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Einleitung ! In den letzten Jahren erschienen viele hochwertige Publikationen zu dem Kunstmaler Adam Elsheimer, der 1610 mit nur 32 Jahren in Rom starb. Mehrere dieser Bücher [13] hatten auf der Um- schlagseite das Bild Die Flucht nach Ägypten, das in der alten Pinakothek in München ausgestellt ist (l " Abb. 1). Das bekannte Werk enthält Details von Mond und Milchstraße, die nur telesko- pisch zu erkennen sind. Aber es entstand vor der Einführung von Fernrohren in die Astronomie! Wie konnte Elsheimer tele- skopisch sehen und warum malte er den Mond auf dem Kopf? Eine schlüssige Er- klärung dafür steht noch aus. Im Folgen- den wird ein Lehrsatz von Johannes Kep- ler aus dem Jahr 1611 aufgegriffen und weiterentwickelt, der zu einer einfachen Lösung des Problems führt und zeigt, dass auch heute ein junger Mensch ohne Teleskop, nur durch eine schwache Linse, Mond und Sterne mühelos bis zu 10-fach vergrößert sehen kann. Das Teleskop ! Ein Linsenfernrohr besteht aus 2 opti- schen Bauteilen: dem Okular, das dem Auge zugewandt ist und dem Objektiv am anderen Ende des Rohres. Anfänglich bestanden beide aus je 1 Linse. Einfache Amateurinstrumente haben heute min- destens 2 Linsen im Objektiv und min- destens 3 im Okular, bessere Okulare ha- ben bis zu 9 Linsen, um bei guter Qualität hohe Vergrößerungen und große Ge- sichtsfelder zu erhalten. Die erste schriftliche Bezeugung eines optisch leistungsfähigen Teleskops gibt es vom 2. Oktober 1608, als der 38-jähri- ge Optiker Hans Lippershey (15701619) ein Patent darauf beantragte. Das Gesuch Warum malte Adam Elsheimer den Mond auf dem Kopf? Teleskopisches Sehen ist ohne Teleskop möglich Why Did Adam Elsheimer Paint the Moon Upside-Down? Telescopic Vision Is Possible Without a Telescope Abb. 1 Flucht (der Jungfrau) nach Ägypten. Adam Elsheimer, ca. 1608. Erste Darstellung der Milchstraße aus Einzelsternen und eines vergrößerten Bildes vom Mond. Bayerische Staatsgemäldesammlungen, bpk (Alte Pinako- thek, München). Im Internet: www.pinakothek.de/adam-elsheimer/die- flucht-nach-aegypten 1105 Wenzel M. Warum malte AdamKlin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 11051109 Offene Korrespondenz THIEME

Why Did Adam Elsheimer Paint the Moon Das Teleskop Upside ... · erkennen zu können, benutzte Christian Huygens 1656 ein 7m langes Teleskop (+0,14dpt) und später mit Giovanni Cassini

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Warum malte Adam Elsheimer den Mondauf dem Kopf? – Teleskopisches Sehen istohne Teleskop möglich

Why Did Adam Elsheimer Paint the MoonUpside-Down? Telescopic Vision Is PossibleWithout a Telescope

1105Offene Korrespondenz

THIEME

Einleitung!

In den letzten Jahren erschienen vielehochwertige Publikationen zu demKunstmaler Adam Elsheimer, der 1610mit nur 32 Jahren in Rom starb. Mehreredieser Bücher [1–3] hatten auf der Um-schlagseite das Bild „Die Flucht nachÄgypten“, das in der alten Pinakothek inMünchen ausgestellt ist (l" Abb. 1).

Abb. 1 Flucht (der Jungfrau) nach Ägypten. AdamErste Darstellung der Milchstraße aus EinzelsternenBildes vom Mond. Bayerische Staatsgemäldesammlu

Das bekannte Werk enthält Details vonMond und Milchstraße, die nur telesko-pisch zu erkennen sind. Aber es entstandvor der Einführung von Fernrohren in dieAstronomie! Wie konnte Elsheimer tele-skopisch sehen und warum malte er denMond auf dem Kopf? Eine schlüssige Er-klärung dafür steht noch aus. Im Folgen-den wird ein Lehrsatz von Johannes Kep-ler aus dem Jahr 1611 aufgegriffen undweiterentwickelt, der zu einer einfachen

Elsheimer, ca. 1608.und eines vergrößertenngen, bpk (Alte Pinako-

thek, München). Im Intflucht-nach-aegypten

Wenzel M. Warum malte Adam…

Lösung des Problems führt und zeigt,dass auch heute ein junger Mensch ohneTeleskop, nur durch eine schwache Linse,Mond und Sterne mühelos bis zu 10-fachvergrößert sehen kann.

Das Teleskop!

Ein Linsenfernrohr besteht aus 2 opti-schen Bauteilen: dem Okular, das demAuge zugewandt ist und dem Objektivam anderen Ende des Rohres. Anfänglichbestanden beide aus je 1 Linse. EinfacheAmateurinstrumente haben heute min-destens 2 Linsen im Objektiv und min-destens 3 im Okular, bessere Okulare ha-ben bis zu 9 Linsen, um bei guter Qualitäthohe Vergrößerungen und große Ge-sichtsfelder zu erhalten.Die erste schriftliche Bezeugung einesoptisch leistungsfähigen Teleskops gibtes vom 2. Oktober 1608, als der 38-jähri-ge Optiker Hans Lippershey (1570–1619)ein Patent darauf beantragte. Das Gesuch

ernet: www.pinakothek.de/adam-elsheimer/die-

Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 1105–1109

Tab. 1 Abbildung von Teleskopen in Abhängigkeit von den Brennweiten.

Brennweite Objektivlinse Brennweite Okularlinse Länge Vergrößerung Abbildung

+ 1 dpt, 100 cm + 10 dpt (10 cm) 110 cm 10-fach auf dem Kopf

+ 1 dpt, 100 cm + 5 dpt (20 cm) 120 cm 5-fach auf dem Kopf

+ 2 dpt, 50 cm + 10 dpt (10 cm) 60 cm 5-fach auf dem Kopf

+ 2 dpt, 50 cm + 5 dpt (20 cm) 70 cm 2,5-fach auf dem Kopf

+ 1 dpt, 100 cm − 10 dpt (10 cm) 90 cm 10-fach richtig herum

+ 1 dpt, 100 cm − 5 dpt (20 cm) 80 cm 5-fach richtig herum

+ 2 dpt, 50 cm − 10 dpt (10 cm) 40 cm 5-fach richtig herum

+ 2 dpt, 50 cm − 5 dpt (20 cm) 30 cm 2,5-fach richtig herum

Tab. 2 Vergrößerungen, die durch Akkommodation, Myopie oder Hyperopie erzielt werden.

Brennweite Linse

(Objektiv)

Akkommodation

+ 3 dpt

Akkommodation

+ 5 dpt

Akkommodation

+ 10 dpt

Fehlsichtigkeit

± 3 dpt

Fehlsichtigkeit

± 5 dpt

+ 1 dpt (100 cm) 3-fach 5-fach 10-fach 3-fach 5-fach

+ 1,5 dpt (67 cm) 2-fach 3,3-fach 6,7-fach 2-fach 3,3-fach

+ 2 dpt (50 cm) 1,5-fach 2,5-fach 5-fach 1,5-fach 2,5-fach

1106 Offene Korrespondenz

THIEME

wurde abgelehnt, weil das optische Prin-zip so einfach war, dass es damals schonNachbauten gab [4,5]. Lippershey hat fürsein Fernrohr als Objektiv das Glas einerschwachen Lesebrille von etwa + 1,5 dptund einem konkaven Myopiebrillenglasvon etwa − 8 dpt als Okular in einer Me-tallröhre befestigt. Die Erfindung ent-stand durch Probieren, ohne Berechnun-gen [6]. Die Erfindung des astrono-mischen Fernrohrs mit einer oder mehre-ren konvexen Okularlinsen beruht aufUntersuchungen, Berechnungen undÜberlegungen von Johannes Kepler 1611[7]. Einer der wenigen, der Keplers kom-plizierte Rechnungen verstanden hat undderartige Teleskope herstellen konnte,war der Jesuit Christoph Scheiner 1613.Scheiner war es auch, der die Richtigkeitder neuen Theorie Keplers durch Experi-mente und Sektionen von Augen bestätig-te, weiterentwickelte und als Erster dieAkkommodation als eine Änderung desKrümmungsradius der Linse richtig er-kannte [4,8]. Den Namen „Teleskop“führte Federico Cesi (1585–1630) in Romein, nachdem er 1609 ein Teleskop nachGiambattista della Porta (1535–1615) er-halten hatte ([3], S. 146–147).Zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es ei-nen sehr großen Markt für Lesebrillen.Die Brillenstärke lag damals wie heutemeist zwischen + 1 und + 4 dpt. Die Glä-ser waren flach, oft sphärisch plankon-vex. Konkave Linsen zur Behandlung derMyopie gab es nur in sehr geringenStückzahlen. Willach schätzt, dass derAnteil der Myopiebrillen an allen Brillendamals unter 1% lag [5]. Die Qualität derBrillengläser zu dieser Zeit war sehr un-

Wenzel M. Warum malte Adam… Klin Monatsbl Auge

terschiedlich und nur wenige waren sogut, dass sie sich für Teleskope eigneten.Für astronomische Fernrohre wurden dieLinsen mit einer konzentrischen Blendeabgedeckt, da bei höheren Vergrößerun-gen Unregelmäßigkeiten am Rand die Ab-bildungsqualität dramatisch reduzieren[5].In der Astronomie werden Linsen durchihre Brennweite bestimmt, in der Augen-heilkunde und Optik durch den Kehrwertder Brennweite, der Dioptrie (dpt). EineLinse mit einer Brennweite von 100 cmhat den Wert + 1 dpt, eine Brennweitevon 50 cm entspricht + 2 dpt (l" Tab. 1und 2). Um mit einer einfachen Objektiv-linse eine einigermaßen scharfe Abbil-dung zu bekommen, muss die Brennweitegroß sein. Die ersten Fernrohrobjektivezu Beginn des 17. Jahrhunderts hattenBrennweiten von etwa 60 bis 130 cm, ihrDioptrienwert lag zwischen + 1,7 und+ 0,8 dpt ([4], S. 44). Je geringer der Diop-trienwert des Objektivs und je länger dieBrennweite wird, um so höhere Vergrö-ßerungen sind möglich. Um die Saturn-ringe in der 2. Hälfte des 17. Jahrhundertserkennen zu können, benutzte ChristianHuygens 1656 ein 7m langes Teleskop(+ 0,14 dpt) und später mit GiovanniCassini bis zu 40m lange Teleskope(+ 0,025 dpt). Dazu benutzten sie auch„Luftfernrohre“, getrennt fixierte Okulareund Objektive ohne ein verbindendesRohr. Dieser Name zeigt die Schwächedes deutschen Wortes, die für das Verste-hen des Weiteren wichtig ist: Das „Rohr“ist ein vernachlässigbares Teil eines Tele-skops, wichtig sind die beiden Linsensys-teme ([4], S. 73–76). Mit der Etablierung

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der Spiegelteleskope im 17. Jahrhundertund der Entwicklung der 2-linsigen Lin-senobjektive (Achromate) im 18. Jahrhun-dert konnten hohe Vergrößerungen mitkürzeren Instrumenten verwirklicht wer-den [4], S. 87–115).Es ist eher unwesentlich, ob das Okulareine konkave oder eine konvexe Linse ist.Bei einer konkaven, also einer Minuslinse,ist das Bild im Teleskop richtig herum ab-gebildet und die optische Länge des Fern-rohrs errechnet sich aus der Brennweitedes Objektivs minus der Brennweite desOkulars. Bei einer konvexen, also einerPluslinse, ist das Bild im Teleskop höhen-und seitenverkehrt, „auf dem Kopf ste-hend“ abgebildet und die optische Längedes Fernrohrs entspricht der Brennweitedes Objektivs plus der Brennweite desOkulars (l" Tab. 1).Bei einem Objektiv mit einer + 1-dpt-Lin-se (Brennweite 100 cm) und einem Oku-lar von − 5 dpt (Brennweite 20 cm) be-trägt die Vergrößerung 5-fach und dasFernrohr ist 80 cm lang. Bei einem Objek-tiv mit einer + 1-dpt-Linse (Brennweite100 cm) und einem Okular von + 5 dpt(Brennweite 20 cm) beträgt die Vergröße-rung ebenfalls 5-fach und das Fernrohr ist120 cm lang (l" Tab. 1). Um eine Vergrö-ßerung zu erzielen, muss das Okular eineBrennweite haben, die größer als die desObjektivs ist. Die Vergrößerung lässt sichdurch das Verhältnis der beiden Brenn-weiten berechnen (l" Tab. 1). Mit längerenTeleskopen lassen sich höhere Vergröße-rungen erzielen als mit kürzeren. Schonbei den ersten Fernrohren ließ sich derAbstand zwischen Okular und Objektivverändern. Dies geschah, um Objekte in

1107Offene Korrespondenz

THIEME

verschiedenen Entfernungen scharf stel-len zu können, und auch, um evtl. vor-handene Refraktionsfehler des Beobach-ters, also Kurz- oder Weitsichtigkeit, aus-gleichen zu können.

Teleskopisches Sehen ohneTeleskop!

Akkommodation, die natürlicheNahsicht junger MenschenEin junger Mensch kann akkommodieren,je jünger, umso besser. Um 20 cm vordem Auge scharf zu sehen, muss 5 dpt ak-kommodiert werden, für eine Entfernungvon 10 cm sind schon 10 dpt zu akkom-modieren. Ein Kind kann noch 14 dpt ak-kommodieren, also in 7 cm scharf sehen.Die Akkommodation kann aber auch zumteleskopischen Sehen in der Ferne ge-nutzt werden. Wenn von einem Fernrohrdie Objektivlinse ausgebaut und frei vordas Auge gehalten wird, dann kann dieAkkommodation die optische Wirkungdes Okulars ersetzen. Wenn ein jungerMensch eine + 1-dpt-Linse als Objektivetwa 1,1m vor sein Auge hält und 10 dptakkommodiert, sieht er durch die LinseEntferntes 10-fach vergrößert, aber aufdem Kopf stehend (l" Tab. 2). Die Werteder ersten 4 Zeilen von l" Tab. 1 sind alsonicht nur mit einem Okular, sondern auchdurch Akkommodation zu erzielen. DieQualität des Bildes kann dem eines Bildesmit einem einlinsigen Okular überlegensein.Eine Akkommodation von 10 dpt istspontan schwer zu erzeugen. Wenn einjunger Mensch jedoch einen Finger alsAkkommodationsreiz 10 cm vor das Augein Richtung einer Objektivlinse hält, er-kennt er in der Objektivlinse das vergrö-ßerte Bild von entfernten Gegenständenauf dem Kopf stehend gestochen scharf.Er wird merken, dass er die Vergrößerungstufenlos variieren kann: Durch verstärk-te Akkommodation kann er das Abbildheranzoomen, wenn er seinen Kopfgleichzeitig ein wenig der Linse nähert.Die 3. Spalte in l" Tab. 1 zeigt nicht nurdie Länge eines Fernrohrs, sonderngleichzeitig auch die Entfernung, die dasAuge für ein teleskopisches Sehen vonder Objektivlinse entfernt sein muss.Das teleskopische Sehen mit einer + 1-dpt-Objektivlinse ist technisch einfach zuerzielen, wenn sie in Augenhöhe auf einFenster geklebt wird und der Horizontaus einer Entfernung von 110 cm mit10 dpt Akkommodation anvisiert wird.Einfacher ist es, wenn eine + 2-dpt-Linse

in etwa 60 cm vor das Auge gehaltenwird. Dann ist mit 10 dpt Akkommodati-on zwar nur eine Vergrößerung von 5-fach zu erreichen (l" Tab. 1 und 2), aberdas teleskopische Sehen ist überall undin alle Richtungen möglich.

Kurzsichtigkeit (Myopie) undÜbersichtigkeit (Hyperopie)Auch ein älterer, wenig akkommodations-fähiger Mensch kann durch eine Linse miteiner Brennweite von 50 cm (+ 2 dpt)noch eine Vergrößerung von 2,5-fach er-reichen, wenn er 5 dpt kurzsichtig (myop)ist und seine Brille ablegt (l" Tab. 2). Derjunge Kurzsichtige kann Myopie und Ak-kommodation kombinieren: Wenn ein 5-dpt-Myoper noch 5 dpt akkommodiert,kann er durch eine Objektivlinse miteiner Brennweite von 50 cm (2 dpt) eine5-fache Vergrößerung erreichen, sobalder seine Brille oder Kontaktlinse ablegt.Die Abbildungen stehen aber auf demKopf.Kepler hat 1611 das hier beschriebeneSehen eines „umgekehrten Bildes durcheine Konvexlinse“ von Myopen im Lehr-satz 78 erwähnt, ohne auf die Sonder-form der physiologischen Myopie durchAkkommodation einzugehen ([7], S. 480).Im Satz 28 berichtet er 1604 über seineeigene Myopie ([9], S. 273). Wahrschein-lich hat er das umgekehrte Bild nicht nurtheoretisch errechnet, sondern auchpraktisch ausprobiert, indem er ein Glaseiner Lesebrille mit ausgestreckter Handvor sich hielt. Da er nur schwach myopwar und 1611, mit 39 Jahren, nur nochwenig akkommodieren konnte, hat erden möglichen Vergrößerungseffekt nichtselber erlebt und beschrieben.Etwas ungünstiger ist es für den Über-sichtigen. Wenn er akkommodiert,schwächt er seine Hyperopie ab. OhneAkkommodation kann ein Hyperoper,der eine + 5-dpt-Brille benötigt, durcheine 1-dpt-Objektivlinse eine 5-facheVergrößerung erzielen. Dazu muss eine+ 1-dpt-Objektivlinse 80 cm vor das Augegehalten werden. Das Bild steht richtigherum (l" Tab. 1 und 2). Diese Methodehat Rolf Riekher beschrieben [4].Ein alterssichtiger Mensch ohne Refrakti-onsfehler kann solche Versuche ebensoeinfach durchführen, wenn er die Refrak-tion durch eine „falsche“ Brille ändert.Das teleskopische Sehen kann entspre-chend der Werte von l" Tab. 1 erzielt wer-den, wenn die Objektivlinse, wie oben be-schrieben, frei vor das Auge gehalten wirdund anstelle des Okulars eine Probierbril-

Wenzel M. Warum malte Adam…

le mit einseitigen Werten von beispiels-weise + 5 dpt oder − 5 dpt aufgesetzt wird.Wenn wir heute die o.g. Versuche mithandelsüblichen Brillengläsern vom Opti-ker durchführen, werden wir enttäuschtsein, da die meniskenförmig gewölbtenBrillengläser zum Einsatz in unmittel-barer Nähe des Auges hergestellt sind.Für ein teleskopisches Sehen verzerrendie Gläser zu sehr. Die Versuche lassensich einfacher durchführen, wenn voneinem billigen Teleskop mit einem Objek-tivdurchmesser von mindestens 5 cm undeiner Brennweite von mindestens 50 cmdie Objektivlinse ausgebaut wird. Je grö-ßer der Objektivdurchmesser, umso grö-ßer ist bei niedriger Vergrößerung dasGesichtsfeld.Einzelne mehr oder weniger genaue ka-suistische Berichte über ein Vergrö-ßerungsglas für die Ferne sind schon vorKepler überliefert. Leonardo da Vinci(1452–1592) war wohl hyperop und hatdie Methode angewendet [6]. Drei sehrlesenswerte und sich ergänzende Zusam-menstellungen über die Vor- und Früh-geschichte des Fernrohrs geben Riekher,Willach und Rienitz; letzterer hat auchdas teleskopische Sehen ohne Teleskopausführlich berücksichtigt [4–6].

Adam Elsheimer (1578–1610)!

Adam Elsheimer ist ein bedeutenderdeutscher Maler des 17. Jahrhunderts. Erwurde 1578 in Frankfurt geboren undstarb 1610 in Rom. Rubens beklagte nachElsheimers frühem Tod, dass Elsheimer inder Lage gewesen sei „Dinge, die keinergesehen hat und keiner je sehen wird“darzustellen ([1], S. 51). Von ihm sindheute noch etwa 30–40 Bilder erhalten,die auf Kupferbleche gemalt worden sind[1,3,10]. Die kleinsten sind 7 × 9 cm groß.Die „Flucht nach Ägypten“ ist mit 31 ×41 cm eines der größten Bilder, das er ge-malt hat. Er hatte eine große Sensibilitätfür optische Phänomene. In mehrerenBildern malte er die Vergrößerungen undSpiegelungen durch kugelige Gefäße ([3],S. 151–153). Auch gab er die Parallaxedurch die Spiegelung des Mondes imWasser in der „Flucht nach Ägypten“richtig wieder: Der Mond ist in der Spie-gelung näher an den Bäumen als amHimmel. Diese Komposition Elsheimerswurde von späteren großen Künstlernwie Rubens, mit dem er eng befreundetwar, und Rembrandt übernommen undmodifiziert, von vielen anderen Künstlernkopiert [1,3].

Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 1105–1109

KP = Krater PtolemaeusKT = Krater TychoMC = Mare CrisiumMF = Mare Fecunditatis

MF

MC

KT

KT

MC

MFKP

KP

Abb. 2 Links: Abbildung vom Mond, wie wir ihn als Vollmond am nächtlichen Himmel sehen: Die dunklen Flächen der „Mare“ sind vorwiegend oben.Rechts: Abbildung vom Mond, wie ihn Adam Elsheimer gemalt hat: Die dunklen Flächen der „Mare“ sind vorwiegend runten. Der Mond steht „auf dem Kopf“.

1108 Offene Korrespondenz

THIEME

Adam Elsheimer arbeitete sehr langsamund bei verschiedenen Bildern ist nichtklar, ob er sie selber zu Lebzeiten nochvollenden konnte [1,3]. Auch die genaueDatierung seiner Bilder ist oft fraglich, erhat sie nicht signiert. In der „Flucht nachÄgypten“ fehlt noch die Spiegelung einesgroßen dürren Baumes direkt links vomMond im Wasser. Auf der Rückseite desBildes wurde nachträglich der Vermerk„Adam Elsheimer fecit 1609“ angebracht([11], S. 24). Wahrscheinlich war es schon1608 weitgehend fertiggestellt, als Ru-bens Rom verließ und Elsheimer das letz-te Mal sah ([1], S. 51; [12], S. 191).Zur Darstellung von astronomischen De-tails in seiner „Flucht nach Ägypten“ gibtes 3 Fragen, die bisher nicht übereinstim-mend beantwortet werden konnten unddie hier besonders interessieren: 1) Malteer mit Lupe? 2) Wie erkannte er die Ster-ne der Milchstraße? 3) Warum malte erden Mond auf dem Kopf?

War eine Lupe für Elsheimer nötig?Elsheimers Bilder enthalten derart feineDetails, dass sie nach Meinung vieler mit-hilfe einer Lupe gemalt worden sein müs-sen ([1], S. 28; [3], S. 131, S. 151). In derAufstellung des Inventars nach seinemTod wird jedoch keine Lupe gefunden([1], S. 48–49). Mit Sicherheit konnteAdam Elsheimer noch sehr gut akkom-modieren, als er mit 22 Jahren nach Romkam, und konnte ohne Lupe bis zu 10 cmin der Nähe sehen.Darüber hinaus wäre denkbar, aber fürunsere Überlegungen nicht notwendig,dass er im Laufe seiner Tätigkeit myop

Wenzel M. Warum malte Adam… Klin Monatsbl Auge

geworden ist. Schon Johannes Kepler hatvermutet ([7], S. 474), dass Naharbeit beischlechter Beleuchtung, wie sie AdamElsheimer ausgeübt hat, die Entwicklungeiner Myopie fördert. Diese Theorie fin-det auch heute noch viele Befürworter[13–15]. Der spanische Maler Jusepe Mar-tinez berichtete später über seinen deut-schen Kollegen: „Er war sehr zurückgezo-gen und von beschaulicher Art, so sehr,dass er auf den Straßen wie abwesendging, und dass er mit niemanden sprach,wenn man ihn nicht anredete“ ([10],S. 39). Augenärzten ist die Klage von Pa-tienten mit Sehstörungen aller Art sehrgeläufig, dass sie ihre Bekannten auf derStraße nicht mehr erkennen können.

Warum malte Elsheimer die Milch-straße aus über 1000 Sternen?Die detaillierte Darstellung des nächt-lichen Himmels gilt als Novum in derKunstgeschichte. Die Milchstraße ist zumersten Mal als eine Ansammlung von1500 Einzelsternen dargestellt ([16],S. 114). Wie konnte Elsheimer 1609 ge-wusst haben, dass die Milchstraße keinNebel ist? Alle Autoren, die dieses Prob-lem erkannten, vermuten, dass er zumMalen des Bildes auf ein Teleskop ange-wiesen war. 1609 besaß Federico Cesi inRom bereits ein Teleskop nach dem Prin-zip von Lippershey mit einem konkavenOkular und aufrechtem Bild. Das könnteer genutzt haben, so wurde bisher ge-mutmaßt ([3], S. 146; [16], S. 124). Hättedann nicht Elsheimer dem Besitzer gleichseine Beobachtung gezeigt, und wäre esnicht wie ein Lauffeuer durch Rom ge-

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gangen? Bei der Anfertigung des Mondesund des Sternenhimmels konnte er auchnicht durch die ersten Publikationen as-tronomischer Beobachtungen des Him-mels mit dem Teleskop in den Niederlan-den (1608) oder 1610 in Italien beein-flusst worden sein ([16], S. 125).Wahrscheinlich hat Elsheimer, der in sehrarmen Verhältnissen lebte, nicht einesder extrem seltenen und sehr teuren Te-leskope genutzt, sondern lediglich eineinfaches, schwaches Brillenglas. Mit die-sem Glas wird er experimentiert haben,bis er das teleskopische Sehen entdeckthat. Er war noch deutlich jünger als Jo-hannes Kepler beim Schreiben seiner „Di-optrice“ (1611) und konnte demnach bes-ser akkommodieren. So hat er nicht nurdas umgekehrte Bild, sondern auch denVergrößerungseffekt durch Akkommoda-tion bemerken können. Vielleicht war erauch schon stärker myop als Kepler? Bei-de hatten einen gemeinsamen Freundes-kreis ([10], S. 22). Im Gegensatz zu einemTeleskop reicht hier das Weitergeben derLinse zur Demonstration des Gesehenennicht aus: Wenn ein Beobachter nichtsehr kurzsichtig ist oder stark akkom-modiert, kann er durch die Linse nichtserkennen. Was bisher eher Hypothese ist,wird durch die Darstellung des Mondeszur wahrscheinlichsten Erklärung seinesteleskopischen Sehens.

Warum steht der Mondauf dem Kopf?Wenn die Details des Mondes genau be-trachtet werden, so sehen wir nicht dasuns bekannte „Mondgesicht“, sondern er

1109Offene Korrespondenz

THIEME

steht auf dem Kopf ([17]; [18], S. 126)!Dabei hat Adam Elsheimer Krater und an-dere Details in den nur etwa 1 cm großenMond gemalt, die wir im Bild nur mit Lu-pe und am freien Himmel nur mit Tele-skopen erkennen können (l" Abb. 2). So-wohl in der astronomischen, als auch inder kunstgeschichtlichen Fachliteraturwurde seit über 40 Jahren vielfach dis-kutiert, wie das möglich ist, zuletzt beiThielemann (2014) und Bredekamp(2015). Eine befriedigende Antwort wur-de von keinem gefunden. Die ersten Fern-rohre mit konkaven Okularen, mit denenab 1609 Thomas Harriot, Simon Marius,David Fabricius, Galileo Galilei und vieleandere astronomische Beobachtungenbegannen, lieferten immer ein aufrechtesBild. Erst 1613, 3 Jahre nach ElsheimersTod, gab es die moderneren Teleskopenach Kepler mit konvexer Okularlinse,die ein umgekehrtes Bild erzeugen!Nur das von Kepler allgemein und hier imDetail beschriebene teleskopische Sehenmit einer schwachen konvexen Linse alsObjektiv sowie Akkommodation oderMyopie als Okularersatz liefert die wahr-scheinliche Antwort, warum Elsheimerdie Sterne der Milchstraße, Krater vomMond sowie sein umgekehrtes Bild inder „Flucht nach Ägypten“ schon um1608 erkennen und malen konnte. Wares demnach ein Künstler und nicht einWissenschaftler, der uns erstmals die te-leskopischen Geheimnisse des Univer-sums nahe gebracht hat?

Danksagung!

Herzlichen Dank an Herrn Prof. Dr. Wil-helm Seggewiß für die Beratung und Kor-rekturen in physikalischen und astrono-mischen Details.

Interessenkonflikt: Nein.

M. WenzelAugenklinik Petrisberg, Trier

Literatur1 Andrews K. Adam Elsheimer. Gemälde,Zeichnungen und Radierungen. München:Schirmer/Mosel; 2006

2 Baumstark R, Hrsg. Von neuen Sternen.Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten.München: Pinakothek-DuMont; 2005

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5 Willach R. Der lange Weg zur Erfindung desFernrohres. In: Hamel J, Keil I, Hrsg. DerMeister und die Fernrohre. Frankfurt: ActaHistorica Astronomiae 33; 2007: 34–126

6 Rienitz J. Historisch-physikalische Entwick-lungslinien optischer Instrumente. Lenge-rich: Pabst; 1999: 66–139

7 Kepler J. Dioptrice (1611; übersetzt von F.Plehn). In: Riekher R, Hrsg. Schriften zurOptik. Frankfurt: Wissenschaftlicher VerlagDeutsch; 2008: 441–526

8 Daxecker F. Christoph Scheiner und die Op-tik des Auges. Spektrum Augenheilkd 2004;18: 201–204

9 Kepler J. Ad Vitellionem paralipomena(1604; übersetzt von F. Plehn). In: RiekherR, Hrsg. Schriften zur Optik. Frankfurt: Wis-senschaftlicher Verlag Deutsch; 2008: 73–296

10 Klessmann R. Im Detail die Welt entdecken.Adam Elsheimer 1578–1610. StädelschesKunstinstitut Frankfurt: Edition Minerva;2006

11 Deckiert M. Ein Werk, das in allen Theilenzugleich und in einem jeden besonerlichganz unvergleichlich ist. Adam ElsheimersFlucht nach Ägypten – Werk und Wirkung.In: Baumstark R, Hrsg. Von neuen Sternen.Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten.München: Pinakothek-DuMont; 2005: 24

12 Klessmann R. Fragen zur Ausbreitung undWirkung der Werke Elsheimers. In: Baum-stark R, Hrsg. Von neuen Sternen. Adam Els-

Wenzel M. Warum malte Adam…

heimers Flucht nach Ägypten. München: Pi-nakothek-DuMont; 2005: 179–196

13 Schaeffel F. Das Rätsel der Myopie. Störun-gen in der Feinabstimmung von Länge undBrennweite des Auges. Ophthalmologe2002; 99: 120–141

14 Dolgin E. Myopie. Im Internet: www.spektrum.de/news/brille-gefaellig-stuben-hocker/1341152; Stand: 29.6.2015

15 Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft(DOG). Viel Licht setzt Neurotransmitter Do-pamin in der Netzhaut frei – Spielen imFreien schützt Kinder vor Kurzsichtigkeit.Pressemitteilung vom 29. 4. 2015. Im Inter-net: www.dog.org/?cat=224; Stand:29.6.2015

16 Hartl G, Sicka C. Komposition oder Abbild?Die Darstellung des Nachthimmels in AdamElsheimers Flucht nach Ägypten – eine na-turwissenschaftlich-kritische Betrachtung.In: Baumstark R, Hrsg. Von neuen Sternen.Adam Elsheimers Flucht nach Ägypten.München: Pinakothek-DuMont; 2005:107–125

17 Hartl G. Das Universum des Adam Elshei-mer. Astronomie heute 3/2007 S. 16 und 5/2007 S. 7

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BibliografieDOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0035-1557827Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 1105–1109© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ·ISSN 0023-2165

KorrespondenzadresseProf. Martin WenzelAugenklinik PetrisbergMax-Planck-Str. 14–1654296 TrierTel.: + 49/(0)651/9984990Fax: + 49/(0)651/[email protected]

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Klin Monatsbl Augenheilkd 2015; 232: 1105–1109