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Seite 1 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Wenn der Schmerz nicht mehr
weggeht…
Rüdiger Scharnagel
UniversitätsSchmerzCentrum
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Seite 2 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Brauchen wir Schmerz? Congenitale Schmerzinsensitivität
Akuter Schmerz: Biologische Schutz- und Warnfunktion
Seite 3 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Akuter Schmerz
Modell nach Rene` Descartes (1596-1650)
Cartesianische Spaltung
Stufe I Stufe I
Seite 4 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Rationales Schmerzverständnis
Biomedizinisches Modell
Präzise Beobachtung und Beschreibung als Grundlage einer
sicheren Diagnostik und kausalen Therapie
Nüchterne Beobachtung ohne emotionale Beteiligung
Seite 5 www.uniklinikum-dresden.de/usc Alphonse Daudet: Im Land der Schmerzen
Sehr eigenartig diese Angst,
die mir der Schmerz
gegenwärtig bereitet,
zumindest dieser Schmerz
jetzt.
Er ist erträglich, und trotzdem
kann ich ihn nicht ertragen.
Alphonse Daudet
1840-1897
Seite 6 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Nozizeptoren sind periphere, freie
Nervenendigungen sensibler Neurone
Man unterscheidet 2 Typen freier
Nervenendigungen:
Aδ – Fasern
C-Fasern
Erregung der Nozizeptoren durch:
Mechanische Reize
Thermische Reize
Zahlreiche chemische Mediatoren
Nozizeptoren
Seite 7 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Baron et al, Neuropathic pain: diagnosis, pathophysiological mechanisms, and treatment, 2010, The Lancet Neurology 9 (8): 807
Seite 8 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Endogene Schmerzmodulation
µ-Opioidrezeptor-System
Schmerzhemmung in der
aufsteigenden Bahn
Modulation des Schmerzes auf supraspinaler Ebene
Monoaminerges System:
NA vermittelt die absteigende Hemmung
5-HT hemmt oder verstärkt Schmerzreize
Seite 9 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Modulation der Schmerzwahrnehmung
Somborski, Bingel, Funktionelle Bildgebung in der Schmerzforschung, Schmerz 2010
Seite 10 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Definition der IASP
Schmerz ist ein
unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis,
das mit aktueller und potentieller Gewebs-
schädigung verknüpft ist
oder mit Begriffen einer solchen Schädigung
beschrieben wird
Seite 11 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Krankheitsmodell – Voraussetzung des Therapieerfolges?
Schmerzmodell
„Total pain“ Körperlicher Schmerz
Psychischer Schmerz
Sozialer Schmerz
Spiritueller Schmerz
C. Saunders
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Schmerzprävalenz
• Alter mindert Schmerzwahrnehmung nicht
• Alter ist kein Analgetikum
• Aber: „underreporting of pain“
• weniger nachgefragt !!!, weniger berichtet
• Höhere „Leidensfähigkeit“ im Alter
• vs Erhalt von Aktivität (Autonomie) und Partizipation
(Sozialleben)
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Medikamentöse Schmerztherapie
3 Nichtopioide + Hochpotente Opioide
+ Adjuvantien
2 Nichtopioide + Niederpotente Opioide + Adjuvantien
1 Nichtopioide
+ Adjuvantien
WHO-Stufenschema Koanalgetika
Keine „eigentlichen“ Analgetika
Für andere Indikationen entwickelt
Ausreichende Wirksamkeit meist nur in Kombination mit Analgetika nach WHO-Stufe 1-3
Analgetika: Indikation abhängig von Schmerzintensität
Koanalgetika: Indikation überwiegend abhängig vom Schmerztyp
Seite 14 www.uniklinikum-dresden.de/usc
WHO Stufe I
NSAID: - gut wirksam bei Knochenschmerz - beste antiphlogistische Potenz - dosisabhängiges Risikoprofil
(kardiovaskulär, gastrointestinal, nephrotoxisch)
- Therapie so kurz wie möglich in der niedrigsten
effektiven Dosis
Dauertherapie?
Coxibe: - gute analgetische Potenz
- bei KI für NSAID`s
Metamizol:
- beste spamolytische Potenz
- Mittel der ersten Wahl beim Abdominalschmerz
- hoher Stellenwert in Tumorschmerztherapie
Seite 15 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Opioidanalgetika
Opium: getrockneter Milchsaft der
Schlafmohnkapsel (Papaver somniferum)
Opiate: natürliche Alkaloide des Opiums
(Morphium)
Opioide: vollsynthetisch hergestellte
Morphinderivate
Seite 16 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Gewinnung des ersten Opiumalkaloids 1804 durch Friedrich Wilhelm Adam Sertürner Aufgrund der Wirkung als Morphium (schlafmachendes Prinzip) bezeichnet Morpheus: Gott des Traumes, Symbol: Kapsel des Schlafmohnes Sohn des Schlafgottes Hypnos
Wesentlicher Fortschritt: Exaktere Dosierung der Einzelgaben möglich
Kulturgeschichte
Pierre-Narcisse Guérin: Morpheus und Iris
Wahrscheinlich erste einheitliche
Arznei mit reproduzierbarer
Wirkung auf den Organismus
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Seite 18 www.uniklinikum-dresden.de/usc Ballantyne, Opioid Dependence vs Addiction: A Distinction Without a Difference?
Arch Intern Med. , 2012
Belohnung
Schmerz Toleranz
Abhängigkeit
Euphorie
Anhedonie
Stress
Distress
Entzugssymptome
Craving
Analgesie
Hyperalgesie
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Seite 20 www.uniklinikum-dresden.de/usc
LONTS - Kernaussagen
Relevante Schmerzlinderung nur in Kombination mit unspezifischen Effekten (z. Bsp. Placebo)
Vorrangig bei neuropathischen Schmerzen, Rücken- und Gelenkschmerzen
Nachweislich positiver Einfluss von Schmerzlinderung und Schlafqualität auf verbessertes Funktionsniveau aber
Verbesserung von Funktionalität und Lebensqualität nur durch Kombination mit physikalischen/psychologischen Verfahren möglich
Schädliche Wirkungen von Nichtopioidanalgetika abwägen
Regelmäßige Therapieüberprüfung (bereits nach 6 Wochen)
Überprüfung der Indikation zur Weiterführung einer Opioidtherapie (Schmerzursache/Toleranz/Abhängigkeit)
Seite 21 www.uniklinikum-dresden.de/usc
LONTS - Kernaussagen
Relevante Schmerzlinderung nur in Kombination mit unspezifischen Effekten (z. Bsp. Placebo)
Vorrangig bei neuropathischen Schmerzen, Rücken- und Gelenkschmerzen
Nachweislich positiver Einfluss von Schmerzlinderung und Schlafqualität auf verbessertes Funktionsniveau aber
Verbesserung von Funktionalität und Lebensqualität nur durch Kombination mit physikalischen/psychologischen Verfahren möglich
Schädliche Wirkungen von Nichtopioidanalgetika abwägen
Regelmäßige Therapieüberprüfung (bereits nach 6 Wochen)
Überprüfung der Indikation zur Weiterführung einer Opioidtherapie (Schmerzursache/Toleranz/Abhängigkeit)
Kriterien für Langzeitanwendung von Opioiden:
Reproduzierbare Schmerzlinderung ≥ 30%
Niedriger bis mittlerer Dosisbereich
Verbessertes Funktionsniveau / verbesserte
Schlafqualität
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Veränderte Pharmakodynamik
mit gesteigerte Empfindlichkeit gegenüber
zentralwirksamen Substanzen
Titrierung: Start low, go slow!
Pharmakotherapie
Seite 23 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Durchschnittliche Anzahl eingenommener Medikamente
(durchschnittlich 7 Diagnosen )
ärztlich verordnete Schmerzmedikamente 1,85
ärztlich verordnete sonstige Medikamente 5,04
Selbstmedikation 0,32
7,21
Anzahl der Patienten mit < 5 Medikamenten 15,5%
Interaktionen beachten!
Pharmakotherapie
Seite 24 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Cannabis – was steckt drin?
Delta- 9- Tetrahydrocannabinol (THC)
Hauptwirkstoff mit psychotroper Wirkung
Entspannung, Wahrnehmungsveränderung, Psychose
Cannabidiol (CBD)
Wirkstoff mit krampflösender Wirkung
entzündungshemmend
schmerzhemmend
CB1-Rezeptor
zentral, aber mit geringer Dichte im Hirnstamm;
Agonisten wie THC haben Einfluss auf Gedächtnis,
Teilnahme, Bewegung
CB2-Rezeptor
meist peripher, vor allem von Zellen des Immunsystems
exprimiert.
Seite 25 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Cannabis – was wird diskutiert?
Anwendung in
der Medizin
Anwendung als
Genussmittel
Seite 26 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Cannabis – die Droge
„So sollten denn die Weltleute und die Toren, die begierig sind,
außerordentliche Freuden kennenzulernen, sich ganz klar
darüber werden, dass sie im Haschisch keinerlei Wunder finden
werden, sondern nichts als eine gesteigerte Natur.“
Gelassenheit, Euphorisierung, verändertes Körpergefühl,
freies Denken
Voraussetzung: richtiges „Set“
Ängste, Panik, Halluzinationen, Übelkeit, Herzrasen,
Mydriasis, Augenrötung
Haschisch: getrocknetes Blütenharz
Marihuana: getrocknete Blütenblätter
Charles Baudelaire, Die künstlichen Paradiese
Seite 27 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Cannabis -
medizinische Anwendung
Seite 28 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Cannabis – die Situation
Sorte Bedrocan
Gehalt: THC ca. 22 %, CBD bis zu 1 %
Sorte Bedica
Gehalt: THC ca. 14 %, CBD bis zu 1 %
Sorte Bedrobinol
Gehalt: THC ca.13,5 %, CBD bis zu 1 %
Sorte Bediol
Gehalt: THC ca. 6,3 %, CBD ca. 8 %
Sorte Bedrolite
Gehalt: THC ca. 0,4%, CBD ca. 9%
Dronabinol, Marinol®
Nabilon®
Sativex®
Ausnahmeerlaubnis zum
Erwerb von Cannabis
Cremer-Schäfer, Cannabis, Hirzel-Verlag, 2016
Seite 29 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Gesetzentwurf der Bundesregierung
http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/C/
160108_GE_Cannabis_als_Medizin_mit_Cannabisagentur.pdf
Problem und Ziel:
…Verkehrsfähigkeit und die Verschreibungsfähigkeit von weiteren
Arzneimitteln auf Cannabisbasis (dazu gehören z. B. Medizinalhanf, das
heißt getrocknete Cannabisblüten sowie Cannabisextrakte in
pharmazeutischer Qualität) herzustellen, um dadurch bei fehlenden
Therapiealternativen bestimmten, insbesondere schwerwiegend chronisch
erkrankten Patientinnen und Patienten nach entsprechender Indikations-
stellung in kontrollierter pharmazeutischer Qualität durch Abgabe in
Apotheken den Zugang zur therapeutischen Anwendung zu ermöglichen.
Alternativen:
…Ein Eigenanbau von Cannabis durch Patientinnen und Patienten kommt
aus gesundheits- und ordnungspolitischer Sicht nicht in Betracht.
Seite 30 www.uniklinikum-dresden.de/USC
SGB V§ 31
Arznei- und Verbandmittel, Verordnungsermächtigung
(6) Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung haben Anspruch auf
Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in
standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den
Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung im Einzelfall nicht zur Verfügung steht,
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive
Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome
besteht und
3. die oder der Versicherte sich verpflichtet, an einer bis zum…[5jährigen]
laufenden nicht interventionellen Begleiterhebung zum Einsatz dieser
Arzneimittel teilzunehmen.
Bei der Erstverordnung muss die Genehmigung der Krankenkasse
vorliegen!
Seite 31 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Geht’s auch ohne Medikament?
Seite 32 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Defizitorientierte Therapie
Verlagerung des Behandlungsschwerpunktes von der
symptomatischen Schmerztherapie zur Behandlung
gestörter körperlicher, psychischer und sozialer Funktionen
Pfingsten , 2001, Multimodale Verfahren – auf die Mischung kommt es an!, Schmerz 15: 492-498
Seite 33 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Multimodale Behandlung
Ziel
Wiederherstellung der objektiven und subjektiven
Funktionsfähigkeit („functional restoration“)
Steigerung der Kontrollfähigkeit und des Kompetenzgefühls
Ressourcenorientierte Vorgehensweise
Institutionale Direktionalisierung
Alltagsorientierende zunehmende
Normalisierung Medikalisieung
Pathologisierung von Schmerzen
Krankenrolle
Arnold B et al. (2009) Multimodale Schmerztherapie Konzepte und Indikation Schmerz 23: 112-120
Seite 34 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Behandlungsziele
physische,
psychische, soziale
Reaktivierung
Motivationsförderung
zur Übernahme von
Eigenverantwortung
Reduktion
dysfunktionaler
Muster der
Schmerzbewältigung
Erkennung und
Stärkung eigener
Ressourcen
Balance
Anspannung/Entspannung
Be- und Entlastung
Wahrnehmung von
Leistungsgrenzen
Erkennung und
Beeinflussung
schmerzmodulierender
Faktoren
Arnold B et al. Multimodale Schmerztherapie für die Behandlung chronischer Schmerzsyndrome, Schmerz 2014, 28: 459-472
Verbesserung der
körperlichen
Leistungsfähigkeit
(Koordination, Beweglichkeit,
Kraft, Ausdauer)
Förderung einer
positiven
Körperwahrnehmung
Seite 35 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Behandlungsziele
physische,
psychische, soziale
Reaktivierung
Motivationsförderung
zur Übernahme von
Eigenverantwortung
Reduktion
dysfunktionaler
Muster der
Schmerzbewältigung
Erkennung und
Stärkung eigener
Ressourcen
Balance
Anspannung/Entspannung
Be- und Entlastung
Wahrnehmung von
Leistungsgrenzen
Erkennung und
Beeinflussung
schmerzmodulierender
Faktoren
Arnold B et al. Multimodale Schmerztherapie für die Behandlung chronischer Schmerzsyndrome, Schmerz 2014, 28: 459-472
Verbesserung der
körperlichen
Leistungsfähigkeit
(Koordination, Beweglichkeit,
Kraft, Ausdauer)
Förderung einer
positiven
Körperwahrnehmung
…und
Schmerzfreiheit?
Seite 36 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Seite 37 www.uniklinikum-dresden.de/USC
Interdisziplinarität - Ziele und Grenzen
Ärzte
Pflege
Psychologen
Physio-
therapeuten
Ergo-/Kunst-
therapeuten
übergeordnet
FunktionelleWiederherstellung
Bio-psycho-soziales Modell
Individuelle Ziele
Seite 38 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Zusammenfassung
Prävalenzzunahme chronischer Schmerzen bis 7. Dekade (50%)
Besondere Risiken der Zielgruppe:
kognitive/sensorische Beeinträchtigungen
Komorbidität
Multimedikation / multiple therapeutische Interventionen
Verlust Aktivität/Partizipation
„Underreporting of Pain“
altersspezifische Diagnostik
psychische Komorbidität erfassen
Interdisziplinäre Zusammenarbeit, multimodale
Therapieverfahren
Therapieerfolg nicht ausschließlich an Schmerzreduktion sondern
Funktions-, Kompetenz- und Lebensqualitätsverbesserung
messen
Seite 39 www.uniklinikum-dresden.de/usc
Dresdner Gespräche zum Schmerz 2016
09. November 2016
Von Leid und Schmerz –
Gedanken zur therapeutischen Grundhaltung
PD Dr. phil. Dipl.-Psych. Dipl.-Theol. Rita Bauer, Universitätsklinik Dresden
Von Leid und Trost – Vokalmusik alter Meister
Concentus, Dresden
Moderation:
Prof. Dr. Rainer Sabatowski,
Dr. phil. Ingrid-Ulrike Grom
Hörsaal Orthopädie (2.OG),
Haus 29 im Universitätsklinikum
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Vielen Dank
für die Aufmerksamkeit
Eichen am Strand -Carl Gustav Carus - 1835