreichende mechanische Abriebfestigkeit, langeHaltbarkeit und ein Selbstreinigungseffekt auch auf nichtdirekt beregneten Oberflächen lassen sich nach diesemKonzept wesentlich einfacher technisch realisieren.Die Wirkungsweise und die Eigenschaften stark Wasserspreitender (superhydrophiler) und stark Wasserabstoßender (superhydrophober) Beschichtungen sind inTab. 2 gegenübergestellt. Sowohl durch extrem Wasserspreitende ("Wasserfilm") als auch durch extrem Wasserabstoßende Beschichtungen ("Wasserperlen") könnenselbstreinigende Oberflächeneigenschaften erzielt werden.Die Mechanismen sind dabei aber völlig verschieden: Beider superhydrophilen Beschichtung wird der Schmutzunterwandert und abgelöst. Im Falle einerSuperhydrophobbeschichtung ("Lotus-Effekt") sind dieAdhäsionskräfte zwischen Schmutz und Oberfläche extremgering, der Schmutz wird einfach im abperlenden Wassereingeschlossen. Die für die Superhydrophobie notwendigeMikrostruktur ist aber sehr empfindlich gegen mechanischeVerletzungen. Auch Fingerfett oder harzigeVerschmutzungen können sich in der Struktur festsetzen.Dadurch wird der Reinigungseffekt gestört oder sogarkomplett geschädigt. Demgegenüber sind diesuperhydrophilen Oberflächen weitaus robuster. Währenddie Mikrostruktur von superhydrophoben Oberflächen dieOptik oft matt erscheinen lässt, bleiben die Farbe und derGlanz des Untergrundes unter den dünnensuperhydrophilen Beschichtungen ohne Beeinträchtigungerhalten (transparente Schichtoptik).Superhydrophile Easy-to-clean-Beschichtungen könnenprinzipiell im gesamten Gebäudeaußenbereich (z.B. alsselbstreinigende Fensterprofile, Fassaden undSonnenschutzlamellen) eingesetzt werden.Zur Aktivierung der Oberflächenbeschichtung reichenbereits indirektes Sonnenlicht sowie Feuchtigkeit durchRegen oder Tau aus. Deshalb zeigen diese Beschichtungensogar eine Selbstreinigungswirkung auf nicht direktberegneten Fassadenflächen, etwa unterhalb des Dachesoder auf zurück gebauten Fassadenbereichen.In Abb. 4 ist eine photokatalytische Beschichtung auf einemPVC-Fensterrahmen im Vergleich zu einem herkömmlichenKunststofffenster dargestellt. Auch nach mehreren JahrenAußenbewitterung ist das beschichtete Fensterprofil immernoch deutlich weniger verschmutzt als die unbeschichteteReferenz. Während bei dem unbeschichteten Fenster derSchmutz in den Kunststoff eingedrungen ist und diesenverfärbt hat, sind die Oberflächen des beschichtetenFensterrahmens immer noch weitgehend weiß und sauber.

Literatur[1] www.lotus-effekt.de[2] Sto AG, Lotusan Fassadenfarbe, www.lotusan.de[3] H.G. Völz, G. Kämpf, A. Klaeren, Die photochemischeAbbaureaktion bei der Bewitterung TiO2-pigmentierterBindemittel, Farbe & Lack 805 (1976), S. 82[4] A. Fujishima, T. N. Rao, D. A. Tryk, Journal ofPhotochemistry and Photobiology C: PhotochemistryReviews 1 (2000) 1-21

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[5] St. Gobain, Europäische Patentschrift EP 0850204 B1,"Substrat mit photokatalytischer Beschichtung"[6] St. Gobain, Europäische Patentschrift EP 01132351 B1,"Substrat mit photokatalytischer Beschichtung"[7] Pilkington, Europäische Patentanmeldung EP 01608793A1, "Titandioxid-Beschichtungen"[8] Pilkington, Europäische Patentschrift EP 0944557 B1,"Verfahren zur Abscheidung von Beschichtungen ausZinnoxid und Titanoxid auf Flachglas und so BeschichtetesGlas"[9] Deutsche Steinzeug, KerAion Hydrotec,www.deutsche-steinzeug.de[10] St. Gobain, SGG Bioclean,www.saint-gobain-glass.com[11] Pilkington Aktiv, www.pilkington.com[12] NANO-X GmbH, Patent DE 101 58 433.4-43,"Beschichtung"[13] W. Barthlott, Europäisches Patent 95927720.3/0772514(1998): "Selbstreinigende Oberflächen von Gegenständensowie Verfahren zur Herstellung derselben",[14] Erlus Baustoffwerke, Deutsches Patent DE 19958321A1 "Verfahren zur Erzeugung einerSelbstreinigungseigenschaft von keramischen Oberflächen"[15] Department of Geological Sciences, Mineral StructuresLaboratory, University of Colorado, Boulder, CO 80309(USA), http://ruby.colorady.edu/~smyth/min/tio2.html

Ergebnisse auf einen Blick- Mit photokatalytisch aktiven Nanotitandioxid-Partikelnlassen sich superhydrophile selbstreinigendeBeschichtungen herstellen.- Dank der superhydrophilen Nanostruktur wird Schmutz vonWasser unterwandert, angelöst und abgespült. OrganischeSubstanzen werden durch TiO2-Nanopartikel katalytischzersetzt.- Die wenige Mikrometer dünne Beschichtung isttransparent, d.h. die Farbgebung erfolgt durch denUntergrund. Der Glanz bleibt weitgehend erhalten.- Die Aktivkomponente TiO2 ist ungiftig und ein in der Naturvorkommender Stoff. Die TiO2-Nanopartikel sind fest in derMatrix eingebunden. Es werden im Gegensatz zu vielensuperhydrophoben Beschichtungen keine schwerabbaubaren Fluorverbindungen eingesetzt.- Die Oberfläche verschmutzt nicht nur weniger, auch dermikrobiologische Bewuchs (Algen, Moos, Flechten, Pilze)wird gehemmt.- Die superhydrophilen Beschichtungen zeigen gegenübersuperhydrophoben Beschichtungen eindeutige Vorteile inBezug auf die technische Realisierung (Lebensdauer,Abriebbeständigkeit, Effekt auch auf nicht direkt beregnetenFlächen).

Dr. Frank Groß,NANO-X GmbH, Jahrgang 1969, studierte Chemie an derUniversität des Saarlandes. Diplom- und Doktorarbeitfertigte er am Institut für Neue Materialien (INM) inSaarbrücken an. Von 1998 bis 1999 war erF&E-Gruppenleiter am INM in der Abteilung von Dr. Sepeur.Seit 2000 ist er bei der NANO-X GmbH als Abteilungsleiterfür die Entwicklung von Easy-to-clean-, Antifingerprint-sowie selbstreinigenden Beschichtungen zuständig.

Dr. Stefan Sepeur,NANO-X GmbH, Jahrgang 1969, studierte Chemie an derUniversität des Saarlandes. Nach der Diplom- undDoktorarbeit am Institut für Neue Materialien (INM) inSaarbrücken übernahm er dort 1998 die Leitung derAbteilung Werkstoff- und Verfahrensentwicklung, die sichmit Nanokompositen zur Oberflächenbeschichtung

beschäftigte. Seit 1999 ist er Geschäftsführer der von ihmmitgegründeten NANO-X GmbH.

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Abb. 1: Kristallstrukturen des Titandioxid (TiO2): Rutil, Anatas und Brookit [14].

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Abb. 2: Vorgänge bei der Anregung von Titandioxid (Kristallmodifikation Anatas) durchUV-Licht in Gegenwart von Wasser.

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Abb. 3: Aufbau einer photokatalytischen Beschichtung (2-Schichter) auf einerKunststoffoberfläche [11].

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Abb. 4: PVC-Fensterrahmen mit photokatalytischer Selbstreinigungsschicht (links) imVergleich zu einem unbeschichteten Kunststofffenster (rechts) jeweils nach mehr als

zwei Jahren Freibewitterung.

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