135

Weltmission heute Nr. 61 - Startseite | EMW · gramms vor Ort mussten in angespannten Situationen mit den Freiwilli- gen gemeinsam herausfinden, wo die Unterschiede zwischen den Grup-

  • Upload
    vocong

  • View
    213

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

1EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Weltmission heute Nr. 61Weltmission heute Nr. 61Weltmission heute Nr. 61Weltmission heute Nr. 61Weltmission heute Nr. 61

Evangelisches Missionswerk in DeutschlandEvangelisches Missionswerk in DeutschlandEvangelisches Missionswerk in DeutschlandEvangelisches Missionswerk in DeutschlandEvangelisches Missionswerk in Deutschland

ÖKUMENISCHER FRIEDENSDIENSTÖKUMENISCHER FRIEDENSDIENSTÖKUMENISCHER FRIEDENSDIENSTÖKUMENISCHER FRIEDENSDIENSTÖKUMENISCHER FRIEDENSDIENSTIN PALÄSTINA UND ISRAELIN PALÄSTINA UND ISRAELIN PALÄSTINA UND ISRAELIN PALÄSTINA UND ISRAELIN PALÄSTINA UND ISRAEL

ERFAHRUNGSBERICHTEERFAHRUNGSBERICHTEERFAHRUNGSBERICHTEERFAHRUNGSBERICHTEERFAHRUNGSBERICHTE

TAUBE, KREUZTAUBE, KREUZTAUBE, KREUZTAUBE, KREUZTAUBE, KREUZUNDUNDUNDUNDUND

STACHELDRAHTSTACHELDRAHTSTACHELDRAHTSTACHELDRAHTSTACHELDRAHT

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:221

2 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

ImpressumHerausgeber: Evangelisches Missionswerk in Deutschland (EMW)

Hamburg, 2005Redaktion: Karin Bräuer (verantwortlich)Redaktionelle Begleitung: Barbara Thiel, Christine Raiser-SüchtingLayout: Margrit GerlachUmschlag: Ralph S. KönekeTitelbild: Ausschnitt aus dem EAPPI-LogoDruck: MHD-Druck, HermannsburgBezug: EMW, Normannenweg 17-21, 20537 Hamburg

Tel: 040/ 254 56-148, Fax: 040/ 254 56-448E-mail: [email protected]

(Bezug kostenlos, Spende zur Deckung der Herstellungskosten herzlich erbeten:Konto 400 300 bei der EDG Kiel, BLZ 210 602 37)ISSN: 1430-6530

Über das Logo: Für das EAPPI-Logo sind drei Symbole verwen-det worden: eine Taube, ein Kreuz und Stacheldraht. Sie sollendie ökumenischen Begleiter und Begleiterinnen als Botschafterund Botschafterinnen der Hoffnung, der Gewaltlosigkeit und desFriedens ausweisen. Das Licht, das von der Mitte des Kreuzes

ausgeht, soll den Weg dieser Begleit-personen erhellen. Sie werden vonihren Kirchen ausgewählt, um Men-schen in Palästina und Israel zu helfen,die Barrieren der Besetzung, der Unge-rechtigkeit und der Spaltung zu über-winden.

Das Programm ist ein zentrales Element der „ÖkumenischenKampagne zur Beendigung der rechtswidrigen Besetzung Palästi-nas und für einen gerechten Frieden im Nahen Osten“ und damitTeil der weltweiten ökumenischen Reaktion auf den Konfliktzwischen Palästina und Israel. Daher werden auch die Themenund Farben des Kampagnen-Posters verwendet. Das Dunkelrot,das Vielen von palästinensischen Stickereien her bekannt ist, sollbewirken, dass das Logo mit der Region verbunden wird, wäh-rend das leuchtende Orange des Kreuzes dafür sorgen soll, dassProgramm und Begleitpersonen weithin sichtbar und sofort zuidentifizieren sind.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:222

3EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

InhaltInhaltInhaltInhaltInhaltVorwortVorwortVorwortVorwortVorwort„Im Anderen den Mitmenschen erkennen“ .............................................5Maren von der HeydeTheologische ReflexionTheologische ReflexionTheologische ReflexionTheologische ReflexionTheologische ReflexionDer begleitende Gott ................................................................................ 11Dieter ZiebarthEinleitungEinleitungEinleitungEinleitungEinleitungKleine Schritte ermöglichen Veränderung ........................................... 14Nicolai GießlerBethlehemBethlehemBethlehemBethlehemBethlehemIm Schatten der Mauer ............................................................................ 20Mechtild KappeteinAusgangssperre ........................................................................................ 28Ute CaspersDie Kinder von Bethlehem...................................................................... 32Dieter ZiebarthStadt der Flüchtlinge ............................................................................... 40Dieter ZiebarthAl WalajehAl WalajehAl WalajehAl WalajehAl Walajeh – Ein Dorf in Bedrängnis .................................................. 48Christine Raiser-SüchtingBeit JalaBeit JalaBeit JalaBeit JalaBeit Jala .......................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................52Christine Raiser-SüchtingBeit SahourBeit SahourBeit SahourBeit SahourBeit SahourAsyl für Ölbäume ..................................................................................... 57Dieter ZiebarthMusik am Checkpoint (I) ......................................................................... 61Nicolai GießlerGazaGazaGazaGazaGazaGaza – Bethlehem, eine Familiengeschichte ........................................ 63Brigitta BöckmannUnterwegs in Gaza –eine unmögliche Möglichkeit ................................................................. 66Brigitta BöckmannMusik am Checkpoint (II) ........................................................................ 69Brigitta Böckmann

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:223

4 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

NablusNablusNablusNablusNablusUnbarmherzig – Auf dem Weg zu den Samaritanern ........................ 72Christoph GockeWahlsieg ohne Wahlkampf .................................................................... 76Christoph GockeRamallah – ein Blitzlicht ........................................................................ 81Birgit PaulJayyousJayyousJayyousJayyousJayyousAbgetrennt von Land und Wasser ........................................................ 83Barbara ThielNächtlicher Überfall ................................................................................. 90Barbara ThielDer Tag, an dem Tawfik Salim seinen Olivenhain verlor .................. 92Christoph GockeIn JerichoJerichoJerichoJerichoJericho ...................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................100Barbara ThielHalhulHalhulHalhulHalhulHalhul – Ein kleiner Soldat .................................................................. 102Barbara ThielHebronHebronHebronHebronHebronSchulalltag in Hebron ........................................................................... 104Brigitta BöckmannUnterwegs mit Schäfern und ihren Herden ....................................... 108Brigitta Böckmann„Ich bin nicht nur Soldat, ich bin auch ein Mensch“ ..................... 112Brigitta BöckmannSawahrehSawahrehSawahrehSawahrehSawahrehBlüht noch Hoffnung angesichts der Mauer? .................................... 115Franz-Roger Reinhard„Jetzt ist er mein Bruder“ ..................................................................... 118Franz-Roger ReinhardNachklangNachklangNachklangNachklangNachklangWie das Graben einer Rinne ................................................................ 121Franz-Roger Reinhard„Die Frucht der Gerechtigkeit wird Friede sein“ ............................... 123Barbara ThielDas Netzwerk .......................................................................................... 125Christine Raiser-SüchtigAutorinnen und Autoren ...................................................................... 127Deutsche Koordinationsgruppe ............................................................ 130

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:224

5EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

VorwortVorwortVorwortVorwortVorwort

„Im Anderen den„Im Anderen den„Im Anderen den„Im Anderen den„Im Anderen denMitmenschen erkennen“Mitmenschen erkennen“Mitmenschen erkennen“Mitmenschen erkennen“Mitmenschen erkennen“

Das Ökumenische FriedensbegleitprogrammDas Ökumenische FriedensbegleitprogrammDas Ökumenische FriedensbegleitprogrammDas Ökumenische FriedensbegleitprogrammDas Ökumenische Friedensbegleitprogrammin Palästina und in Israelin Palästina und in Israelin Palästina und in Israelin Palästina und in Israelin Palästina und in Israel

Auslöser war die zweite Intifada. Die Menschenrechtslage in denbesetzten Gebieten hatte sich im Zuge der Erhebung der palästi-nensischen Bevölkerung gegen die israelische Besetzung drama-

tisch verschlechtert. Militärische Gewalt auf der einen Seite, Selbstmord-attentate auf der anderen machten wieder und weiterhin unzählige Men-schen zu Opfern. Politische Lösungen rückten in weite Ferne. In dieserSituation baten die Kirchenführer Jerusalems den Ökumenischen Rat derKirchen (ÖRK) in Genf um Hilfe. Nach intensiven Überlegungen initiierteder ÖRK ein knappes Jahr später im Rahmen der Dekade zur Überwin-dung der Gewalt (2001-2010) ein Ökumenisches Begleitprogramm, das„Ecumenical Accompaniment Program in Palestine and Israel“ (EAPPI).Es soll der „Ökumenischen Kampagne zur Beendigung der rechtswidri-gen Besetzung Palästinas und für einen gerechten Frieden im Nahen Os-ten“ konkrete Gestalt geben. Wegen seiner konzeptionellen Nähe zu an-deren Friedensdiensten heißt es im Deutschen „Ökumenischer Friedens-dienst in Palästina und Israel“, kurz ÖFPI.

ÖFPI ist ein Programm, das die langjährigen Erfahrungen des ÖRK inder Arbeit mit Menschenrechtsfragen aufnimmt und das gleichzeitigmultilateral ist. Der ÖRK wirkt als Knotenpunkt und Plattform, der dieStandards überwacht und die Freiwilligen über ein Team von Verant-wortlichen in Jerusalem begleitet. Eine ständige Referenzgruppe der „Be-gleiteten“ in Palästina und in Israel berät den ÖRK dabei. Auswahl, Vor-bereitung und Entsendung der Ökumenischen Freiwilligen wie auch dieBegleitung nach der Rückkehr liegen in den Ländern bzw. bei den betei-ligten Kirchen. Deren nationale Büros, Koordinatorinnen und Koordina-toren, oder wie in Deutschland, ein Koordinationskreis, pflegen die Kon-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:225

6 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

takte. Sie sind für die Öffentlichkeitsarbeit „Zuhause“ zuständig. Auf die-se Weise bleibt die Initiative jeweils dort, wo sie ist. Sie bleibt auf dieseWeise sehr lokal, aber auch dem jeweiligen Kontext verhaftet. So bringenbeispielsweise die deutschen Freiwilligen Lernerfahrungen aus dem Ver-hältnis der Kirchen zu Israel ein.

Die Einsicht in die schuldhafte Verstrickung der Kirchen in die jahr-hundertelange Entwertung und Ausgrenzung der Juden, prägt die deut-schen Freiwilligen auf andere Weise als andere Freiwillige. Viele sehenihre Aufgabe daher auch darin, angesichts der vielen getrennten Bemü-hungen um deutsch-israelische und deutsch-palästinensische Verständi-gung in einem Programm mitzuarbeiten, das den Anspruch hat, Men-schen auf beiden Seiten zu begleiten. Sie verstehen ihre Arbeit als einenotwendige Ergänzung. Und sie finden es wichtig im Rahmen des Pro-gramms an die Gewalt zu erinnern, die jahrhundertelang von den Pre-digten in den Kirchen gegen Juden ausging und die ihren furchtbarenHöhepunkt im Mittun und schweigenden Zulassen der Shoah hatte.Dabei wird es leider oft genug nötig darauf hinzuweisen, dass nicht nur„die Deutschen dieses Problem haben“. Deutlich wird stattdessen, wieschwierig es ist in Bezug auf Israel nicht zu pauschalisieren und jüdi-schen Gläubigen ihre Verschiedenheit von uns und untereinander zu las-sen. Interessanterweise stellt sich die Frage im Verhältnis zu Muslimenangesichts der Gastfreundschaft der muslimischen Gemeinden auf derpalästinensischen Seite bisher nicht in gleicher Weise. Dem ÖRK ist sehrdaran gelegen, dass die deutschen Freiwilligen solche Fragen in die Ar-beit hineintragen.

Brücken für VerständigungBrücken für VerständigungBrücken für VerständigungBrücken für VerständigungBrücken für Verständigung

Die Zahl der Freiwilligen aus Deutschland ist im Vergleich zu anderenLändern noch nicht sehr groß. Denn obwohl von Anfang an bei der Kon-zeption im ÖRK beteiligt, führten nicht geklärte Versicherungsfragendazu, dass der deutsche Beitrag nach einer ersten Entsendung von fünfFreiwilligen durch den Evangelischen Entwicklungsdienst im Herbst2002 für ein Jahr ausgesetzt war. Das gemeinsame Unbehagen darüber,dass ausgerechnet die deutschen Kirchen und Werke nicht beteiligt seinund damit ihre Lernerfahrungen nicht einbringen würden, vor allem abereine Entsendung durch die katholische Friedensorganisation Pax ChristiAnfang 2004, führten schließlich gemeinsam mit den katholischen Part-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:226

7EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

nern zur Lösung der Versicherungsfrage und zu einem neuen Konzept.Seit gut eineinhalb Jahren verantwortet eine Gruppe der zuständigenReferentinnen und Referenten – der zuvor erwähnte Koordinationskreis– aus dem Berliner Missionswerk, von Brot für die Welt, dem Evangeli-schen Entwicklungsdienst, dem Evangelischen Missionswerk in Süd-westdeutschland, von Pax Christi und dem Evangelischen Missionswerkin Deutschland (EMW) gemeinsam den deutschen Anteil des internatio-nalen Programms. Das EMW hat die nationale Koordination übernom-men.

Wie seinerzeit für das Begleitprogramm in Südafrika werden Freiwilligegesucht, die bereit sind die Menschen in der Krise auf beiden Seiten zu be-gleiten. Die das Programm entwarfen, waren von Beginn an davon über-zeugt, dass die Krise nicht nur die palästinensische, sondern auch die israe-lische Gesellschaft in Mitleidenschaft ziehen würde. Darum sollte das neuaufgelegte Programm nicht nur der palästinensischen Seite, sondern auchder israelischen Seite Begleitung anbieten. Die Methode war: Menschenwerden gesucht, die für einen längeren Zeitraum kommen, mitgehen undvon dem berichten, was sie sehen und erleben. Die Hoffnung war, dass überdie Berichte der Ökumenischen Freiwilligen gerade die Opfer selbst zu Wortkommen würden, die von den internationalen Medien und nach dem politi-schen Willen der beteiligten Befehlshaber häufig noch einmal zu Opferngemacht wurden. Die Berichte der Ökumenischen Freiwilligen sollen denMenschen auf allen Seiten ein Gesicht und einen Namen geben. Das Ziel ist,ihnen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Sie sollen spüren, dass für siein einer Zeit scheinbar allmächtiger Gewalt alternative Wege denkbar sindund ihnen auch ermöglicht werden, wie zum Beispiel mit Rechtsmitteln ge-gen Enteignungen vorzugehen.

Das allein ist schon viel. Das I für Israel in dem Programm hat diesenAnspruch noch einmal erhöht. Viele Kritiker fanden es anmaßend, dassausgerechnet die Kirchen und insbesondere der ÖRK, der aus israelischerund aus jüdischer Sicht für seine kritische Haltung gegenüber Israel be-kannt ist, auf Alternativen für die Zukunft hinweisen will. Es war und istnicht einfach, das Misstrauen zu überwinden und deutlich zu machen,dass die Kirchen mit diesem Programm als Brücken für eine bessere Ver-ständigung arbeiten wollen. Erschwerend kam hinzu, dass zur gleichenZeit säkulare Gruppen Freiwillige aus aller Welt anwarben, um mit denPalästinensern solidarisch zu sein. Die Verantwortlichen des ÖRK-Pro-gramms vor Ort mussten in angespannten Situationen mit den Freiwilli-gen gemeinsam herausfinden, wo die Unterschiede zwischen den Grup-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:227

8 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

pen liegen. Und erfuhren dabei, dass zwischen Begleitung und Aktion oftnur eine dünne Linie zu finden ist. Mittlerweile aber gibt es viele Erfah-rungen, die sichtbar gemacht haben, wo aus Begleitung eine Aktion wird,die ihre eigene Dynamik entfaltet und dabei möglicherweise nicht mehrhellhörig genug ist, um den Interessen der Begleiteten zu dienen. Dabeiwird oft auch schmerzlich bewusst, wie eng die Grenzen der Begleitungsind. Sie sind sowohl den Begleiteten als auch den Begleitern bekannt.Ihre Einhaltung muss immer wieder neu reflektiert werden. Dabei wächstnicht nur dem ÖRK-Team in Jerusalem, sondern zunehmend auch den„Begleiteten“ eine große Kompetenz zu.

Ein Modell für ökumenischeEin Modell für ökumenischeEin Modell für ökumenischeEin Modell für ökumenischeEin Modell für ökumenischeKirchengemeinschaft …Kirchengemeinschaft …Kirchengemeinschaft …Kirchengemeinschaft …Kirchengemeinschaft …

Voraussetzung für die Teilnahme am Ökumenischen Friedensdienst istein Mindestalter von 25 Jahren. Es werden gute Englischkenntnisse er-wartet und das Wissen um die Konfliktgeschichte. Vor allem aber wirddie Fähigkeit erwartet, auch unter Anspannung der begrenzten Rolle alsBegleiterin und Begleiter bewusst zu bleiben und gewaltfrei zu agieren.Auswahl, Trainingsseminare vor und nach der Ausreise und die Beglei-tung vor Ort ermöglichen dies. Jeder Einsatz beginnt mit einer Einfüh-rung in Jerusalem, der ein Kurzbesuch am späteren Einsatzort vorangeht.So soll der Kontakt zur Vorgängergruppe geknüpft werden, damit die amOrt erforderliche Präsenz der Freiwilligen weiterentwickelt werden kann.Das ÖFPI-Team des ÖRK in Jerusalem stattet die Freiwilligen mit allemNötigen aus. Neben kleinen Wohnungen, in denen sie zusammen woh-nen, gehören dazu die weithin sichtbaren Westen, die sie als Freiwilligedes ÖRK ausweisen, mobile Telefone und digitale Kameras. Vor allemaber koordiniert das Team die Arbeit, besucht die Einsatzorte, berät undbegleitet die „Begleiteten“ und die Freiwilligen, erstellt die Berichte undmacht Öffentlichkeitsarbeit für den ÖRK. In schwierigen Situationen istdas Team in Jerusalem Ansprechpartner.

Die jeweils bis zu zwölf Freiwilligen verteilen sich nach der Orientie-rungs- und Einführungsphase auf Jerusalem, wo vor allem Kontakt zuisraelischen Nichtregierungsorganisationen gesucht und gepflegt werdensoll, sowie auf Bethlehem mit den Gemeinden Beit Jala und Beit Sahour,auf Ramallah, Hebron, Jayyous mit Tulkarem und Janun. Gaza und Nab-lus mussten aufgrund von Sicherheitserwägungen und militärischen

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:228

9EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Anweisungen aus dem Programm genommen werden. Mittlerweile ha-ben über zweihundert Freiwillige am ÖFPI-Programm teilgenommen. Siewaren jeweils für drei bis sechs Monate im Land; einige verlängerten denauf drei Monate vorgesehenen Aufenthalt noch einmal um den gleichenZeitraum. Andere kamen wieder, wie die aus Südafrika stammende ge-genwärtige Leiterin des Büros in Jerusalem. Das Bewegende am ÖFPI-Programm sind die Begegnungen und die gemeinsamen Lernerfahrun-gen, die mancher und manchem oft erst viel später bewusst werden. DasBuch wird einiges davon erzählen.

Die Begegnungen finden auf allen Ebenen statt: Zunächst natürlich imHeiligen Land selbst, außerdem im Rahmen des ÖRK bei Konferenzenund Treffen der Verantwortlichen. Die größte Anzahl von Begegnungenaber finden statt in den Gemeinden, in denen die Freiwilligen nach ihrerRückkehr berichten – in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich, Groß-britannien, Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, in Kanada, denUSA, in Südafrika. Begegnungen finden statt in den Werken und Kir-chen, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auswählen, Finanzen bereit-stellen und das Programm kritisch begleiten und diskutieren. Gerade weildiese Begegnungen sehr persönlich sind, haben sie Bedeutung. Sie tra-gen dazu bei, Vorurteile und Bilder zu verändern und machen die kom-plexe Wirklichkeit offenbar. Vielleicht tragen sie dann auch ein wenigdazu bei, dass die Menschen in der Krise, denen die Begleitung dienensoll, ihre Sprachlosigkeit überwinden und damit Worte, ihre Hoffnungen,ihre Träume und vor allem ihren Glauben wieder finden. Viele, unterihnen Munib Younan, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche inJordanien und dem Heiligen Land, sehen in diesem Programm daher einModell für die ökumenische Zusammenarbeit der Kirchen.

… … … … … die Grenzen und Generationen übergreift

Auch in Deutschland sind wir auf dem Weg. Erste Kontakte zur AktionSühnezeichen und Friedensdienste (ASF) und zu Nes Ammim, und damitzu Organisationen, die sich seit Jahrzehnten hier und dort um eine neueVerständigung zwischen Israelis und Deutschen, Christen und Juden be-mühen, lassen hoffen, dass die hierzulande engagierten Organisationenzukünftig nicht mehr in den Konflikt widerspiegelnde Lager auseinanderfallen, sondern gemeinsam Brücken bauen.

Die Stärke und zugleich die Schwäche von ÖFPI ist, dass es auf unzäh-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:229

10 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

lig vielen menschlichen Komponenten fußt. Die Freiwilligen kommenaus vielen verschiedenen Ländern und bringen dem Konflikt gegenübersehr unterschiedliche Prägungen mit. Die meisten von ihnen stehen amEnde ihrer Berufstätigkeit oder sind bereits im Ruhestand. Manche, unterihnen vor allem Skandinavier, sind noch sehr jung. Die ÖkumenischenFreiwilligen sind daher nicht nur gefordert, die verschiedenen Zugängezum Konflikt und zu Frömmigkeitsformen auszuhalten. Menschen aussehr verschiedenen Generationen müssen lernen zusammenzuleben. Daserfordert von den Freiwilligen notwendigerweise viel Aufmerksamkeitfüreinander, was angesichts der Spannungen an den Einsatzorten undder Aufgabe, nicht in Aktivismus zu verfallen, manchmal schwer zu er-tragen ist. Dennoch äußern gerade die Begleiteten, dass das ÖFPI-Pro-gramm eine gute Unterstützung und Hilfe in einer schwierigen Zeit ist:„Die Menschen haben das Gefühl“, so Nidal Abu-Zuluf aus Bethlehem,„dass sie nicht allein gelassen sind in ihrem Kampf für Freiheit, Friedenund Gerechtigkeit.“ Das haben beide Seiten bitter nötig.

Mit der vorliegenden Publikation will der Koordinationskreis des Öku-menischen Freiwilligenprogramms in Deutschland auf die Berichte derFreiwilligen aufmerksam machen, die seit dem Jahr 2002 aus Deutsch-land an dem Programm teilgenommen haben. Ein großer Teil der hierfürnotwendigen Arbeiten ist von den Freiwilligen selbst geleistet worden.Den Anstoß hatte ein erstes Treffen aller Ehemaligen mit dem gesamtenKoordinationskreis im Juni 2005 gegeben. Den Kolleginnen im EMW seiDank, dass sie die Publikation in dem knappen Zeitrahmen auf den Weggebracht haben.

Allen war es ein gemeinsames Anliegen, den „Ökumenischen Frie-densdienst in Palästina und Israel“ einer größeren Öffentlichkeit bekanntzu machen. Sie sind davon überzeugt, dass das ÖRK-Programm eine be-sondere Form der ökumenischen Zusammenarbeit ist.

Maren von der Heyde Hamburg, Oktober 2005

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2210

11EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Der begleitende GottDer begleitende GottDer begleitende GottDer begleitende GottDer begleitende Gott

Reflexion zu einer Theologie der BegleitungReflexion zu einer Theologie der BegleitungReflexion zu einer Theologie der BegleitungReflexion zu einer Theologie der BegleitungReflexion zu einer Theologie der Begleitung

Dieter Ziebarth

Accompaniment“ – „Begleitung“ ist das Leitwort des Begleitpro-gramms für Israel und Palästina, das der Ökumenische Rat der Kir- chen (ÖRK) im Jahr 2002 initiierte. Nun gehört das Wort „Beglei-

tung“ nicht gerade zu der uns vertrauten theologischen Begrifflichkeit.Gleichwohl liegt dem Programm durchaus eine genuin christliche Moti-vation zu Grunde wie die folgenden Reflexionen zu einer „Theologie derBegleitung“ verdeutlichen.

„Gehe in ein Land, das ich Dir zeigen werde!“ –„Gehe in ein Land, das ich Dir zeigen werde!“ –„Gehe in ein Land, das ich Dir zeigen werde!“ –„Gehe in ein Land, das ich Dir zeigen werde!“ –„Gehe in ein Land, das ich Dir zeigen werde!“ –Gott als der Begleiter seines Volkes IsraelGott als der Begleiter seines Volkes IsraelGott als der Begleiter seines Volkes IsraelGott als der Begleiter seines Volkes IsraelGott als der Begleiter seines Volkes Israel

Blicken wir in die Bibel, ob uns dort das Phänomen der Begleitungbegegnet – wenn auch nicht im Wort, so doch in der Sache – , werdenwir schnell und an zentralen Stellen fündig. Bereits am Anfang der Ge-schichte Israels spielt sie eine entscheidende Rolle. Abraham empfängtden Ruf Gottes, aus seiner gesicherten Existenz aufzubrechen in einLand, das Gott ihm zeigen will. Anstelle einer klaren Zielangabe erhält erdie Zusage, dass Gottes Segen ihn auf diesem Weg begleiten werde(1.Mose 12,1-3). „Da zog Abraham los“, heißt es kurz und lapidar, imVertrauen auf diese Begleitung.

Das ist die erste einer Vielzahl von Aufbruchgeschichten in der Bibel,in denen Menschen einem Ruf Gottes folgen und dabei seine Begleitungerfahren. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang besonders an das fürIsraels Glaubenserfahrung grundlegende Ereignis des Auszugs ausÄgypten (2.Mose 12-14). Hier erfährt Israel seinen Gott als befreiendenBegleiter, symbolisiert in dem Bild von der mitziehenden Wolken- undFeuersäule (2.Mose 13,9 u. 21). Nach dem Einzug ins Gelobte Land setztGott seine Begleitung fort in der Gestalt der Propheten, die mahnend(1.Kön. 18,17-18) und tröstend (Jes. 40,1) Israel auf seinem Weg durch

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2211

12 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

die Geschichte begleiten in für sie konfliktreichen und lebensgefährli-chen Situationen.

Diese vielfachen Erfahrungen göttlicher Begleitung finden ihren Aus-druck in der Bezeichnung Gottes als des „Hirten Israels“ (Ps. 80,2) und indem berühmt gewordenen Psalm 23. Gott als der befreiende, mahnendeund schützende Gott an der Seite seines Volkes, das er auch durch Feuerund Wasser begleitet (Jes. 43,2-3). Das bringt ihm den Beinamen „Imma-nuel“ (Jes. 8,8) ein, der Gott an unserer Seite. Ein für die Bibel charakte-ristisches Gottesbild. Gott unterscheidet sich gerade darin von den paga-nen Herrschergöttern oder von der philosophischen Vorstellung von Gottals einem rigiden moralischen Weltgesetz. Der Gott der Bibel ist geradekeine starre Idee, sondern ein lebendiges Gegenüber. Jemand, der Men-schen auf ihren oft verschlungenen Wegen begleitet, der mit ihnen undunter ihnen leidet und sie dennoch schützt und erhält.

„Brannte nicht unser Herz in uns,„Brannte nicht unser Herz in uns,„Brannte nicht unser Herz in uns,„Brannte nicht unser Herz in uns,„Brannte nicht unser Herz in uns,als er auf dem Weg mit uns redete.“ (Luk. 24,32) –als er auf dem Weg mit uns redete.“ (Luk. 24,32) –als er auf dem Weg mit uns redete.“ (Luk. 24,32) –als er auf dem Weg mit uns redete.“ (Luk. 24,32) –als er auf dem Weg mit uns redete.“ (Luk. 24,32) –Der uns begleitende Gott in der Person Jesu ChristiDer uns begleitende Gott in der Person Jesu ChristiDer uns begleitende Gott in der Person Jesu ChristiDer uns begleitende Gott in der Person Jesu ChristiDer uns begleitende Gott in der Person Jesu Christi

Die Selbstoffenbarung Gottes als der Immanuel, des Gottes an unsererSeite, erreicht seine Vollendung in der Menschwerdung Gottes in JesusChristus. In ihm ist Gott als Mensch unter Menschen in der Menschheitpräsent. Der Christushymnus in Phil. 2,5-11 beschreibt sehr anschaulichdie neue Qualität, in der Gott seine Menschheit in Zukunft begleitet. Je-sus Christus, der seine Gottgleichheit nicht als unveräußerlichen Besitzfesthielt, sondern sich selbst erniedrigte und gehorsam war bis zum Todam Kreuz, erweitert die bisherige Begleitung Gottes durch die Selbsthin-gabe (Gal.1,4 und öfter). Gott begleitet den Menschen auch in die Ab-gründe seiner Schuld und in den Tod, um ihn zu neuem Leben zu führen.Exemplarisch wird diese neue Qualität göttlicher Begleitung durch JesusChristus in der Geschichte von Emmausjüngern (Luk. 24,13-35) darge-stellt. Der Auferstandene fungiert als erstes als Begleiter seiner verzwei-felten Jünger. Er geht einen Teil ihres Weges mit ihnen, spricht mit ihnenund teilt mit ihnen das Brot. Das Geschehen von Emmaus wird zurGrundlage und zum Modell für alles, was sich an gegenseitiger Beglei-tung in der frühen Christenheit entwickelte.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2212

13EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

„… dass eure Herzen gestärkt werden“ (1.Thess. 3,13) –„… dass eure Herzen gestärkt werden“ (1.Thess. 3,13) –„… dass eure Herzen gestärkt werden“ (1.Thess. 3,13) –„… dass eure Herzen gestärkt werden“ (1.Thess. 3,13) –„… dass eure Herzen gestärkt werden“ (1.Thess. 3,13) –Gegenseitige Begleitung in den urchristlichen GemeindenGegenseitige Begleitung in den urchristlichen GemeindenGegenseitige Begleitung in den urchristlichen GemeindenGegenseitige Begleitung in den urchristlichen GemeindenGegenseitige Begleitung in den urchristlichen Gemeinden

Die so von Gott Begleiteten können gar nicht mehr anders als sich nunauch gegenseitig zu begleiten in den unterschiedlichen Herausforderun-gen ihres Lebens. Für das wandernde Gottesvolk, von seinem Herrn be-gleitet bis ans Ende der Welt (Matth. 28,20), wird die gegenseitige Beglei-tung zu einem selbstverständlichen Ausdruck seines Glaubens. So er-fährt es sich als ein Leib mit vielen Gliedern (1.Kor. 12,13-26), und wennein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit. So hat Paulus die von ihmgegründeten Gemeinden begleitet durch Besuche (1.Kor. 4,17) oder durchdie Entsendung seiner Mitarbeiter (1.Thess. 3,1-2). So hat er sich nachEuropa rufen lassen durch jene Vision, in der er einen Mann aus Make-donien rufen hört: „Komm herüber und hilf uns“ Apg. 16,9-11). So sam-melt er auf seinen Reisen Kollekten für die Not leidende Gemeinde inJerusalem und lässt sich durch keine Warnungen davon abhalten, sieselbst zu überbringen (Apg. 20,22-24). Denn „einer trage des anderenLast“, hatte er zuvor den Galatern geradezu als Inbegriff des Glaubensvorgestellt (Gal. 6,2).

Auf der Grundlage der biblischen Botschaft von dem uns begleitendenGott und in der Tradition der frühen Christenheit, sich gegenseitig zubegleiten, sich in der Not zu unterstützen und den Glauben zu stärken,bewegt sich auch das Begleitprogramm des ÖRK indem es dem Ruf derOberhäupter der Kirchen in Jerusalem entsprach.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2213

14 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Kleine SchritteKleine SchritteKleine SchritteKleine SchritteKleine Schritteermöglichen Veränderungermöglichen Veränderungermöglichen Veränderungermöglichen Veränderungermöglichen Veränderung

Nicolai Gießler

E ine palästinensische Jugendliche ist im Sommer 2005 zu Besuch in Deutschland. Sie erlebt hier eine zu Hause nie erfahrene Frei- heit und Weite des Horizonts. Im Kontakt mit deutschen Jugendli-chen erzählt sie von zu Hause. Das Land, seit Generationen im Familien-besitz, liegt unerreichbar jenseits der Mauer. Ein Teil der Familie lebt inSichtweite im Nachbarort, doch ein Checkpoint, ein Kontrollposten, hin-dert sie daran, die Verwandten zu besuchen. Sie geht in die Schule, abersie fragt sich: Wozu? Der Vater hat nur gelegentlich Arbeit, die Schwes-ter ist arbeitslos und zwei ältere Brüder sind ausgewandert, weil sie keineArbeit hatten. Von dem, was sie aus dem Ausland überweisen, lebt dieFamilie.

In den Familien ihrer Freundinnen sieht es ähnlich aus. Welche Chan-ce auf eine Arbeitsstelle sollten sie und ihre Freundinnen haben? Sieerzählt weiter von Begegnungen mit israelischen Soldaten, berichtet vonGewaltszenen, die sie gesehen hat, vom Gefühl eingesperrt zu sein,davon, dass man leichter nach Deutschland kommen kann, als nach Je-rusalem. Für ihre deutschen Gesprächspartner klingt das alles unvorstell-bar. Nur, nachvollziehen können sie es nicht. Die Lebenswelten sind zuunterschiedlich und es ist sehr schwierig „mit Worten“ zu vermitteln,was es heißt, unter Besatzung und inmitten eines gewalttätigen Konflik-tes zu leben.

Wir als Freiwillige im Ökumenischen Friedensdienst in Israel und Pa-lästina, ein Programm des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, ha-ben selbst diese Erfahrung gemacht. Wir haben ähnliche Situationen er-lebt, wie sie die palästinensische Schülerin beschreibt. Wir haben eineZeit lang miterlebt und mitgelebt mit palästinensischen Familien oder

EinleitungEinleitungEinleitungEinleitungEinleitung

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2214

15EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

israelischen Menschen, die immer wieder auch in Palästina gearbeitethaben. Wir haben oft die Ohnmachtsgefühle an Kontrollposten geteilt,die Unfreiheit während einer Ausgangssperre und die Ungewissheitdarüber, wie lange sie noch dauern würde. Wir fühlten Wut und Fas-sungslosigkeit, wenn Land durch den Bau der Mauer oder des Zaunsenteignet, Häuser zerstört oder Siedlungen ausgebaut wurden.

Freilich, wir sind als Ausländer dort gewesen. Und als solche fühltenwir uns zuweilen besser oder mit mehr Respekt behandelt. Wir fandenimmer wieder auch Gehör bei israelischen Soldaten, sodass mancherKontrollposten sich öffnete. Uns war es immerhin möglich, wenn auchnicht immer einfach, nach Jerusalem zu kommen. Alle zwei Wochenkonnten sich dort alle Beteiligten am Begleitprogramm treffen und sichüber die jeweils vor Ort gemachten Erfahrungen austauschen.

Diese Erfahrungen waren so unterschiedlich wie unsere Einsatzgebie-te. Wie oft war es durch die Begleitung einer Medizinstudentin gelungen,dass der palästinensische Arzt aus Jerusalem seine Patienten in derWestbank besuchen konnte? Wie haben die Kinder von radikalen Sied-lern in Hebron reagiert, die zuvor palästinensische Schülerinnen auf demSchulweg geschlagen und mit Steinen beworfen hatten, als sie von denÖkumenischen Begleiterinnen angesprochen wurden? Welche Möglich-keiten des gewaltfreien Widerstands haben die Menschen in Jayyousoder in Nablus gemeinsam mit Israelis und anderen Ausländern unter-nommen und welche Erfahrungen haben sie damit gemacht?

Doch neben diesen ganz unterschiedlichen Erlebnissen, gab esandererseits auch Erfahrungen, die sich, ganz unabhängig vom Einsatz-ort und der Tätigkeit, recht ähnlich waren. Immer wieder haben wir fest-gestellt, dass sich die Situation im Land oft ganz anders darstellt, wennman sie selbst miterlebt, als das Bild, das von ihr durch die meistenMedien im Ausland gezeichnet wird. Selbstmordanschläge, Panzer- undRaketenangriffe werden da thematisiert und oft sehr schnell und ober-flächlich dem Schema „Aktion-Reaktion“, „Terror-Selbstverteidigung“zugewiesen. Die tägliche Gewalt einer Besatzung, Unterdrückung undDemütigung fanden wir kaum thematisiert, ebenso wenig die Hinter-gründe oder die deutliche Asymmetrie zwischen den beiden Konfliktpar-teien.

Wir haben versucht, unsere Erlebnisse mit Berichten und Bildern anFreunde und Bekannte weiterzugeben. Auch Zeitungen haben die Be-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2215

16 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

richte erhalten, sie aber nur selten veröffentlicht. So kam eine weiteregemeinsame Erfahrung hinzu, indem wir uns fragten: „Wen interessiertes denn, wie es unserem Erleben nach in Palästina und Israel aussieht?Wer will wissen, wie wir vor Ort den Alltag erleben, was wir hier tun?“Freilich, Freunde und Bekannte haben uns Aufmerksamkeit geschenkt,auch manche kirchliche Stelle. Aber je größer die Öffentlichkeit wurde,desto weniger schienen wir sie zu erreichen. So haben wir gelernt, mitkleinen Schritten zufrieden zu sein und die Menschen, die wir eben errei-chen konnten, durch unsere Berichte zu sensibilisieren. Andererseits ha-ben wir immer wieder gespürt, dass die Menschen, mit denen wir in Israeloder Palästina zu tun hatten, auch wenn es nur ganz kurz war, sehr deut-lich an unserer Arbeit interessiert waren. Oft haben uns Menschen aufge-tragen, doch weiterzuerzählen, was wir erlebt haben. Das Miterleben undder Kontakt mit den Menschen sind ausschlaggebend gewesen und habenuns deutlich gemacht, dass unsere Arbeit nötig und wichtig ist.

Wir haben uns geändertWir haben uns geändertWir haben uns geändertWir haben uns geändertWir haben uns geändert

Zwischen drei und sechs Monaten waren wir in Palästina oder Israeltätig und mancher oder manchem ging es im Rückblick auf die Zeit dortso, dass sie oder er feststellen musste: „Als ich angekommen bin, warendie Zustände unerträglich und jetzt, wenn ich gehe – jetzt ist es nochschlimmer geworden.“ Das große Gesamtziel des Programms, „dazu bei-zutragen, die illegale Besatzung zu beenden“, scheint weit entfernt. Aberauch hier sind es eben nur die kleinen Dinge, die etwas verändert habenmögen: Die Gespräche mit den Siedlerkindern in Hebron oder den paläs-tinensischen Jugendlichen, für die ein Selbstmordattentäter ein Held ist.Der Besuch bei einer Familie, die isoliert lebt und nur noch Vorräte füreine Mahlzeit hat. Die Hilfe bei einem Krankentransport. Die Präsenz aneinem Kontrollposten oder bei einer Demonstration, die das Gefühl ge-ben „Wir sind nicht ganz vergessen“. Ob und was sich verändert hat, dieswird man nur ganz selten so direkt erfahren können, wie eine Begleite-rin, die eine längere Diskussion mit einem Soldaten an einem Kontroll-posten hatte. Ob sein Umgang mit den Palästinensern noch menschen-würdig sei, hatte sie ihn gefragt. Am Abend kam er von sich aus auf seineGesprächspartnerin zu, zeigte ihr, was er jetzt anders machte und fragte:„Ist es so recht?“

Angesichts solcher Erlebnisse und Erfahrungen bleibt niemand, der

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2216

17EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

oder die Teil eines solchen Programms ist, unverändert. Für mich habensich aus dieser Zeit in Palästina und Israel mehrere Konsequenzen erge-ben. Zum einen habe ich noch viel stärker gelernt zu differenzieren. Zudifferenzieren zwischen den vordergründigen Ereignissen samt denschnellen und einfachen Erklärungen und dem, was sich mir als wirkli-cher Hintergrund erschlossen hat. Welche sublimen Formen der Gewalthabe ich angetroffen und warum werden diese so wenig beachtet? Wiekommt es, dass Menschen den Tod mehr als das Leben suchen? Woherkommt der starke und blinde Hass, der nur Vernichtung sucht? Ich habeversucht zu verstehen, ohne für alles Verständnis zu haben.

Oft ist mir begegnet, dass die verschiedenen Bedeutungen von „Israel“unklar gebraucht oder vermischt werden. Vom erwählten „Volk Israel“ istmeiner Ansicht nach das spätere antike Königreich Israel und von bei-dem wiederum der moderne Staat zu unterscheiden. In gleicher Weisesind meines Erachtens das heutige Judentum und der Staat Israel zu dif-ferenzieren. Wiewohl es natürlich Schnittmengen gibt, ist beides nichtidentisch. Auch innerhalb des Staates Israel sind mir höchst unterschied-liche Menschen begegnet: Von äußerst liberalen Menschen in Tel Aviv,die sich selbst als „säkulare Juden“ bezeichnen über israelische Palästi-nenser oder Christen in der israelischen Armee bis zu Ultra-Orthodoxenoder nationalistischen Siedlern. Mir war wichtig, gerade die Arbeit derkleinen israelischen Friedensgruppen als Beitrag zu mehr Differenzie-rung bei palästinensischen Jugendlichen bekannt zu machen.

Ich habe durch meine Arbeit in einer Umgebung, die stark von Religi-osität geprägt ist, noch stärker gelernt zu differenzieren zwischen denverschiedenen Ausdrucksformen von Glauben und Frömmigkeit und re-ligiösem Missbrauch. Dabei ist mir deutlich geworden: Nicht nur der Is-lam wird missbraucht, indem es Muslime gibt, die Anschläge und tödli-che Gewalt religiös rechtfertigen. Auch das Christentum und das Juden-tum sind davor nicht gefeit, etwa wenn Vertreibung und Landenteignungmit biblischen Argumenten plausibel gemacht werden sollen oder wennein Krieg von westlichen Politikern als neuer christlicher Kreuzzug pro-pagiert wird. Und gerade diese angeblich christliche Begründung vonmassiver Gewalt, so habe ich erlebt, wird in einer orientalischen Umge-bung viel deutlicher wahrgenommen, als in einer westlichen.

Als weitere Konsequenz meiner Erfahrungen in Palästina und Israelbin ich aufmerksamer geworden dafür, was mit Sprache transportiertwird. Und ich bin kritischer geworden gegenüber den Medien. Häufig

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2217

18 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

wird in Nachrichtensendungen die israelische Position zuerst genanntund im Indikativ berichtet, während die palästinensische Position imKonjunktiv angehängt wird. Es wird von „illegalen Siedlungen oderAußenposten“ gesprochen, und ich frage mich, ob so nicht die unausge-sprochene Botschaft mitgesendet wird, es gäbe auch legale Siedlungen.Nach dem Völkerrecht sind alle Siedlungen, die Israel in den besetztenGebieten gebaut hat, illegal. Oder die Opfer eines Anschlags werden inden Nachrichten als Familienväter bezeichnet, deren Blut vergossen wur-de, während als Reaktion einige Palästinenser getötet worden seien – alsob diese nicht auch Familienväter wären, als ob deren Blut nicht auchvergossen wurde. Mit dieser Kritik will ich keinesfalls die Opfer einesAnschlages rechtfertigen oder in Abrede stellen, sie seien wirklich Fami-lienväter. Mir geht es darum, für die Sprache der Berichterstattung zusensibilisieren.

Der Weg geht weiterDer Weg geht weiterDer Weg geht weiterDer Weg geht weiterDer Weg geht weiter

Eine weitere Folge der Zeit als Ökumenische Begleiterin oder Ökume-nischer Begleiter war für uns alle, dass wir nach der Rückkehr von unse-ren Erlebnissen weitererzählt haben. Wir haben im Bekannten- undFreundeskreis, in Gemeindegruppen oder in Schulen berichtet oder wa-ren als Referenten oder Diskussionspartner bei Tagungen oder Aktions-tagen eingeladen. Dabei machte ich ganz ähnliche Erfahrungen wie dieeingangs erwähnten palästinensischen Jugendlichen: Es ist sehr schwer,das eigene Erleben mit all der Vielschichtigkeit und Differenziertheitweiterzugeben. Auf der einen Seite habe ich Interesse an Hintergründenund Erlebnissen erfahren. Auf der anderen Seite aber auch Menschen, diemeine Perspektive für einseitig hielten, die mit der alttestamentlichenLandverheißung die gegenwärtige Politik Israels verteidigten oder diemir Antisemitismus vorwarfen. Wieder und wieder ist es nötig, deutlichzu machen, das Antijudaismus, was eigentlich mit Antisemitismus ge-meint ist, Juden aufgrund ihres Judeseins diskriminiert oder ihre Men-schenwürde abspricht. Mir geht es darum, Person und Tat zu unterschei-den, wenn ich Völker- und Menschenrechtsverletzungen und deren Fol-gen deutlich zu machen versuche. Menschen, die ich für solche Tatenverantwortlich sehe, stelle ich deswegen selbstverständlich weder in ih-rem Glauben noch in ihrer Würde, noch in sonst einem Menschenrechtin Frage.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2218

19EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Neben unserer Referententätigkeit haben wir Ökumenische Begleiter-innen und Begleiter auf unterschiedliche Weise die entstandenen Kon-takte weitergepflegt: Einige waren wieder an ihren Einsatzorten, habenin dem Programm noch ein weiteres Mal mitgearbeitet. Andere habenMenschen aus Palästina nach Deutschland eingeladen, um auch hier Mit-leben und Austausch zu ermöglichen. Vor allen Dingen aber halten wires nach wie vor für wichtig, dass es Menschen gibt, die sich der Situationals Ökumenische Begleiterinnen und Begleiter aussetzen, die mitlebenund ihr Miterlebtes zu Hause weitergeben, die trotz mancher Ernüchte-rung den Mut finden, sich einzubringen. Denn wo nur kleine Schrittemöglich sind, da ist es nötig, dass viele sie gehen.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2219

20 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Im Schatten der MauerIm Schatten der MauerIm Schatten der MauerIm Schatten der MauerIm Schatten der MauerMechtild Kappetein, Frühjahr 2005

W er von Jerusalem nach Bethlehem kommt, läuft vor eine riesige Betonfläche mit Wachtürmen, die sich im Westen den Hügelhinaufzieht nach Beit Jala und die im Osten Richtung Beit Sa-

hour – Richtung Hirtenfelder – in eine Befestigungsanlage mit doppeltenelektrischen Zäunen übergeht. Der Distrikt Bethlehem wird – abgesehenvon den Umgehungsstraßen für Siedler im Südosten – von Mauer umge-ben sein. Vor allem im Norden und Westen geht dadurch viel Land ver-loren. Das Dorf Al-Walajeh, nordwestlich von Bethlehem gelegen, solldurch einen Tunnel mit Beit Jala verbunden werden. Der Tunnel wirdnach Fertigstellung der Mauer die einzige Möglichkeit sein, das Dorf zuverlassen. Damit israelische Siedlungen nicht tangiert werden, wird esvoraussichtlich 26 solcher Tunnel in der Westbank geben. Die Sorge un-ter den Palästinensern ist groß, dass die fast völlige Isolierung vielerDörfer zu Landflucht führt.

Mauerbau in Bethelehem.Foto: EMW/Bräuer

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2220

21EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Meine erste Begegnung mit Mauer und Kontrollposten hatte ich kurznach meiner Ankunft in Jerusalem, als wir zum ersten Mal nach Bethlehemfuhren. Im Rahmen des Ökumenischen Friedensdienstes in Palästina undIsrael (ÖFPI) waren David Lindbergh, ein 75-jähriger lutherischer Theolo-gieprofessor aus Chicago, und ich ab Mitte Februar 2005 als Freiwillige inBethlehem eingesetzt. Das Treffen mit dem Vorgängerteam fand gleich zuBeginn unseres Einführungsseminars statt. An diesem Sonntag war es kaltund grau. David und ich kletterten mit unserem schweren Gepäck über Erd-hügel, um den Weg zum Kontrollposten etwas abzukürzen, stellten uns inder Reihe der Wartenden an und gingen dann einzeln, auf Zuwinken, anden Soldaten vorbei. Die Reihe war nicht lang an diesem Sonntag. KurzeZeit später erfuhr ich warum: Nur ganz wenige Einwohnerinnen und Ein-wohner von Bethlehem haben einen Passierschein. Und ohne Passierscheinkommt niemand nach Jerusalem.

Nachdem wir den Kontrollposten passiert hatten, führte der Weg eini-ge Eisengitterstufen hinauf zu einem Durchgang, der mit Metalldetekto-ren bestückt war – eingerichtet vor allem für die Bewegung in umgekehr-ter Richtung von Bethlehem nach Jerusalem. Nachdem wir diesen pas-siert hatten, gelangten wir auf die „Hauptverbindungsstraße“ zwischenden beiden Städten. Der Anblick, den diese früher sehr belebte Straße mitvielen Geschäften und Restaurants bot, ist nur schwer zu beschreiben.Ich hatte das Empfinden, als schleppten wir unsere schweren Kofferdurch „Niemandsland“: Die Straße aufgerissen, mittendrin ein säuberlichneu gebauter Kreisverkehr und dann vor uns eine große Betonfläche, dieMauer. Tristesse – etwas Anderes kam mir in diesem Augenblick nicht inden Sinn. Hier sollte ich drei Monate bleiben? Ich hatte plötzlich denImpuls umzukehren. Hinter der Mauer stürzten sich mindestens sechsTaxifahrer gleichzeitig auf uns. Etwa zwanzig Taxen standen abfahrbe-reit, aber außer uns war niemand da, um einzusteigen. Alltag für dieTaxifahrer in Bethlehem.

Rachels Grab, Claire und die Frauen vom AEIRachels Grab, Claire und die Frauen vom AEIRachels Grab, Claire und die Frauen vom AEIRachels Grab, Claire und die Frauen vom AEIRachels Grab, Claire und die Frauen vom AEI

Gemäß biblischer Überlieferung hat Jakob seine Frau Rachel, die Mut-ter von Josef und Benjamin, an der Straße nach Bethlehem beerdigt. IhrGrab liegt heutzutage rund 250 Meter von der Mauer entfernt am Orts-eingang von Bethlehem. Es wird von den Israelis als wichtige religiöseGedenkstätte reklamiert. Damit Jüdinnen und Juden dort ungestört und

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2221

22 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

vor allem geschützt beten können, ist das Grab ummauert und die Haupt-straße, die einmal Bethlehem mit Jerusalem im Norden und Hebron imSüden verbunden hat, ebenfalls durch eine Mauer vollständig gesperrt.Zudem wird es rund um die Uhr von israelischen Soldaten bewacht. Mus-limische Frauen und Männer, für die das Grab ebenfalls ein heiliger Ortist, haben keinen Zutritt. Zusätzlich wird ihnen der Zugang zur BilalMoschee, die unmittelbar mit dem Grab verbunden ist, sowie zu demdazugehörigen Friedhof verwehrt.

Claire, die mit ihrem Mann, ihren vier Kindern, ihrer Schwiegermutterund der Familie ihres Schwagers mit fünf Kindern im Haus gegenübervon Rachels Grab wohnt, ist völlig verzweifelt. Das Haus wird in Kürzean drei Seiten von Mauern umgeben sein, und zwar so dicht, dass es nureinen schmalen Gang zwischen Haus und Mauer geben wird. So wird esnoch ein Grab geben, allerdings mit dem Unterschied, dass die Menschendarin noch leben und das zusätzlich mit großen finanziellen Nöten undeiner ständigen Angst vor den Soldaten. Eine Militärbasis ist gleich ne-ben dem Haus.

Claire habe ich im Arab Educational Institute (AEI) kennen gelernt.Das AEI ist mit Pax Christi International und einer weiteren Friedensbe-wegung in den Niederlanden verbunden und war sehr daran interessiert,

Foto: EMW/Bräuer Das Grab der Rachel.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2222

23EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

dass David und ich uns an seinen Veranstaltungen beteiligen. Die An-zahl der Angebote des AEI ist groß und richtet sich an Schulklassen,Jugendliche, Studenten, Frauen und Familien. Im Zentrum aller Aktivitä-ten steht die Vermittlung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für dieUmsetzung gemeinschaftsbildender und Frieden schaffender Initiativenerforderlich sind. Wir nahmen regelmäßig zweimal wöchentlich an denTrainings für zukünftige Gruppenleiterinnen und -leiter teil und ich zu-sätzlich jeden Mittwoch an der Frauengruppe. In beiden Gruppen istauch Claire engagiert.

Die Treffen finden in englischer Sprache statt, um die Frauen zu ermu-tigen, ihr Leben als Palästinenserinnen mit Ausländerinnen und Auslän-dern zu kommunizieren. Inhaltliche Schwerpunkte sind wie in fast allenGruppenangeboten: Kommunikation, das Zusammenleben als Christenund Muslime, gewaltfreie Konfliktlösung, gerechter Friede und vielesmehr. Da ich die Frauen regelmäßig getroffen habe, wuchsen Vertrauenund herzliche Beziehungen und so war es mir möglich, als Deutsche undChristin, mit ihnen über Nationalsozialismus und Shoah, über Antijuda-ismus und Antisemitismus zu sprechen. Im Kontext von Versöhnungund Gewaltlosigkeit halte ich es für wichtig, um den Schmerz und dasLeid des jeweils Anderen zu wissen.

Von der Lähmung zur AktionVon der Lähmung zur AktionVon der Lähmung zur AktionVon der Lähmung zur AktionVon der Lähmung zur Aktion

Als ich Claire zum ersten Mal traf und sie von ihrem Haus gegenübervon Rachels Grab und dem bevorstehenden Mauerbau sprach, spürte ich,unter welch enormen psychischen Druck sie stand. Deshalb bot ich ihran, sie gemeinsam mit David zu Hause zu besuchen. Neun Kinder undfünf Erwachsene werden dort hinter hohen Betonmauern leben. In derFamilie ist die Angst groß, etwas falsch zu machen. So durften wir aufkeinen Fall den Balkon betreten, weil die israelischen Soldaten uns dannsehen könnten. Ebenso bat mich Claire nach unserem Besuch, nichts andie Öffentlichkeit zu geben. Die „israelische Seite“ könne ja vielleichtnoch die Pläne zum Mauerbau ändern und würde sie dann als Lügnerhinstellen. Ich riet ihr – und konnte nicht begreifen, dass dies nichtlängst geschehen war – , sich mit den Nachbarn zu beraten. Auch siewerden, wenn auch nicht auf drei Seiten, so doch alle in einem Abstandvon zwei Metern zum Haus eine neun Meter hohe Betonmauer vor derFrontseite ihrer Häuser haben.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2223

24 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Etwa zwei Wochen lang war es ruhig, dann überschlugen sich dieEreignisse. Auf dem Grundstück neben der Giebelseite des Hauses warenschon die Planierraupen im Einsatz und vor dem Haus fanden Vermes-sungen statt. David kam zufällig vorbei. Auf seine Frage nach den Pla-nungen antwortete der Vermessungstechniker, dass seine Firma die An-weisung erhalten habe, so schnell wie möglich zu arbeiten, der Mauerbausolle bis zum Jahr 2006 fertig sein. Als Claire in der Frauengruppe völligverzweifelt darüber berichtete, entschieden sich die Frauen, einen Soli-daritätsbesuch zu machen und andere Gruppen aus Bethlehem zum Sit-In, zum Sitzstreik, einzuladen.

Zum Sit-In am ersten Werktag nach Osternkamen rund fünfzig Personen. Erstmalig ka-men alle Nachbarn zusammen. Außerdem be-teiligten sich Organisationen, die sich bisherwenig für die Situation des Viertels interes-siert hatten. Das palästinensische Stoppt-die-Mauer-Komitee, das an diesem Tag eine Sit-zung hatte, lud die Betroffenen ein. ClairesEhemann, der sich bisher eher ängstlich zu-rückgehalten hatte, schloss sich ihnen an. DieGroßmutter, die sich wegen ihrer Rheumaer-krankung wenig bewegen kann, war die gan-ze Zeit vor dem Haus zugegen und sichtlicherfreut über so viel Leben im Viertel, dassonst eher einer Geisterstadt gleicht. Wie ich

schon beschrieben habe, war die Straße an der Claire wohnt, einmal dieHauptverbindungsstraße von und nach Jerusalem und entsprechend be-lebt und befahren.

Auch Hermina Damons, unsere Programmkoordinatorin, war mit eini-gen anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Begleitprogrammsgekommen, und ihren Erfahrungen in Südafrika entsprechend auf einMonate andauerndes Sit-In eingestellt. Sie konnte nur schwer begreifen,dass die Aktion schon nach wenigen Stunden beendet wurde. Als derDirektor des AEI auf die Aufgaben und Verpflichtungen der Anwesendenverwies, antwortete sie: „We sacrificed our lives in order to end the apart-heid. Wir opferten unser Leben, um die Apartheid zu beenden.“

Für die beteiligten palästinensischen Frauen war dies die erste Aktionin der Öffentlichkeit. Sie haben sie ausgewertet und miteinander beraten,

Foto

: EA

PPI/

Bob

Tra

er

Claire Anustas erklärtden Verlauf der Mauerim Bereich ihres Hauses.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2224

25EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

wie es weitergehen soll. Der Bericht über den Mauerbau um Rachels Grablag inzwischen auch dem Außenministerium der Vereinigten Staatenvor, dank der drei US-amerikanischen Theologen, die in unserer ÖFPI-Gruppe mitarbeiteten - leider ohne Erfolg.

Gegen Ende meines Einsatzes im Rahmen des Ökumenischen Frie-densdienstes war es sehr ruhig im Distrikt Bethlehem. Viele Menschensagen, dass sie müde sind, dass diese zweite Intifada sie aufgebrauchthat. Seit ihrem Beginn im Herbst 2000 haben 28 Hotels, 240 Olivenholz-und Perlmutt-Werkstätten und 50 Restaurants geschlossen. Allein imViertel um Rachels Grab sind von 80 Geschäften, Restaurants, Autowerk-stätten und Handwerksbestrieben nur noch acht übrig. Die Stadt hat we-gen der religiösen Stätten aus dem Ersten und Zweiten Testament undder räumlichen Nähe immer im regen Austausch mit Jerusalem gestan-den. Tourismus und das damit verbundene Gewerbewesen waren dieHaupteinnahmequellen. Bei den meisten Reisen ins Heilige Land kom-men die Besucherinnen und Besucher jedoch in der Regel nur noch füreinige Stunden nach Bethlehem und Beit Sahour.

Foto: EMW/Bräuer Eine ehemalige Hauptverkehrsstraßein Bethlehem.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2225

26 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Die Hafrada, der „Trennungszaun“, wie es im offiziellenSprachgebrauch heißt, wurde im Jahr 2002 von der israelischen Regie-rung beschlossen, um das unkontrollierte Betreten Israels durch Bewoh-nerinnen und Bewohner der Westbank zu unterbinden. Zur Begründungwurde auf die ständig steigende Zahl von Angriffen der Palästinenser aufIsrael seit dem Ausbruch der zweiten Intifada verwiesen.

Gemäß der Entscheidung der israelischen Regierung soll eine Trennan-lage um die gesamte Westbank gebaut werden. Die Länge soll 786Kilometer betragen, die Höhe reicht von 2,5 bis 9 Meter. An manchenStellen wird die Mauer durcheinen Stacheldrahtzaun ersetzt.Die Trennzone umfasst hinterder Mauer einen elektronischenZaun mit Warnanlagen.Daneben befindet sich einSandweg, um die Fußspureneines etwaigen „Grenzverlet-zers“ sichtbar zu machen,dahinter einen Patrouillenwegund eine Straße für Militärfahr-zeuge. Ein weiterer Stachel-drahtzaun schließt die Anlageab. Damit beträgt die Breite desGrenzstreifens 60 bis 100 Meter.

Das Hauptproblem besteht darin, dass die Trennungsmauer nichtentlang der so genannten „Grünen Linie“ – der Demarkationslinie, wiesie in den Beschlüssen der Vereinten Nationen (Nr. 242 von 1967 undNr. 338 von 1978) festgelegt ist – errichtet wird, sondern weit in dasHinterland der Westbank hineinragt. Damit sollen im Westjordanland,wie die Westbank auch genannt wird, zehn Siedlungen und um Ost-Jerusalem dreizehn Siedlungen direkt mit Israel verbunden werden. Dasist nicht nur ein grober Verstoß gegen internationales Recht, sondernverursacht gewaltige Probleme für einen großen Teil der palästinensi-schen Bevölkerung.

Nach Angaben der palästinensischen Organisation „Stoppt-die-Mauer“und der israelischen Menschenrechtsorganisation „B’Tselem“ wurdendafür weitere 5,2 Prozent des palästinensischen Territoriums enteignet.343.000 Palästinenserinnen und Palästinenser sind von der Maßnahmedirekt und weitere 522.000 indirekt betroffen. 128.500 Menschen in 19Dörfern sind völlig vom Hinterland abgeschnitten und in fünf Enkla-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2226

27EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

ven zusammengefasst, die ihrerseits auch wieder voneinander getrenntsind. 36 Gemeinden mit 72.200 Einwohnerinnen und Einwohnern sindvon ihrem Acker- und Weideland getrennt. Hinzu kommen die Rodungvon 10.320 Olivenbäumen, die Zerstörung von 36 industriellen Anla-gen und 200 Wasserreservoirs und 35 Kilometer Wasserleitungen sowieAbrissverfügungen für 280 Gebäude, darunter eine Schule.

Damit sind wesentliche Bestimmungen des internationalen Rechtsverletzt worden, unter anderem das Recht auf Freiheit der Bewegung(Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art.13(1), InternationalerPakt über zivile und politische Rechte, Art.12(1), das Recht auf Arbeitund angemessenen Lebensstandard (Pakt über wirtschaftliche, sozialeund kulturelle Rechte, Art.6(1) und Art.11(1), das Recht auf Eigentum(Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art.17 und Haager Kon-vention, Art.46(2). Diese und weitere Verletzungen sind auch durch diejüngste Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs festgestelltworden. Auch das Oberste Gericht Israels ist mit entsprechendenKlagen befasst. Soweit die nüchternen Zahlen und Fakten. Hinter ihnenaber stehen tausende und abertausende menschliche Schicksale.

Anders als in Deutschland, wo die Mauer Angehörige des gleichenVolkes voneinander trennte, soll hier die Mauer zwei Völkervoneinander trennen, die im gleichen Lande leben. Da jeder Anspruchauf das Gebiet des anderen erhebt, erscheint eine Trennung zunächstgar nicht so unvernünftig. „Zäune machen gute Nachbarn“, wird indiesem Zusammenhang gern als Sprichwort zitiert. Aber verhandelnhier wirklich zwei Nachbarn auf gleicher Augenhöhe um einen gerech-ten Ausgleich miteinander? Während der Zaun zwischen zwei Nach-barn auf der Grundstücksgrenze steht, steht der israelische Trennungs-zaun auf bis zu dreißig Prozent des Eigentums des palästinensischenNachbarn.

Ein solcher Zaun bringt keine gute Nachbarschaft, sondern machtNachbarschaft auf die Dauer unmöglich. Das ist umso tragischer, alsdie beiden in Palästina lebenden Völker auf Gedeih und Verderbaufeinander angewiesen sind. Das Wohl des einen Volkes bedeutetauch das Wohl des anderen, und das Verderben des einen Volkes ziehtauch das Verderben des anderen nach sich (vgl. Ruth 1,16-17). Deshalbist alles konstruktiv, was die beiden Völker in Verbindung miteinanderhält, und alles kontraproduktiv, was die Trennung vertieft und Gesprä-che unmöglich macht. Diese Folge hat – ob gewollt oder ungewollt –die gegenwärtig gebaute Mauer.

Dieter Ziebarth, Oktober 2004

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2227

28 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

AusgangssperreAusgangssperreAusgangssperreAusgangssperreAusgangssperreUte Caspers, Jahreswende 2002/2003

Die Ausgangssperre war am vierten Advent aufgehoben worden. Ein geschlossenes Bethlehem zu Weihnachten im Blickpunkt nicht nurder christlichen Welt entsprach offenbar nicht dem Bild das ge-

zeigt werden sollte. Alle waren froh, über die Bewegungsfreiheit. Am 24.mittags war es einer großen israelischen Dachorganisation sogar mög-

lich, unterstützt von unter-schiedlichen internationa-len Gruppierungen, eineFriedensdemonstration vordem Kontrollposten nachBethlehem zu organisieren.Nachdem der Patriarch undalle Kirchenführer Jerusa-lems auf dem Weg zur gro-ßen Messe in St. Katharinaim Komplex der Geburts-kirche vorbeigefahren wa-ren, konnten sie sogar indie Stadt marschieren.„Auf eigene Gefahr“, wiees geheißen hatte. Aber dawar nur freundlichste Zu-stimmung von den Stra-ßenrändern und Balkonen.Läden waren geöffnet,sogar einige der vielenSouvenir- und Devotiona-lien-Läden, denn es gabtatsächlich einige Pilger indiesen Tagen – vor einpaar Jahren hatten sie sichnoch in den Straßen ge-drängt.

Foto: EMW/Bräuer

Der Eingang zur Kirche St. Katharina.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2228

29EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Die Stadt war offen. Bis am zweiten Weihnachtstag nachmittags dieMenschen plötzlich, unter Einsatz von Tränengas, von den Straßen ver-scheucht wurden. In jener Nacht gab es in unserer Gegend eine Haus-durchsuchung begleitet von mehreren Detonationen und viel Zerstörung,aber ohne Festnahmen. Alles deutete auf eine länger andauernde Aus-gangssperre hin. Am Morgen jedoch hieß es: „Die Ausgangssperre istaufgehoben – bis auf Weiteres“.

Ich konnte also Pläne schmieden, zum Beispiel für die Silvesternacht.Am ersten Weihnachtstag hatte eine Kollegin eingeladen. Viele Freundeund Kollegen und Kolleginnen waren gekommen, meist mit Familie, undder Abend war – zuletzt mit Tanzen und Singen – besonders gelungen.Um den Geist dieses Abends lebendig zu halten, lud nun der Musiklehrerzu Silvester ein. Jede und jeder überlegte, wer was beitragen, wer wiedorthin gelangen könnte.

Der Silvestertag fiel auf den Tag der wöchentlichen Dienstbespre-chung, gleichzeitig der letzten, bevor der leitende Pastor für ein halbesJahr in die Vereinigten Staaten reisen würde. Nach den üblichen Berich-ten wurde deshalb viel vorausgeschaut, vorausgeplant – mit allen Un-wägbarkeiten, die den Menschen in Nahost so viel gegenwärtiger sind alsuns im sicheren Europa. Natürlich wurden auch Eventualitäten erörtert,die der drohende zweite Golfkrieg mit sich bringen könnte. Doch es wur-de auch viel gelacht. Gleichwohl beschlich mich der Eindruck, dass dieHaut unter dem Galgenhumor und Sarkasmus nur sehr dünn ist.

Am Sylvesternachmittag gab es wieder einen Friedensmarsch; diesmalinnerhalb Bethlehems und unter Beteiligung der Kirchenführer aus Jeru-salem. Unser Ziel, den Kontrollposten, konnten wir nicht erreichen. Wirwurden vorher abgedrängt. Spontan entschieden wir, vor den Jeeps, dieuns die Straße versperrten, eine ökumenische Andacht zu halten mit Ge-beten und Singen. Zum Schluss schickten wir Luftballons mit Friedens-gebeten und -botschaften in den Himmel. Leider trieb der Wind sie nachOsten, wo es in Richtung Totes Meer nicht viele Siedlungen gibt.

Was diesem Friedensgebet an Innerlichkeit fehlte, war im Jahres-schlussgottesdienst der Weihnachtsgemeinde mit Händen – mehr noch –mit dem Herzen greifbar. Gut zwei Dutzend Gemeindeglieder hatten sicheingefunden, und teilten miteinander, eingefügt in die Liturgie, was dasJahr ihnen gebracht hatte. Es war bewegend zu beobachten, wie sie nachden guten Erfahrungen suchen mussten. Dennoch war Zuversicht spür-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2229

30 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

bar und ich hatte den Eindruck: DieseMenschen wissen sich in Gottes Handund sind damit der Situation emotionalnicht gänzlich ausgeliefert.

Festlich gekleidet wartete ich amAbend darauf, abgeholt zu werden. Ichfreute mich auf die Party. Der Gastge-ber hatte so viele Leute aus aller Welteingeladen, dass es sehr interessantund auch lustig zu werden versprach.Doch schon bei der Begrüßung imAuto hieß es: „Es ist Ausgangssperre.“War die Party also abgesagt? Abernein, antwortete meine Kollegin, manließe sich dadurch nicht beirren,ohnehin sei ja im Fernsehen nichts an-gesagt worden. Vielleicht machten sichauch nur ein paar Soldaten einen Spaßund seien mit ihren Lautsprecherwa-gen durch die Altstadt gefahren.

Die Party war schon in vollem Gan-ge, als wir gegen 21 Uhr eintrafen.Freudige Begrüßungen, „Happy NewYear! Frohes Neues Jahr! – Ausgangs-sperre? Das soll doch wohl ein Witz

sein.“ Gespräche, Getränke, aus vielen Quellen war ein schönes Buffetentstanden. So saßen wir munter zusammen. Ein Gast holte die mitge-brachte Gitarre hervor, ein anderer eine Querflöte, es wurde gesungen:Folk, Musical. Dann klingelten mehrere Mobiltelefone. Die Umstehendenulkten: „Es ist doch noch gar nicht Mitternacht.“ Dann, von einer Minuteauf die andere schlug die Stimmung um: „Es ist tatsächlich Ausgangs-sperre.“ Wieder sei Tränengas eingesetzt worden.

Umgehend entschieden die Palästinenserinnen und Palästinenser un-ter den Gästen zu gehen. Was sollte ich tun, ich war mit ihnen gekom-men? Wie sollte ich später zurückfahren können? Taxifahrer riskierenihre Lizenz, wenn sie bei Ausgangssperren erwischt werden. Ich stiegalso zu der Kollegin und ihrer Familie ins Auto. Wir fuhren durch Seiten-straßen. Niemand wusste, was passieren würde, wenn wir einem Jeep

Die Weihnachtskirchein Bethlehem.

Foto: EMW/Bräuer

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2230

31EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

begegneten. Als ich um 22.30 Uhr in meinem Quartier ankam, fühlte ichmich enttäuscht. Ich kam mir vor, wie ein Schulkind, dem man den De-ckel einer wundervollen Truhe, in die es sich gerade vertieft hatte, mitWucht auf die Hände geschlagen hat. Wie geht es wohl den Menschenfür die solche Situationen Alltagsrealität sind?

Nichts ist planbarNichts ist planbarNichts ist planbarNichts ist planbarNichts ist planbar

Am nächsten Morgen waren zwar Menschen auf der Straße, aber nor-males Leben und Treiben stellte sich nicht ein. Ausgangssperre. ZumNeujahrsgottesdienst war ich zunächst mit dem Pastor und der Pastorinallein. Insgesamt wurden wir dann sieben, in einem Gottesdienst, dersich frei und dialogisch entwickelte. Der vorgeschlagene Predigttext warJakobus 4,13-17: „Ihr aber, die ihr sagt: Heute oder morgen werden wirin diese Stadt reisen, Handel treiben und Gewinne machen – , ihr wisstnicht, was morgen mit eurem Leben ist.“

Beim Verlassen der Kirche erfuhren wir: Die Ausgangssperre war auf-gehoben.“ Mir fehlten die Worte. Zwar führen im Nachbarort Beit Jala dieJeeps schon wieder herum, so die Auskunft unseres Wachmannes als ichzu Hause eintraf. Im Fernsehen aber sei die Aufhebung bestätigt worden.Eine Kollegin berichtete später, dass während sie diese Nachricht sah, amzentralen Krippenplatz Lärmbomben detoniert seien. In unserer Nachbar-schaft blieb es ruhig. Die Geschäfte, die geöffnet hatten, blieben auchgeöffnet. Es war ja keine Ausgangssperre.

Am 2. Januar, dem ersten Arbeitstag, war es im Büro besonders leben-dig. Glückliche Neue Jahre wurden einander gewünscht und ausge-tauscht, wie man den Rest der Silvesternacht verbracht hatte. Es folgteArbeitsroutine. Dann, um 13.45 Uhr, brachte eine Kollegin die Nachrichtvon der Straße mit: Ausgangssperre ab 14 Uhr. Wie einen Schlag in dieMagengrube, so empfand ich diese Nachricht. Ich fühlte mich taub undwie gelähmt. Spontan sagte ein Kollege : „Sharon braucht wohl einenneuen Selbstmordattentäter.“ Alle beendeten noch das Dringendste.Manche warteten auf andere. So konnte ich meine Kollegin Carol fragen,wie es ihr in dieser Situation ging. Am schlimmsten, so ihre Antwort, seidas Gefühl des Ausgeliefertseins, das eigene Leben nicht selbst planen zukönnen. „Wir haben uns nach dem Licht am Ende des Tunnels gesehnt“,fügte sie noch hinzu, „jetzt können wir nicht einmal mehr den Tunnelsehen.“ Jahresanfang in Bethlehem anno domini 2003.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2231

32 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Die Kinder von BethlehemDie Kinder von BethlehemDie Kinder von BethlehemDie Kinder von BethlehemDie Kinder von BethlehemDieter Ziebarth, Dezember 2004

Kaum hat man einen der Kontrollposten rund um Bethlehem pas-siert, da kommen sie einem schon entgegengerannt auf der staubi- gen, schmutzigen Straße: Kleine Kinder im Alter von fünf bis

neun Jahren, spärlich und ärmlich gekleidet mit Kartons voller Kaugum-mistangen, Süßigkeiten oder anderen Billigprodukten. Laut schreiendoder mit bettelnden Augen versuchen sie, ihre Waren bei den wenigenTouristen abzusetzen, die Bethlehem seit dem Beginn der zweiten Intifa-da im Herbst 2000 besuchen. Manchmal sieht man sie auch in der Innen-stadt herumziehen, um einen Shekel bittend. So versuchen sie, zum Le-bensunterhalt ihrer Familien beizutragen.

Immer mehr Kinder sind in ihrer Familie nicht mehr aufgehoben. Diesoziale Not, die Dauerarbeitslosigkeit der Eltern, die Besatzung durch dasisraelische Militär und die allgemeine Perspektivlosigkeit erzeugen inden Familien eine Atmosphäre dauernder Anspannung, die sich durchDrogenkonsum und in Gewalttätigkeiten gegenüber den Kindern nieder-schlägt. Der Verfall der Sitten geht mit dem Verfall der Familien einher,die als einzige das soziale Netz bilden. 24 Kinder solch gefährdeter Fami-lien werden im Jungenhaus der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde inBeit Jala betreut. Sie sind internatsmäßig untergebracht, haben gut aus-gebildete Betreuer und können die Schule besuchen bis hin zu einer be-ruflichen Weiterbildung. Leider gibt es viel zu wenig solche Einrichtun-gen, sodass vielen nur das Leben auf der Straße bleibt.

Die SchulkinderDie SchulkinderDie SchulkinderDie SchulkinderDie Schulkinder

Jeden Morgen sieht man sie in großen Scharen – vierzig Prozent derEinwohnerinnen und Einwohner Bethlehems sind unter 18 Jahren –und in schmucker Schulkleidung zu den vielen kommunalen und pri-vaten Schulen der Stadt ziehen. Das war nicht immer so. Besonderskurz nach Ausbruch der zweiten Intifada gingen viele Schulstundenverloren, weil die Schülerinnen und Schüler die Lehranstalten nicht

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2232

33EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

erreichen konnten: Wegen aufgegrabener Straßen und „fliegenderKontrollposten” – wie die beweglichen Straßensperren bezeichnet wer-den – oder weil es den Eltern zu gefährlich erschien, ihre Kinderüberhaupt zur Schule zu schicken. Hinzu kamen strikte Ausgangssper-ren. Im Großraum Bethlehem betraf dies 160 Tage in den Jahren 2000bis 2002. Drei Monate hintereinander durften die Häuser überhauptnicht verlassen werden. Von Zeit zu Zeit wurden ein paar Stunden zumEinkauf wichtiger Güter gewährt.

Die Lehrkräfte, die die Schülerinnen und Schüler seit langem beglei-ten, beobachten gesteigerte Nervosität und Bereitschaft zu Aggression.Sie berichten von Konzentrationsschwäche und geminderter Motivati-on. In einer 11. Klasse der Evangelisch-Lutherischen Schule in BeitSahour sprach ich mit den Schülerinnen und Schülern über ihre Be-rufswünsche und Zukunftsvorstellungen. Nur vier von ihnen warenbereit zu sagen, was sie gern werden wollten. Die anderen äußertenkeine Zukunftspläne. Es komme ja doch alles anders, die Israelis ma-chen mit uns, was sie wollen, so lauteten ihre Antworten. Ist dieserGeneration die Zukunft abhanden gekommen, da das Leben nur nochvon heute auf morgen gelebt wird? Abhanden gekommen ist anschei-nend die Hoffnung, dass von außen irgendwelche Hilfe kommt. Auf

Foto

: B

MW

/Kos

chor

reck

Das „V“ steht für Victory, Sieg.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2233

34 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

meine Frage, wovon sie eine Änderung erwarteten, erhielt ich zur Ant-wort: Von einer dritten Intifada.

Nicht zur Sprache kommt in solchen Gesprächen die soziale Not, die esvielen Familien nicht mehr erlaubt, für ihre Kinder Schulgeld oder Beiträgefür den Kindergarten zu entrichten. Amjad Sabbara (OFM), Pfarrer in derkatholischen St. Katharinengemeinde neben der Geburtskirche, berichtetvon 879 Familien, die als extrem arm eingestuft und aus einem Fonds derGemeinde unterstützt werden müssen; der Fonds wird von ausländischenSponsoren gefüllt. Viele Schülerinnen und Schüler wie auch Studierendeleben von zwei Shekel pro Tag, knapp vierzig Cent. Gäbe es nicht so vielHilfsbereitschaft im Ausland, gäbe es nicht die vielen Schulpartnerschaften,könnten viele die Schule nicht mehr besuchen.

Die behinderten KinderDie behinderten KinderDie behinderten KinderDie behinderten KinderDie behinderten Kinder

Ein Leben in Verborgenheit füh-ren sehr häufig auch die geistig,körperlich oder mehrfach behin-derten Kinder. Sie gelten in der pa-lästinensischen Kultur noch immerals Schande für die Familie undführen daher im wahrsten Sinnedes Wortes ein Schattendasein. So-ziale Hilfen oder Einrichtungengibt es für sie nur wenige. Einesdieser wenigen Projekte für behin-derte Jugendliche – aber auch Er-wachsene – liegt in Beit Sahour. Esist aus der Privatinitiative einesGemeindegliedes entstanden undkonnte durch die Förderung deritalienischen Regierung auf- undausgebaut werden. Die Einrichtungwird als Tagesstätte betrieben. DieBehinderten werden von zu Hauseabgeholt und entsprechend ihrerBehinderung gefördert, zum Bei-spiel in einer Werkstatt für textiles

Foto

: B

MW

/Kos

chor

reck

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2234

35EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Weben oder einer anderen für Holzschnitzarbeiten. Manche können auchnur in die selbständige Verrichtung einfachster Tätigkeiten eingewiesenwerden. Alle Angebote fördern die Selbstständigkeit und das Selbstwert-gefühl der Behinderten. Sie erfahren dadurch, dass auch sie wertvolleGlieder der Gesellschaft sind.

Nicht als Tagesstätte, sondern als zeitlich begrenzte stationäre Ein-richtung versucht das Rehabilitationsprogramm des Ost-JerusalemerYMCA, des Christlichen Vereins Junger Männer, in Beit Sahour behin-derten Kindern und Jugendlichen zu helfen. Die Kinder, die dorthin kom-men, sind nicht nur körperlich behindert, sondern zusätzlich auch trau-matisiert. Es sind die Kinder der Intifada.

Die Kinder, die aus der ganzen Westbank in die im Jahr 1989 gegrün-dete Einrichtung kommen, werden bis zu sechs Monate stationär aufge-nommen. Die Kapazität umfasst dreißig Jugendliche beiderlei Ge-schlechts. In dieser Zeit versuchen die dort arbeitenden Fachkräfte, unterAnwendung neuester Erkenntnisse der Forschung, den Grad der Behin-derung zu bestimmen und die verbliebenen oder entwickelbaren Fähig-keiten nicht nur zu erkennen, sondern diese zu trainieren in einem ganz-heitlich ausgerichteten Behandlungsprogramm. Das Ziel ist, den betref-fenden Kindern und ihren Familien Wege aufzuzeigen, auf denen dieKinder ihr Leben möglichst selbständig gestalten können und ihnen zuvermitteln, dass sie trotz ihrer Behinderung oder ihres erlittenen Traumasvollwertige Glieder der Gesellschaft sind. Gleichzeitig formuliert das Pro-gramm Ansprüche an die Gesellschaft und an die palästinensische Auto-nomiebehörde, die Reintegration Behinderter in die Gesellschaft auch ge-setzgeberisch zu unterstützen.

Die traumatisierten KinderDie traumatisierten KinderDie traumatisierten KinderDie traumatisierten KinderDie traumatisierten Kinder

Die Kinder Palästinas und damit auch die Kinder in Bethlehem sindzu einem großen Teil durch die beiden, jeweils mehrere Jahre währen-den Intifadas gezeichnet. Sie haben ihr Leben geprägt, aber auch ent-scheidend verändert. Die erste Intifada, die im Herbst 1987 begann undbis 1993 andauerte, wurde im Wesentlichen von Kindern und Jugend-lichen getragen. Sie hat, so Schätzungen, mindestens 15.000 verletzteund noch mehr traumatisierte Kinder hinterlassen. Sie wurden zwarmedizinisch versorgt, aber im Umgang mit oft lebenslangen Behinde-rungen und den psychologischen Auswirkungen der erlittenen Verlet-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2235

36 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

zungen waren sie weitgehend auf sich allein gestellt. Für diese Kinderist das bereits vorgestellte Rehabilitationsprogramm des YMCA entwi-ckelt worden. Doch nur eine kleine Anzahl von ihnen konnte erreichtwerden.

Seit Beginn der zweiten Intifada im Herbst 2000 sind viele tausendtraumatisierte Kinder hinzugekommen. Nach Angaben der internationa-len Kinderschutzorganisation „Defence for Children International“ wur-den 679 Jugendliche unter 17 Jahren allein im ersten Halbjahr 2003verletzt. Von ihnen waren 63,7 Prozent unter 15 Jahre alt. 470 Kinderunter 17 Jahren wurden getötet, 51,9 Prozent im Gazastreifen und 48,1Prozent in der Westbank. Vom Ausbruch der zweiten Intifada, exakt fürden Zeitraum vom 29. September 2000 bis 30. September 2004 wurdennach Angaben derselben Organisation 643 Kinder getötet, unter ihnen 16aus Bethlehem. Was sich hinter diesen nüchternen Zahlen verbirgt anmenschlichem Leid, an Traumatisierung und zum Teil lebenslangen Be-hinderungen ist kaum zu ermessen. Sie sollen Gestalt gewinnen in demSchicksal der folgenden Kinder von Bethlehem, die alle im Rehabilitati-onsprogramm des YMCA behandelt wurden.

Da ist Nicola aus Beit Jala, sechs Jahre alt. Bei einem Beschuss BeitJalas im Jahr 2000 wurde ihr durch eine Granate eine Hand abgeschla-gen. Sie lebt seitdem völlig in sich zurückgezogen. Da ist Nur aus Beth-lehem, 14 Jahre alt. Während einer seit Tagen anhaltenden Ausgangs-sperre im Jahr 2002 versuchte er zusammen mit seinen beiden Brüdernin einem Gemüsegeschäft in der Nähe des Altstadtbasars Lebensmitteleinzukaufen. Zur selben Zeit sprengten in der Nähe israelische Soldateneinen ihnen verdächtig erscheinenden Gegenstand. Die beiden Brüderwaren sofort tot. Nur verlor beide Beine und wies Verletzungen am gan-zen Körper auf. Die Ambulanz fand ihn mit den Leichenteilen seinerBrüder bedeckt schwer verletzt auf.

Und da ist schließlich Christin Saadeh aus Bethlehem, elf Jahre alt. DieEltern unternahmen im Jahr 2003 mit den beiden Töchtern eine Auto-tour. In der Nähe des Shephard-Hotels trafen sie auf eine isaelische Pa-trouille, die das Auto einer zur Fahndung ausgeschriebenen Person ver-folgte. Die Soldaten schossen auf die beiden Fahrzeuge. Im Kugelhagelstarb Christins Schwester, der Vater wurde verwundet. Christin lag län-gere Zeit in ihrem Blut, die Ambulanz wurde am Evakuieren gehindert.Schließlich wurde Christin an der Seite ihrer toten Schwester ins Hospitalgebracht. Können derartige Traumata jemals geheilt werden?

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2236

37EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Der YMCA schätzt, dass in Bethlehem weit über 1.000 Kinder undJugendliche verletzt und traumatisiert sind. Wie wirken sich die erlitte-nen Traumata in ihrem Leben aus? Berichte von Eltern, Lehrkräften undvon Mitarbeitenden psychosozialer Beratungsstellen sowie eine Feldstu-die der Autonomiebehörde berichten, dass sich über 93 Prozent dieserKinder nicht sicher fühlen. Sie leben beständig mit der Angst, angegrif-fen zu werden. 48 Prozent haben nicht nur Angst um sich, sondern auchum ihre Familien und Freunde. 22 Prozent haben sich von ihrer Umweltzurückgezogen. Sie leiden unter Verhaltensstörungen, Schlaflosigkeit,Bettnässen, Albträumen, Panikattacken, Schreckhaftigkeit. Sie verhaltensich aggressiv, es mangelt ihnen an Unrechtsbewusstsein. Sie haben we-der Vertrauen zu sich selbst, noch zu Autoritäten oder in die Zukunft. Sieziehen sich in sich selbst zurück bis zum Abbruch jeglicher Kommunika-tion. Dies sind nur einige der vielen zu beobachtenden Erscheinungenauf der langen Symptomliste der Traumatisierung.

Viele Eltern fühlen sich außerstande, ihren Kindern die ihnen nötigeHilfe zu geben. In der Konsequenz können sich viele dieser nicht behan-delten Traumata in psychosomatische Erkrankungen und zu dauerhaftenSchädigungen auswachsen. Damit zahlen diese Kinder von Bethlehemeinen hohen Preis, für die Besatzung wie auch den Widerstand dagegen.Sie bezahlen ihn mit dem Verlust ihrer Kindheit und ihrer physischenund psychischen Gesundheit.

Die inhaftierten KinderDie inhaftierten KinderDie inhaftierten KinderDie inhaftierten KinderDie inhaftierten Kinder

Zu den Kindern von Bethlehem gehören auch eine große Zahl inhaf-tierter Kinder. Verstöße gegen die Ausgangssperre, Steinwürfe auf Mili-tärfahrzeuge oder Widerstandshandlungen gegen die Mauer sind oft derAnlass für monate-, auch jahrelange Gefangenschaft. Die bereits er-wähnte Organisation „Defence for Children International“ nennt fürBethlehem die Zahl von 344 gefangen gehaltenen Kindern im ZeitraumEnde September 2000 bis Ende September 2004. Etliche stammen ausden insgesamt drei, direkt an Bethlehem grenzenden Flüchtlingslagern.Im Aida-Camp rechnet man mit 135 und im Deheischa-Camp mit 65Gefangenen, 95 Prozent davon sind Kinder und Jugendliche.

Wie sich solche Gefangennahmen manchmal ereignen, berichtete mirder 18-jährige Muhammad al Azraq am Beispiel seines Bruders Dawud.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2237

38 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Während der Belagerung Bethlehems und der Geburtskirche im Jahr 2002machte sich sein damals 16 Jahre alter Bruder Dawud zusammen mit zweiFreunden auf den Weg zur Geburtskirche. Sie wollten sehen, was dortgeschieht. Zu diesem Zeitpunkt herrschte sowohl im Aida-Camp als auchin Bethlehem eine Ausgangssperre. Die drei Jungen wurden von einerisraelischen Patrouille aufgebracht, einer der beiden Freunde konnte ent-kommen. Dawud musste sich zur Kontrolle ausziehen und auf die Straßelegen. Die Soldaten fragten ihn nach dem Namen des entkommenen Ju-gendlichen. Dawud wurde getreten, die Soldaten drückten ihm einen Ge-wehrkolben auf die Kehle. Da verriet Dawud den Namen. Anschließendsollte er die Soldaten zu dem Haus des Geflüchteten begleiten, der aberwar nicht auffindbar. Dawud, sein Vater und sein Onkel wurden festge-nommen. Wegen Verstoßes gegen die Ausgangssperre und angeblichemBesitz von Explosivkörpern wurde Dawud zu sechs Jahren Gefängnis ver-urteilt. Bisher durfte ihn seine Familie jeweils einmal im Jahr besuchen.Im August 2004 unternahm er einen 18-tägigen Hungerstreik.

Die FlüchtlingskinderDie FlüchtlingskinderDie FlüchtlingskinderDie FlüchtlingskinderDie Flüchtlingskinder

Offiziell gelten sie nicht als Kinder von Bethlehem – die vielen Kinder,die die Gassen der Flüchtlingslager bevölkern. Ihre Verwaltung obliegtUNRWA, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für die palästinensi-schen Flüchtlinge im Nahen Osten. UNRWA ist auch für die Bildung unddie Gesundheit dieser Kinder zuständig. Doch auch wenn sie am Randeder Stadt wohnen, gehören diese Kinder sehr wohl zu den Kindern vonBethlehem, und zwar zu ihren ärmsten. Auf fast allen Gebieten sind siebenachteiligt, angefangen bei den hohen Klassenfrequenzen – bis zu 45Schülerinnen und Schüler in einer Klasse – , über unzureichende Ge-sundheitsversorgung bis zu fehlenden Spielplätzen und viel zu wenigJugendeinrichtungen. Viele von ihnen verbringen ihr Leben größtenteilsauf der Straße in bedrängender Enge. Durch den Mauerbau verringertsich ihr Bewegungsspielraum weiter, in der Folge kommt es zu Dauer-stress. Ihm sind zwar alle Lagerbewohnerinnen und –bewohner ausge-setzt, aber die Kinder belastet er besonders.

Hinzu kommen die nicht verarbeiteten Traumata der monatelangenAusgangssperren und der blutigen Kämpfe in den Lagern zwischen 2001und 2002, die verwundeten oder auch getöteten Jugendlichen und Er-wachsenen sowie die bis in die Gegenwart anhaltende Praxis des israeli-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2238

39EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

schen Militärs, in der Nacht und in den frühen Morgenstunden in dieLager einzudringen und Verhaftungen vorzunehmen. So begleitet Angstjede Nacht und vergrößert den Dauerstress, der allein schon zur Trauma-tisierung führen kann. Die Gewalt, die die Kinder umgibt, steigert ihreeigene Aggressivität. Es ist ein ungeschriebenes, aber kaum zu durchbre-chendes Gesetz, Gewalt mit Gewalt zu begegnen – oft aus Mangel ananderen Erfahrungen. Hier leistet das „Conflict Resolution Center“, eineEinrichtung, die Hilfen zur Konfliktbewältigung anbietet, wertvolle Ar-beit.

Unvergessenbleibt mir die Weih-nachtskarte, diedas Center im Jahr2004 veröffentlich-te. Sie stellte dasWeihnachtsgesche-hen im Kontext derdamaligen Situati-on im gar nichtheiligen Land dar.Die Karte zeigt dieübliche Weih-nachtsdarstellung:das Kind in derKrippe, umgebenvon Maria und Jo-seph, von Ochs undEsel und den her-beieilenden Weisenaus dem Morgen-land. Aber zwi-schen ihnen spannt sich ein sich windendes Band von Stacheldraht, dasalle voneinander trennt und jede Annäherung verhindert. So ist DASKIND von Bethlehem allein – getrennt von allen, die es braucht und diedieses Kind brauchen. Von oben aber strahlt der Stern von Bethlehemhinein in diese trostlose Szenerie. Als Einziger durchdringt er die Ab-sperrungen und erreicht und bescheint alle, die nicht zueinander könnenin diesem Heiligen Land, das zum Land der Zäune, der Gräben und Mau-ern geworden ist. Ein Stern einer nicht tot zu kriegenden Hoffnung.

Foto: BMW

Kinder im Flüchtlingscamp Deheischa.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2239

40 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Stadt der FlüchtlingeStadt der FlüchtlingeStadt der FlüchtlingeStadt der FlüchtlingeStadt der FlüchtlingeDieter Ziebarth, Herbst 2004

Die Flüchtlingsproblematik scheint seit Menschengedenken beson- ders mit der Stadt Bethlehem verbunden. David, Bethlehems be-rühmtester Einwohner, wird hier kurz nach seiner Salbung zum

König zum Flüchtling im eigenen Land. Von Jesus wird berichtet, dass erkurz nach seiner Geburt Bethlehem als politischer Flüchtling verlassenmusste. Und die Situation der Flüchtlinge spielt für ihn eine so großeRolle, dass er sich in dem berühmten Gleichnis vom Weltgericht fürimmer mit den Flüchtlingen identifiziert. „Ich bin ein Fremder gewesen,und ihr habt mich (nicht) aufgenommen!“ (Matth.25, 35+43).

Kurz nach dem Krieg im Zusammenhang mit der Staatsgründung Isra-els im Jahr 1948 wird Bethlehem zum bevorzugten Ziel der 750.000 pa-lästinensischen Flüchtlinge, die dieser Krieg hinterließ. Die Christen ver-loren durch den Zuzug der Flüchtlinge ihre Mehrheit in der Stadt. Undam Stadtrand entstanden drei Flüchtlingslager: Azza, Aida und Dehei-scha. Seit ihrem Bestehen werden die Lager durch eine Sonderorganisati-on der Vereinten Nationen, der UNRWA, verwaltet. Diese ist für die Sau-berhaltung der Lager, die Erziehung und für den Gesundheitsschutz ver-antwortlich. In den Lagern wohnen insgesamt 20.000 Menschen, 40 Pro-zent von ihnen sind unter 18 Jahre alt. Seit der ersten Intifada (1987-1993) und der zweiten Intifada (2000–2004) kommt es zu dauerndenAuseinandersetzungen der Lagerinsassen mit dem israelischen Militär.

AufgezeichnetAufgezeichnetAufgezeichnetAufgezeichnetAufgezeichnet

Im Flüchtlingslager Aida, gegenüber dem Eingang in das Lajee-Cen-ter, Lajee heißt auf Arabisch „Flüchtling“, erweckt eine WandmalereiAufmerksamkeit. An einer rund zehn Meter langen und drei Meter brei-ten Wand haben Bewohnerinnen und Bewohner aus ihrer Perspektive,gleichwohl in bunten Farben, die Geschichte des Lagers aufgezeichnet.Sie beginnt mit der Zeit vor 1948, wo in den 27 Dörfern, aus denen dieFlüchtlinge stammen, nach uralter Weise die Herden gehütet und dieOliven geerntet werden.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2240

41EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Auf dem zweiten Bild greifen israelische Soldaten und Panzer die Dör-fer an, die Felder und Häuser stehen in Flammen, die Menschen flüchtenHals über Kopf. Außerhalb Bethlehems auf einem damals unbesiedeltenLandstück an der Straße nach Hebron finden sie Zuflucht. Das einzige

Foto

s: Z

ieba

rth

(3)/

Brä

uer

(5)

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2241

42 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Gebäude, das sich damals dort befand, war ein Gasthaus, dessen Besitze-rin Aida hieß, auf Deutsch bedeutet dies „Eine, die zurückkehrt“. Dieserverheißungsvolle Name wird zum Namen des Camps, das zunächst nuraus Zelten besteht. Aus Zelten werden kleine Häuser für jeweils zweiFamilien. Später bauen sich die Familien ihre eigenen Häuser. Das Ge-wirr kleiner Straßen und Gassen beginnt. Die Zahl der Häuser nimmt zu,das Gelände lässt sich aber nicht erweitern. Im Süden wird es von Beth-lehem, im Westen von Beit Jala und im Osten von einem armenischenFriedhof begrenzt. Die einzige Erweiterungsmöglichkeit liegt im Norden,wo es aber schon die israelischen Militäreinrichtungen um das Rachel-grab gibt. Als Folge der Raumnot wachsen die Häuser Generationen umGenerationen in die Höhe.

Das nächste Bild auf der Wandmalerei zeigt den Flüchtlingsausweis,auf dem nicht die offiziellen Daten, sondern die schweren Erlebnisse derFlüchtlinge eingetragen sind. Daneben befindet sich das von den Ein-wohnern selbst kreierte Wappen: ein Schlüssel mit den Namen derinsgesamt 27 Flüchtlingslager in Palästina, 19 davon in der Westbankund acht in Gaza. Der Schlüssel symbolisiert den Schlüssel zu den verlo-ren gegangenen Häusern und den zerstörten oder für die Flüchtlingenicht mehr zugänglichen Dörfern. Es ist ein starkes Symbol der Hoffnungauf Rückkehr, die zur Identität der Menschen in den Lagern gehört.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2242

43EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Das darauf folgende Bild zeigt die Zeit der ersten Intifada, in der dieLager von den Israelis geschlossen gehalten und jedes Passieren kontrol-liert wurde. Ein Bild zeigt Steine werfende Jugendliche, aus allen Rohrenfeuernde israelische Soldaten, brennende Reifen und Häuser.

Dann folgt ein hoffnungsvolles Bild: die palästinensische National-flagge. Es ist die Zeit des Osloer Abkommens (1993) und der aufkeimen-den Hoffnung auf einen eigenen Staat und einer Lösung für das Flücht-lingsproblem.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2243

44 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Aber bereits das nächste Bild ist wieder von Gewalt gezeichnet. Eszeigt den Ausbruch der zweiten Intifada. Israelische Militärfahrzeuge inund vor dem Lager, protestierende Einwohner, Steine werfende Jugendli-che und der Beschuss des Lagers mit schweren Waffen.

Das vorletzte Bild zeigt eine sechs Meter hohe Mauer, die sich an derNordgrenze des Lagers nur in fünf Metern Entfernung von den Wohn-häusern erstreckt und damit den letzten Freiraum und für viele auch denBlick auf den freien Horizont verstellt. Auf der Straße entlang der Mauer

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2244

45EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

patrouillieren schwere Militärfahrzeuge, vom Grab der Rachel und vonden Dächern zweier konfiszierter Häuser sind schwere Waffen auf dasLager gerichtet. 3.800 Menschen, die ständig unter israelischer Kontrolleleben, direkt unter den Augen der Vereinten Nationen, die eigentlich fürdieses Lager zuständig sind.

Das letzte Bild zeigt einen Olivenbaum, dem es im wahrsten Sinn desWortes an die Wurzel geht. Er symbolisiert das palästinensische Volk,dem die Wurzeln abgeschlagen werden soll.

Leben im FlüchtlingslagerLeben im FlüchtlingslagerLeben im FlüchtlingslagerLeben im FlüchtlingslagerLeben im Flüchtlingslager

Neben der beinahe täglichen Gewalt ist die hohe Arbeitslosigkeit inden Flüchtlingslagern ein gravierendes Problem. Sie liegt weit über derArbeitslosenquote von Bethlehem, Schätzungen sprechen von neunzigProzent. Vor der Abriegelung von Jerusalem hatten viele Lagerbewohnerihre Arbeitsmöglichkeiten dort. Seitdem sind sie zu Nothilfeempfängerndes UNRWA geworden. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für diepalästinensischen Flüchtlinge versucht in Aida, wie im gesamten NahenOsten, mit seinen bescheidenen Mitteln nicht nur in die Notversorgung,sondern auch in die Schaffung von Arbeitsplätzen zu investieren. In die-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2245

46 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

sem Jahr wurde ein Beschäftigungsprogramm entwickelt, das vor allemder Beseitigung der durch die Militäraktionen entstandenen Schädendient. 54 zerstörte Gebäude konnten dadurch wiederhergestellt werden,39 Arbeitsplätze sind so entstanden. Trotzdem: Die Arbeitslosigkeitbleibt das größte aller sozialen Probleme in den Lagern.

Ein weiteres, gravierendes Problem des Lageralltags ist die hohe Zahlder durch das israelische Militär verhafteten Kinder und Jugendlichen.Meist in den frühen Morgenstunden dringen die Soldaten mit Kampfwa-gen in das Lager ein, sprengen die Metalltüren der Häuser auf und neh-men Menschen fest, die auf ihren Listen stehen. Neunzig Prozent vonihnen sind Kinder und Jugendliche. Angaben über den Grund der Ver-haftung und über den Ort, an dem die Verhafteten festgehalten werden,erfolgen in der Regel nicht. Die Eltern erhalten keine Auskünfte undmüssen mit Hilfe von Gefangenenorganisationen oder israelischen Hilfs-organisationen den Aufenthaltsort ermitteln. Das sind in der Regel die inder Nähe und damit auch in den israelischen Siedlungen gelegenen Sam-melstellen für Gefangene. Dort werden die Betreffenden für rund sechsWochen ohne Kontakte zur Außenwelt festgehalten. Je nach Einschät-zung der Sicherheitsdienste gibt es dann eine Überstellung in die Verhör-zentrale „Masqobia“ in Jerusalem, in der die Geständnisse gefertigt wer-den. Danach erfolgt die Anklageerhebung.

Erst zu diesem Zeitpunkt hat der Rechtsanwalt Zugang zu der Akte.Der Gefangene wird in ein weiteres Gefangenenlager verlegt. Der Zeit-raum zwischen Anklageerhebung und dem Prozess kann bis zu drei Jah-ren dauern. Die Besuchsmöglichkeiten für die Familienangehörigen undVerwandten sind eingeschränkt. Die Anwälte müssen die Besuche zweiWochen zuvor beantragen. Die Namen ihrer Mandanten können ohneAngabe von Gründen von der Besuchsliste gestrichen werden. Außerdemist die Bewegungsfreiheit der Anwälte, soweit sie Palästinenser sind, ih-rerseits eingeschränkt. „Sammelbesuche“, bei denen Anwalt und Man-dant durch mit Sprechlöchern versehene Glasscheiben aus Panzerglasvoneinander getrennt sind, sind die Regel. Jedes Gespräch wird über-wacht. Da es nur wenige Anwälte gibt, die unter diesen Bedingungen zuarbeiten bereit sind, kommen auf jeden Anwalt rund 600 Mandanten, sodie Angaben der „Prisoners’ Association“ in Bethlehem. Unter diesenund ähnlichen Bedingungen leben nach Angaben der Lagerkomitees 135Personen aus Aida und 65 Personen aus Deheischa, 95 Prozent von ih-nen sind minderjährig. Das jüngste, von einem Jerusalemer Rechtsan-walt vertretene Kind ist gerade einmal zehn Jahre alt.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2246

47EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Seit über fünfzig Jahren wird das Leben in den Flüchtlingslagern nunschon aufrecht erhalten - unter Verwaltung der Vereinten Nationen undmit Hilfe der „Volkskomitees“, die für die Sicherheit in den Lagern, fürdas Zusammenleben, für die Weiterbildung und für Hilfen in sozialenNotfällen sorgen, oft mit Unterstützung des Auslands. So konnte zumBeispiel im Deheischa-Camp – mit 14.000 Einwohnern das größte unterden Flüchtlingslagern um Bethlehem – mit Hilfe der japanischen Regie-rung eine Klinik mit 14 Arztplätzen und eine Apotheke errichtet werdensowie ein modernes Begegnungszentrum mit einer Versammlungshalle,einer Caféteria und einem Garten. Davon können die Menschen im Aida-Camp nur träumen. Sport und andere Bewegungsspiele sind in den en-gen Straßen kaum möglich. Spiel- und Sportplätze gibt es nicht. Als ein-zige Beschäftigung hat sich unter den Kindern das Steine werfen einge-

bürgert. Und schon Kleinkinder spielen Häuserkampf mit aus Holz ge-schnitzten Gewehren. Verbinden sie so ihren Bewegungsdrang mit demAbreagieren ihrer Aggressionen? Immerhin: Ein kleines Haus für sozialeProjekte konnte mit Hilfe der italienischen Regierung eingerichtet wer-den. Ein kleiner Lichtblick im sonst so grauen Alltag der Flüchtlinge.

Foto

: EM

W/B

räue

r

Besonders für die Kinder und Jugendlichen fehlenSpiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2247

48 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Al Walajeh – Al Walajeh – Al Walajeh – Al Walajeh – Al Walajeh –ein Dorf in Bedrängnisein Dorf in Bedrängnisein Dorf in Bedrängnisein Dorf in Bedrängnisein Dorf in Bedrängnis

Christine Raiser-Süchting, Januar 2005

Am 17. Januar 2005 war das eingetreten, was die Bewohner des Dor- fes Al Walajeh – gelegen am südlichen Rand von Jerusalem und westlich von Bethlehem – seit Wochen befürchtet hatten. Um

sechs Uhr morgens erschien die israelische Armee in Al Walajeh mitinsgesamt weit über zwanzig Militärfahrzeugen, zwei Planierraupen undeinem Bulldozer. Sie beschossen die Schule mit Tränengas und schlossensie. Dann erklärten sie das Dorf zur militärischen Sicherheitszone.

Um 6.30 Uhr erreichte uns der Anruf aus Al Walajeh. Wir hattenGlück, konnten die Militärkontrollen umgehen und waren gut eine Stun-de später vor Ort. Im Laufe des Vormittags wurden wir gemeinsam mitden Dorfbewohnerinnen und -bewohnern und einigen anderen herbei-geeilten Unterstützern Zeugen einer umfassenden Zerstörungsaktion voninsgesamt elf Gebäuden.

Warum das alles?

Bis zur Gründung des Staates Israel war Al Walajeh ein friedliches Dorfmit etwa 2.000 Einwohnern an einem Berghang westlich von Bethlehemgelegen. 1948 wurde das Dorf zerstört. Die Bewohnerinnen und Bewohnerflohen, die Mehrzahl von ihnen nach Jordanien, Syrien, in den Libanon.Noch heute leben dort viele in Flüchtlingslagern. Einige wenige, etwa 120bis 150 Personen, ließen sich auf dem Berghang an der anderen Talseitenieder, damals noch unter jordanischer Herrschaft. Das Land gehörte ihnen,es war bis dahin von ihnen landwirtschaftlich genutzt worden.

So bauten diese Flüchtlinge in unmittelbarer Nachbarschaft ihres zer-störten Dorfes das neue Dorf Al Walajeh. Inzwischen leben dort wiederrund 2.000 Menschen – die Kinder und Enkel derjenigen, die 1948 flo-hen. Viele von ihnen konnten sich bislang von den Produkten ihrerLandwirtschaft ernähren. Andere suchten Arbeit in den nahe gelegenenStädten Bethlehem und Jerusalem.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2248

49EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Im Jahr 1967, als Ergebnis des Sechs-Tage-Krieges, annektierte Israelüber fünfzig Prozent des Dorfes und der landwirtschaftlichen Fläche,rund sieben Quadratkilometer. Dieses Land wurde integriert in den Planeines Greater Jerusalem, „Groß-Jerusalem“, gewissermaßen als Erweite-rungsreserve. Der restliche Teil des Dorfgebietes kam unter israelischeMilitärbesatzung. Dieser unterschiedliche Rechtsstatus hatte viele Jahrekeine Bedeutung für die Menschen in Al Walajeh. Sie alle behielten ihrepalästinensischen Identitätsausweise.

Die ersten beunruhigendenNachrichten stammen aus denAnfängen der 1980-er Jahre.Damals erfuhren die Dorfbe-wohner erstmals offiziell, dassein Teil ihres Dorfes und derangrenzenden landwirtschaftli-chen Flächen von der israeli-schen Regierung als JerusalemerStadtgebiet angesehen wurde.Erste Schritte, um ihre Plänedurchzusetzen, unternahmendie israelischen Behörden je-doch erst Anfang der 1990-erJahre. Den Bewohnerinnenund Bewohnern des betroffe-nen Dorfteils Ain Jawaizeh –dort lebten damals etwa 600Menschen in 92 Häusern –wurde mitgeteilt, dass sie, dakeine Jerusalemer Bürger, ille-gal in ihren Häusern wohnten,dass sie diese obendrein ohneeine Genehmigung durch diezuständigen Stellen der israeli-schen Bürokratie gebaut hät-ten. Entsprechende Bauanträgewaren abgelehnt worden mitdem Hinweis, dass es für das

Dorf keinen Bebauungsplan gäbe. Da sie keine Erlaubnis hätten, in Jeru-salem zu arbeiten, so die Mitteilung weiter, dürften sie auch ihr Landnicht bebauen.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2249

50 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Die Bewohnerinnen und Bewohner suchten Unterstützung durch ei-nen israelischen Anwalt, der sie seitdem vertritt. Er war früher Mitarbei-ter des israelischen Geheimdienstes. Die Menschen von Al Walajeh ver-trauen ihm. Sein erster Erfolg vor Gericht war die Rettung ihrer rechtli-chen Existenz. Sie haben ihre palästinensischen Identitätsausweise be-halten.

Seit etwa vier Jahren verstärken die israelischen Behörden den Druck.Von den 92 Häusern wurden 17 zerstört. Von den verbliebenen 75 habenzurzeit 53 Demolition-Orders, sind also freigegeben zum Abriss. Von die-sen wiederum sind bereits 39 endgültig gerichtlich entschieden, die Zer-störung jedoch zum Teil noch aufgeschoben bzw. „eingefroren“ bis Mittedes Jahres 2006. Die Bewohnerinnen und Bewohner sollen sich bis dahinentweder um eine Legalisierung ihres Besitzes kümmern – wie auchimmer – oder ihre Häuser selbst zerstören. Letzteres würde sie von denKosten für den Abriss entlasten, bis zu 20.000 Shekel, das entspricht etwa3.600 Euro. In jedem Fall jedoch müssen sie Strafe für illegales Bauen

Foto

: Rai

ser-

Süch

tig

Ein israelischer Soldat vor einemzerstörten Haus in Al Walajeh.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2250

51EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

zahlen, für 84 Quadratmeter beispielsweise 18.500 Shekel in Monatsra-ten. Bei Nichtzahlung der Raten droht eine Haftstrafe von 93 Tagen. Einanderes Gerichtsurteil mit einem endgültigen Räumungsbefehl ordneteine Strafe von 80 Shekel an für jeden Tag, den der Hausbesitzer weiter inseinem Haus wohnt und obendrein eine Haftstrafe von 500 Tagen.

Seit Herbst 2004 erlebten die Menschen in Al Walajeh weitere bedroh-liche Militäraktionen. Soldaten suchten sie in ihren Häusern auf und be-schimpften sie, weil sie angeblich illegal dort lebten. Wer auf dem eige-nen Land arbeitete, lief Gefahr angegriffen zu werden. Auch die beidenBusse wurden beschlagnahmt, die Al Walajeh mit Bethlehem verbindenund sowohl für Schulkinder als auch für alle Erledigungen in Bethlehemvon großer Bedeutung sind. Die Fahrer wurden mit der Begründung ver-haftet, dass die Fahrzeuge keine Genehmigung hätten, im Stadtgebietvon Jerusalem zu fahren. Auch Privatfahrzeuge wurden beschlagnahmt.

Der Höhepunkt war dann die Zerstörungsaktion vom 17. Januar 2005.Vier noch im Bau befindliche Wohnhäuser und sieben Gerätesschuppenoder Ställe wurden zerstört. Die Planierraupen zerbrachen außerdemzwei öffentliche Wasserleitungen, rissen Mauern an Straßen und Wegenein und zerstörten landwirtschaftliche Flächen. Die Soldaten schirmtenjede dieser Aktionen generalstabsmäßig ab.

Die Menschen in Al Walajeh stellen sich darauf ein, dass weitere der-artige Aktionen folgen. Deshalb gibt es Initiativen aus dem Kreis derUnterstützer: das Israelische Komitee gegen Hauszerstörungen (ICAHD),die Rabbiner für Menschenrechte (RHR), die israelische Menschenrechts-organisation B’Tselem, die Internationale Solidaritätsbewegung (ISM),verschiedene israelische Einzelpersonen, das Alternative Informations-zentrum (AIC), wir Begleiterinnen und Begleiter des Ökumenischen Frie-densdienstes (ÖFPI) und andere. Gemeinsam mit den Dorfbewohner-innen und -bewohnern beraten sie, wie deren ziviler Widerstand am wir-kungsvollsten unterstützt werden kann.

Und ziviler Widerstand wird notwendig sein, denn Al Walajeh istauch vom geplanten Mauerbau betroffen. Die derzeitige Planung siehtvor, dass die Mauer eng um den Ort herum gebaut wird. Damit verlöredas Dorf all seine landwirtschaftlichen Flächen. Nur ein Ausgang ausdiesem „Ghetto“ ist geplant. Um ihn benutzen zu können, werden dieBewohnerinnen und Bewohner von Al Walajeh eine Genehmigung bean-tragen müssen. Eine kafkaeske Zukunftsperspektive.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2251

52 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Beit JalaBeit JalaBeit JalaBeit JalaBeit JalaChristine Raiser-Süchting, Januar 2005

Beit Jala ist die westliche Nachbargemeinde von Bethlehem, beide Städte gehen ohne deutliche Trennung ineinander über. Die Ge- meinde hat 16.000 Einwohnerinnen und Einwohner, etwa je zurHälfte Christen und Muslime. Viele Menschen sind im Verlauf der ver-gangenen hundert Jahre aus Beit Jala ausgewandert. Teils weil sie keineausreichende Lebensgrundlage mehr hatten, teils, um vor den militäri-schen Auseinandersetzungen zu fliehen. Etwa 80.000 ehemalige Bürger-innen und Bürger Beit Jalas leben heute – so der Bürgermeister der Ge-meinde – in Zentral-, Süd- oder Nordamerika. Der Auswanderungsdruckhält an. Es sind heutzutage überwiegend die jungen, gut ausgebildetenMenschen, die gehen, mehr Christen als Muslime.

Die israelische Politik der Enteignung palästinensischen Landes gehtzurück in die Zeit der Gründung des Staates Israel. Neben anderen Maß-nahmen wurde im Jahr 1950 das so genannte Absentee Property Lawverabschiedet. Ein Absentee ist eine Person, die sich zwischen November1947 und September 1948 nicht auf israelischem Staatsgebiet aufgehal-ten hat. Dies gilt auch für deren Nachkommen. Das diesen Personen ge-hörende Land auf israelischem Staatsgebiet wurde diesem Gesetz gemäßunter die Verwaltung des israelischen Custodian of Absentee Propertygestellt; Custodian heißt Wärter, Hüter, aber auch Vormund. Eine Be-schwerdemöglichkeit oder Entschädigungsregelungen gegen diese ein-seitig ernannte „Vormundschaft“ waren nicht vorgesehen. Von diesemGesetz ist der größte Teil der palästinensischen Flüchtlinge betroffen. Fürdie Bewohnerinnen und Bewohner Beit Jalas war das Gesetz bis zumSommer 2004 ohne Bedeutung. Doch es könnte nun auch dort, wie schonandere zuvor, überraschend zur Anwendung kommen.

Im Jahr 1967 entwickelte die israelische Regierung erste Pläne für einGreater Jerusalem, „Groß-Jerusalem“. Im siegreichen Sechs-Tage-Krieghatte die israelische Armee auch den bis dahin unter jordanischer Ver-waltung stehenden Ostteil Jerusalems und das gesamte Westjordanlanderobert. 108 Quadratkilometer Land, darin eingeschlossen 28 palästinen-sische Dörfer, wurden zu potenziellem Erweiterungsgebiet von „Groß-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2252

53EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Jerusalem“ erklärt. Diese Entscheidung hatte in den folgenden Jahrenverheerende Folgen für viele der im Umkreis von Jerusalem liegendenpalästinensischen Orte, so auch für Beit Jala. Rund sechs Quadratkilome-ter Land im Eigentum von Bewohnern Beit Jalas wurden konfisziert fürden Bau der israelischen Siedlungen Gilo (1971-79) und Har Gilo (1976)sowie für die By-Pass Roads, die Umgehungsstraßen, die diese Siedlun-gen miteinander verbinden. Beide Siedlungen werden bis heute kontinu-ierlich erweitert.

Familie S. wohnt in einem schönen und reich eingerichteten Haus amHang in Beit Jala. Die Aussicht rundherum ist großartig. Vater S. war inder Steinproduktion tätig. Auf dem Gelände der heutigen Siedlung Gilobefanden sich mehrere Steinbrüche, von denen einer im Besitz der Fami-lie war. Familie S. verlor diesen Besitz entschädigungslos. Der nachfol-gende Versuch in Beit Jala die Steinproduktion mit Aussicht auf Erfolgfortzusetzen, endete mit dem Beginn der zweiten Intifada im Herbst2000. Aufgrund der militärischen Besetzung und Absperrungen mussteder Betrieb stillgelegt werden. Vater S. ist vor etwa zwei Jahren mit einerGreen-Card, einer Einwanderungsberechtigung, in die USA gegangen,

Foto

: EM

W/B

räue

r

Blick von Bethlehem auf die israelische Siedlung Har Homa.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2253

54 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

um dort für die Familie Geld zu verdienen. Die Mutter und die Kindersind in Beit Jala geblieben. Sie müssen nun mit einer weiteren Enteig-nung von Land unmittelbar neben ihrem Haus rechnen, auf dem sieSchafe und Hühner halten sowie ertragreiche Obstbäume angepflanzthaben. Diese Enteignung dient dem Bau der Mauer, die unmittelbar vordem Haus gebaut werden soll.

F. und S., ein Geschwisterpaar in den Fünfzigern, können noch einüber hundert Jahre altes Dokument aus der Zeit der türkischen Herrschaftvorzeigen. Damals erwarben ihre Vorfahren ein großes Stück Land aufdem Hügel, der heute von der Siedlung Har Gilo besetzt ist. Im Jahr 1973,nach dem wiederum verlorenen, so genannten Jom-Kippur-Krieg, wurdeihr Land konfisziert, weil dort zunächst ein militärischer Stützpunkt er-richtet wurde. Die Familie leistete Widerstand, insbesondere die Frauen.Für ihren Mut erhielten sie Haftstrafen. Anfang des Jahres 2005 war erstein Teil des ehemaligenLandbesitzes der Familiedurch das Sicherheitssys-tem der Siedlung abge-trennt. Der Rest lag brachund durfte von den Mit-gliedern der Familie nichtbetreten werden. Gemein-sam mit F. besuchte ichdieses Land. Lange ver-weilten wir unter demBaum, unter dem er undseine Geschwister als Kin-der gespielt haben. F. hatteTränen in den Augen. Inallen Einzelheiten erklär-te er die großartige Aus-sicht von diesem Platzaus. Die Familie hatte aufdem Land viele Obstbäumeund ertragreichen Gemü-seanbau. Davon ist nichtsmehr übrig.

Seit Beginn des Jahres2004 haben die Bewoh-

Ein Mitarbeiter der israelischen OrganisationIr Amim erläutert die Entwicklung des Grenz-verlaufs um Jerusalem.

Foto:

Foto

: EM

W/B

räue

r

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2254

55EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

nerinnen und Bewohner Beit Jalas wieder Confiscation-Orders von derzuständigen Militärbehörde erhalten. Wieder soll Land konfisziert wer-den, diesmal mit Hinweis auf den geplanten Bau der Mauer. Deren vorge-sehener Verlauf entspricht den bereits im Jahr 1967 festgelegten Grenzenvon „Groß-Jerusalem“. Er trägt den Landgewinnungsinteressen der isra-elischen Regierung umfassend Rechnung.

Zunächst versuchten einige Betroffene mit Hilfe von Rechtsanwälteneine Korrektur des Verlaufs der Mauer zu erreichen, um zumindest einenTeil ihres Landes weiter bearbeiten zu können. Bisher vergeblich. Aus derZeitung hatten sie eher zufällig von der geheimen Entscheidung der isra-elischen Regierung vom 8. Juli 2004 erfahren. Diese verfügte, dass allesLand, welches Palästinensern gehört und zu „Groß-Jerusalem“ gerechnetwird, aufgrund des Absentee Property Law aus dem Jahr 1950 automa-tisch in den Besitz des Staates Israel übergeht, ohne Möglichkeit Rechts-mittel einzulegen oder Entschädigung zu verlangen. Bislang war diesesGesetz für das Gebiet von „Groß-Jerusalem“ aufgrund einer Vereinba-rung im Rahmen der Oslo-Verträge von 1993 nicht angewandt worden.

Das sei legalized theft and robbery, legalisierter Diebstahl und Raub,sagte einer der betroffenen Bürger von Beit Jala. Und ein israelischerRegierungsvertreter, der in dem Artikel der israelischen Tageszeitung„Haaretz“ zitiert wurde, räumte ein, dass die Anwendung des AbsenteeProperty Law für manche Palästinenser eine ungerechte Entscheidung sei.Jedoch, so der Zitierte weiter, die Orientierung an moralischen Grundsät-zen sei eine, die Anwendung von Recht eine andere Sache.

In der Zwischenzeit werden von der israelischen Armee Fakten ge-schaffen. Zügig begann sie mit dem Bau von Erschließungsstraßen aufdem unter dem Absentee Property Law definierten Gelände der Bewoh-nerinnen und Bewohner Beit Jalas. Einige Eigentümer wurden von denSoldaten bedroht. So wurde unter anderem der Traktor von F. im Herbst2004 konfisziert, als er auf einem Stück Land, welches ihm noch verblie-ben war, Oliven ernten wollte. Als Argument wurde angeführt, er befindesich und arbeite auf Land, welches zu „Groß-Jerusalem“ gehöre. Dafürhabe er keine Genehmigung. F. musste 20.000 Shekel Strafe für illegalesArbeiten und 10.000 Shekel für den Rücktransport des Traktors zahlen,also insgesamt rund 5.500 Euro. Einige der Olivenbäume, die den Bau derMauer „stören“ und deshalb entwurzelt oder gefällt werden, sind vielehundert Jahre alt. In Israel steht das Fällen von Olivenbäumen unterStrafe.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2255

56 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Das enteignete Land war bisher für viele Menschen eine Einkommens-quelle und gleichzeitig ein Ort der Erholung. Heute, wo es unendlichschwer ist, eine Arbeit zu finden, ist Landbesitz als Lebensgrundlageumso wichtiger. Auch die lutherische Gemeinde in Beit Jala ist – indirekt– betroffen. Einer der Ältesten der Gemeinde hatte einen Teil seines Lan-des angeboten für die Errichtung einer „Tierfarm“ mit Hühnern, Ziegen,Kühen, Schweinen. Die Idee dahinter war, Arbeitsplätze zu schaffen undgleichzeitig zur gesunden Ernährung der Bevölkerung beizutragen.

Zwischen Hoffnung und ResignationZwischen Hoffnung und ResignationZwischen Hoffnung und ResignationZwischen Hoffnung und ResignationZwischen Hoffnung und Resignation

Generell lässt sich sagen, das von den Landenteignungen nicht nurEinzelne, sondern die ganze Gemeinde Beit Jala betroffen ist. VerfügteBeit Jala noch über 14 Quadratkilometer privates und kommunales Land,bleiben nunmehr vier Quadratkilometer. Der Bürgermeister beklagt, dassdadurch der Gemeinde jede Möglichkeit der Erweiterung und Investitionfür neue wirtschaftliche Entwicklungen genommen wird. Es fehlenGrundstücke für Müllverwertung, für ein Schlachthaus und die Voraus-setzungen für ein neues Abwassernetzwerk. Während die Betroffenennoch im Sommer 2004 einige Protestveranstaltungen durchführten –wenn auch ohne Wirkung – so ist inzwischen bei vielen Resignationspürbar. Sie haben versucht, mit Unterstützung des Bischofs des Lateini-schen Patriarchats in Jerusalem den Vatikan einzuschalten, dem ein gro-ßes Stück Land in dieser umstrittenen Region gehört. Vergeblich. Undauch die Initiative einer amerikanischen Kongressabgeordneten, um So-lidarität mit den in Beit Jala lebenden Christen zu zeigen, hatte aus Sichtder Menschen in Beit Jala keine breitere Wirkung.

Viele der Betroffenen in Beit Jala sehen nicht mehr, was sie noch tunkönnen. Was bleibt, ist ein Funken unbestimmter Hoffnung auf irgendei-ne bessere Zukunft, ohne die das schwierige Leben nicht möglich wäre.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2256

57EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Asyl für ÖlbäumeAsyl für ÖlbäumeAsyl für ÖlbäumeAsyl für ÖlbäumeAsyl für ÖlbäumeDieter Ziebarth, Oktober 2004

Auf den Hirtenfeldern bei Beit Sahour auf dem Gelände des YMCA,des Vereins Christlicher Junger Männer, ist eine neue Attraktion zu bestaunen. 15 Ölbäume im Alter von rund fünfhundert bis tausend

Jahren stehen dort mit abgesägten Ästen und recken ihre Stümpfe in denHimmel. Einige sind auch an den Stämmen beschädigt. Es ist leicht zusehen, dass sie eine gewaltvolle Geschichte hinter sich haben. Diese be-gann im Frühjahr 2004. Damals wurden die bis dahin nicht veröffent-lichten Pläne bekannt über die Weiterführung der Hafrada, des „Separa-tions- oder Trennungszaunes“, wie es im offiziellen israelischen Sprach-gebrauch heißt. Weiteres Farmland unterhalb Beit Jalas, jenseits der„Tunnelstraße“ genannten Verbindungsstraße zwischen Jerusalem undHebron, wurde vorsorglich konfisziert. Die Verwirklichung dieses Planeswürde die Siedlungen Har Gilo und die sich daran anschließenden klei-neren Siedlungen nicht dicht, sondern großräumig gegen das palästinen-sische Hinterland abgrenzen.

3.150 Dunum mit Ölbäumen bestandenes Ackerland unterhalb BeitJalas – 3.150 Dunum entspricht rund 315 Hektar – ist in Gefahr, ebensoenteignet und verwüstet zu werden wie das Land unterhalb der SiedlungHar Gilo. Abgesehen von den Folgen für die Menschen, die von diesenFeldern jahrhundertelang gelebt haben, ist eine Landschaftsverwüstunggroßen Stils bereits mit bloßem Auge erkennbar. Die Hügelkette des ju-däischen Hochlandes war ursprünglich mit Büschen, Pinien, Hecken,Grasflächen und Ölbäumen bewachsen und prangte in grünen Farbenverschiedener Schattierung, durchsetzt mit bräunlich-roten Flecken, diesich in der Abendsonne purpurrot färbten. Doch diese bisher noch intak-te Landschaft aus biblischen Zeiten ist deutlich beeinträchtigt. Die land-wirtschaftlichen Flächen sind gerodet, die Erde mit Bulldozern zu hässli-chen Erdhügeln aufgeworfen, das schöne Tal mit einer unansehnlichenBetonbrücke überspannt. Und es gibt ökologische Folgen der Besatzung,die das Land in seinem über die Jahrtausende bewahrten Charakter nach-haltig zerstören.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2257

58 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Zu diesen Zeugen der Vergangenheit gehören in besonderem Maßedie Ölbäume. Sie sind die Repräsentanten der Kontinuität dieses Lan-des. Sie sind der heilige Baum Palästinas und wie der Wein und derFeigenbaum seit alters Symbole der Weisheit, des Wohlstandes und desGlücks. Schon auf den ersten Seiten der Bibel erwähnt, war das Blattdes Ölbaums Zeichen des zurückkehrenden Lebens nach der Sintflutund Zeichen der immer währenden Treue Gottes zu seiner Welt undden Menschen. So ist neben dem Regenbogen der Olivenzweig imSchnabel der Taube das Zeichen für Frieden. Olivenbäume sind nichtnur Zeichen des Lebens, sonder sie schenken auch Leben, indem sieSchatten gewähren und Früchte bringen, aus denen nicht nur Öl, son-dern auch Medizin und Seife gewonnen wird. Das harte, knorrige Holzdient darüber hinaus der Holzschnitzerei. Ein Ölbaum erbringt durch-schnittlich neun Kilogramm Oliven, aus denen rund zwei Liter Öl ge-wonnen wird – zu Nahrungszwecken, zum sakralen Gebrauch und alsBeigaben in der Pharmazie.

Der Ölbaum ist knorrig, wider-standsfähig und bedürfnislos undkann bis zu tausend Jahre alt wer-den. Der Ölbaum ist der Freundder Fellachen, der Ackerbau trei-benden Landbevölkerung. Er istihr ständiger Begleiter. Er erinnertsie an die vielen Generationen ih-rer Vorfahren, denen er schon Le-ben und Schutz gewährte. Er stelltihre Verbindung zu diesem Landdar. Er verkörpert in sich dasSchicksal der Palästinenser, diewie der Ölbaum über hunderte, jatausende von Jahren hinweg ihreWurzeln in diesem Land haben,und die nun empfinden, wie erentwurzelt zu werden. Ein Angriffauf den Ölbaum ist für die betrof-fenen Menschen nicht nur ein An-griff auf ein wertvolles Besitztum,sondern ein Angriff auf sie selbst.Mit dem Ölbaum stirbt auch einStück von ihnen.

Foto: EAPPI/Jeanne Coker

Foto

: Zie

bart

Der Olivenbaum – ein Symbolfür Frieden und Leben.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2258

59EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Seit Beginn der zweiten Intifada Ende September 2000 sind nach An-gaben des palästinensischen Landwirtschaftsministeriums (Stand: Janu-ar 2004) 345.000 Ölbäume gerodet worden, die meisten in Verbindungmit dem Mauerbau. Nach Angaben eines in Bethlehem ansässigen Insti-tuts sind allein im Monat August 2004 landesweit rund 320 Hektar Landkonfisziert worden, 5.075 Fruchtbäume wurden abgeschlagen, weitererund 1.600 Hektar sind zusätzlich von der Beschlagnahme bedroht.Davon entfallen auf Bethlehem 187 Hektar Land und 700 Fruchtbäume.Weitere rund 395 Hektar sind von der Konfiszierung bedroht, wenn die„Trennmauer“ nach einem momentanen Baustopp gemäß der Entschei-dung des Obersten Gerichts Israels weiter wie geplant gebaut wird.

Die Geschichte des Jakub Ben SalimDie Geschichte des Jakub Ben SalimDie Geschichte des Jakub Ben SalimDie Geschichte des Jakub Ben SalimDie Geschichte des Jakub Ben Salim

Dies wiederum führt zurück zu der Geschichte von den Ölbäumen aufdem Gelände des YMCA. Jakub Ben Salim hat ein kleines Besitztum mitÖlbäumen unterhalb von Beit Jala, darunter einen besonders alten. Überfünfhundert Jahre sei der Baum alt, sagt Jakub Ben Salim. Als er hörte,dass seine Ölbäume in Vorbereitung eines noch nicht feststehendenMauerbaus „vorsorglich“ gerodet werden sollten, stellte sich der 83-Jäh-rige schützend vor seinen Baum. Dieser Baum habe ihm und Generatio-nen zuvor Leben, Schutz und Segen gewährt, erklärte er. Wenn dieserBaum sterben müsse, werde auch er sterben.

Im März 2004 kamen eines Tages israelische Soldaten auf Jakub BenSalims Grundstück. Sie waren sehr schroff und unzugänglich. Sie sagten:„Auf diesem Land werden wir die Mauer bauen, und alle diese Bäumehier müssen weg.“ Worauf Jakub antwortete: „Das ist mein Land. Ichkann Ihnen Urkunden zeigen, die bis in die türkische Zeit zurückgehen.“Die Soldaten ließen nicht mit sich reden und gaben Warnschüsse ab indie Luft. Dann kamen auch schon Bulldozer und Arbeiter begannen, dieÖlbäume auszureißen. Da stellte sich Jakub Ben Salim vor den ältestenBaum und sagte: „Wenn dieser Baum sterben muss, werde ich auch ster-ben.“ Der Offizier ließ ihm ausrichten: „Die Mauer wird hier gebaut, da-ran ist nichts zu ändern.“ „Kann ich ihn dann wenigstens mit zu meinemHaus nehmen?, fragte Ben Salim verzweifelt. Der Offizier sagte nichtnein. So blieb Jakub Ben Salim an diesem Abend draußen in seinemGarten. Am anderen Tag wurde die Arbeit gestoppt. Noch steht der Baumdort, doch Jakub Ben Salim weiß nicht, wie es weitergeht.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2259

60 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Was ist an diesem Baum so Besonderes, dass Jakub Ben Salim so hartum ihn kämpft? „Dieser Baum“, sagt Jakub Ben Salim, „ist sehr alt, überfünfhundert Jahre. Mein Großvater und mein Vater haben mir gesagt, ichsoll auf diesen Baum besonders achten. Er ist der Segen für unsere Fami-lie. Immer haben wir unter diesem Baum gesessen, miteinander gespro-chen und Kaffee getrun-ken. Ich erinnere mich,dass wir als Kinder mitden türkischen Soldatengesprochen haben, siesollen uns Palästinensernicht töten. Und sie sindweggegangen. Der Baumschützt die Palästinenser.Er ist ein ganz besondererBaum. Er gibt jedes Jahrzweieinhalb Liter Öl. Ichbin mit diesem Baum auf-gewachsen. Ich sah, dassmein Vater oft mit ihmsprach. Er ist nicht einfachein Ding. Er ist das Leben,er ist mein Liebling, er istmein alles.“

Aber was, wenn dieMauer nun doch kommt,was dann? Dann, so Ja-kub Ben Ali, komme derBaum neben sein Haus.Eine große Grube haben Freunde bereits ausgehoben, Jakub Ben Salimhat dafür mehrere Weinstöcke ausgerissen. „Und wenn der Baum hiersteht“, sagt Jakub Ben Slim, „dann gibt es ein großes Fest.“

Foto

: Zie

bart

h

Jakub Ben Salim und einMitarbeiter des YMCA.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2260

61EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Musik am Checkpoint (I)Musik am Checkpoint (I)Musik am Checkpoint (I)Musik am Checkpoint (I)Musik am Checkpoint (I)Nicolai Gießler, Oktober 2002

An einem Freitag im Oktober 2002: Früh morgens war ich von Jerusalem nach Beit Sahour aufgebrochen. Nachdem ich an der Abfahrtsstelle der Sammeltaxis erfahren hatte, dass der Check-point, der Kontrollposten Bethlehem geschlossen sei und ich den Umwegüber Beit Jala nehmen müsse, bekam ich Bedenken. Würde ich noch recht-zeitig in Beit Sahour sein? Da ich aber auch schon andere Erfahrungengemacht hatte, wollte ich es dennoch auf dem direkten Weg versuchen.

Ich hatte Glück,auf meiner Seite desKontrollpostens war-teten nur vier Perso-nen, auf der gegen-überliegenden Seitejedoch war eine grö-ßere Menschenmen-ge zu erkennen. Zu-nächst passierte garnichts – ohne er-sichtlichen Grund.Lähmendes Warten– worauf? Endlichwurde einer derWartenden von dergegenüberliegendenSeite zu den beidenSoldaten gewunken, die seine Identitätskarte (ID) kontrollieren sollten.Er hatte eine Gitarrentasche dabei. Und natürlich: Jeder der eine größereTasche mit sich führt, muss diese öffnen, auch eine Gitarrentasche, selbstwenn sie – wie ich bereits häufiger bei meinem Gepäck erlebt hatte – nursehr oberflächlich kontrolliert wird.

Während einer der Soldaten die ID-Karte des Mannes überprüfte,überwachte der zweite das Öffnen der Gitarrentasche, und tatsächlich

Ein israelischer Soldat kontrolliert eineIdentitätskarte.

Foto: EAPPI/Matt Robson

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2261

62 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

kam eine Gitarre zum Vorschein. Zu meiner Überraschung nahm der Sol-dat das Instrument, stimmte es und fing an zu spielen. Ob ich verstandenhätte, was die beiden Soldaten zueinander sagten, fragte eine Frau, dieneben mir wartete. Und übersetzte: „Wir haben ja Zeit, wir können einbisschen Musik machen.“ Das kann ja heiter werden, dachte ich im Stil-len. Wir sind zwar nur zu fünft auf meiner Seite, aber – die Soldatenhaben ja Zeit.

Warum nicht die Szene auf Video aufnehmen, kam mir in den Sinn.Gedacht, getan. Nicht offenkundig, natürlich. Denn, so nahm ich an, dieSoldaten würden sich wohl kaum über solche Aufnahmen erfreut zeigen.Auf eine Distanz von vielleicht zwanzig Metern ging ich jedoch davonaus, dass meine gut in der Tasche verstaute Kamera – nur das Objektivschaute heraus – von den Gitarre spielenden Soldaten nicht bemerktwerden würde. Ein Irrtum, wie sich schnell herausstellte.

„Was ist das, was machst du da?“, fragte einer der Soldaten.„Das ist eine Videokamera, ich interessiere mich für Musik.“„Du interessierst dich für Musik, dann komm mit.“„Verzeihung, aber der Herr ist vor mir an der Reihe.“„Der soll auch mitkommen.“

Immerhin: Ein Zeichen, dass sich etwas bewegte, beruhigte ich mich.Beide gingen wir also mit dem Soldaten bis zu dem Gitarrespieler. Umdie Situation etwas zu retten, versuchte ich, das Gespräch fortzusetzen:

„Ich spiele ebenfalls …“„Du spielst auch Gitarre?“„Nein, nicht Gitarre. Ich spiele Trompete.“„Was ist denn eine Trompete?“„Ich habe eine dabei, ich kann sie vorführen.“

Ich packte meine Piccolotrompete aus und spiele ein paar Takte Vivaldi –das vermutlich erste Trompetenkonzert an einem Kontrollposten.

„Ich komme aus Russland, ich mag das sehr“, sagte der heftig imRhythmus klatschende Soldat und winkte mich und meinen Vorgängerin der Wartereihe weiter. Schneller habe ich noch nie einen Kontrollpos-ten passiert.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2262

63EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Gaza – Bethlehem,Gaza – Bethlehem,Gaza – Bethlehem,Gaza – Bethlehem,Gaza – Bethlehem,eine Familiengeschichteeine Familiengeschichteeine Familiengeschichteeine Familiengeschichteeine Familiengeschichte

Brigitta Böckmann, Oktober 2002

Hind ist drei Jahre alt, ein kleines Mädchen aus Gaza. Seit beinahezweieinhalb Jahren lebt sie im Caritas Baby Hospital in Bethlehem,ohne ihre Eltern und Geschwister gesehen zu haben. Wie lange

dies noch fortdauern wird, ist ungewiss.

Nach dem Ausbruch der zweiten Intifada im September 2000 war esden Eltern nicht mehr erlaubt, den Gazastreifen zu verlassen, auch nichtum ihr Kind im Krankenhaus zu besuchen. Lediglichüber wenige Telefonate und einige Fotos, die einst dieKrankenschwester und dann ich als Kontaktpersonüberbringen konnten, bestand Kontakt. Kennen die El-tern und Geschwister ihre kleine Hind noch, und hatdiese wiederum eine Erinnerung an ihre Familie? We-nige Tage vor Hinds drittem Geburtstag kam es unver-hofft zu einem Wiedersehen – durch einen Fernsehbei-trag. „Guck mal, guck mal, sie läuft, sie kann ja lau-fen!“, riefen die Geschwister als sie Hind in dem Be-richt erkannten. Der Mutter schienen diese wichtigen Momente zu entge-hen. Immer wenn ihre jüngste Tochter im Bild erschien, musste sie sichdie Augen trocknen.

Sieben Monate war Hind alt als sie im Mai 2000 in lebensbedrohli-chem Zustand in das Kinderkrankenhaus in Bethlehem eingeliefert wur-de, nur gut zweieinhalb Kilogramm schwer. Nach mehreren schwerenRückschlägen stabilisierte sich ihr Gesundheitszustand, sodass langsaman eine Rückkehr ins Elternhaus gedacht werden konnte. Denn trotz derguten Versorgung und der Sauberkeit ist ein Hospital kein Ort, an demein Kind aufwachsen sollte. Doch wie arrangieren, wenn keine genaueAdresse der Familie in Gaza bekannt ist? Lediglich eine Telefonnummer,die aber seit längerem nicht mehr existiert, weil die Rechnungen nichtmehr bezahlt werden konnten?

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2263

64 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Da ich mich nach mehr als einem Jahr Projektarbeit in Gaza recht gutauskannte und auch viele einheimische Kontakte hatte, wurde ich um Mit-hilfe gebeten. Und tatsächlich gelang es mir, die Familie der kleinen Hindausfindig zu machen. Bei meinem ersten Besuch war die Familie aufgeregtund voll Freude über den Gast aus dem Ausland, der ihnen Nachrichten undFotos von Hind brachte. Sie überschütteten mich mit vielen Fragen: Ob Hinddenn schon laufen und sprechen könne? Ob sie immer noch so wenig Haarehabe? Was sie essen würde, … und … und … und …

Als ich jedoch die Rückkehr Hinds ansprach, wurden die Eltern ganzstill und bedrückt. Darauf war ich nicht gefasst: Die Sorge um die Ge-sundheit ihrer Tochter überlagerte die Vorfreude auf ein mögliches Wie-dersehen. Infolge der politischen Situation war der Vater seit längeremarbeitslos und die Familie inzwischen völlig verarmt und außerstande,das Kind seinen speziellen Bedürfnissen entsprechend zu ernähren undzu versorgen. Seit Beginn der Intifada, so berichteten die Eltern, hättensie und alle Kinder nichts Anderes gegessen als Brot mit Za’atar, derüblichen Thymian-Gewürzmischung – und selbst das nicht regelmäßig.

Ich öffnete den Kühlschrank. Total leer. Kein Ei, kein Gemüse, keineMilch, kein Obst, kein Brot. In einer Ecke lediglich eine kleine TüteZa’atar und eine noch kleinere Tüte mit Duqqa, einer anderen vor allemin Gaza verbreiteten Gewürzmischung. Sonst nichts – und das für einezehnköpfige Familie. Zwar bin ich es gewohnt, bei meinen Hausbesu-chen auch derart mittellosen Familien zu begegnen. Doch dieses Mal warich sprachlos, als ich sah, unter welchen Bedingungen Menschen in Gazamitunter leben müssen.

Nach drei Monaten Ferien hatte Anfang September auch die Schulewieder begonnen. Wovon das jährliche Schulgeld von 50 Shekel, dassind rund neun Euro, für jedes der fünf schulpflichtigen Kinder bezah-len? Woher das Geld für die Ausstattung, vor allem für die obligatori-schen Schuluniformen und die Unterrichtsmaterialien nehmen? Die Elternwaren ratlos. Ich sah, wie notdürftig die alte, abgetragene Schulkleidunggeflickt worden war. Einen neuen Reißverschluss für die Schuljeans zu kau-fen, war den Eltern nicht möglich gewesen. Kinder werden in Gaza häufigvon Lehrern gemaßregelt, wenn sie nicht ordnungsgemäß gekleidet zumUnterricht erscheinen.

Zum Glück war es mir bei einem weiteren Besuch möglich, eines derLebensmittelpakete der Caritas Deutschland mitbringen zu können. Das war

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2264

65EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

eine Überraschung, kaum vorstellbar diese Freude. Kurz darauf hatte ichzusätzlich das Glück, eine Geldspende aus Deutschland für Schulkleidungvermitteln zu dürfen. Auch Hinds Familie konnte mit 200 Shekel, rund 36Euro, unterstützt werden. Gott sei Dank – Al Hamdulillah.

Und wie ist es mit Hind weitergegangen? Der behandelnde Arzt inBethlehem hatte ebenfalls Bedenken, die kleine Patientin nach Hause zuentlassen angesichts der schwierigen finanziellen Situation der Eltern.Klar war aber auch, dass ein Krankenhaus auf Dauer kein Zuhause für einkleines Kind sein kann. Hind braucht feste Bezugspersonen. In einer Fa-milie im SOS-Kinderdorf hat sie Aufnahme gefunden. Dort kann Hind dienächsten Jahre bleiben. So lange, bis sie endgültig nach Hause nachGaza zurückkehren kann.

Beim Abschied aus dem Caritas Baby Hospital feierten Ärzte undSchwestern und die kleine Hind ein richtiges Fest – mit Musik und Gir-landen, mit einer großen Torte. Fernsehteams filmten die gesamte Zere-monie, sodass auch Hinds Mutter, ihre Geschwister, die Großmutter undich dieses Ereignis miterleben konnten. Wir konnten sehen, wie Hind dieKerzen der Torte ausblies, wie sie sich über die kleinen Geschenke unddie Musik freute. „Mama, guck mal, sie kann sogar tanzen”, riefen dieGeschwister aufgeregt und zerrten an dem Kopftuch der Mutter. Doch diewischte sich gerade die Tränen aus den Augen.

Foto

: Thi

el

„Friede für beide Völker “ fordern diese Demonstranten.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2265

66 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Unterwegs in Gaza – eineUnterwegs in Gaza – eineUnterwegs in Gaza – eineUnterwegs in Gaza – eineUnterwegs in Gaza – eineunmögliche Möglichkeitunmögliche Möglichkeitunmögliche Möglichkeitunmögliche Möglichkeitunmögliche Möglichkeit

Brigitta Böckmann, September 2002

Am 11. September 2002 war ich mit zwei Psychologen des „GazaCommunity Mental Health Center“ unterwegs, um im Süden des Gazastreifens Hausbesuche zu machen. Das Zentrum betreut unter

anderem Familien mit schwer traumatisierten Kindern. Die Hinfahrt ver-lief problemlos, der Kontrollposten bei Deir al Balah war offen, innerhalbeiner guten halben Stunde waren wir in Khan Younis.

Die Rückfahrt allerdings gestaltete sich zum Alptraum. Am Mittaghieß es, der Kontrollposten sei geschlossen. Das beunruhigte uns nichtweiter, denn der Tag war ja noch lang. Also nutzten wir die Zeit zu einemweiteren Hausbesuch in Rafah. Als wir dann hörten, dass um vier Uhr dieGrenze wieder geöffnet werden sollte, machten wir uns sofort auf denWeg, um bei den Ersten zu sein. Wir erreichten den Kontrollposten zehnMinuten vor vier Uhr. Nichts tat sich. Da saßen wir nun in dem vollgepfropften Taxi in der immer noch schwül-heißen Nachmittagssonneauf der kahlen, staubigen Landstraße inmitten zerstörter, umgebrochenerPlantagen und Felder und warteten und warteten und schwitzten undschwitzten. Immer mehr große und kleine Taxis sammelten sich in diesersandigen Wüstenei. Dazu Minibusse, Privatautos, Lastwagen, Omnibus-se, sich kreuz und quer durcheinander stellend, um jeden ZentimeterVorsprung feilschend. Da bald die stickige Luft in den Autos nicht mehrzu ertragen war, stiegen viele Leute aus. Geschäftstüchtige Jungen ver-kauften Erdnüsse und Tee zum stolzen Preis von vier Shekel pro Becher,rund 70 Cent.

Nach über zwei Stunden Wartezeit wurden die Menschen ungeduldi-ger. Die Älteren stöhnten, Babys schrieen, kleine Kinder weinten undquengelten, denn all die Tricks der Mütter, sie ruhig zu halten, hattensich inzwischen erschöpft. Fahrer beschimpften sich gegenseitig: Trau-ben von vorwiegend jungen Männern drängten sich an den Straßensper-ren des Kontrollpostens, nur mit Mühe ihren aufkommenden Zorn vor

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2266

67EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

den sie beobachtenden israelischen Soldaten unterdrückend. Mit herein-brechender Dunkelheit spitzte sich die Lage zu. Per Lautsprecher wurdedie Menschenmenge zum Rückzug in ihre Autos aufgefordert, mit mäßi-gem Erfolg. Die Aufforderungen wurden energischer, ärgerlicher. Dannschrieen die Soldaten regelrecht von ihrem Beobachtungsturm herab. Alsdie Menge nicht entsprechend reagierte, fielen plötzlich zwei Warn-schüsse. Die Menschentraube zerstob, um sich nach kurzen Momentenerneut zu formieren.

Mittlerweile was es fast acht Uhr abends geworden. Die Straße und derKontrollposten waren in rötliches Licht getaucht, immer wieder blitztendrehbare Flutlichtscheinwerfer in die Menschenmenge hinein. Erste Ta-xis kehrten um, da um diese Zeit normalerweise der Kontrollposten ge-schlossen wird. Dabei bestand noch Hoffnung, denn ab und zu kam einAuto von der anderenSeite über die Grenze.Aus Vorsicht war ichdie ganze Zeit über imTaxi geblieben. Meineaufkommende Unge-duld hatte ich aber an-scheinend nicht verber-gen können. Einer mei-ner Kollegen, der michanscheinend schon län-gere Zeit beobachtethatte, lachte plötzlichlos. Er könne jetzt eineStudie machen, spru-delte es aus ihm heraus,über die Stress-Tole-ranz von Ausländerin-nen an israelischen Kontrollposten. Du meine Güte, auch das noch, kon-terte ich, viereinhalb Stunden im Auto warten, und dies in Gesellschaftvon zwei Psychologen, die mich genau beobachten und jede meiner Re-aktionen analysierten.

Nie wieder, betonte ich halb scherzhaft, was meine Kollegen zu weite-ren Bemerkungen veranlasste, diese wiederum mich und so fort. Unseregegenseitigen Neckereien machten Spaß und vertrieben die Zeit, solange,bis wir aus Richtung Norden viele Menschen zu Fuß die zwei Kilometer

Foto: EAPPI/Matt Robson

Kein Durchkommen mehr – israelische Soldatenbeim Verschließen eines Kontrollpostens.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2267

68 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

lange Strecke über die Grenze kommen sahen. Studenten, Studentinnen,Arbeiter, die es nach Hause drängte. Sie alle wurden von den Soldatenunwirsch zur Eile angetrieben. Der Anblick dieser müden Menschen,dazu die blechernen Lautsprecheranweisungen der Soldaten, das rötlicheLicht – die Szene mutete gespenstig an. Plötzlich wieder Stillstand,nichts bewegte sich mehr. Im Scheinwerferlicht sah man etwa zwanzigPersonen aufgereiht am Straßenrand stehen, angebrüllt von Soldaten.Ein Gefangenenwagen transportierte sie schließlich ab in Richtung Os-ten, wahrscheinlich in die Siedlung Kfar Darom.

Endlich, um ein Viertel nach zehn Uhr nachts, nach sechseinhalbStunden Wartezeit, gab es endlich für die Wartenden auf unserer Seitedie Erlaubnis zur Durchfahrt. Ein rücksichtsloses Gerangel setzte ein, je-der wollte so schnell wie möglich hinüber. Doch auf der gegenüberlie-genden Seite angekommen, ging der Stress weiter. Dort war die Straßeebenfalls völlig verstopft von den vielen Taxis, Lastwagen, Bussen inRichtung Süden. Uns blieb also nicht Anderes übrig, als auf die gerode-ten Felder auszuweichen. Felder die von losen sandigen Erdwällen, vontiefen, breiten Gräben und von Betonsperren durchzogen waren. Es kam,was kommen musste: Ein Mercedes blieb stecken, nichts ging mehr, we-der vor noch zurück. Wieder klingelten rund um uns herum die Mobilte-lefone – ein Glück, dass wenigstens diese noch funktionieren, schoss esmir durch den Kopf. Nach einer weiteren halben Stunde setzte sich unserPulk wieder in Bewegung, im Schneckentempo ging es nach Deir al Ba-lah hinein. Es war bereits elf Uhr nachts.

Gerade, als unser Fahrer wieder richtig Gas geben konnte, passierte es:Unser Taxi streikte, Getriebeschaden. Ein anderes Taxi stoppte. Gemein-sam versuchten die Fahrer den Schaden zu beheben, was sich in derDunkelheit als aussichtslos erwies. Schließlich verfrachtete der zu Hilfegekommene Taxifahrer uns samt unserem Fahrer zu den anderen Fahr-gästen in seinem Wagen. In drangvoller Enge legten wir die restlichen 18Kilometer nach Gaza-Stadt zurück. Zehn Minuten vor Mitternacht kamich endlich zu Hause an – dreckig, verschwitzt, mit verkleisterten Haarenund entsetzlich müde. Achteinhalb Stunden hatte die Fahrt von Rafahnach Gaza-Stadt gedauert, achteinhalb Stunden für eine Entfernung von28 Kilometern.

Zu Hause warteten meine Freunde auf mich. Sie waren nicht schlafengegangen, sondern hatten auf meine Rückkehr gewartet. Auf meinemNachtschrank prangte eine große Schale mit frisch gewaschenem Obst.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2268

69EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Musik am Checkpoint (II)Musik am Checkpoint (II)Musik am Checkpoint (II)Musik am Checkpoint (II)Musik am Checkpoint (II)Brigitta Böckmann, September 2002

Freitag, 13. September 2002,kurz vor halb elf Uhr am Kontrollposten Gaza-Erez. Wie jede Woche warich auf dem Weg nach Jerusalem zur Mahnwache der Womenin Black. Seit dem Jahr 1988 demonstrieren die gänzlich in Schwarzgekleideten israelischen und palästinensischen Frauen für ein Ende derBesetzung.

Am Kontrollposten gähnende Leere. Allein passierte ich die Straßedurchs Niemandsland. Gelangweilt standen israelische Soldaten vor ih-rem Kontrollhäuschen. Im Gebäude selbst schien nur das Röntgengerätzu arbeiten. Es schluckte meine beiden Taschen und spuckte sie am ande-ren Ende wieder aus. Als ich meinen Pass auf den Tresen legte, zuckte derjunge Soldat dahinter verschämt zusammen. Er hatte mich nicht kom-

Foto

: EA

PPI

Jeden Freitagmittag am Hagar Square in Jerusalem –Demonstration der Women in Black.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2269

70 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

men hören, so vertieft war er in sein Gitarrenspiel. Musik während desDienstes, verboten oder erlaubt? Wie dem auch sei, ich hatte Spaß daranund zeigte es unbefangen:

„Ach, wie schön, ich habe schon lange keine solche Musik mehr ge-hört. Du spielst gut, deine Gitarre klingt wunderschön, wo hast du sieerstanden?“

„Du magst Musik? Du verstehst was von Gitarrren? Spielst du etwaauch?“, fragte der Soldat.

„Ja, nur leider habe ich es in den letzten Jahren etwas vernachlässigt.“„Spiel.”

Der Soldat reichte mir die Gitarre über den Tresen. Ich versuchte eini-ge Griffe, ebenfalls verschämt, denn ich spielte längst nicht so gut wie er.

„Toll, wie du das machst.“ Lächelnd nahm er seine Gitarre zurück.Auch die drei anderen Soldaten, die dabei saßen, verloren den ernstenDienstausdruck in ihren Gesichtern. Sie lächelten ebenfalls und warenauf einmal ganz einfach nur junge Leute, die ihren Spaß haben wollten.Meine Passkontrolle geriet zur Nebensache.

„Bye, bis bald“, sagten sie zum Schluss, als sie meine vielen Ein- undAusreisestempel auf meinem Visaformular registrierten.

Samstag, 14. September 2002,kurz nach halb sieben Uhr abends, wiederum am Kontrollposten Erez. Ichwar auf dem Rückweg von Jerusalem nach Gaza-Stadt. Mein israelischesTaxi stoppte vor dem ersten Wachhäuschen. Ich nahm mein Gepäck, pas-sierte den ersten Soldaten und ging weiter zum Kontrollgebäude. Da saßdoch tatsächlich mein junger Gitarrenfreund draußen auf der Bank.Wieder spielte er, sein Kollege sang dazu. Die Beiden hatten mich vieleher wahrgenommen als ich sie. Von weitem riefen sie mir „Hallo“entgegen und rückten zur Seite, um Platz zu machen. Sie reichten mir dieGitarre, doch ich winkte ab:

„Sorry, aber auf der anderen Seite wartet bereits mein Taxifahrer.“„Ach, der kann warten.“

Ich begann zu spielen und leise zu singen. Vier junge Ausländerinnenkamen aus dem Gebäude, sie waren auf dem Weg nach Israel. Die beiden

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2270

71EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Soldaten lachten ihnen unbefangen zu: „Schaut nur, wir machen Musik.“Die jungen Frauen lachten zurück.

„So, jetzt muss ich aber erst einmal meinen Pass bei euch abstempelnlassen“, erinnerte ich die beiden Soldaten. „Ich bin gleich wieder da.“

Drinnen lauschten zwei Soldatinnen verträumter Radiomusik undsummten mit. Sie hatten wenig Interesse an meinem Pass. Ein routine-mäßiger Blick in den Computer, Stempel drauf, das war’s. War das hierwirklich ein Kontrollposten?, fragte ich mich. Ich fühlte mich eher wie ineiner Universität. Wieder draußen empfing mich der Gitarrenspieler undsein Kollege:

„Ich habe zu Hause noch eine E-Gitarre und eine weitere Akkustikgi-tarre.“

„Wirklich, mein Sohn spielt ebenfalls, er hat auch eine E-Gitarre undzwei Konzertgitarren. Und ich selbst habe auch mehrere Gitarren, dazueine kleine, auf der meine Kinder angefangen haben zu lernen.“

„Habt ihr noch mehr Instrumente zu Hause?“

Ich erzählte ihnen von dem Klavier, dem Spinett, der Geige, der Man-doline, den vielen Blockflöten, und dass meine Kinder alle ein Instru-ment spielen und meine Schwiegertochter Musikpädagogin ist.

„Wow, ein ganzes Haus voller Musik!“„Ich spiele seit zehn Jahren Klavier“, sagte der zweite Soldat.„Schade, dass ich nicht wenigstens meine Flöte aus Deutschland mitge-

bracht habe. Ich müsste mir eigentlich hier eine besorgen“, sinnierte ich.„Das wäre Klasse, dann machen wir hier demnächst Musik“, war die

Antwort.Ich stand auf, beugte mich zu ihm hinunter und sagte: „Klar, dann

machen wir hier Kontrollposten-Musik.“

Schallendes Gelächter. Andere Soldaten und eine Soldatin – in vollerMontur mit Stahlhelm und Maschinengewehr – kamen dazu und stimm-ten in das Lachen ein. Und ich, ich hatte doch tatsächlich meinen warten-den Taxifahrer vergessen.

„Bye, bye, have a good time, and don’t forget: Next time we make Kon-trollposten music“, riefen sie hinter mir her. „Tschüs, mach’s gut, undvergiss nicht: Nächstes Mal machen wir Kontrollposten-Musik. “

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2271

72 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Unbarmherzig – Auf demUnbarmherzig – Auf demUnbarmherzig – Auf demUnbarmherzig – Auf demUnbarmherzig – Auf demWeg zu den SamaritanernWeg zu den SamaritanernWeg zu den SamaritanernWeg zu den SamaritanernWeg zu den Samaritanern

Christoph Gocke, Februar 2005

Nablus gilt als „Gaza der Westbank“. Das heißt: Nirgendwo ist derWiderstand erbitterter, die Konfrontation härter, die Polarisierunggrößer. In der Altstadt blockieren Müllberge und Container die

Gassen, um israelischen Soldaten die nächtlichen Zugriffe zu erschwe-ren. Der Checkpoint Huwwara am Ortseingang ist besonders gefürchtet.Zwei, drei Stunden Wartezeit an diesem Kontrollposten sind normal, undnur mit Sondergenehmigung aussichtsreich. Der anglikanische Diakonist deshalb schon mit dem Krankenwagen von Ramallah zum Gottes-dienst angereist. Doch selbst damit musste er zwei Stunden warten. Vieleder rund 110.000 Einwohnerinnen und Einwohner haben die Stadt seitBeginn der zweiten Intifada im Herbst 2000 nicht mehr verlassen dürfen.

FestgesetztFestgesetztFestgesetztFestgesetztFestgesetzt

Als ich eines Nachmittags den nahe bei Nablus gelegenen Berg Gari-zim hinaufsteige, um nach den dort lebenden Samaritanern Ausschau zuhalten, stehe ich nach einer Stunde Fußmarsch vor dem recht kleinenKontrollposten At Tur. Obwohl die Signaljacke samt Kreuz und Friedens-taube mich als „Ökumenischen Begleiter“, als internationalen Helfer aus-weist, hebt der Soldat an der Schranke Hand und Gewehr, um mich aufSicherheitsabstand zu halten. Nie dürfen sich zwei Personen gleichzeitigdem Kontrollposten nähern. Zu gefährlich.

Linker Hand, auf halber Strecke zwischen Kontrollposten-Schrankeund Wachturm, sitzen drei junge Männer im Abstand von je zehn Me-tern. Alle gucken in die gleiche Richtung bergab Richtung Nablus. SeitTagen höre ich von Schikanen israelischer Soldaten. Werde ich jetztselbst Augenzeuge? Dabei will ich doch nur zu den Samaritanern. „Pass-port, Pass.“ Der Soldat blättert eine Weile. Ruft dann seinen Vorgesetztenaus dem Wachturm herbei. Langsam kommt er auf uns zu. Befragt mich

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2272

73EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

nach den arabischen Visa, nach den israelischen Einreisestempeln, wasich hier wolle. Schließlich lässt er mich passieren. Ich blicke noch einmalzu den ruhig sitzenden jungen Männern hinüber, sie selbst können michnicht sehen. Dann bin ich im Dorf der Samaritaner. Bekannt sind siedurch die in der Bibel festgehaltene Geschichte des barmherzigen Sama-riters. Weniger bekannt ist, dass sich die Samaritaner in alttestamentli-cher Zeit vom Haupt-strom des jüdischenGlaubens absonder-ten und die Opferri-ten des JerusalemerTempels auf den BergGarizim übertrugen.

Die Kultstätte, ander Jahr für Jahrnach alttestamentli-cher Vorschrift un-schuldige Lämmeram Pessachfest ge-opfert werden, lagvor wenigen Jahrennoch recht einsam.Jetzt ist sie erweitertdurch eine Zuschauertribühne samtüberdachtem Versammlungsplatzund von Wohnhäusern umgeben.Auf einer Parkbank gegenübersitzt ein Mann mit Wasserpfeife,ein anderer mit rotem Hut, der ihnals Priester aus dem Stamm Leviausweist. Sie seien Anfang 1988,kurz nach Beginn der ersten Intifa-da, von Nablus auf den Berg gezo-gen, berichten sie. Aber sie würdensich nach wie vor bestens mit Palästi-nensern wie auch Israelis verstehen.Schließlich lebe die andere Hälfteder insgesamt 675 Samariter seitmehr als hundert Jahren in derNähe von Tel Aviv. Die beiden

Drei Samaritaner – der Mann mitrotem Hut ist ein Priester aus demStamm Levi.

Museumsdirektor Hushey W.Kohen mit alten Thorarollen.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2273

74 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Männer empfehlen mir den Besuch eines Museums ganz in der Nähe. EinHinweisschild gibt es nicht, doch ich finde das Gebäude nach kurzemSuchen. Der Museumsdirektor selbst führt mich durch den Ausstellungs-raum im ersten Stock – er wohnt eine Etage höher. Lange kann ich michjedoch nicht aufhalten, der Sonnenuntergang schickt seine Kälte voraus.

Als ich mich dem Kontrollposten nähere, sehe ich die drei jungenMänner immer noch dort sitzen. Kein Zweifel mehr: Sie sitzen dort aufBefehl. Ich gehe auf den Ersten zu. Frage, wie es ihm geht. Der Nächstekann besser Englisch. Alle Drei sind wie elektrisiert. Beglückt, dass je-mand Interesse für sie zeigt. Seit neun Uhr würden sie hier hocken, be-richten sie. Eiskalt sei es da noch gewesen. Mittags saßen sie in der pral-len Sonne. Jetzt, kurz nach vier Uhr nachmittags, kurz vor Sonnenunter-gang, sind sie wieder in den kalten Schatten geraten. Was ihnen vorge-worfen wird? Sie sind durch die Landschaft gestreift, haben sich nicht

auf den Straßen aufgehalten. Deshalb sind sie mit Hilfe von Warnschüs-sen festgenommen worden.

Ich frage den Soldaten, der umgeben von Betonblocks und Beton-wachhäuschen allein an der Schranke steht. Er wisse nicht, wie lange diedrei schon dort sitzen, antwortet er. Er habe erst seit zwölf Uhr Dienst.Warum dürfen die drei jungen Männer nicht gehen?“, frage ich erneut.Nun, so der Soldat, der Fall werde untersucht. Aber sieben Stunden lang?Dazu könne er nichts sagen. Da müsse ich seinen Chef fragen. Der kom-me bestimmt bald, momentan sei er nicht zu erreichen. Angesichts seiner

Checkpoint auf dem Weg zum samaritanischen Dorf.

Foto

: Goc

ke (3

)

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2274

75EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

mit jedweder technischer Ausrüstung ausgestatteten Uniform fällt es mirschwer, dies zu glauben. Ich gehe zurück zu den jungen Männern. Bietean, etwas zu trinken und zu essen zu kaufen. Begeisterung.

Als ich zurück am Kontrollposten bin, stehen die jungen Männer. Un-verändert im Abstand von zehn Metern. Debattieren in Hebräisch mitdem Soldaten auf dem Wachturm. Mit einer Handbewegung will der Sol-dat mich auf Abstand zu ihnen halten. Ich versuche ihn zu beruhigen,rede weiter mit den jungen Männern. Gebe ihnen die Lebensmittel. Einerkramt ein paar Dollars aus seiner Kleidung, will meinen Service bezah-len. Die Soldaten hatten ihnen die Zigaretten weggenommen. Wo ist dasSicherheitsrisiko?, frage ich mich und gehe schnurstracks zurück zumSoldaten an der Schranke.

Was haben wir in der Vorbereitung gelernt: De-Eskalation. Tief atmen.Sachlich bleiben. Fragen stellen. Von den Zigaretten will der Soldatnichts wissen. Das müsse vor seinem Dienstantritt gewesen sein. Ist dennirgendetwas bei den jungen Männern gefunden worden? Nein, so weit erwisse nicht. Seinetwegen könnten sie auch längst gehen. Aber seine Kol-legen hatten den Eindruck, dass sie beabsichtigt hätten, den Kontrollpos-ten zu umgehen. Ohne den Kontrollposten, gebe ich zu bedenken, hättees das Problem gar nicht erst gegeben.

Ich rufe unsere Programmkoordinatorin in Jerusalem an. Sie kümmertsich sofort bei den übergeordneten Stellen um den Fall. Vorsorglich in-formiere ich meinen Kollegen David in Nablus per Mobiltelefon. De-monstratives Telefonieren kann die Situation zuspitzen – oder beschleu-nigen. Tatsächlich kommen zwei israelische Soldaten zum Kontrollpos-ten zurück. Der eine ist Amerikaner und verwickelt mich in ein unver-fängliches Gespräch. Offensichtlich sind sie auf dem Rückweg informiertworden. Denn im selben Moment, als sich die Koordinatorin meldet undbestätigt, dass auch höhere Militärstellen von den seit neun Uhr morgensfestgesetzten jungen Männern wissen, dürfen sie plötzlich gehen.

Während ich noch mit dem Amerikaner spreche, bedanken sie sichüberschwänglich bei mir. Auf dem Weg hinunter in die Stadt hole ich sieein. Sie erzählen, dass sie eigentlich am Vormittag Gelegenheit zu einemJob in der Stadt gehabt hätten. Wieder sei ein Tag der Besatzung geopfertworden. Einer der jungen Männer will nach der Schule Rechtswissen-schaften studieren. Obwohl ihm, wie er sagt, auch an diesem Tag wiederklar geworden sei: „Wer die Macht hat, steht über dem Recht.“

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2275

76 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Wahlsieg ohne WahlkampfChristoph Gocke, Januar 2005

Erfolg ist schön“, sagt sie. Kein Zweifel, Afaf Shatara ist glücklich.Am 23. Dezember 2004, bei der ersten Kommunalwahl in den paläs- tinensischen Autonomiegebieten, stimmten 861 von insgesamt

etwa 2.000 Wählerinnen und Wählern für die parteilose Schuldirektorin.Nur ein Kandidat erhielt ein paar Stimmen mehr. „Das heißt doch: DieLeute mögen mich und schätzen meine Arbeit“, resümiert Afaf Shatara.Seit dreißig Jahren leitet sie die Mädchenschule von Azzun, einer Ge-meinde in der Nähe der Stadt Nablus. Sie ist verantwortlich für 500Schülerinnen und 28 Lehrerinnen – allesamt Muslima. Afaf Shatara istChristin. Als einzige unabhängige Kandidatin hatsie einen Sitz im elfköpfigen Gemeinderat er-obert – neben zehn Mitgliedern von Fatah, derPartei des früheren Präsidenten Yassir Arafat.

An diesem Heiligabend kamen ihre muslimi-schen Nachbarn nicht nur, um ihr wie alljährlichein frohes Weihnachtsfest zu wünschen, sondernvor allem um ihr zu diesem beispiellosen Ergeb-nis zu gratulieren. Ganz ohne Wahlkampf hattedie parteilose Kandidatin den Einzug in den Ge-meinderat geschafft. Nebenbei ist sie auch dieeinzige Frau, die diesem allein dank ihrer Stimmenzahl angehören wird.Eine zweite Lokalpolitikerin erhielt aufgrund der Frauenquote einen Sitz.Monatelang hatten Frauengruppen, unterstützt von internationalenNichtregierungsorganisationen, darunter auch ÖFPI, das Begleitpro-gramm des Ökumenischen Rates der Kirchen, vor der Wahlbehörde inRamallah für die Quote demonstriert. Ramallah ist Sitz der palästinensi-schen Autonomiebehörde. Erst sollte die Quote 25 Prozent betragen,dann 20, schließlich wurden es 16 Prozent. Für Azzun bedeutete dies:Zwei der elf Gemeinderatssitze waren Frauen garantiert.

Afaf Shatara begrüßt die Quote, das eigene Abschneiden aber findetsie besser. Zumal unter den Wahlberechtigten schätzungsweise nur zehnProzent Frauen waren. Doch selbst diese Wählerinnen, so glaubt sie,

Foto

s (3

):Goc

keAfaf Shatara.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2276

77EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

wurden von ihren Ehemännern oder von ihrem Bruder bei der Stimmab-gabe angeleitet. „Die Männer bestimmen, wen die Frauen wählen. Wah-len sind eine Sache der Familie.“ Und sie sagt dies so, wie fast alles: Mitdem sichtbaren Bemühen um Neutralität, Verständnis und Toleranz. AfafShatara ist sogar als Bürgermeisterin im Gespräch. Sie will den Vollzeit-Job aber nicht. Sie möchte Direktorin ihrer Schule bleiben, wo die Tür zuihrem Empfangs- und Arbeitszimmer meist weit offen steht. Regelmäßigsuchen die Lehrerinnen den Rat der Direktorin, vor allen an Examensta-gen. Afaf Shatara hört geduldig zu, gibt knappe, präzise Antworten.

„Beim Examen im vergangenen Jahr waren wir unter den zehn bestenSchulen der Westbank“, berichtet Afaf Shatara stolz. Erfolg ist ihr wich-tig. Auch, dass das neue Schulgebäude gut ausgestattet ist mit Compu-tern, Laboratorien und Bücherei. Und dass sie als Projektschule derUNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissen-schaft, Kultur und Kommunikation, bevorzugt mit Informationsmaterialbeliefert wird. Die Freundschaft mit einer Schule in Norwegen wirddurch regelmäßige Besuche der Lehrerinnen gepflegt. Wie wär’s mit einerPartnerschaft mit einer israelischen Schule? „Nein, dafür ist jetzt nichtdie richtige Zeit“, antwortet Afaf Shatara. „Vielleicht in der Zukunft. ImMoment töten sie uns und zerstören unsere Häuser und unser Leben. Wiekönnen wir da gute Beziehungen mit ihnen aufbauen? Wir sehen ja hiernur die Armee und nicht die Menschen, von denen sicher auch viele gutsind.“

Der Stellenwert, den die palästinensische Gesellschaft der Bildung bei-misst, ist außerordentlich hoch. Selbst in den kleinsten Dörfern gibt esSchulen mit qualifizierten Lehrkräften. Waren während der ersten Intifa-da (1987-1993) Schulen und Universitäten oft über lange Zeiträume ge-schlossen, so hat die palästinensische Verwaltung während der zweitenIntifada (2000-2004) viel unternommen, damit das Bildungssystem weiterfunktioniert. Der Lehrplan ist verändert worden. Englisch wird neuerdingsvom ersten Schuljahr an unterrichtet. Verändert hat sich auch die Kleidungder Mädchen. Die dunkelblaue Schuluniform verschwindet fast bei allenunter langen Gewändern. Neunzig Prozent der Schülerinnen tragen einKopftuch, so wie auch alle Lehrerinnen bis auf eine Ausnahme. „Azzunliegt in einer ländlichen, sehr konservativen Gegend“, erklärt Afaf Shata-ra. Unter einer Gruppe Schülerinnen am Schultor ist kaum eine bereit,einem Mann Auskunft über den Weg zum Lehrerzimmer zu geben.„Manche sind halt so erzogen. Wenn ihnen der Vater nicht erlaubt, mitMännern zu sprechen, dann tun sie das auch nicht.“

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2277

78 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Stirbt ein Einwohner Azzuns als „Märtyrer“, beten die Schülerinneneine Minute lang zu Tagesbeginn. Als „Märtyrer“ werden alle bezeichnet,die in Auseinandersetzungen mit Israelis ums Leben gekommen sind. Seies durch israelische Soldaten oder durch ein Selbstmord-Attentat. Wirddas in den Klassen diskutiert? „Wir sollen uns nicht so sehr in die Politikeinmischen“, sagt Afaf Shatara. Dabei weiß sie genau, dass auch dasPolitik ist. Die Familien in Azzun stammen zum großen Teil aus Haifaund Jaffa. Die Küstenstädte sind ihre Heimat, die sie 1948 mit der Unab-hängigkeit Israels verlassen haben. „Viele glauben, dass sie dorthin zu-rückkehren werden, wann auch immer das ist.“

Exodus der ChristenExodus der ChristenExodus der ChristenExodus der ChristenExodus der Christen

Afaf Shataras Familie lebt seit dem Jahr 1650 im Ort. Aber übrig ge-blieben sind nur sie, ihr Bruder und dessen Frau, mit denen sie zusam-menlebt. Die drei Katholiken sind die einzigen Christen in dem 10.000-Einwohner-Ort. Die nächste Kirchengemeinde ist in Nablus. Bis zum Be-

ginn der Intifada haben sie sonntags meist dort den Gottesdienst besucht.Inzwischen liegen zwischen Azzun und Nablus mehrere israelischeCheckpoints, Kontrollposten, vor allem der gefürchtete Hawwara-Check-point am Ortseingang von Nablus. Seitdem beten Afaf, ihr Bruder und

Nablus

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2278

79EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

dessen Frau zu Hause. Immer spärlicher wird die kirchliche Infrastrukturauf dem Land. Ein Onkel und eine Tante zogen im Jahr 1992 von Azzunnach Ramallah. „Die Christen verlassen das Land, weil sie in den Städtenwohnen wollen, in der Zivilisation“, sagt Afaf Shatara.

Doch der Umzug nach Nablus oder Ramallah ist häufig nur der ersteSchritt im andauernden Exodus der Christen aus dem Heiligen Land. Dernächste führt in die jordanische Hauptstadt Amman, nach Syrien oder inden Libanon und häufig darüber hinaus nach Amerika oder Europa. Leb-ten vor ein paar Jahrzehnten noch sechzig getaufte Shataras in Azzun, soist die Verwandtschaft heute zerstreut in alle Welt. Sie leben im US-amerikanischen Bundesstaat Michigan, in Frankreich, Jordanien und Pa-lästina, in Berlin. Afaf Shatara ist geblieben. Genauer gesagt: Immerwieder gekommen von Reisen nach Malaysia, Rumänien, Marokko, Itali-en. Sehr gut kennt sie die Vereinigten Staaten. „Die Amerikaner sind sehrnett“, findet Afaf Shatara. „Aber sie machen eine sehr schlechte Politik.Sie stehen immer auf der Seite der Israelis.“ Und die Israelis sind ihr vielzu mächtig. „Might is right, sagt Afaf Shatara. Es gelte der Grundsatz,dass die Mächtigen das Recht bestimmten. „Wir hoffen, dass das besserwird.“ Große Hoffnung klingt nicht aus ihren Worten.

Immer mehr Christen verlassen das Heilige Land.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2279

80 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Stimmen – Die Präsidentschaftswahlen in Palästina,Stimmen – Die Präsidentschaftswahlen in Palästina,Stimmen – Die Präsidentschaftswahlen in Palästina,Stimmen – Die Präsidentschaftswahlen in Palästina,Stimmen – Die Präsidentschaftswahlen in Palästina,9. Januar 20059. Januar 20059. Januar 20059. Januar 20059. Januar 2005

„Die Wahlen sind eine Chance. Wir stehen am Scheideweg. Die Revoluti-on sollte nicht länger unser Denken und Handeln bestimmen. Wirsollten für unsere Menschenrechte kämpfen und unseren Staataufbauen, von unten.“

„Die Wahlen sind sinnlos. Die Amerikaner und die Israelis haben dieMacht. Ein palästinensischer Präsident kann nichts bestimmen.“

„Nur 5.376 von insgesamt 120.000 palästinensischen Bewohnerinnenund Bewohnern Ost-Jerusalems erkannten die israelischen Behördenals wahlberechtigt an.“

„Selbst wenn die Wahlurne auf dem Rücken eines Esels in ein vonStraßensperren und Erdwällen eingeschlossenes Dorf gebracht werdenmuss – es soll sichergestellt werden, dass alle wählen können.“

„Die internationalen Medienberichterstatter und die offiziellen internati-onalen Wahlbeobachter sollten sich außerhalb der Wahllokale mit derRealität und den alltäglichen Lebensbedingungen der Palästinenserin-nen und Palästinenser vertraut machen und darüber berichten.“

„Wird sich die Situation durch die Wahl wesentlich ändern? Wohl kaum.Die Machtverhältnisse bleiben bestehen, mit einem Wandel der Politikder Vereinigten Staaten oder der israelischen Regierung ist nicht zurechnen.“

„Erst einmal Frieden schließen, egal ob mit Zugeständnissen. Wirbrauchen endlich wieder die Möglichkeit, uns frei zu bewegen. Undwir brauchen Arbeitsplätze. Dabei hoffen wir auf die Unterstützungdurch Europa.“

„Die zweite Intifada war eine schlimme Lektion für die Palästinenser. DieGewalt muss endlich aufhören.“

„Die Wahl ist gut, weil wir endlich unsere Meinung frei äußern können.Wir haben sogar mehrere Kandidaten zur Auswahl. Das hat es bisher inkeinem arabischen Land gegeben, wo normalerweise ein Kandidat mitüber neunzig neunzig Prozent der Stimmen gewählt wird. Wir habeneine demokratische Tradition. Das können wir der Welt beweisen.“

„Ich hoffe, dass künftig innerhalb der palästinensischen GesellschaftRecht und Ordnung gelten werden und mit der Korruption aufge-räumt wird.“

„Ein von der Fatah gestellter Palästinenserpräsident wird künftig keineVerträge mehr unterschreiben ohne klare Regeln für deren Durchset-zung und der Festlegung von Sanktionen bei deren Verletzung.“

Christine Raiser-Süchting, Januar 2005

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2280

81EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Ramallah – ein BlitzlichtRamallah – ein BlitzlichtRamallah – ein BlitzlichtRamallah – ein BlitzlichtRamallah – ein BlitzlichtBirgit Paul, Januar 2005

Die Unterkunft der Freiwilligen am Ökumenischen Friedensdienst lag in Ramallah im Winter 2004/2005 auf einem kleinen Hügelinmitten eines kleinen Parks, im obersten Stock eines Gebäudes

der Quäker. In den unteren Stockwerken waren Büros untergebracht. Vondort bis zum Löwenplatz oder al-Manara, der einen Mittelpunkt von Ra-mallah bildet, gelangt man in wenigen Minuten. Ramallah ist Sitz derpalästinensischen Autonomiebehörde. Rechts und links der bergab füh-renden Straße reiht sich ein Laden an den anderen. Zuerst eine Apotheke,dann kommt ein Geschäft für Haushaltsartikel, dann ein Lampenge-schäft, dessen Inhaber lange Jahre in Schweden gelebt hat, dann einLaden für Baby-Bekleidung, und so weiter.

Aus Prinzip suchte ich für jede Kleinigkeit ein anderes Geschäft auf,denn ich wollte erstens meine Arabischkenntnisse auffrischen undzweitens möglichst viele Kontakte mit Einheimischen herstellen. Eines

Die Muqataa (arab. Bezirk, Hauptquartier) – Ende März 2002 ließdie israelische Regierung Ramallah besetzen. Dabei wurde derAmtssitz des früheren Präsidenten Arafat in Teilen zerstört.

Foto

: EM

W/B

räue

r

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2281

82 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Tages, als es mir gerade nicht besonders gut ging, betrat ich ein Papier-warengeschäft. Ich wollte Ansichtskarten oder eine arabische Tageszei-tung kaufen. Der Laden war bis unter die Decke mit Büchern und Heftenvoll gestopft. Der Besitzer, seine Frau und ein Freund waren zugegen. Ichwar die einzige Kundin und so ergab sich ein anregender und mich auf-bauender Plausch. Innerlich gestärkt verließ ich den kleinen Laden.

Fast täglich habe ich während meines Einsatzes in Ramallah dort vor-beigeschaut. Manchmal auch nur hinübergewinkt oder den Kopf hinein-gesteckt und Marhaba, Hallo, gesagt, wenn gerade viele Kunden dortwaren. Plante ich nach Jerusalem zu fahren, bot ich an, ihnen etwasmitzubringen. Etwas unwohl fühlte ich mich dabei allerdings schon.Denn – wie mir der Bruder des Besitzers, der immer abends Dienst tat,berichtet hatte – anders als früher, konnten die Ladeninhaber nicht selbsttäglich nach Jerusalem fahren, um dort ihre Zeitschriften und Papierwa-ren zu kaufen. Natürlich wollten sie nie, dass ich ihnen etwas mitbringe.

Im Lauf der Zeit erfuhr ich, dass der Besitzer einst in Pakistan Geologiestudiert hatte. Doch, wie auch seine Geschwister, findet er keine seinerberuflichen Qualifikation entsprechende Stelle. Mit dem Papierwarenla-den hält er sich und seine Familie über Wasser. Oft habe ich dort Postkar-ten oder Tageszeitungen gekauft – nur um einen Augenblick zu erwi-schen, ein kleines Wort mit dem Besitzer zu wechseln.

Foto: EMW/BräuerDer Checkpoint Qalandia, einer der von Israelkontrollierten Zugänge nach Ramallah.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2282

83EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Abgetrennt von LandAbgetrennt von LandAbgetrennt von LandAbgetrennt von LandAbgetrennt von Landund Wasserund Wasserund Wasserund Wasserund Wasser

Barbara Thiel, November 2002

S eit vier Wochen hat sich mein Leben total verändert. Die „Palesti- an Hydrology Group“ (PHG) hatte mich gebeten, mit ihrem Mitar- beiter Abdul-Latif Khaled zusammenarbeiten. Die PHG ist eine

Khaled zusammenzuarbeiten. Die PHG ist eine seit rund zehn Jahrenbestehende Nichtregierungsorganisation, die sich mit der Wasserproblema-tik befasst. Abdul-Latif Khaled wiederum ist mit den Problemen befasst, diedurch den Bau der Mauer entstehen, die Israel und die Palästinensergebietetrennen soll. Sein Büro befindet sich eigentlich in Nablus, oft aber arbeiteter in seinem Heimatdorf Jayyous. Dort wird die Mauer gebaut und nimmtden Bauern Land und Wasser. Doch es gibt noch einen anderen Grund,warum Abdul-Latif zu Hause arbeitet. In Nablus herrscht an vielen TagenAusgangssperre. Das heißt: Die Bürgerinnen und Bürger sind aufgefordertzu Hause zu bleiben. Gleichzeitig darf niemand aus der Stadt heraus noch indie Stadt hinein, erst recht keine Autos oder Taxis.

Jayyous ist ein Dorf mit rund 3.000 Einwohnerinnen und Einwohnernim Nordwesten der Westbank nahe der Stadt Qalkylia. Die Gemeindeliegt auf einem Hügel, so dass der Blick weit ins Land hineinreicht. ImWesten des Dorfes sieht man in die Ebene, die weite Teile Israels umfasst.Am Horizont sind linker Hand die Hochhäuser von Tel Aviv zu erkennen,in der Mitte die ebenfalls am Mittelmeer gelegene Stadt Netanya unddaneben, etwas weiter entfernt, ist an klaren Tagen sogar der Schiff-fahrtsturm von Haifa zu erkennen. Richtung Süden liegt Jerusalem, rundsechzig Kilometer entfernt.

Ganz im Osten der Ebene erstrecken sich die Gärten, Felder und Ge-wächshäuser von Jayyous. Dieses Gebiet liegt zwar östlich der „GrünenGrenze“, aber westlich des von Israel geplanten so genannten „Sicher-heitszauns“. Als „Grüne Grenze“ wird die im Jahr 1967 von den Verein-ten Nationen beschlossene Demarkationslinie bezeichnet. Teilweise biszu acht Kilometer reicht der „Sicherheitszaun“ in palästinensisches Landhinein, im Falle von Jayyous werden 75 Prozent der Agrarflächen abge-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2283

84 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

trennt werden. Israel hatzwar offiziell zugesi-chert, dass die Bauernauch nach Fertigstellungdieses mehrfach gesi-cherten hochmodernenElektrozaunes ihre Felderbestellen dürfen. Aberniemand in Jayyous kannaufgrund der Erfahrun-gen mit israelischemSiedlungsbau daranglauben. 550 Familiensind durch den Bau des

Zauns direkt betroffen. Ein nicht unerheblicher Teil des von ihnen ange-bauten Gemüses ist für Konsumentinnen und Konsumenten in der West-bank bestimmt, für insgesamt 60.000 dort lebende Menschen.

In der Ebene liegen auch fünf für Jayyous wichtige Brunnen. Sie sindmit Dieselpumpen ausgerüstet und liefern seit Anfang der 1960-er JahreWasser zur Bewässerung der Felder. Pumpen und Bewässerungsleitun-gen wurden zwischen 1995 und 2000 erneuert; alle Anlagen gehöreneiner Eigentümer-Gemeinschaft. Darüber hinaus kaufen dort alle Anlie-ger – je Anlage zwischen fünfzig und achtzig Bauern – ihr Wasser zumSelbstkostenpreis. Die Menge, die jedem zur Verfügung gestellt werdenkann, ist stark begrenzt, sodass jeder sich um eine schonende, optimaleWassernutzung bemüht.

Zum „Garten Eden“, wie ich das Ge-biet auch nenne, gehören rund 250 gro-ße Gewächshäuser, in denen Tomatenund Gurken angebaut werden. Außer-dem Felder für Auberginen, Blumen-kohl, Kraut, Paprika, und vieles mehr.Einen wesentlichen Teil machen dieObstplantagen aus. Ein Bauer stellte mirwährend eines Spaziergangs zwölf ver-schiedene Sorten Zitrusfrüchte vor. Je-der Bauer hat auf seinen Anbauflächen einen kleinen, überdachten Platz,so kann aus den Erträgen schnell ein Essen zubereitet werden. Für einigeFamilien, wie die des im Dorf ansässigen Arztes, dient die Ebene an

Foto: Abdul-Latif Khaled

Gewächshäuser „hinter“ der Mauer.

Foto

: EA

PPI/

Sune

Seg

al

Ibrahim Abu Khaled inseiner Obstplantage.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2284

85EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Wochenenden als Ausflugsziel, ein Ort zum Entspannen für Kinder undEltern. Nach Fertigstellung des Zaunes werden sie diesen Platz nur nochvon den Dächern der Häuser in weiter Ferne liegen sehen. Die Lebens-ader des Dorfes, rund 900 Hektar Land, über 15.000 Olivenbäume und50.000 Zitrusbäume, werden eingeschlossen hinter einem Zaun liegen,dessen Sicherheitsanlagen eine Breite von fünfzig bis achtzig Meterneinnehmen.

In den vom israelischen Militär übergebenen Bauunterlagen sind in dieMauer eingelassene Tore eingetragen. Um die Felder weiter bewirtschaftenzu können, müssen die Bauern diese Tore passieren, die nur zu vorgegebe-nen Zeiten geöffnet sind. Dafür benötigen sie eine Erlaubnis der israelischenMilitärverwaltung. Diese ist alle sechs Monate zu erneuern und kostet Geld.Die Betroffenen haben Angst, dass die Tore willkürlich geschlossen bleiben,genauso wie andere Kontrollposten. Wenn die Bauern aufgrund der schwie-rigen Bedingungen aufgeben oder weil sie keine Genehmigung erhalten,kann der Staat altes osmanisches Recht anwenden und die Bauern – weil sieihr Land nicht bewirtschaften – enteignen, zum Beispiel für die Erweiterungder israelischen Siedlung Zufim.

Analoge Landkonfiszierungen finden an verschieden Stellen des „Si-cherheitszaunes“ statt. Sie werden für die gesamten palästinensischenGebiete bittere soziale und ökonomische Konsequenzen haben, einge-schlossen den Verlust natürlicher Ressourcen – die konfiszierten bzw.zur Konfiszierung geplanten Gebiete sind reich an Quellen und Brun-nen. Begleitet wird der Ausbau der Mauer von häufigen, militärisch an-geordneten Ausgangssperren und verschärften Kontrollen, sodass dasnormale Leben, Schulbesuche, Geschäftsreisen und Handel fast unmög-lich werden.

Widerstand und HoffnungWiderstand und HoffnungWiderstand und HoffnungWiderstand und HoffnungWiderstand und Hoffnung

Mein erster Einsatztag in Jayyous sollte eigentlich mit einer Bespre-chung beginnen. Verschiedene palästinensische Nichtregierungsorgani-sationen wollten sich mit den Dorfältesten treffen, um eine gemeinsameStrategie hinsichtlich des von Israel geplanten „Grenzzauns“ zu beraten.Doch es kam ganz anders. Plötzlich stand Sharif im Büro, ein Bauer, derDostojewski liest, von allen geschätzt wird, ein offenes Ohr hat, zur rech-ten Zeit am rechten Ort sein kann. Ein klarer, bestimmender Satz, und wiralle wussten: Irgendetwas ist passiert.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2285

86 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Ohne ein Wort zu sagen, rannte der Bürgermeister aus dem Raum undden Berg hinunter. Aus dem Fenster konnten wir einen Bagger und Sol-daten im Tal erkennen, das erste Einsatzkommando des beginnendenMauerbaus. Kurze Zeit später fanden wir uns alle dort unten ein. MitSoldaten und herbeigeeilten Einwohnern diskutierend, wartend, de-monstrierend. So war ich sofort mitten hineingenommen in einen Alltagvoller Probleme, Widerstand, Auseinandersetzungen, Schmerz. Ich be-wunderte den Bürgermeister. Geschickt verhandelte er mit den Soldaten.Gleichzeitig achtete er gemeinsam mit einigen anderen Dorfbewohnern

darauf, dass sich alle friedlich verhielten. Die Diskussionen zwischenBürgermeister und Armee führten schließlich zu einem Vermessungs-rundgang, der in strömendem Regen unterging. Dieser Regen stoppteauch die Arbeit des Baggers, vertrieb Soldaten und Demonstranten.

Doch am nächsten Tag hieß es erneut: Raus aufs Feld. Zuhören. Wei-nende Frauen, die ihre Bäume, ihr Land, ihre Arbeit, ihre Existenzgrund-lage verlieren. Beruhigen, streicheln, mitfühlen, Gesprächsstoff finden,der meinem Sprachvermögen entsprach. Arabische Worte finden fürBaum, Oliven, Mandeln, Trinken, Essen, Liebe, Land, Erde, Schmerz,Hunger, Leid. Dabei aushalten, nichts ändern zu können. Eine der Bäue-rinnen formulierte ihren Schmerz mit den Worten „Ich verstehe nicht,wie sie das tun können. Der Olivenbaum wird in der Thora, in den Evan-

Der Bau der Mauer beginnt (Oktober 2002).Später wird hier das Nordtor sein.

Foto

: Abd

ul-L

atif

Kha

led

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2286

87EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

gelien und im Koran als heilig, als Leben spendend beschrieben. Wiekann man solche Bäume einfach ausreißen? Wie kann das Frieden schaf-fen?“ Auch an diesem Tag wurden die Arbeiten zunächst verlangsamt,dann gestoppt. Der Grund: Der zuständige Landvermesser konnte nichtkommen. Das Dorf, in dem er lebt, stand unter „Ausgangssperre“.

Eine gute Woche später fand erneut eine große Demonstration statt, zuder auch rund vierzig Ausländerinnen und Ausländer und zehn Israelisanreisten. Aus der Kulturlandschaft im Süden von Jayyous war inzwi-schen ein fünfzig Meter breiter Weg geworden. Fast glatte Erde, zer-malmte Steine, daneben rechts und links Olivenbäume – teils wieder ein-gepflanzte alte Bäume – und eine Schafherde. Die Entfernung zumnächsten Wohnhaus betrug höchstens fünfzig Meter. So nahe an einemstreng bewachten Zaun zu leben, ständig unter Beobachtung der Solda-ten, diese Aussicht ängstigte die dort lebenden Menschen. Sie hatten dieDemonstration, deren Zielsetzung war, die Streckenführung zu ändern,ausdrücklich gewünscht.

Das ganze Dorf war auf den Beinen: Junge, Alte, Mütter, Mädchen,Kinder. Als jemand bat, die Kinder doch fern zu halten, erwiderten dieEltern: „Das geht nicht. Es ist ihre Zukunft. Und sie wissen Bescheid. Siehaben Verhaftungen, Tränengas, Panzer, Schüsse erlebt.“ Ein Armeejeepnäherte sich, hielt jedoch in großem Abstand, kehrte um. Aus weiterEntfernung sahen wir, wie sich Soldaten berieten. Später hörten wir, dassin Jayyous wie auch im Nachbarort Falamya alle Arbeitsmaschinen undalle Soldaten abgezogen würden. Ein israelischer Jude, eine amerikani-sche Christin und ein palästinensischer Muslim pflanzten gemeinsam ei-nen kleinen Olivenbaum auf einem eingeebneten Feld – als Zeichen derHoffnung.

Die Situation eskaliertDie Situation eskaliertDie Situation eskaliertDie Situation eskaliertDie Situation eskaliert

Am nächsten Vormittag zog erneut ein Demonstrationszug durch denOrt, diesmal zu den im Westen gelegenen Feldern, auf denen der Weg fürdie Grenzanlagen gerade eingeebnet wurde. Als wir ankamen, konnte icham Hang einen roten Kran sehen, eskortiert von zwei Jeeps der Grenzpo-lizei und einem Auto einer privaten Sicherheitsagentur. Unten im Talarbeiteten zwei gelbe Bulldozer. Als die Demonstranten den für dieGrenzanlage eingeebneten Weg erreichten, geschah etwas kaum zu Glau-bendes: Alle drei schweren Arbeitsmaschinen, die private Sicherheits-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2287

88 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

agentur und zuletzt die Polizeijeeps zogen sich zurück, gefolgt von über-raschten, lachenden Menschen im Demonstrationszug.

Doch wir hattenuns zu früh gefreut.Wenige Minuten spä-ter kehrten die beidenPolizeijeeps in Beglei-tung zweier Armee-jeeps zurück und for-mierten sich als Ge-genüber zum Demon-strationszug. Unterden Soldaten wardiesmal ein höherran-giger Offizier, er-kenntlich durch eineblaue Mütze. Ich sah,wie sich dieser mit

Sharif, dem im Dorf anerkannten Sprecher, und einer jungen Amerikane-rin unter einen Olivenbaum setzte und sie miteinander diskutierten. Die-se Diskussionsrunde dauerte einige Stunden. In der Zwischenzeit ver-sammelten sich unten im Tal, wie jede Woche, alle Dorfbewohner zumFreitagsgebet. Es ist für mich jedes Mal beeindruckend zu sehen, mitwelcher Ruhe sich die Männer und – getrennt von ihnen die Frauen undKinder – versammeln, auf einer Decke oder Folie oder dem mitgebrach-ten Gebetsteppich niederknien, der Predigt zuhören und dann alle ver-eint beten, so wie es in ihrer Religion üblich ist. Und ruhig bleiben, auchim Angesicht des vielen Militärs.

Dann sah ich, dass die Diskussion zwischen Sharif und dem Offizierunterbrochen war. Ich sah, wie Sharif den Platz verließ, sah, dass die vierJeeps zurückfuhren und sich neu aufstellten. Die Demonstranten berietensich. Viele Palästinenser schickten sich an, den Ort des Geschehens zuverlassen. Die Verbleibenden schlossen sich enger zusammen. Dann sahich Sharif erneut, neben den Demonstranten, mit dem Offizier reden.Plötzlich ging alles ganz schnell. Soldaten stürzten los und schossenTränengasgeschosse und Knallbomben ins Tal. Diese erste Attacke derSoldaten erwiderten einige junge Palästinenser, die oben auf dem Berggut Deckung fanden. Sie warfen Steine. Auch ich, und mit mir ein jungerFotograf, mussten in Deckung gehen.

Dorfbewohner beim Freitagsgebet.

Foto

: Abd

ul-L

atif

Kha

led

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2288

89EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Ich stand auf und ging den Berg hinauf, auf sie zu. Als die jungenMänner mich sahen, waren sie sichtlich erschrocken. Sie kannten michja. Ich versuchte, ihnen begreiflich zu machen, dass sie mit ihren Stein-würfen nicht nur die israelischen Soldaten, sondern auch uns, alle Inter-nationalen, gefährdeten und den Israelis ein Argument für ihr Verhaltenlieferten. Doch es fiel ihnen offensichtlich schwer, nach sechs Stundenfriedlicher Demonstration zu ertragen, wie die israelische Armee operier-te. Die Soldaten schossen inzwischen nach oben, in Richtung der Steine-werfer, und gleichzeitig nach unten in Richtung der Demonstranten undder sich von der Demonstration entfernenden Menschen. Dabei setztensie Lärmbomben ein, Tränengas, Gummigeschosse und andere scharfeMunition. Die Soldaten griffen die Internationalen und einen Israeli an,traten und schlugen einige von ihnen. Zuletzt nahmen sie zehn Leutefest, darunter den Israeli und einen als Pfarrer erkenntlichen älterenHerrn, der zu einer Pilgergruppe gehörte.

Sharif, der die Verhandlungen geführt hatte, erzählte später, dass derOberkommandeur zur Rechtfertigung des Vorgehens bezüglich des „Si-cherheitszauns“ die Geschichte zitiert habe. Unter anderem auch, dassIsrael aufgrund der Shoah gelernt hätte, dass es hart sein müsse. Ichschämte mich. Wäre ich dort gewesen, hätte ich fragen können: „Warumaber nicht gegen uns, die Deutschen? Warum gegen die Palästinenser?“Ich wünschte mir ein Ge-spräch mit diesem Komman-danten. Sharif erklärte auch,warum sich die Situation ver-schärft hatte. Der Bauunter-nehmer – ein israelischer Pa-lästinenser – hatte in denVerhandlungen angeboten,die Arbeitsleistung für dieUmpflanzung der Olivenbäu-me zu übernehmen, worauf-hin der Offizier forderte, dieDemonstration aufzulösen.Nachdem die Dorfbewohnerin einer Abstimmung dieVorschläge abgelehnt hatten,erklärte er kurzerhand dasGebiet zur militärischen Sperrzone. Die Ausländer, die trotzdem blieben,wurden verhaftet, die Palästinenser durch Geschosse vertrieben.

Foto: Abdul-Latif Khaled

Warten auf Durchlass – JayyousNordtor, Oktober 2003.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2289

90 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Nächtlicher ÜberfallNächtlicher ÜberfallNächtlicher ÜberfallNächtlicher ÜberfallNächtlicher ÜberfallBarbara Thiel, Dezember 2002

Ausgangssperre. Sofort die Straße verlassen.“ Auf dem Weg zuFreunden war ich von einem israelischen Armeejeep gestoppt und kontrolliert worden. Bei meinen Freunden erfuhr ich: Die strikte

Ausgangssperre war für die Dauer von drei Tagen verhängt. Der für denDistrikt zuständige Offizier der israelischen Armee hatte den Bürgermeis-ter darüber informiert, dass mutmaßliche Selbstmordattentäter aus dernahe gelegenen Stadt Nablus gesucht würden, die sich möglicherweise inJayyous versteckt hielten.

Das bedeutete: Es war mit nächtlichen Hausdurchsuchungen durchSpezialeinheiten der israelischen Armee und Verhaftungen zu rechnen.Einige Tage zuvor hatten ich und andere Aktivisten die Folgen einesnächtlichen Einsatzes israelischer Soldaten beobachtet. Einige Männerwaren arg schikaniert worden, eine Frau hatte mir die Striemen vonSchlägen mit dem Gewehrkolben gezeigt. Wir, die internationalen Frei-willigen, beschlossen daher, durch nächtliche Kontrollgänge zu versu-chen, die Anwendung von Gewalt zu verhindern.

Gegen zwei Uhr nachts gingen die meisten von uns schlafen. Nur Pa-trick, ein Amerikaner, und ich, drehten noch eine kleine Runde, um unserGespräch zu beenden. Plötzlich tauchte vor uns eine schwarze Gestaltauf. Gewehr im Anschlag zwang sie uns in Richtung einer Mauer undbefahl, uns dort hinzuhocken. Im Dunkel konnten wir sieben Soldatenausmachen. Sie gehörten zu einer Spezialeinheit, ließen sie uns wissen.Sie müssten uns festsetzen, damit wir ihren Einsatz nicht gefährdeten,zumal weitere Soldaten im Ort seien.

Wir versuchten zu intervenieren: „Um 18 Uhr ist der Bürgermeisterdurch einen Offizier der israelischen Armee informiert worden, dass sienach Terroristen aus Nablus suchen. Glaubt ihr, falls diese tatsächlichhier waren, die warteten, bis ihr nachts kommt?“ Und weiter: „Wir wol-len aus der Gefahrenzone herausgehen.“ – „Wir wollen unsere Freundewarnen, die auch durch das Dorf laufen.“ – „Ich kann nicht mehr hocken.Ich stelle mich jetzt auf.“ Die Soldaten verboten uns zu reden, unsereTelefone oder Fotoapparate zu benutzen. Patrick wurde dies mit Nach-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2290

91EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

druck vermittelt, durch Tritte.Später brachten sie uns umge-kippte Eimer, auf die wir unssetzen durften.

Wir sahen, wie die Spezial-einheit in das gegenüberliegen-de Haus eindrang und alle Be-wohnerinnen und Bewohnerzwang, auch die Kinder, sich inihrer Nachtkleidung in der De-zemberkälte gegenüber demHauseingang aufzustellen. Diebeiden Söhne im Alter zwischen20 und 25 Jahren nahmen die Soldaten beiseite, kontrollierten ihre Auswei-se, fesselten sie und stellten sie uns gegenüber auf. Wir überließen unsereSitzgelegenheit den beiden. Nach etwa einer Stunde kam eine andere Ein-heit, nahm die beiden Männer gefangen, schickte die anderen Bewohner-innen und Bewohner ins Haus zurück, und erlaubte auch uns zu gehen.

Stattdessen gingen wir ebenfalls in das Haus, das zwei Soldatendurchsuchten. Es sah schlimm aus. Alles war umgeworfen, die Sessel vonunten aufgeschnitten, alle Bettstellen durchwühlt, Sachen aus denSchränken geworfen. Wir wussten nicht, wonach die Soldaten suchten,aber sie fanden nichts und verschwanden schließlich. Vielleicht hatteunsere Anwesenheit direkte körperliche Gewalt gegen Zivilisten verhin-dert. Das Gefühl, in der Nacht im Schlaf überfallen worden zu sein, abernicht. Und auch nicht das in der nächtlichen Kälte stehen und die Gefan-gennahmen.

Die jungen Männer hatten sich ohne Widerstand abführen lassen. Eswar für die Dorfbewohnerinnen und -bewohner nichts Neues. Für unsschon. Vergebens fragten wir nach einem Haftbefehl. Kurze Zeit spätersahen wir im Dorf eine andere Truppe Soldaten, die einen weiteren Ju-gendlichen verhafteten. Wir hörten von weiteren Hausdurchsuchungenund einer vierten Verhaftung. In dieser Nacht waren rund siebzig Solda-ten in Jayyous. Siebzig Soldaten, die nachts in ein Dorf eingedrungenwaren, um vier junge Männer festzunehmen, gegen die kein Haftbefehlvorlag. Insgesamt 23 Jugendliche aus Jayyous saßen damit im Dezember2002 ohne Gerichtsurteil in israelischen Gefängnissen, einige von ihnenseit mehr als sechs Monaten.

Foto: EAPPI

Kontrolle – israelische Soldaten inJayyous, November 2002.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2291

92 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Der Tag,Der Tag,Der Tag,Der Tag,Der Tag,an dem Tawfik Saliman dem Tawfik Saliman dem Tawfik Saliman dem Tawfik Saliman dem Tawfik Salim

seinen Olivenhain verlorseinen Olivenhain verlorseinen Olivenhain verlorseinen Olivenhain verlorseinen Olivenhain verlorChristoph Gocke, Dezember 2004

In einem traurigen Moment seines Lebens lernte ich Tawfik Salim ken-nen. Der 56-jährige Palästinenser eilte einem jungen israelischenSoldaten voraus auf eine kleine Anhöhe. Die Dezember-Mittagssonne

wärmte. Ein klarer Tag. Am Horizont waren deutlich die Skylines von TelAviv, Herzlia, Netanya zu erkennen. Dahinter ein Schimmer Mittelmeer.Rundum Zitronen-, Orangen-, Guaven- und Olivenhaine.

Das Felsplateau, auf dem wir uns bewegten, ist von einem großenSteinbruch umgeben. Der dort abgebaute weiß-gelbe Stein dient dazu,Häuser in Jerusalem und andernorts zu verkleiden. Sorgsam hatten die„Steinbrecher“ in den vergangen zwölf Jahren das Felsplateau ausge-

Foto: Gocke Blick auf Falamiya, die Nachbargemeinde von Jayyous.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2292

93EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

spart. Und während das Brechen der Steine fast zum Erliegen gekommenwar, hatten wenige Tage zuvor ein Steinzertrümmerer und ein Bulldozerbegonnen, den felsigen Grund jenseits des Steinbruchs einzuebnen,Wege zu bahnen. Und mittendrin Tawfik Salims Olivenhain. Seit mehrals hundert Jahren gehört dieses Land den Salims, vor rund dreißig Jah-ren hatte Tawfik selbst die Olivenbäume gepflanzt. Nach modernen An-baumethoden, wo die Bäume nicht so eng beieinander stehen. Jahr fürJahr hat er seitdem Oliven geerntet. Und dabei jedem der rund 350 Bäu-me zwei Liter Olivenöl abgerungen.

In diesem Jahr war die Ernte fast abgeschlossen. Es war ein gutes Jahr,was die Oliven anbelangte. Ein schlechtes hinsichtlich der Preise, geradenoch zwei bis drei Euro pro Liter. Durch die vielen Sperren waren vieleMärkte unerreichbar geworden. Zwar waren die Fellachen, die Bauern,Probleme gewohnt. Doch was Tawfik am Donnerstag, den 9. Dezember2004, sehen musste, war weit härter. Dort, wo am Morgen noch seineOlivenbäume standen, waren Kuhlen. Löcher im steinigen Erdreich. DieBäume lagen wie Mikado-Stäbchen kreuz und quer durcheinander. EineRaupe hatte kurz zuvor einen Weg geebnet, von dem aus ein großerBagger immer von neuem zugriff. Mit Leichtigkeit hob die Schaufel diemeterhohen Bäume aus dem Erdreich, wie eine Zimmerpflanze beim Um-topfen. Der ein oder andere Baum wurde dabei ganz zerstört.

Seit sechs Stunden wütete der Bagger auf Tawfik Salims Olivenhain.Zufällig hatte ich es von einer entfernten Anhöhe aus gesehen, mehrerahnt. Mit einer Gruppe Israelis von den „Rabbinern für Menschenrech-te“ war ich aus Jerusalem angereist, wir wollten einer palästinensischenFamilie bei der Olivenernte helfen. Ich, der ich erst zwei, drei Tage imLand weilte, wollte mir von der Anhöhe aus ein Bild machen von derGegend, in der ich ein paar Wochen leben würde. Die Berge, auf denenTawfiks Olivenhain liegt, sind die ersten, wenn man vom Küstentieflandins Landesinnere fährt. Bis zum Zusammenbruch der New Economy galtdie Region als „Silicon Wadi“, als Sammelbecken für zukunftsträchtigeInternet- und High-Tech-Entwicklungen.

Zwischen felsigen Hügeln liegen die grünen Obstwiesen und die langgestreckten grauen Plastik-Gewächshäuser, in denen das ganze Jahrüber Gurken und Tomaten reifen. Auf der natürlichen Grenze zwischenTief- und Hochland liegt in dieser Gegend auch ungefähr die so genann-te Green Line, die Grenzlinie, die von 1948 bis 1967 Israel von derdamals zu Jordanien gehörenden Westbank abgrenzte und die völker-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2293

94 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

rechtlich immer noch die israelische Auslandsgrenze ist. Doch eine ganzreale Grenze zieht sich neuerdings über die Hügel. Mit großem Aufwandist sie serpentinengleich in die Erhebungen gesprengt: Ein langer Streifenaus Stacheldraht, Asphalt, Zaun, Asphalt und Stacheldraht mäandertdurch die Gegend. Von den einen bejubelt als Separation Barrier, alsTrennungszaun, von den anderen beklagt als Apartheid Wall, ApartheidMauer.

An dieser Stelle hat die Barriere Tawfik Salim, so wie fast alle Bauerndes rund 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Dorfes Jayy-ous, von seinem Ackerboden abgeschnitten. Wer von den Fellachen aufseinem eigenen Grund und Boden arbeiten will, muss dafür durch Tor 25.Viermal am Tag wird es von israelischen Soldaten für etwa eine Stundegeöffnet. Manchmal aber auch nicht. Als es im Sommer 2004 knapp vierWochen lang geschlossen blieb, fanden die Gemüsebauern in ihren Ge-wächshäusern nur noch Tomatenmatsch vor. Für das Tor brauchen dieBauern einen Passierschein. Den bekommen nur Landeigentümer, docheine Garantie gibt es nicht. Schon gar nicht, wenn jemand in Haft saß.Offiziell begründet wird eine Ablehnung nicht.

Tagtäglich wurde ich Augenzeuge der Behandlung der Palästinenser andiesem einen Tor: Lachte einer der Jugendlichen, musste er sich in allerRegel umdrehen und warten. Mal wurden Kinder und Jugendliche durchge-lassen, mal nicht. Mal wurden Leute mit Passierschein für Tor 26 durchge-lassen, mal nicht. Was hatte das mit Sicherheit für Israel zu tun?, fragte ichmich. Auch wenn ich selbst das Tor passieren wollte, wurde ich jedes Malanders behandelt. Gelegentlich kam ich nur mit großer Überredungskunsthinüber. Manchmal brauchte ich nicht mal den Pass zu zeigen.

EntwurzeltEntwurzeltEntwurzeltEntwurzeltEntwurzelt

Als mein Blick von der Schneise, die der Zaun ins Land gefressen hat,zurück auf die Seite des Ackerlandes schweifte, fiel mir sofort auf, dassdrei statt zwei Baumaschinen rund um den Steinbruch im Einsatz waren.Die neueste Maschine bewegte sich mitten durch Tawfik Salims Oliven-hain. Aus der Ferne kaum zu erkennen: Der Bagger bewegte ganze Oli-venbäume. Um mich zu vergewissern, beobachtete ich ihn noch eineWeile. Tatsächlich, da drehte sich in der Ferne der Baum mit dem Bagger.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2294

95EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Gemeinsam mit ei-nem Israeli und ei-nem schwedischenFotografen von derisraelisch-palästi-nensischen Ernte-gruppe machte ichmich auf den Weg,nach einer halbenStunde über Stockund Stein waren wirvor Ort.

Zwei Männer mitMaschinengewehrenbewaffnet, bewegtensich zeitgleich aufden Bagger zu, etwazwanzig Bäume hat-te er schon flachgemacht. Wir machten Fotos, die Männer in blauer Uni-form schritten nicht ein. Meine beiden Begleiter mussten zurück zur Oli-venernte. Der Israeli warnte mich noch. Bei einer ähnlichen Aktion warzwei Jahre zuvor im Gazastreifen eine internationale Helferin getötetworden. Ein Bulldozer sei gezielt auf sie losgefahren, ein Unfall habe esspäter offiziell geheißen. Ich hockte mich hin. Und heulte. Ich kannteTawfik Salim in diesem Moment noch gar nicht, noch kannte ich Verträ-ge, Hintergründe, Sinn oder Zweck. Ich war nur ergriffen von der Bruta-lität dieses Baggers – diese Übermacht, die Pflanzen aus dem Boden riss,im Kontrast dazu Bauern, die mit ihren Eselskarren jeden Morgen zuihren Feldern rumpelten.

Dann wurde ich aktiv. Doch jetzt rächte sich manches Detail. Ich hattenicht das richtige Handy. Das Mobiltelefon, das ich von meinem Vorgän-ger übernehmen sollte, war abhanden gekommen, vermutlich gestohlen.Ich hatte keine Videokamera, weil die einzige Kamera, die dem Ökumeni-schen Begleitprogramm (ÖFPI) zur Verfügung stand, defekt war. Ichkonnte mich nicht richtig ausstatten, weil ich direkt nach der Ankunft inJayyous für zwei Tage nach Nablus geschickt worden war und noch ausdem Rucksack lebte. Immerhin: Ich hatte ein Mobiltelefon des einzigenpalästinensischen Mobilfunknetzes, Jawwal. Obwohl der Empfang imGrenzgebiet extrem schwach ist, gelang es mir einerseits die ÖFPI-Koor-

Einer von 117 entwurzelten Bäumen.Foto: Gocke

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2295

96 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

dinatorin in Jerusalem zu erreichen und andererseits jemanden aus Jayy-ous jenseits des Zauns.

Damit setzte sich der Protest in Bewegung. Doch die nächste Öff-nungszeit an Tor 25 war erst um 12.30 Uhr. Mir blieb nichts, als mitmeiner kleinen Fotokamera das Zerstörungswerk zu dokumentieren. Kri-tisch beäugt von den beiden bewaffneten Männern, die sich mir als isra-elische Siedler aus dem Jordantal zu erkennen gaben. Gegen zwölf Uhrtauchte ein Lastkraftwagen auf, fuhr zu der erstbesten Gruppe herumlie-gender Olivenbäume und hievte einen nach dem anderen mit einem klei-nen Kran auf die Ladefläche. Als diese fast voll war und ich an denWagen herantrat um nachzuzählen, fragte mich einer der bewaffnetenWachmänner, ob ich nicht helfen könne beim Zusammenschieben. Derandere fragte, ob ich nicht entwurzelte Ölivenbäume kaufen wolle.

Die Bäume bringe er zum Verkauf in denGroßraum Tel Aviv, erzählte der Fahrer. Alsder Lastwagen vom Plateau hinabfuhr, pas-sierte er Tawfik Salims Bruder Jamil mit Frau,Sohn und Tochter, die gerade eingetroffen wa-ren. Jamil, der 65 Jahre alt ist, brachte unterTränen und Seufzen nur zwei Worte hervor:„Thirty-five years. Fünfunddreißig Jahre.“Sein ganzes Arbeitsleben hatte Jamil mit demOlivenhain verbracht. Jetzt traute er sich nichteinmal mehr auf seinen Besitz. Zu viele Paläs-tinenser waren schon „versehentlich“ vonWachmännern erschossen worden.

Innerhalb von wenigen Minuten versammelten sich mehr und mehrBeteiligte am Fuße der Anhöhe. Tawfik Salim, bewaffnete und unbewaff-nete Siedler, ein Militärjeep fuhr vor. Jamil Salims Frau und seine Kinderholten die letzten Habseligkeiten vom Olivenhain: Eine Leiter, ein Was-serkanister, ein Sack mit Plastikplanen. Die Soldaten versuchten, michfernzuhalten und zwischen den beiden Parteien zu vermitteln. TawfikSalim hatte Dokumente mitgebracht, die Siedler ebenso. Nach ein paarMinuten Wortwechsel entschieden die Soldaten: Alle Arbeiten müssensofort gestoppt werden, das Entwurzeln der Bäume genauso wie das Pla-nieren des Erdreichs jenseits des Steinbruchs. In drei Tagen, nach demSabbat, sollte neu entschieden werden.

Tawfik SalimsBruder Jamil.

Foto

: EA

PPI/

Mir

jam

Mül

ler

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2296

97EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Erst jetzt war der Moment gekommen, in dem Tawfik Salim in militä-rischer Begleitung das Zerstörungwerk sehen durfte. Als wir die Anhöheerreichten, brach im selben Augenblick seine Verzweifelung aus. Beglei-tet von einem bitteren Schrei riss er die Arme nach oben, zeigte dannverzweifelt auf den aufgewühlten Ackerboden nach unten. Stürzte sichin die Olivenbaum-Zweige, drückte die Blätter heulend an die Schläfen,rannte von einem Baum zum anderen. Ich hatte nichts Besseres zu tun,als Foto auf Foto zu schießen. Tawfik Salim versuchte sich auf die israe-lischen Wachleute zu stürzen. Der Soldat und ich hielten ihn zwei, dreiSekunden gegen seine eigene Energie fest. Schon sank er in meinen Ar-men auf den Boden. Wimmerte, geschüttelt von Tränenkrämpfen. Plötz-lich wurde er völlig starr, wirkte bewusstlos. „Water, Wasser“, schrie derSoldat. Ich riss eine Flasche aus meinem Rucksack, versuchte TawfikSalim etwas Wasser einzuflößen. Dann sank er ganz in sich zusammen.

Der Soldat sorgte dafür, dass der Bagger das Areal verließ. Gemeinsamhoben wir Tawfik Salim hoch und schleppten ihn zum Militärjeep. Alsich zurück auf das Grundstück wollte, um die entwurzelten Bäume zuzählen, verboten die Soldaten auch mir, den Olivenhain noch einmal zubetreten. Also wartete ich bis sie weg waren, um den Status Quo zu foto-grafieren und jeden einzelnen der herumliegenden Bäume zu zählen. 107zählte ich. Plus die zehn bereits abtransportierten. Machte 117. Von

Foto

: Goc

ke

Der verzweifelte Tawfik Salim aufseinem zerstörten Olivenhain.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2297

98 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

schätzungsweise 350. Ein Drittel des Ölgartens war zerstört. Auf demWeg zurück zum Tor sah ich, dass Bulldozer und Steinzertrümmererimmer noch weiterarbeiteten. Entgegen der Anweisung der Soldaten. Siebereiteten das Straßennetz für eine neue illegale jüdische Westbank-Siedlung vor, die rund um den Steinbruch entstehen sollte. Illegal, weilAnsiedlungen der eigenen Bevölkerung in besetzten Gebieten laut Völ-kerrecht verboten sind. Außerdem hatte sich die israelische Regierungverpflichtet in der so genannten Road Map, dem zuletzt unter Mitwir-kung der internationalen Gemeinschaft beschlossenen Plan zu einer Lö-sung des Nahost-Konflikts, jeden Weiter- oder Ausbau der Siedlungen zuunterlassen. Stattdessen aber wird die nahe bei Jayyous gelegene, beste-hende Siedlung Zufim um ein Vielfaches ihres bisherigen Ausmaßes er-weitert.

Der Kampf um Land

Als ich beim Tor ankam, hockte dort Tawfik Salims Bruder mit seinerFamilie und Eselskarren. Reglos lag er Familienvater am Boden. Den An-blick des zerstörten Olivenhains hatte er sich erspart. Als ein Militärjeepvorüberfuhr, hielt ich ihn an und bat die Soldaten angesichts dieses Ta-ges für die Familie, die nicht mehr an den eigenen Olivenbäumen arbei-ten durfte, das Tor außerhalb der Öffnungszeiten zu öffnen. Der Strom,unter den der Zaun gesetzt sei, könne nur zentral ab- und angeschaltetwerden, argumentierten die Soldaten. Immerhin, sie versuchten es, er-hielten aber von zentraler Stelle eine Ablehnung. Die Familie solle dochfroh sein, sagte einer der Soldaten zum Abschied, immerhin sei niemandgetötet worden.

Als ich schließlich in unserem kleinen Haus in Jayyous ankam, gelanges mir in einem günstigen Augenblick – als sowohl Strom- als auchInternetleitung nicht gestört waren – Fotos und Informationen an dieisraelische Tageszeitung Haaretz zu übermitteln. Am nächsten Tag er-schien ein Artikel mit einem meiner Fotos: Der verzweifelte Tawfik Salimneben dem israelischen Soldaten. Schon am frühen Morgen hatte daserste Fernsehteam Tawfik Salim zu seinem Schicksal befragt. Die bewe-gendsten Fotos stellte ich auf meine Homepage. Über Email-Zirkel ver-breitete sich die Nachricht von Tawfik Salims Schicksal weiter. Nachdemeine US-amerikanische Organisation den Link zu meiner Seite unter denTitel: „Israelis entwurzeln, stehlen und verkaufen Olivenbäume“ gestellthatte, wurde meine Homepage tausend Mal pro Tag angeklickt. Eine Ak-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2298

99EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

tivistin aus Rhode Island startete eine Kampagne, bei der Freiwillige dasAußenministerium und das Weiße Haus in Washington anriefen, um aufdiesen Bruch internationaler Abmachungen seitens der israelischen Re-gierung hinzuweisen. Schwedische, britische Diplomaten kamen nachJayyous, die deutsche Vertretung in Ramallah rief mich an.

Vor Ort kämpft Tawfik Salim um sein Recht, gemeinsam mit SherifOmar, dem Vertreter des palästinensischen Land Defence Committee, dempalästinensischen Komitee für Landrechte. Eine komplizierte Auseinan-dersetzung zwischen den sich widersprechenden Karten israelischer undpalästinensischer Stellen, unklaren Verkaufsvorgängen, begann. So et-was sei sehr häufig in der Westbank zu beobachten, sagte der deutscheDiplomat. Am Ende hätten in der Regel die Palästinenser ihr Land verlo-ren. Für sie sei es ein verzweifelter Kampf, in den ihnen die hiesigeRechtsordnung – eine Mischung aus osmanischem, britischem, jordani-schem und israelischem Recht, unübersichtlichen Zuständigkeiten, Ver-zerrungen – im Zweifelsfall zum Nachteil gereiche.

Das Dorf Jayyous hat im Jahr 1948 den Teil des Landes verloren, derbei Ende des Krieges, den die Israelis als Unabhängigkeitskrieg, die Pa-lästinenser als Katastrophe bezeichnen, zu Israel gehörte. Seit Besat-zungsbeginn im Jahr 1967 wurde für die jüdische Siedlung Zufim eingroßer Teil des Landes konfisziert. Der Steinbruch wurde 1992 eröffnet.Durch den Zaunbau 2002/2003 ging wiederum Land verloren. EinigeBauern kommen nicht mehr auf ihr eigenes Gelände. Der als „Ausbau“bezeichnete Neubau einer weiteren jüdischen Siedlung führt nicht nur zuFeldverlusten der Bauern von Jayyous, sondern bedroht den Zugang zuden eigenen Feldern. In Zukunft können die Bauern voraussichtlich nurnoch durch einen zehn Kilometer weiten Umweg durch ein anderes Torzu ihren Feldern gelangen. Für die meisten bedeutet das täglich weiterezehn Kilometer Fußweg. Der „Sicherheitszaun“ – Strategie oder nicht –erweitert das israelische Territorium auf Kosten der Palästinenser. DasLeben wird den Menschen von Jayyous immer schwerer gemacht.

Tag für Tag habe ich Tawfik Salim begleitet. Ein Landvermesser kam,um Grund und Boden noch einmal zu erfassen. Der palästinensischeGouverneur versprach erst die Bezahlung des Landvermessers, wolltedann doch nicht zahlen. Drei Stunden benötigte Tawfik Salim, um bei derisraelischen Polizei in der Siedlung Qedumim Anzeige zu erstatten gegendie Zerstörer seines Olivenhains. Tawfik Salim kämpft. Doch er befürch-tet, dass dieser Kampf kaum zu gewinnen ist.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:2299

100 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

In JerichoIn JerichoIn JerichoIn JerichoIn JerichoBarbara Thiel, September 2002

Noch vor drei Jahren war Jericho ein idealer Platz, sich zu entspan- nen. Eine Oase mitten in der Wüste, in der man im Spanischen

Park saß, Wasserpfeife rauchend, oder, nach einer Wanderungdurch das Wadi Kelt, eines der vielen Touristenrestaurants besuchte. Je-richo war eine kleine, lebendige Stadt, die aufwärts strebte und als „ältes-te Stadt der Welt“ mit ihren Sehenswürdigkeiten Touristen aus Israel undaus aller Welt anzog. Das Kloster der Versuchung Jesu, das an einemBerg in der Jericho umgebenden Wüste „klebt“, konnten sie bequem mitder neuen Drahtseilbahn erreichen.

Nach dem Beginn der zweiten Intifada wurde der Zugang nach Jerichonicht nur durch einen Checkpoint, einen Kontrollposten, erschwert. Viel-mehr benötigte nun jeder, der die Stadt besuchen wollte, eine Genehmi-gung der israelischen Militärbehörde. So auch ich, als ich im September2002 den Direktor für Finanzen des Christlichen Vereins Junger Frauen(YWCA), Wissam Saed, auf seiner Fahrt zu den Zweigstellen in Jerichobegleitete. Aber Wissam hatte vorgesorgt und eine Woche vor unsererFahrt eine Passiererlaubnis für uns beide beantragt. Weil der Grenzsoldatseinen Namen auch auf der langen Liste fand und mein Pass und meinTouristenvisum in Ordnung waren, durften wir ohne weitere Diskussiondurch – obwohl der Soldat meinen Namen nicht auf der Liste gefundenhatte, aber ich war ja Ausländerin.

Der YWCA unterhält im Flüchtlingslager Jericho einen Kindergartenmit Vorschule für rund achtzig Kinder. Der Kindergarten hat einen sehrschönen Spielplatz. Es wäre genug Platz da, die Anlage weiter auszubau-en. Aber da viele Kinder auch aufgenommen werden, wenn ihre Elternnicht in der Lage sind, die Gebühren zu zahlen, geht alles nur nach undnach und ist abhängig von Spenden. In Jericho selbst hat eine Frauenin-itiative als Zweigstelle des YWCA begonnen, Marmelade und Zitronensi-rup einzukochen, Mixt Pickles und anderes Gemüse zu konservieren oderzu frosten, Datteln luftdicht verschweißt zu verpacken, und diese haltbargemachten Waren - zunächst in Ramallah, der Kapitale der Westbank -zu verkaufen. Daneben betreibt der YWCA ein Computer-Café, das gegen

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22100

101EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Gebühren von der einheimischen Bevölkerung für Computerspiele oderInternetbesuche genutzt werden kann, und einen Frisiersalon mit zweiAuszubildenden.

Während Wissam Saed mit der Leiterin der Zweigstelle die Finanzenund die weitere Verkaufsstrategie diskutierte, hatte ich Zeit für einenSpaziergang durch Jericho. Ich war schockiert. Die breite Straße mit Blickauf das Kloster war menschenleer. Die Gartenrestaurants waren seit lan-gem geschlossen. Die Körbe der Seilbahn schaukelten verloren im Wind.Genauso trostlos begegnete mir das Stadtzentrum. Viele Menschen hiel-ten sich dort auf, beschäftigten sich mit irgendetwas, wirkten gelang-weilt, redeten, tranken einen Kaffee. Einheimische, viele ohne Arbeit. Siestarrten mich an wie ein Wesen von einem andern Planeten. Niemandfragte, ganz anders als in Jerusalem, ob ich etwas kaufen möchte. Ichfühlte mich traurig – sie tat sehr weh, diese Atmosphäre.

Umso mehr bewunderte ich den Mut und die Fröhlichkeit der Frauenim YWCA. Während des Zusammenseins mit ihnen fielen mir erste ara-bische Worte wieder ein, und wir lachten. Dabei war der Raum angefülltmit Waren, die für den Verkauf in Ramallah bestimmt waren. Es ist nichtweit von Jericho nach Ramallah. Aber man braucht Papiere, um die isra-elischen Kontrollposten passieren zu können, und viel Zeit – Wartezeit –an den Posten. Jederzeit kann aus einer Autofahrt von einer Stundemöglicherweise ein Tagesprogramm werden, wegen der regelmäßigenAusgangssperren in Ramallah vielleicht sogar eine mehrtägige Reise.

Foto

: Thi

el

Friseurin mit Auszubildenden im YWCA.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22101

102 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Ein kleiner SoldatEin kleiner SoldatEin kleiner SoldatEin kleiner SoldatEin kleiner SoldatBarbara Thiel, September 2002

M ohammed, ein kleiner Junge im Alter von dreieinhalb Jahren, ist glücklich. Er hat sich ein ordentliches Holzgewehr gebaut und kann um sich schießen. Mit strahlenden Augen sieht er mich an.

Ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. „Sieh dir dieses Kind an“, sagtseine Großmutter, eine Frau Anfang Fünfzig, mit der ich seit einigenJahren befreundet bin. „Erist kein Palästinenser. Soetwas gab es noch nicht inunserer Familie. Er ist jetztein israelischer Soldat. Daspassiert mit unseren Kin-dern.“

Um meine Freunde inHalhul, einem Nachbarortvon Hebron, zu besuchen,musste ich bereits an derFernverkehrsstraße aus-steigen. Dann drei rundzwei Meter hohe Erdhügelüberwinden, die aufge-schüttet waren, um die Zu-fahrt nach und aus Halhulabzusperren. Erst danachkonnte ich mit einem Mini-bus weiterfahren in denOrt. Als ich ausstieg, ka-men zwei israelische Sol-daten die Straße herunter-gerannt. Auf mich zu, anmir vorbei, um sich se-hend, als sei dies ein gefährlicher Platz inmitten einer befeindeten Ar-mee, die darauf wartet, sie anzugreifen. Sie rannten weiter in ein Haus.Ich überwand meinen Schreck und setzte meinen Weg fort. Ob die Solda-

Foto: ThielDer kleine Mohammed.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22102

103EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

ten wissen, dass sie dieses Gebiet besetzt und die Menschen hier zu Ge-fangenen in ihren Häusern gemacht haben?

Später, als der 14-jährige Wadjdi, aus der Schule kam, berichtete ervoller Angst und Aufregung: „Als wir die Schule verließen, sahen wir,wie fünf israelische Soldaten auf unseren Hausmeister einschlugen, ei-nen großen, starken Mann.“ Ich wollte mich gleich auf den Weg zurSchule machen, doch meine Freunde baten mich, nicht aus dem Haus zugehen. Sie hatten Angst, dass ich auffallen und ein Grund sein könnte,dass die Soldaten in ihr Haus kommen würden. Vom Dach aus zeigten siemir einen Hügel in der Nähe des Ortes, auf dem gegenwärtig ein israeli-sches Militärcamp errichtet wurde. In den folgenden Nächten erlebte ichAlltag in Halhul. Fast jede Nacht schossen die Soldaten oder kamen indie Kleinstadt. Zum Spaß? Um ihre Panzer zu bewegen? Um ihre Machtzu zeigen? Solche Fragen schossen mir durch den Kopf. Immer wiedernahmen die Soldaten Menschen gefangen.

Mohammed, der kleine Junge, bewegte sich in seinem Spiel exakt wiedie israelischen Soldaten. Zunächst wollte ich ihn stoppen, aber ichkonnte es nicht. Vielleicht, so dachte ich, braucht er diesen Weg als Mit-tel gegen die Angst, die Hoffnungslosigkeit und Depression, die ihn undsein kleines Leben tagtäglich umgeben.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22103

104 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Schulalltag in HebronSchulalltag in HebronSchulalltag in HebronSchulalltag in HebronSchulalltag in HebronBrigitta Böckmann, Dezember 2004

Mit einer schweren Spitzhacke, mit Spaten und Harke haben dieälteren Schülerinnen der Cordoba-Schule in Hebron auf demSchulgelände mühevoll ein kleines Stückchen Wiese urbar ge-

macht, um einen Schulgarten anzulegen. Sie haben den Boden gelockert,die Felsbrocken zur Seite gerollt und als Begrenzung aufgereiht, die grö-ßeren und kleineren Steine zusammengetragen und aufgeschichtet. Blu-men und Sträucher sollen hier in Zukunft angepflanzt werden, um denEingang zum Schulhof und zum Schulgebäude freundlicher zu gestalten.

Die Cordoba-Schule ist eine Mädchenschule. Sie liegt auf einer Anhö-he am Rande der historischen Altstadt von Hebron, in von Israel kontrol-liertem Gebiet, unmittelbar umgeben von drei israelischen Siedlungen.Häufig traktieren die dort lebenden fundamentalistisch-religiösen Be-

Foto: EMW/Bräuer Eine ehemalige Haupteinkaufsstraßein der Altstadt von Hebron.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22104

105EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

wohnerinnen und Bewohner die Palästinenser – mit verbalen Angriffen,mit Steinwürfen, mit Schlägen und mitunter regelrechten Überfällen. Anden Hauswänden prangen Graffitis wie „Die Arab Sand Niggers, SterbtArabische Sand Neger“, oder „Gas the Arabs, Vergast die Araber“. Wegender Übergriffe, wegen der häufigen Ausgangssperren, und weil es kaumArbeit in dieser Gegend gibt, sind viele Familien weggezogen. Sie habendiesen Druck nicht mehr aushalten und ihren Kindern nicht länger zu-muten mögen. Mehrere Häuser in der Nachbarschaft der Schule stehenleer, zum Teil sind sie sogar noch möbliert.

Auf den Dächern habenisraelische Soldaten ihre mi-litärischen Stützpunkte undBeobachtungsstände einge-richtet, sodass die Schuleund ihre Zugänge unterständiger Kontrolle stehen.Besuchten vor zehn Jahrennoch 300 Mädchen die Cor-doba-Schule, vor Ausbruchder zweiten Intifada imSeptember 2000 sogar noch205, so gab es Ende 2004 nurnoch 90 Schülerinnen. Oftwerden sie von Siedlern be-drängt. Einmal so die Schul-leiterin, sollen die Siedlersogar versucht haben, in dasSchulgebäude einzudringen.Sie selbst habe wiederholtMorddrohungen erhalten.Israel wolle dieses Schulge-bäude zusätzlich, so sagt sie,um die benachbarte jüdischeSchule zu erweitern. DieseSchikanen seien Teil einerVertreibungsaktion.

Jeden Morgen und jedenMittag müssen Lehrerinnen und Schülerinnen eine rund achtzig Zenti-meter breite, oder besser gesagt schmale, steile, unebene, schlüpfrige und

Foto

: E

MW

/Brä

uer

Altstadtgasse in Hebron – ein Netz fängtden aus dem Fenster geworfenen Müllisralischer Siedler ab.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22105

106 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

nicht gesicherte Felstreppe hinauf- bzw. wieder hinuntersteigen. Obenangekommen, müssen sie einen ebenso schmalen Pfad am steil abfallen-den Hang entlanggehen, um auf das Schulgrundstück zu gelangen. Einenicht ungefährliche Angelegenheit, besonders im Winter bei Regen,wenn Wasser den Weg überflutet und die Treppe hinunterschießt. Zu-sätzlich platscht Wasser aus einem Entwässerungsrohr vom Dach desangrenzenden Hauses herunter und auf jede, die sich auf der Treppe be-wegt. Eine Ausweichmöglichkeit gibt es nicht. Wer bei solchem Wetter inder Schule ankommt, ist völlig durchnässt, einschließlich der Schulta-sche. Heizungen sind in der Cordoba-Schule nicht vorhanden.

Wegen der benachbarten jüdischen Schule haben israelische Soldatenunten an der Treppe Stellung bezogen. Dort, wie bereits hundert Meterzuvor, kontrollieren sie die Kinder der Cordoba-Schule. Wenn ich mor-gens an dieser Treppe stand und beobachtete wie die Kinder den Kon-trollposten passierten, bemerkte ich, dass sie aufhören zu reden und zuscherzen. Viele halten ihre Köpfe gesenkt, schauen weder nach rechtsnoch links, blicken starr nach unten. Furcht und sichtbares Zögern nahmich wahr, wenn Soldaten mit Hunden vom oberen Stützpunkt herunter-kamen. Vor allem die Schulanfängerinnen fürchten sich mehr vor denHunden als vor den Soldaten. Sie kreischen, bleiben verstört stehen undweigern sich, die Treppe hinaufzusteigen, wenn einer der Hunde dortlagert. Als Beobachterinnen und Beobachter konnten wir ihnen dieFurcht nehmen, wenn wir sie an die Hand nahmen und mit ihnen diesenWeg gemeinsam gingen.

Aus Sicherheitsgründen endet der Schulunterricht in der Cordoba-Schule mittags für alle Klassen zur gleichen Zeit. Dann geleiten wir allewieder den Hang hinab. Denn es ist schon vorgekommen, dass jüdischeSiedlerkinder und Jugendliche den Weg versperrten, mit Steinen warfenoder versuchten, die palästinensischen Kinder den Hang hinunter zu sto-ßen. Einmal erlebte ich einen solchen Zwischenfall. Etwa dreißig Ju-gendliche drängten, Steine werfend, auf das Schulgelände, widersetztensich sogar den herbeieilenden Soldaten, sodass noch weitere Soldaten inmehreren Jeeps und die israelische Grenzpolizei zu Hilfe gerufen wur-den. Erst nach einer knappen Stunde konnten wir unter dem Schutz derSoldaten das Schulgebäude verlassen. Ich befürchtete, dass unsere sonstso disziplinierten Mädchen in Panik geraten und die Situation aus demRuder laufen könnte. Doch schließlich kamen alle einigermaßen unver-sehrt die Treppe hinunter. Einige wurden von Eiern und kleineren Stei-nen getroffen, ich selbst „kassierte“ von einem etwa 18-jährigen jüdi-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22106

107EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

schen Mädchen hinter dem Rücken eines Soldaten, der es festhielt, nocheinen Fußtritt in den Oberschenkel. Unten angekommen, flüchteten dieSchülerinnen so schnell sie konnten die Straße entlang zum nächstenKontrollposten, aus Furcht, die Jugendlichen könnten sie verfolgen.Doch die Soldaten hatten eine Mauer gebildet.

Unfassbar, zu sehen und zu spüren, welchem Stress diese Mädchender Cordoba-Schule täglich ausgesetzt sind. Und wie ist es nun mit demso hoffnungsvoll begonnenen Schulgarten-Projekt weitergegangen? Alsich am nächsten Morgen zur Schule kam, sah ich den kleinen Gartenzerstört. All die säuberlich aufgereihten Felsbrocken und aufgeschichte-ten Steine lagen verteilt auf dem so mühsam hergerichteten StückchenLand, dazu eine Unmenge von Plastikabfall. „Das waren Siedler, dasmachen die immer“, sagten die Schülerinnen lakonisch. „Das ist eineArbeit wie Sisyphus“, sagte die Schulleiterin, „aber wir machen weiterund fangen wieder von vorne an. Was sollen wir auch sonst machen. Soist halt das Leben .“

Ein israelischer Soldat versucht, eine Schülerin der Cordoba-Schule vor dem Angriff eines Siedlermädchens zu schützen.

Foto

: EA

PPI/

Pand

ora

Bok

ala

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22107

108 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Unterwegs mit SchäfernUnterwegs mit SchäfernUnterwegs mit SchäfernUnterwegs mit SchäfernUnterwegs mit Schäfernund ihren Herdenund ihren Herdenund ihren Herdenund ihren Herdenund ihren Herden

Brigitta Böckmann, Februar 2005

Drei Tage habe ich in Al Twani verbracht, einem winzigen Dorf in den Bergen südlich von Hebron, nahe der Stadt Yatta. Al Twani istso klein, dass es auf der Landkarte nicht zu finden ist. Die Men-

schen dort, Schafhirten und Kleinbauern, sind arm und leben ausgespro-chen einfach in ihren oft unfertigen kleinen Katen aus Beton oder den

alten Häusern aus Felsgestein ohne Fenster, aber mit Gras gedecktemKuppeldach. Es gibt in Al Twani keine Kanalisation, Strom nur abendsvon halb sechs bis halb zehn Uhr, dafür aber eine neue Schule für dieKinder des Ortes und aus allen umliegenden Ansiedlungen. Um dorthinzu gelangen müssen letztere täglich weite und gefährliche Wegstrecken

Foto: EMW/Bräuer Ein Lebensmittelladen in der Altstadt von Hebron.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22108

109EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

zurücklegen. Einen kleinen Krämerladen gibt es auch in Al Twani miteinem eingeschränkten Sortiment an Zucker, Reis, Mehl, Kartoffeln undOrangen, ein paar Süßigkeiten, Seife, Waschpulver und Toilettenpapier.

In unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes, nur einen Kilometer ent-fernt auf der Höhe der Bergkuppe, liegt eine nach internationalem Rechtillegale israelische Siedlung. Wie unzweifelhaft an den bereits begonne-nen Erdarbeiten zu erkennen ist, soll sie weiter in Richtung Al Twaniausgeweitet werden. Außerdem haben in einem angrenzenden Wald-stück weitere Siedler eine nicht nur nach internationalem, sondern auchnach israelischem Recht illegale Siedlung errichtet, einen so genanntenOutpost, einen Vorposten. Mit Zäunen haben die Siedlerinnen und Sied-ler die Grenzen „ihres Territoriums“ abgesteckt. Peinlich genau wachensie darüber, dass kein Palästinenser diesem Zaun zu nahe kommt. Zunahe heißt, nicht näher als ungefähr zweihundert Meter.

Wie uns Einheimische erzählten, kommt es fast täglich zu Übergriffenauf Schafhirten, spielende Kinder, Kräuter sammelnde Frauen. Hirtenjun-gen und Kinder werden geschlagen, Schafe hütende Männer und Frauenmit Steinen beworfen und vertrieben. Internationale Präsenz, die hilft, sol-che Gewalt nicht eskalieren zu lassen oder gar zu unterdrücken, ist not-wendig und wird von den Dorfbewohnern erbeten. Die Menschen fühlensich dann etwas sicherer und beschützt, obwohl die internationalen Frie-densaktivistinnen und -aktivisten des „Christian Peacemaker Team“ undder Organisation „Operation Dove“ nichts anderes mitbringen als ihreMobiltelefone, ihre Kameras und vor allem ihre persönliche Bereitschaft,vor Ort zu sein, mit den Menschen zu leben und diese Situation auszuhal-ten. Wir waren zu viert in diesen Tagen, drei Freiwillige der CPT und ichals Teilnehmerin des Begleitprogramms des Ökumenischen Rates der Kir-chen. Kurzfristig waren wir gebeten worden, in der Region auszuhelfen,weil das Team von „Operation Dove“ andere Verpflichtungen hatte.

Unsere Unterkunft in Al Twani war mehr als einfach und entsprachden lokalen Gegebenheiten: Ein vier mal vier Quadratmeter großer, mitWellblech gedeckter Rohbau, ausgestattet mit einigen dünnen Matratzenauf dem Betonboden, zwei kleinen Holzregalen, einem kleinen Ofen mitundichtem Ofenrohr, einer lose aus Gasbetonsteinen zusammengesetztenkleinen Anlage für das Trinkwasser, das zudem erst mühsam vom Tank-wagen herangeschleppt werden musste. Dazu gab es einen kleinen offe-nen Vorraum, in dem Vorräte und etwas Geschirr aufbewahrt wurden,sowie ein durch eine dicke Plastikfolie abgetrenntes „Bad“. Bad bedeutete

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22109

110 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

in diesem Fall eine Waschmöglichkeit und eine Toilette zum Hockenohne Wasserspülung. Zum Nachspülen wurde das in einer Tonne gesam-melte Wasser vom Geschirrspülen und Händewaschen verwendet. Allesin allem eine echte Herausforderung für eine, einen anderen Standardgewöhnte Mitteleuropäerin.

Doch obwohl es lausig kalt war in diesen Februartagen, sodass ichabends in „voller Montur“ in den Schlafsack kroch, obwohl das Holzfeu-er wegen der Feuchtigkeit nur schwer in Gang zu kriegen war und denganzen Raum in beißenden Qualm hüllte, obwohl ich mich in diesenTagen nicht waschen konnte, habe ich mich in Al Twani wohlgefühlt. DieGastfreundschaft und die Dankbarkeit der einheimischen Bevölkerungfür unsere Präsenz, die ihnen ein Gefühl von etwas mehr Sicherheit ge-genüber den Siedlern verlieh, sowie unser Gefühl angenommen und ge-braucht zu werden, haben geholfen, all diese Unannehmlichkeiten zuüberwinden.

Begleitung und KonfrontationBegleitung und KonfrontationBegleitung und KonfrontationBegleitung und KonfrontationBegleitung und Konfrontation

Morgens kurz vor acht Uhr, als wir gerade mühsam unsere Nasen ausden Schlafsäcken in die Kälte reckten, klopfte es an unsere Tür. EinNachbarjunge brachte uns frische warme Brotfladen und bat uns gleich-zeitig um Begleitung beim Hüten der Schafe an diesem Vormittag. Nacheinem schnellen Frühstück und einer kurzen Meditation machten wir unszu viert auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt. Wir teilten uns auf:Je zwei von uns begleiteten eine Gruppe von zwei bis drei Schafherden.Ich war mit einem 77-jährigen Mitarbeiter der CPT unterwegs. „Unsere“Schäfer führten ihre Herden weit ins Gebirge, über felsige Abhänge undüber grüne Matten in der Nähe der israelischen Siedlung, denn das warihr eigener Grund und Boden. Der Wind auf den Bergkuppen war frisch,aber das Gras in dieser Jahreszeit bereits üppig. Erste Anemonen warenzu sehen, und die Vögel zwitscherten. Ein kleines Paradies, dachte ich,wenn es nicht das Problem mit den Siedlern gäbe, die den Dorfbewoh-nern das Land nehmen und damit zunehmend die Lebensgrundlage. Frü-her konnten die Bewohnerinnen und Bewohner von Al Twani ihre Schafenoch überall dort weiden, wo es das frischeste Grün gab. Sie konnten inden feuchten, engen Tälern ihre kleinen Felder bestellen und ihre Oliven-bäume pflegen. Mehr und mehr wird ihnen diese Möglichkeit genom-men, ihr Lebensraum langsam, aber stetig eingeschränkt.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22110

111EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Beim Hüten derSchafe hatten wirständig das Wäldchenmit der Siedlung imBlick, um rechtzeitigwarnen zu können,falls von dort Gefahrdrohen sollte. Gottlob,es blieb ruhig an die-sem Vormittag. Nur ei-nige Male beunruhig-ten uns Militärfahrzeu-ge am Rande der Sied-lung. Als dann ein Jeepder israelischen Polizeivorbeiraste, trieben die Hirten sofort ihre Herden zusammen und zogen inRichtung Dorf. Gut vier Stunden waren wir mit den Schäfern unterwegs,bis wir schließlich wieder im Ort anlangten. Wir wurden noch in einHaus gebeten, um mit einer der Familien zu „frühstücken“ – um ein Uhrmittags. Während die Mutter den ganzen Morgen mit uns in den Bergenunterwegs gewesen war, hatte eine der Töchter der Familie das Essenvorbereitet. Der heiße Tee weckte unsere Lebensgeister.

Nach Hause zurückgekehrt, erfuhren wir von den anderen Teammit-gliedern, dass deren Begleitung längst nicht so unproblematisch verlau-fen war an diesem Tag. Plötzlich war ein Siedler aufgetaucht. Mit einemStock hatte er sie vertreiben wollen mit der Begründung, sie seien demZaun der Siedlung zu nahe gekommen. Der Schäfer weigerte sich, hielt ersich doch in der vorgeschriebenen Entfernung auf. Außerdem, so sagteer, sei dies sein eigener Grund und Boden, und er weide schließlichimmer hier. Israelische Soldaten kamen hinzu und erklärten das Gebietkurzerhand zur militärischen Zone. Eine mehr als zweistündige, teils hit-zige Diskussion zwischen Siedler, Schäfern, Internationalen, Soldatenund der herbeigerufenen Polizei endete schließlich mit der Vereinba-rung, dass sich Siedler und Militär in den nächsten Tagen zusammenset-zen wollten, um dieses Problem zu erörtern – ohne die Dorfbewohnerund ohne den Schäfer, den Eigentümer des betreffenden Grundstücks.Eine Alibiveranstaltung, die, so der Schäfer, ihm mit Sicherheit nicht zuseinem Recht verhelfen könne. Aber wie sich dagegen wehren? „Hadamin Allah, das ist von Gott so auferlegt“, sagte er und zuckte resigniertmit den Schultern.

Foto: EAPPI/Bob TraerFoto: Thiel Ein Schäfer mit seiner Herde

in der Nähe von Al Twani.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22111

112 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

„Ich bin nicht nur Soldat,„Ich bin nicht nur Soldat,„Ich bin nicht nur Soldat,„Ich bin nicht nur Soldat,„Ich bin nicht nur Soldat,ich bin auch ein Mensch“ich bin auch ein Mensch“ich bin auch ein Mensch“ich bin auch ein Mensch“ich bin auch ein Mensch“

Brigitta Böckmann, Dezember 2004

W ie jeden Morgen um halb acht Uhr stand ich am KontrollpostenBeit Hadassa, um Schülerinnen und Lehrerinnen der Cordoba-Schule in Hebron in „Empfang zu nehmen“. Ich war allein an

diesem Morgen und traf auf einen israelischen Soldaten, der ebenfallsallein auf Wache war und gelangweilt an der Mauer neben seinem Unter-stand lehnte. Nach einem freundlichen „Good Morning, Guten Morgen“kam er auf mich zu und schien eine Unterhaltung beginnen zu wollen.

Nach meiner vor-sichtigen Frage, obihm dieser Job nichtzu langweilig würdeund wie lange er dennnoch zu dienen habe,sprudelte es nur so ausihm heraus: Noch zweivolle Monate habe ervor sich, hoffentlichginge diese Zeit schnellvorüber. Danach wolleer Sozialwissenschaftenstudieren. Der Militär-dienst sei nun mal einePflicht, die er zu absol-vieren habe. Er habeaber auch verschiede-ne Kritikpunkte anzu-melden, die könne und möchte er aber erst äußern, wenn alles hinter ihmläge. So viel Schreckliches habe er gesehen, was ihn sehr bedrücke. „Youknow, I am not only a soldier, I am a human being“, betonte er eindring-lich. „Wissen Sie, ich bin nicht nur Soldat, ich bin auch ein Mensch.“Gespalten fühle er sich, und das belaste ihn.

Foto: EAPPI

Israelischer Soldaten versuchen, die Töchterradikaler Siedler in Schach zu halten.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22112

113EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Ich zeigte, dass ich ihn verstand. Was ich hier in Hebron machen,welcher Organisation ich angehören würde, fragte er, und wie langeich bleiben wolle. Und wie ich überhaupt auf den Gedanken gekom-men sei, hierher zu fahren. Dieses Interesse überraschte mich. Ich er-zählte ihm von meinen ersten Besuchen hier im Land vor fast zehnJahren und von meiner Tochter, die in dieser Zeit in Jerusalem an derHebräischen Universität studiert hatte. Ich erzählte ihm von meinenisraelischen und palästinensischen Freunden, und dass ich fast immerin Familien und Gemeinschaften gelebt und somit vieles von dem er-fahren hätte, was die Menschen hier bedrücke. Dass ich danach nichtmehr tatenlos in meinem wohl geordneten Deutschland herumsitzenkönne, sondern mich gedrängt fühlte, immer wiederzukommen, umeinige Zeit lang Seite an Seite mit den Menschen zu leben und in Pro-jekten mitzuarbeiten.

Ich erzählte ihm, dass ich die Ängste auf beiden Seiten verstehen kön-ne, dass ich nachfühlen könne, welche Sorgen beispielsweise israelischeMütter haben, die ihre Teenager außerhalb der Familie in Cafés oder Dis-kotheken wissen, deren Kinder auf dem Weg zur Schule oder Universitätsind oder einen Stadtbummel machen in Jerusalem, Tel Aviv, Netanya,Haifa, Afula oder anderswo. Dass auch mich manchmal ein höchst ungu-tes Gefühl beschleicht, wenn ich in Jerusalem im Busbahnhof bin oderan einer Bushaltestelle an einer der Hauptverkehrsstaßen stehe und meh-rere Busse gleichzeitig ankommen. Dass ich dann manchmal schnell ineine Seitenstraße ausweichen würde, aus einer aufkommenden Angstheraus, es könne ja passieren, das ... Dass mir dann Fernsehbilder undErfahrungen von Selbstmordattentaten in Erinnerung kämen und fürAugenblicke ein Gefühl der Enge mir die Luft zum Atmen nimmt. Dassich mich andererseits aber auch zwinge, den Bus zu benutzen, um dieseAngst in den Griff zu bekommen und auch, um in Solidarität mit derisraelischen Bevölkerung zu versuchen, ein Stück Normalität in dieserunnormalen Situation zu leben.

Ja, die israelische Bevölkerung habe Angst und müsse Einschränkun-gen hinnehmen, erwiderte der Soldat, aber das wäre nichts im Vergleichzu den Arabern, wie er die Palästinenser nannte, die müssten viel mehrleiden. Er sprach davon, dass beide Völker einander nicht kennen unddeshalb nur Vorurteile und Negativbilder tradiert würden. Vorurteile undNegativbilder die das Denken und Handeln bestimmten.

Ich erzählte ihm, dass es mir wichtig war, während meiner Aufenthalte

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22113

114 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

in Gaza auch immer von den Aktivitäten israelischer Friedensgruppen zuberichten. Damit die Menschen dort erführen, dass längst nicht alle Isra-elis ihre Feinde seien, denn sie würden Israelis ja ausschließlich nur alsAngst und Schrecken verbreitende Soldaten kennen. Der Soldat pflichte-te mir bei. Die Palästinenserinnen und Palästinenser in Hebron undbesonders hier in der Altstadt glaubten, alle Israelis wären so wie dieradikalen Siedler. Aber diese Siedler verkörperten keineswegs „die Israe-lis“. Im Gegenteil, seiner Ansicht nach seien sie ein großes Problem in-nerhalb der israelischen Gesellschaft. Deutlich war ihm anzumerken, wieablehnend er den Siedlern gegenüberstand.

Auf einmal kamen weitere Soldaten die Treppe herunter und nähertensich dem Unterstand. Sofort beendete ich das Gespräch, dankte ihm fürseine Offenheit. Den Blick, den er mir zuwarf, werde ich so schnell nichtvergessen. Ich meinte Erleichterung in seinen Augen zu sehen. Erleichte-rung darüber, seine Gedanken einmal ehrlich und unverblümt ausgespro-chen zu haben, ohne deswegen negative Konsequenzen fürchten zu müs-sen. „You know I am not only a soldier, I am a human being“, hallte es inmir nach – ein wahrhaft weihnachtliches Geschenk, dieses Gespräch mitdem jungen israelischen Soldaten an diesem 23. Dezember 2004.

Foto

: EM

W/B

räue

r

Checkpoint am Eingang zur Altstadt von Hebron – rund 500israelische Siedler leben dort bewacht von 1.500 Soldaten.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22114

115EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Blüht noch HoffnungBlüht noch HoffnungBlüht noch HoffnungBlüht noch HoffnungBlüht noch Hoffnungangesichts der Mauer?angesichts der Mauer?angesichts der Mauer?angesichts der Mauer?angesichts der Mauer?

Franz-Roger Reinhard, Juli 2004

Nach vielen Jahren vergeblichen Widerstandes breitet sich Resigna-tion aus. Die Situation in Sawahreh ist durch den Bau der Mauerund durch die zahlreichen Kontrollposten der Besatzungsmacht

Israel für die Bevölkerung buchstäblich ausweglos geworden. Die Men-schen fühlen sich eingeschlossen wie in einem großen Gefängnis. „Istdas ein Leben?“, fragen sie. „Sollen wir wie unsere Hühner im Käfigleben?“ So oder ähnlich beschrieben mir Nachbarn ihre Empfindungen.

Von Februar bis April 2004 war ich als Freiwilliger im Rahmen desBegleitprogramms des Ökumenischen Rates der Kirchen in Israel undPalästina. Mit zwei Teamgefährten lebte und arbeitete ich in Sawahrehund Abu Dis, den östlichen Vororten von Jerusalem. Wir waren einerEinladung des örtlichen Bürgerkomitees gefolgt, das den gewaltfreienWiderstand gegen den Bau der Trennungsmauer organisiert. Ich wurdeZeuge von Hauszerstörungen durch die Armee Israels sowie alltäglicher

EinepalästinensischeFamilie vorihrem zerstörtenHaus.

Foto

: EA

PPI

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22115

116 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Demütigungen palästinensischer Passanten an den Straßenkontrollen.Ich nahm die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und deren Folgenfür alle Lebensbereiche der Bevölkerung wahr. Sie erfährt sich abge-schnitten von ihren Bildungseinrichtungen, ihrer Gesundheitsversor-gung und von den Arbeitsplätzen. Mit der Teilung des Ortes sind Famili-en und sogar Ehen getrennt worden. Der Druck steigt, wie in einem Kes-sel. Und die Gefahr, dass Hoffnungslosigkeit die Menschen in die Armegewaltbereiter Gruppen treibt, ist groß.

Doch auch nach 37 Jahren Besatzung gibt es viele Menschen in Sa-wahreh, die nicht resigniert haben und sich weigern, ihre Stadt für immerteilen zu lassen. „Israel will uns unsere Geschichte nehmen; aber wirlassen das nicht zu,“ sagt Jihad vom Bürgerkomitee. Die Mitglieder desBürgerkomitees versuchen Brücken zu schlagen über die Mauer. Sie la-den israelische Bürger zu einem Besuch in Sawahreh ein, organisierenTreffen zwischen israelischen und palästinensischen Jugendlichen. Sieorganisieren Demonstrationen an der und gegen die Mauer gemeinsammit internationalen und vielen israelischen Friedensaktivisten. „Der isra-elische Staat hat Angst vor unserem gewaltfreien Widerstand“, sagt AbuGosh, ebenfalls vom Bürgerkomitee. „Für uns ist gewaltfreier Widerstandder einzige Ausweg. Wir können nicht Opfer und Kriminelle zugleichsein.“

Die Hoffnung der Palästinenser ruht nicht zuletzt auf der Hilfe durchdie europäische Staatengemeinschaft, trotz Enttäuschung über derenUnentschlossenheit gegenüber der Unterstützung Israels durch die Verei-nigten Staaten. Ich setze meine Hoffnung in die israelischen Kriegs-dienstverweigerer jeden Alters und Ranges. Sehr bedeutsam ist für michdas Zeugnis ehemaliger Soldaten an den Kontrollposten in den besetztenGebieten, die nicht länger schweigen können und die israelische Öffent-lichkeit informieren. Sie machen die verheerenden Folgen der Besatzungfür die israelische Gesellschaft sichtbar.

Ich vertraue der wachsenden Zusammenarbeit der meisten israeli-schen Friedensgruppen mit palästinensischen Menschenrechtsorganisa-tionen. Besonders beeindruckt bin ich von der Begegnung mit Menschenvom „Parents Circle“. Hier treffen sich Familien von beiden Seiten desKonflikts, die Opfer der Gewalt zu beklagen haben. Sie sind aus demTeufelskreis der Rache ausgestiegen, nachdem sie ihr Leid geteilt und alsein gemeinsames erfahren haben. Sie arbeiten nun für Verständigungund Versöhnung.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22116

117EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Möglichkeiten und GrenzenMöglichkeiten und GrenzenMöglichkeiten und GrenzenMöglichkeiten und GrenzenMöglichkeiten und GrenzenDas Teilhaben am Leben der Menschen in Palästina unter den sehr

schweren Bedingungen der Besatzung hat mir nahe gelegt, den Konfliktin Nahost etwas anders zu sehen: Zuallererst geht es um ein menschen-würdiges Leben und Zusammenleben. Dazu gehört das Land. Nochimmer geht es um Land und nicht um den Kampf der Kulturen oder denKrieg gegen den Terrorismus.

Die praktizierte Solidarität in den drei Monaten meines Einsatzes galtin erster Linie den Betroffenen der andauernden israelischen Besatzung.War sie deswegen einseitig? Das Programm schreibt den FreiwilligenUnparteilichkeit im Konflikt als Voraussetzung für den erhofften Erfolgvor. Die Solidarität gilt den Opfern auf beiden Seiten wie den Streiter-innen und Streitern für gewaltfreie Friedensarbeit. Immer gilt es Men-schenrechte zu verteidigen. Eine offensichtliche Einseitigkeit, eine deut-liche Asymmetrie, besteht zwischen Israel und Palästina bezüglich dermilitärischen und wirtschaftlichen Macht. Israel ist meines Erachtens alseinziger staatlicher Akteur in besonderer Verantwortung für die Ent-wicklung aus der Sackgasse.

Auch braucht es einen neuen Rahmen für eine dauerhafte Lösung, dieder palästinensischen Forderung nach einem gerechten Frieden genausoRaum gibt wie dem israelischen Bedürfnis nach Sicherheit. Das schließteinen regionalen Frieden und regionale Entwicklung durch Integrationein. So können beide nur gewinnen, nachdem längst klar ist, dass keinerden anderen Kontrahenten besiegen kann.

Demonstrationgegen dieMauer in

Sawahreh.

Foto

: EA

PPI

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22117

118 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

„Jetzt ist er mein Bruder“„Jetzt ist er mein Bruder“„Jetzt ist er mein Bruder“„Jetzt ist er mein Bruder“„Jetzt ist er mein Bruder“Franz-Roger Reinhard, März 2004

Auch in den dunkelsten Zeiten gibt es Menschen in Israel und Paläs-tina, die ein helles Zeichen setzen. Während sich die Spirale der Gewalt im auch so genannten Heiligen Land immer schneller

dreht, versuchen einige ihrer Opfer einen friedlichen und versöhnlichenNeuanfang. Auch die Mitglieder des „Bereaved Families Forum”, kurz„Parents Circle“, versuchen dies. Die Gruppe setzt sich aus Eltern undFamilienmitgliedern zusammen, die Opferim laufenden Konflikt zu beklagen haben.Das sind sowohl israelische als auch pa-lästinensische Familien, gemeinsam ar-beiten sie für Versöhnung und Frieden.

Da ist beispielsweise Rami Elhanan, ein54-jähriger Grafik-Designer, der sichselbst als Jude, Zionist und Israeli bezeich-net. „Zuerst aber sei er ein Mensch“, fügter schnell hinzu. Im Jahr 1973, im so ge-nannten Jom Kippur Krieg, kämpfte Ramiin einem Panzerregiment am Suez Kanal.Zehn Jahre später wurde seine TochterSmadar geboren. Das Leben seiner Familiewar ruhig und glücklich. Bis zu jenem 4. September 1997, an dem zweiSelbstmordattentäter in der Ben Jehuda Straße, eine der großen Einkaufs-straßen in Jerusalem, fünf Menschen mit in den Tod rissen. Darunter seine14-jährige Tochter Smadar.

Für den Vater begann eine lange dunkle Nacht. Sieben Tage lang kamenungezählte Menschen in sein Haus, um ihr Mitgefühl und ihre Trauer zuzeigen: Christen, Juden und Palästinenser. Am achten Tag glaubte der Va-ter, seine Arbeit wieder aufnehmen zu können. Aber nichts mehr war wievorher. „Die Luftblase, in der ich all die Jahre gelebt hatte“, sagt Rami Elha-nan, „war geplatzt.“ Wohin mit dem quälenden Schmerz über den Verlust?Sollte er Rache üben? Aber jemand anderen töten, würde sein Kind nichtlebendig machen, das wusste er. Die Alternative war der Versuch, Verstehen

Foto

:Par

ents

Cir

cle

Ytzak Frankenthal, der Begründerdes "Parents Circle" und Dr. AdelMish, Vorsitzender des palästi-nensischen Zweiges.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22118

119EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

zu lernen. Dabei kam ihm der Kontakt zu den Bereaved Parents, den Leid-tragende Familien, zu Hilfe. Sie luden ihn zu einem ihrer Treffen ein.

Mit Widerstreben folgte Rami Elhanan der Einladung. „Diese Men-schen müssen doch verrückt sein“, dachte er. In der Gruppe traf er einearabische Mutter, die das Bild ihres getöteten Sohnes in einem Medaillonum den Hals trug. In ihrem Gesicht entdeckte Rami denselben Schmerz,der ihn seit einem Jahr quälte. „Da wurde ich ver-rückt“, erinnert er sich.Rami Elhanan musste sich entscheiden: Dem Bedürfnis nach Rache fol-gen, oder etwas unternehmen, um anderen diesen Schmerz zu ersparen.„Nichts zu tun ist ein Verbrechen. Abseitsstehen kann ein Verbrechensein“, sagt Rami. „Wir sind nicht dazu verurteilt, im Kreislauf der Rachemitzurennen. Wenn wir es schaffen, können es alle schaffen.“ Jetzt kanner morgens wieder gerne aufstehen und in den Spiegel schauen. Zugleichmacht Rami Elhanan die Erfahrung, wie schwer es ist, jeden Morgenseine Entscheidung zu erneuern.

Eine andere, nicht weniger bewegende Geschichte erzählt Khaled AbuAwad. Als Palästinenser waren er und seine Familie während der erstenIntifada (1987-1993) sehr aktiv. Dafür saß der Mathematiklehrermehrmals in israelischen Gefängnissen. Es gibt kaum eine palästinensi-sche Familie, in der nicht Mitglieder festgenommen und eingesperrt wor-den waren. Bis heute werden tausende Männer in so genannten „admi-nistrativem Gewahrsam“ festgehalten, ohne Prozess.

Am 16. November 2000, zwei Monate nach dem Beginn der zweitenIntifada, wurde Khaleds Bruder Joussef von einem israelischen Soldatenerschossen, als er mit seinem Auto in einen Zusammenstoß zwischenMilitärs und Steine werfenden Jugendlichen geraten war. Joussef, 31Jahre alt, hinterließ Frau und zwei Kinder. Khaleds jüngerer Bruder Saed,wurde von einem israelischen Soldaten erschossen, als er gerade 14 Jah-re alt war. Nach der Schule hatte er nur kurz zu Hause seinen Schulran-zen abgelegt, draußen wollte er Freunde treffen. Auf der Straße wurdeSaed erschossen. Wie im Falle seines Bruders Joussef ist bis heute unklar,ob es ein Versehen der Soldaten war.

Khaled Abu Awads Schmerz über den Verlust seiner Brüder war sogroß, dass er nie mehr in seinem Leben einen Juden sehen wollte. Etwadrei Wochen später fragte eine Gruppe Israelis, ob sie ihn besuchenkönnten, um über Frieden zu sprechen. „Nein, ich glaube keinen Wortenmehr!“ Khaled lehnte ab. Dann, eines Tages, saßen drei israelische Frau-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22119

120 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

en in seiner Wohnung als er nach Hause kam. Die traditionelle Gast-freundschaft gebot dem Palästinenser, seine Besucher zu bewirten. Erhatte jüdische Mütter zu Gast, deren Söhne getötet worden waren. Diepalästinensischen Eltern begannen, mit ihnen zu weinen. Sie sprachenmit verschiedenen Zungen, aber mit dem gleichen Herzen zueinander.Wenig später lud Khaled Abu Awad fünfzig israelische und fünfzig ara-bische Familien in sein Haus, die alle Opfer zu betrauern hatten. Seitdemarbeitet er mit „Parents Circle“ zusammen.

Rami Elhanan und Khaled Abu Awad bezeichnen den „Parents Circle“als die einzige Organisation in der Welt, die nicht um Mitglieder wirbt.Beide gehen oft in Schulen, um 17- und 18-Jährige zu konfrontieren mitdem, was alles möglich ist. Willkommen sind sie dort nicht gerade, sietreffen die künftigen Soldaten. Jedes Mal wird heftig diskutiert. „ParentsCircle“ organisiert Sommercamps für Kinder und deren Familien undBlutspendeaktionen. Palästinenser spenden Blut für israelische Kranken-häuser, Israelis für palästinensische Hospitäler. „Ist es nicht dasselbeBlut?“ „Parents Circle“ ermöglicht zudem Telefonkontakte zwischenMenschen, die sich nie begegnet sind. Mitglieder gehen auf Demonstrati-onen für die Beendigung der Besatzung Palästinas, stellen sich den radi-kalen Siedlern entgegen. Auf ihren Transparenten steht zu lesen: „Wirmussten den höchsten Preis für eure Träume bezahlen, den Tod unsererKinder!“

„Parents Circle“ isteine kleine Organisationvon etwa 150 Palästi-nensern und 250 Israe-lis. Sie alle haben Grün-de genug zum Hassenund zur Bitterkeit. Statt-dessen halten sie indieser hoffnungslos er-scheinenden Situationdie Aussicht auf Ver-söhnung, Verständi-gung und Frieden hoch.„Jetzt ist er mein Bru-der“, sagt Khaled undlegt seinen Arm umRami.

Foto: Parents Circle

„Wir haben unsere Kinder begraben.Lasst uns die Lebenden schützen.“ –Demonstration von „Parents Circle“.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22120

121EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Wie das Grabeneiner Rinne

Franz-Roger Reinhard, Sommer 2004

Die besondere Stärke des Freiwilligendienstes erlebte ich in der Nähe zu den Menschen. Noch vor der konkreten Unterstützung der örtlichen Friedensgruppen hatte die persönliche AnwesenheitBedeutung. Sehr oft wurde mir und meinen Teamgefährtinnen gesagt:„Es ist gut, dass ihr da seid.“

Das Teilen des Alltags der Menschen, wenigstens für einige Zeit, istein nicht unwesentlicher Teil der Solidarität und des bezeugten Friedens-willens. Anteil nehmen an ihrem Schicksal, ihnen zuhören, mit ihnenlachen und weinen, das Erfahrene aushalten, das ist ein immer möglicherBeistand. Nach meiner Erfahrung ging es weniger darum, was ich mitmeiner Arbeit erreichen kann, sondern darum, dass ich mich erreichenlasse von der Not der Menschen. Ich lasse mich im Herzen betreffen vomLeid, ohne mich darin zu verlieren. Vielmehr halte ich den Kontakt zumeinen inneren Kraftquellen im Vertrauen darauf, dass dadurch beimLeidenden ein Gefühl angeregt wird, nicht allein und umsorgt zu sein.Das aber spricht zugleich dessen eigene Fähigkeiten zum Durchhaltenan. „Es ist gut, dass ihr da seid.“

Es geht um mein Mitfühlen im Unterschied zum Mitleiden. Im Mitleidverliere ich schnell meine Grenzen und zerfließe leicht im Schmerz desanderen, verliere den Kontakt mit meiner Kraft, so dass ich dem Betroffe-nen nicht mehr helfen kann. Im Anteil nehmenden Mitgefühl lasse ichmich von Herzen betreffen, verbinde mich mit meinen Stärken, halte denAnschluss an meine inneren Quellen. Und ich kann mich darauf verlas-sen, dass dadurch beim Anderen ein Gefühl angeregt wird, nicht alleinund umsorgt zu sein. So kann Hoffnung erneuert und Vertrauen auf dieeigenen Fähigkeiten geweckt werden. „Es ist gut, dass ihr da seid.“

Dass ich die Zeit im Einsatz aushalten konnte und dabei in guter Ver-fassung geblieben bin, das hatte mit meinem Bewusstsein zu tun, in einerguten Sache unterwegs zu sein. Die Ermutigung dazu hatte ich aus denentsprechenden biblischen Zusagen. Nicht weniger wusste ich mich ge-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22121

122 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

tragen von den Wünschen und Gebeten, der Begleitung vieler Freundeaus meiner Heimatgemeinde. Grundlage eines möglichen Erfolges imFriedensdienst ist die Unparteilichkeit. Sie ist nicht leicht durchzuhalten.Meine „Seite“ war der Einsatz für die Rechte und Würde der Menschenauf beiden Seiten des Konfliktes. Denn immer geht es um menschenwür-diges Leben und Zusammenleben, auch im Palästinakonflikt. Und weni-ger um den Krieg gegen den Terrorismus.

Ganz sicher ging es im Friedensdienst nicht darum, sich zwischen dieheißen Fronten zu werfen. Vielleicht ist die Arbeit der Freiwilligen wiedas Anlegen einer Rinne im ausgetrockneten Land – damit das Wasserden Weg zu den Menschen findet, wenn der ersehnte Regen kommt.

Foto

: R

einh

ard

Fühlte sich in seinem deutschen Umweltbewusstsein gefordert –in der kreativen Verarbeitung von auf die Straße geworfenenGetränkedosen fand Roger Reinhard Kraft für die Heraus-forderungen des Ökumenischen Friedensdienstes.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22122

123EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

„Die Frucht der„Die Frucht der„Die Frucht der„Die Frucht der„Die Frucht derGerechtigkeit wirdGerechtigkeit wirdGerechtigkeit wirdGerechtigkeit wirdGerechtigkeit wird

Friede sein“Friede sein“Friede sein“Friede sein“Friede sein“Barbara Thiel, Dezember 2004

Wo wäre Jesus heute im Heiligen Land? Beim Krippenspiel amHeiligen Abend begann ich, mir Gedanken zu machen, so wiejedes Jahr seit meiner Rückkehr von meinem Einsatz als Frei-

willige im Rahmen des Ökumenischen Friedensdienstes in Israel undPalästina.

Wie würde es heute für Maria und Josef sein, von Nazareth nach Beth-lehem zu kommen – und damit von einer heutzutage in Israel gelegenenStadt in eine in der Westbank gelegene, in von Israel besetztes palästi-nensisches Gebiet? Würden sie Juden sein, Kinder der Zionisten, die zuBeginn des vorigen Jahrhunderts nach Palästina kamen mit dem Ideal,für ein Volk ohne Land ein Land ohne Volk zu finden? Oder wären sieKinder von Flüchtlingen die während des Zweiten Weltkrieges aus Euro-pa gekommen waren? Oder Kinder jener „neuen“ Immigranten aus Russ-land oder Afrika? Oder würden sie zu den Eiferern gehören, die aus allenmöglichen Ländern gekommen sind und glauben, dass das ganze LandPalästina ihnen, dem Volk Israel allein, von Gott gegeben ist und dass siedaraus das Recht ableiten dürfen, Palästinenser als ihre Feinde zu ver-treiben? Oder könnte es auch möglich sein, dass Maria und Josef Paläs-tinenser oder Beduinen wären, Christen oder Muslime, möglicherweiseNachkommen der ersten Judenchristen?

Würden sie einen israelischen Ausweis besitzen? Oder wäre es mög-lich, dass Josef – aus Bethlehem stammend – eine der wenigen Genehmi-gungen für Palästinenser aus der Westbank hat, um in Israel zu arbeiten?Welchen Weg würde das junge Paar wählen? Würden die Besatzungssol-daten sie passieren lassen? Wäre der Platz, an dem Jesus heute geborenwürde, vielleicht ein Checkpoint, ein Kontrollposten, weil Maria dasSchicksal anderer Palästinenserinnen teilen müsste? Wie würden die

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22123

124 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Hirten ihren Weg finden und die Heiligen Drei Könige, trotz Ausgangs-sperre? Oder würden die Stimmen der Engel die Herzen der israelischenSoldaten erreichen, so dass sie das Heilige Kind sehen und ihr Lebenändern würden? Oder das Herz jenes jungen Palästinensers, der keinerleiZukunft sieht und deshalb auf dem Weg ist, sich und andere in die Luftzu sprengen, vielleicht hoffend, dass er nach dem Tod eine Zukunft hat?

Ich wünsche mir, uns, unseren Kirchen, unseren Kirchenführerinnenund -führern, unseren Regierungen und allen Juden und Muslimen, diean den einen Gott glauben, der war und ist und in aller Zukunft seinwird, das ernst zu nehmen, was ER uns lehrt, und was mir Hoffnung gibt,weil es einen Weg weist. Es sind sehr alte Worte, Worte aus Jesaja 32:

„Es wird ein König regieren, Gerechtigkeit aufzurichten, und Fürs-ten werden herrschen, das Recht zu handhaben...“ „…Es wird nichtmehr ein Narr Fürst heißen und ein Betrüger edel genannt werden...“,und wenn „über uns ausgegossen wird der Geist aus der Höhe... Unddas Recht wird in der Wüste wohnen, und Gerechtigkeit im fruchtba-ren Land. Und die Frucht der Gerechtigkeit wird Friede sein, und derErtrag der Gerechtigkeit wird ewige Stille und Sicherheit sein.“

Foto

: Thi

el

Eine handgeschnitzte Krippe aus Bethlehemauf einem Gebetsteppich aus Hebron.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22124

125EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Das Netzwerk derDas Netzwerk derDas Netzwerk derDas Netzwerk derDas Netzwerk der„Ökumenischen Begleiterinnen und Begleiter„Ökumenischen Begleiterinnen und Begleiter„Ökumenischen Begleiterinnen und Begleiter„Ökumenischen Begleiterinnen und Begleiter„Ökumenischen Begleiterinnen und Begleiter

in Palästina und Israel“in Palästina und Israel“in Palästina und Israel“in Palästina und Israel“in Palästina und Israel“

Christine Raiser-Süchtig

Ende Juni 2005 trafen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer amÖkumenischen Friedensbegleitprogramm im Rahmen der Tagung„Identität in Palästina und Israel“ in der Evangelischen Akademie

Bad Boll und gründeten offiziell das „Netzwerk ökumenische Begleiter/innen in Palästina und Israel“.

Es ist unser Ziel in diesem Netzwerk den Erfahrungsaustausch unter-einander zu intensivieren, unsere Stimme innerhalb des Koordinierungs-kreises der deutschen Träger des Programms und in Beziehung zum Öku-menischen Rat der Kirchen deutlicher zu erheben, Interessentinnen undInteressenten und neue Teilnehmerinnen und Teilnehmer in das Pro-gramm einzuführen und zu begleiten und – nicht zuletzt – unsere Öffent-lichkeitsarbeit zu koordinieren und effektiver zu gestalten.

Ein erster und wichtiger Schritt in der letztgenannten Richtung ist dienun vorliegende Veröffentlichung einer ausgewählten, gebündeltenSammlung der Berichte und Artikel, die wir über unsere Erfahrungengeschrieben haben. Wir danken dem Evangelischen Missionswerk inDeutschland (EMW) für die Bereitschaft die Redaktion und Herausgeber-schaft dieser Publikation zu übernehmen.

Wir knüpfen an diese Veröffentlichung nachfolgend genannte Erwar-tungen:– Wir wollen uns selbst als Personen und Ansprechpartnerinnen und -

partner einer breiteren Öffentlichkeit bekannt machen.– Diese Sammlung soll für uns selbst eine Zwischenbilanz darstellen

und der Selbstvergewisserung dienen, mit unseren Erfahrungen Teileiner größeren Bewegung zu sein.

– Schließlich und hauptsächlich wollen wir mit der Veröffentlichung dieöffentliche Aufmerksamkeit für dieses Programm und unsere Ge-schichten und Selbstzeugnisse erhöhen.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22125

126 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Wir hoffen, dass unsere Geschichten als eine wichtige und notwendi-ge Ergänzung der innerkirchlichen, innergesellschaftlichen und politi-schen Suche nach den „Wahrheiten“ des Nahost-Konflikts aufgenommenwerden.

Wir hoffen auch, dass sie ein Beitrag sein können für die Suche nachzivilgesellschaftlichen Konfliktlösungen außerhalb der existierenden Ge-waltstrukturen. Die Einzelpersonen und Gruppen in beiden Gesellschaf-ten, der israelischen wie der palästinensischen, die sich hierfür engagie-ren, haben unsere moralische und tatkräftige Unterstützung dringendverdient.

Kontaktadressen des Netzwerks:Kontaktadressen des Netzwerks:Kontaktadressen des Netzwerks:Kontaktadressen des Netzwerks:Kontaktadressen des Netzwerks:

Mechthild Kappetein, Münsterstr.10, 52076 Aachen,E-mail: [email protected]

Barbara Thiel, Steinweg 21, 53175 Bonn,E-mail: [email protected]

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22126

127EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Autorinnen und AutorenAutorinnen und AutorenAutorinnen und AutorenAutorinnen und AutorenAutorinnen und Autorender Beiträge in dieser Veröffentlichungder Beiträge in dieser Veröffentlichungder Beiträge in dieser Veröffentlichungder Beiträge in dieser Veröffentlichungder Beiträge in dieser Veröffentlichung

Brigitta Böckmann – ÖFPI-Mitarbeit von August bis Oktober 2002 inGaza und von Dezember 2004 bis Februar 2005 in HebronIch bin 62 Jahre alt, ehemalige Lehrerin und wohne in der Nähe von

Göttingen. Geprägt durch mein Engagement in der Katholischen Frie-densbewegung „pax christi“ und nach einer Ausbildung in Ziviler Konf-liktbearbeitung bin ich von der Kraft gewaltfreien Handelns überzeugtund ermutigt, mich entschieden gegen Ungerechtigkeit, Gewalt, Unter-drückung und Ausgrenzung zur Wehr zu setzen und an gewaltfreienLösungen mitzuarbeiten. Daraus erfolgten jährliche Besuche in Israel/Palästina seit 1995, und seit dem Jahr 2000 Mitarbeit in verschiedenenProjekten.

Ute Caspers – ÖFPI-Mitarbeit von Oktober bis Dezember 2002 in derWeihnachtsgemeinde in BethlehemGeboren im Jahr 1942 in Lublin, haben mich traumatische Kriegsfol-

gen immer beschäftigt. So fand ich meine geistliche Heimat in einer Frie-denskirche; ich bin Quäkerin. Nach kurzer Lehrtätigkeit und langer Fami-lienphase brachte mich die Golfkrise Anfang der 1990-er Jahre dazu,mich für aktive Friedensarbeit auszubilden. Dazu studierte ich in Irlandund England und fand bald darauf in Südafrika – 1993 und 1996 – meineersten Einsätze. Es folgten weitere Aufenthalte im Gebiet der GroßenSeen Ostafrikas und in Sierra Leone. Zu Hause habe ich mich an der Aus-und Weiterbildung von Friedensfachkräften beteiligt.

Als ich im Jahr 1965 den Nahen Osten zum ersten Mal bereiste, hin-derten mich Visa-Probleme an der geplanten Durchreise durch die arabi-schen Nachbarstaaten Israels. So blieb mein Blick auf den westlichen Teildes Heiligen Landes konzentriert. Das änderte sich auch (noch) nicht –geprägt durch israelische Freunde – während eines zweiten Besuches inden 1990-er Jahren. So habe ich 2002 die Chance begrüßt, im Rahmendes ÖFPI-Programms von Oktober bis Dezember des Jahres in Bethlehemeingesetzt zu sein und endlich die Situation mitzuerleben.

Nicolai Gießler – ÖFPI-Mitarbeit von August bis Dezember 2002 beimChristlichen Verein Junger Männer (YMCA) in Beit SahourIch bin 36 Jahre alt und zurzeit Pfarrer zur Anstellung in Württem-

berg. Durch verschiedene Kontakte mit Kirchen und Gemeindegliedern in

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22127

128 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

der Diaspora ist es mir wichtig geworden, dass Christinnen und Christenauch in Minderheitensituationen wahrgenommen und unterstützt wer-den. Die Existenz der palästinensischen Christen ist bei uns vielfach un-bekannt, noch seltener wird ihre Stimme gehört. Dies möchte ich gerneändern. Genauso wichtig ist mir, die israelische und jüdische Friedensar-beit zu unterstützen und bekannt zu machen. Ein gerechter Frieden istfür mich nur auf der Basis der Menschenrechte und des Völkerrechts alsgewaltloser Weg denkbar.

Christoph Gocke – ÖFPI-Mitarbeit von Dezember 2004 bis Februar2005 in JayyousIch bin im Jahr 1963 geboren, Journalist. Ich kenne Palästina/Israel

und umliegende Länder von einem Ökumenischen Studienjahr in Jerusa-lem, von Reportagen für RTL und Sat 1 und von einer Fahrradtour rundum das Mittelmeer. Während meines Einsatzes in Jayyous, einem Dorf inder Westbank 25 Kilometer nordöstlich von Tel Aviv, habe ich die tägli-che Demütigung der Palästinenser durch die israelische Besatzung direktan der Separation Barrier, an der „Trennungsmauer“, erlebt.

Durch Begleitung von Menschen auf beiden Seiten und mit Veröffent-lichungen in verschiedensten Medien versuche ich einen Beitrag für Ver-ständigung und Koexistenz zu leisten. Seit März 2005 arbeite ich alsRedakteur beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in Mainz. Vieleweitere Berichte und Fotos über meine Zeit als Ökumenischer Begleiterund meine Radtouren durch den Nahen Osten auf www.chris-on-the-bike.de.

Mechthild Kappetein – ÖFPI-Einsatz von Februar bis Mai 2005 inBethlehemIch bin 1947 in Duisburg geboren, verheiratet und habe drei Kinder

und zwei Enkelkinder. Nach meinem Studium der Sozialwissenschaftenund Zusatzausbildungen in Beratung, Therapie und Personalmanage-ment habe ich schwerpunktmäßig im Bereich seelische Gesundheit gear-beitet sowie Menschen und Organisationen in Konfliktsituationen bera-ten. Die ehrenamtliche Mitarbeit in Friedensgruppen (25-jährige Mit-gliedschaft bei „pax christi“), in der Ökumene, in der interreligiösen undinterkulturellen Begegnungs- und Dialogarbeit sowie die Teilnahme aneinem viermonatigen Qualifizierungskurs zur zivilen Friedensfachkrafthaben mich nachhaltig geprägt und mich geradezu in die Teilnahme amÖFPI-Programm geführt.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22128

129EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Birgit Paul – ÖFPI-Mitarbeit von Dezember 2004 bis Februar 2005 inRamallahIch bin im Jahr 1942 geboren und ausgebildete Diplom-Übersetzerin

für Arabisch und Französisch, wohnhaft in Stutensee bei Karlsruhe. Mei-ne Motivation am ÖFPI-Programm liegt darin begründet, dass ich von1952 bis 1958 in Damaskus/Syrien aufgewachsen bin. Aus dieser Zeit istmir ein brennendes Interesse an den Geschicken der arabischen Ländergeblieben. Eines der Hauptthemen ist der Palästina-Konflikt. Mit eigenenAugen wollte ich mir ein Bild von der Situation vor Ort machen.

Christine Raiser-Süchting – ÖFPI-Mitarbeit von Dezember 2004 bisFebruar 2005 in BethlehemIch bin 64 Jahre alt, lebe in Berlin und habe vor ein paar Jahren meine

Berufstätigkeit als Sozialarbeiterin beendet. Vor über vierzig Jahren warich zum ersten Mal im Nahen Osten voller Begeisterung für die Kibbuz-Bewegung, die aus meiner Sicht den verfolgten und gequälten Judeneine neue Lebensperspektive bot. Dass aus diesem Traum inzwischen einAlptraum geworden ist, lässt mir keine Ruhe.

Als aktives Mitglied von „amnesty international“ habe ich die Hoff-nung nicht verloren und will sie teilen, dass der Respekt vor der Men-schenwürde und den Menschenrechten der „Anderen“ sich für Israeliswie Palästinenser „lohnt“.

Franz-Roger Reinhard – ÖFPI-Mitarbeit von Januar bis März 2004 inSawahreh/Abu DisIch bin Jahrgang 1937, verheiratet und habe zwei erwachsene Töchter.

Seit Jahrzehnten in der internationalen Solidaritätsarbeit und der deut-schen Friedensbewegung aktiv, besuchte ich im Jahr 1997 zum erstenMal Palästina im Rahmen einer Delegation des „Christian PeacemakerTeams“ in Hebron.

Eine wichtige Erfahrung aus der Mitarbeit im Programm: Es geht we-niger darum, was ich erreichen kann, als vielmehr darum, ob ich micherreichen lasse von der Situation und der Not der Menschen. Das ent-scheidet die Art meines Einsatzes.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22129

130 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Barbara Thiel – ÖFPI-Mitarbeit von August bis Dezember 2002 in Ost-Jerusalem und JayyousIch bin 54 Jahre alt, Ingenieurin und geprägt von Dresden, seiner Ge-

schichte, aus christlichem Glauben begründeter Friedensarbeit, Friedens-gebeten, Demonstrationen und den Erfahrungen der Wende. Einer Aus-bildung in Friedens- und Konfliktarbeit folgte im Jahr 1999 ein Sabbat-jahr in Israel/Palästina.

Ich sehe in der Zusammenarbeit von Israelis und Palästinensern ingewaltfreien Aktionen und dem Ziel, den Konflikt in Fairness und wech-selseitigem Respekt zu lösen, einen guten Ansatz, den Teufelskreis ausgewaltsamer Durchsetzung einseitiger Interessen und Menschenrechts-verletzungen zu durchbrechen.

Dieter Ziebarth - ÖFPI-Mitarbeit von September bis November 2004im Großraum BethlehemIch bin Jahrgang 1940, Pfarrer im Ruhestand in Berlin. Nach dem

Studium der Theologie in Naumburg und Berlin arbeitete ich als Gemein-depfarrer in Zeitz und Berlin-Treptow. Außerdem war ich zehn Jahre inder Arbeit mit Studierenden tätig als Studentenpfarrer in Leipzig undGeneralsekretär der Studentengemeinde in der DDR. Zuletzt beauftragtmit der Seelsorge in der Abschiebungshaft im Land Berlin.

Meine Motivation für eine Teilnahme am ÖFPI-Programm war einelangjährige Partnerschaftsarbeit zwischen zwei Berliner Kirchengemein-den und der Kirchengemeinde in Beit Sahour, die Unterstützung derSchularbeit im Heiligen Land im Rahmen des Jerusalem-Vereins sowieErfahrungen in Solidaritäts- und Menschenrechtsarbeit.

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:22130

131EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Die deutsche Koordinationsgruppe für denDie deutsche Koordinationsgruppe für denDie deutsche Koordinationsgruppe für denDie deutsche Koordinationsgruppe für denDie deutsche Koordinationsgruppe für denÖKUMENISCHEN FRIEDENSDIENST INÖKUMENISCHEN FRIEDENSDIENST INÖKUMENISCHEN FRIEDENSDIENST INÖKUMENISCHEN FRIEDENSDIENST INÖKUMENISCHEN FRIEDENSDIENST IN

PALÄSTINA UND ISRAEL (ÖFPI)PALÄSTINA UND ISRAEL (ÖFPI)PALÄSTINA UND ISRAEL (ÖFPI)PALÄSTINA UND ISRAEL (ÖFPI)PALÄSTINA UND ISRAEL (ÖFPI)

... hat sechs Komponenten. Das Evangelische Missionswerk in Süd-westdeutschland (EMS), das Berliner Missionswerk (BMW) und PaxChristi sind aussendende Organisationen, während Brot für die Welt(BfdW) und der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) das Programmfinanziell und mit der notwendigen administrativen Struktur unterstüt-zen. Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW) wirkt alsDachorganisation für evangelische Kirchen und Missionswerke inDeutschland und agiert zurzeit als der nationale Koordinator.

Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW)Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW)Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW)Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW)Das Evangelische Missionswerk in Deutschland (EMW)Das EMW ist der Dach- und Fachverband evangeli-

scher Kirchen, regionaler Missionswerke und missionari-scher Verbände und Einrichtungen. Seine Mitglieder und

Vereinbarungspartner in Deutschland koordinieren ihre missionarischenund ökumenischen Aufgaben unter dem Dach des EMW als ihrem natio-nalen Verband. Das EMW fördert die Projekte der ökumenischen Partnerund unterstützt sie durch Informationen und Dienstleistungen und er-leichtert den professionellen Austausch untereinander. Mit seinen Publi-kationen, die hauptsächlich in Deutsch herausgegeben werden, und denStudienprojekten pflegt das EMW das ökumenische Bewusstsein in dendeutschen Kirchen und der allgemeinen Öffentlichkeit.Web: www.emw-d.deWeb: www.emw-d.deWeb: www.emw-d.deWeb: www.emw-d.deWeb: www.emw-d.de

Das Evangelische Missionswerk inDas Evangelische Missionswerk inDas Evangelische Missionswerk inDas Evangelische Missionswerk inDas Evangelische Missionswerk inSüdwestdeutschland (EMS)Südwestdeutschland (EMS)Südwestdeutschland (EMS)Südwestdeutschland (EMS)Südwestdeutschland (EMS)

Das Evangelische Missionswerk in Südwest-deutschland (EMS) ist ein Zusammenschluss vonsechs evangelischen Kirchen und vier Missionsgesell-

schaften in Südwestdeutschland mit Partnerschaften zu 17 Kirchen inAfrika und Asien. Seit der Gründung im Jahr 1972 hat sich das EMS zu

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:23131

132 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

einem ökumenischen Forum entwickelt, an dem seine afrikanischen undasiatischen Partnerkirchen gleichberechtigt an Planungen und Entschei-dungen teilnehmen.

Die EMS Geschäftsstelle in Stuttgart ist das gemeinsame Instrument,um Programme und Projekte zu initiieren, zu kooperieren und zu beglei-ten, und um die Anliegen und Nöte der einzelnen Partner in die EMS-Gemeinschaft zu kommunizieren. Dabei arbeitet das EMS eng mit Akti-onsgruppen und Netzwerken, die beteiligt sind an der Arbeit für Frieden,Gerechtigkeit, Menschenrechte und der Bewahrung der Schöpfung.

Über den Evangelischen Verein für die Schneller-Schulen (EVS) unddie Schneller-Schulen im Libanon und in Jordanien ist das EMS unteranderem mit der „Episcopal Church of Jerusalem and the Middle East“partnerschaftlich verbunden.Web: www.ems-online.orgWeb: www.ems-online.orgWeb: www.ems-online.orgWeb: www.ems-online.orgWeb: www.ems-online.org

pax christi – deutsche Sektionpax christi – deutsche Sektionpax christi – deutsche Sektionpax christi – deutsche Sektionpax christi – deutsche Sektionpax christi in Deutschland ist Teil

der internationalen katholischenFriedensbewegung und arbeitet aufden Gebieten der Menschenrechte,Sicherheit und Abrüstung, ökono-

mischer Gerechtigkeit und Ökologie. Weitere Aufgaben sind die Entwick-lung von Friedensdiensten und die Stärkung von Ansätzen ziviler Konf-liktlösungen.

Die deutsche Sektion von pax christi fühlt sich besonders verpflichtet,an die Verbrechen des Nationalsozialismus zu erinnern. Aus dem Zwei-ten Weltkrieg und der Shoah erwächst für sie auch eine besondere Ver-antwortung für den Mittelostkonflikt.

Die internationale pax christi-Bewegung nahm ihren Anfang inFrankreich am Ende des Zweiten Weltkrieges – französische Katholikensuchten die Versöhnung mit Deutschland. Heutzutage besteht „pax chris-ti international“ aus nationalen Sektionen, lokalen Gruppen und ange-schlossenen Organisationen mit über 60.000 Mitgliedern in über 30 Län-dern auf allen fünf Kontinenten dieser Erde.Web:www.paxchristi.deWeb:www.paxchristi.deWeb:www.paxchristi.deWeb:www.paxchristi.deWeb:www.paxchristi.de

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:23132

133EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)Evangelischer Entwicklungsdienst (EED)Der EED unterstützt die Entwicklungsarbeit von

Kirchen, christlichen Organisationen und privatenTrägern durch die Bereitstellung von finanziellen

Mitteln, die Vermittlung von qualifiziertem Personal, Stipendien unddurch Beratungsangebote. Innerhalb der Struktur eines globalen Partner-schaftsnetzwerkes trägt der EED seinen Teil zur Schaffung einer gerech-ten Gesellschaft bei.

Der EED ist ein Entwicklungswerk der evangelischen Kirchen inDeutschland. Er unterstützt Partnerorganisationen bei der Durchführungihrer Programme durch die Bereitstellung von Personal, und durch Aus-und Fortbildung.

Der EED ist darum bemüht, in Deutschland innerhalb der Kirchen, derPolitik und der breiteren Öffentlichkeit ein Bewusstsein für entwick-lungspolitische Belange zu schaffen und zu verstärken, sowie die Bereit-schaft und die Möglichkeiten zur Überwindung von Armut, Verfolgungund Gewalt in der Welt zu erweitern. Er unterstützt die entwicklungspo-litische Bildungsarbeit von Initiativen und Kirchen durch die Bereitstel-lung von Finanzmitteln.

Der EED leistet seinen Beitrag dazu, die politischen und ökonomi-schen Rahmenbedingungen zugunsten einer Entwicklung zu ändern, dieden Menschen in den Mittelpunkt stellt. Für das Wohlergehen der Armenund Bedürftigen strebt der EED danach, die sozialen, ökonomischen undpolitischen Verhältnisse zu verbessern. Der EED trägt durch finanzielleund administrative Unterstützung zur deutschen Beteiligung am ÖFPI-Programm bei.Web:www.eed.deWeb:www.eed.deWeb:www.eed.deWeb:www.eed.deWeb:www.eed.de

Berliner MissionswerkBerliner MissionswerkBerliner MissionswerkBerliner MissionswerkBerliner MissionswerkDie Berliner Mission wurde im Jahr 1824 gegrün-

det, entstanden aus der damals wirkenden Erneue-rungsbewegung unter den deutschen Kirchen. Nachder Wiedervereinigung Deutschlands schlossen sich

das während des Kalten Krieges in zwei Teile getrennte Missionswerk –das ökumenische missionarische Zentrum im Osten und die Berliner Mis-sion im Westen – wieder zusammen. Standort wurde wieder der im Jahr1873 erbaute Hauptsitz im früheren Osten Berlins. Die Berliner Missionwird getragen von der evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und der Kirche von Anhalt. Sie arbeitet mit Kir-

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:23133

134 EMW • Weltmission heute Nr. 61/2005Taube, Kreuz und Stacheldraht

chen in Südafrika, Horn von Afrika, Tansania, im Mittleren Osten und inder Wolga Region zusammen, zudem mit Kirchen in Ostasien und Kuba.Web: www.berliner-missionswerk.deWeb: www.berliner-missionswerk.deWeb: www.berliner-missionswerk.deWeb: www.berliner-missionswerk.deWeb: www.berliner-missionswerk.de

Brot für die WeltBrot für die WeltBrot für die WeltBrot für die WeltBrot für die WeltIm Jahr 1959 wurde von den Gemeinden, die zu den

evangelischen Landes- und Freikirchen Deutschlandsgehören, die Aktion ´Brot für die Welt‘ gestartet. Sie

betrauten das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutsch-land (EKD) mit der Federführung für diese Aktion. ´Brot für die Welt‘unterstützt als ein Teil der ökumenischen Diakonie die Entwicklungsar-beit der Kirchen und christlicher und säkularer Nichtregierungsorganisa-tionen in Afrika, Lateinamerika und Asien einschließlich dem MittlerenOsten.

Brot für die Welt will Menschen, die in Elend und Armut leben, durchHilfe zur Selbsthilfe darin unterstützen, ihre eigene Situation zu verbes-sern und dazu beitragen, gerechte, friedvolle und existenztragende Ge-sellschaften zu schaffen.

Die Arbeit von Brot für die Welt beinhaltet vier Schwerpunktthemen,die miteinander verbunden sind und als ein Ganzes zu sehen sind:● Unterstützung von Projekten und Programmen von Partnern im Sü-

den● Streben nach globaler Verantwortung und Anwaltschaft (Eintreten für

Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ebenso wie fürdie Rechte der Armen und Benachteiligten)

● Öffentlichkeitsarbeit, Bewusstseinsbildung und ökumenisches Lernen,Förderung von themenspezifischem Dialog und internationale Netz-werkbildungBrot für die Welt unterstützt das ÖFPI-Programm des Ökumenischen

Rates der Kirchen (ÖRK) in Genf und seine nationale Koordinierung inDeutschland in finanzieller und administrativer Hinsicht.WebWebWebWebWeb: www.brot-fuer-die-welt.dewww.brot-fuer-die-welt.dewww.brot-fuer-die-welt.dewww.brot-fuer-die-welt.dewww.brot-fuer-die-welt.de

pm_dat.pmd 08.05.2008, 12:23134