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Werner HinzeSchalmeienklänge im Fackelschein

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Werner Hinze

Schalmeienklänge im

Fackelschein Ein Beitrag zur Kriegskultur der Zwischenkriegszeit

Mit einem Vorwort von Peter Schleuning

TonsplitterArchiv für Musik und Sozialgeschichte

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Tonsplitter. Archiv für Musik und Sozialgeschichte Wissenschaftliche Reihe Bd. 1Herausgegeben von Werner Hinze

Die Arbeit wurde Im Jahre 2002 unter dem Titel “Schalmeienklänge im Fackelschein. DieMartin-Trompete zwischen Symbolik und Agitation innerhalb der Kulturpolitik einer deutschenRoten Armee, dem Roten Frontkämpferbund (RFB)” an der Universität Bremen zugelassen.

Bestellnummer WR 001-Z-1

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung

durch elektronische Systeme.

© 2002 by Tonsplitter. Archiv für Musik und Sozialgeschichte, Hamburg. Satz: Werner Hinze, Tonsplitter.

Druck: Günter Stubbemann GmbHPrinted in Germany

ISBN 3037843-00-2ISSN 1611-0331

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Vorwort

Diese Arbeit darf man wohl ohne Übertreibung als nicht nur das umfangreichste, sondernauch als mit das bedeutendste Forschungsergebnis zur Geschichte der Musik innerhalb derdeutschen Arbeiterbewegung bezeichnen.1 Zahl und Bearbeitung der erschlossenen undbenutzten Quellen sind nicht nur eindrucksvoll, sondern beispiellos im Rahmen diesesForschungszweiges, der nach dem Ende der auch forschungs-„politischen“ Bewegung der BRDund nach dem Ende der DDR – mit wenigen Ausnahmen wie der Beschäftigung etwa mit Eisleroder Weill – praktisch zum Erliegen gekommen ist. Umso erfreulicher ist es, dass in diese Lückeeine so wichtige, schwergewichtige Arbeit tritt, die sozusagen unzeitig in äußerst akribischer undgeschickter Weise eine Verbindung herzustellen vermag zwischen organologischen, politik- undorganisationsgeschichtlichen - und was einen besonderen Wert der Arbeit darstellt – neben denausführlichen Darstellungen zur Aufführungs- und Musikkultur des RFB vor allem auch symbol-geschichtlichen Aspekten, ohne die ein Verständnis für politische Organisationen und auch ihrerMusikkultur kaum möglich ist, da sie sich über diese definieren: Die Farbe „Rot“, Uniform,Abzeichen, Gruß, geballte Faust, Fahnen usw.

Höchst überzeugend und innerhalb der o.g. BRD- und DDR-Forschungen undenkbar ist dieinformative Nüchternheit, mit der aus der Fülle der Quellen ein deutliches, fast stets völligunparteiisches Bild jener fernen Kampfphase der Weimarer Republik gezeichnet wird, selbst ineinem Abschnitt, dessen Titel eine zugespitzte Interpretation erwarten lassen könnte: „Von derSiegesstimmung zum Führerprinzip – der Herbst 1926.“ Die Archivrecherche hat allerdings aucheine solche Flut von Material erbracht, dass ein parteiischer Forscher um der Raffung willenleicht der Versuchung hätte nachgeben können – oder müssen? -, ein Gutteil zu unterdrücken, derim Widerspruch zum jeweiligen Forschungstrend bzw. –ziel steht, wie etwa das deprimierende –dem „bürgerlichen Kastengeist“ entlehnte – „Kommando-Reglement”, das zum Bedauern derLeitungen von den Mitgliedern – zumindest teilweise - nicht diszipliniert und gehorsam befolgtwurde, was den Leser befriedigt. Der Autor lässt sich auch hier wiederum nichts anmerken, wasnoch mehr befriedigt, da die Interpretation dem Leser überlassen wird. Ein Übergehen oderMarginalisieren solcher Erscheinungen ist hier nicht geschehen und begründet u.a. den enormenUmfang und die herausragende Qualität der Arbeit.

Das minutiöse Abwandern der genannten Aspekte am reichen Material des GauesWasserkante und des Gauvororts Bremen zeigt, vor allem in Hinblick auf die Organisations-,Richtlinien- und Wehrsport-Manie, die eklatanten Widersprüche innerhalb der KPD selbst, dieunter Leitung Moskaus zur Schwächung und teilweise auch Auflösung der Kapellen und zu einerveränderten Einstellung zur Funktion und Bewertung des Massenliedes führten.

Eindrucksvoll zeigt die Untersuchung die allzu häufig vernachlässigte Bedeutung, die der„Frontkämpferkultur“ in der Weimarer Republik zukam. Sie offenbart auch, dass dieTraditionslinie des wilhelminischen Militarismus sich in alle politischen Richtungen ausbreiteteund im politischen Kampf des RFB dominanter wurde als die Errungenschaften derArbeiterbewegung. Das machten allein die Zahl der unterschiedlichen Gruppen dieser Art inallen politischen Gruppierungen deutlich (z.B. Reichbanner rund drei Millionen, Stahlhelm400.000 und RFB 100.000).

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1 Teil der gesamten Arbeit ist die separat publizierte Lieddiskussion unter dem Titel „Die Schalmei. Vom Kaisersignalzum Marschlied von KPD und NSDAP“, die in der wissenschaftlichen Reihe des Fritz-Hüser-Instituts (Dortmund)beim Klartext-Verlag (Essen) erschienen ist.

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Die vorliegende Arbeit, die den kommunistischen Teil dieser Frontkämpferkultur jener Phasedokumentiert, zeigt außerdem, wie bedeutsam eine korrekte Benutzung der Begriffe ist. Diealleinige Betrachtung von KPD und RFB als Teile der Arbeiterbewegung stellt sich als nicht aus-reichend dar. Gerade bei den Kampfverbänden kommen die unterschiedlichen politischenPositionen besonders stark zum Vorschein. Dazu gehört auch die immer wieder aufgestellteBehauptung, es habe zwischen dem kommunistischen RFB und dem sozialdemokratischenReichsbanner eine Art Solidargemeinschaft gegeben. Die Arbeit macht zumindest für das unter-suchte Gebiet deutlich, dass es sich hierbei lediglich um eine Propagandalüge handelt.

Bremen im September 2002 Peter Schleuning

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DIE AUSGANGSLAGEDie Schalmei1

Das obige Lied des Duos Sonnenschirm über die Schalmei war als Anspielung auf die „Ge-schichte der ziemlich kuriosen Männerfreundschaft zwischen den Herren Lindenberg undHonecker“ gedacht.2 Es verdeutlicht aber - mehr als beabsichtigt - die Stigmatisierung einesInstrumentes, das zum Synonym einer Ideologie wurde, die von Vorstellungen der KPD (undderen Nebenorganisationen) der Weimarer Republik ausgehend in dem Staat DDR endete.3 DieseStigmatisierung findet sich auch in Schilderungen, denen zufolge Instrumente nach derMachtergreifung durch die Nationalsozialisten eingemauert, eingegraben oder anderweitig ver-steckt wurden. Werner Breede, Mitbegründer der Kieler Jungs, berichtete beispielsweise, daß1954 Mitglieder seiner Kapelle im Auftrag der KPD die Schalmeien-Tradition der Weimar Zeitweiterführen sollten. Um damit beginnen zu können, mußten sie auf die Ostseeinsel Fehmarn

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1 Duo Sonnenschirm, CD Flucht nach vorn, TÜT LZ 72.151. 2 Mitte der achtziger Jahre hatte der westdeutsche Rocksänger Udo Lindenberg dem Staatsratsvorsitzenden der DDR,

Erich Honecker, eine Lederjacke geschickt mit der Aufforderung, etwas lockerer zu sein. Daraufhin sandte Honeckeran Lindenberg eine Schalmei.

3 In diesem Empfinden wurde beispielsweise 1996 eine CD mit Reden und Zitaten von ehemaligen DDR-Politgrößenin Anspielung an das Lied „Die Partei hat immer Recht“ „Die Schalmei hat immer Recht betitelt (LC 0055, BMG,Industr.Nr. 7432143132).

Ausgangslage1.

Stechuhr und HungerlohnKohldampf und Inflationarbeitslos und Stempeln geh'nkeine Hoffnung seh'n.

Großkundgebung, Teddie sprach,Arbeitskampf 8-Stunden-TagRote Fahne, Erster MaiUnd ich war mit dabei -spielte die Schalmei.

3.Folter und Einzelhaft,stets gab Gewißheit KraftNiederlage, Neuanfang.Nazis - Nürnberg - StrangDann geht's anders lang. Aufbau mit Gesang.

Maurer, Keller, TrümmerfrauNeurer Besen, LeistungsschauTraditionsraum, KonterfeiUnd ich ging mit dabeispielte die Schalmei

2.Faust hoch und SchulterschlußVorwärts mit Spartakusbraune Horden - StraßenschlachtBesten umgebracht - Deutschland Gute Nacht.

Illegaler Widerstand,Hausdurchsuchung, an die WandTrotz alledem stand die ParteiUnd ich stand mit dabei.spielte die Schalmei.

4.Abrüstungsstrategie,Schlußakte HelsinkiKampfreserve, Unbeugsam,Wohnungsbauprogramm,Olympiasieger stramm,Grenze unwegsam, Klassenfeind infam,

Dekadenz, SystemkritikJugendtanz und RockmusikLederjacke, KuckuckseiDa spielte die Schalmei -Tradition vorbei -Menschheitstraum entzwei -Wandlitzvilla frei!Tradition vorbei -Menschheitstraum entzwei -

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fahren, da ihre musikalischen Vorbilder die Instrumente dort nach der Machtergreifung derNationalsozialisten aus Furcht vor Beschlagnahme eingemauert hatten.4 Und die SchalmeienKapelle Schwäbisch Hall e.V. (SKSH) übernahm nach eigener Darstellung ihre Instrumente vomArbeitersportverein Herbrechtingen, deren Mitglieder sie in einem Keller versteckt hatten.5 DerVorgang, daß ein Musikinstrument aufgrund der politischen Verhältnisse dem Blick derHerrschenden durch Maßnamen wie Einmauern oder Vergraben entzogen wird - wobei dieZerstörung in Kauf genommen wurde -, dokumentiert darüber hinaus eine außergewöhnliche undwohl einmalige Selbstzensur.

Über eine tatsächlich vollzogene Instrumentenzerstörung berichtet Ewald Ulrich, Jahrgang1903, aus Landsberg/Warthe:

„Nach der Machtergreifung Hitlers 1933 wurden eines Tages alle Instrumente, die jeder Spielerzu Hause aufbewahrte, von der SA abgeholt und zunächst in einem leerstehenden Schaufensterausgestellt. Die SA wußte sehr genau, wer zur Schalmeienkapelle gehörte. Einige Zeit späterwurde auf dem Marktplatz ein großes Gerüst aufgebaut und eine Amboß hinaufgeschleppt. Dortwurden die Instrumente mit zwei Vorschlaghämmern zerschlagen. Ich konnte das nicht mit anse-hen und ging schnell weg.“6

Vorab eine erste notwendige definitorische Klarstellung eines Mißverständnisses. Bei meinenRecherchen stieß ich immer wieder auf eine Irritation, die in der Namengebung des Instrumentsbegründet ist. Die hier behandelteSchalmei ist bei vielen Wissen-schaftlern gänzlich unbekannt, undMusikanten wie Händler bringen siein Verbindung mit dem Holz-blasinstrument der Hirten bzw. demVorläufer von Oboe und Klarinette.7„Unsere“ Schalmei aber war ein sei-nerzeit völlig neuartiges Instrument,das aus der Autohupe entstanden ist(s. Kap. 1). Der Hersteller, MaxBernhard Martin, bezeichnete dieunterschiedlichen Typen anfänglichals Martin’s 4-tönige (bzw. 8-tönige)Fanfaren-Trompete, Martin’s ‘Kai-ser’-Fanfaren-Trompete oder Mar-tin’s Auto-Akkord-Fanfare, später hieß das Instrument nur Martin-Trompete, ohne jedoch etwasmit einer Trompete zu tun zu haben.

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4 Von ähnlichen Erfahrungen berichtete I-Günther. 5 Informationsblatt der Schalmeien Kapelle Schwäbisch Hall e.V., Schwäbisch Hall, ohne Datum.6 Brief v. Reinhard Schlottke, Schalmeien-Orchester Fritz Weineck [SOFW], v. 11.5.1993 a.d. Autor. 7 „Die Schalmei war ein Holzblasinstrument. Hirten bliesen es gern, sonst war es wenig bekannt. Aber zum

Blechblasinstrument umentwickelt erlangte es nach dem 1. Weltkrieg große Popularität.“ Aus: Rote Schalmeien ausWiebelskirchen, [Single] Dortmund, Pläne Verlag Peng 15, vermutl. 1972. [Schalmeienkapelle Wiebelskirchen e.V.= SKW].

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Abb. 1 Schule für die Schalmei, die Sackpfeife oder französisch Musette genannt wird (TAMS).

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A. Gegenstand und theoretischer Rahmen - HaupthypothesenDie vorliegende Arbeit beschreibt und analysiert den Einsatz der Schalmei innerhalb der

Agitationskultur des Roten Frontkämpferbundes (RFB), während der Zeit des politischenKampfes von 1924 bis zum Verbot des RFB im Jahre 1929, und auf Hamburg bezogen auch fürdie Nachfolgeorganisationen in der Zeit bis 1933.

Zum Thema wurde das Hupeninstrument aufgrund seiner hervorstechenden Mythisierung.Durch die Vorstellungen, die in Westdeutschland im Umfeld der Deutschen KommunistischenPartei (DKP) und in Ostdeutschland durch den Einfluß der herrschenden Ideologie auf dieForschung (vgl. Forschungslage) entstanden, wurden die politisch organisierten Musikanten ausder Zeit der Weimarer Republik im Nachhinein in Orchesterchroniken und Aufsätzen zu einer Artmusikalischer Robin Hood hochstilisiert.8 Den in diesen Quellen formulierten Klischees wurdendie folgenden Kernsätze entnommen, die der vorliegenden Arbeit als Ausgangsthesen dienten:

1a. Die Schalmeien wurden in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts erfunden.„Nach dem 1. Weltkrieg wurden Schalmeieninstrumente entwickelt“. (SKSH) „Unsere Schalmeien kommen aus der Familie der Martinshörner“. (MSK9)

1b. Die Schalmeien-Kapellen entstanden in der Arbeitersportbewegung bzw. dem RFB.„Ins Leben gerufen wurden sie vom Rotfrontkämpferbund“. (MSK) „In den zwanziger und dreißiger Jahren spielte sich das politische Leben in Deutschland in weitgrößerem Ausmaß auf der Straße ab als heute. Aufmärsche und Umzüge waren an derTagesordnung. Die extreme Rechte beeindruckte die Menschen durch ihre wohlorganisiertenAuftritte zu zackiger Marschmusik. Die Arbeiterklasse hatte dem wenig entgegenzusetzen, bisMax Martin aus Markneukirchen aus simplen Signalhörnern die sogenannte Martins-Trompeteoder Schalmei entwickelte. […] Bald hatte jede Abteilung des Rotfrontkämpfer-Bundes, jedeFabrik, jeder Arbeitersportverein seine eigene Schalmeienkapelle, die bei den entsprechendenAnlässen ihre Kampflieder spielt.“ (SKM-86)10

„... bis 1933 gab es in Deutschland sehr viele Schalmeienkapellen, hauptsächlich inArbeitersportvereinen, dem RFB (Selbstschutzorganisation der KPD) und im Reichsbanner(Selbstschutzorganisation der SPD)“ (SKSH).

1c. Einige Darstellungen gehen sogar soweit zu behaupten, daß die Instrumente „für dieArbeiter“ erfunden bzw. konstruiert oder selbstgebaut worden seien. In diese Betrach-tung fällt auch der Hinweis, der sich auf die leichte Spielbarkeit der Instrumentebezieht: „Schalmeieninstrumente wurden nach dem 1. Weltkrieg speziell für Arbeiter entwickelt undzwar so, daß sie sehr schnell und sehr leicht zu erlernen sind. Die Arbeiter hatten zur damaligenZeit meistens einen 12-Stunden-Tag und waren daher nicht mehr in der Lage, auch noch nachFeierabend ein schwer zu beherrschendes Instrument zu erlernen. Aus diesem Grunde wurde fürdie Arbeiter das Schalmeieninstrument entwickelt.“ (SKM-78)11

„Die zwanziger Jahre. Die Nazis werden stark, und gleichzeitig formieren sich die Arbeiter, derRotfrontkämpferbund wird gegründet, und die Arbeiter machen auch in Form von selbstgebau-ten Schalmeien auf sich aufmerksam.“ (MSK)12

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8 Wissenschaftliche Abhandlungen zu den Schalmeien-Kapellen sind selten (s. Forschungsstand). 9 MSK = Münchener Schalmeien-Kapelle. 10 Informationen der Schalmeienkapelle-Münsterland Nr. 11, S. 3, Dezember 1986 [= SKM-86]. 11 „Was ist eine Schalmeienkapelle?“, in: 3 Jahre Schalmeien-Kapelle-Münsterland, 1978, S. 16. [= SKM-78].12 Münchener Schalmeienkapelle: „Rote Erde oder wie wir unsere eigene Geschichte spielten“, in Die Lerche 1/89.

Ausgangslage

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2. Der RFB und das Reichsbanner sind Selbstschutzorganisationen.„Diese Arbeiterorganisationen sollten Schutz vor häufigen Überfällen der Nazis aufVersammlungen und Veranstaltungen bieten“. (SKSH) Der RFB ist eine „revolutionäre Arbeiterorganisation, die Schutz vor den häufigen Überfällender Nazis auf Versammlungen und Veranstaltungen bieten sollte.“ (MSK)

3a. Die „Faschisten“ verboten 1933 Kapellen und Chöre der Arbeiterbewegung, wodurcheine „vielversprechende Entwicklung“ unterbrochen wurde. (s. Fußnote zu 4.)

Diese Darstellung findet sich in allen mir vorliegenden Publikationen und Äußerungen wie-der. So habe z.B. durch die 12jährige Naziherrschaft das Kulturgut der Arbeiterklasse gro-ßen Schaden erlitten, der noch bis heute nachwirke (SKM-78). (s. Fußnote zu 4.)

3b. Die „Faschisten“ nutzten die Schalmeien für sich, sie „mißbrauchten“ die Instrumenteund das Arbeiterlied. „Aber die Nazis wußten, daß sie ihren gefährlichen Gegner nur liquidieren konnten, wenn esgelang, sein demokratisches Kulturgut zu zerstören. Schalmeien gehörten dazu. Darum versuch-ten die Faschisten, ausgerüstet mit den widerrechtlich beschlagnahmten Instrumenten, eigeneKapelle aufzustellen. Sie hatten die Aufgabe, das Arbeiterlied für ihre Zwecke zu mißbrauchen.“(SKO-89)13

„Die Nazi-Kapellen hatten die Aufgabe, die Arbeiterlieder umzufunktionieren und zu verfäl-schen, wie das Lied vom kleinen Trompeter, das sie in das Horst-Wessel-Lied verwandelten.“(SKM-78)

4. Es entstand ein Marschlied der Arbeiterklasse als „unversöhnlicher Gegensatz zurMilitärmusik“, und ständig wurden neue Lieder aus dem aktuellen Kampf produziert.Beide Erscheinungen gehörten zum „demokratischen Kulturgut“.13a

Die Behandlung des Themas macht eine Betrachtung des militärischen und des zivilenAspekts - bzw. deren Verbindung - notwendig. Für die Schalmei, die bereits in ihrem funktiona-len Ursprung Anteile von beidem in sich birgt, sei für die militärische Anlehnung beispielhaftMax B. Martin’s wenig erfolgreiche Konstruktion einer Signaltrompete der Kavallerie (vgl. Kap.1) genannt. Beachtenswert in der frühen Entwicklungsphase des Instruments ist darüber hinausdie Verbindung mit dem Auto und die daraus resultierende Partizipation an dessenSymbolhaftigkeit für den technischen Fortschritt. Auf dem zivilen Sektor wurde die Autohupeund deren Weiterentwicklung, die Martinstrompete, als Signalinstrument bei Polizei undFeuerwehr für die Firmenproduktion prägend.

In einzigartiger Weise demonstriert die Martinstrompete darüber hinaus eine Verkopplung mitanderen Aspekten, die nach dem Zerfall des monarchistischen Staates bedeutsam wurden. Derverlorene Erste Weltkrieg führte einerseits zu einem sinkenden Ansehen des Militärs, währendandererseits eine allgemeine Militarisierung der Gesellschaft, insbesondere der politischenParteien und Verbände, stattfand. In diesen Zeitraum fallen die Aufmärsche im politischenKampf, die - soweit sie unter Federführung des RFB begangen wurden - den roten Faden der vor-liegenden Arbeit bilden.

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13 E. Busch, 10 Jahre Schalmeienkapelle Osnabrück, Osnabrück 1989, S. 4f. [Schalmeien-Kapelle Osnabrück = SKO].13a Die Darstellungen und Analysen zur musikalischen Praxis des RFB sind in einer eigenen Publikation im Fritz-Hüser-

Institut, Dortmund unter dem Titel „Die Schalmei. Vom Kaisersignal zum Marschlied von KPD und NSdAP“ veröf-fentlicht.

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Die militärische Ausgangslage findet ihre Würdigung besonders im zweiten Kapitel, in demdie zu diesem Thema entscheidendsten Ereignisse aus der Zeit von 1918 bis 1924 dargelegt wer-den. Diese Herausstellung basiert im wesentlichen auf der Zusammenfassung von Daten andererArbeiten, lediglich bezüglich des Roten Soldatenbundes wurden eigene Forschungen mit einbe-zogen. Darüber hinaus finden sich Aspekte des Themas in der Aufarbeitung der Geschichte desRFB und besonders in den „ausgewählten Aspekten von Selbstverständnis und Symbolik“ (Kap.4).

Während die Darstellung der agitatorischen Praxis des RFB - für Hamburg auch seinerNachfolgeorganisationen - eine notwendige Ergänzung zu bisherigen Arbeiten über den kommu-nistischen Kampfbund darstellt, erfolgt mit der Beschreibung der musikalischen Aktivitäten desBundes - insbesondere der Schalmeien-Kapellen - eine erstmalige Aufarbeitung eines speziellenTeiles der musikalischen Arbeiter-Parteien-Kultur. Insbesondere die Darstellung der Agitationmacht eine Vielzahl von Abbildungen, Dokumenten und tabellarischen Auflistungen notwendig,da gerade bei einem derartigen Thema die beste Zusammenfassung den umfassenden Beispielenunterlegen ist. Zur Agitation gehörten die Aktionen auf der Straße und in den unterschiedlichenVeranstaltungsräumen ebenso wie Artikel der kommunistischen Presse. Der sich teilweise darausergebende Widerspruch zwischen einer Politik „von oben“ und einem Alltag „von unten“ inner-halb des RFB und/oder der Partei wird gelegentlich besonders herausgestellt.

Zur Darstellung der allgemeinen Fest- und Agitationskultur des RFB und deren musikalischerBegleitung werden - unter Einbeziehung der Satzung - jeweils die zentral herausgegebenenRichtlinien und Beschlüsse herangezogen, gefolgt von regionalen Beispielen aus der Praxis derRoten Frontkämpfer in dem norddeutschen Gau14 Wasserkante und der Stadt Bremen (GauNordwest). Da das jährlich in Berlin durchgeführte Reichstreffen einer indirekten Vorgabe gleich-kam, wurde es den zentralen Vorgaben gleichgestellt und dort gewürdigt. Ergänzend folgt dieSicht, wie sie im wesentlichen aus den Akten der politischen Polizei, Zeitungsberichten und bio-graphischen Darstellungen deutlich wird. Für das organisatorische wie politische und somit agi-tatorische Zentrum im Gau Wasserkante, Hamburg, wurde aufgrund der Quellenlage allerdingseine besondere Bearbeitung notwendig: Die Materialien der Politischen Polizei der Elbestadt ausden Jahren der Weimarer Republik sind größtenteils aufgrund von Brand- und Kriegsschäden zer-stört worden. Da die wenigen Berichte aus dem Landesarchiv Schleswig und dem Staatsarchivin Bremen diesen Mangel nicht beheben konnten, wurde das Organ der KPD Wasserkante, dieHamburger Volkszeitung (HVZ), der Jahrgänge 1924-1933 nach kulturellen Aktivitäten des RFBund seiner Nachfolgeorganisationen durchgesehen und die agitatorische Bedeutung des Blatteszusätzlich mit in den Vordergrund gestellt.

Die regionale Ausrichtung hat neben einer besseren Überschaubarkeit zwei weitere Gründe:

1. Die Schalmeien-Kapellen waren im wesentlichen eine städtische Erscheinung.

2. Die kulturellen Aktivitäten im Umfeld der KPD-Organisationen wurden zentralistisch vonBerlin aus gesteuert. Das hatte zur Folge, daß in vielen Ausführungen über „Arbeiterkultur, -musik, -lied“ usw. bis auf spezielle Regionalforschungen eigentlich immer nur ein bestimm-ter Teil der Berliner Stadtkultur behandelt wurde. Da dies auch auf die Schalmeien-Kapellenund ihre Musik zutrifft, soll der Untersuchungsraum regional auf Norddeutschland einge-grenzt werden.

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14 Zum RFB-Terminus: Gau vgl. Kap. 3.

Ausgangslage

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Die Struktur der vorliegenden Arbeit sieht folgendermaßen aus: Das erste Kapitel beginnt mit einer Darstellung der Person des Erfinders und der Entwicklung

seines Instruments, der Aufstellungen über die herausgegebenen Liederbücher, Notendrucke undPreise der Instrumente folgen.

Das zweite Kapitel schildert die wesentlichen Aspekte der militärischen und politischenBedingungen, ohne die die im folgenden behandelte Gründung des RFB nicht verständlich wäre.Die Darstellung wurde besonders von dem Gedanken geleitet, außer den Bedingungen derRevolution, der politischen Stabilisierung und der Besatzung auch die bedeutendsten Verbändedieser Szene und die Kontinuität - besonders der kommunistischen Kampfverbände - darzustel-len. Gerade letzteres scheint in den aktuellen historischen Betrachtungen jener Zeit verlorenge-gangen zu sein.15 Aus einer derartigen Unterlassung ergeben sich fatale Folgen für eine realisti-sche Einschätzung jener Epoche. Wenn Ergebnisse, die bereits seit den sechziger Jahren des ver-gangenen Jahrhunderts bekannt sind, in der Wissenschaft keine Beachtung mehr finden, kann einVorfall, der sich anläßlich einer Ausstellung über das sozialdemokratische Reichsbanner abspiel-te, kaum noch verwundern.16 Dort kam ein interessierter Besucher auf die Ausstellungsmacherzu und teilte ihnen mit, daß er früher auch in dem Verband gewesen sein. Im Verlauf desGesprächs stellte sich jedoch heraus, daß er Mitglied in der SA gewesen war.

Die Darstellungen der „Fest- und Agitationskultur des RFB“ im dritten Kapitel, die u.a. auchdas Fundament für die musikalische Aktivität bildet (s. auch Fußnote 14a), stellt chronologischden zentralen Vorgaben (unter Einbeziehung des Reichstreffens) die regionale Praxis des GausWasserkante und der Stadt Bremen als Gauvorort Nordwest gegenüber. In diese Schilderungenwird die Entwicklung des RFB und sein allgemeines und militärisches Selbstverständnis ebensoeingebunden wie seine politische Programmatik und Aktivität. Innerhalb der Einheitsfronttheorieder KPD hatte der RFB als paramilitärische Formation seine speziellen Aufgabengebiete.Während sich die Darstellung der Gesamtorganisation anhand der vorhandenen Arbeiten vonKurt Finker17 und Kurt Schuster18 auf die wesentlichen Formalien beschränkt, wurden die regio-nalen Chroniken erstmalig umfangreich historisch aufgearbeitet.

In den „ausgewählten Aspekten von Selbstverständnis und Symbolik“ (Kap. 4) werden - aus-gehend von der agitatorischen Praxis (im Wesentlichen aus der kommunistischen Presse) - eini-ge herausragende Phänomene dokumentiert, die zum Verständnis einiger Liedtexte mehr beitra-gen können als Darstellungen des ideologischen Überbaus. Ausgesuchte Begründungen ausge-wählter Theoretiker haben allzuhäufig den Blick für die tatsächlichen Ereignisse des Alltags ver-sperrt. Vor allem aber werden in diesem Teil Zusammenhänge aufgezeigt, die bei der vorherge-henden chronologischen Schilderung verloren gehen könnten. Die teilweise umfangreicheThematik dieser Aspekte erlaubt allerdings häufig lediglich eine kurze Zusammenfassung, umden Umfang dieser Arbeit einigermaßen in Grenzen zu halten und um außerdem den

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15 Bei Heinrich August Winkler, Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1998(durchgesehene Auflage) findet ebenso wie bei Klaus-Michael Mallmann, Kommunisten in der Weimarer Republik.Sozialgeschichte einer revolutionären Bewegung, Darmstadt 1996 beispielsweise der RSB überhaupt keineErwähnung mehr. Mallmann, der besonders die regionalen Forschungsergebnisse der Jahre 1970 bis 1990 in seineArbeit einbezogen hat, läßt sich in seiner Einschätzung zu sehr von diesen Darstellungen leiten, die der kommuni-stischen Geschichtsschreibung allzuhäufig unkritisch gegenüber standen. Seine zusätzlich einbezogenen eigenenRecherchen aus dem Saargebiet bieten eher provinzielle Zusatzinformationen.

16 Nach Herrn Sielmann, SPD Hamburg-Mitte, 1. Dezember 1999. 17 Kurt Finker, Geschichte des Roten Frontkämpferbundes, Berlin 1982.18 Kurt G.P. Schuster, Der Rote Frontkämpferbund 1924-1929. Beiträge zur Geschichte und Organisationsstruktur eines

politischen Kampfbundes, Düsseldorf 1975.

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Zusammenhang zum zentralen Thema der Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren. EinigeAbschnitte wurden aufgenommen, obwohl sie fast fragmentarischen Charakter haben, da sie fürden Einblick in das politische Selbstverständnis des RFB jeweils einen wichtigen Aspekt bilden.Eine ausführliche Aufarbeitung würde den Rahmen dieser Arbeit jedoch sprengen. Bei der the-matischen Zusammenstellung kam den militärischen Formen und dem Wehrsport, derEinordnung des RFB-Selbstverständnisses zwischen „Faschismus“ und dem „Vaterland derWerktätigen“ ebenso wie den finanziellen Bedingungen „zwischen Kommerz und Spenden-’Freude’“ besondere Bedeutung zu.

B. ForschungsstandAuf dem Gebiet des von Laien ausgeübten instrumentalen Teils der musikalischen

Arbeiterkultur ist eine Auseinandersetzung in der Literatur kaum vorhanden. Während inWestdeutschland lange Zeit Ignoranz oder Tabuisierung vorherrschten, bestand inOstdeutschland aufgrund parteipolitischer Zweckmäßigkeit eine erschreckende Desinformation.So existiert mit der Dissertation von Traude Ebert über „Das Verhältnis der Arbeiterklasse zurInstrumentalmusik, dargestellt bis zum Jahre 1933“19 aus dem Jahre 1971 lediglich eine umfang-reiche diesbezügliche Auseinandersetzung. Dem Aspekt ‘Die Instrumentalmusik in denWehrorganisationen des Proletariats’ ist hierin ein Abschnitt gewidmet (S. 203-211), in dem dieSchalmei und der Rote Frontkämpferbund besprochen werden. Dies geschah aber ausschließlichzur „Herausbildung eines sozialistischen Bewußtseins“ in Anlehnung an den verbindlichenLeitfaden der vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED ab 1966 herausgegebe-nen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung.20

Die zum Standard gewordene Dissertation Proletarische Musik in Deutschland 1928 - 1933von Werner Fuhr aus dem Jahr 1976 widmet sich besonders dem Gesang sowie - derEntwicklungsphase entsprechend - der Beteiligung professioneller Musiker an der Entwicklungeiner „proletarischen Musik“ und der damit verbundenen Diskussion innerhalb derInteressengemeinschaft für Arbeiterkultur (Ifa).21 Leider berücksichtigt die in vieler Hinsichtvorbildliche Arbeit den Teil der Musikkultur, der auf die Masse der Arbeiter am intensivstenwirkte, am wenigsten: die Instrumentalmusik, die überwiegend von Laienmusikern ausgeübtwurde. Sie findet ihre Berücksichtigung zu einem nicht geringen Teil lediglich durch Übernahmevon Aussagen aus der Arbeit von Traute Ebert. Nur kurz werden außer Mundharmonika-Vereinen, Mandolinisten-, Konzertina-, Bandoneon- (oder Bandonium-), Gitarrespieler-Bundauch Spielmannszüge und Schalmeien-Kapellen sowie das Hamburger Leninorchester erwähnt.Matthias Henke faßt in seiner Arbeit aus dem Jahre 1993 die Geschichte der Zupforchesterzusammen und geht dabei auf die unterschiedlichen Aspekte des Laienmusizierens - darunterauch auf den Disput des Deutschen Arbeiter-Mandolinisten-Bundes und des DeutschenMandolinen- und Gitarrenspieler-Bundes - ein.22

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19 Traude Ebert, Das Verhältnis der Arbeiterklasse zur Instrumentalmusik, dargestellt bis zum Jahre 1933, Diss.phil,vorgelegt der Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät des Wissenschaftlichen Rates der Humboldt Universität zuBerlin, 29.6.1971.

20 Zur Kritik dieser Vorgehensweise vgl. Hartmann Wunderer, Arbeitervereine und Arbeiterparteien. Kultur- undMassenorganisationen in der Arbeiterbewegung (1890- 1933), Frankfurt/Main 1980, S. 24.

21 Werner Fuhr, Proletarische Musik in Deutschland 1928 - 1933, Göppingen 1977.

Ausgangslage

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Mit der Schalmei setzten sich zum Ende der 50er Jahre in der DDR drei Aufsätze in derFachzeitschrift Die Volksmusik auseinander. 1956 erklärte Richard Rabenalt in einem Aufsatz diespieltechnischen Möglichkeiten des Instruments.23 Willy Wallroth ordnete im darauf folgendenJahr die Geschichte des Instruments in die Theorie der DDR-Forschung (s.o.) ein.24 1958 gingHerbert Kleye auf Liederbücher sowie Herkunft und Beschaffenheit des Notenmaterials ein.25

Die Aufsätze geben allerdings mehr Auskunft über die kulturpolitische Situation der DDR, alsdaß sie eine historische Würdigung der Schalmeien und ihrer Musikanten vollziehen. So scheintdenn auch die offizielle Linie Mitte der 50er Jahre wie häufig in der Vergangenheit darin zubestehen, daß die qualitativen Standards bürgerlicher Musiker, Orchester und Kompositionenangestrebt werden. Um die Absage an die Schalmei glaubhaft zu begründen und ohne ihnen ihrenhistorischen Wert streitig zu machen, werden „alte Veteranen“ aufgeboten. Einer von ihnen,Willy Wallroth, der sich selbst als einen „Funktionär für Arbeiterkampfmusik“ seit 1924 bezeich-nete, stellte 1957 (in dem oben erwähnten Aufsatz) über die Blasmusik im „real existierendenSozialismus“ fest:

„War damals die Schalmei, die >Hupe<, das gegebene Instrument, so hat heute die Jugend dankder Fürsorge unseres Staates auf allen Gebieten, so auch auf dem der Musik, Möglichkeitengenug, kostenlos oder mit Hilfe eines Stipendiums ordentlich Musik zu studieren, unter fach-licher Anleitung ein Musikinstrument spielen zu lernen und eine vielseitige musikalischeAusbildung zu erfahren. War die >Hupe< einst Mittel zum Zweck, so muß es heute selbstver-ständlich sein, mit einem ordentlichen Blasinstrument eine gute Blasmusik zu machen […]. DieDaseinsberechtigung der Schalmeienmusik war unter Beweis gestellt. Heute ist sie nur noch tra-ditionsgebunden und von historischem Wert.“26

Erste Eindrücke, Materialien und Analysen des Autors wurden anläßlich der TagungMusikalische Volkskultur und die politische Macht im September 1992 einem wissenschaftlichenPublikum zugänglich gemacht.27

Regionale Darstellungen zu Themen wie Arbeiterkultur oder Weimarer Republik gehen meistbeiläufig auf die Schalmei und noch seltener auf die musikalische Agitationskultur des RFB ein.Eine Ausnahme stellt eine Weimarer Regionalstudie von Kurt Thomas dar, in der Informationenüber die Anfänge von Instrumentalmusikgruppen innerhalb des Kampfverbandes enthalten sindund in der der Autor auch kurz auf die diesbezüglichen musikalischen Anfänge in der DDR ein-geht.28

Zur Geschichte des RFB liegen bereits zwei umfangreiche Arbeiten vor, die sich aber beidemit der formalen Struktur des Bundes auseinandersetzen und die agitatorische Praxis lediglichbeispielhaft und nicht analytisch einbeziehen. Kurt G.P. Schuster betrachtete 197529 den Bundaus westdeutscher und Kurt Finker 198230 aus ostdeutscher Sicht (zu weiteren Aufsätzen s. Kap.

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22 Matthias Henke, Das grosse Buch der Zupforchester, München 1993. 23 Richard Rabenalt, „Über >Schalmeien<-Kapellen“. In: Die Volksmusik, Juni 1956, S. 6. 24 Willy Wallroth, „Die Schalmeienkapellen in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung“. In: Volksmusik

10/1957, S. 2. 25 Herbert Kleye, „Aus der Arbeitermusikbewegung“. In: Die Volksmusik 10/1958, S. 3. 26 Willy Wallroth, „Die Schalmeienkapellen in der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung“. In: Die Volksmusik

10/1957, S. 1-3. 27 Werner Hinze, „Instrumentalmusik im politischen Kampf der zwanziger Jahre am Beispiel der Schalmei“, in:

Günther Noll (Hrsg.), Musikalische Volkskultur und die politische Macht, Essen 1994, S. 301-329. Das Referat wurdeauch im Informationsheft Nr. 13 des e.V. Musik von unten, S. 3-28 veröffentlicht.

28 Kurt Thomas, Arbeitergesang - Arbeitermusik, Weimarer Schriften und Naturkunde, hrsg. v. Stadtmuseum Weimar,Heft 25/1974, S. 56-69.

29 Kurt G.P. Schuster, Der Rote Frontkämpferbund 1924-1929. Beiträge zur Geschichte und Organisationsstruktur einespolitischen Kampfbundes, Düsseldorf 1975.

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2). In den neueren Arbeiten zur KPD in der Weimarer Republik spielt der RFB kaum eine Rolle.Klaus-Michael Mallmanns Studie über die „Kommunisten in der Weimarer Republik“ von 1996beschränkt sich in den sechs Seiten seiner Betrachtung des RFB als „Demonstrationsarmee derPartei“ (S. 193-199) auf die wesentlichen Daten und eine kurze Einschätzung. Das gleiche giltfür Ludwig Eibers Monographie „Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg“,die - wie beispielsweise auch Werner Fuhrs Arbeit - die Zeit nach 1929 zum Schwerpunkt hat.31

Nach szenischen Einzelberichten, wie die über die Fahnenweihe des RFB in Teltow am 7. Juni1925,32 unternahm Günter Bers 1980 einen ersten Versuch, sich mit einer Zusammenstellung vonmehreren Roten Tagen im Rheinland (Gau Mittelfranken) in den Jahren 1925-1928 der Fest- undAgitationskultur des RFB globaler zu nähern.33

C. Arbeitsgrundlagen und MethodikDie vorliegende Darstellung und Analyse der Theorie und Praxis der Schalmeienspieler und

-kapellen sowie der Fest- und Agitationskultur des Roten Frontkämpfer Bundes ist eineQuellenarbeit. Herangezogen wurden einerseits die Materialien des RFB (Satzung,Rundschreiben, Protokolle der Reichs- und Gaukonferenzen) und andererseits Polizeiberichteüber Veranstaltungen des Bundes und der KPD. Die Politische Polizei war durchHausdurchsuchungen und Beschlagnahme darüber hinaus im Besitz interner Sitzungsprotokolledes RFB und verfügte offensichtlich über ein Netz von Informanten aus dem inneren Kreis desKampfbundes. Ergänzend dienten Zeitungsausschnitte zur Vervollkommnung desAgitationsbildes.

1. PrimärquellenDie Primärquellen zur vorliegenden Arbeit stammen im wesentlichen aus dem Akten der poli-

tischen Polizei des Staatsarchivs Bremen (StaHB) und des Landes-Archivs Schleswig (LAS).Ergänzt werden konnten sie aufgrund der politischen Entwicklung durch Materialien aus demehemaligen Institut für Marxismus Leninismus, kurzzeitig PDS-Archiv und heute als StiftungArchiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR (SAPMO) dem Bundesarchiv ange-schlossen, sowie dem Arbeiterliedarchiv in der Stiftung Archiv der Akademie der Künste (SAdK).Das Staatsarchiv Hamburg (StaH) verfügt - ebenso wie das Stadtarchiv Kiel - kaum über Materialzu dieser speziellen Thematik aus der Zeit der Weimarer Republik. Die Hamburger Beständewaren 1933 in die Hände der Gestapo gekommen und dort größtenteils vernichtet worden, außer-dem wurde der Bestand durch Kriegsschäden dezimiert. Aufgrund der herausragenden StellungHamburgs in der Geschichte der kommunistischen Bewegung wurde versucht, den Mangel an

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30 Kurt Finker, Geschichte des Roten Frontkämpferbundes, Berlin 1982. 31 Ludwig Eiber, Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929 bis 1939 (4 Bde.),

Habil., Typoskript 1996. 32 Walter Schmidtke, Die Fahnenweihe des RFB in Teltow am 7. Juni 1925, Staatsexamensarbeit, Potsdam 1960. Vgl.

dazu auch Finker, S. 9ff. 33 Günter Bers (Hrsg), „Rote Tage“ im Rheinland. Demonstrationen des Roten Frontkämpfer-Bundes (RFB) im Gau

Mittelfranken 1925-1928. Wentorf/Hamburg, Einhorn Presse Verl. Peter Brämeke, 1980 (Die Arbeiterbewegung imRheinland Nr. 15).

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Material durch eine Auswertung des Organs der KPD, der Hamburger Volkszeitung (HVZ), fürdie Jahre 1924-33 auszugleichen. Ergänzend wurde (meist Bild-)Material der HamburgerStadtteilarchive Eppendorf, Barmbek, Hamm und Wilhelmsburg sowie der Gedenkstätte ErnstThälmann (GET), des Museums für Hamburgische Geschichte (MHG) und des Museums derArbeit (MdA) ausgewertet. Die genannten Archive ermöglichten auch den Einblick in anderePublikationen der KPD und des RFB wie Die Rote Fahne, Der Rote Führer, Die Rote Front, dieArbeiter Illustrierte Zeitung (AIZ) sowie einige kurzlebige Blätter, die besonders in der Phase imAnschluß an das Verbot des RFB herausgegeben wurden. Beispielhaft erwähnt sei Der RoteWühler (Berlin), Die Rote Faust (Berlin Moabit), Der Rote Frontkämpfer (14. Abt. des BerlinerRFB) und Rote Matrosen (o.O.u.J., vermutlich Hamburg) oder Rote Jungfront.

Den Grundstock der Materialien zur Martins-Trompete lieferte das Archiv der Firma MaxBernhard Martin und das Patentamt Hamburg. Ergänzt wird das Material durch Liederbücher ausdem Archiv für Musik und Sozialgeschichte, Werner Hinze (Hamburg), dem Archiv Musik vonunten (Hamburg) und Schallplattenaufnahmen aus der Zeit, größtenteils aus dem Bestand desPlattensammlers Klaus-Jürgen Hohn aus Nürnberg. Die Lieddiskussionen - besonders jene umdas Soldatenlied „Auf, auf zum Kampf“ war nur durch das Material des DeutschenVolksliedarchivs (DVA) in Freiburg möglich.

Das Material läßt sich vereinfacht in fünf Kategorien aufteilen:Dokumente der Firma Martin und der PatentämterInterne Schriften des RFB, seiner Unter- bzw. Nebenorganisationen, und soweit relevant, derKPD (als polizeilich gefertigte Abschrift oder Kopie der Originale) Berichte aus Zeitungen und Zeitschriften des RFB bzw. der KPD sowie diverses Werbematerial Liedtexte aus den kommunistischen Medien und Schallplattenaufnahmen Beobachtungen der politischen Polizei bei Demonstrationen, Agitationen und Versammlungen(gelegentlich auch Spitzelberichte)

Der Wert der polizeilichen Beobachtungen ist ebenso wie die Spitzelberichte als Quelle wis-senschaftlicher Arbeiten allgemein anerkannt. In der Regel ist eine möglicheVoreingenommenheit von Beamten an der Art ihrer Berichterstattung auszumachen. Beispielhaftsei der extrem negative Bericht von Landjägermeister Martens in St. Georgsberg genannt, der dieEreignisse beim Roten Tag in Lauenburg u.a. mit den Worten schilderte, daß er „in seiner lang-jährigen Praxis noch nicht einen solchen Haufen Gesindel beisammen gesehen“ habe, es seien„durchweg Verbrechertypen gewesen“.34 Während beispielsweise Polizeiberichte aus Flensburg,Kiel oder Altona relativ ausführlich sind, deuten andere - aus „der Provinz“ - auf eine gewisseInteressenlosigkeit hin.35

Zu den Unterschieden in der Berichterstattung ist festzustellen, daß sie eher die Ausnahmedarstellen. In der Regel ist eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen den Berichten derPolizei und den kommunistischen Medien zu konstatieren. Ein Bremer Polizeibeamter verwiesz.B. am 9. Juni 1926 in seinem Bericht über das II. Reichstreffen des RFB auf Die Rote Fahneund Die Fronte Front mit der Bemerkung, daß dort „in eingehender und ziemlich objektiver

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34 LAS 301-4546/24A, OP 3738, Pol.B v. 24.8.1925. 35 So notierte beispielsweise der Polizeiverwalter Haufe aus Wesselburen am 12.3.1928 nach einer kurzen Aufstellung

der Ereignisse des Tages: „Einzelheiten waren nicht festzustellen“ (LAS 301-4548, Polizeiverwalter Krb.Nr. I).

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Weise über die Veranstaltung berichtet“ worden sei.36 Sieht man von der unterschiedlichenPosition der jeweiligen Autoren ab, reduzieren sich die Differenzen im wesentlichen auf dieAngaben der Teilnehmerzahlen. Grundsätzlich ist allem Zahlenmaterial mit Vorsicht zu begeg-nen. Ob es sich um kommunistische oder behördliche Datenquellen handelt, ist dabei ohneBelang, sie können bestenfalls als Tendenz angesehen werden. Aufgrund der häufig zweifelhaf-ten Erhebungen des statistischen Datenmaterials und der Wünsche mancher regionaler Führer,deren Angaben nicht selten auf Hoffnungen basierten, gilt dieser Vorbehalt besonders für alleAufstellungen und Angaben des Kampfbundes über die eigene personelle Stärke.37 Die Angabenüber die Beteiligung an agitatorischen Aktionen in den kommunistischen Medien hängen in derRegel von der propagandistischen Bedeutung ab. Wenn diesen Informationen für die vorliegen-de Arbeit auch keine überragende Bedeutung zukommt, bleibt doch festzuhalten, daß die Zahlender Polizei meistens eine größere Annäherung an die Realität zu verzeichnen scheinen.38

Beispielhaft seien die Darstellungen über den Bremer Roten Tag vom 27. September 1925genannt. Die AZ berichtete am darauffolgenden Tag von 4-5.000 Personen, während ein beob-achtender Beamte rund 1.700 Menschen notierte.39 In einer Nachbetrachtung zu dem Ereignisging zwei Jahre später auch der Leiter der Bremer RJ, Buckendahl, nur noch von „weit über1.500“ Personen aus.40 Um den unterschiedlichen Positionen gerecht zu werden, wurden in dervorliegenden Arbeit wiederholt Angaben von beiden Seiten einander gegenübergestellt. Darüberhinaus wurde eine Vielzahl von Zitaten und Abbildungen aus der Agitation des RFB dokumen-tiert. Das war aus zwei Gründen notwendig: Zum einen stellt die Agitation den Schwerpunkt dervorliegenden Arbeit dar und kann am besten anhand von Beispielen verstanden werden, und zumanderen erschienen aufgrund der politischen Brisanz Dokumente das beste Mittel zu sein, mög-lichen Zweiflern entgegenzuwirken. Die zitierten Passagen wurden nicht nur in der damaligenSchreibweise, sondern auch mit ihren - nicht immer wenigen - Fehlern übernommen, um dieAutentizität zu erhalten. Dazu gehören auch die unterschiedlichen Schreibweisen für dieSchalmei (z.B. „Schalmai“ oder „Schallmei“) oder das Korps („Chor“).

Über die Entstehungsgeschichte des Instruments gaben Patentschriften aus den entsprechen-den Ämtern und dem verbliebenen Nachlaß von Max Bernhardt Martin Aufschluß, die durch denEnkel des Erfinders, Otto Günther, zugänglich wurden (s. Quellenverzeichnis). Sie wurdenergänzt durch Preislisten, Notenhefte, eine Praktische Schule zur schnellen und richtigenErlernung der 8-tönigen Martin-Trompete und einige Selbstdarstellungen der Firma Martin (s.Literaturliste).

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36 StaHB 4,65-1247/5, Bl. 146f., I.Nr. 1806, Pol.B Nr. 118 v. 19.6.1926 nennt: Die Rote Fahne vom 25. u. 26. Mai (Nr.118a u. 119) sowie Die Fronte Front Nr. 11 v. Juni 1926.

37 Vgl. z.B. den Jahresbericht der RFB-Bundesleitung für 1925, der als „Der Weg des RFB bis Halle“ überschriebenwurde (zitiert in Kap. 2.2., S. 78, Anm. 284), oder die wiederholten Klagen über mangelhafte Abrechnungen.

38 Widersprüchliche Zahlenangaben der Polizei, wie beim 1. Reichstreffen der RM im September 1926 in Kiel (s. S.180) dürften auf banale Fehler eines Beamten zurückzuführen sein.

39 AZ v. 28.9.1925; StaHB 4,65-1287/29, Pol.B v. 3.10.1925. 40 Programmheft zum Gautreffen des Roten Frontkämpferbundes. Bremen, 27. und 28. August 1927.

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2. SekundärquellenAls Sekundärquellen dienten Vereinszeitschriften bzw. Informationsblätter und Chroniken

einiger Schalmeien-Kapellen, Korrespondenz mit Musikern, Erinnerungen (sogenannteVeteranenberichte), Autobiographien und diverse erinnernde Zeitungsartikel, die überwiegendaus der Zeit der DDR stammen. Lebende Zeitzeugen waren entweder nicht mehr anzutreffen odernicht dazu zu bewegen, über ihre Vergangenheit Auskunft zu erteilen.41 Dazu kamen frühereErfahrungen aus Befragungen von Personen, die über achtzig Jahre alt waren, in denen inhaltlichbrauchbare Informationen die Ausnahme darstellten.42

Ebenso wie die Kurzdarstellungen (s. Register) waren die meisten der Vereinsinformationeneher irreführend als hilfreich und würden einer möglichen Analyse der Nachkriegsmusikantenbesser dienen als einer Klärung historischer Zusammenhänge aus der Weimarer Republik.43

Erinnerungen und Autobiographien reproduzierten in der Regel die (meist propagandistischen)Parteiendarstellungen oder herausragende Ereignisse, die, wie am Beispiel des Roten Tages aufFehmarn, eine leicht mythische Erhebung erfahren haben (vgl. Kap. 2 u. 3). Veteranenberichte,die der DDR-Forschung als Hauptquelle dienten, erwiesen sich für eine wissenschaftlicheBewertung als unbrauchbar. Sie können bestenfalls dazu dienen, Einsichten plakativ zu verdeut-lichen, und stellen - wie die oben angesprochenen Interviews - eher einen interessantenGegenstand für die Erzählforschung dar.

Interviews, die besonders für die Entwicklung nach 1945 relevant waren, führte der Autor mitOtto Günther, dem Enkel des Instrumentenerfinders, und den nach 1945 aktiven Schalmeien-Spielern, und zwar am 17. März 1992 mit Gerhard Bitter (Schalmeien Orchester Hamburg) - inder Folge als I-Bitter bezeichnet, am 4. Juli 1992 mit Oskar Matthiesen (Schalmeien OrchesterHamburg) - in der Folge als „I-Matthiesen“ bezeichnet, am 7. September 1992 mit WernerBreede (Kieler Jungs) - in der Folge als I-Breede bezeichnet und am 21. Mai 1992 mit OttoGünther, Philippsburg - in der Folge als I-Günther bezeichnet.

Aufgrund der negativen Resonanz bei der anfänglichen Suche nach Informationen undGesprächspartnern kam es zu keinen weiteren Interviews bzw. zu keinem weiteren Briefwechsel.Einige Orchester scheinen sich aufgrund der politischen Entwicklung aufgelöst zu haben, undihre Mitglieder haben daraufhin offensichtlich einen Rückzug ins Private begonnen. Eine ange-kündigte organisatorische Neubelebung eines zentralen Verbandes durch Norbert Breede in Kielkonnte für die vorliegende Arbeit nicht mehr beobachtet werden. Die Quellen der Archive inSchleswig und Bremen haben sich aber als ausgiebig genug erwiesen, um eine zuverlässigeAussage über die musikalischen Aktivitäten und Vorstellungen des RFB allgemein und zurSchalmei im Besonderen detailliert zu tätigen. Die intensive Sammelarbeit der politischen Polizeihat dazu geführt, daß auch ausreichend Originalmaterialien des RFB ausgewertet und somit denPolizeiberichten gegenübergestellt werden konnten. Außerdem ist eine gegensätzlich argumen-tierende Literatur für die politische und militärische Diskussion vorhanden.

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41 Beispielhaft erwähnt sei Norbert Breede aus Kiel, der aufgrund seiner Erfahrungen während der NS-Herrschaft nichtmehr über die damalige Zeit sprechen wollte.

42 Beispielhaft erwähnt sei ein Interview mit Augustin Souchy. 43 z.B. Hanni Weller, „Schalmei - ein Instrument mit langer Geschichte“, Busek, o.J.

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D. Ergänzende Problem- und KlarstellungenAufarbeitungen zur politischen Problematik der Weimarer Republik, die sich nicht über den

gesamten Zeitraum erstreckten, beziehen sich nur selten auf die Jahre 1924-1928/29 - also genaudie Phase, in der der RFB agierte. Solange beispielsweise die Phasen von Revolution undAufstandsversuchen thematisiert wurden, ist der Sinn zeitlicher Beschränkung augenfällig. Dochbei Arbeiten, die lediglich die Jahre von 1929 bis 1933 - gelegentlich auch darüber hinaus -behandeln,44 wird der Bund in eine Nebenrolle gedrängt, die seiner Bedeutung nicht gerechtwird. Das betrifft seine Rolle bei der Herausarbeitung des Agitatorischen Jahreskalenders eben-so wie die Maßstäbe setzenden (handgreiflichen) Auseinandersetzungen in der Zeit 1925 bis1929, die aus ihm resultierenden Nachfolgeorganisationen, das konspirative bis terroristischeWirken einiger Mitglieder nach dem Verbot des Bundes oder die Militarisierung der Agitation derKPD. Außerdem wird jene Phase allzuleicht als sogenannte „relative Stabilisierung desKapitalismus“ als rein ökonomisches Phänomen abgehandelt. Die damit verbundenen ideologi-schen Zusammenhänge scheinen der Gefahr der Vergessenheit oder Verdrängung anheim zu fal-len, daher folgt eine kurze Erinnerung.

In den „Thesen des 7. Erweiterten Ekki“ zur „Internationalen[n] Lage“ und den „Aufgabender Komintern“ vom Februar 1927 wurde „entgegen gewissen Behauptungen der Führer derOpposition (Sinowjew, Trotzki u.a.[…])“ diese Epoche als „kapitalistische Stabilisierung“bezeichnet, die durch „Zunahme der Weltproduktion, Zunahme des internationalenMassenumsatzes, Regelung der Währungsverhältnisse usw.“ definiert war.45 Die mit unter-schiedlichen Adjektiven belegte „Stabilisierung“ wurde als „relative“ spätestens seit der„Resolution über die Lage und Aufgaben der Partei“ zum kommunistischen Terminus, die derBezirksparteitag der KPD Wasserkante kurz darauf annahm.46 Als Terminus fand die „relativeStabilisierung des Kapitalismus“ denn auch Eingang in Wörterbücher, die seinen Inhalt eindeu-tig definierten.47 Daß nicht allein die Verhältnisse in Deutschland gemeint waren, sondern derTerminus Bestandteil einer philosophischen und ökonomischen Theorie zum Kapitalismus auskommunistischer Sicht war, scheinen seitdem einige Autoren aus den Augen verloren zu haben.48

Hier ist dringend ein Umdenken notwendig, da hilft es auch wenig, wenn der Begriff quasi durchdie Hintertür benutzt wird und die „Stabilisierung Weimars nach 1923“ als „eine relative, gemes-sen an der Instabilität der vorausgegangenen Jahre“, bezeichnet wird.49

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44 Z.B. Jörg Wollenberg u.a., Die Bremer Arbeiterbewegung in der Endphase der Weimarer Republik. EineUntersuchung zum Zusammenhang von Krisenverlauf und Krisenreaktion in der Bremer Arbeiterschaft von 1928-1933; Jörg Wollenberg, Von der Krise zum Faschismus: Bremer Arbeiterbewegung, 1929-33, Frankfurt/M 1983;Ludwig Eiber, Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Hansestadt Hamburg in den Jahren 1929 bis 1939 (4 Bde.),Habil., München 1996; Vorwärts - und nicht vergessen. Arbeiterkultur in Hamburg um 1930, Hamburg 1982; GünterBers, Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Raum Köln - Aachen gegen Ende der Weimarer Republik.Eine Dokumentation zum Jahr 1932, Reinbek 1993.

45 Internationale Lage und Aufgaben der Komintern. Die Thesen des 7. Erweiterten Ekki, in: HVZ v. 11.2.1927. ImGegensatz dazu - besonders aber zur Terminierung 1924-28 - sprach Thälmann noch im Mai 1926 von einer „schwe-ren Krise“ der deutschen Wirtschaft mit Massenarbeitslosigkeit und Massenverelendung (s. S. 99 der vorliegendenArbeit).

46 HVZ v. 21.2.1927.47 Beispielsweise im Wörterbuch Geschichte Bd. 2, S. 898-900, 1984 vom Pahl-Rugenstein Verlag in Köln publiziert,

das als Lizenzausgabe zum Vertrieb in der BRD und in Westberlin die Ausgabe des Dietz Verlags, Berlin, übernahm.48 Z.B. Mallmann, 1996, S. 193 und passim.49 Winkler 1998, S. 305. Als Hanns Eisler im Juli 1928 seine Besprechung über Hindemiths >Cardillac< in der

Krolloper „Relative Stabilisierung der Musik“ überschrieb, dürfte er den kommunistischen Terminus im Hinterkopfgehabt haben (Die Rote Fahne Nr. 154 v. 3.7.1928).

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In Diskussionen um meine Arbeitsergebnisse wurde an mich die Frage herangetragen, warumich den RFB in der Titelansetzung auch als „deutsche Rote Armee“ bezeichnet habe, obwohldiese Bezeichnung bislang unüblich sei. Die Begründung dafür ist einfach.50

Die russische „Rote Armee“ war den rebellierenden deutschen Soldaten von Beginn an einVorbild. In den Zeiten revolutionärer Turbulenzen wurde anfänglich die Bezeichnung „RoteArmee“ wie selbstverständlich benutzt - von den Kampfgruppen des Spartakus, in München inder Bayerischen Räterepublik oder im Ruhrkampf (Rote Ruhrarmee). Auch Mallmann gebrauchtsie in der Überschrift seines zweiten Kapitels „Nischengesellschaft oder rote Armee?“.Allerdings betrachtet er in der darunter geführten Diskussion die gesamte Partei, was wenig Sinnmachen dürfte, da der zweite Teil seiner Fragestellung höchstens für den M-Apparat der KPD (s.Kap. 2) in Betracht käme. Lediglich in seiner Beurteilung bezüglich des RFB nähert er sich die-ser Frage ernsthaft an (dort nennt er viele Argumente, die alle auf den RFB zutreffen, aber ebenimmer nur jeweils auf einen Teil des Bundes bzw. eine bestimmte Interessengruppe). MallmannsBeurteilung des RFB als „Antwort auf die revolutionäre Flaute in der Phase der relativenStabilisierung“51 berücksichtigt nicht, daß eine derartige Flaute bereits zur Zeit derProletarischen Hundertschaften real vorhanden war. Sein abschließendes Ergebnis, „die vorbe-reitende Schaffung einer roten Armee“ sei „in Deutschland eine Utopie“, zitiert mit Wolfgangvon Wiskow lediglich eine negative Stellungnahme, deren Absender außerdem zu jenemZeitpunkt dem M-Apparat der Partei angehörte, dessen Mitglieder den RFB überwiegend alsKonkurrenz ansahen und seine Gründung ablehnten. Außerdem stellt die Bewertung „Utopie“keinen Beleg für die Nicht-Existenz einer Roten Armee dar. Auch die dilettantischeDurchführung des Aufstandsversuch des Jahres 1923, der kaum als Revolutionsversuch zu wer-ten ist, war „Utopie“ und wurde doch von führenden russischen Politikern und Generälen sowieder Leitung der KPD begonnen.

Maßgeblich bei der Gründung des Bundes war die vom EKKI beschlossene IntentionSinowjews, die die Beibehaltung der Frage des bewaffneten Aufstandes und der Eroberung derMacht beinhaltete. Dem RFB wurde als Nachfolgeorganisation der ProletarischenHundertschaften auch deren Funktion als Auffüllmasse für den M-Apparat zugeordnet.52

Bestätigt wird diese Einschätzung im weiteren Verlauf beispielsweise durch die Schilderung desinternen Szenarios nach dem II. Reichstreffen, als die Bundesleitung Ausschreitungen von Seitendes RFB auf die Linken in Partei und Bund schob (s. S. 106). In dieser Phase der striktenDurchhaltung des Legalitätskurses wurde nicht die Frage des Aufstandes problematisiert, son-dern lediglich der Zeitpunkt.

Von zentraler Bedeutung ist darüber hinaus auch die Ideenwelt eines großen Teils derMitglieder und die Vorstellung eines bedeutenden Teils der RFB-Führung. Partei und Bundwaren zum Zeitpunkt der Gründung ein Sammelbecken unterschiedlichster Vorstellungen überdie Zukunft, innerhalb derer die Bewaffnung, die militärischen Übungen und der Drang zur

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50 Zur folgenden kurzen Diskussion s. Kap. 2 der vorliegenden Arbeit und die dort angegebene Literatur.51 Mallmann, S. 193; s. Kap. 2. Ein wesentlicher Faktor einer zeitweisen Stabilisierung in Deutschland waren die

Niederlagen der Linken und der Rechten von 1923. Sie war für die Gründung des RFB von größerer Bedeutung alsdie ökonomische, die sich für die Mitglieder des Bundes ohnehin erst später - nicht 1924/25 - bemerkbar machte.

52 Vgl. dazu S. 79. In einem Schreiben der Zentrale der KPD an die Bezirksleitung Wasserkante wird die engeZusammenarbeit im Februar 1925 zwischen RFB und M.-Leitung einerseits sowie dem O.D. andererseits deutlich,die sich zusätzlich in der Person Max Engels zeigte, der Leiter der Zentral-Agitprop der KPD und im Ressort 40 inder Leitung des RFB, sowie gleichzeitig im Ressort 20 der Reichs-M-Leitung tätig war. Außerdem geht aus dem bei-liegenden Rundschreiben hervor, daß der RFB „als ‘aktive Kampftruppe’ im Bedarfsfalle der M-Leitung unterstelltwird“.

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Aktion das entscheidende Motiv für die Mitgliedschaft darstellte.53 Insbesondere in der Frage derSchutzfunktion traf sich auch die Einbeziehung des RFB in die Theorie der Einheitsfront vonunten mit der Fraktion um Radek und Trotzki.

Schuster, der das Kommandoreglement des RFB als ein „Kuriosum aus der Zeit vor der 2.Reichskonferenz“ bezeichnet und auf die fast gänzliche Übernahme des gleichen Dokuments ausdem Reichsheer hinweist, sieht gerade in dessen Existenz den Beleg für einen „unmilitärischen“,ja „Agitprop-Charakter“ des Bundes.54 Eine Darstellung, der widersprochen werden muß. Wennauch der RFB in der Tat in den Jahren 1925 bis 1927 und bedingt 1928/29 in erster Linie einePropaganda-Armee der Partei war, so bleibt festzustellen, daß die Einübung des - später in meh-reren gedruckten Auflagen verbreiteten - Kommandoreglements Grundlage der Auf-, An- undVorbeimärsche war, die eindeutig militärischer Natur waren. Darüber hinaus sind die (para-)mili-tärischen Praktiken - wenn auch nachweisbar eher von den Gruppen in den (Groß-)Städten aus-geübt - unverkennbar. Die Kontinuität, die in Kapitel 2 am Beispiel der Traditionslinie kommu-nistischer Soldatenverbände dargestellt wird, zeigt sich beim RFB nicht nur in der angesproche-nen Klientel, sondern auch in Gestalt handelnder Personen,55 und die oben dargestellten eindeu-tig militärischen Überlegungen zeigen die andere Seite des Bundes.

Auch beim Wehrsport zeichnete sich eine deutliche Entwicklung von den reinen Marschier-,Exerzier- und Sportübungen zu praxisbezogenen militärischen Übungen ab. Ergänzend zumWehrsport (Boxen, Jiu-Jutsu oder Schießen) wurden Geländemarsch und -übungen zunehmendum wehrsportliche Praktiken wie, Entfernungsschätzen, Demonstrationsübungen, Kartenlesenoder Morse-Alphabet-Erlernen ergänzt.56 Das „Räuber und Schampampel“-Spiel wurde vonkonkreten militärischen Planspielen abgelöst. Bei einer Übung „Weiß“ gegen „Rot“ am 23. Juni1929 in den Hohburger Bergen in der Nähe von Leipzig waren die Aufgabenstellungen beiderGruppierungen klar umrissen und lassen keinen Zweifel an ihrer Einordnung zu. Beispielhaft seidie „Aufgabe rot“ zitiert:

„Einleitung: Die Angriffe der weissen Truppen an allen Grenzen der Sowjet-Union machtenes notwendig, dass in wichtigen Industriebezirken hart an der Grenze, grössereFormationen der roten Truppen konzentriert wurden. So ist Leipzig und Wurzenstark von Rotgardisten besetzt. Ein grössere Formation liegt auf vorgeschobenemPosten in der Nähe Hochburgs. Trotzdem muss festgestellt werden, dass derüberraschende Einbruch der weissen Truppen zum grossen Teil als gelungen gel-ten kann.

Aufgabe: Die weissen Truppen sind ins Sowjetgebiet eingebrochen und haben eine Reihewichtige Gebiete, Fabriken und Bergwerke besetzt. Zwischen Röcknitz undThammenhain ist der Durchbruch vollkommen gelungen, so dass anzunehmenist, dass der Feind die Linie von Steinberg bis Burzelberg schon besetzt hält undalle Massnahmen deuten darauf hin, dass er sie auch stark sichern wird. Die rotenTruppen haben die Aufgabe, das besetzte Gebiet von den Weissen sofort zu säu-bern (ehe durch diese eine stärkere Befestigung überhaupt möglich ist.).“57

Eine Selbstdefinition des RFB als „Rote Armee“ dürfte in den ersten drei Jahren aufgrund dereigenen Niederlagen - besonders jener von 1923 - u.a. aus Mangel an Selbstvertrauen und der

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53 Wenn auch die Vorstellungen der Anfangsphase besonders in der Vorverbotszeit wieder stärker an Boden gewannen,so zeigt doch Andrés’ Gedanke - bei einem Verbot würden die „Flauen gesiebt“ (s. S. 354) - beispielhaft, daß dasBild einer Formation wie jene einer Roten Armee permanent vorhanden war.

54 Schuster, S. 67. 55 Beispielhaft genannt sei Holtmann in Bremen (StaHB 4,65-1286/11, Bl. 140). 56 „Warum Wehrsport?“, S. 1-13, SAPMO FBS 310/13144, I 4/2/13, Bl. 6-18. 57 Wehrsport Disposition Nr. II, SAPMO FBS 310/13144, I 4/2/13, Bl. 22.

Ausgangslage

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enormen Überhöhung der russischen Militärformation zu erklären sein. Mit dem zehntenJahrestag der russischen Roten Armee fand ihr Name verstärkt Eingang in die Propaganda vonPartei und Bund. Bereits im Vorfeld der Veränderung der Politik ab ca. 1928 wurden dem RFBabweichende Bezeichnungen gegeben (z.B. „Wehrorganisation des Proletariats“), die sich nachvollzogener Richtungsänderung konkretisierten. Der 1928/29 proklamierten „Schaffung einerRoten Wehrinternationale des Proletariats“ ging die seit 1925 versuchte Einbeziehung ausländi-scher „Bruderorganisationen“ voraus, deren militärischer Charakter nach anfänglichemAustausch von Grußadressen zunehmend deutlicher wurde. Die Darstellung der Roten Armee als„Internationale Armee des Weltproletariats“ mit dem „Führer“ Stalin, die mit der verstärktenProklamation des „Bürgerkriegs dem imperialistischen Krieg“ einherging, ließ dann offensicht-lich auch die demonstrative Darstellung der RJ als „die jüngsten Rekruten der Roten Armee“58

selbst zu.

Die Pioniertätigkeit der vorliegenden Arbeit liegt in der Aufarbeitung der Agitations- undFestkultur des RFB - nicht jener der KPD. Trotz der organisatorischen Nähe, der personellenGemeinsamkeit zur Mutterpartei sowie deren politisch bestimmenden Einflusses behandelt dievorliegende Darstellung die KPD nur am Rande. Diese hatte in Ermangelung einer eigenen -kommunistischen - Tradition seit Januar 1921 mit Nachdruck darauf gedrungen, „das politischeMärtyrertum von Luxemburg und Liebknecht heranzuziehen“59. Seit jener Zeit fand keineParteiveranstaltung ohne deren Bilder an der Wand statt und alle Parteibezirke wurden aufgefor-dert, Demonstrationszüge zu organisieren, an deren Spitze der Marsch zu den Gräbern von „Karlund Rosa“ auf dem Berliner Friedrichsfelder Friedhof stand. Darüber hinaus gab es z.B. ersteDurchführungen eines Antikriegstags und Würdigungen der russischen Revolution. DieAusbildung eines durchstrukturierten Agitationskalenders fand jedoch erst in derPropagandaphase des RFB und mit dessen Hilfe und teilweise Federführung statt.

Von besonderem Interesse ist die Aktivität von Laienmusikern innerhalb der kommunisti-schen Arbeiterbewegung, da einerseits in der wissenschaftlichen Kenntnisnahme dieInstrumentalmusik dieses Genres bei Komponisten wie Hanns Eisler, Kurt Weil, Paul Dessauusw. endet, und andererseits die damalige kulturpolitische Vorstellung der KPD in demWiderspruch stand, daß eine spezifische Arbeiterkultur erst mit der Erreichung des Sozialismusmöglich sei, von der Organisation aber Orchester aufgebaut und Richtlinien zur musikalischenPraxis herausgegeben wurden.

Abschließend sei noch auf einige Formalien hingewiesen. Die Daten von Personen wurdenaufgrund der großen Anzahl überwiegend aus den in der Arbeit benutzten Quellen übernommen,ohne ihren Wahrheitsgehalt überprüft zu haben, da das den Rahmen der Arbeit sprengen würde.Auch wurde aufgrund der Fülle von orthographischen Fehlern darauf verzichtet, diese gesondertzu kennzeichnen. Trotzdem können die Daten jeweils Ansätze für weitergehende Überlegungenbieten oder bislang vorhandene Lücken schließen. Die Kurztitel der Materialien aus den Staats-oder Landesarchiven, die teilweise in einem gesonderten Register verzeichnet sind (R 9), wurdenmit einem Zusatz der eigenen Archivierung versehen. Dieser besteht aus einem Schrägstrich undeiner Numerierung im Anschluß an die erste Archivierungskennzeichnung (z.B. LAS 301-4545/7...).

20

58 5 Jahre R.F.B., S. 17.59 Angress, S. 126.

Aus

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1 DIE SCHALMEI (MARTIN-TROMPETE) VON DER „HUPPE“ ZUM BLASINSTRUMENT

Max Bernhard Martin: Vom Signalhorn zur TrompeteMax Bernhard Martin wurde am 7. März 1874 im thüringischen Markneukirchen geboren.1

Als gelernter Kaufmann trat er in die 1891 gegründete Firma MCR Andorf ein und arbeitete sichim Laufe der Zeit zum Mitbesitzer hoch, so daß der Nameder Firma zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Pfretschner undMartin umbenannt wurde. Nachdem die Firma anfänglichInstrumentenfamilien hergestellt hatte und darin derTradition des Vogtlandes gefolgt war, fand in den 20erJahren eine Veränderung der Produktion statt, die durch eineneue Namensgebung in Deutsche SignalinstrumentenfabrikMax B. Martin zum Ausdruck kam.2

Martin galt als Tüftler, der immer neue Ideen entwickel-te, unter denen sich manche Kuriosität befand. So ließ ersich beispielsweise 1907 eine Idee patentieren, die aucheinen ersten aktenkundigen Zusammenhang von Hupe,Musikinstrument und Militär aufzeigt. Danach sollte derbiegsame Schlauch einer Automobilhupe in die Feldtrom-pete der berittenen Truppen eingefügt werden - und zwardergestalt, daß er Mundstück und Schalltrichter miteinanderverbinden konnte. Die nun entstandene Möglichkeit, einengeschlossenen Ring herzustellen, würde es dem Musikantenerlauben, sein Instrument „bequem über der Achsel“ zu tra-gen. In dem Patent heißt es u.a. weiter: „Der Schlauch kannüberall gleich weit sein oder zwecks besserer Schallwirkungsich nach dem Ende zu erweitern“.3

Weitere Patentanmeldungen Martins folgten überraschenderweise erst in der zweiten Hälfteder Zwanziger Jahre und machen demzufolgen die genaue Einordnung der realen Entstehungschwierig:

16. Aug. 1927 Blechblasinstrument mit einer Anzahl selbständiger, mit Zungenstimmenversehener Tonerzeuger. (Das ist die 16-tönige, chromatische Martin-Trompete mit vier Ventilen)4

21

1.1

1 Martin starb 1938 an der Parkinsonschen Krankheit. Die persönlichen Daten und Informationen sind einem Interviewentnommen, daß der Autor mit dem Enkel des Erfinders und jetzigen Firmeninhaber, Otto Günther, am 21. Mai 1992in Philippsburg führte. Soweit nichts anderes angegeben ist, beziehen sich die Darstellungen, die bereits größtenteilsin dem Informationsblatt Nr. 13 vom Februar 1993 des e.V. Musik von unten enthalten sind, auf dieses Gespräch.

2 Nach Günther hatte Martin bereits mehrere Jahre vorher seinen Partner ausgezahlt. 3 Patentschrift Nr. 201093, Kaiserliches Patentamt, Patentiert: Deutsches Reich vom 13. August 1907, ausgegeben am

6. August 1908. 4 Patentschrift Nr. 503 951, Klasse 51c Gruppe 24, M 100936 VIIIa/51c, Tag der Bekanntmachung über die Erteilung

des Patents: 17. Juli 1930, “patentiert im Deutschen Reiche vom 16. August 1927 ab“.

Abb. 1 „Blasinstrument“

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3. Juli 1928 Blasmusikinstrument (Hier handelt es sich um die sogenanntenKlarinetten)5

3. Juli 1928 Zusatz zu Patent 540 818: dadurch (...), daß als Tonerzeuger an sich bekann-te, mit einer Stimmvorrichtung in Form eines verstellbaren Kolbens (b) ver-sehene Lippenpfeifen (a) vorgesehen sind.

3. Febr.1929 Signalhupe mit einer oder mehreren Gruppen gleichzeitig erklingenderTonerzeuger .6

Martin’s Signalinstrumente waren in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu finden, zudenen neben dem Militär u.a. auch die Schiffahrt (Nebelhorn) oder der Grubenbau (Warnung imSteinbruch) gehörten. Der wirtschaftliche Durchbruch aber steht in enger Verbindung mit derEntwicklung des 1886 erfundenen Autos, nachdem der Erfinder mit dem alten Karl Benz durchMannheim fuhr und verschiedene Auto-hupen ausprobierte. Mit der Zunahme desKraftfahrzeugverkehrs entwickelte sicheine regelrechte Hupenkultur, über dieein ganzer Katalog von BallhupenAuskunft gibt.7 Nach dem Motto Der Tonmacht die Musik wurde das Statussymbol‘Auto’, das damals ohnehin nur wenigenzur Verfügung stand, zusätzlich nach demKlang seiner Hupe unterschieden: Je tie-fer der Ton, desto vornehmer das Auto.Da ein tiefer Ton einen langenSchallbecher benötigt übertrug Martinseine Erfindung der militärischenFeldtrompete auf die Autohupen. Eine Ballhupe, bei der der Schlauch der Tonträger war, ließ ersich in der ganzen Welt patentieren. Sie nannte er nicht nur Boa Konstriktor, sondern ließ sogareines der Exemplare, die Nr. 3556, „mit Schlangenkopf und innen liegendem Sieb“ bei einemAufpreis von M. 17,- produzieren (s. Abb. 15).8 Der Hang zum Spielerischen wird auch durcheine Anlage deutlich, die Martin in seinen eigenen PKW einbaute. So ordnete er eine ganze Reihevon Hupen wie eine waagerechte Orgel an, die von innen zu bedienen war.9

22

1.1

5 Deutsches Reichspatent Nr. 540 818, Klasse 51c, Gruppe 24, M 105 485 VIIIa/51c. Tag der Bekanntmachung überdie Erteilung des Patents: 10. Dezember 1931. Zu Erfindung heißt es u.a., daß: der Erfindungsgegenstand durch einBlasinstrument mit einer Anzahl selbständiger Tonerzeuger gebildet (wird), bei welchem zur Erzeugung besondererKlangwirkung zylindrische Schallrohre in Verbindung mit Zungen- oder Lippenpfeifen verwendet und die einzelnenTonerzeuger durch einen Ventilsatz üblicher Art (weniger Ventile als Tonerzeuger) einzeln nach Wahl mittels einesnur eine Anblasöffnung aufweisenden Mundstücks zum Tönen gebracht werden.

6 Deutsches Reichspatent Nr. 512 689, Klasse 74d, Gruppe 3, M 108623 VIIIa/74d. Tag der Bekanntmachung über dieErteilung des Patents: 6. November 1930. Der Patentanspruch wurde dadurch gekennzeichnet, daß in jeder Gruppevon Tonerzeugern zwei oder mehr nahezu gleichgestimmte Tonerzeuger (a, b; d,e) mit einem oder mehreren, etwaeine Oktav tiefer als sie erklingenden Tonerzeugern (c,f) vereinigt sind.

7 Deutsche Signal Instrumenten-Fabrik Pfretschner & Martin, Markneukirchen i.S., Illustrierte Preisliste Nr. 50 überalle Arten Cornets (Huppen) für Fahrräder und Kraftfahrzeuge sowie über eine Auswahl für Automobilfahrerbesonders geeignete Signalhörner (Rufhörner), Fanfaren-Trompeten und Signalpfeifen. Der Katalog war bereits eini-ge Jahre alt, als Max B. Martin auf einem zusätzlich eingehefteten Zettel den Vermerkt anbrachte: “Ich habe michveranlasst gesehen, den Wortlaut meiner Firma ‘Deutsche Signal Instrumenten Fabrik Pfretzschner & Martin’, inwelche ich seit 1893 (damals M.C.R. Andorff) tätig bin und deren alleiniger Inhaber ich seit dem Jahre 1906 war, inDeutsche Signal-Instrumenten-Fabrik Max B. Martin abzuändern.“ Datiert ist dieser Zusatz mit dem 2. Jan. 1925.

8 Katalog Nr. 50, S. 22ff.; Patentschrift Nr. 201093. 9 Ein Foto dieser Kuriosität befindet sich im Besitz von Otto Günther.

Abb. 2 Patentschrift 540.818: „Blasmusikinstrument“

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Mit der Vergrößerung des Tonumfanges durch eine Verdoppelung der Schalltrichter ergabsich eine funktionale Unterscheidung.

A. Der WarncharakterDie Warnfunktion wird am deut-lichsten durch einen tremolieren-den Effekt zweier Schalltrichtererzeugt, deren Stimmung gering-fügig differiert. Ein Klang, denwir heute noch von elektrischenMartinshörnern kennen (z.B. beider Bundesbahn). Dieses Signal-instrument brachte Max Martinungefähr um die Jahrhundertwen-de zur industriellen Fertigung.Bekannt wurde es seinerzeit besonders bei der Feuerwehr.

B. Vervielfältigung der Töne in IntervallenDer schrille, weithin vernehmbare Ton der Schalmei wird durch eine aufschlagendeMetallzunge erzeugt, die mit einer folgenden Bündelung von 4, 5, 6, 8 oder 16 derartiger

23

1.1Rubrik Seite Rubik Seite1-tönige Cornets 4-12 Martin's 2-tönige Cornets / Brummerton-Cornets 42Mehrfach gewundene Cornets 13 Verschiedene Cornets 43Tiefklingende Huppen 14 Sprachrohre mit Signal- Einrichtung 44/45Zweiwindige Automobilhuppen 15 Martin’s 4- u. 8-tönige Fanfaren-Trompete 46Ein-, Zwei- und Mehrwindige Automobil-Cornets 16-19 Martin’s ‘Kaiser’-Fanfaren’-Trompete 46Große Automobil-Cornets 17 Martin’s Auto-Akkord-Fanfare 47Posthorn-Huppen 17 Martin’s Fanfaren-Trompete mit Opern-Motiven 47Saxophon-Cornets / Zylinder-Cornet 21 Martin’s 2- u. 4-fache Akkord-Fanfare 48Martin’s Patenthuppen ‘Boa Constrictor’ 22-29 Martin’s Tremolo-Horn 49Martin's Patent Motor Horns 'Boa Constrictor' 22 Doppelton-, Dreiklang- u. Vierklang-Rufhorn 49Martin's Cornet 'Boa Constrictor' 22 Martin's Tremolo-Fanfare 50Gebläse-Huppen 30 Martin's 2-tönige Auto-Signal-Trompete 50Kombinierte Gebläsehuppen 31 2-töniges Rufhorn 50Martin's Patent-Konzerthuppe 32/33 1-tönige Signalhörner (Rufhörner) 51Martin's Doppelton-Cornets 34 Signal-Pfeifen 52Dreiklang- (Vierklang-) Cornet 35 Torpedo-Cornets 53Martin's Akkord-Huppen (Dreiklang u. Vierklang) 37 Metall-Schläuche / Metall-Siebe;Martin's Doppelton-Cornets 38 Staub- und Regenschutz-Membrane;Martin's Tremolo-Huppen 39 Wind-Schutzsieb; Ersatzteile 54-56Cornets mit Tretbalg 39/40 Übersichts-Tabelle über die Stimmung u.Cornets mit Luftpumpe 41 Nummernverz. d. verschiedenen Cornets 57

Tab. 1 Rubriken aus dem Katalog (‘Preisliste Nr. 50’), ca. 1926 - Beispiele s. Abb. 13-18

Abb. 3 Signalhupe mit einer oder mehreren Gruppengleichzeitig erklingender Tonerzeuger, PatentNr. 512.689.

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Schallröhren und einer Konstruktion von zwei oder drei Ventilen in den musikalischenBereich vorstieß. Da bereits die Verdoppelung von Tonerzeuger und Schalltrichter zur Nutzung unterschied-

licher Töne in Folge ein Ventilsystem erforderte, war der Weg zur Vervierfachung nur folgerich-tig. Martins Ventilkonstruktion erlaubte, daß jeder Ton einzeln erklingen konnte, was für jedendieser unabhängigen Tonträger die Möglichkeit eigener klang-

licher Reinheit bedeutete. Als Signalewurden neben den Vorbildern derKavallerie-Trompeten auch Opern-und Operettenmotive angeboten, wiez.B.:

Du lieber Schwan (Lohengrin von R.Wagner)

Aida-Ruf (Aida von G. Verdi)

Schon bald genügten aber dievier Schalltrichter nicht mehr dengeweckten Ansprüchen. EinInstrumententyp mit einer notwendiggewordenen fünften Röhre, wie es fürdie Opernmotive

Siegfried-Ruf (Siegfried von R. Wagner)

Aida-Trompetenruf (Aida von G. Verdi)

benötigt wurde, konnte naturgemäß nur eine Zwischenstufe sein. Die hierfür erforderlichen 3Ventile ermöglichten insgesamt 2 hoch 3 also 8 Möglichkeiten. Ein diatonisches Instrument mit8 Tönen soll bereits im Jahr 1906 gebaut worden sein, kam aber anscheinend nur selten zumEinsatz. Ein Grund hierfür könnte in dem Mißerfolg einer als Verkaufstrategie gedachten Aktiondes Erfinders liegen. Max Bernhard Martin schenkte dem deutschen Kaiser ein aus Silber gefer-tigtes Instrument mit zwei Ventilen und vier Schalltrichtern, von dem der deutsche Monarch wohl

sehr angetan gewesen war - erbestimmte jedenfalls, daß derGebrauch der Hupe ausschließlichdem Fuhrpark der kaiserlichenFamilie vorbehalten sei - worausauch der Name Kaisersignal resul-tierte.

Die Signalmotive erfreuten sichaber auch zunehmend bei denRadfahrer-Vereinen großerBeliebtheit, die das Instrumentwährend der Fahrt vielfältig einset-zen konnten.10 Auch die Feuerwehrund die Turner benutzten die Hupenfür Zwecke, die über eine reine

24

1.1

Abb. 6 Katalog Nr. 62 ca. 1930 (Titelblatt)

Abb. 4 Patent Nr. 503.951 Abb. 5 Patent Nr. 543.629

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Signalfunktion hinausreich-ten.11

Spätestens 1926 bildeten 10verschiedene Martin-Trompe-ten eine ganze Instrumentenfa-milie. Über jeweils 8 Töne ver-fügten Pikkolo, Sopran, Alt undBariton. Die Oktav- oderDoppel-Trompete (eine additi-ve Kombination von Sopranund Pikkolo) brachte es bereitsauf 16 Töne, jeweils zwei Töneim Oktavabstand wurden gleich-zeitig geblasen. DreiBegleitinstrumente konnten ins-gesamt 7 verschiedene Akkorde intonieren und zwei viertönige Baßinstrumente sorgten zusätz-lich für die nötige Tiefe. Gemeinsam verfügten die Instrumente über einen Tonumfang vom gro-ßen G bis hin zum dreigestrichenen g, also über 4Oktaven (s. Abb. 11). Darüber hinaus gab es eben-falls seit ungefähr 1926 eine vierventilige, chromati-sche Trompete.12

Die Entwicklung ab 1930Ab ca. 1930 wurde das elektrisch betriebene

Gebläse für das Martin-Horn eingeführt, das ab 1932insbesondere von Feuerwehr und Polizei als„Sondersignal für bevorrechtigte Wegbenutzer“ ver-wandt und zum Haupterzeugnis der Firma wurde.13

„Bis zum 2. Weltkrieg war jedes Sondersignal andeutschen Polizei- und Feuerwehrfahrzeugen auchtatsächlich ein MARTIN-HORN, d.h. ein von derFirma MARTIN hergestelltes Gerät.“14 1950 wurdendie Eigentümer in der DDR enteignet und inhaftiert.Ab 1952 begann Otto Günther in Philippsburg dieFirma neu aufzubauen. Seit ca. 1960 wurde auch dieHerstellung von Schalmeien wieder aufgenommen,

25

1.1.1

Abb. 8 Titelblatt eines Huppenkatal-oges

Abb. 7 Instrumentenfamilie (Schule v. Sept. 1926 u. Katalog Nr. 62,ca. 1930)

10 Inwieweit auf die damals organisierten Radfahrer die Aspekte ‘technischer Fortschritt’ oder ‘Statussymbol’ bzw.‘Konkurrenz’ oder ‘Emanzipation’ gegenüber dem Auto zutreffen, bleibt einer späteren Untersuchung vorbehalten.

11 Auch der Gebrauch unterschiedlicher Hupen bei Feuerwehr und Turnern bedarf noch einer Untersuchung und gesell-schaftlicher Einordnung.

12 D.R. Patent vom 16.8.1927 Nr. 503 951. 13 Was ist ein MARTIN-HORN?, Selbstdarstellung der Deutsche Signal-Instrumenten-Fabrik Max B. Martin KG o.J.

(ca. 1974), in der es u.a. weiter heißt: “Die Bezeichnung ‘Martin-Horn’ ist als Warenzeichen Nr. 809 590 geschützt“. 14 Ebd.

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die sich seitdem zunehmender Beliebtheit erfreuten. 1976 hieß es in einer Veröffentlichung überdie Martin-Trompete:

„... nachdem vor 15 Jahren in Fischbach am Bodensee die erste Kapelle mit diesenBlasinstrumenten einen neuen Typ begründete, zog vor vier Jahren die Ravensburger ‘Schwarze-Veri-Zunft’ nach. Inzwischen gibt es in Oberschwaben insgesamt acht solcher Kapellen.“15

In Südwestdeutschland und in der Bodenseegegend hat sich seitdem eine neue Tradition umdiese Instrumente etabliert. Sie wurden vor allem von Narrenzünften bei ihren Umzügen undFesten verwandt, die Michael Pauly folgendermaßen beschreibt:

„... meist ungenutzt bleiben Möglichkeiten, in der närrischen Zeit mit entsprechenden ‘Musi,’-Instrumenten zum allgemeinen Spaß beizutragen. Die furchtbarschöne Guggen-Musik ist einewohl kaum verpflanzbare Schweizer Spezialität.Selbst sonst ideenreiche und aktive Zünfte oderVereinigungen haben Schwierigkeiten, Kindernur für einen Umzug oder Wettbewerb zu einer‘Kläpperlesmusik’ mit allerlei selbstgebasteltenTonerzeugern zusammenzubringen.“

Die verstaatlichte Firma in Thüringen produ-zierte ebenfalls weiter, allerdings nach der altenMethode. Den entscheidenden Unterschied in derProduktionsweise beschreibt Otto Günther:

„Die Ventileinrichtung war früher und auch spä-ter in Markneukirchen aus Blech gebaut. Das istein Blechmantel. Und da sind dann solcheVersperrungen drin’. Alles ist mit Zinn gelötet,von vorn bis hinten. Nach dem ersten Ventil bil-den sich zwei senkrechte Kammern, nach demzweiten vier - also wie ein Kreuz - und dann mußnatürlich jeweils, jedes Ventil mit halbmondför-migen Keilen abgesichert sein. Dann kommennach dritten Ventil 8 Kammern. Das ist eineunwahrscheinlich schwierige Arbeit. Ich kannmich noch erinnern, wir hatten da einenSpezialisten, der so ‘ne ruhige Hand zum Lötenhatte und auch so viel Geschick bewies, daß,wenn er vorne anfing zu löten und hinten aufhör-te, vorn noch alles so schön fest zusammen hieltwie am Anfang. Denn das Lot kommt nur dannzum Fließen, wenn auch das Metall eine entspre-chende Hitze hat. Wenn man mal als Bastler waslötet, weiß man das. Also, wenn Sie ein Kabelanlöten wollen und das Kupfer nicht einebestimmte Temperaturhöhe erreicht hat - das könn’n se dann mitunter gar nicht mit der Handanfassen - dann hält die Verbindung nicht. Und das war hier die Schwierigkeit, diese Sachen nundicht zu bekommen, das die Luft nicht in eine Kammer ging, wo sie nicht rein sollte. Das waralso unheimlich schwierig. […] Ich hätte niemand finden können, der erstens so gut lötet wie dermir bekannte Spezialist noch in Markneukirchen das gemacht hatte. Und wir hatten - das ist alsodann hier meine Idee dazu gewesen - wie haben das aus einem massiven Stück gemacht. Das ist

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1.1.

1

15 Die achttönige Martin-Trompete. Auch sie hat ihre Geschichte und Literatur. Selbstdarstellung in: Instrumentenbau- musik international, Heft 6, Dezember 1976, Verlag F. Schmitt OHG, Siegburg. Eingeleitet mit der Bemerkung:“Unser Mitarbeiter Michael Pauly in Ravensburg ergänzt das von der musikalischen Seite her“.

Abb. 9 Werbung im Programmheft zum RotenTag des RFB in Bramfeld am 30./31.Oktober 1926

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also eine Aluminiumlegierung, die wird dann bei uns auf einer Fräsmaschine mit Bohrungen ver-sehen. Und zwar zunächst mal 4 Bohrungen die bis hierher durchgehen, zwei Bohrungen, dievon hier durchgehen und 8 Bohrungen, die dann nur von hier vorn bis hier hingehen. Das ist eineFräsarbeit, die man ursprünglich auf einer normalen Fräsmaschine gemacht hat und jetzt mit ‘nerCNC-Fräsmaschine. Die hat man gut im Griff. Dann werden die Ventilbüchsen eingeklebt unddas ist dann hundert prozentig dicht. Also bei uns passiert das nun auf keinen Fall, das zwei Tönezugleich kommen. Diese Instrumente, bei denen ist das eben passiert. In den letzten Jahren sindnoch ziemlich viel in Markneukirchen nach diesen alten Vorrichtungen meines Großvatersgebaut worden. Ich hab’ also schon mitunter mal so ‘ne Reparatur da gehabt - muß man mehroder weniger wegschmeißen. Das ist also - ist schade, sieht Äußerlich gut aus - dieses Instrumenthat aber den Nachteil, das es ein kleines biß’l schwerer ist, denn trotz der Alu-Legierung, es istein massives Teil. Hier war’s nur Blech. […] So ein 16töniges ist dann natürlich ziemlich schwer.Aber das wäre auch schwer, wenn diese Ventileinrichtung aus Blech sind. Das wäre also keingroßer Unterschied. Aber mit dieser Konstruktion war das eigentlich gar nicht mehr zu schaffen.Hier hätte ich, wo ich diese Spezialisten, wie wir sie im Vogtland hatten, nicht habe, hätte ich’salso sowieso nicht habe, also mußte ich auf irgend ‘ne andere Technik übergehen. Und das istalso jetzt die, die wir gefunden haben - und die Kunden sind soweit recht zufrieden mit dieserLösung.”

Liederbücher und NotendruckeErste Notenblätter und -hefte wurden in primitiver Eigenarbeit von dem befreundeten, orts-

ansässigen ‘Musikdirektor a.D.’, Charles Paul Jäpel, in Handarbeit angefertigt. Während diesesich nachträglich nicht mehr datieren lassen, ist die professionell gefertigte „Praktische Schulezur schnellen und richtigen Erlernung der 8-tönigen Martin-Trompete“ im September 1926 her-ausgegeben worden. Enthalten sind neben einer kurzen Einführung in Notenschrift und Tempi-Bezeichnungen einfache Übungen, die unterteilt sind nach:

‘Sopran-Trompete, Bariton-Trompete, Pikkolo-Trompete und Oktav-Trompete’ (1. Abteilung), ‘Alt-Tromete’ (2. Abteilung), ‘Baß Trompete’ (4. Abteilung - 3. Abt. fehlt), ‘Begleitungs-Trompete’ (5. Abteilung).

Nur für die 1. Abteilung sind alsÜbungsstücke die folgendenMelodien vorgesehen:

‘Guter Mond’ (Nr. 13), ‘Die drei Reiter (Nr. 14), ‘Heidenröslein’ (Nr. 15), ‘Andreas Hofer’ (Nr. 16), ‘Der Wanderer’ (Nr. 17), ‘Heil dir im Siegerkranz’ (Nr. 18), ‘Klage’ (Nr. 19), ‘Nun leb’ wohl, du kleine Gasse’ (Nr.20) und ‘Weihnachtslied’ (Nr. 21)

Als Anhang folgt ab Seite 22 dasAlbum I, das „10 in Partitur gedruckteMärsche u. 1 Walzer für die 4-fache (6-stimmige) Grundbesetzung der Martin-Trompeten-Musik“ enhält. Desweiteren ist ein Notenverzeichnis, eine Tabelle über den ‘Tonumfang der

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1.1.2

Abb. 10 Martin-Trompeten Schule v. P. Jäppel, September1926

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Martin-Trompeten-Musik’ und eine Abbildung der Instrumentenfamilie mit Hinweisen über dieGrundbesetzung A und B angefügt.

In der Schule bietet die Lieferfirma Vereinen oder Korporationen an, auf Anfrage einen‘Instruktor’ zu vermitteln, der „ein befähigtes Mitglied des betr. Musik-Chores zum späterenDirigenten desselben“ ausbilden würde. Als Schlaginstrumente werden Trommel, Becken undkleine Trommel empfohlen (S. 19). Die Partitur des 1. Albums ist für die kleine Besetzung(Sopran, Alt, Akkordbegleitung und Baß) gesetzt, mit dem Hinweis, das für die erweiterteBesetzung die Noten „für die Sopran- Trompete zugleich für Pikkolo, Oktav und Bariton“ gelten(S. 22). Am Schluß des Heftes wird die Erweiterung der Grundbesetzung A erklärt.

„Für 2 Oktaven Tonumfang durch mehrfache Besetzung der einzelnen Instrumente, vor allem derSopranstimme und vom Baß“.„Auf 4 Oktaven Tonumfang zur Besetzung B durchHinzunahme von Pikkolo-Trompete, (Doppel-Oktav-Trompete), Bariton, tiefer Begleitung u. Kontrabaß“.

Spätestens im Herbst 1926 müssen die im‘Notenverzeichnis’ angebotenen 11 Alben (Nr. II-XII)16 und 9 Einzelausgaben (in 7 Stimmen) mit ins-gesamt 186 Musikstücken im Druck bestandenhaben. Von den angekündigten weiterenNeuerscheinungen sind bis 1930 die Alben XIII-XVund 17 weitere Einzelausgaben nachweisbar, so daßdas gesamte Repertoire 261 Musikstücke aufwies.Zu Beginn der 30er Jahre kamen zusätzlich dreiEinzelausgaben hinzu, die sich speziell an einenationalsozialistisch gesinnte Käuferschicht wand-ten:

Nr. 262 Horst-Wessel-Marsch (Horst-Wessel-Lied i.Trio)

Nr. 263 Hohenfriedberger-MarschNr. 264 Deutschland-Lied

Wie sich das gesamte Repertoire von 262 Musikstücken (mit Ausnahme der Übungsstücke inder Schule und bei Beachtung der Doppelbelegung von ‘Fridericaus Rex’: Nr. 140 erneuert aufNr. 216 und einer Nichtbelegung der Nr. 249) nunmehr verteilt, zeigt Tabelle 2. Die Musikstückebilden eine breitgefächerte Auswahl. Zahlenmäßig an führender Stelle liegen eindeutig dieMärsche. Ouvertüren, Ländler, Walzer, Gavotte, Rheinländer, Polonaisen, Galopp, Choräle,Romanzen, Serenaden sind ohne erkennbares System auf die einzelnen Alben verstreut.Zusätzlich finden sich Weihnachtslieder, Choräle, Two-Step, Shimmy sowie Opern-Revuen,Volkslieder und Potpourris ebenfalls willkürlich zusammengewürfelt in den Sammlungen.Lediglich neun katholische Prozessionslieder wurden gesondert als Einzelausgaben angeboten.

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1.1.

2

Album/Einzeldr. Nr. AnzahlI 1 - 11 11II 12 - 25 14III 26 - 37 12IV 38 - 49 12V 50 - 64 15VI 65 - 85 21Einzeldrucke 86 - 93 8VII 94 - 104 11VIII 105 - 123 19IX 124 - 139 16Einzeldrucke [neu 216] -X 141 - 156 16XI 157 - 172 16XII 173 - 188 16XIII 189 - 204 16Einzeldrucke 205 - 216 12XIV 217 - 238 22XV 239 - 255 16Einzeldrucke 256 - 264 8Summe 262

Tab. 2 Alben und Einzeldrucke

16 Die Alben II - XII wurden angekündigt als “Musikstücke für die erweiterte Besetzung B der MartinTrompeten-Musik(auch für die Grundbesetzung verwendbar) in 6 (Album II) bzw. 7 Stimmen (Album III-XII)“.

17 Aus: Katalog Nr. 62 ca. 1930 u. Martin-Trompeten Schule v. P. Jäppel, September 1926.

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Als besondere Zielgruppen sind aufgrund des Titels zusätzlich erkennbar:Feuerwehr Deutscher Feuerwehr-Marsch Album VI, Nr. 81Turner Deutsche Turner VII, 104

Deutscher Turnfestmarsch VIII 107Münchener Turnfestmarsch XIII 108Turner-Marsch XIV 2216 Stücke Freiübungen XIV 222-227

Jäger Jäger Marsch I 5Jägerleben XI 162Alter Jäger-Marsch XIV 219

Schützen Defilier-Marsch Schützenregiment 108 268Landjäger-Marsch XIV 217

Eine spezielle Sammlung liegt lediglich für das in der 'Schule' ohne Einzelnamen nur als '16-Tendenz-Musikstücke' benannte Album Nr. XII vor. In der Liste um 1930 wurden die einzelnenTitel aufgeführt:

173 Sozialisten-Marsch 181 Frisch auf, mein Volk 174 Der Freiheit eine Gasse 182 Rot Front! 175 Die rote Garde 183 Die Marseillaise 176 Die Arbeitsmänner 184 Der Freiheit Morgenrot! 177 Warschawjanka 185 Bolschewisten-Marsch 178 Die rote Fahne 186 Jugend-Marsch 179 Die Internationale 187 Auf, junger Tambour, schlage ein 180 Rotgardisten-Marsch 188 Dänischer Sozialisten-Marsch

Im September 1926 muß demzufolge Max Bernhard Martin die ‘Linke’ als Käuferschicht ent-deckt haben. Die Lieder sind besonders auf den RFB bzw. die KPD (175, 177, 178, 179, 180,

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1.1.2

Abb. 11 Aufstellung des Tonumfangs der Martin-Trompeten zur Bestellung von Ersatzstimmen.17

Page 33: Werner Hinze - Tonsplitter · Das machten allein die Zahl der unterschiedlichen Gruppen dieser Art in allen politischen Gruppierungen deutlich (z.B. Reichbanner rund drei Millionen,

182, 184) und eine sozialdemokratische Tradition aus-gerichtet.

In dem dritten mir vorliegenden ‘Noten-Verzeichnis’, das ungefähr aus dem Jahre 1933 stam-men dürfte, ist das Album XII in Folge der nationalso-zialistischen Zensurpolitik weiß gelöscht, und dieMusikstücke sind aus dem Programm entfernt, stattdessen sind die o.a. Musikmärsche Nr. 262-264 einge-fügt.

PreiseWährend die Praktische Schule inklusive Album

Nr. I im September 1926 und in dem ‘Noten-Verzeichnis’ von ca. 1931 als kostenlose Beigabebeim Kauf eines Instrumentes angepriesen wurde, istdieser Zusatz in der nach 1933 erschienenen Listegeschwärzt. Eigenartiger Weise ist aber bereits in den‘Marsch-Noten für Schalmeien-Kapellen des RFB /Tambours, Rot-Front-Verlag, Ernst Thälmann’ (ohneDatumsangabe erschienen) die Empfehlung enthalten:

„Jeder Kamerad muß sich zum Erlernen der Schalmeien-Musik die praktische Schule von Jäppelbeschaffen. Zum Preise von 1 Mark bei Martin Instrumentenfabrik i. Markneukirchen i. Vogtl.zu haben“18

Dieser Widerspruch könnte sich durchbesondere Lieferbedingungen der entste-henden zentralen Warenvertriebsstelle desRFB erklären.

Die Preisliste zur Martin-Trompeten-Musik Nr. 62 aus dem Jahr 193219 und(soweit vorhanden) Vergleichszahlenanderer Quellen geben die Kosten für ein-zelne Musiker und ganze Ensemble mitunterschiedlicher Besetzungen an. DieTabellen 3 bis 8 vermitteln somit einenPreisvergleich der einzelnen Notenheftein den Jahren 1926 und 1930 sowie eineAnnäherung der Preis für die Instrumente

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1.1.

3

18 Marsch-Noten für Schalmeien-Kapellen des RFB / Tambours, Rot-Front-Verlag, Ernst Thälmann ohneDatumsangabe.

19 Martin-Trompeten-Musik Nr. 62, 19320928, Deutsche Signal-Instrumenten-Fabrik Max B. Martin, Markneukirchen.

Abb. 12 Illustrierte Preisliste Nr. 50(Seite 1)

Tab. 3 Preisvergleiche der Notenblätter und -alben

Album Einzel-Ausg.(7 Stimmen)

September1926 ca. 1930

II 10,50 RM 7,50 RMIII-XII 12,50 RM 9,00 RM

Nr. 86 2,10 RM 1,50 RMNr. 87 2,60 RM 1,50 RMNr. 88 2,10 RM 1,80 RMNr. 89 2,50 RM 2,40 RMNr. 90 3,35 RM 2,40 RMNr. 91 3,35 RM 1,50 RMNr. 92 2,10 RM 1,50 RMNr. 93 2,50 RM 1,80 RM

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im Jahr 1925/26 - die leider nur exemplarisch vorhandenen sind - durch die Angaben von 1932(Tabellen 4 bis 8).

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1.1.3

20 Illustrierte Preisliste Nr. 50, ca. 1925/26. 21 Zum Umhängen

Typ Nr. Länge Stimmung 1925/2620 1932Sopran-Trompete 1070 55 cm g’,a’,h’,c”,d”,f”g” 50,-- RM 47,25 RMAlt-Trompete 1371 64 cm e’, g’, a’, h’, c“, d“, e“ 58,50 RMAkkord-Begleitung 1372 60 cm e’, g’, c“ - f’, g’, h’ 33,75 RM Baß 1373 96 cm g, h, c’, d’ 38,25 RMSumme 177,75 RM

Tab. 4 Preise für die kleinste Besetzung

Tab. 5 Preise für die erweiterte Besetzung mit 4 Oktaven Tonumfang

Typ Nr. Länge Stimmung 1925/2620 1932Pikkolo-Trompete 1374 35 cm g“, a“, h“, c“‘, d“‘, e“‘, f“‘, g“‘ 42,75 RMSopran-Trompete 1070 55 cm g’, a’, h’, c“, d“,f“, g“ 50,— RM 47,25 RMAlt-Trompete 1371 64 cm e’, g’, a’, h’, c“, d“, e“ 58,50 RMBariton-Trompete 1376 100 cm g, a, h, c’, d’, e’, f’, g’ 74,25 RM“ (aufrechte Form) (83,25 RM)

Tiefe Begleitung 1380 94 cm g, c’, e’, - g, h, f’ 43,65 RM

Kontrabaß (Helik.-Form) 1377 (Anm) 21 G, H, c, d 182,25 RM

Preis gesamt:: 448,65 RM

Tab. 6 Preise für die große Besetzung

Typ Nr. Länge Stimmung 1925/2620 19321 Pikkolo-Trompete 1374 35 cm g“, a“, h“, c“‘, d“‘, e“‘, f“‘, g“‘ 42,75 RM1 Doppel-(Oktav-) Tromp. 1375 56 cm 76,50 RM3 Sopran-Tromp. (50,-/47,25) 1070 55 cm g’, a’, h’, c“, d“,f“, g“ 150,— RM 141,75 RM2 Alt-Trompeten (58,50) 1371 64 cm e’, g’, a’, h’, c“, d“, e“ 117,-- RM2 Bariton, aufr. (83,25) 1376 100 cm g, a, h, c’, d’, e’, f’, g’ 166,50 RM2 tiefe Begleit. aufr. (52,65) 1379 94 cm g, c’, e’, - g, h, f’ 105,30 RM1 Kontrabaß (Tubaform) 1383 85 cm G, H, c, d 159,75 RMKontrabaß (Helik.-Form) 1377 (Anm)20 G, H, c, d 182,25 RMPreis gesamt:: 991,80 RM

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Für „besondere Ausgestaltung der Martin-Trompeten-Musik“ wurden 1932 „anders abge-stimmte Instrumente“ angeboten, für die es jedoch keine Noten gab (soweit vorhandenVergleichszahlen eingefügt).

Zusammenfassend ist festzuhalten, daß zu einem Zeitpunkt, als die allgemeine Entwicklung

der Blasinstrumente im wesentlichen abgeschlossen war, versuchte ein Fabrikant und Tüfftler imWindschatten des technischen Fortschritts einen rein funktionalen Tonerzeuger zu einem musi-kalischen weiterzuentwickeln. Die Entwicklungsgeschichte zeigt, daß das Instrument funktional- das heißt signalgebend - einen militärischen wie einen zivilen Aspekt beinhaltet. Durch dieVerbindung mit dem ‘Auto’ partizipierte es an dessen Symbolhaftigkeit für den technischenFortschritt und stieß darüber hinaus mit der Erweiterung seiner klanglichen Möglichkeiten in denmusikalischen Bereich vor.

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1.1.

3 Typ Nr. Länge Stimmung 1932Tenor-Trompete 1384 75 cm c’, d’, e’, f’, g’, a’, h’, c“ 69,75 RM

3-fache tiefe Begleitung 1385 102 cm g, c’, e’ - g, h. f’ - f, a, c’ 74,25 RM

Kontrabaß II, Helikon-Form 1386 G, F, c, d 191,25RM

Typ Nr. Länge Stimmung 1927/2822 1932Trompete 16-tönig, chromatisch 2201 57 b’-des“ 116,65 RM

Trompete 16-tönig, chromatisch 2202 64 g’-b“ 125,— 112,50 RMTrompete 16-tönig, chromatisch 2203 76 es’-ges“ 155,-- 145,-- RMTrompete 16-tönig, chromatisch 2204 85 c’-dis“ 139,50 RMTrompete 16-tönig, chromatisch 2205 91 b-des“ 166,65 RM

Trompete 16-tönig, chromatisch 2206 105 g-b’ 175,-- 157,50 RM

Kontrabaß, 8-tönig 1393 141 G, A, H, c, d, e, f, g 227,25 RM

Tab. 7 Preise für „anders abgestimme Instrumente” (ab 1932)

Tab. 8 Preise für Instrumente in aufrechter Form

22 Angaben aus: Chromatische 16-tönige Martin-Trompete. D.R.Patent angem.. Patentschrift Nr. 503 951. Als Patentangemeldet am 16.8.1927, Tag der Bekanntmachung über die Erteilung des Patents: 17. Juli 1930. Die Preislistestammt ungefähr aus den Jahren 1927/28.

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Abb. 13 Auszug aus der Illustrierten Preisliste Nr. 50 (Zusammenstellung des Autors Nr. 1)

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1.1.

3Abb. 14 Auszug aus der Illustrierten Preisliste Nr. 50

(Zusammenstellung des Autors Nr. 2)

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Abb. 15 Auszug aus der Illustrierten Preisliste Nr. 50 (Zusammenstellung des Autors Nr. 3)

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Abb. 16 Auszug aus der Illustrierten Preisliste Nr. 50(Zusammenstellung des Autors Nr. 4)

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Abb. 17 Auszug aus der Illustrierten Preisliste Nr. 50(Zusammenstellung des Autors Nr. 5)

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1.1.

3Abb. 18 Auszug aus der Illustrierten Preisliste Nr. 50

(Zusammenstellung des Autors Nr. 6)