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Die Methode der finiten Elemente Prof. Dr.-Ing. K. Willner 8. Auflage, April 2009

Willner - Finite Elemente

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Page 1: Willner - Finite Elemente

Die Methode der finiten Elemente

Prof. Dr.-Ing. K. Willner

8. Auflage, April 2009

Page 2: Willner - Finite Elemente

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung 1

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 3

2.1 Beispiel: Tragwerk 4

2.2 Die Elementsteifigkeitsmatrix 11

2.3 Assemblieren mittels Indextafel 15

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 19

3.1 Grundgleichungen der linearen Kontinuumsmechanik 19

3.2 Kontinuum 20

3.3 Scheibe 23

3.4 Stab 25

3.5 Schubstarrer Balken 26

3.6 Schubweicher Balken 29

4 Die Methode der gewichteten Residuen 32

4.1 Die Grundidee 32

4.2 Ansatzfunktionen 35

4.3 Wichtungsfunktionen 36

4.4 Das Galerkin-Verfahren 40

4.5 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen 44

5 Analytische Darstellung der Strukturmechanik 47

5.1 Kontinuum 47

5.2 Scheibe 48

5.3 Stab 48

5.4 Schubstarrer Balken 48

5.5 Schubweicher Balken 49

5.6 Zusammenfassung 50

Page 3: Willner - Finite Elemente

Inhaltsverzeichnis III

6 Die Methode der finiten Elemente 53

6.1 Aufbau der Elementmatrizen 53

6.2 Beispiel: Stab 55

6.3 Aufbau der Formfunktionen 58

6.3.1 Lagrange-Elemente 59

6.3.2 Serendipity-Elemente 61

6.3.3 Formfunktionen fur Dreiecke, Prismen und Tetraeder 62

6.4 Anforderungen an die Formfunktionen 63

6.4.1 Stetigkeit 64

6.4.2 Darstellbarkeit von Starrkorperverschiebungen 66

6.4.3 Darstellbarkeit konstanter Verzerrungszustande 67

6.5 Beispiel: Schubstarrer Balken 67

6.6 Beispiel: Schubweicher Balken 72

6.7 Shear-Locking 73

6.8 Das isoparametrische Konzept 76

6.9 Beispiel: Isoparametrisches Scheibenelement 77

6.10 Beispiel: Lineares Dreieckselement 82

6.11 Beispiel: Lineares Tetraederelement 85

7 Numerische Umsetzung 87

7.1 Numerische Integration der Elementmatrizen 87

7.1.1 Gauß’sche Quadratur 88

7.1.2 Zuverlassige Integrationsordnung 90

7.1.3 Reduzierte Integration 91

7.1.4 Lobatto-Integration und Punktmassenmatrizen 92

7.2 Losung des linearen Gleichungssystems 94

7.2.1 LDLT-Zerlegung 95

7.2.2 Profil und Bandbreite 95

7.2.3 Iterative Losung 96

7.3 Losung des Eigenwertproblems 99

7.4 Losung der Bewegungsgleichungen 101

7.4.1 Explizite Integration: Das Zentrale-Differenzen-Verfahren 102

7.4.2 Implizite Integration: Das Newmark-Verfahren 104

7.4.3 Allgemeine Zeitschrittintegration 105

7.4.4 Modenuberlagerung 107

Page 4: Willner - Finite Elemente

Inhaltsverzeichnis IV

A Tensorrechnung 109

A.1 Tensoralgebra 110

A.2 Tensoranalysis 113

A.3 Der Satz von Gauß 115

Literaturverzeichnis 117

Page 5: Willner - Finite Elemente

Kapitel 1

Einleitung

Typische Problemstellungen in den Ingenieur- aber auch den Naturwissenschaften sindhaufig in Form von Differentialgleichungen formuliert. Eine analytische, exakte Losungdieser Gleichungen gelingt dabei im allgemeinen aber nur fur sehr einfach berandeteGebiete und bestimmte Randbedingungen. Fur praktische Probleme ist dies dagegenmeist unmoglich, so dass man nach anderen Wegen sucht, um zumindest zu einer Nahe-rungslosung zu kommen.

Der Grundgedanke aller Naherungsverfahren ist dabei die Uberfuhrung des Differential-gleichungsproblems in ein algebraisches Problem mit einer endlichen Zahl von Unbekann-ten. Anstelle eine Funktion als Losung zu suchen, braucht man dann nur noch eine Reihediskreter Losungsvariablen zu finden, was normalerweise sehr viel einfacher ist. Der ublicheWeg fuhrt dabei uber eine schwache Form der Differentialgleichung und die Verwendungvon Ansatzfunktionen mit freien Parametern, die dann als Unbekannte bestimmt werdenmussen. Ein typisches Beispiel fur ein solches Naherungsverfahren ist das Ritz-Verfahren,das auf dem Prinzip vom Minimum der potentiellen Energie beruht. Allerdings stellenauch hier kompliziert berandete Gebiete ein Problem dar, da sich kaum geeignete Ansatz-funktionen finden lassen.

An diesem Punkt kommt nun die Idee der Methode der finiten Elemente zum tragen.Anstelle Ansatzfunktionen fur ein kompliziertes Gesamtgebiet zu suchen, wird das Ge-biet in eine Reihe einfacher Teilgebiete unterteilt, fur die sich geeignete Ansatzfunktionenleicht angeben lassen. Aus den Ansatzfunktionen fur diese als finite Elemente bezeichne-ten Teilgebiete wird die Gesamtlosung dann stuckweise zusammengesetzt. Damit dabeieine ausreichende Stetigkeit gewahrleistet ist, mussen die Ansatzfunktionen an den Ele-mentgrenzen naturlich zusammenpassen. Dies wird durch eine geschickte Wahl der freienParameter gewahrleistet. Diese werden namlich so gewahlt, dass sie den Werten der an-zunahernden Funktion an den Ubergangen zwischen den Elementen, den so genanntenKnoten, entsprechen. Damit ist sichergestellt, dass die Ansatzfunktionen von verschiede-nen Elementen an einem Knoten stetig ineinander ubergehen.

Damit ist die Methode der finiten Elemente zum einen eine

Naherungsmethode, da die Differentialgleichungen der ursprunglichen Aufgabe im all-gemeinen nur naherungsweise erfullt werden und eine exakte Losung nur in Aus-nahmefallen zu erwarten ist, und zum anderen eine

Diskretisierungsmethode, da man eine Losung durch eine Diskretisierung, also Zerle-gung, des Gesamtgebiets in Teilgebiete sucht.

Page 6: Willner - Finite Elemente

1 Einleitung 2

Die Methode der finiten Elemente eignet sich prinzipiell fur die naherungsweise Losungjeder Art von Feldproblem, das in Form von Differentialgleichungen formuliert ist. Typi-sche Anwendungsgebiete sind zum Beispiel die Fluiddynamik, die Warmeleitung oder dieElektrodynamik. Ihre weiteste Verbreitung hat sie jedoch auf dem Gebiet der Struktur-mechanik, wo sie auch ihren Ursprung hat.

Entsprechend ihrer großen Allgemeinheit und Verbreitung gibt es zur Methode der finitenElemente eine Vielzahl von Lehrbuchern und daruber hinaus eine wahre Flut von Spezial-literatur zu jedem Teilaspekt der Methode, sei er nun physikalischer, mathematischer odernumerischer Natur. Da wir uns im folgenden auf den Bereich der Strukturmechanik kon-zentrieren werden, ist die folgenden Auswahl von Lehrbuchern entsprechend beschrankt.Sie umfasst sowohl einige Einfuhrungen in das Thema als auch weiterfuhrende Literatur:

• Knothe/Wessels [7]: gutes Lehrbuch fur Einsteiger, ausfuhrliche Behandlung vonBalken- und Plattenelementen, nur lineare Statik und ein wenig Dynamik;

• Schwarz [11]: sehr preisgunstiges Lehrbuch zur FEM mit starker Betonung derNumerik;

• Hughes [6]: sehr schones Buch zur linearen Statik und Dynamik, allerdings inenglischer Sprache, relativ gunstig;

• Bathe [2]: das Standardwerk zur nichtlinearen FEM in einer neuen Ausgabe, rechtteuer;

• Zienkiewicz/Taylor [13, 14, 15]: Konkurrenz zum Bathe in drei Banden (derdritte Band behandelt Fluiddynamik), in englischer Sprache.

Sehr hubsch sind auch einige Ubersichtsartikel in: Spektrum der Wissenschaft, Marz 1997,90–108.

Page 7: Willner - Finite Elemente

Kapitel 2

Die wesentlichen Schritte der FEM

Wie bereits in der Einleitung gesagt, besteht die Grundidee der Methode der finitenElemente in der Zerlegung eines kompliziert berandeten Gebietes in einfach berandeteElemente, fur die sich die Losung der zugrundeliegenden Differentialgleichung einfacherangeben lasst und dem anschließenden Zusammensetzen der Elementlosungen zu einerGesamtlosung unter Berucksichtigung der Randbedingungen. Dieses Zusammensetzen er-folgt durch geeignete Ubergangsbedingungen an den so genannten Knoten, die zum einenzur Definition der Elemente und zum anderen auch als Nahtstelle zwischen den Elementendienen.

Dieses Vorgehen soll im folgenden an einem einfachen Beispiel demonstriert werden, wobeiwir bereits alle wesentlichen Schritte bei der Losung eines linearen, strukturmechanischenProblems mit der Methode der finiten Elemente kennenlernen werden. Diese Schritte sindim einzelnen:

Wesentliche Schritte der FEM

1. Diskretisierung des Gebiets

2. Aufstellen der Elementmatrizen

3. Transformation von naturlichen Koordinaten auf lokale Koordinaten

4. Assemblierung

5. Einbau der Randbedingungen

6. Losen des linearen Gleichungssystems

Page 8: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 4

2.1 Beispiel: Tragwerk

Gegeben sei das skizzierte Rahmentragwerk mit den eingezeichneten Kraft- und Verschie-bungsrandbedingungen. Gesucht sind der Verschiebungszustand und die Schnittgroßen.

A, EI

F M

α

δ

1. Diskretisierung

Unter Diskretisierung versteht man das Zerlegen des Gebiets in geeignete finite Ele-mente, wobei in unserem Beispiel das Rahmentragwerk das Gebiet darstellt und diefolgenden Skizze eine geeignete Aufteilung in Elemente zeigt. Die Elemente werdendurch Knoten verbunden, die auch gleichzeitig zur Definition der Elemente dienen.Entsprechend der Aufgabenstellung und der gewahlten Diskretisierung handelt essich bei den verwendeten Elementen um Stab-/Balkenelemente mit jeweils zwei Kno-ten. Dabei ist jedes Element durch die Angabe dieser beiden Knoten in seiner Lagevollstandig beschrieben.

1

1

2

2

3

3

4

4

5

X

Yxy

rs

Page 9: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 5

Das Ziel der FEM ist es nun, die unbekannten Funktionen, hier also dieVerschiebungs- und Schnittgroßenverlaufe, auf die entsprechenden Werte an denKnoten zu reduzieren und damit das Differentialgleichungsproblem auf ein algebrai-sches Problem zuruckzufuhren.

Zur Beschreibung des FE-Problems werden drei verschiedene Koordinatensystemebenotigt:globale Koordinaten (X, Y ) zur Geometriebeschreibung der Struktur. In

diesen Koordinaten wird die Lage der Kno-ten angegeben und damit die Struktur defi-niert.

lokale Koordinaten (x, y) zur Beschreibung der Knotengroßen. Dies istmeist identisch mit dem globalen System,kann aber an jedem Knoten auch gedrehtsein, um zum Beispiel schiefe Randbedingun-gen auf einfache Weise berucksichtigen zukonnen (siehe Knoten 1).

naturliche Koordinaten (r, s) zur Beschreibung des Elementes.

2. Elementmatrizen

Fur die einzelnen finiten Elemente mussen nun die Beziehungen zwischen den stati-schen und den kinematischen Knotenvariablen formuliert werden. Dies geschieht ambesten in naturlichen Koordinaten. Zu jedem Element gehort ein eigenes naturlichesKoordinatensystem. Der Ursprung wird entweder am linken Ende oder in der Mittegewahlt. Bei den hier betrachteten Balkenelementen ist das naturliche System gleichdem ublichen Balkensystem parallel zur Langsachse.

r

s

Nl, vl

Ql, wl

Ml, w′l

Nr, vr

Qr, wr

Mr, w′r

Betrachten wir nun ein solches ebenes Balkenelement. Es besitzt an jedem Knotendrei Verschiebungsfreiheitsgrade, die wir in der Matrix der Elementverschiebungen v

zusammenfassen

v T = [vl, wl, w′l, vr, wr, w

′r] = [v T

l , v Tr ] .

Ebenso fassen wir die entsprechenden Knotenschnittgroßen in einer Matrix S zu-sammen

S T = [Nl, Ql, Ml, Nr, Qr, Mr] = [S Tl , S T

r ] .

Dabei ist darauf zu achten, dass hier im Gegensatz zur ublichen Definition dieSchnittgroßen auch am negativen Schnittufer in positive Richtung eingetragen wer-den. Dies ist eine Besonderheit bei der Methode der finiten Elemente, deren Vorteilspater beim Zusammenbau der Elemente zum Gesamtsystem klar wird.

Page 10: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 6

Zwischen den Elementverschiebungen v und den Schnittgroßen S besteht eine ma-trizielle Beziehung uber die Elementsteifigkeitsmatrix K

Nl

Ql

Ml

Nr

Qr

Mr

=

symmetrische6 × 6

MatrixHerleitung spater

vl

wl

w′l

vr

wr

w′r

S = Kv

Die Herleitung dieser Elementmatrizen fur verschiedene Elementtypen (Stabe, Bal-ken, Scheiben, Platten etc.) ist die Hauptaufgabe der FEM. Der ubliche Wegfuhrt dabei uber eine geeignete schwache Form der zugrundeliegenden Differenti-algleichung und die Verwendung von Ansatzfunktionen im Sinne eines Ritz- oderGalerkin-Verfahrens. Hier soll zunachst die Matrix fur ein Balken/Stab Elementeinfach angegeben werden, die Herleitung erfolgt spater:

K =

cD 0 0 −cD 0 00 12cB 6cBℓ 0 −12cB 6cBℓ0 6cBℓ 4cBℓ2 0 −6cBℓ 2cBℓ2

−cD 0 0 cD 0 00 −12cB −6cBℓ 0 12cB −6cBℓ0 6cBℓ 2cBℓ2 0 −6cBℓ 4cBℓ2

mit cD =EA

ℓ, cB =

EI

ℓ3

3. Transformation

Um die einzelnen Elemente nun zu einer Gesamtstruktur zusammenfugen zu konnen,mussen die Elementgroßen auf ein gemeinsames Koordinatensystem gebracht wer-den. Dies ist das lokale Knotensystem. Wahlt man am Knoten 2 zum Beispiel alslokales System ein dem globalen System paralleles, so mussen die Großen v1

r undS1

r in dieses System transformiert werden.

αu2x

u2y

v1r

w1r

Diese Transformation lautet zum Beispiel fur die Verschiebungsgroßen

u2x = v1r cos α − w1

r sin α

u2y = v1r sin α + w1

r cos α

φ2 = w′1r

Page 11: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 7

Allgemein ist die Transformation fur ein ebenes Balkenelement mit den Endknoteni und j

uix

uiy

φi

ujx

ujy

φj

︸ ︷︷ ︸

u

=

cos αi − sin αi 0 0 0 0sin αi cos αi 0 0 0 0

0 0 1 0 0 00 0 0 cos αj − sin αj 00 0 0 sin αj cos αj 00 0 0 0 0 1

︸ ︷︷ ︸

T T

vl

wl

w′l

vr

wr

w′r

︸ ︷︷ ︸

v

u = T Tv

Die Transformation fur die Schnittgroßen lautet naturlich genauso

S = T TS .

Beachtet man, dass die Transformationsmatrix T eigentlich orthogonal ist,

T−1 = T T ,

dann folgt fur die Schnittkraft–Verschiebungs–Beziehung in lokalen Koordinaten

S = KTu (2.1)

S = T TKTu

S = Ku .

4. Assemblierung

Unter Assemblierung versteht man den Zusammenbau der Elemente zur Gesamt-struktur. Dies geschieht durch Ausnutzen der Gleichgewichtsbeziehungen an denKnoten. Betrachten wir als Beispiel wieder den Knoten 2.

1

2

F2x

F2y

M2

S1

r

S2

l

Die Gleichgewichtsbeziehungen lauten∑

Fx = 0 = F2x − S12x − S2

2x −→ S12x + S2

2x = F ,∑

Fy = 0 = F2y − S12y − S2

2y −→ S12y + S2

2y = 0 ,∑

M = 0 = M2 − M12 − M2

2 −→ M12 + M2

2 = 0 .

Page 12: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 8

Mit der Matrix der außeren Knotenlasten am Knoten 2

f2 =

F2x

F2y

M2

=

F00

gilt also

f 2 = S1

2 + S2

2 .

Allgemein gilt an jedem Knoten i

f i =∑

e

Se

i ,

wobei uber die Kraftgroßen aller Elemente e zu summieren ist, die den Knoten ibeinhalten. Hier wird auch der Sinn der abweichenden Vorzeichenregel beim Aufstel-len der Elementbeziehungen klar: Da alle Schnittgroßen stets in positive Richtungzeigen, braucht man sich keine Gedanken um die Vorzeichen zu machen, sondernkann einfach aufaddieren.

Partitioniert man die Elementsteifigkeitsmatrix des Elements e entsprechend derKnotenzuordnung

Ke=

[

Ke

ii Ke

ij

Ke

ji Ke

jj

]

,

kann man die Gleichgewichtsaussage am Knoten 2 schreiben als

f 2 = K1

21u1 + K1

22u2 + K2

22u2 + K2

24u4

f 2 = K1

21u1 + (K1

22 + K2

22)u2 + K2

24u4

Schreibt man die Gleichgewichtsbeziehungen fur alle Knoten auf, so lasst sich dasfolgende Gesamtgleichungssystem angeben

=

1

1

2

2

3

3

4

4

5

5

F1x

F1y

M1

F2x

F2y

M2

F3x

F3y

M3

F4x

F4y

M4

F5x

F5y

M5

u1x

u1y

φ1

u2x

u2y

φ2

u3x

u3y

φ3

u4x

u4y

φ4

u5x

u5y

φ5

+

K1

11

K1

21

K1

12

K1

22

K2

22

K2

24

K2

42

K2

44

K3

33 K3

34

K3

43 +K3

44

+K4

44

K4

45

K4

54 K4

55

Page 13: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 9

Man sieht, dass die Elementmatrixanteile entsprechend den globalen Knotennum-mern der Elementknoten in die Systemmatrix einsortiert werden. Diesen Prozessnennt man Assemblierung. Wir werden darauf im nachsten Abschnitt noch nahereingehen.

5. Einbau der Randbedingungen

Berucksichtigen wir die gegebenen Randbedingungen, so stellen wir fest, dass wir aneinem Freiheitsgrad entweder die Kraftgroße oder die Verschiebungsgroße kennen.Fur unser Beispiel sieht das dann so aus:

=

F

M

δ

000

0

0000

00

00F1x

F3x

F5x

F5y

M5

u1y

φ1

u2x

u2y

φ2

u3y

φ3

u4x

u4y

φ4

+

K1

11

K1

21

K1

12

K1

22

K2

22

K2

24

K2

42

K2

44

K3

33 K3

34

K3

43 +K3

44

+K4

44

K4

45

K4

54 K4

55

Zur Losung partitioniert man jetzt das Gleichungssystem nach gegebenenVerschiebungs- und Kraftgroßen, wobei wir gegebene Großen mit einem Uberstrichkennzeichnen:

[Kuu Kuf

Kfu Kff

] [u

u

]

=

[f

f

]

Dieses Gleichungssystem lasst sich nun in zwei Schritten losen. Zuerst bestimmtman die unbekannten Verschiebungen aus der oberen Zeile zu

Kuuu = f − Kuf u

und dann die unbekannten Kraftgroßen aus der zweiten Zeile

Kfuu + Kff u = f .

Da die meisten Verschiebungsrandbedingungen homogen sind, wird in der pro-grammtechnischen Realisierung meistens ganz darauf verzichtet, die entsprechen-den Spalten und Zeilen der Systemmatrix aufzubauen. Stattdessen wird gleich einreduziertes System aufgestellt. In unserem Fall sieht dies so aus:

Page 14: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 10

=

F

M

δ

0000

00

00

F3x

u1y

φ1

u2x

u2y

φ2

u3y

φ3

u4x

u4y

φ4

Um die inhomogene Randbedingung u3x = δ einzubauen, wird die zugehorige Spalteder Systemmatrix mit δ multipliziert auf die rechte Seite gebracht und dann dieRandbedingung explizit in das System eingetragen:

-= -1

F

M

δ00000

0000000

000

0000

00000

0 00 0 0 0 0 0001

u1y

φ1

u2x

u2y

φ2

u3x

u3y

φ3

u4x

u4y

φ4

6. Gleichungslosung

Die FE-Diskretisierung liefert ein lineares Gleichungssystem der Form

Ku = f . (2.2)

Dabei sind in der Rechten Seite f die bekannten eingepragten Knotenkraftgroßenund die aquivalenten Kraftwirkungen der eingepragten Verschiebungen zusammen-gefasst. Die unbekannten Knotenverschiebungen stehen in der Matrix u. Gekoppeltwerden sie uber die Steifigkeitsmatrix K, die im Rahmen der Naherung der FEM-Diskretisierung die Steifigkeit der Struktur beschreibt.

Durch Losen des Gleichungssystems (2.2) lassen sich nun die unbekannten Verschie-bungen bestimmen. Dies geschieht mit Hilfe von Standardalgorithmen, wobei meistdie spezielle Struktur der Matrix (Symmetrie, Band) ausgenutzt werden kann. Ausden Elementgleichungen (2.1) erhalten wir dann in einer Nachschaltrechnung denBeanspruchungszustand im Inneren der Struktur (Schnittgroßen, Spannungen) aufElementebene.

Page 15: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 11

2.2 Die Elementsteifigkeitsmatrix

Im vorangegangenen Beispiel wurde die Elementsteifigkeitsmatrix fur das Stab-/Balkenelement ohne Herleitung einfach angegeben. Diese soll nun nachgeholt werden,wobei hier die so genannte Methode der Einheitsverschiebungen zur Ermittlung der Ele-mentsteifigkeitsmatrix verwendet werden soll. Dieses Verfahren ist fur das eindimensionaleStab-/Balkenelement sehr anschaulich und mit den Mitteln der aus dem Grundstudiumbekannten Technischen Mechanik leicht nachvollziehbar. Der Vorteil dieser Methode ist,dass die ermittelten Elementmatrizen stets exakt sind, solange keine Streckenlasten auf-treten. In diesem Fall liefert die Methode der finiten Elemente also keine Naherungslosung,sondern die exakte Losung. Der entscheidende Nachteil des Verfahrens ist allerdings, dasses fur andere Elementtypen praktisch nicht anwendbar ist. Wir werden uns daher spatereiner anderen, allgemein verwendbaren Methode zur Gewinnung von Elementmatrizenzuwenden. Da dafur aber noch etwas Vorarbeit notig ist, folgt hier zunachst die Methodeder Einheitsverschiebungen.

Wir beginnen dabei mit dem einfachen Stab und betrachten dazu ein frei geschnittenesStabelement mit den jeweiligen Kraft- und Verschiebungsgroßen an den freien Enden, dieja den Knoten entsprechen. Wie bereits im einleitenden Beispiel erlautert, werden dabeidie Knotenkraftgroßen abweichend von der ublichen Notation stets in positive Richtungeingezeichnet.

Nl, ul Nr, ur

Gesucht ist nun ein matrizieller Zusammenhang der Art

S = Kv (2.3)

fur die Kraft- und Verschiebungsgroßen an den Knoten, die in den Matrizen

S =

[Nl

Nr

]

und v =

[ul

ur

]

(2.4)

zusammengefasst sind. Um einen solchen Zusammenhang zu formulieren, werden jetzt sogenannte Einheitsverschiebungszustande aufgebracht. Dabei wird nacheinander jeweils einFreiheitsgrad definiert ausgelenkt, wahrend alle anderen festgehalten werden. Zu diesenEinheitsverschiebungszustanden werden die entsprechenden Schnittgroßen durch Losungder Verschiebungsdifferentialgleichung berechnet und anschließend mittels des Superpo-sitionsprinzips uberlagert. Man erhalt damit eine Beziehung fur die Schnittgroßen unddamit auch der Knotenkrafte infolge eines beliebigen Verschiebungszustandes.

Das Problem dabei ist allerdings, dass man fur die meisten Elementtypen nicht in derLage ist, die entsprechenden Differentialgleichungen exakt zu losen, so dass die Metho-de der Einheitsverschiebungen nur sehr eingeschrankt nutzbar ist. Ein Sonderfall stellenaber Stab- und Balkenprobleme dar, fur die die Losung der Differentialgleichungen keineProbleme bereitet.

Page 16: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 12

00

x

u

ul

ul

ℓ + ∆ℓ

Abbildung 2.1: Einheitsverschiebungszustand ul

Die Verschiebungsdifferentialgleichung fur den Stab lautet, wenn keine Streckenlasten be-trachtet werden und die Dehnsteifigkeit als konstant angenommen wird,

EAu′′ = 0 . (2.5)

Die allgemeine Losung erhalt man dann durch zweimaliges Integrieren zu

EAu′ = C1 (2.6)

EAu = C1x + C2 . (2.7)

Als erster Einheitsverschiebungszustand wird nun

vl =

[ul

0

]

(2.8)

betrachtet. Entsprechend der allgemeinen Losung (2.7) handelt es sich dann um einenlinearen Verschiebungsverlauf, wie er in Abbildung 2.1 gezeigt ist.

Anpassen der allgemeinen Losung an diese Randbedingungen liefert

u(x = 0) = ul → EAul = C2 (2.9)

u(x = ℓ) = 0 → 0 = C1ℓ + C2 (2.10)

und damit

C1 = −EA

ℓul und C2 = EAul . (2.11)

Die Normalkraft im Stab ist dann wegen

N = EAε = EAu′ = C1 (2.12)

gerade

N = −EA

ℓul , (2.13)

Page 17: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 13

NNl Nr

Abbildung 2.2: Stabschnittkraft und Knotenkrafte

0x

u

0

ur

ur

ℓ + ∆ℓ

Abbildung 2.3: Einheitsverschiebungszustand ur

und die entsprechenden Knotenkrafte ergeben sich aus den Gleichgewichtsbeziehungen,siehe Abbildung 2.2 zu

N ll = −N =

EA

ℓul (2.14)

N lr = N = −

EA

ℓul . (2.15)

Der zweite Einheitsverschiebungszustand ist durch

vr =

[0ur

]

(2.16)

gegeben und in Abbildung 2.3 gezeigt.

Anpassen an diese Randbedingungen liefert

u(x = 0) = 0 → 0 = C2 (2.17)

u(x = ℓ) = ur → EAur = C1ℓ + C2 (2.18)

und damit

C1 =EA

ℓur und C2 = 0 . (2.19)

Die Normalkraft im Stab ist nun

N =EA

ℓur , (2.20)

und die entsprechenden Knotenkrafte sind dann

N rl = −N = −

EA

ℓur (2.21)

N rr = N =

EA

ℓur . (2.22)

Page 18: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 14

Durch Superposition lassen sich jetzt die Knotenkrafte infolge eines allgemeinen Verschie-bungszustandes ermitteln:

Nl = N ll + N r

l =EA

ℓul −

EA

ℓur (2.23)

Nr = N lr + N r

r = −EA

ℓul +

EA

ℓur . (2.24)

Fasst man dies in Matrixform zusammen, dann findet man

[Nl

Nr

]

=EA

[1 −1

−1 1

] [ul

ur

]

. (2.25)

Dabei ist

K =EA

[1 −1

−1 1

]

(2.26)

die Elementsteifigkeitsmatrix eines Stabes.

Vollig aquivalent zum Stab kann nun auch die Elementsteifigkeitsmatrix eines Balkensbestimmt werden, was Ihnen als Ubungsaufgabe uberlassen wird. Als Ergebnis sollten Sie

Ql

Ml

Qr

Mr

=EI

ℓ3

12 6ℓ −12 6ℓ6ℓ 4ℓ2 −6ℓ 2ℓ2

−12 −6ℓ 12 −6ℓ6ℓ 2ℓ2 −6ℓ 4ℓ2

wl

w′l

wr

w′r

erhalten. Da die Stab- und Balkenanteile entkoppelt sind, konnen die einzelnen Matri-zen einfach zu einer Gesamtmatrix fur ein gemischtes Stab-/Balkenelement kombiniertwerden,

K =

cD 0 0 −cD 0 00 12cB 6cBℓ 0 −12cB 6cBℓ0 6cBℓ 4cBℓ2 0 −6cBℓ 2cBℓ2

−cD 0 0 cD 0 00 −12cB −6cBℓ 0 12cB −6cBℓ0 6cBℓ 2cBℓ2 0 −6cBℓ 4cBℓ2

mit cD =EA

ℓ, cB =

EI

ℓ3.

(2.27)Dies ist genau die Matrix, die im einleitenden Beispiel angegeben wurde.

Page 19: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 15

2.3 Assemblieren mittels Indextafel

Das einleitende Beispiel zeigte, dass die Anteile der Elementsteifigkeitsmatrizen entspre-chend den zugehorigen globalen Knoten bzw. entsprechend den zugehorigen globalen Frei-heitsgraden in die Systemsteifigkeitsmatrix einsortiert werden. Dieser Assemblierungspro-zess lasst sich sehr schon formalisieren, so dass man nicht stets die Gleichgewichtsbedin-gungen aufstellen muss, um die Gesamtsteifigkeitsmatrix aufzubauen.

Wir betrachten dazu das folgende eindimensionale Stabbeispiel in Abbildung 2.4, beste-hend aus 5 gleichen Stabelementen und 6 Knoten.

1 2 3 4 5 6

Abbildung 2.4: Diskretisierung fur ein Stabproblem

Die Matrixbeziehung fur ein Stabelement lautet

[Nl

Nr

]

=EA

[1 −1

−1 1

] [ul

ur

]

, (2.28)

und Assemblierung der Gesamtmatrix mit Hilfe der Gleichgewichtsbeziehungen an denKnoten liefert dann das folgende Gleichungssystem

EA

1 −1−1 2 −1

−1 2 −1−1 2 −1

−1 2 −1−1 1

u1

u2

u3

u4

u5

u6

=

F1

F2

F3

F4

F5

F6

, (2.29)

wenn an jedem Knoten eine außere Kraft Fi zugelassen wird und eventuelle Randbedin-gungen nicht berucksichtigt werden.

Anstelle die Gleichgewichtsbeziehungen explizit hinzuschreiben und daraus die Eintragein die Systemmatrix zu identifizieren, kann nun der Aufbau des Systemgleichungssystemsehr einfach mit Hilfe einer Indextafel1 durchgefuhrt werden. Die Indextafel stellt da-bei den Zusammenhang zwischen lokalen und globalen Freiheitsgraden her. Dazu musszunachst die Elementbeziehung etwas formaler aufgeschrieben werden, indem man dielokalen Freiheitsgrade einfach durchnummeriert, anstelle Knotenindizes wie l und r zuverwenden. Dies ist notig, da wir spater auch allgemeinere Elemente behandeln wollen,die zum Beispiel mehr als zwei Knoten haben und auch beliebig im Raum orientiert sind;eine Bezeichnung der lokalen Freiheitsgrade als linke und rechte Freiheitsgrade ist dannnaturlich unsinnig.

Bei dem Stabelement handelt es sich um ein 2-Knoten Element mit jeweils einem Freiheits-grad pro Knoten. Es gibt also 2 lokale Freiheitsgrade pro Element, die wir mit eldof(1)

1Die Indextafel wird mitunter auch als Inzidenztabelle oder Inzidenztafel bezeichnet.

Page 20: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 16

und eldof(2) bezeichnen. Sie entsprechen beim Stabelement den Verschiebungen ul undur bzw. in neuer Notation u1 und u2. Das Elementgleichungssystem (2.28) lautet dann

[N1

N2

]

=

[K11 K12

K21 K22

] [u1

u2

]

. (2.30)

Die globalen Freiheitsgrade werden ebenfalls fortlaufend durchnummeriert. Im Beispielhaben wir nur einen Freiheitsgrad pro Knoten, namlich die Verschiebung u. Daher kannhier die Nummerierung der Knoten und der globalen Freiheitsgrade identisch gewahltwerden.

In der Indextafel werden dann fur jedes Element die globalen Freiheitsgradnummern, diezu den jeweiligen lokalen Freiheitsgraden gehoren, eingetragen. Fur das Beispiel sieht dieIndextafel dann so aus:

Element eldof(1) eldof(2)

1 1 22 2 33 3 44 4 55 5 6

Mit Hilfe dieser Tabelle lasst sich nun fur jedes Element der Elementmatrizen die entspre-chende Position in der Systemmatrix bestimmen. Der Einbau erfolgt dann einfach durchAddition auf die jeweilige Position.

Zum Beispiel wird der Eintrag (1, 2) des Elements mit der Nummer 4 auf die Position (4, 5)der Systemmatrix addiert, wie in Abbildung 2.5 gezeigt.

Page 21: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 17

1

1

2

2

4 4

4

4

5

5

Elem.

Elementnummer

Elementmatrix

Systemmatrix

Indextafel

Abbildung 2.5: Assemblierung mittels Indextafel

Page 22: Willner - Finite Elemente

2 Die wesentlichen Schritte der FEM 18

Ubungsaufgaben

Ubung 2.1Leiten Sie die Elementsteifigkeitsmatrix fur ein Euler-Bernoulli-Balkenelement mit Hilfeder direkten Methode her. Gehen Sie dabei von der homogenen Differentialgleichung

EIw′′′′ = 0

fur einen Balken ohne Streckenlast aus und beantworten Sie zunachst folgende Fragen:Wieviele und welche Verschiebungsfreiheitsgrade hat dieses Element?Welche Knotenkraftgroßen gehoren zu diesen Freiheitsgraden?Wie sehen die zugehorigen Einheitsverschiebungen aus?

Ubung 2.2Leiten Sie das Gleichungssystem (2.29) mit Hilfe der Gleichgewichtsbeziehungen an denKnoten her.

Ubung 2.3Assemblieren Sie das Gleichungssystem (2.29) mit Hilfe der angegebenen Indextafel.

Ubung 2.4Uberlegen Sie, wieviele Freiheitsgrade ein gemischtes Stab/Balkenelement hat.Wieviele globale Freiheitsgrade hat das System aus Abschnitt 2.1, wenn die geometrischenRandbedingungen nicht berucksichtigt werden?Stellen Sie die Indextafel fur das Beispiel aus Abschnitt 2.1 auf.

Page 23: Willner - Finite Elemente

Kapitel 3

Synthetische Darstellung derStrukturmechanik

Unter synthetischer Darstellung versteht man die Formulierung eines mechanischen Pro-blems in Form von Differentialgleichungen mit entsprechenden Rand- und Anfangsbedin-gungen.

3.1 Grundgleichungen der linearen

Kontinuumsmechanik

Im folgenden stellen wir die entsprechenden Grundgleichungen der linearen Kontinuums-mechanik noch einmal zusammen, wie sie aus der Technischen Mechanik II bekannt sind.

Es gelten die

• lineare Verschiebungs-Verzerrungsrelation

~~ε =1

2

(grad ~u + (grad~u) T

), (3.1)

• die Impulsbilanz

~u = div ~~σ + ~b , (3.2)

und die

• Drallbilanz~~σ = ~~σ T . (3.3)

Fur einen linear elastischen Festkorper gilt außerdem das

• Stoffgesetz~~σ = λ(sp ~~ε)

~~I + 2µ ~~ε (3.4)

Fasst man diese Gleichungen zusammen, so findet man die Navier-Cauchy-Gleichungen,welche die Bewegungsdifferentialgleichungen fur ein dreidimensionales Kontinuum dar-stellen

~u = (λ + µ) grad (div ~u) + µ div (grad~u) + ~b . (3.5)

Page 24: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 20

Dazu kommen noch die

• Anfangsbedingungen

~u(~x, t0) = ~u0(~x) (3.6)

~v(~x, t0) = ~v0(~x) (3.7)

fur alle ~x ∈ V und die

• Randbedingungen~u(~x, t) = ~u(~x, t) ∀~x ∈ su (3.8)

bzw.~t(~x, t) = ~t(~x, t) ∀~x ∈ st . (3.9)

Dabei gilt, dass komponentenweise immer nur eine der beiden Randbedingungenauf einem Randstuck vorgegeben werden kann, su ∪ st = 0.

3.2 Kontinuum

Fur die folgenden Betrachtungen ist es gunstiger, die Tensornotation zu verlassen undauf eine Matrixschreibweise uberzugehen. Berucksichtigt man, dass der Verzerrungstensoraufgrund seiner Definition symmetrisch ist, so bleiben von den zunachst neun Eintragennur sechs unabhangige Verzerrungsgroßen ubrig. Diese lassen sich in einer Spaltenmatrix ǫ

zusammenfassen, wobei anstelle der Schubverzerrungen die entsprechenden Gleitungeneingefuhrt werden,

γ12 = ε12 + ε21 γ23 = ε23 + ε32 γ31 = ε31 + ε13 . (3.10)

Die Matrix der Verzerrungen ist dann

ǫT =[ε11 ε22 ε33 γ12 γ13 γ23

]. (3.11)

Genauso gilt aufgrund der Drallbilanz, dass der Spannungstensor symmtrisch ist. Auchhier existieren nur sechs unabhangige Großen, die sich ebenfalls in einer Spaltenmatrixzusammenfassen lassen,

σT =[σ11 σ22 σ33 σ12 σ13 σ23

]. (3.12)

Das linear-elastische Stoffgesetz kann dann als

σ11

σ22

σ33

σ12

σ13

σ23

=

λ + 2µ λ λ 0 0 0λ + 2µ λ 0 0 0

λ + 2µ 0 0 0µ 0 0

sym. µ 0µ

ε11

ε22

ε33

γ12

γ13

γ23

(3.13)

bzw. kurz als

σ = Cǫ (3.14)

Page 25: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 21

geschrieben werden. Mitunter ist auch die inverse Darstellung

ε11

ε22

ε33

γ12

γ13

γ23

=1

E

1 −ν −ν 0 0 01 −ν 0 0 0

1 0 0 02(1 + ν) 0 0

sym. 2(1 + ν) 02(1 + ν)

σ11

σ22

σ33

σ12

σ13

σ23

(3.15)

bzw.

ǫ = C−1σ (3.16)

nutzlich. Der Zusammenhang der Lame-Konstanten λ und µ mit den Ingenieurkonstan-ten Elastizitatsmodul E, Schubmodul G und Querkontraktionszahl ν ist dabei durch dieBeziehungen

λ =2G

1 − 2ν=

(1 + ν)(1 − 2ν), (3.17)

µ = G =E

2(1 + ν), (3.18)

E =µ(3λ + 2µ)

λ + µ, (3.19)

ν =λ

2(λ + µ)(3.20)

gegeben.

Die Verzerrungs-Verschiebungsrelation kann durch die Einfuhrung einer Operator-MatrixDεu dargestellt werden,

ε11

ε22

ε33

γ12

γ13

γ23

=

∂x0 0

0∂

∂y0

0 0∂

∂z∂

∂y

∂x0

0∂

∂z

∂y∂

∂z0

∂x

uvw

(3.21)

bzw.

ǫ = Dεuu . (3.22)

Analog zur Verschiebungs-Verzerrungsrelation kann auch die Impulsbilanz in Operator-

Page 26: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 22

matrixform angegeben werden,

ux

uy

uz

=

∂x0 0

∂y0

∂z

0∂

∂y0

∂x

∂z0

0 0∂

∂z0

∂y

∂x

σ11

σ22

σ33

σ12

σ13

σ23

+

bx

by

bz

(3.23)

u = Dgσ + b , (3.24)

mit dem Differentialoperator Dg der Gleichgewichtsbedingungen. Vergleicht man die bei-den Operatoren Dεu und Dg, so stellt man fest, dass

Dg = DTεu (3.25)

ist. Diese Beziehung gilt zwar fur das lineare 3-D Kontinuum, jedoch kann man im allge-meinen nicht von dieser Beziehung ausgehen.

Durch Einsetzen erhalt man schließlich auch die Navier-Cauchy-Gleichungen in Matrix-schreibweise

u = DgCDεuu + b . (3.26)

Die wesentlichen Großen sind im folgenden nocheinmal zusammengestellt:

3-D Kontinuum

u =

uvw

Dεu =

∂x0 0

0∂

∂y0

0 0∂

∂z∂

∂y

∂x0

0∂

∂z

∂y∂

∂z0

∂x

C =

λ + 2µ λ λ 0 0 0λ + 2µ λ 0 0 0

λ + 2µ 0 0 0µ 0 0

sym. µ 0µ

Zusammen mit den entsprechenden Anfangs- und Randbedingungen erlauben diese Glei-chungen prinzipiell die Losung beliebiger dreidimensionaler Probleme. Haufig ist aber eineLosung dieses relativ allgemeinen Falls gar nicht notig. Fur einige wichtige Spezialfallelassen sich bedeutende Vereinfachungen machen, die das Problem um ein oder zwei Di-mensionen verringern.

Ausgangspunkt fur die Vereinfachungen ist das Stoffgesetz des linearelastischen Kontinu-ums (3.13), in das nun spezielle Annahmen uber den Verzerrungs- oder Spannungszustandeingearbeitet werden, die das Problem um eine oder zwei Dimensionen reduzieren.

Page 27: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 23

3.3 Scheibe

Mit der Annahme, dass das Kontinuum nur in einer Ebene belastet ist, lasst sich dasProblem von drei auf zwei Dimensionen verringern. Wir werden dabei im folgenden davonausgehen, dass die Lastebene der xy-Ebene des Koordinatensystems entspricht.

Ebener VerzerrungszustandHier fordert man, dass nur Verzerrungen in der xy-Ebene auftreten, alle anderenVerzerrungen verschwinden identisch

εz = γyz = γzx = 0 . (3.27)

Das Stoffgesetz (3.13) vereinfacht sich dann zu

σx

σy

τxy

=

λ + 2µ λ 0λ λ + 2µ 00 0 µ

εx

εy

γxy

, (3.28)

mit

λ =Eν

(1 + ν)(1 − 2ν), µ =

E

2(1 + ν). (3.29)

Die Schubspannungen τyz und τzx verschwinden identisch wegen γyz = γzx = 0und die Spannung in Dickenrichtung lasst sich mit der Bedingung εz = 0 zuσz = λ(εx + εy) bestimmen. Die zugehorige Verzerrungs-Verschiebungsrelation lau-tet

εx

εy

γxy

=

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

[uv

]

. (3.30)

Ebener SpannungszustandHier fordert man, dass nur Spannungen in der xy-Ebene auftreten. Alle anderenSpannungen verschwinden identisch

σz = τyz = τzx = 0 . (3.31)

Zur Herleitung des entsprechenden Stoffgesetzes geht man am besten von der Dar-stellung (3.15) aus und findet dann

σx

σy

τxy

=E

1 − ν2

1 ν 0ν 1 00 0 1−ν

2

εx

εy

γxy

. (3.32)

Die Schubverzerrungen γyz und γzx verschwinden identisch wegen τyz = τzx = 0 unddie Verzerrung in Dickenrichtung lasst sich aus der Bedingung σz = 0 berechnen. DieVerzerrungs-Verschiebungsrelation lautet genauso wie beim ebenem Verzerrungszu-stand

εx

εy

γxy

=

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

[uv

]

. (3.33)

Page 28: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 24

x

r

φ

Abbildung 3.1: Axialsymmetrisches Element

Axialsymmetrischer VerzerrungszustandDer axialsymmetrische Verzerrungszustand entspricht einem radialen Schnitt durcheinen Rotationskorper, der rotationssymmetrisch belastet ist, zum Beispiel ein Rohrunter Innendruck. Anstelle des x, y, z-Systems fuhrt man hier zweckmaßigerweise einZylinderkoordinatensystem (x, r, φ) ein, siehe Abbildung 3.1.

Fur den axialsymmetrischen Spannungszustand verschwinden die Schubspannungenτxφ und τrφ. Das Stoffgesetz lautet dann

σx

σr

σφ

τxr

=

λ + 2µ λ λ 0λ λ + 2µ λ 0λ λ λ + 2µ 00 0 0 µ

εx

εr

εφ

γxr

. (3.34)

Neben den Verzerrungen in der x, r-Ebene treten hier auch noch Dehnungen inUmfangsrichtung auf, die sich aber sehr einfach zu εφ = ur/r berechnen lassen, sodass die komplette Verzerrungs-Verschiebungsrelation

εx

εr

εφ

γxr

=

∂x0

0∂

∂r

01

r∂

∂r

∂x

[ux

ur

]

(3.35)

lautet.

Auch hier sollen die relevanten Beziehungen nocheinmal zusammengefasst werden:

Ebener Verzerrungszustand

u =

[uv

]

Dεu =

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

C =

λ + 2µ λ 0λ λ + 2µ 00 0 µ

Page 29: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 25

Ebener Spannungszustand

u =

[uv

]

Dεu =

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

C =E

1 − ν2

1 ν 0ν 1 00 0 (1 − ν)/2

Axialsymmetrischer Zustand

u =

[ux

ur

]

Dεu =

∂x0

0∂

∂r

0 1/r

∂r

∂x

C =

λ + 2µ λ λ 0λ λ + 2µ λ 0λ λ λ + 2µ 00 0 0 µ

3.4 Stab

Eine noch starkere Vereinfachung ergibt sich, wenn man annimmt, dass die Belastung nurentlang einer Achse auftritt, die hier die x-Achse sein soll. In diesem Fall verschwindenalle Spannungen mit Ausnahme von σx,

σy = σz = τxy = τyz = τzx = 0 . (3.36)

Das Stoffgesetz reduziert sich zuσx = Eεx . (3.37)

Die Schubverzerrungen γxy, γyz und γzx verschwinden identisch wegen τxy = τyz = τzx = 0.Die Verzerrungen in den Querrichtungen lassen sich aus den Bedingungen σy = σz = 0berechnen. Die Verzerrungs-Verschiebungsrelation lautet

εx =∂u

∂x. (3.38)

Die wesentlichen Großen in Matrixnotation sind:

1-D Kontinuum (Stab)

u =[ux

]Dεu =

[

∂x

]

C =[E]

Scheiben und Stabe werden haufig auch als zwei- bzw. eindimensionale Kontinua bezeich-net, da sie spezielle Zustande des dreidimensionalen Kontinuums darstellen, in denen manbestimmte Spannungsgroßen oder Verzerrungsgroßen zu Null gesetzt hat.

Page 30: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 26

Weitergehende Vereinfachungen machen zusatzliche Annahmen notig. In der Regel han-delt es sich dabei um kinematische Annahmen, und wir wollen uns dies am Beispiel desBalkens veranschaulichen.

3.5 Schubstarrer Balken

Im Rahmen der Euler-Bernoulli-Theorie des schubstarren Balkens werden folgende An-nahmen gemacht:

1. die Querschnitte bleiben eben,

2. die Querschnittsgestalt bleibt erhalten,

3. die Querverschiebungen im Querschnitt sind konstant

4. und die Querschnitte bleiben senkrecht auf der Mittellinie.

Ausgangspunkt der weiteren Betrachtungen ist der ebene Spannungszustand, der bei Bie-geproblemen ublicherweise in der xz-Ebene dargestellt wird, wobei die x-Achse in Bal-kenlangsrichtung orientiert wird. Die getroffenen Annahmen entsprechen dem folgendenVerschiebungsfeld (Abbildung 3.2)

u(x, z) = −w′(x)z Annahmen 1 und 4 (3.39)

w(x, z) = w(x, z = 0) Annahme 3 . (3.40)

Die Annahme 2 entspricht einer Vernachlassigung der Querkontraktion.

x

zw(x)

w′

w′

Abbildung 3.2: Zum Verschiebungsfeld des schubstarren Balkens

Aus der Verschiebungs-Verzerrungsrelation (3.33) folgt

εx =∂u

∂x= −w′′(x)z (3.41)

εz =∂w

∂z= 0 (3.42)

γzx =∂u

∂z+

∂w

∂x= −w′ + w′ = 0 . (3.43)

Page 31: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 27

Die zugehorigen Spannungen sind dann bei Vernachlassigung der Querkontraktion gemaßAnnahme 3

σx = −Ew′′z (3.44)

σz = 0 (3.45)

τzx = 0 . (3.46)

Integration der Spannungen uber den Querschnitt liefert die bekannten Schnittgroßen ausAbbildung 3.3 zu

N(x) =

h/2∫

−h/2

σx b dz = 0 (3.47)

Q(x) =

h/2∫

−h/2

τzx b dz = 0 (3.48)

M(x) =

h/2∫

−h/2

z σx b dz = −Ebh3

12w′′ , (3.49)

wobei wir der Einfachheit halber eine konstante Querschnittsbreite b angenommen haben.

h/2

h/2

x

z

N

Q

M

Abbildung 3.3: Schnittgroßen am Balken

Es folgt also fur das Moment das bekannte Stoffgesetz

M = −EIw′′ = EIκ (3.50)

mit dem Flachentragheitsmoment fur einen rechteckigen Querschnitt

I =bh3

12(3.51)

und der Krummung des Balkensκ = −w′′ . (3.52)

Wie wir außerdem sehen, entsprechen die Annahmen einem Zustand reiner Momentenbe-lastung ohne Querkraft; bei Querkraftbelastung sind die Annahmen offensichtlich nichtkorrekt. Sie stellen bei schlanken Balken jedoch immer noch eine gute Naherung dar,

Page 32: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 28

dx

qz

Q

Q + Q′dx

M M + M ′dx

Abbildung 3.4: Gleichgewicht am Balkenelement

wobei man aber die Schubspannungen τxz und damit die Querkraft nicht aus dem Ver-zerrungszustand ermitteln kann. Stattdessen muss das Gleichgewicht am Balkenelementausgenutzt werden.

Mit Hilfe der Abbildung 3.4 finden wir die aus der technischen Mechanik bekannten Zu-sammenhange, wobei hier auch noch Tragheitseffekte berucksichtigt werden,

Fz −→ Aw = qz + Q′ (3.53)∑

My −→ Iw′ = Q − M ′ (3.54)

und daraus die Bewegungsdifferentialgleichung des Balkens

Aw − (Iw′)′ = M ′′ + qz . (3.55)

Auch diese Gleichung kann noch durch Einsetzen des Stoffgesetzes und der Verschiebungs-Verzerrungsrelation in eine reine Verschiebungsdifferentialgleichung uberfuhrt werden,

Aw − (Iw′)′ = −(EIw′′)′′ + qz . (3.56)

Wir werden spater sehen, dass man den Anteil (Iw′)′ an den Tragheitskraften ver-nachlassigen kann. Damit bleibt

Aw = −(EIw′′)′′ + qz . (3.57)

Auch diese Gleichung kann formal in Matrixform geschrieben werden, wenn man zunachstden Verschiebungsvektor u

u =[w]

, (3.58)

und die Matrix der Verschiebungs-Verzerrungsrelation Dεu

Dεu =

[

−∂2

∂x2

]

(3.59)

einfuhrt. Man findet damit die Verzerrungs-Verschiebungsrelation (3.52)

[κ]

=

[

−∂2

∂x2

][w]

bzw. ǫ = Dεuu , (3.60)

wobei hier offensichtlich die Krummung κ die Rolle der Verzerrungen einnimmt. DasStoffgesetz (3.50) kann in Matrixform als

[M]

=[EI] [

κ]

bzw. σ = Cǫ (3.61)

Page 33: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 29

geschrieben werden, wobei das Moment M die Rolle der Spannungen ubernimmt. Mitdem Operator der Gleichgewichtsbedingung Dg

Dg =

[

∂2

∂x2

]

(3.62)

und dem Lastvektorb =

[qz

](3.63)

lautet die Bewegungsgleichung (3.56) schließlich

Au = DgCDεuu + b , (3.64)

was formal identisch zur Bewegungsgleichung (3.26) des Kontinuums ist.

Auch fur den schubstarren Balken konnen die wesentlichen Großen wieder in der bereitsbekannten Matrixnotation dargestellt werden:

Schubstarrer Balken

u =[w]

Dεu =

[

−∂2

∂x2

]

C =[EI]

3.6 Schubweicher Balken

Eine Erweiterung der vorgestellten Balkentheorie ist die Timoshenko-Theorie des schub-weichen Balkens. Hier wird die Hypothese von Bernoulli, dass die Querschnitte senkrechtauf der Mittellinie bleiben, fallengelassen.

Im Rahmen der Timoshenko-Theorie des schubweichen Balkens werden dann folgendeAnnahmen gemacht:

1. die Querschnitte bleiben eben,

2. die Querschnittsgestalt bleibt erhalten

3. und die Querverschiebungen im Querschnitt sind konstant.

Ausgangspunkt der weiteren Betrachtungen ist nun wieder der ebene Spannungszustand.Die getroffenen Annahmen entsprechen dem folgenden Verschiebungsfeld, das in Abbil-dung 3.5 gezeigt ist,

u(x, z) = β(x)z Annahme 1 (3.65)

w(x, z) = w(x, z = 0) Annahme 3 . (3.66)

Die Annahme 2 entspricht wieder einer Vernachlassigung der Querkontraktion.

Aus der Verschiebungs-Verzerrungsrelation (3.33) folgt

εx =∂u

∂x= β ′(x)z (3.67)

εz =∂w

∂z= 0 (3.68)

γzx =∂u

∂z+

∂w

∂x= β + w′ . (3.69)

Page 34: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 30

x

zw(x)

w′

w′β

Abbildung 3.5: Zum Verschiebungsfeld des schubweichen Balkens

Die zugehorigen Spannungen sind dann bei Vernachlassigung der Querkontraktion gemaßAnnahme 3

σx = Eβ ′z (3.70)

σz = 0 (3.71)

τzx = G (β + w′) . (3.72)

Integration der Spannungen uber den Querschnitt liefert die Schnittgroßen (vergleicheAbbildung 3.3)

N(x) =

h/2∫

−h/2

σx b dz = 0 (3.73)

Q(x) =

h/2∫

−h/2

τzx b dz = GA (β + w′) (3.74)

M(x) =

h/2∫

−h/2

z σx b dz = Ebh3

12β ′ , (3.75)

wobei wir der Einfachheit halber wieder eine konstante Querschnittsbreite b angenommenhaben.

Es folgt also fur das Moment die Beziehung

M = EIβ ′ (3.76)

mit dem Flachentragheitsmoment fur einen rechteckigen Querschnitt

I =bh3

12. (3.77)

Betrachtet man die Schubspannungsverteilung, so stellt man fest, dass der konstante Ver-lauf uber die Hohe nicht korrekt sein kann, da er die Forderung nach der Gleichheitder zugeordneten Schubspannungen fur z = h/2 und z = −h/2 verletzt. Dort musstendie Schubspannungen eigentlich verschwinden. Die Annahme des Ebenbleibens der Quer-schnitte ist damit offensichtlich nicht ganz richtig. Man korrigiert diesen Fehler durch

Page 35: Willner - Finite Elemente

3 Synthetische Darstellung der Strukturmechanik 31

Einfuhren des so genannten Schubquerschnitts As anstelle der Querschnittsflache A undschreibt dann fur die Querkraft die Beziehung

Q(x) = GAs (β + w′) (3.78)

mit dem Schubquerschnitts As fur einen rechteckigen Querschnitt

As =5

6A . (3.79)

Auf die Herleitung dieser Beziehung wollen wir hier nicht weiter eingehen.

Aus dem Gleichgewicht am Balkenelement findet man dann die Zusammenhange

Fz −→ Aw = qz + Q′ (3.80)∑

My −→ Iβ = M ′ − Q (3.81)

und daraus die gekoppelten Bewegungsdifferentialgleichungen des schubweichen Balkens

Iβ = EIβ ′′ − GAs (β + w′) (3.82)

Aw = GAs (β ′ + w′′) + qz . (3.83)

Auch fur den schubweichen Balken konnen die wesentlichen Großen in der bereits bekann-ten Matrixnotation dargestellt werden:

Schubweicher Balken

u =

[wβ

]

Dεu =

∂x1

0∂

∂x

C =

[GAs 0

0 EI

]

Page 36: Willner - Finite Elemente

Kapitel 4

Die Methode der gewichtetenResiduen

Da sich die Differentialgleichungen der synthetischen Formulierungen nur fur sehr einfa-che Geometrien und Randbedingungen direkt losen lassen, muss man bei komplizierterenProblemen mit Naherungslosungen auskommen. Hierfur ist die Methode der gewichteten

Residuen ein geeigneter Ausgangspunkt. Wir werden verschiedene Varianten dieser Me-thode diskutieren, wobei sich insbesonders das Galerkin-Verfahren als gunstig erweisenwird.

4.1 Die Grundidee

Fur die folgenden allgemeinen Betrachtungen nehmen wir an, dass uns ein beliebigesRandwertproblem mit einer Differentialgleichung in einem Gebiet Ω und dazugehorigenRandbedingungen auf dem Rand Γ gegeben ist. Um uns nicht auf eine spezielle Differen-tialgleichung festlegen zu mussen, schreiben wir sie erstmal in der abstrakten Form

Fu = 0 in Ω (4.1)

wobei u die unbekannte Feldfunktion ist, die wir als Losung der Differentialgleichung su-chen. Die geschweiften Klammern zeigen dabei an, dass es sich bei Fu um die Funktioneiner Funktion handelt. Eine solche Funktionenfunktion wird als Funktional bezeichnet.Genauso konnen wir die Randbedingungen als

Suu = 0 auf Γu (4.2)

Stu = 0 auf Γt (4.3)

schreiben. Wir haben hier den Rand entsprechend den betrachteten Randbedingungenaufgespalten in den Rand Γu auf dem die so genannten wesentlichen Randbedingungen furdie Feldvariable u selbst gegeben sind, also bei einem mechanischen Problem typischer-weise die Verschiebungsgroßen, und den Rand Γt auf dem die so genannten naturlichen

Randbedingungen gegeben sind, also bei einem mechanischen Problem typischerweise dieSpannungs- oder Kraftgroßen.

Nehmen wir nun an, dass wir eine passende Losung u des Randwertproblems gefunden

Page 37: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 33

haben. Wie man sofort sieht, gilt dann auch

Ω

wΩ Fu dΩ = 0 , (4.4)

Γu

wΓuSuu dΓ = 0 , (4.5)

Γt

wΓtStu dΓ = 0 , (4.6)

wobei wΩ, wΓuund wΓt

zunachst beliebige Funktionen darstellen, die im Gebiet Ω bzw.auf dem Randern Γu und Γt definiert sind; sie werden als Wichtungsfunktionen bezeichnet.

Diese Darstellung ist vollig aquivalent zur Differentialgleichungsdarstellung (4.1) mit (4.2)und (4.3). Wenn man also zeigen kann, dass fur eine Funktion v die Gleichungen

Ω

wΩ Fv dΩ = 0 (4.7)

Γu

wΓuSuv dΓ = 0 (4.8)

Γt

wΓtStv dΓ = 0 (4.9)

fur beliebige Wichtungsfunktionen wΩ, wΓuund wΓt

erfullt sind, dann ist v auch eineLosung des Problems (4.1) mit den Randbedingungen (4.2) und (4.3). Nun ist es allerdingsmeist schwierig zu zeigen, dass die obigen Gleichungen fur beliebige Wichtungsfunktionenerfullt sind, so dass sie fur die exakte Losung von Differentialgleichungen selten gebrauchtwerden. Der Nutzen dieser Formulierung kommt jedoch bei Naherungsverfahren zum Tra-gen, bei denen man sich auf bestimmte Wichtungsfunktionen w beschrankt und dann nurnoch eine Naherungslosung u fur die Differentialgleichung sucht.

Ein solches Naherungsverfahren ist die Methode der gewichteten Residuen. Die grundle-gende Idee dieses Naherungsverfahrens ist es, Ansatze fur die gesuchte Losung der Dif-ferentialgleichung einzufuhren und diese dann so anzupassen, dass sie die wahre Losungmoglichst gut approximieren. Entsprechend diesem Grundgedanken, wahlen wir fur dieunbekannte Losungsfunktion u eine Ansatzfunktion u, die durch eine Reihe von Form-

funktionen ui mit freien Parametern ci gebildet wird. Eine typische Ansatzfunktion hatdann zum Beispiel die lineare Form

u =N∑

i

ci ui , (4.10)

jedoch sind auch andere Formen moglich. Im Allgemeinen wird eine solche Ansatzfunktionmit beliebigen Parametern weder die Differentialgleichung noch die Randbedingungenerfullen. Setzen wir die Ansatzfunktion zum Beispiel in die Differentialgleichung ein, dannfuhrt das zu einem Fehler oder Residuum RΩ der Form

Fu = RΩ(c1, . . . , cN) 6= 0 (4.11)

Page 38: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 34

im Gebiet. Dasselbe gilt auch fur die Randbedingungen, bei denen sich Residuen

Suu = RΓu(c1, . . . , cN) 6= 0 (4.12)

Stu = RΓt(c1, . . . , cN) 6= 0 (4.13)

auf dem Rand ergeben. Der Vorteil dieses Vorgehens ist aber, dass durch das Einfuhrender Ansatzfunktion aus dem Funktional Fu wieder eine normale Funktion R(c1, . . . , cN)wird, die nur noch von unbekannten Parametern ci abhangt und nicht mehr von einerunbekannten Funktion u.

Das Ziel muss es nun sein, die freien Parameter ci so zu bestimmen, dass die Fehler RΩ,RΓu

und RΓtmoglichst klein werden und somit die Naherungslosung die wahre Losung

moglichst gut approximiert. Im besten Fall finden wir dabei Parameter, fur die die Re-siduen vollstandig und uberall verschwinden, was dann nichts anderes bedeutet, als daswir die exakte Losung gefunden haben.

Bei der Methode der gewichteten Residuen wird nun dieser Ansatz in die gewichtetenIntegrale (4.4) bzw. (4.5) und (4.6) eingesetzt und dann gefordert, dass diese verschwinden:

Ω

wΩ Fu dΩ =

Ω

wΩ RΩ(c1, . . . , cN) dΩ!= 0 , (4.14)

Γu

wΓuSuu dΓ =

Γu

wΓiRΓu

(c1, . . . , cN) dΓ!= 0 , (4.15)

Γt

wΓtStu dΓ =

Γt

wΓtRΓt

(c1, . . . , cN) dΓ!= 0 . (4.16)

Die Idee hinter diesem Vorgehen ist es, den Fehler im integralen Mittel uber das Gebietbzw. uber dem Rand zu Null zu bringen.

Mit (4.14) bis (4.16) haben wir nun drei Gleichungen fur N unbekannte Parameter ci, wasnur im Fall N = 3 ein konsistentes Gleichungssystem liefert. Um eine passende Anzahlvon Gleichungen zu erhalten, addieren wir daher zunachst die drei gewichteten Residuenim Gebiet und auf dem Rand zu

Ω

wΩ RΩ(c1, . . . , cN) dΩ +

Γu

wΓuRΓu

(c1, . . . , cN) dΓ

+

Γt

wΓtRΓt

(c1, . . . , cN) dΓ = 0 . (4.17)

Diese Addition stellt eine weitere Schwachung der Anforderungen an die Losung dar, daja jetzt nur noch gefordert wird, dass die Summe der Residuen verschwindet und nichtmehr jedes Residuum fur sich. Da wir jetzt nur noch eine Gleichung zur Verfugung ha-ben, ist zunachst auch nur der Fall N = 1 abgedeckt. Allerdings erhalt man im Fallevon N > 1 unbekannten Parametern die notige Anzahl von Gleichungen durch die Wahlvon N Wichtungsfunktionen. Anstelle also das Verschwinden der Residuen lokal zu for-dern, fordern wir jetzt nur noch das Verschwinden der Summe der Integrale der Residuenmultipliziert mit einer ausgewahlten Anzahl von Wichtungsfunktionen. Dies liefert dann

Page 39: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 35

gerade N Gleichungen fur die N unbekannten Parameter ci, die sich als∫

Ω

wΩj Fu dΩ +

Γu

wΓuj Suu dΓ +

Γt

wΓtj Stu dΓ =

Ω

wΩj RΩ(c1, . . . , cN) dΩ +

Γu

wΓuj RΓu(c1, . . . , cN) dΓ

+

Γt

wΓtj RΓt(c1, . . . , cN) dΓ = 0 , j = 1, . . . , N , (4.18)

schreiben lassen. Die Ausdrucke∫

Ω

wΩj RΩ(c1, . . . , cN) dΩ ,

Γu

wΓuj RΓu(c1, . . . , cN) dΓ (4.19)

und

Γt

wΓtj RΓt(c1, . . . , cN) dΓ (4.20)

stellen dabei gerade die gewichteten Residuen dar, die der Methode den Namen geben.

Der entscheidende Punkt fur eine erfolgreiche Anwendung der Methode der gewichtetenResiduen ist naturlich die Wahl geeigneter Ansatz- und Wichtungsfunktionen.

4.2 Ansatzfunktionen

Bei der Wahl der Ansatzfunktionen haben wir drei grundlegende Alternativen:

1. Die erste Moglichkeit ist, eine Ansatzfunktion zu wahlen, welche die Randbedin-gungen aber nicht die Differentialgleichung erfullt. Damit verschwindet das Residu-um RΓ auf dem Rand und es bleibt nur das Residuum RΩ im Gebiet. Dies fuhrtauf eine Gebietsmethode, da wir nur noch Parameter suchen mussen, um die Dif-ferentialgleichung im integralen Mittel im Gebiet zu erfullen. Es ist jedoch haufigschwierig, eine Ansatzfunktion zu finden, die alle Randbedingungen erfullt.

2. Die zweite Alternative besteht darin, eine Ansatzfunktion zu wahlen, die die Diffe-rentialgleichung erfullt und dann Parameter zu suchen, fur welche die Randbedin-gungen im integralen Mittel erfullt werden. Hier entfallt das Residuum im Gebiet.Eine solches Vorgehen wird Randmethode genannt. Auch hier gibt es Probleme, dawenigstens eine spezielle Losung der Differentialgleichung bekannt sein muss.

3. Der dritte Weg besteht in der Wahl einer Ansatzfunktion, die weder die Differential-gleichung noch die Randbedingungen erfullt und somit auf eine gemischte Methode

fuhrt. Hier sind dann sowohl das Residuum auf dem Rand als auch das Residuumim Gebiet zu verwenden. Hinsichtlich der Wahl der Ansatzfunktion ist dies naturlicham einfachsten, jedoch werden die Ergebnisse im allgemeinen schlechter sein, als dieder anderen Varianten, in die man bereits einige Informationen uber das Problemgesteckt hat. Einen Kompromiss kann man erreichen, wenn man eine Ansatzfunk-tion wahlt, die nur einen Teil der Randbedingungen erfullt, so dass dann nur dienicht erfullten Randbedingungen in Form eines Residuums berucksichtigt werdenmussen. Dies ist die meistens gewahlte Variante.

Page 40: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 36

Die verschiedenen Methoden sind in Tabelle 4.1 nocheinmal zusammengestellt.

DGL erfullt RB erfullt Methodenein ja Gebietsmethodeja nein Randmethode

nein nein gemischte Methode

Tabelle 4.1: Wahl der Ansatzfunktion

4.3 Wichtungsfunktionen

Als Wichtungsfunktionen kommen einen ganze Reihe von Funktionen in Frage, von denenwir hier aber nur diejenigen diskutieren, die in den ublichen Fallen gute Resultate lie-fern. Wir beschranken uns bei der folgenden Diskussion zunachst auf den Fall einer reinenGebietsmethode und nehmen daher stets an, dass die Ansatzfunktionen alle Randbedin-gungen erfullen. Damit entfallt das Residuum auf dem Rand.

TeilgebietsmethodeFur die Teilgebietsmethode teilen wir das Gebiet Ω in N Teilgebiete Ωj auf undwahlen als Wichtungsfunktionen

wΩj =

1 wenn x ∈ Ωj

0 wenn x 6∈ Ωj

. (4.21)

Dies liefert N Gleichungen∫

Ωj

RΩ(c1, . . . , cN) dΩ = 0 , j = 1, . . . , N (4.22)

fur die N unbekannten Parameter ci. Im allereinfachsten Fall eines einzigen freienParameters fordern wir dann einfach, dass das Integral uber das Residuum ver-schwindet, ∫

Ω

RΩ(c) dΩ = 0 . (4.23)

Ublicherweise teilt man das Gebiet in gleichmaßige Teilgebiete, aber dies ist nichtzwingend notig.

KollokationsmethodeDie Kollokationsmethode benutzt die Dirac-Distribution als Wichtungsfunktion.

Wir wollen uns dazu zunachst einmal die Eigenschaften dieser Distribution1 an-schauen. Die Dirac-Distribution hat die folgende Definition:

δ(x − xj) =

0 wenn x 6= xj

∞ wenn x = xj

(4.24)

1Der Dirac-Distribution fehlen einige Eigenschaften, die sie als echte Funktion im strengen mathema-

tischen Sinne qualifizieren, daher wird sie auch nur als Distribution und nicht als Funktion bezeichnet.

Allerdings spielt der Unterschied hier keine Rolle.

Page 41: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 37

und∫

Ω

δ(x − xj) dΩ =

1 wenn xj ∈ Ω

0 wenn xj 6∈ Ω. (4.25)

Die nutzliche Eigenschaft der Dirac-Distribution ist ihre Filterfunktion,∫

Ω

δ(x − xj)f(x)dΩ = f(xj) . (4.26)

Benutzt man diese Distribution als Wichtungsfunktion, erhalt man daher∫

Ω

δ(x − xj)RΩ(c1, . . . , cN) dΩ = RΩ(c1, . . . , cN)|x=xj= 0 , j = 1, . . . , N .

(4.27)Dies bedeutet, dass man das Verschwinden des Residuums an einer Reihe von Nausgewahlten Kollokationspunkten xj fordert, was N Gleichungen fur die N unbe-kannten Parameter ci liefert. Der Erfolg dieser Methode hangt stark von der Wahlder Kollokationspunkte ab, die eine gewisse Einsicht des Benutzers in das Problemverlangt.

FehlerquadratmethodeDie Fehlerquadratmethode, auch Least-Squares-Methode genannt, fordert die Mini-mierung des Ausdrucks

Ω

R2Ω(c1, . . . , cN) dΩ = min. (4.28)

und fuhrt damit auf die Forderung∫

Ω

∂R

∂cjR(c1, . . . , cN) dΩ = 0 , j = 1, . . . , N . (4.29)

Auch dies liefert N Gleichungen. Als Wichtungsfunktionen identifiziert man hier

wΩj =∂R

∂cj

. (4.30)

Das folgende Beispiel zeigt die Anwendung der verschiedenen Methoden auf ein einfachesProblem.

Beispiel 4.1We betrachten einen beidseitig gelenkig gelagerten Balken der Lange ℓ unter einer kon-stanten Streckenlast q0.

x

EI

q0

Page 42: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 38

Die Differentialgleichung lautet

w,xxxx =q0

EI(4.31)

mit den Randbedingungen

w(x = 0) = 0 w,xx(x = 0) = 0 (4.32)

w(x = ℓ) = 0 w,xx(x = ℓ) = 0 . (4.33)

Damit erhalten wir die exakte Losung zu

w(x) =q0

EI

ℓ4

24

(x

)4

− 2(x

)3

+(x

)

. (4.34)

Die maximale Verschiebung tritt bei x = ℓ/2 auf und betragt

wmax =5

384

q0ℓ4

EI≈ 0.01302

q0ℓ4

EI. (4.35)

Wir werden dieses Problem nun alternativ mit der Methode der gewichteten Residuenlosen. Als Ansatzfunktion wahlen wir

w = c sinπx

ℓ, (4.36)

w,xx = −c(π

)2

sinπx

ℓ, (4.37)

w,xxxx = c(π

)4

sinπx

ℓ. (4.38)

Dieser Ansatz hat nur einen unbekannten Parameter c und erfullt alle Randbedingungen,wie sich leicht uberprufen lasst. Der Parameter kann als Verschiebung am Mittelpunkt in-terpretiert werden und kann deshalb direkt mit der exakten Losung bei x = ℓ/2 verglichenwerden.

Da die Randbedingungen exakt erfullt werden, gibt es nur ein Residuum im Gebiet. Diesesist

R = w,xxxx −q0

EI= c

)4

sinπx

ℓ−

q0

EI. (4.39)

Wir werden nun nacheinander alle oben angesprochenen Methoden auf das Problem an-wenden:

TeilgebietsmethodeMit der Teilgebietsmethode finden wir entsprechend (4.23)

ℓ∫

0

(

c(π

)4

sinπx

ℓ−

q0

EI

)

· 1 dx = 0 . (4.40)

Dies fuhrt auf

c(π

)4 [

− cosπx

]ℓ

0

π=

q0ℓ

EI(4.41)

c 2(π

)3

=q0ℓ

EI(4.42)

und schließlich zu

c =1

2π3

q0ℓ4

EI≈ 0.01613

q0ℓ4

EI. (4.43)

Page 43: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 39

KollokationsmethodeAls Kollokationspunkt verwenden wir x = ℓ/2 und erhalten

c(π

)4

sinπ

2=

q0

EI. (4.44)

Dies liefert

c =1

π4

q0ℓ4

EI≈ 0.01027

q0ℓ4

EI. (4.45)

FehlerquadratmethodeMit

∂R

∂c=(π

)4

sinπx

ℓ(4.46)

erhalten wir

ℓ∫

0

(

c(π

)4

sinπx

ℓ−

q0

EI

)((π

)4

sinπx

)

dx = 0 . (4.47)

Daraus ergibt sich

c(π

)8ℓ∫

0

sin2 πx

ℓdx =

q0

EI

)4ℓ∫

0

sinπx

ℓdx (4.48)

c(π

)4[

−1

4sin

2πx

ℓ+

πx

2ℓ

]ℓ

0

π=

q0

EI

[

− cosπx

]ℓ

0

π(4.49)

c(π

)4 ℓ

2= 2

π

q0

EI(4.50)

und schließlich

c =4

π5

q0ℓ4

EI≈ 0.01307

q0ℓ4

EI. (4.51)

Die Kollokationsmethode ist offensichtlich am einfachsten zu benutzen, da keine Integralegelost werden mussen. Jedoch zeigen die Ergebnisse, die in Tabelle 4.2 zusammengefasstsind, das die Fehlerquadratmethode das beste Ergebnis liefert.

Methode cEI

q0ℓ4Fehler

exakt 0.01302 –

Teilgebiet 0.01613 24%

Kollokation 0.01027 21%

Fehlerquadrat 0.01307 0.4%

Tabelle 4.2: Ergebnisse fur verschiedene Naherungsverfahren fur das Balken-Beispiel

Page 44: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 40

4.4 Das Galerkin-Verfahren

Die im letzten Abschnitt gestellte Forderung nach Erfullung der Randbedingungen durchdie Ansatzfunktionen kann gelockert werden, wenn man das Randresiduum mit beruck-sichtigt, was auf eine gemischte Methode fuhrt. Jedoch muss man hier bei der Wahl derWichtungsfunktionen aufpassen, da man die Wichtungsfunktionen fur das Gebiet undden Rand nicht vollig unabhangig voneinander wahlen kann. Wir wollen dies an einemBeispiel untersuchen.

Beispiel 4.2Wir betrachten dazu einen einseitig eingespannten Stab unter einer Streckenlast p(x),einer Einzellast P am freien Ende bei x = ℓ und einer vorgegebenen Verschiebung u beix = 0.

x, u

u

Pp(x)

Die Differentialgleichung lautet

EAu′′ + p = 0 in Ω : 0 < x < ℓ (4.52)

mit den Randbedingungen

u(0) = u auf Γu : x = 0 , (4.53)

EAu′(ℓ) = P auf Γt : x = ℓ . (4.54)

Da das Gebiet Ω hier eindimensional ist, besteht der Rand Γ nur noch aus den zweiPunkten x = 0 und x = ℓ, wobei der Rand noch aufgeteilt wurde nach dem Typ derRandbedingung der dort gegeben ist. Γu bezeichnet dabei den Rand auf dem Verschie-bungen vorgegeben sind, also die wesentlichen Randbedingungen, und Γt den Rand aufdem Kraftgroßen, also die naturlichen Randbedingungen, vorgegeben sind.

Setzt man fur die unbekannte Feldgroße u einen Naherungsansatz u ein, so erhalt mandie folgenden Residuen

RΩ = EAu′′ + p , (4.55)

RΓu= u − u(0) , (4.56)

RΓt= P − EAu′(ℓ) , (4.57)

und damit die Formulierung des gewichteten Residuums

ℓ∫

0

wΩ RΩ dx + wΓuRΓu

+ wΓtRΓt

= 0 . (4.58)

Page 45: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 41

Da der Rand hier nur aus einzelnen Punkten besteht, sind die gewichteten Randresidu-en naturlich nicht durch eine Integration zu bestimmen, sondern sind einfach durch dieMultiplikation mit einem Wichtungsfaktor gegeben.

Typischerweise ist es relativ einfach, eine Naherungsfunktion zu bestimmen, die die Ver-schiebungsrandbedingung bei Γu : x = 0 exakt erfullt, und wir wollen daher im folgendenannehmen, dass u die Bedingung u(0) = u exakt erfullt. Damit verschwindet das Randre-siduum auf Γu und es bleibt

ℓ∫

0

wΩRΩ dx + wΓtRΓt

= 0 (4.59)

ℓ∫

0

wΩ(EAu′′ + p) dx + wΓt(P − EAu′(ℓ)) = 0 . (4.60)

Partielle Integration des ersten Ausdrucks liefert

[wΩ EAu′]ℓ0 +

ℓ∫

0

(wΩ p − w′Ω EAu′) dx + wΓt

(P − EAu′(ℓ)) = 0 . (4.61)

Genauso wie wir fur die Ansatzfunktion angenommen haben, dass sie die Verschiebungs-randbedingung exakt erfullt, konnen wir nun fordern, dass die Wichtungsfunktion wΩ

die entsprechende homogene Verschiebungsrandbedingung erfullt, also das wΩ = 0 aufΓu : x = 0 gilt. Damit vereinfacht sich das gewichtete Residuum weiter zu

ℓ∫

0

(wΩ p − w′Ω EAu′) dx + wΓt

(P − EAu′(ℓ)) + wΩ(ℓ) EAu′(ℓ) = 0 . (4.62)

Wir betrachten nun den speziellen Fall P = 0 und p = const.. Als Ansatzfunktion wahlenwir den linearen Ansatz

u = Cx + u , (4.63)

der offensichtlich die Verschiebungsrandbedingung bei x = 0 erfullt. Als Wichtungsfunk-tion im Gebiet wahlen wir

wΩ = x , (4.64)

was die homogene Verschiebungsrandbedingung bei x = 0 erfullt. Setzt man dies allesin das gewichtete Residuum (4.62) ein, so erhalt man den unbekannten Parameter C inAbhangigkeit des noch offenen Wichtungsfaktors wΓt

als

C =pℓ2

2EAwΓt

. (4.65)

Damit eine physikalisch sinnvolle Losung herauskommt, also eine Verlangerung des Stabes,muss offensichtlich

wΓt> 0 (4.66)

gelten. Dies bedeutet, dass die Wahl der Wichtungsfunktion wΓtnicht vollig beliebig ist.

Page 46: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 42

Unter den zulassigen Moglichkeiten stellt sich die Wahl

wΓt= wΩ auf Γt (4.67)

als besonders gunstig heraus. Man kann namlich zeigen, dass diese Variante zum einen denGesamtfehler in der Verzerrungsenergie minimiert und zum anderen auf eine besonderseinfache Formulierung fuhrt. Fur unser Beispiel erhalt man mit wΓt

= wΩ(ℓ)

ℓ∫

0

(wΩ p − w′Ω EAu′) dx + wΩ(ℓ) P = 0 . (4.68)

Die im obigen Beispiel entwickelte Variante der Methode der gewichteten Residuen wirdals Galerkin-Verfahren bezeichnet. Dieses Verfahren stellt die Grundlage fur die Methodeder finiten Elemente dar und ist deshalb von zentraler Bedeutung:

Galerkin-VerfahrenFur das Galerkin-Verfahren verwendet man Ansatzfunktionen, die die wesentlichenRandbedingungen exakt erfullen. Die Wichtungsfunktionen mussen dann die entspre-chenden homogenen Randbedingungen erfullen. Im klassischen Galerkin-Verfahrenhat die Ansatzfunktion die lineare Form

u = u0 +

N∑

i=1

ciui , (4.69)

wobei die Funktion u0 die inhomogenen wesentlichen Randbedingungen erfullt unddie weiteren Funktionen ui die entsprechenden homogenen Randbedingungen erfullen.Damit ist gewahrleistet, dass die Ansatzfunktion u die wesentlichen Randbedingun-gen exakt erfullt. Man benutzt die Formfunktionen ui dann auch gleichzeitig alsWichtungsfunktionen

wΩj = uj . (4.70)

Dies liefert∫

Ω

ujRΩ(c1, . . . , cN) dΩ +

Γt

ujRΓt(c1, . . . , cN) dΓ = 0 , j = 1, . . . , N , (4.71)

was auch als Bubnov-Galerkin-Verfahren bezeichnet wird. Werden als Wichtungs-funktionen andere Funktionen als die Formfunktionen benutzt, die aber immer nochdie entsprechenden homogenen Randbedingungen erfullen mussen, spricht man voneinem Petrov-Galerkin-Verfahren. Normalerweise benutzt man jedoch gleiche Funk-tionen, da das entstehende Gleichungssystem dann symmetrisch ist; wir werden unsim folgenden stets an dieses Verfahren halten.

Wir wollen das Galerkin-Verfahren nun noch einmal an einem anderen Beispiel erlautern.

Beispiel 4.3Wir wahlen diesmal das dreidimensionale mechanische Problem, das durch die Differen-

Page 47: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 43

tialgleichung

div ~~σ + ~b = ~0 in v (4.72)

und die Randbedingungen

~t(~n) − ~n~~σ = ~0 auf st (4.73)

~u − ~u = ~0 auf su (4.74)

gegeben ist. Dabei soll der Spannungstensor uber das Stoffgesetz

~~σ =~~~~C~~ε (4.75)

und die Verzerrungs-Verschiebungsrelation

~~ε =1

2

(grad~u + (grad~u)T

)(4.76)

eine Funktion der Verschiebungen ~u sein. Diese sind dann die unbekannten Großen nachdenen wir suchen.

Da es relativ einfach ist, eine Ansatzfunktion zu formulieren, die die wesentlichen Rand-bedingungen erfullt, wird dies ublicherweise auch gemacht. In unserem Fall ist die Ver-schiebungsrandbedingungen auf su die wesentliche Randbedingung und wir wahlen dahereine Ansatzfunktion ~u, die diese Randbedingung exakt erfullt. Das Galerkin-Verfahrenfordert dann, dass die Wichtungsfunktion ~w die entsprechende homogene Randbedingung

~w = ~0 auf su (4.77)

erfullt. Die gewichtete Residuenformulierung lautet dann∫

v

(

div ~~σ + ~b)

· ~w dv +

st

(~t(~n) − ~n~~σ

)

· ~w da = 0 , (4.78)

wobei die Spannungen ~~σ nun eine Funktion der Ansatzfunktion ~u sind. Dieser Ausdruckkann nun noch etwas umgeformt werden. Anwendung des Gauß’schen Integralsatzes liefert

s

~n~~σ · ~w da −

v

~~σ · grad ~w dv +

v

~b · ~w dv +

st

(~t(~n) − ~n~~σ

)

· ~w da = 0 . (4.79)

Teilt man das erste Integral in∫

s

~n~~σ · ~w da =

su

~n~~σ · ~w da +

st

~n~~σ · ~w da (4.80)

und berucksichtigt, dass die Wichtungsfunktion auf dem Verschiebungsrand verschwindet,so ergibt sich schließlich die endgultige Formulierung

v

~~σ · grad ~w dv =

v

~b · ~w dv +

st

~t(~n) · ~w da . (4.81)

Diese Formulierung stellt nun einen geeigneten Ausgangspunkt fur eine Losung mit derMethode der finiten Elemente dar.

Page 48: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 44

Das Galerkin-Verfahren ist nicht auf mechanische Probleme beschrankt, denn es las-sen sich entsprechende Formulierungen auch fur andere Probleme, wie zum Beispiel dieWarmeleitung, formulieren.

4.5 Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen

Fur mechanische Probleme ist das Galerkin-Verfahren eng mit variationellen Methodenverwandt, da es ursprunglich zur Losung von Variationsaufgaben entwickelt wurde. Wirwerden diese Verwandtschaft im folgenden anhand des Prinzips der virtuellen Verschie-

bungen diskutieren. Dieses lautet:

PdvVBei einem im Gleichgewicht befindlichen System ist die Arbeit der virtuellen Verzer-rungen an den tatsachlichen Spannungen gleich der Arbeit der virtuellen Verschie-bungen an den tatsachlichen außeren Kraften.

Die virtuellen Verschiebungen, die ublicherweise mit δ~u bezeichnet werden,2 sind ein belie-

biger infinitesimal kleiner Verschiebungszustand, der mit den geometrischen Randbedin-gungen vertraglich ist und dem wahren Verschiebungszustand uberlagert wird. Aufgrundder Vertraglichkeitsforderung mit den geometrischen Randbedingungen gilt

δ~u = ~0 auf su , (4.82)

das heißt, die virtuellen Verschiebungen verschwinden, wo Verschiebungsrandbedingungenvorgegeben sind.

Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen lautet dann als Gleichung geschrieben

v

~~σ · grad δ~u dv =

v

~b · δ~u dv +

st

~t(~n) · δ~u da . (4.83)

Auf der rechten Seite von (4.83) steht die virtuelle Arbeit der tatsachlichen außeren Kraftean den virtuellen Verschiebungen. Der Term auf der linken Seite ist die virtuelle Arbeitder tatsachlichen Spannungen an den virtuellen Verzerrungen, wobei hier auch eine infi-nitesimale Drehung berucksichtigt wird, die Arbeit an einem theoretisch moglichen anti-metrischen Anteil der Spannungen leistet. Dies wird deutlich, wenn man die Aufspaltung

grad δ~u =1

2

(grad δ~u + (grad δ~u)T

)+

1

2

(grad δ~u − (grad δ~u)T

)= δ~~ε + δ ~~w (4.84)

vornimmt. Ist der Spannungstensor symmetrisch, so leistet er keine Arbeit an den anti-metrischen virtuellen Drehungen δ ~~w und es bleibt fur die virtuelle innere Arbeit

v

~~σ · grad δ~u dv =

v

~~σ · δ~~ε dv . (4.85)

2Das δ zur Kennzeichnung der virtuellen Großen hat nichts mit dem δ der Dirac-Distribution zu

tun. Leider gibt es einfach zu wenig Buchstaben, um allen mathematischen und physikalischen Großen

eindeutige Formelzeichen zu geben.

Page 49: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 45

Vergleicht man das PdvV (4.83) mit der Galerkin-Formulierung (4.81), so sieht man, dassdiese identisch sind, wenn man die Wichtungsfunktion als virtuelle Verschiebung inter-pretiert. Fur das mechanische Problem ist die Galerkin-Formulierung also nichts anderesals das PdvV, in das man Ansatzfunktionen fur die wahre und die virtuelle Verschiebungeingesetzt hat. Dies ist auch der Ursprung des Galerkin-Verfahrens, das erst spater als eineVariante der Methode der gewichteten Residuen erkannt wurde. Im Sinne eines gewichte-ten Residuenverfahrens lassen sich dann auch Probleme wie die Warmeleitung mit demGalerkin-Verfahren behandeln, fur die es kein dem PdvV entsprechendes Arbeitsprinzipgibt. Der Unterschied besteht nur darin, dass sich die auftretenden Terme nicht mehr soschon interpretieren lassen.

So wie wir die Galerkin-Formulierung (4.81) aus den gewichteten Residuen der Diffe-rentialgleichung und der Spannungsrandbedingung hergeleitet haben, so werden wir nunauch noch den umgekehrten Weg zeigen, dass das Prinzip (4.83) eine aquivalente Aussa-ge zu den Gleichgewichtsbedingungen und den Spannungsrandbedingungen darstellt. Dievirtuelle innere Arbeit wird dazu mit Hilfe des Gauß’schen Satzes umgeformt,

s

~n~~σ · δ~u da −

v

div ~~σ · δ~u dv =

v

~b · δ~u dv +

st

~t(~n) · δ~u da . (4.86)

Umsortieren liefert dann∫

v

(

div ~~σ + ~b)

· δ~u dv −

su

~n~~σ · δ~u da +

st

(~t(~n) − ~n~~σ) · δ~u da = 0 . (4.87)

Da auf dem Verschiebungsrand su

δ~u = ~0 auf su (4.88)

gilt, bleibt dann∫

v

(

div ~~σ + ~b)

· δ~u dv +

st

(~t(~n) − ~n~~σ) · δ~u da = 0 . (4.89)

Da diese Gleichung nun fur jedes mit den Randbedingungen vertragliche δ~u gelten muss,folgt daraus die Gleichgewichtsbedingung

div ~~σ + ~b = ~0 in v (4.90)

und die Spannungsrandbedingung

~t(~n) = ~n~~σ auf st . (4.91)

Das PdvV ist damit den Gleichgewichtsbedingungen und den Spannungsrandbedingun-gen aquivalent. In der Form (4.89) ist es namlich nichts anderes als die gewichtete Formder Gleichgewichtsdifferentialgleichung mit der Spannungsrandbedingung, wobei die Ver-schiebungsrandbedingung durch die spezielle Wahl der Wichtungsfunktion als virtuelleVerschiebung entfallt.

Das Prinzip der virtuellen Verschiebungen ist nicht nur ein gunstiger Ausgangspunkt furNaherungslosungen, sondern es lassen sich mit seiner Hilfe auch sehr leicht Differential-gleichungen fur spezielle kinematische und kinetische Annahmen herleiten. So lassen sichzum Beispiel die Differentialgleichungen fur den schubstarren und den schubweichen Bal-ken aus dem PdvV fur das dreidimensionale Kontinuum herleiten. Wahrend man dieseGleichungen naturlich auch direkt herleiten kann, ist der Weg uber das PdvV fur be-stimmte Platten- und Schalenformulierungen dagegen deutlich einfacher.

Page 50: Willner - Finite Elemente

4 Die Methode der gewichteten Residuen 46

Ubungsaufgaben

Ubung 4.1Erweitern Sie die vorgestellte Galerkin-Formulierung fur das mechanische Kontinuum aufdynamische Probleme.

Ubung 4.2Leiten Sie die Galerkin-Formulierung fur die Warmeleitungsgleichung

cvΘ − κ div gradΘ = r in v

Θ = Θ auf sΘ

~q = ~q auf sq

her. Verwenden Sie dabei das Fourier’sche Warmeleitungsgesetz

~q = −κ grad Θ .

Ubung 4.3Leiten Sie die Galerkin-Formulierung fur den schubstarren Balken ausgehend von derDifferentialgleichung

EIw′′′′ − q = 0

her. Uberlegen Sie zuerst welche Verschiebungs- und Kraftrandbedingungen es hier gibt.

Ubung 4.4Berechnen Sie mit Hilfe des Galerkin-Verfahrens die Verschiebung fur den skizziertenBalken auf zwei Stutzen unter konstanter Streckenlast. Verwenden Sie dabei als Ansatz-funktion

w = c sinπx

ℓ.

q0

x

EI

Berechnen Sie die Durchbiegung an der Stelle x = ℓ/2, und vergleichen Sie das Resultatmit den Ergebnissen aus dem Beispiel.

Ubung 4.5Leiten Sie die Differentialgleichung und die Randbedingungen fur den schubstarren Balkenaus dem PdvV fur das dreidimensionale Kontinuum her.

Ubung 4.6Leiten Sie die Differentialgleichung und die Randbedingungen fur den schubweichen Bal-ken aus dem PdvV fur das dreidimensionale Kontinuum her.

Page 51: Willner - Finite Elemente

Kapitel 5

Analytische Darstellung derStrukturmechanik

Da es im allgemeinen sehr viel einfacher ist, Ansatzfunktionen zu finden, die den geome-trischen Randbedingungen genugen, hat sich das Prinzip der virtuellen Verruckungen alsAusgangspunkt fur die Entwicklung von Naherungsverfahren durchgesetzt. Außerdem istseine Erweiterung auf die Dynamik sehr einfach. Das entsprechende Prinzip heißt danndas d’Alembert’sche Prinzip in der Lagrange’schen Fassung.

5.1 Kontinuum

Wir wollen dieses Prinzip zuerst fur das Kontinuum angeben. Man erhalt es aus demPdvV, wenn man die Tragheitskrafte wie eingepragte Krafte behandelt,

v

~~σ · δ~~ε dv =

v

(~b − ~v) · δ~u dv +

st

~t(~n) · δ~u da . (5.1)

Die Tragheitskrafte ~v treten hier also im d’Alembert’schen Sinne mit negativem Vor-zeichen auf der rechten Seite als eingepragte Volumenkrafte auf. Der in Abschnitt 4.5gezeigten Aquivalenz des PdvV mit den Gleichgewichtsbedingungen entspricht hier dieAquivalenz mit der Impulsbilanz. Die Herleitung erfolgt auf demselben Wege wie in Ab-schnitt 4.5.

Fur die weitere Verwendung des d’Alembert’schen Prinzips ist es gunstig die Tragheits-krafte auf die linke Seite der Gleichung zu bringen,

v

~v · δ~u dv +

v

~~σ · δ~~ε dv =

v

~b · δ~u dv +

st

~t(~n) · δ~u da . (5.2)

Die Aussage des Prinzips lasst sich jetzt so formulieren: Bei einem System im dynamischenGleichgewicht ist die Summe aus der virtuellen Arbeit der tatsachlichen Tragheitskrafte anden virtuellen Verschiebungen und der virtuellen Arbeit der tatsachlichen Spannungen anden virtuellen Verzerrungen gleich der virtuellen Arbeit der tatsachlichen außeren Kraftean den virtuellen Verschiebungen.

Page 52: Willner - Finite Elemente

5 Analytische Darstellung der Strukturmechanik 48

5.2 Scheibe

Das Prinzip von d’Alembert sieht fur die Scheibe naturlich genauso aus, wie fur das drei-dimensionale Kontinuum, wobei man hier zweckmaßig zur Matrizenschreibweise ubergehtund dann die folgende Formulierung erhalt

v

δuTv dv +

v

δεTσ dv =

v

δuTb dv +

st

δuTt da . (5.3)

Diese Schreibweise ermoglicht jetzt sehr einfach den Einbau des jeweiligen Stoffgeset-zes fur das dreidimensionale Kontinuum (3.13) oder die verschiedenen zweidimensionalenVereinfachungen (3.28), (3.32) oder (3.34).

5.3 Stab

Fur den Stab lasst sich das Prinzip in der endgultigen Form hinschreiben. Man findethier durch Einsetzen des Stoffgesetzes das Prinzip von d’Alembert fur den vollstandigfreigeschnittenen Stab ohne geometrische Randbedingungen

ℓ∫

0

δu Au dx +

ℓ∫

0

δu′ EAu′ dx =

ℓ∫

0

δu qx dx − δu0 N0 + δuℓ Nℓ , (5.4)

mit der Streckenlast qx und den Randlasten N0 und Nℓ, die naturlich den Schnittnormal-kraften entsprechen.

5.4 Schubstarrer Balken

Fur den schubstarren Balken lautet das Prinzip

ℓ∫

0

δw Aw dx +

ℓ∫

0

δw′ Iw′ dx +

ℓ∫

0

δw′′ EIw′′ dx

=

ℓ∫

0

δw qz dx + Qℓδwℓ − Q0δw0 − Mℓδw′ℓ + M0δw

′0 . (5.5)

Man findet dieses Prinzip durch Multiplikation der Bewegungsgleichung (3.56) mit demvirtuellen Verschiebungsfeld δw und anschließender partieller Integration. Ohne diese Her-leitung hier angeben zu wollen, konnen die entstehenden Terme interpretiert werden. Dererste Term auf der linken Seite ist die virtuelle Arbeit der translatorischen Tragheitskraftean den virtuellen Verschiebungen, der zweite Term ist die virtuelle Arbeit der rotatori-schen Tragheitskrafte an den virtuellen Neigungen. Der dritte Term ist die virtuelle Arbeitder inneren Momente an den virtuellen Krummungen. Auf der rechten Seite stehen dievirtuellen Arbeiten der außeren Krafte an den virtuellen Verschiebungen bzw. der außerenMomente an den virtuellen Neigungen, sowie die virtuelle Arbeit der außeren Streckenlast.

Page 53: Willner - Finite Elemente

5 Analytische Darstellung der Strukturmechanik 49

5.5 Schubweicher Balken

Man erhalt das entsprechende Prinzip durch Multiplikation der Bewegungsgleichungendes schubweichen Balkens mit δβ bzw. δw und Summation der so gebildeten virtuellenArbeiten. Partielle Integration liefert dann

ℓ∫

0

δw Aw dx +

ℓ∫

0

δβ Iβ dx +

ℓ∫

0

δβ ′EIβ ′ dx +

ℓ∫

0

(δβ + δw′)GAs(β + w′) dx

=

ℓ∫

0

δw qz dx + δβℓMℓ − δβ0M0 + δwℓQℓ − δw0Q0 . (5.6)

Auch hier konnen die Terme interpretiert werden. Der erste Term auf der linken Seiteist wieder die virtuelle Arbeit der translatorischen Tragheitskrafte an den virtuellen Ver-schiebungen und der zweite Term ist die virtuelle Arbeit der rotatorischen Tragheitskraftean den virtuellen Neigungen. Der dritte Term ist die virtuelle Arbeit der inneren Momen-te an den virtuellen Krummungen. Der vierte Term stellt die virtuelle Arbeit innerenQuerkrafte an den virtuellen Schubverzerrungen dar, die beim schubstarren Balken nichtauftaucht. Auf der rechten Seite stehen wieder die virtuellen Arbeiten der außeren Kraftean den virtuellen Verschiebungen bzw. der außeren Momente an den virtuellen Neigungen,sowie die virtuelle Arbeit der außeren Streckenlast.

Page 54: Willner - Finite Elemente

5 Analytische Darstellung der Strukturmechanik 50

5.6 Zusammenfassung

Das Ergebnis der letzten Kapitel sollen nun noch einmal kompakt zusammengestellt wer-den.

Allgemein gilt die folgende Matrixformulierung der analytischen Kontinuumsmechanik.

d’Alembert’sches Prinzip

v

δuTu dv +

v

δεTσ dv =

v

δuTbdv +

st

δuTt da .

Stoffgesetzσ = Cǫ

Verzerrungs-Verschiebungsrelation

ǫ = Dεuu

Fur die einzelnen Falle sind dabei die entsprechenden Großen einzusetzen, die im folgendenzusammengefasst sind.

3-D Kontinuum

u =

uvw

Dεu =

∂x0 0

0∂

∂y0

0 0∂

∂z∂

∂y

∂x0

0∂

∂z

∂y∂

∂z0

∂x

C =

λ + 2µ λ λ 0 0 0λ + 2µ λ 0 0 0

λ + 2µ 0 0 0µ 0 0

sym. µ 0µ

Page 55: Willner - Finite Elemente

5 Analytische Darstellung der Strukturmechanik 51

Ebener Verzerrungszustand

u =

[uv

]

Dεu =

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

C =

λ + 2µ λ 0λ λ + 2µ 00 0 µ

Ebener Spannungszustand

u =

[uv

]

Dεu =

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

C =E

1 − ν2

1 ν 0ν 1 00 0 (1 − ν)/2

Axialsymmetrischer Zustand

u =

[ux

ur

]

Dεu =

∂x0

0∂

∂r

0 1/r

∂r

∂x

C =

λ + 2µ λ λ 0λ λ + 2µ λ 0λ λ λ + 2µ 00 0 0 µ

1-D Kontinuum (Stab)

u =[ux

]Dεu =

[

∂x

]

C =[E]

Page 56: Willner - Finite Elemente

5 Analytische Darstellung der Strukturmechanik 52

In der Strukturmechanik sind die Integrationen uber den Querschnitt bereits in das Stoff-gesetz eingearbeitet. Fur die Balkenformulierungen ist daher in der Galerkin-Formulierungnur noch uber die Lange zu integrieren. Die Randspannungen werden zu Randkraften bzw.-momenten, die in einer Matrix f zusammengefasst werden.

d’Alembert’sches Prinzip

δuTu dx +

δεTσ dx =

δuTb dx + δuTf |s .

Schubstarrer Balken

u =[w]

Dεu =

[

−∂2

∂x2

]

C =[EI]

Schubweicher Balken

u =

[wβ

]

Dεu =

∂x1

0∂

∂x

C =

[GAs 0

0 EI

]

Page 57: Willner - Finite Elemente

Kapitel 6

Die Methode der finiten Elemente

Ziel ist es, eine Naherungslosung fur die Bewegungsgleichung auf der Basis desd’Alembert’schen Prinzips zu finden. Die Schwierigkeit liegt nun darin, geeignete An-satzfunktionen zu finden. Wahrend dies bei einfachen Strukturen noch moglich ist, schei-tert man bei komplizierteren Geometrien. Hier kommt jetzt die Idee der Finiten ElementMethode zum tragen: Anstatt Ansatzfunktionen fur das Gesamtsystem zu formulieren,zerlegt man die Struktur in einfache Teilsysteme, die finiten Elemente, und macht dieAnsatze elementweise. Um hinreichende Stetigkeit zu gewahrleisten, werden diese loka-len Elementansatze uber die Knotenverschiebungen gekoppelt, die man als unbekannteParameter behalt.

6.1 Aufbau der Elementmatrizen

Ausgangspunkt ist das d’Alembert’sche Prinzip in der Lagrange’schen Fassung, das mannun als Summe uber die Elemente E formuliert,

E∑

e=1

ve

~v · δ~u dv +E∑

e=1

ve

~~σ · δ~~ε dv =E∑

e=1

ve

~b · δ~u dv +E∑

e=1

se

~t(~n) · δ~u da . (6.1)

Fur einfach berandete Elemente lassen sich jetzt relativ einfach sinnvolle Ansatzfunktio-nen finden, die in das Prinzip eingesetzt werden konnen. Um beim Zusammensetzen derElemente ausreichende Stetigkeit zu gewahrleisten, ist es wie gesagt gunstig, die Kno-tenverschiebungen als unbekannte Koeffizienten der Ansatzfunktionen zu verwenden. Furdie praktische Rechnung ist im folgenden eine Matrizenschreibweise vorteilhaft. Wir fas-sen daher die Koordinaten des Verschiebungsvektors ~u in der Matrix u zusammen undmachen dann den Ansatz

~u → u = Hue . (6.2)

Die Matrix H enthalt die Ansatzfunktionen, die in der FEM Formfunktionen (engl. shapefunctions) genannt werden, und die Spaltenmatrix ue enthalt die Knotenverschiebungen.Fur die Spannungen und Verzerrungen fuhren wir ebenfalls die Matrizenschreibweise einund benutzen die Darstellung des Stoffgesetzes (3.13), die sich abgekurzt schreiben lasstals

σ = Cε . (6.3)

Page 58: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 54

Die Verzerrungen ε werden durch Ableiten der Verschiebungen gebildet, dabei sind abernur die Formfunktionen betroffen, da die Knotenverschiebungen ja nicht von den Ortsko-ordinaten abhangen. Formal schreiben wir dies als

ε = DεuHue , (6.4)

mit dem Differentialoperator Dεu der Verschiebungs-Verzerrungsrelation. Die Zeit-abhangigkeit wird dagegen den Knotengroßen zugeschlagen, so dass sich die Geschwin-digkeit und Beschleunigung darstellen als

v = Hue , v = Hue . (6.5)

Die Ansatze fur die virtuellen Großen sind entsprechend dem Bubnov-Galerkin-Verfahrendieselben wie fur die tatsachlichen Großen:

δu = Hδue (6.6)

δε = DεuHδue . (6.7)

Diese Beziehungen setzen wir nun in das Prinzip der virtuellen Verruckungen ein, wobeiwir uns auf ein Element beschranken konnen,

ve

(Hδue)THue dv +

ve

δεTσ dv =

ve

(Hδue)Tbdv +

se

(Hδue)Tt(~n) da . (6.8)

Einsetzen des Stoffgesetzes (6.3) und der Verschiebungs-Verzerrungsrelation (6.4) liefert

ve

δuTe HTHue dv +

ve

δuTe (DεuH)T C DεuHue dv

=

ve

δuTe HTb dv +

se

δuTe HTt(~n) da . (6.9)

Da die Knotengroßen unabhangig von der Integration sind, konnen sie vor bzw. hinter dieIntegrale gezogen werden. Umsortieren liefert dann

δuTe

ve

HTH dv ue +

ve

(DεuH)T C DεuH dv ue −

ve

HTbdv −

se

HTt(~n) da

= 0 .

(6.10)Da die virtuellen Großen beliebig und ungleich Null sind, muss der Term in der Klammerverschwinden. Man erhalt damit die Elementbewegungsgleichung in der Form

M eue + Keue = f e,v + f e,s , (6.11)

mit der Elementmassenmatrix M e

M e =

ve

HTH dv , (6.12)

der Elementsteifigkeitsmatrix

Ke =

ve

(DεuH)T C DεuH dv , (6.13)

Page 59: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 55

dem Lastvektor aus Volumenlasten

f e,v =

ve

HTbdv (6.14)

und dem Lastvektor aus Randlasten

f e,s =

se

HTt(~n) da . (6.15)

6.2 Beispiel: Stab

Diese ganze Prozedur wollen wir nun am einfachsten Beispiel, dem 2-Knoten-Stabelement,durchfuhren. Wir betrachten ein Element der Lange ℓ mit den Knoten i und j. Schneidenwir das Element aus der Gesamtstruktur frei, so finden wir die Situation in Abbildung 6.1.

Ni Nj

i jℓ

x, u

Abbildung 6.1: 2-Knoten-Stabelement

Beim Stabelement degenerieren die Randspannungen zu den Einzelkraften an den Stab-enden, wobei diese entgegen der aus der technischen Mechanik bekannten Vorzeichen-konvention und der Formulierung (5.4) in der FEM stets in positive Richtung eingetragenwerden, siehe dazu das Beispiel in der Einleitung. Einer Volumenlast entspricht beim Stabeine hier nicht eingezeichnete Streckenlast qx.

Das Prinzip der virtuellen Verruckungen lautet dann fur den Stab

ℓ∫

0

δuAu dx +

ℓ∫

0

δεxEAεx dx =

ℓ∫

0

δuqx dx + Niδui + Njδuj . (6.16)

Wir machen nun einen Ansatz fur u(x), der sich auf den Knotengroßen ui und uj abstutzt.Dieses Vorgehen ist ganz wesentlich fur die FEM, da man damit die Knotenverschiebungenals freie Parameter des Ansatzes erhalt und somit die Stetigkeit des Verschiebungsfeldesuber das Gesamtsystem gewahrleistet wird. Fur ein Stabelement mit 2 Knoten konnenwir einen linearen Ansatz wahlen, u(x) = a0 + a1x. Berucksichtigt man die Randbedin-gungen u(x = 0) = ui und u(x = ℓ) = uj, dann kann man die Konstanten a0 und a1

bestimmen. Man findet a0 = ui und a1 = (uj − ui)/ℓ. Der Ansatz lasst sich dann inMatrizenschreibweise in Abhangigkeit der Knotenverschiebungen schreiben als

u(x) =[1 − x

ℓxℓ

][ui

uj

]

(6.17)

u(x) = Hue . (6.18)

Die Funktionen hi(x) = 1 − x/ℓ bzw. hj(x) = x/ℓ sind die Formfunktionen, die in derMatrix H zusammengefasst werden. Die Spaltenmatrix ue enthalt dann die Knotenver-schiebungen ui und uj. Die Formfunktionen mussen bestimmte Forderungen erfullen, auf

Page 60: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 56

die wir spater noch naher eingehen werden. Eine wesentliche Eigenschaft wird aus dergraphischen Darstellung 6.2 aber sofort deutlich. Eine Formfunktion hk hat am Knoten kden Wert 1 und an allen anderen Knoten den Wert 0.

h(x)

hi hj

ℓ x

1

Abbildung 6.2: Formfunktionen des 2-Knoten Stabelementes

Neben der Matrix der Ansatzfunktionen H brauchen wir auch noch die abgeleitete MatrixDεuH zur Bildung der Verzerrungen. Wegen

εx =du

dx=

d

dx(Hue) (6.19)

ist der Differentialoperator Dεu der Verschiebungs-Verzerrungsrelation fur den Stab ein-fach

Dεu =d

dx(6.20)

und die abgeleitete Matrix lautet

DεuH =d

dx

[1 − x

ℓxℓ

]=[−1

ℓ1ℓ

]. (6.21)

Die Stoffmatrix C ist fur den Stab einfach der E-Modul E. Damit sind wir nun in derLage, alle Elementmatrizen zu bilden, wobei wir annehmen, dass die QuerschnittsflacheA und der E-Modul E uber die Lange ℓ konstant sind. Wir finden fur die Massenmatrixgemaß (6.12)

M e =

ℓ∫

0

HTH Adx (6.22)

= A

ℓ∫

0

[1 − x

ℓxℓ

][1 − x

ℓxℓ

]dx (6.23)

= A

ℓ∫

0

[1 − 2x

ℓ+ x2

ℓ2xℓ− x2

ℓ2xℓ− x2

ℓ2x2

ℓ2

]

dx (6.24)

=Aℓ

6

[2 11 2

]

(6.25)

Page 61: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 57

und fur die Steifigkeitsmatrix gemaß (6.13)

Ke =

ℓ∫

0

(DεuH)T E DεuH Adx (6.26)

= EA

ℓ∫

0

[−1

ℓ1ℓ

][−1

ℓ1ℓ

]dx (6.27)

= EA

ℓ∫

0

[1ℓ2

− 1ℓ2

− 1ℓ2

1ℓ2

]

dx (6.28)

=EA

[1 −1

−1 1

]

. (6.29)

Dieses Ergebnis entspricht dem Stabanteil der Steifigkeitsmatrix aus dem einfuhrendenBeispiel.

Die Lastvektoren mussen fur jeden Lastverlauf neu integriert werden. Zum Beispiel erhaltman fur eine konstante Streckenlast qx

f e,v = qx

ℓ∫

0

HT dx =qxℓ

2

[11

]

. (6.30)

Der Lastvektor aus den Randlasten enthalt fur den Stab die beiden Endkrafte Ni bzw.Nj

f e,s =

[Ni

Nj

]

. (6.31)

Im folgenden fassen wir die Lastvektoren zu

f e = f e,v + f e,s (6.32)

zusammen.

Die Elementbewegungsgleichung fur das lineare Stabelement lautet nun in Elementkoor-dinaten

Aℓ

6

[2 11 2

] [ui

uj

]

+EA

[1 −1

−1 1

] [ui

uj

]

=

[fe,i

fe,j

]

. (6.33)

Damit ist das Vorgehen zur Formulierung von Elementmatrizen prinzipiell klar

1. Aufstellen des PdvV fur ein Element

2. Festlegen der Knotengroßen

3. Aufstellen der Ansatzfunktionen

4. Matrizenformulierung des Prinzips

5. Integration der Elementmatrizen

Die weiteren Schritte zur Berechnung einer Gesamtstruktur haben wir bereits im einlei-tenden Beispiel abgehandelt

Page 62: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 58

1. Zerlegen der Struktur in finite Elemente

2. Aufbau der Elementmatrizen nach dem obigen Verfahren

3. Transformation auf ein globales Koordinatensystem

4. Assemblieren der Systemmatrizen

5. Einbau von Randbedingungen

6. Gleichungslosung

Im Rest des Kapitels werden wir uns mit einigen speziellen Aspekten beschaftigen, die beider Auswahl der Formfunktionen zu berucksichtigen sind und ein Konzept untersuchen,das die Aufstellung der Elementmatrizen direkt im globalen System ermoglicht.

6.3 Aufbau der Formfunktionen

Wir haben bis jetzt die linearen Formfunktionen fur den 2-Knoten-Stab kennengelernt.Diese Formfunktionen lassen sich sowohl auf hohere Polynomgrade als auch auf mehrDimensionen erweitern.

Die Erweiterung auf einen hoheren Polynomgrad erhoht die Genauigkeit des Elementesaber auch den Rechenaufwand pro Element, da sie mehr Knoten im Element voraussetzt.Man erhalt zum Beispiel fur ein 3-Knoten-Stabelement quadratische Ansatzfunktionenusw. In Abbildung 6.3 sind die entsprechenden Funktionen graphisch dargestellt.

1 1

1111

1 1

2 2 3

r r

h1h1 h2h2

h3

linear quadratisch

Abbildung 6.3: Eindimensionale Formfunktionen

Es ist dabei fur den spateren Gebrauch gunstig, die Formfunktionen in der Elementkoor-dinate −1 < r < 1 zu formulieren. Die Formfunktionen lauten dann

• 1-D linear

h1 =1

2(1 + r) (6.34)

h2 =1

2(1 − r) (6.35)

Page 63: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 59

• 1-D quadratisch

h1 =1

2(1 + r) −

1

2(1 − r2) =

1

2(1 + r) −

1

2h3 (6.36)

h2 =1

2(1 − r) −

1

2(1 − r2) =

1

2(1 − r) −

1

2h3 (6.37)

h3 = (1 − r2) (6.38)

Man erkennt nebenbei, dass sich die quadratischen Formfunktionen durch eine Modifika-tion der linearen ergeben.

6.3.1 Lagrange-Elemente

Fur zwei- und dreidimensionale Probleme, also Scheiben- und Volumenelemente konnenentsprechende Formfunktionen durch Produktbildung der eindimensionalen Formfunktio-nen gebildet werden. Dies fuhrt auf die Klasse der Lagrange-Elemente:

1

1

1

1

1

1

1

1

1 1 1 1

2 2

33 4 4

5

6

7

89rr

s sh1 h5

bilinear biquadratisch

Abbildung 6.4: Zweidimensionale Formfunktionen

• 2-D bilinear

h1 =1

4(1 + r)(1 + s) (6.39)

h2 =1

4(1 − r)(1 + s) (6.40)

h3 =1

4(1 − r)(1 − s) (6.41)

h4 =1

4(1 + r)(1 − s) (6.42)

Page 64: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 60

• 2-D biquadratisch

h1 =1

4(1 + r)(1 + s) −

1

2h5 −

1

2h8 −

1

2h9 (6.43)

h2 =1

4(1 − r)(1 + s) −

1

2h6 −

1

2h5 −

1

2h9 (6.44)

h3 =1

4(1 − r)(1 − s) −

1

2h7 −

1

2h6 −

1

2h9 (6.45)

h4 =1

4(1 + r)(1 − s) −

1

2h8 −

1

2h7 −

1

2h9 (6.46)

h5 =1

2(1 − r2)(1 + s) −

1

2h9 (6.47)

h6 =1

2(1 − r)(1 − s2) −

1

2h9 (6.48)

h7 =1

2(1 − r2)(1 − s) −

1

2h9 (6.49)

h8 =1

2(1 + r)(1 − s2) −

1

2h9 (6.50)

h9 = (1 − r2)(1 − s2) (6.51)

12

3 4

56

7 8

r

st

trilinear

Abbildung 6.5: Dreidimensionale Formfunktionen

Page 65: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 61

• 3-D trilinear

h1 =1

8(1 + r)(1 + s)(1 + t) (6.52)

h2 =1

8(1 − r)(1 + s)(1 + t) (6.53)

h3 =1

8(1 − r)(1 − s)(1 + t) (6.54)

h4 =1

8(1 + r)(1 − s)(1 + t) (6.55)

h5 =1

8(1 + r)(1 + s)(1 − t) (6.56)

h6 =1

8(1 − r)(1 + s)(1 − t) (6.57)

h7 =1

8(1 − r)(1 − s)(1 − t) (6.58)

h8 =1

8(1 + r)(1 − s)(1 − t) (6.59)

6.3.2 Serendipity-Elemente

Die Genauigkeit der durch Produkte gebildeten Formfunktionen hangt vom Grade deshochsten darstellbaren Polynoms ab. Fur den zweidimensionalen Fall lasst sich dies sehrschon durch das Pascal’sche Dreieck, Abbildung 6.6, darstellen.

1

r

r2

r3

r4

s

s2

s3

s4

rs

r2s s2r

r3s s3rr2s2

bilineares 4-Knoten-Element

biquadratisches 9-Knoten-Element

Abbildung 6.6: Pascal’sches Dreieck

Man sieht dabei, dass ein bilinearer Ansatz, also 4 Knoten, ein vollstandiges Polynom1. Grades enthalt. Das zweidimensionale Lagrange-Element mit 9 Knoten enthalt einvollstandiges Polynom 2. Grades. Diese Eigenschaft hat aber auch ein Element mit 8Knoten, bei dem nur der Term r2s2, entsprechend der Formfunktion h9, fehlt. Der Ge-nauigkeitsverlust ist dabei nur unwesentlich, aber man hat einen Knoten gespart. Noch2 weitere Knoten einzusparen, entsprechend den Termen r2s und s2r, ist nicht moglich,da dabei die Symmetrie des Elementes verloren geht. Genauso lasst sich auch beim Volu-menelement vorgehen, bei dem die Einsparung drastischer ausfallt. Statt der 27 Knotenbei vollstandig quadratischem Ansatz, benotigt man nur 20 Knoten. Diese Elemente sindin Abbildung 6.7 mit der ublichen Knotennummerierung gezeigt.

Die so gebildeten Elemente nennt man Serendipity-Elemente. Der seltsame Name wurdevon Horace Walpole gepragt und lehnt sich an das persiche Marchen Die drei Prinzen

Page 66: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 62

von Serendip an. Die Prinzen haben die Fahigkeit uberraschende Entdeckungen durchzufallige Beobachtungen zu machen; offensichtlich empfanden die Erfinder diese Elementeals eine solche Entdeckung.

1

1

1

1

1 1

1

2

2

3

3

4

4

5

56

6

7

7

8

8

9

10

11

12

13

14

15

16

1718

19 20

rr

s

st

h5

Abbildung 6.7: Serendipity-Elemente

6.3.3 Formfunktionen fur Dreiecke, Prismen und Tetraeder

Bis jetzt haben wir nur Ansatzfunktionen fur ebene Vierecke und Hexaeder kennengelernt.In der Praxis sind allerdings auch Dreiecke und Tetraeder beliebt, da es sehr effizienteAlgorithmen gibt, die beliebige Flachen bzw. Volumina mit derartigen Elementen au-tomatisch vernetzen konnen. Die automatische Vernetzung mit Viereckselementen bzw.Quaderelementen ist dagegen schwierig.

Die einfachste Methode ein Dreieck zu produzieren, besteht in der Kollabierung einesRechteckelementes. Wir betrachten dazu das einfache bilineare Element, bei dem sichzum Beispiel die u-Verschiebung mit den Formfunktionen (6.39) bis (6.42) darstellen lasstals

u = h1(r, s)u1 + h2(r, s)u2 + h3(r, s)u3 + h4(r, s)u4 . (6.60)

Ein Verschiebungsfeld fur ein Dreieck erhalt man nun, indem man zum Beispiel den drittenund vierten Knoten zusammenlegt und damit fur das Dreieck den Ansatz

u = h1(r, s)u1 + h2(r, s)u2 + (h3(r, s) + h4(r, s))u3

u = h1(r, s)u1 + h2(r, s)u2 + h3(s)u3 (6.61)

mit

h3(s) =1

4(1 − r)(1 − s) +

1

4(1 + r)(1 − s) =

1

2(1 − s) (6.62)

einfuhrt. Diese Formfunktionen erfullen die Bedingungen, dass sie am jeweiligen Knotenden Wert eins annehmen und linear entlang des Randes sind. Die Rander sind Koordi-natenlinien; dabei ist hier der Rand s = −1 auf einen Punkt, namlich den Knoten 3,

Page 67: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 63

geschrumpft, siehe Abbildung 6.8. Die Wahl, welche zwei benachbarten Knoten zusam-mengelegt werden, ist beliebig.

4

112 2

33

h3

r r

s s

Abbildung 6.8: Formfunktionen fur Dreieckselemente

Auch fur Ansatzfunktionen hoheren Grades funktioniert das Vorgehen. So lassen sichzum Beispiel Formfunktionen fur ein Dreieckelement mit quadratischen Ansatzen finden,wenn die Knoten 3, 4 und 7 des 9-Knoten-Lagrange- oder des 8-Knoten-Serendipity-Elementes zusammengelegt werden. Formfunktionen fur Tetraeder und beliebige Prismenlassen sich auf dieselbe Art und Weise aus einem Quader produzieren, indem man auchhier entsprechende Knoten kollabiert.

Programmtechnisch werden diese Elemente dann genauso wie die ursprunglichenRechteck- oder Quaderelemente behandelt, wobei den zusammengelegten Knoten dieselbeKnotennummer zugewiesen wird und dann einfach die entsprechende Elementroutine auf-gerufen wird. Dieses Vorgehen ist nur unwesentlich ineffizienter aber sehr viel einfacherals die Entwicklung spezieller Dreieckskoordinaten und spezieller Ansatzfunktionen furDreieckselemente, wie sie zum Beispiel in [7] angegeben wird. Da Dreieckselemente undTetraeder nicht sehr effektiv sind, sollte man ohnehin ihre Verwendung, wenn moglich,vermeiden.

6.4 Anforderungen an die Formfunktionen

An die Formfunktionen sind nun verschiedene Forderungen zu stellen. Dies sind im we-sentlichen

• Stetigkeit

• exakte Darstellbarkeit von Starrkorperverschiebungen

• exakte Darstellbarkeit von konstanten Verzerrungszustanden

Page 68: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 64

6.4.1 Stetigkeit

Allen bis jetzt vorgestellten Formfunktionen hi ist gemeinsam, dass sie am Knoten i je-weils den Wert 1 annehmen und an allen anderen Knoten den Wert 0. Diese Eigenschaftsichert die C0-Stetigkeit des Verschiebungsansatzes fur die Gesamtstruktur. Dies gilt auchbei quadratischen und hoheren Ansatzen, wie die Abbildung 6.9 zeigt. Eine hohere Ste-tigkeit im Gesamtverschiebungsfeld erreicht man nur, wenn man neben der Stetigkeit derVerschiebungen auch noch die der Verschiebungsableitungen verlangt. An den Knotentreten dann neben den Verschiebungsgroßen zum Beispiel auch noch Winkelgroßen auf.

Knick

Element 1 Element 2

Abbildung 6.9: Zur Stetigkeit der Formfunktionen

Der Grad der notwendigen Stetigkeit richtet sich nach dem zugehorigen Variations-problem, und zwar ist der Grad der Stetigkeit um eins kleiner als die hochste Verschie-bungsableitung, die im Funktional auftaucht. Die Begrundung fur diese Forderung istmathematischer Natur und macht einen kleinen Ausflug in die Funktionalanalysis notig.Dabei beschranken wir uns zunachst auf den eindimensionalen Fall.

Das Prinzip der virtuellen Arbeiten lautet zum Beispiel fur einen Stab

ℓ∫

0

δu,xEAu,x dx =

ℓ∫

0

δu qx dx + N0 δu0 + Nℓ δuℓ . (6.63)

Im Sinne eines Galerkin-Verfahrens macht man nun Ansatze fur die Verschiebungen unddie virtuellen Verscheibungen. Damit dabei das Integral auf der linken Seite sinnvolleErgebnisse liefert, muss es beschrankt sein. Das heißt, fur die Ansatzfunktionen muss

ℓ∫

0

h2,x dx < ∞ (6.64)

gelten. Allgemein nennt man einen Ausdruck

L2 =

b∫

a

g(x)2 dx (6.65)

die L2-Norm fur eine Funktion g(x). Ist die L2-Norm beschrankt, dann heißt die Funktiong(x) quadratisch integrierbar im Gebiet x ∈ [a, b]. Die Menge aller Funktionen g(x), die

Page 69: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 65

quadratisch integrierbar sind, bildet einen Funktionenraum1, den so genannten L2-Raum,

L2 = g(x)|

b∫

a

g(x)2 dx < ∞ . (6.66)

Fordert man die quadratische Integrierbarkeit nicht nur fur die Funktion selbst, sondernauch fur die Ableitungen, so erhalt man die so genannten Sobolev-Raume. Zum Beispielist H2 der Raum aller Funktionen, die bis zur zweiten Ableitung quadratisch integrierbarsind. Allgemein gilt die Definition

Hk = g(x)|g ∈ L2; g,x ∈ L2; . . . ;dkg

dxk∈ L2 . (6.67)

Offensichtlich gilt H0 = L2 und Hk+1 ⊂ Hk.

Fur die Ansatzfunktionen mussen wir daher fordern, dass sie aus den entsprechendenSobolev-Raumen stammen. Der Zusammenhang mit der Stetigkeitsforderung ist nundurch das Sobolev-Theorem gegeben. Dieses sagt aus, dass der Sobolev-Raum Hk+1 inden Raum der Ck-stetigen Funktionen eingebettet ist. Einbettung bedeutet dabei, dassjede Funktion aus Hk+1 einen Reprasentaten aus Ck besitzt, der sich hochstens um eineNullmenge von der Funktion unterscheidet.

Fur den Stab mussen die Ansatzfunktionen offensichtlich aus dem H1 stammen, da inder Steifigkeitsmatrix die ersten Ableitungen quadratisch integrierbar sein mussen, sie-he (6.64). Der H1-Raum ist aber nach dem Sobolev-Theorem in den C0-Raum eingebet-tet; die geforderte Minimalstetigkeit ist somit C0. Die von uns verwendeten polynomialenAnsatzfunktionen erfullen genau diese Forderungen. Beim Bernoulli-Balken ist die hochsteAbleitung vom Grade zwei, die Ansatze mussen also aus dem Raum H2 sein, was dannwenigstens C1-Stetigkeit erfordert.

Bei hoherdimensionalen Elementen, also Scheiben- und Volumenelementen oder bestimm-ten Platten- und Schalenelemente, ist eine Argumentation mit dem Sobolev-Theorem nichtmehr so einfach moglich; jedoch gilt auch hier, dass die minimale Stetigkeit der Ansatz-funktionen um eins niedriger als die hochste Ableitung in der schwachen Formulierunggewahlt werden muss. Elemente, die diese Forderung erfullen, heißen konform.

Ein Problem ergibt sich hier bei Strukturelementen. Hier ist es nur in 1-D, d.h. fur Balken,moglich, vollstandig C1-stetige Ansatze zu formulieren. Bei Platten und Schalen ist diesim Allgemeinen nicht moglich. Man weicht daher haufig auf eine andere Theorie aus,die nur C0-stetige Ansatze benotigt. Wir werden dies im Rahmen der Diskussion desschubweichen Balkens in Abschnitt 6.6 noch naher untersuchen.

Ein weiteres Stetigkeitsproblem kann bei der Netzgenerierung auftreten. Die C0-Stetigkeitist namlich nur gewahrleistet, wenn ein konformes Netz verwendet wird, wenn also nurElemente mit gleichen Ansatzen gekoppelt werden und keine hangenden Knoten auftre-ten. Abbildung 6.10 zeigt einige Falle von nicht-konformen Netzen, bei denen Klaffungenund Uberlappungen auftreten. Diese Stetigkeitsverletzungen lassen sich durch spezielleUbergangselemente oder eine andere Netzgenerierung vermeiden.

In der Praxis wurden fruher Stetigkeitsverletzungen bisweilen hingenommen. Die Argu-mentation war dabei folgende: Finite-Elemente-Verfahren, die auf dem Prinzip der vir-tuellen Verschiebungen basieren, approximieren eine reale Struktur zu steif. Durch den

1Zur Definition eines Funktionenraumes sind noch einige weitere Punkte notig, auf die hier aber nicht

eingegangen werden soll.

Page 70: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 66

Abbildung 6.10: Unstetigkeit durch nichtkonforme Netze

gezielten Einsatz von Inkompatibilitaten, die die Struktur aufweichen, konnten einzelneBerechnungsergebnisse dann verbessert werden. Gegen dieses Vorgehen existieren aberfolgende Einwande. Erstens kann es an den Orten der Inkompatibilitaten zu falschen undunsinnigen Ergebnissen kommen, die allerdings nach dem de Saint-Venantschen Prinziplokale Storungen sind und rasch abklingen. Zweitens geht durch die Inkompatibilitatendie Eigenschaft der verschiebungsbasierten FEM verloren, mit feiner werdender Diskre-tisierung gegen die exakte Losung von einer Seite zu konvergieren, was eine durchausnutzliche Eigenschaft ist. Der letzte Einwand ist eher praktischer Natur: Um etwas zuverbessern, muss man einen Vergleich haben, also eigentlich schon wissen, was man her-ausbekommen will. Dies ist aber meistens nicht der Fall, so dass die Entscheidung, ob dieInkompatibilitat eine Verbesserung darstellt oder nicht, unmoglich ist. Daher: Finger weg

von nicht-konformen Netzen!

6.4.2 Darstellbarkeit von Starrkorperverschiebungen

Starrkorperverschiebungen sind solche Verschiebungszustande, die das Element als star-rer Korper auszufuhren in der Lage sein muss, ohne dass in ihm Spannungen entste-hen. Beispielsweise muss es einem zweidimensionalem Scheibenelement moglich sein, sichgleichformig in jeder beliebigen Richtung in seiner Ebene translatorisch und um eine dazusenkrechte Achse rotatorisch zu bewegen, ohne dass dadurch Verzerrungen und Spannun-gen resultieren.

Sinnvollerweise muss die Kontrolle der Erfassung von Starrkorperverschiebungszustandenan den Elementmatrizen erfolgen, da diese den Kern des Verfahrens bilden; infolge einesStarrkorperverschiebungszustandes durfen also keine Elementknotenkrafte auftreten,

fSKe = Keu

SKe = 0 , (6.68)

wobei der Index SK fur Starrkorperverschiebung steht. Die Elementsteifigkeitsmatrixmuss daher singular sein. Der Grad der Singularitat entspricht der Anzahl der mogli-chen Starrkorperverschiebungen.

Wir wollen dies einmal am Stab uberprufen. Die einzige Starrkorperverschiebung ist eine

Page 71: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 67

gleichformige Translation der Art

uSKe =

[uu

]

. (6.69)

Setzen wir diese Verschiebung ein, so erhalten wir

EA

[1 −1

−1 1

] [uu

]

=

[00

]

. (6.70)

Dass die Forderung nach exakter Darstellbarkeit von Starrkorperverschiebungszustandensinnvoll ist, zeigt die Abbildung 6.11. Dargestellt ist ein Kragarm unter Einzellast. BeiZugrundelegung der Balkentheorie ist das unbelastete Kragarmende spannungsfrei. Die-se verzerrungsfreien Verschiebungen mussen vom Element darstellbar sein, um sinnvolleErgebnisse zu liefern.

verzerrungsfrei?

Abbildung 6.11: Starrkorperverschiebung

6.4.3 Darstellbarkeit konstanter Verzerrungszustande

Die Notwendigkeit der Darstellbarkeit von wenigstens konstanten Verzerrungszustandenist aus der Forderung nach Konvergenz der Naherungslosung gegen die exakte Losungbei feiner werdender Diskretisierung begrundet. Im Grenzfall verschwindender Element-großen, also einer unendlich feinen Diskretisierung, nahert sich die Verzerrung in jedemElement jeweils einem konstantem Wert. Lasst sich also zumindest ein konstanter Verzer-rungszustand mit dem Element abbilden, dann ist zu erwarten, dass die FE-Losung gegendie exakte Losung konvergiert.

Die Darstellbarkeit von Starrkorperverschiebungen und konstanten Verzerrungen istgewahrleistet, wenn die Formfunktionen ein vollstandiges Polynom 1. Grades enthalten.Dies ist bei allen Rechteckelementen der Fall, deren Formfunktionen durch Produktbil-dung aus eindimensionalen Polynomen aufgebaut werden.

6.5 Beispiel: Schubstarrer Balken

Wir werden jetzt als weiteres Element den Balken behandeln, wobei wir uns zunachstauf die schubstarre Euler-Bernoulli-Theorie beschranken wollen, die aus der technischenMechanik bekannt ist.

Page 72: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 68

Das Prinzip der virtuellen Arbeiten lautet fur den schubstarren Balken

ℓ∫

0

δwAw dx +

ℓ∫

0

δw′Iw′ dx +

ℓ∫

0

δw′′EIw′′ dx

=

ℓ∫

0

δwqz dx + Qiδwi + Qjδwj − Miδw′i − Mjδw

′j . (6.71)

Die unterschiedlichen Vorzeichen im Vergleich zu (5.5) resultieren wieder aus der speziellenVorzeichenkonvention der FEM alle Schnittgroßen stets in positive Koordinatenrichtungeinzutragen. Dies kann man sich an der Abbildung 6.12 nocheinmal verdeutlichen.

x

Qi

Qj

Mi

Mj

ℓwi wj

w′i

w′j

z, w

Abbildung 6.12: Großen am Balkenelement

Entsprechend den Aussagen uber die Stetigkeit ist fur den schubstarren Balken ein C1-stetiger Ansatz notig, da im Prinzip die zweite Ableitung w′′ auftaucht. Wir mussen alsoFormfunktionen und Knotengroßen finden, die am Knoten neben einer stetigen Verschie-bung w auch eine stetige Neigung w′ ermoglichen.

Als Freiheitsgrade des Elementes kommen damit wi, w′i, wj und w′

j in Frage, die man imKnotenverschiebungsvektor u

uT =[wi w′

i wj w′j

](6.72)

zusammenfasst. Mit diesen vier Großen lassen sich nun kubische Polynome bestimmen,die wieder die Eigenschaft haben sollen, fur den jeweiligen Freiheitsgrad den Wert Einsanzunehmen und an allen anderen Freiheitsgraden den Wert Null. Also soll zum Beispieldie Formfunktion fur wi am Knoten i den Verschiebungswert w = 1 haben und fur alleanderen Großen den Wert Null, also w′

i = w′j = wj = 0. Aufgrund dieser Uberlegung

lassen sich die Polynome bereits graphisch darstellen, wie in Abbildung 6.13 gezeigt ist.

Um sie nun auch formelmaßig anzugeben, beginnt man mit einem allgemeinen kubischenPolynom in der normierten Koordinate ξ = x/ℓ

p(ξ) = a0 + a1ξ + a2ξ2 + a3ξ

3 (6.73)

p′(ξ) =1

ℓ(a1 + 2a2ξ + 3a3ξ

2) (6.74)

und passt dieses dann an die jeweiligen Randbedingungen an.

Page 73: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 69

Funktion p(0) p′(0) p(1) p′(1)h1 1 0 0 0h2 0 1 0 0h3 0 0 1 0h4 0 0 0 1

Auf diese Weise findet man zum Beispiel h1 aus

p(0) = 1 −→ a0 = 1 (6.75)

p′(0) = 0 −→ a1 = 0 (6.76)

p(1) = 0 −→ 1 + a2 + a3 = 0 (6.77)

p′(1) = 0 −→ 2a2 + 3a3 = 0 (6.78)

die erste Formfunktion zu

h1(ξ) = 1 − 3ξ2 + 2ξ3 . (6.79)

Ebenso lassen sich die anderen drei Formfunktionen bestimmen:

h2(ξ) = (ξ − 2ξ2 + ξ3)ℓ , (6.80)

h3(ξ) = 3ξ2 − 2ξ3 , (6.81)

h4(ξ) = (−ξ2 + ξ3)ℓ . (6.82)

Zweckmaßig wird die Matrix der Ansatzfunktionen dann dargestellt als

HT =

1 0 −3 20 ℓ −2ℓ ℓ0 0 3 −20 0 −ℓ ℓ

︸ ︷︷ ︸

A

1ξξ2

ξ3

︸ ︷︷ ︸

ξ

(6.83)

und es gilt

w(x, t) = H(x)u(t) = ξTATu . (6.84)

Dieser Ansatz wird nun in das Prinzip eingesetzt und man erhalt, wenn man wieder die

h1

h2

h3

h4

ξ1

1

0

Abbildung 6.13: Formfunktionen fur das Balkenelement

Page 74: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 70

Knotengroßen aus den Integralen zieht, folgenden Ausdruck

δuT

ℓ∫

0

AHTH dx +

ℓ∫

0

IHT′H ′ dx

u+

ℓ∫

0

EIHT′′H ′′ dxu −

ℓ∫

0

HTqz dx − f e,s

= 0 , (6.85)

mit dem Knotenkraftvektor aus den Endkraften

fTe,s =

[Qi −Mi Qj −Mj

]. (6.86)

Wir identifizieren jetzt die einzelnen Anteile als

• Massenmatrix aus translatorischen Anteilen

M e,t =

ℓ∫

0

AHTH dx , (6.87)

• Massenmatrix aus rotatorischen Anteilen

M e,r =

ℓ∫

0

IHT′H ′ dx , (6.88)

• Steifigkeitsmatrix

Ke =

ℓ∫

0

EIHT′′H ′′ dx , (6.89)

• und Lastvektor aus Streckenlasten

f e,v =

ℓ∫

0

HTqz dx . (6.90)

Wir beginnen mit der Integration der Steifigkeitsmatrix. Dabei ist zu beachten, dassdie Formfunktionen in ξ formuliert sind und uber ξ auch am leichtesten integriert wird,die Elementmatrizen aber uber x zu integrieren sind. Wir fuhren daher zunachst eineKoordinatentransformation durch,

dx = ℓdξ , (.)′′ =d2

dx2=

1

ℓ2

d2

dξ2=

1

ℓ2(.) . (6.91)

Damit lasst sich die Steifigkeitsmatrix bei konstanter Biegesteifigkeit EI nun mit (6.83)schreiben als

Ke =EI

ℓ3

1∫

0

HTH dξ =

EI

ℓ3A

1∫

0

ξξT

dξAT . (6.92)

Page 75: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 71

Die Auswertung dieser Gleichung liefert

Ke =EI

ℓ3

12 6ℓ −12 6ℓ6ℓ 4ℓ2 −6ℓ 2ℓ2

−12 −6ℓ 12 −6ℓ6ℓ 2ℓ2 −6ℓ 4ℓ2

. (6.93)

Dies entspricht dem Biegeanteil der Elementsteifigkeitsmatrix aus dem Beispiel der Ein-leitung.

Entsprechend den zwei moglichen Starrkorperverschiebungen ist diese Matrix zweifachsingular. Die Starrkorperverschiebungen sind eine reine Translation in w

uSK,Te =

[w 0 w 0

](6.94)

und eine reine Drehung mit

uSK,Te =

[w −2w

ℓ−w −2w

]. (6.95)

Die Uberprufung der Starrkorperbedingung wird dem Leser uberlassen.

Ganz analog erhalt man den translatorischen Anteil an der Massenmatrix zu

M e,t =Aℓ

420

156 22ℓ 54 −13ℓ22ℓ 4ℓ2 13ℓ −3ℓ2

54 13ℓ 156 −22ℓ−13ℓ −3ℓ2 −22ℓ 4ℓ2

(6.96)

und den rotatorischen Anteil zu

M e,r =I

30ℓ

36 3ℓ −36 3ℓ3ℓ 4ℓ2 −3ℓ −ℓ2

−36 −3ℓ 36 −3ℓ3ℓ −ℓ2 −3ℓ 4ℓ2

. (6.97)

Meist wird der rotatorische Anteil vernachlassigt, da er klein gegenuber den translato-rischen Anteilen ist. Berucksichtigt man das Verhaltnis von translatorischen Anteilen zurotatorischen Anteilen,

Mt ∼ Aℓ , Mr ∼I

ℓ= A

k2

ℓ−→

Mt

Mr∼

ℓ2

k2, (6.98)

dann findet man fur einen Balken mit ℓ = 10b und quadratischen Querschnitt A = b2

k2 =I

A=

1

12b2 −→

Mt

Mr∼ 1200 (6.99)

und zum Beispiel fur das Element M11 ein Verhaltnis von

M11,t

M11,r= 1200

156

420

30

36= 371.43 . (6.100)

Als letztes bleibt noch der Elementlastvektor zu bestimmen. Dies soll hier exemplarischfur eine konstante Streckenlast q0 = qz geschehen. Aus

f e,v = q0

ℓ∫

0

HT dx (6.101)

Page 76: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 72

folgt

fTv,e =

q0ℓ

12

[6 ℓ 6 −ℓ

]. (6.102)

Man erkennt, dass auch fur eine reine Streckenlast aquivalente Knotenmomente auftreten!

6.6 Beispiel: Schubweicher Balken

Das zweidimensionale Aquivalent zum schubstarren Balken ist die schubstarre Platte nachder Kirchhoff-Theorie. Auch hier ist ein C1-stetiger Ansatz notig. Wahrend die Formu-lierung eines C1-stetigen Ansatzes fur den schubstarren Balken jedoch kein Problem ist,bereitet es insbesonders fur beliebig geformte Platten Schwierigkeiten Ansatzfunktionenzu finden, die vollstandige C1-Stetigkeit gewahrleisten. Ein Ausweg ist die Verwendungeiner anderen Formulierung, namlich die einer schubweichen Platte nach der Mindlin-Reissner-Theorie. Wir wollen uns hier nicht mit Plattentheorie beschaftigen, sondern nurdas eindimensionale Pendant, namlich den schubweichen Balken nach der Timoshenko-Theorie, untersuchen. Wir werden dabei feststellen, dass hier nur ein sehr viel einfacherC0-stetiger Ansatz notig ist, dafur jedoch andere Probleme auftauchen konnen.

Das Prinzip der virtuellen Verruckungen fur den schubweichen Balken lautet

ℓ∫

0

δw Aw dx +

ℓ∫

0

δβ Iβ dx +

ℓ∫

0

δβ ′EIβ ′ dx +

ℓ∫

0

(δβ + δw′)GAs(β + w′) dx

=

ℓ∫

0

δw qz dx + δβiMi + δβjMj + δwiQi + δwjQj . (6.103)

wobei die Vorzeichen wieder der Finite-Elemente-Konvention angepasst wurden. Fur dieweiteren Betrachtungen beschranken wir uns auf die Statik und berucksichtigen auch nurEinzellasten. Das Prinzip lautet dann in Matrixform geschrieben

ℓ∫

0

[δβ + δw′ δβ ′

][GAs 0

0 EI

] [β + w′

β ′

]

dx =[δwi δβi δwj δβj

]

Qi

Mi

Qj

Mj

. (6.104)

Hier sind w(x) und β(x) unabhangige Großen fur die man den ublichen FE-Ansatz macht,

[wβ

]

= Hu . (6.105)

Der zugehorige Ableitungsoperator Dεu ist

Dεu =

[d/dx 1

0 d/dx

]

. (6.106)

und die Stoffmatrix lautet

C =

[GAs 0

0 EI

]

. (6.107)

Page 77: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 73

Fasst man die Schnittgroßen noch zu

fTe,s =

[Qi Mi Qj Mj

](6.108)

zusammen, so lautet das Prinzip dann kompakt

ℓ∫

0

(DεuHδu)TC(DεuHu) dx = δuTf e,s . (6.109)

Daraus findet man dann

δuT

ℓ∫

0

(DεuH)TC(DεuH) dxu = δuTf e,s (6.110)

und schließlichKeu = f e,s (6.111)

mit der Elementsteifigkeitsmatrix

Ke =

ℓ∫

0

(DεuH)TC(DεuH) dx (6.112)

des schubweichen Balkens.

Die jeweils hochste auftauchende Ortsableitung im Prinzip ist die erste, so dass C0-stetigeAnsatze fur w und β ausreichen, um die Stetigkeitsforderung zu erfullen. Das einfachsteElement hat dann 4 Freiheitsgrade und jeweils einen linearen Ansatz fur β und w. Mit

h1 = 1 −x

ℓund h2 =

x

ℓ(6.113)

findet man

[wβ

]

=

[h1 0 h2 00 h1 0 h2

]

wi

βi

wj

βj

= Hu . (6.114)

6.7 Shear-Locking

Anstelle die Steifigkeitsmatrix jetzt explizit auszurechnen, betrachten wir die Formande-rungsenergie fur einen schubweichen Balken auf zwei Stutzen unter reiner Momentenbe-lastung. Die Formanderungsenergie ist durch

Πi =1

2

ℓ∫

0

Mβ ′ dx +1

2

ℓ∫

0

Q(β + w′) dx (6.115)

gegeben. Setzt man hier die analytischen Beziehungen (3.76) und (3.78) ein,

M(x) = EIβ ′ (6.116)

Q(x) = GAs (β + w′) , (6.117)

Page 78: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 74

M0 M0

M0 M0

Abbildung 6.14: Balken auf zwei Stutzen unter reiner Momentenbelastung

dann ergibt sich

Πi =1

2

ℓ∫

0

(M2

EI+

Q2

GAs

)

dx . (6.118)

Fur eine reine Momentenbelastung entsprechend Abbildung 6.14 mit M(x) = M0 undQ(x) = 0 findet man

β(x) =M0x

EI(6.119)

und daraus dann

Πi =1

2

M20 ℓ

EI. (6.120)

Diskretisiert man den entsprechenden Balken in n lineare Elemente der Elementlange a,so ist die zugehorige Verformungsfigur eines Elementes in Abbildung 6.15 gezeigt. Nutztman die Symmetrie aus und eliminiert man die Starrkorperverschiebungen, die ja keinenBeitrag zur Formanderungsenergie leisten, dann kann der Verschiebungszustand durch

w(x) = 0 und β(x) =2x

aβ2 (6.121)

beschrieben werden. Setzt man dies in das Prinzip ein, so erhalt man

β2 =6M0a

12EI + a2GAs. (6.122)

β2 β2

β

a

xz, w

Abbildung 6.15: Schubweiches Balkenelement unter reiner Momentenbelastung

Page 79: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 75

Die Querschnittsneigung ist dann also

β(x) =M0x

EI

(

1 +a2

12

GAs

EI

) (6.123)

und die Formanderungsenergie eines einzelnen Elements ist

Πe =1

2

a/2∫

−a/2

Mβ ′ dx =1

2

M20 a

EI

1

1 +a2

12

GAs

EI

. (6.124)

Die Gesamtenergie erhalt man aus der Summe uber n Elemente zu

Π =1

2

M20 ℓ

EI

1

1 +a2

12

GAs

EI

. (6.125)

Nimmt man einen rechteckigen Querschnitt mit

As =5

6bh und I =

bh3

12(6.126)

an und berucksichtigt die Beziehung

G =E

2(1 + ν), (6.127)

dann erhalt man schließlich

Π =1

2

M20 ℓ

EI

1

1 +5

12(1 + ν)

(a

h

)2 . (6.128)

Fur a/h → 0, also immer kleinere Elemente, erhalt man zwar die korrekte Losung, jedochist der Fehler fur sinnvoll geformte Elemente geradezu gigantisch, wie die Tabelle 6.1 zeigt,die dem Buch von Knothe und Wessels [7] entnommen wurde. Die Verformungen, diemit einer vernunftigen Elementierung berechnet werden, sind viel zu klein.

a/h 0 0,1 0,2 0,5 1 2 5 10 20 50 100Fehler in % 0 0,3 1,3 7,4 24,3 56,2 88,9 97,0 99,2 99,9 100

Tabelle 6.1: Formanderungsenergiefehler im Lastfall Biegung bei Verwendung von schub-weichen 2-Knoten-Elementen mit linearem w-β-Ansatz (ν = 0, 3), [7]

Das schlechte Verhalten des linearen schubweichen Elements wird als Schubversteifung

oder Shear-Locking bezeichnet. Die Ursache ist eine Verletzung der Darstellbarkeitsforde-rung. Im Gegensatz zu den Kontinuumselemente, bei denen ein Polynom ersten Gradesausreicht, um die Starrkorperbewegung und einen konstanten Verzerrungszustand darzu-stellen, trifft dies fur Strukturelemente nicht zu.

Wir betrachten dazu die analytische Losung fur den Lastfall der Querkraftbiegung mitQ(x) = Q0 und M(x) = Q0x + M0. Dieser entspricht einer konstanten Schubverzerrung

Page 80: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 76

und enthalt fur Q0 = 0 den Sonderfall der reinen Biegung, der einer konstanten Krummungentspricht.

Die Losung der gekoppelten Differentialgleichungen

EIβ ′ = M0 + Q0x (6.129)

GAs(w′ + β) = Q0 (6.130)

lautet mit den Randbedingungen w(x = 0) = w0 und β(x = 0) = β0

[w(x)β(x)

]

=

1 −x −x2

2EI

x

GAs−

x3

6EI

0 1x

EI

x2

2EI

w0

β0

M0

Q0

. (6.131)

Man erkennt nun, dass ein Ansatz, der den Lastfall Querkraftbiegung korrekt wiedergebensoll, wenigstens kubisch in den Verschiebungen und quadratisch in den Neigungen seinmuss. Damit alle Knoten dieselbe Anzahl von Freiheitsgraden haben, wird man dann inder Regel auch einen kubischen Ansatz fur die Neigungen wahlen. Der einfache lineareAnsatz kann gerade mal die Starrkorperverschiebungen, also die Faktoren vor w0 undβ0, abbilden und fuhrt daher zu massiven Problemen. Ein quadratischer Ansatz kann diereine Biegung korrekt abbilden, versagt aber fur die Schubbiegung. Auch hier kommt eszum Shear-Locking, allerdings bei weitem nicht so schlimm wie beim linearem Ansatz,siehe Knothe und Wessels [7].

6.8 Das isoparametrische Konzept

Die Elemente, die wir bis jetzt kennengelernt haben, waren eindimensional. Will man zweioder dreidimensionale Elemente entwickeln, so ist das Vorgehen eigentlich ganz entspre-chend.

Allerdings stoßt man auf ein spezielles Problem. Mit dem bis jetzt bekannten Vorgehenkann man zum Beispiel ohne Probleme eine Rechteckscheibe modellieren, bei einer Tra-pezscheibe geht das aber schon nicht mehr so einfach, da die Kanten nicht mehr parallelsind. Erst recht treten Probleme auf, wenn die Kanten gekrummt sind. Zum Beispielmussen bei einem 8-Knoten Serendipity-Element die Randknoten ja nicht auf einer Linieliegen. Die Integrale zur Bildung der Elementmatrizen laufen dann nicht mehr einfach von0 bis ℓx und 0 bis ℓy, sondern haben unter Umstanden sehr komplizierte Grenzen.

Um mit diesen Schwierigkeiten fertig zu werden, bildet man die Elementgeometrie genausowie die Verschiebungen durch Ansatzfunktionen ab

~x = Hx . (6.132)

Wenn die gleichen Formfunktionen fur die Geometrie, wie fur das Verschiebungsfeld be-nutzt werden, nennt man dieses Vorgehen eine isoparametrische Darstellung. Theoretischkonnte man auch Formfunktionen mit mehr oder weniger Stutzstellen verwenden:

• Stutzt sich der Geometrieansatz auf mehr Knoten als der Verschiebungsansatz, sonennt man dies eine superparametrische Darstellung.

Page 81: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 77

• Stutzt sich der Geometrieansatz auf weniger Knoten als der Verschiebungsansatz,so nennt man dies eine subparametrische Darstellung.

Das superparametrische Vorgehen verletzt die Forderung nach Darstellbarkeit vonStarrkorperverschiebungen und ist daher unbrauchbar. Auch mit einer subparametrischenDarstellung kann man auf Schwierigkeiten stoßen; die uberzahligen Verschiebungsansatzesind daher sehr sorgfaltig auszuwahlen. Aus diesen Grunden hat sich das isoparametrischeKonzept durchgesetzt.

6.9 Beispiel: Isoparametrisches Scheibenelement

Wir werden das isoparametrische Vorgehen jetzt am Beispiel des 4-Knoten Scheibenele-mentes fur den ebenen Spannungszustand durchspielen. Wir betrachten dazu ein beliebiggeformtes und in der Ebene orientiertes Element, entsprechend der Abbildung 6.16.

x

y

r

s

12

34

Abbildung 6.16: 4-Knoten Scheibenelement

Wir machen zunachst wieder einen Ansatz fur das Verschiebungsfeld, der formal

~u =

[uv

]

= Hu =

[h1 0 h2 0 h3 0 h4 00 h1 0 h2 0 h3 0 h4

]

u1

v1

u2

v2

u3

v3

u4

v4

(6.133)

lautet. Entsprechend dem isoparametrischen Konzept wird jetzt die Geometrie genausoparametrisiert,

~x =

[xy

]

= Hx =

[h1 0 h2 0 h3 0 h4 00 h1 0 h2 0 h3 0 h4

]

x1

y1

x2

y2

x3

y3

x4

y4

. (6.134)

Page 82: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 78

Die Formfunktionen h1(r, s) bis h4(r, s) sind dabei durch (6.39) bis (6.42) gegeben. DieseParametrisierung entspricht einer Abbildung der Geometrie auf ein Einheitsquadrat, sieheAbbildung 6.17.

x

y

r

s(1, 1)

(1,−1)

(−1, 1)

(−1,−1)

(x1, y1)(x2, y2)

(x3, y3)(x4, y4)

Abbildung 6.17: Isoparametrische Abbildung

Das Stoffgesetz fur den ebenen Spannungszustand (3.32) lautete

σx

σy

τxy

=E

1 − ν2

1 ν 0ν 1 00 0 1−ν

2

εx

εy

γxy

(6.135)

und die entsprechende Verzerrungs-Verschiebungsrelation war

εx

εy

γxy

=

∂u

∂x∂v

∂y∂u

∂y+

∂v

∂x

=

∂x0

0∂

∂y∂

∂y

∂x

︸ ︷︷ ︸

Dεu

[uv

]

. (6.136)

Da die Formfunktionen hi von r und s abhangen, bei der Ermittlung der Verzerrungenjedoch eine Differentiation nach x bzw. y erforderlich ist, konnen diese Ableitungen nichtunmittelbar ermittelt werden. Auch eine Anwendung der Kettenregel wie in Gleichung(6.91) beim Balken fuhrt nicht zum Ziel, da die funktionalen Abhangigkeiten r(x, y) unds(x, y) nicht bekannt sind. Allerdings sind durch das isoparametrische Konzept (6.134)die umgekehrten Abhangigkeiten bekannt. Man kann also zum Beispiel schreiben

∂hi

∂r=

∂hi

∂x

∂x

∂r+

∂hi

∂y

∂y

∂r. (6.137)

In Matrizenschreibweise sieht das dann so aus

∂hi

∂r∂hi

∂s

=

∂x

∂r

∂y

∂r∂x

∂s

∂y

∂s

︸ ︷︷ ︸

J

∂hi

∂x∂hi

∂y

. (6.138)

Page 83: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 79

Man nennt J die Jacobi-Matrix der Abbildung ~x(r, s). Fur den isoparametrischen Ansatzlasst sie sich sehr einfach berechnen

J =

i

∂hi

∂rxi

i

∂hi

∂ryi

i

∂hi

∂sxi

i

∂hi

∂syi

. (6.139)

Durch Invertierung von (6.138) lassen sich nun die in (6.136) benotigten Ableitungenangeben

∂hi

∂x∂hi

∂y

=1

det J

∂y

∂s−

∂y

∂r

−∂x

∂s

∂x

∂r

∂hi

∂r∂hi

∂s

. (6.140)

Die Existenz der Inversen ist sichergestellt, solange die Elemente nicht zu sehr verzerrtsind. Fur bilineare Ansatzfunktionen bedeutet dies, dass alle Innenwinkel kleiner als πsein mussen, siehe Abbildung 6.18 (links). Weitere Einschrankungen ergeben sich beihohergradigen Ansatzfunktionen. Hier ist darauf zu achten, dass sich die Knoten nicht zuweit von ihrer naturlichen Lage entfernen. So sollten zum Beispiel die Seitenmittenkno-ten bei quadratischen Ansatzfunktionen im mittleren Drittel der Seite angeordnet sein,siehe Abbildung 6.18 (rechts). Diese Fehler lassen sich bei der Netzgenerierung vermei-den. Allerdings kann es bei großen Verformungen im Laufe der Rechnung dazu kommen,dass Elemente so stark verzerrt werden, dass die Jacobi-Determinante verschwindet odernegativ wird. In diesem Fall sind spezielle Maßnahmen notwendig, auf die hier aber imRahmen der linearen Theorie nicht eingegangen werden soll.

Innenwinkel α > π schlechte Lage des Seitenmittenknotens

Abbildung 6.18: Degenerierte Elemente

Nach diesen ganzen Voruberlegungen konnen nun die Verzerrungen wieder dargestelltwerden als

ε = DεuHue , (6.141)

mit der abgeleiteten Matrix der Formfunktionen

DεuH =

h1,x 0 h2,x 0 h3,x 0 h4,x 00 h1,y 0 h2,y 0 h3,y 0 h4,y

h1,y h1,x h2,y h2,x h3,y h3,x h4,y h4,x

, (6.142)

Page 84: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 80

wobei die Ableitungen entsprechend der Vorschrift (6.140) gebildet werden.

Zur Bildung der Elementmassenmatrix bzw. -steifigkeitsmatrix nach (6.12) bzw. (6.13) istjetzt noch das Volumendifferential dv zu ersetzen. Nimmt man eine konstante Element-dicke h an, so findet man

dv = h dA = h dx dy = h detJ dr ds . (6.143)

Bei der Bildung der Elementsteifigkeitsmatrix nach (6.13)

Ke =

1∫

−1

1∫

−1

(DεuH)T hC (DεuH) det J dr ds (6.144)

ist eine gebrochen rationale Funktion in r und s zu integrieren, da die abgeleiteten Form-funktionen DεuH die Determinante det J jeweils im Nenner enthalten und sich det J

aufgrund der Transformation des Flachenelements nur einmal herauskurzt. Obwohl dieIntegrationsgrenzen nun mit Koordinatenlinien zusammenfallen und sich die Integrati-on dadurch vereinfacht, kann sie im allgemeinen nicht mehr analytisch ausgefuhrt wer-den. Stattdessen benutzt man numerische Integrationsverfahren, die im nachsten Kapitelerlautert werden.

Zuvor soll aber noch der Elementlastvektor aus Randlasten fur das Scheibenelement er-mittelt werden. Dieser war entsprechend (6.15) gegeben durch

f e,s =

se

HT~t(~n) da . (6.145)

Fur eine konstante Scheibendicke h kann das Flachendifferential da ersetzt werden durchhdℓ, wobei ℓ jetzt eine Koordinate entlang des Randes ist. Entsprechend dem betrachtetenRand hangt das dℓ von dr oder ds ab.

dℓdr

x

y

r

s1

2

34

qy1qy2

Abbildung 6.19: Randlast

Wir betrachten im folgenden beispielhaft eine Streckenlast auf dem Rand s = 1, sieheAbbildung 6.19. In diesem Fall verschwinden die Formfunktionen h3 und h4, und es bleibt

Page 85: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 81

als Matrix der Randfunktionen

H(r, s = 1) =

[12(1 + r) 0 1

2(1 − r) 0 0 0 0 0

0 12(1 + r) 0 1

2(1 − r) 0 0 0 0

]

. (6.146)

Außerdem ist dℓ durch dr zu ersetzen. Man erhalt den Zusammenhang der Randdifferen-tiale aus

dℓ =∂ℓ

∂rdr =

√(

∂x(r)

∂r

)2

+

(∂y(r)

∂r

)2

dr . (6.147)

Die Ableitungen konnen wieder durch die isoparametrische Abbildung der Geometrieermittelt werden, wobei auch hier naturlich die Formfunktionen auf dem Rand s = 1gebildet werden mussen,

∂x

∂r∂y

∂r

= H ,r(r, s = 1) xe =

[12

0 −12

0 0 0 0 00 1

20 −1

20 0 0 0

]

x1

y1

x2

y2

x3

y3

x4

y4

. (6.148)

Als Elementlastvektor erhalt man dann

f e,s = h

1∫

−1

HT(r, s = 1)~t(~n)dℓ

drdr . (6.149)

Haufig wird auch noch der Verlauf der Randspannung ~t(~n) isoparametrisch angenahert.Das heißt, man gibt die Amplituden an den Knoten vor und benutzt die Formfunktionenals Interpolation. In diesem Fall sind die Randspannungen gegeben durch

~t(~n) = Hqe (6.150)

bzw. ausgeschrieben fur den Rand s = 1

~t(~n) =

[12(1 + r) 0 1

2(1 − r) 0 0 0 0 0

0 12(1 + r) 0 1

2(1 − r) 0 0 0 0

]

qx1

qy1

qx2

qy2

0000

. (6.151)

Der Elementlastvektor lautet dann

f e,s = h

1∫

−1

HTHqe

dl

drdr . (6.152)

Neben dem ebenen Spannungszustand lassen sich Scheibenelemente auch noch furden ebenen Verzerrungszustand und axialsymmetrische Probleme formulieren. Die Vor-gehensweise ist ganz aquivalent, wenn die korrekten Stoffgesetze und Verzerrungs-Verschiebungsrelationen entsprechend Abschnitt 3.3 benutzt werden.

Page 86: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 82

6.10 Beispiel: Lineares Dreieckselement

Wir wollen nun noch der Vollstandigkeit halber das lineare Dreieckselement betrachten.Dabei werden wir zunachst spezielle Formfunktionen fur diesen Elementtyp herleiten undmit diesen dann die Steifigkeitsmatrix berechnen. Zum Vergleich untersuchen wir dannauch noch ein kollabiertes isoparametrisches Viereckelement und zeigen, dass dieses da-selbe Ergebnis liefert.

Wir haben in der Ebene bei zwei Verschiebungen pro Knoten insgesamt sechs Freiheits-grade fur das Dreieckselement. Damit lasst sich ein linearer Ansatz mit sechs Freiwertenai in der Art

u(x, y) = a1 + a2x + a3y (6.153)

v(x, y) = a4 + a5x + a6y (6.154)

definieren, was sich in Matrixform als

[uv

]

=

[1 x y 0 0 00 0 0 1 x y

]

a1

a2

a3

a4

a5

a6

(6.155)

u = Fa (6.156)

schreiben lasst.

Die entsprechenden Formfunktionen erhalt man dann aus dieser Beziehung, in dem mandie Knotenwerte einsetzt und damit die unbekannten Parameter ai bestimmt,

u1

u2

u3

v1

v2

v3

=

1 x1 y1 0 0 01 x2 y2 0 0 01 x3 y3 0 0 00 0 0 1 x1 y1

0 0 0 1 x2 y2

0 0 0 1 x3 y3

a1

a2

a3

a4

a5

a6

(6.157)

ue = Aa . (6.158)

Durch Inversion erhalt man danna = A−1ue . (6.159)

Dabei reicht es die Submatrix A,

A =

1 x1 y1

1 x2 y2

1 x3 y3

(6.160)

zu invertieren, da die Gleichungen fur die ui bzw. vi entkoppelt sind. Einsetzen in denAnsatz (6.156) liefert

u = FA−1ue , (6.161)

woraus man die Matrix der Formfunktionen als

H = FA−1 =

[h1 h2 h3 0 0 00 0 0 h1 h2 h3

]

(6.162)

Page 87: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 83

identifiziert. Da sich die Inverse analytisch bestimmen lasst, konnen die Formfunktionenexplizit angegeben werden. Mit der Determinante

det A =

∣∣∣∣∣∣

1 x1 y1

1 x2 y2

1 x3 y3

∣∣∣∣∣∣

= (x2y3 − x3y2) + (x3y1 − x1y3) + (x1y2 − x2y1) = 2A∆ , (6.163)

die dem doppelten Flacheninhalt des Dreieckselementes A∆ entspricht, findet man

h1(x, y) =1

2A∆[(x2y3 − x3y2) + (y2 − y3)x + (x3 − x2)y] (6.164)

h2(x, y) =1

2A∆[(x3y1 − x1y3) + (y3 − y1)x + (x1 − x3)y] (6.165)

h3(x, y) =1

2A∆[(x1y3 − x2y1) + (y1 − y2)x + (x2 − x1)y] . (6.166)

Fur die programmtechnische Realisierung ist es gunstiger, die Knotenverschiebungen um-zusortieren und knotenweise zusammenzufassen. Der Verschiebungsansatz lautet dann

[u(x, y)v(x, y)

]

=

[h1 0 h2 0 h3 00 h1 0 h2 0 h3

]

u1

v1

u2

v2

u3

v3

. (6.167)

Mit dem Ableitungsoperator fur den ebenen Verzerrungszustand

Dεu =

∂∂x

00 ∂

∂y∂∂y

∂∂x

(6.168)

lassen sich die Verzerrungen alsǫ = DεuHue (6.169)

angeben, wobei die Ableitungen der Formfunktionen wiederum explizit angegeben werdenkonnen. Mit

h1,x =1

2A∆

(y2 − y3) h1,y =1

2A∆

(x3 − x2)

h2,x =1

2A∆

(y3 − y1) h2,y =1

2A∆

(x1 − x3)

h3,x =1

2A∆(y1 − y2) h3,y =

1

2A∆(x2 − x1) (6.170)

erhalt man

DεuH =1

2A∆

y2 − y3 0 y3 − y1 0 y1 − y2 00 x3 − x2 0 x1 − x3 0 x2 − x1

x3 − x2 y2 − y3 x1 − x3 y3 − y1 x2 − x1 y1 − y2

. (6.171)

Wie man sieht, sind die Verzerrungen

ǫ = DεuHue (6.172)

Page 88: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 84

konstant. Das Element kann also nur einen konstanten Verzerrungszustand und damitauch nur einen konstanten Spannungszustand abbilden. Es wird daher auch als CST-Element (constant strain triangle) bezeichnet.

Entsprechend (6.13) ist die Steifigkeitsmatrix als

K =

ve

(DεuH)TC(DεuH) dv (6.173)

definiert. Da sowohl die Stoffmatrix C als auch die Ableitungen DεuH konstante Großensind, vereinfacht sich das Integral zu

K = tA∆(DεuH)TC(DεuH) , (6.174)

wobei A∆ wiederum die Dreiecksflache ist und t die Elementdicke. Berucksichtigt man,dass die Stoffmatrix C sowohl fur den ebenen Verzerrungszustand als auch fur den ebenenSpannungszustand die Struktur

C =

C11 C12 0C12 C22 00 0 C33

(6.175)

hat, so kann die Steifigkeitsmatrix fur beide Falle in geschlossener Form angegeben werden;auf eine Darstellung wird hier jedoch verzichtet.

Wie bereits angedeutet, lasst sich dieses Element auch durch Kollabieren des entsprechen-den 4-Knoten-Elementes gewinnen. Die degenerierten Formfunktionen (6.61) lauteten

h1(r, s) =1

4(1 + r)(1 + s) (6.176)

h2(r, s) =1

4(1 − r)(1 + s) (6.177)

h3(r, s) =1

2(1 − s) , (6.178)

mit den Ableitungen

h1,r =1

4(1 + s) h1,s =

1

4(1 + r)

h2,r = −1

4(1 + s) h2,s =

1

4(1 − r)

h3,r = 0 h3,s = −1

2.

Entsprechend dem isoparametrischen Konzept muss nun die Jacobimatrix (6.139) be-stimmt werden. Diese erhalt man zu

J =1

4

[(1 + s)(x1 − x2) (1 + s)(y1 − y2)

(1 + r)x1 + (1 − r)x2 − 2x3 (1 + r)y1 + (1 − r)y2 − 2y3

]

(6.179)

mit der Determinante

det J = (1 + s)A∆

4. (6.180)

Die Inverse lautet damit

J−1 =1

(1 + s)A∆

[(1 + r)y1 + (1 − r)y2 − 2y3 −(1 + s)(y1 − y2)

−(1 + r)x1 − (1 − r)x2 + 2x3 (1 + s)(x1 − x2)

]

. (6.181)

Page 89: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 85

Die Ableitungen der Formfunktionen entsprechend (6.140) sind dann

h1,x =1

2A∆(y2 − y3) h1,y =

1

2A∆(x3 − x2)

h2,x =1

2A∆(y3 − y1) h2,y =

1

2A∆(x1 − x3)

h3,x =1

2A∆

(y1 − y2) h3,y =1

2A∆

(x2 − x1)

was genau den Ableitungen (6.170) der direkt aufgestellten Formfunktionen entspricht.

Das Integral fur die Steifigkeitsmatrix ist hier durch

K = t(DεuH)TC(DεuH)

1∫

−1

1∫

−1

det J dr ds (6.182)

gegeben, wobei die konstanten Großen bereits aus dem Integral herausgezogen wurden.Das verbleibende Integral ist naturlich genau die Flache des Dreiecks und somit erhaltman auch hier

K = tA∆(DεuH)TC(DεuH) . (6.183)

6.11 Beispiel: Lineares Tetraederelement

Das lineare Tetraederelement ist das dreidimensionale Gegenstuck zum linearen Dreiecks-element aus dem vorherigen Abschnitt.

Im Raum haben wir nun drei Verschiebungen pro Knoten und damit 12 Freiheitsgradeinsgesamt fur das Tetraederelement. Damit lasst sich ein linearer Ansatz mit 12 Freiwertenai in der Art

u(x, y, z) = a1 + a2x + a3y + a4z (6.184)

v(x, y, z) = a5 + a6x + a7y + a8z (6.185)

w(x, y, z) = a9 + a10x + a11y + a12z (6.186)

definieren, was sich in Matrixform als

uvw

=

1 x y z 0 0 0 0 0 0 00 0 0 0 1 x y z 0 0 00 0 0 0 0 0 0 1 x y z

a1

a2

a3

a4

a5

a6

a7

a8

a9

a10

a11

a12

(6.187)

u = Fa (6.188)

Page 90: Willner - Finite Elemente

6 Die Methode der finiten Elemente 86

schreiben lasst.

Die entsprechenden Formfunktionen erhalt man dann aus dieser Beziehung, indem manwieder die Knotenwerte einsetzt und damit die unbekannten Parameter ai bestimmt,

u1

u2

u3

u4

v1

v2

v3

v4

w1

w2

w3

w4

=

1 x1 y1 z1 0 0 0 0 0 0 0 01 x2 y2 z2 0 0 0 0 0 0 0 01 x3 y3 z3 0 0 0 0 0 0 0 01 x3 y3 z3 0 0 0 0 0 0 0 00 0 0 0 1 x1 y1 z1 0 0 0 00 0 0 0 1 x2 y2 z2 0 0 0 00 0 0 0 1 x3 y3 z3 0 0 0 00 0 0 0 1 x3 y3 z3 0 0 0 00 0 0 0 0 0 0 0 1 x1 y1 z1

0 0 0 0 0 0 0 0 1 x2 y2 z2

0 0 0 0 0 0 0 0 1 x3 y3 z3

0 0 0 0 0 0 0 0 1 x3 y3 z3

a1

a2

a3

a4

a5

a6

a7

a8

a9

a10

a11

a12

(6.189)

ue = Aa . (6.190)

Durch Inversion erhalt man danna = A−1ue . (6.191)

Dabei reicht es die Submatrix A,

A =

1 x1 y1 z1

1 x2 y2 z2

1 x3 y3 z3

1 x4 y4 z4

(6.192)

zu invertieren, da die Gleichungen fur die ui, vi und wi entkoppelt sind.

Einsetzen in den Ansatz (6.188) liefert

u = FA−1ue , (6.193)

woraus man die Matrix der Formfunktionen als

H = FA−1 =

h1 h2 h3 h4 0 0 0 0 0 0 0 00 0 0 0 h1 h2 h3 h4 0 0 0 00 0 0 0 0 0 0 0 h1 h2 h3 h4

(6.194)

identifiziert.

Da sich die Inverse analytisch bestimmen lasst, konnen auch hier die Formfunktionen ingeschlossener Form angegeben werden. Die Determinante

∣∣∣∣∣∣∣∣

1 x1 y1 z1

1 x2 y2 z2

1 x3 y3 z3

1 x4 y4 z4

∣∣∣∣∣∣∣∣

= 6V∆ , (6.195)

entspricht dabei dem sechsfachen Volumen des Tetraederelementes V∆.

Das weitere Vorgehen entspricht dem Dreieckselement. Auf eine komplette Darstellungsoll hier aber verzichtet werden, da die Ausdrucke sehr unubersichtlich werden.

Page 91: Willner - Finite Elemente

Kapitel 7

Numerische Umsetzung

Im folgenden Kapitel sollen einige spezielle Themen angesprochen werden, die bei derUmsetzung der Finite Element Formulierung in ein Computer-Programm von besonderemInteresse sind.

Dabei ist zu praktisch allen Fragen der numerischen Mathematik und der Umsetzungin verschiedenen Sprachen (Fortran, C, Pascal) das Buch Numerical Recipes [8] sehr zuempfehlen. Ausfuhrlich mit numerischen Fragen der FEM beschaftigen sich Schwarz [9]und Argyris [1].

7.1 Numerische Integration der Elementmatrizen

Wie bereits im Abschnitt 6.9 angedeutet, ist es fur die meisten Elementtypen nichtmoglich, die Integration der Elementmatrizen vorab von Hand analytisch vorzunehmen.Stattdessen benutzt man numerische Integrationsverfahren. Die Grundidee einer numeri-schen Integration ist es, das Integral durch eine Summe uber Funktionswerte an geeignetgewahlten Stutzstellen xi zu ersetzen, die mit Integrationsgewichten wi gewichtet sind,

b∫

a

f(x)dx =

n∑

i=1

wif(xi) . (7.1)

Ziel ist es, mit moglichst wenig Stutzstellen, das heißt Funktionsauswertungen auszu-kommen. Ein Maß fur die Effizienz einer Integrationsformel ist dabei die Anzahl derStutzstellen, die fur eine exakte Integration eines Polynoms vom Grade n notig ist.

Eine erste Klasse von Integrationsformeln bilden die Newton-Cotes-Formeln, die aquidi-stante Stutzstellen verwenden. Der einfachste Vertreter dieser Klasse ist das Rechteck-verfahren mit einer Stutzstelle in der Mitte des Integrationsbereichs. Damit kann einPolynom ersten Grades mit einer Stutzstelle exakt integriert werden. Es handelt sich so-mit um ein Verfahren vom Grade 1. Da man mit der Integration einer Geraden aber nichtweit kommt, verwendet man dieses Verfahren intervallweise.

Man unterteilt dabei den zu integrierenden Bereich (a, b) in n gleiche Intervalle und wertetdie Funktion in der Mitte jedes Intervalls i aus. Das Integral uber den Bereich lasst sichdann annahern als die Summe uber die Funktionswerte gewichtet mit der Intervallange,

Page 92: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 88

PSfrag

x

f(x)

f(mi)

a = x0 ximixi−1 b = xn

Abbildung 7.1: Integration mit dem Rechteckverfahren

siehe Abbildung 7.1,b∫

a

f(x)dx =n∑

i=1

wif(mi) , (7.2)

mit

mi =xi + xi−1

2, (7.3)

wi =b − a

n. (7.4)

Dieses Vorgehen ist zwar einfach, aber nicht besonders effektiv. Die Effektivitat lasst sichverbessern, indem man durch mehr Stutzstellen im Intervall den Grad erhoht. Bleibt manbei aquidistanten Stutzstellen, gelangt man zu den Newton-Cotes Formeln [10], die alle-samt vom Grade n sind, also zur Integration eines Polynoms n-ten Grades n Stutzstellenbenotigen. Eine weitere Verbesserung erlangt man, wenn man die Forderung nach aqui-distanten Stutzstellen aufgibt. Dies fuhrt dann auf die Gauß’schen Quadraturformeln.

7.1.1 Gauß’sche Quadratur

Das Standardverfahren zur numerischen Integration ist die so genannte Gauß’sche Qua-dratur. Dieses Integrationsverfahren ist so formuliert, dass ein Polynom mit einer Mindest-anzahl von Stutzstellen exakt integriert wird. Da man sowohl den Ort der Stutzstelle alsauch das Integrationsgewicht an der Stutzstelle zur Verfugung hat, besitzt man 2n Frei-werte. Diese lassen sich dann so bestimmen, dass sich bei n Stutzstellen ein Polynom(2n − 1)-ten Grades noch exakt integrieren lasst, das Verfahren ist daher vom Grad2n − 1. Wir wollen hier die Herleitung der Stutzstellen und Integrationsgewichte nichtvorfuhren. Wer sich fur eine genauere Diskussion interessiert, findet diese zum Beispiel inGaul/Fiedler [4]. Die Stutzstellen und Integrationsgewichte sind in Standardwerken,zum Beispiel [12], fur das Intervall (-1,1) tabelliert. In der Tabelle 7.1 sind sie bis n = 4zusammengestellt.

Page 93: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 89

n = 1 r1 = 0 w1 = 2

n = 2 r1 = −√

33

w1 = 1

r2 =√

33

w2 = 1

n = 3 r1 = −√

35

w1 = 59

r2 = 0 w2 = 89

r3 =√

35

w3 = 59

n = 4 r1 = −0.8611363116 w1 = 0.3478548451

r2 = −0.3399810436 w2 = 0.6521451549

r3 = 0.3399810436 w3 = 0.6521451549

r4 = 0.8611363116 w4 = 0.3478548451

Tabelle 7.1: Integrationspunkte und -gewichte der Gauß’schen Quadratur fur das Inter-vall (-1,1).

Wie man sieht, sind die Integrationspunkte und -gewichte symmetrisch zur Mitte des In-tervalls. Die Randwerte sind nicht Stutzstellen der Integration. Ist das zu integrierendeIntervall nicht das Einheitsintervall (-1,1), so kann es mittels einer Koordinatentransfor-mation immer auf diese Form gebracht werden. Bei den isoparametrischen Elementenliefert die isoparametrische Abbildung diese Transformation gleich mit.

Beispiel 7.1Als Beispiel wollen wir die Massenmatrix des Stabes bestimmen. Benutzen wir die Form-funktionen in der Form (6.34) und (6.35), so lautet die Massenmatrix

M = Aℓ

2

1∫

−1

HT(r)H(r) dr , (7.5)

mitH =

[12(1 + r) 1

2(1 − r)

]. (7.6)

Integriert man zum Beispiel das Element M11 analytisch, so findet man

M11 = Aℓ

2

1∫

−1

1

4(1 + r)2dr = A

2

[1

12(1 + r)3

]1

−1

=2

6Aℓ ≈ 0.333Aℓ . (7.7)

Analog findet man fur das Element M12 die analytische Losung M12 = 0.167Aℓ. Furdie numerische Integration mussen zwei Integrationspunkte verwendet werden, da derIntegrand ein Polynom zweiten Grades darstellt. Anwendung der Integrationsvorschrift

Page 94: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 90

liefert dann das exakte Ergebnis

M11 = Aℓ

2

2∑

i=1

1

4(1 + ri)

2wi (7.8)

= Aℓ

2

1

4(1 − 0.577)2 · 1 +

1

4(1 + 0.577)2 · 1

(7.9)

= 0.333Aℓ , (7.10)

bzw.

M12 = Aℓ

2

2∑

i=1

1

4(1 + ri)(1 − ri)wi (7.11)

= Aℓ

2

1

4(1 − 0.577)(1 + 0.577) · 1 +

1

4(1 + 0.577)(1 − 0.577) · 1

(7.12)

= 0.167Aℓ . (7.13)

Mehrdimensionale Integrationen lassen sich analog durch mehrfache Summenbildung er-mitteln, zum Beispiel ist das Flachenintegral gegeben durch

1∫

−1

1∫

−1

f(r, s) dr ds =n∑

i=1

m∑

j=1

wiwjf(xi, xj) . (7.14)

Dabei ist es prinzipiell moglich fur die verschiedenen Richtungen eine unterschiedliche An-zahl von Integrationspunkten oder sogar verschiedene Integrationsverfahren zu wahlen.Dies kann bei Schalenelementen nutzlich sein, die aus Volumenelementen abgeleitet wer-den. Hier wird haufig in Dickenrichtung eine andere Integration gewahlt als uber dieMittelflache.

7.1.2 Zuverlassige Integrationsordnung

Bei der Integration der Elementmatrizen ist nun zu entscheiden wieviele Integrations-punkte verwendet werden mussen. Wir werden uns hier auf eine Diskussion der ublichenGauß’schen Integration bei Scheibenelementen beschranken.

Betrachten wir ein rechteckiges bilineares Scheibenelement mit den Kantenlangen a bzw.b, so ist die Jacobi-Matrix und ihre Determinante konstant, wie sich leicht zeigen lasst.Mit

x =a

2r + xc (7.15)

y =b

2s + yc (7.16)

lautet die Jacobi-Matrix

J =

[a2

00 b

2

]

, (7.17)

Page 95: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 91

mit der Determinante det J = ab/4.

Fur die Massenmatrix ist das Integral

M e =

1∫

−1

1∫

−1

hHTH det Jdr ds (7.18)

zu ermitteln. Die Multiplikation der Formfunktionen HTH liefert bei bilinearem Ansatzquadratische Polynome in r und s. Damit ist also mindestens eine 2× 2 Quadratur erfor-derlich, mit der theoretisch Polynome bis zum Grade 3 exakt integriert werden konnen.Eine 1-Punkt Integration erfasst nur Polynome vom Grade 1 richtig und ist daher nichtausreichend.

Fur die Steifigkeitsmatrix ist das Integral

Ke =

1∫

−1

1∫

−1

(DεuH)TChDεuH det Jdr ds (7.19)

zu ermitteln. Die Multiplikation der abgeleiteten Formfunktionen DεuHTDεuH liefert bei

bilinearem Ansatz ebenfalls quadratische Polynome in r und s. Damit ist also auch hiereine 2 × 2 Quadratur erforderlich.

Es ist zu beachten, dass Elemente, die nicht rechteckig sind, nicht exakt integriert wer-den, da in diesen Fallen die Jacobi-Matrix nicht konstant ist und eine gebrochen rationaleFunktion zu integrieren ist. Das kann bedeuten, dass gegebenenfalls eine recht hohe In-tegrationsordnung fur eine exakte Auswertung der Matrizen gewahlt werden muss, wenndie gebrochen rationale Funktion nicht hinreichend genau durch ein Polynom niedrigerOrdnung approximiert werden kann. Fur praktische Belange ist eine 2 × 2 Integrationjedoch ausreichend.

7.1.3 Reduzierte Integration

Benutzt man eine zu geringe Integrationsordnung, so kommt es zu sogenanntenNullenergie-Eigenformen (engl. spurious modes, zero-energy modes, hourglass modes).Dies sind Verzerrungszustande des Elementes, bei denen die unterintegrierte Steifigkeits-matrix keine Verzerrungsenergie liefert. Mathematisch gesehen besitzt die Steifigkeits-matrix Eigenwerte λi = 0, deren zugehorige Eigenvektoren keine Starrkorperverschiebun-gen darstellen. Abbildung 7.2 zeigt fur ein 4-Knoten Scheibenelement die Nullenergiefor-men, die bei einer nicht ausreichenden 1-Punkt Integration auftreten.

Tabelle 7.2 gibt an, welche Integrationsordnung fur verschiedene Scheibenelemente zu-verlassig ist, beziehungsweise wieviele Nullenergie-Eigenformen bei einer reduzierten In-tegration auftreten.

Mitunter wird die Anzahl der Integrationspunkte bewusst gegenuber der zuverlassigenOrdnung verringert; man nennt dies dann reduzierte Integration. Werden nur bestimmteAnteile der Steifigkeitsmatrix mit verringerter Zahl berechnet, so nennt man dies selektive

Integration. Die Ziele einer solchen Maßnahme sind

• Einsparung von Rechenzeit und

Page 96: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 92

Abbildung 7.2: Nullenergie-Eigenformen des 4-Knoten Elementes

zuverlassige reduzierte Nullenergie-Elementtyp Integration Integration Eigenformen

4-Knoten bilinear 2 × 2 1 28-Knoten Serendipity 3 × 3 2 × 2 19-Knoten Lagrange 3 × 3 2 × 2 3

12-Knoten Serendipity 4 × 4 3 × 3 016-Knoten Lagrange 4 × 4 3 × 3 3

Tabelle 7.2: Zuverlassige Integrationsordnung fur Scheibenelemente und Nullenergie-Eigenformen bei reduzierter Integration

• bessere Erfassung des wahren Strukturverhaltens.

Wahrend der erste Punkt sofort einleuchtet, ist der zweite nicht sofort klar. Wir erinnernuns dabei an die Eigenschaft der verschiebungsbasierten FEM, die reale Struktur zu steifabzubilden. Durch die reduzierte Integration wird die Steifigkeitsmatrix nun aufgeweicht,so dass sie im Idealfall der wahren Steifigkeit besser entspricht. Dies wird insbesondersbei schubweichen Balken- und Plattenelementen benutzt, um Locking-Effekten entgegen-zuwirken. Da wir uns mit solchen Elementen im Rahmen dieser Vorlesung nicht beschafti-gen, gehen wir auch nicht weiter darauf ein. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden,dass auch dieses Verfahren zur Verbesserung der Ergebnisse, genauso wie die Verwendunghangender Knoten, nur mit großer Vorsicht zu verwenden ist, siehe dazu das Beispiel ei-ner Kerbscheibe in Knothe/Wessels [7]. Im Zweifelsfall ist daher von der Verwendungreduzierter Elemente abzusehen.

7.1.4 Lobatto-Integration und Punktmassenmatrizen

Sowohl die Rechteckregel als auch die Gauß-Quadratur benutzen Stutzstellen im Innerendes Elementes. Mitunter ist es aber nutzlich Integrationsformeln zu verwenden, die auchdie Randwerte berucksichtigen, zum Beispiel bei der Dickenintegration von Schalenele-menten.

Ein besonders interessanter Sonderfall ergibt sich fur die Massenmatrix. Benutzt man hierein Integrationsverfahren, bei dem die Integrationspunkte auf die Knoten fallen, so wirddie Massenmatrix zu einer Diagonalmatrix, da die gemischten Terme verschwinden. Man

Page 97: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 93

nennt eine solche Massenmatrix dann eine Punktmassenmatrix (engl. lumped masses) imGegensatz zur konsistenten Massenmatrix, die auf dem gleichen Wege wie die Steifigkeits-matrix gebildet wird. Diese Punktmassenmatrizen bieten bei einer expliziten Integrationder Bewegungsgleichungen numerische Vorteile, wie wir spater noch sehen werden.

Die entsprechende Integrationsformel nennt man Lobatto-Integration. Ihre Integrations-punkte und Gewichte sind in Tabelle 7.3 aufgelistet. Der Grad des Integrationsverfahrenist n.

n = 2 r1 = −1 w1 = 1

r2 = 1 w2 = 1

n = 3 r1 = −1 w1 = 13

r2 = 0 w2 = 43

r3 = 1 w3 = 13

Tabelle 7.3: Integrationspunkte und -gewichte der Lobatto-Integration fur das Inter-vall (-1,1).

Beispiel 7.2Benutzt man diese Vorschrift mit zwei Integrationspunkten fur die Stabmassenmatrix, sofindet man fur das Element M11

M11 = Aℓ

2

2∑

i=1

1

4(1 + ri)

2wi = Aℓ

2

1

4(1 − 1)2 · 1 +

1

4(1 + 1)2 · 1

= 0.5Aℓ , (7.20)

bzw. fur das Element M12

M12 = Aℓ

2

2∑

i=1

1

4(1 + ri)(1 − ri)wi =

Aℓ

2

1

4(1 − 1)(1 + 1) · 1 +

1

4(1 + 1)(1 − 1) · 1

= 0 . (7.21)

Die Massenmatrix nimmt damit die Diagonalgestalt

M e =Aℓ

2

[1 00 1

]

(7.22)

an.

Anschaulich gesprochen verteilt man die Gesamtmasse einfach auf die Knoten. Beim linea-ren Stabelement erhalt dann jeder Knoten einfach die halbe Stabmasse. Analog wurde furein 4-Knoten Scheibenelement jeder Knoten ein Viertel der Masse zugeschlagen bekommenund bei einem trilinearen Brickelement jeder Knoten ein Achtel. Bei quadratischen An-satzfunktionen andert sich die Verteilung; zum Beispiel lautet die Diagonalmassenmatrix

Page 98: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 94

des quadratischen Stabelementes,

M =Aℓ

6

1 0 00 1 00 0 4

. (7.23)

Leider fuhrt die Punktmassenbildung durch Lobatto-Integration zu Problemen bei Ele-menten vom Serendipity-Typ, da hier negative Knotenmassen auftreten, die physikalischunsinnig sind. Es sind daher eine Reihe anderer Verfahren vorgeschlagen worden, Punkt-massenmatrizen fur hohergradige Elemente zu bilden [6], die aber alle nicht zu befriedi-genden Ergebnissen fuhren. Punktmassenmatrizen sind daher nur bei linearen Elementenzu verwenden. Sie fuhren dann zu einer Uberschatzung des Tragheitseinflusses, der dieSteifigkeitsuberschatzung, die aus der verschiebungsbasierten FEM resultiert, uberwiegenkann, so daß die Schrankeneigenschaft fur die Eigenfrequenzen verloren geht. Im Zweifels-fall ist eine konsistente Formulierung vorzuziehen.

7.2 Losung des linearen Gleichungssystems

Nach dem Assemblieren der Systemmatrizen entsteht ein Gleichungssystem der Art

Mu + Ku = f . (7.24)

Beschranken wir uns zunachst auf den statischen Fall, so ist das lineare Gleichungssystem

Ku = f (7.25)

nach den unbekannten Knotenverschiebungen zu losen. Die Steifigkeitsmatrix ist dabeisymmetrisch und zunachst positiv-semidefinit. Das bedeutet, dass das Gleichungssystemvor dem Einbau der Randbedingungen noch nicht losbar ist. Genauso wie die Elementstei-figkeitsmatrix ist die Systemsteifigkeitsmatrix singular, wobei der Grad der Singularitatder Anzahl der Starrkorperbewegungen des Systems entspricht. Um das System losbarzu machen, mussen also durch Verschiebungsrandbedingungen die Starrkorperbewegun-gen gefesselt werden. Die Systemmatrix wird dann echt positiv-definit. Der Einbau dieserRandbedingungen geschieht dabei durch Partitionieren und Umstellen des Gleichungssy-stems, wie schon im einleitenden Beispiel angegeben

[Kuu Kuf

Kfu Kff

] [u

u

]

=

[f

f

]

. (7.26)

Die unbekannten Knotenverschiebungen lassen sich dann aus

Kuuu = f − Kuf u (7.27)

ermitteln, wobei prinzipiell jedes Verfahren zur Losung linearer Gleichungssysteme, zumBeispiel Gauß’sche Elimination, verwendet werden kann. Die unbekannten Knotenkrafte,die Reaktionskrafte an den geometrischen Randbedingungen, folgen dann direkt aus

Kfuu + Kff u = f . (7.28)

Aufgrund der speziellen Eigenschaften der Steifigkeitsmatrix Kuu, symmetrisch undpositiv-definit, sind aber spezielle Verfahren besonders effektiv. Das Standardverfahrenist die so genannte LDLT-Zerlegung, die im nachsten Abschnitt kurz beschrieben wer-den soll.

Page 99: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 95

7.2.1 LDLT-Zerlegung

Jede Matrix A, also auch eine nicht symmetrische oder nicht positiv-definite Matrix, lasstsich multiplikativ eindeutig in eine untere Dreiecksmatrix L und eine obere DreiecksmatrixU zerlegen (faktorisieren),

A = LU . (7.29)

Man nennt dies eine LU -Zerlegung. Ist die Matrix symmetrisch und positiv-definit, sokann eine Zerlegung gefunden werden, bei der U = LT gilt. Man nennt die Zerlegung

K = LLT (7.30)

eine Cholesky-Zerlegung. Eine Modifikation der Cholesky-Zerlegung ist die so genannteLDLT-Zerlegung bei der D eine reine Diagonalmatrix darstellt und L auf der Hauptdia-gonalen mit Eins belegt ist,

K = LDLT . (7.31)

Der Algorithmus zur Ermittlung der Zerlegung soll hier nicht diskutiert werden, eine ein-fache Implementation ist in Engeln/Mullges [3] gegeben. Die Losung des Gleichungs-systems erfolgt dann bei bekannter Zerlegung durch Vorwarts- und Ruckwartssubstitution

La = f (7.32)

Db = a (7.33)

LTu = b . (7.34)

Der Vorteil dieser Zerlegungen ist, dass sie zum einen unabhangig von der rechten Sei-te sind. Man kann daher die Faktorisierung vornehmen und dann fur dasselbe Systemverschiedene Lastfalle, das heißt rechte Seiten f untersuchen. Da die Faktorisierung beieinem großen Gleichungssystem den großten Teil der Rechenzeit verbraucht, lasst sich soeine Menge Aufwand sparen. Ein weiterer Vorteil ist, dass beim Faktorisieren nur Spei-cherplatz innerhalb des Profils der Matrix gebraucht wird. Dies soll im nachsten Abschnittdiskutiert werden.

7.2.2 Profil und Bandbreite

Das Profil (Skyline) einer Matrix wird durch die hochsten von Null verschiedenen Eintragejeder Spalte gebildet. In Abbildung 7.3 stellen die dunkel dargestellten Felder Eintrage inder Systemmatrix dar. Die hellen Felder sind Nulleintrage, die innerhalb des Profils liegenund bei der Faktorisierung uberschrieben werden.

Da beim Faktorisieren nur Elemente innerhalb des Profils gebraucht werden, reicht es aus,auch nur diese Elemente zu speichern, was zusammen mit der Symmetrie des Systems zueiner erheblichen Speicherplatzreduktion fuhrt. Die Form des Profils hangt dabei starkvon der Knotennumerierung ab. Ziel ist es daher eine moglichst gunstige Numerierungzu finden. Ein haufig benutztes Kriterium ist dabei die Bandbreite der Matrix. Die Sy-stemmatrizen haben meist eine inharente Bandstruktur, das heißt die Eintrage liegen inder Nahe der Hauptdiagonale, wenn die Knotennumerierung geschickt gewahlt wird. Dengroßten Abstand eines Elementes von der Hauptdiagonale nennt man die Bandbreite b.Eine kleine Bandbreite bedingt dann auch ein niedriges Profil.

Page 100: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 96

Wir betrachten dazu das folgende einfache Problem bestehend aus 8 Elementen und 15Knoten. Numeriert man die Knoten fortlaufend entlang der langen Seite, so ergibt sichdas linke Bild in Abbildung 7.4. Die Bandbreite ist b = 6. Man erkennt aber leicht, dassdie gewahlte Numerierung nicht optimal ist. Wahlt man die Knotennummern fortlaufenduber die kurze Seite, so ergibt sich das rechte Bild. Die Bandbreite betragt nur noch b = 4.Fur dieses Beispiel ist dies die optimale Knotennumerierung mit der kleinsten Bandbreite.

Wie man leicht uberpruft, lasst sich die Bandbreite aus der großten Knotennummerndif-ferenz aller Elemente ermitteln,

b = maxN emax − N e

min . (7.35)

Da man nur bei einfachen Beispielen eine gute Knotennumerierung von Hand hinbe-kommt, verwendet man spezielle Algorithmen, um die Numerierung zu optimieren. Dasbekannteste Verfahren ist der Cuthill-McKee-Algorithmus [9], der in fast allen kommerzi-ellen Programmen implementiert ist. Allerdings gibt es Falle in denen das optimale Profilnicht mit der kleinsten Bandbreite einhergeht. Betrachten wir das folgende Beispiel ei-ner Ringstruktur in Abbildung 7.5, so fuhrt eine umlaufende Numerierung zwar auf diemaximale Bandbreite von b = 11, das Profil ist aber ausgesprochen gunstig.

Glucklicherweise liefert der Cuthill-McKee-Algorithmus auch in diesen Fallen eine brauch-bare Numerierung, da er tendenziell Elemente mit großer Knotennummerndifferenz an dasEnde der Matrix verschiebt.

7.2.3 Iterative Losung

Verwendet man die LDLT-Zerlegung zusammen mit einer Skyline-Speichertechnik, soerhalt man ein sehr effizientes Verfahren, sowohl hinsichtlich Speicherplatzbedarf als auchRechenzeit. Allerdings lassen sich die zugehorigen Algorithmen nur bedingt vektorisieren.Als vor einigen Jahren Vektorrechner sehr in Mode waren, war man daher auf der Suchenach Losungsverfahren, die besser vektorisierbar sind. Vektorisierbar heißt dabei, dasseine Operation immer auf ganze Spalten oder Zeilen der Matrix angewendet werden. Indiesem Zusammenhang waren iterative Losungsverfahren sehr beliebt [5]. Da momentanParallelrechner aber weitaus leistungsfahiger und billiger sind, treten diese Methodenwieder etwas in den Hintergrund, obwohl sie auch dort Anwendung finden.

Wir wollen hier nicht auf spezielle Implementationen von vektoriellen oder parallelenLosern eingehen, sondern nur das Grundprinzip eines iterativen Verfahrens darstellen. Zulosen ist naturlich wieder das Gleichungssystem

Ku = f . (7.36)

Profil

Abbildung 7.3: Profil einer Matrix

Page 101: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 97

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

b = 6 1 2 3

4 5 6

7 8 9

10 11 12

13 14 15

b = 4

Abbildung 7.4: Bandbreite einer Matrix abhangig von der Knotennumerierung

Statt der multiplikativen Zerlegung benutzt man jetzt aber eine additive Aufspaltung derMatrix K

K = D + R (7.37)

in eine Diagonalmatrix D und den Rest R. Das Gleichungssystem (7.36) lasst sich dannumformulieren auf

Du = f − Ru (7.38)

was automatisch auf das iterative Verfahren

Dum+1 = f − Rum (7.39)

in Form einer Fixpunktiteration fuhrt. Dieses Iterationsverfahren ist hervorragend vekto-risierbar, da nur ein Matrix-Vektor Produkt Ru auftaucht und die Berechnung von D−1

ebenfalls eine reine Vektoroperation ist. Die Iteration wird solange durchgefuhrt, bis Kon-vergenz eingetreten ist, also zum Beispiel ||um+1−um|| < ǫ gilt, wobei ǫ eine vorgegebeneGenauigkeitsschranke ist. Naturlich sollte man in einem Programm die Maximalzahl derIterationen begrenzen, damit fur den Fall, dass keine Konvergenz eintritt, die Rechnungabgebrochen wird.

Es existieren nun eine Menge Varianten dieses Schemas, die zum Beispiel bei Hack-busch [5] ausfuhrlich beschrieben werden. Wir wollen hier nur die drei einfachstenMoglichkeiten angeben.

12

3

4

5

67

8

9

10

11

12

b = 11

Abbildung 7.5: Bandbreite und Profil einer Ringstruktur

Page 102: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 98

1. Jacobi-Verfahren (Gesamtschrittverfahren)

um+1i = um

i +1

Kii

(

fi −n∑

j=1

Kijumj

)

(7.40)

Dies ist die direkte Implementation der Grundidee, die jedoch nicht besonders gutkonvergiert.

2. Gauß-Seidel-Verfahren (Einzelschrittverfahren)

um+1i = um

i +1

Kii

(

fi −i−1∑

j=1

Kijum+1j −

n∑

j=i

Kijumj

)

(7.41)

Hier nutzt man die bereits berechneten Werte um+1j auf der rechten Seite. Dies

verbessert die Konvergenz, verschlechtert aber den Vektorcharakter.

3. SOR-Verfahren (Uberrelaxationsverfahren)

um+1i = um

i +ω

Kii

(

fi −i−1∑

j=1

Kijum+1j −

n∑

j=i

Kijumj

)

(7.42)

Dies ist eine Modifikation des Gauß-Seidel-Verfahrens, mit dem es fur ω = 1 iden-tisch ist. ω heißt Relaxationsparameter und man nennt das Verfahren fur

ω > 1 Uberrelaxation und fur

ω < 1 Unterrelaxation.

Fur optimale Konvergenz ist ωopt > 1. Allerdings ist die Bestimmung von ωopt imallgemeinen sehr schwierig.

Eine weitere Klasse iterativer Verfahren sind die so genannten Gradientenverfahren. Hatman eine Naherungslosung um, so gibt das Residuum

rm = f − Kum (7.43)

die Richtung zur exakten Losung an. Man findet daher eine verbesserte Losung durch

um+1 = um + λmrm (7.44)

und ein neues Residuum durch

rm+1 = rm − λmKrm . (7.45)

Die optimale Schrittweite λ bestimmt man dabei aus

λm =rm,Trm

rm,TKrm. (7.46)

Das Verfahren wird abgebrochen, wenn das Residuum kleiner als eine vorgegebene Schran-ke wird, z.B. ||rm|| < ǫ.

Eine Verbesserung ist das Verfahren der konjugierten Gradienten, das fur ein n × n-Problem in n Schritten konvergiert. Der Algorithmus lautet folgendermaßen [8]

Page 103: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 99

1. Startwerteu0 beliebig , r0 = f − Ku0 , p0 = r0

2. Schleife fur m = 0, n − 1

λopt =rm,Tpm

pm,TKpm

um+1 = um + λoptpm

rm+1 = rm − λoptKpm

pm+1 = rm+1 −rm+1,TKpm

pm,TKpmpm

7.3 Losung des Eigenwertproblems

Die Losung des homogenen Problems

Mu + Ku = 0 (7.47)

fuhrt mit dem Ansatzu(t) = u eiωt (7.48)

auf das Eigenwertproblem(K − ω2M

)u eiωt = 0 . (7.49)

Diese Gleichung hat nur dann nichttriviale Losungen u, wenn

det(K − ω2M

)= 0 (7.50)

gilt. Die Auswertung der Determinante fuhrt auf ein Polynom vom Grade n in ω2. Fur einn-dimensionales Problem existieren damit n nicht notwendigerweise verschiedene Werteω2 ≥ 0. Man nennt ωi , i = 1 . . . n die Eigenkreisfrequenzen des Systems, wobei Frequen-zen ωi = 0 den Starrkorperbewegungen entsprechen. Zu jeder Eigenfrequenz gehort einEigenvektor φi. Die Eigenvektoren konnen in einer Matrix Φ angeordnet werden underfullen dann die folgenden Orthogonalitatsbedingungen [9]

φTi Mφj =

mi fur i = j

0 fur i 6= j(7.51)

φTi Kφj =

ki fur i = j

0 fur i 6= j .(7.52)

Man nennt die Großen mi bzw. ki die modale Masse bzw. die modale Steifigkeit. Wiebei jedem anderen Eigenproblem auch, sind die Eigenvektoren nur bis auf einen skalarenFaktor bestimmt, sie konnen also beliebig normiert werden. Haufig wird die Normierungso gewahlt, dass die modalen Massen gerade eins sind; die modalen Steifigkeiten sind danngerade ω2

i . Es gilt dann

ΦTMΦ = I (7.53)

ΦTKΦ = Ω2 , (7.54)

Page 104: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 100

mit der Einheitsmatrix I und der Diagonalmatrix Ω2 mit den Eigenwerten ω2i auf der

Hauptdiagonalen.

Ziel ist es nun die Eigenwerte und Eigenvektoren zu bestimmen. Dabei mochte man haufignur die kleinsten p Eigenwerte und zugehorigen Eigenvektoren wissen. Eine Nullstellen-suche im Eigenwertpolynom det(K −ω2M) = 0 ist dabei nicht sehr effektiv und bereitetbei mehrfachen oder sehr eng zusammenliegenden Eigenwerten Probleme.

Das effektivste Verfahren hinsichtlich Rechenzeit und Implementierungsaufwand ist dieVektoriteration. Dazu schreibt man das Gleichungssystem (7.49) etwas um und erhalt

Kφi = ω2i Mφi . (7.55)

Mit Hilfe der Iterationsvorschrift

Kxm = Mxm−1 (7.56)

wird nun eine Folge von Vektoren x erzeugt, die gegen den Eigenvektor des kleinstenEigenwertes konvergiert.

Als Startwert kann dabei ein beliebiger Vektor x0 gewahlt werden, der eine nichtverschwin-dende Komponente nach dem Eigenvektor φ1 besitzt. Das heißt, in der Entwicklung vonxm nach den Eigenvektoren,

xm =

n∑

i=1

cmi φi , (7.57)

darf der Koeffizient c01 nicht verschwinden. Setzt man diese Entwicklung und die Beziehung

(7.55) in die Iterationsvorschrift ein, so findet man

Kxm = Mxm−1 (7.58)n∑

i=1

cmi Kφi =

n∑

i=1

cm−1i Mφi (7.59)

n∑

i=1

cmi ω2

i Mφi =

n∑

i=1

cm−1i Mφi (7.60)

und daraus die Beziehung

cmi =

1

ω2i

cm−1i . (7.61)

An dieser Stelle muss vorausgesetzt werden, dass die Matrix K streng positiv-definit ist,damit ω2

i > 0 gilt. Dies bedeutet, dass keine Starrkorperbewegungen auftreten durfen.Mit Hilfe dieser Beziehung kann nun der m-te iterierte Vektor dargestellt werden als

xm =

n∑

i=1

(1

ω2i

)m

c0i φi . (7.62)

Formen wir dies noch ein wenig um, so finden wir

xm =

(1

ω21

)m[

c01φ1 +

n∑

i=2

(ω2

1

ω2i

)m

c0i φi

]

. (7.63)

Page 105: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 101

Setzen wir voraus, dass der erste Eigenwert einfach ist, so dass ω2i > ω2

1 fur i ≥ 2 gilt,dann konvergieren die Quotienten (ω2

1/ω2i )

m mit wachsendem m gegen Null. Damit wirdpraktisch der erste Eigenvektor herausgefiltert. Da bei der Iteration die Naherungen

xm =

(1

ω21

)m

c01φ1 (7.64)

sehr groß oder sehr klein werden, je nachdem ob ω1 > 1 oder ω1 < 1 ist, muss eine standigeNormierung vorgenommen werden. Dabei bietet sich die Normierung entsprechend (7.51)an. Den Eigenwert ω2

1 kann man durch den Rayleigh-Quotienten abschatzen

ω21 ≈

xTKx

xTMx. (7.65)

Hat man auf diese Weise den ersten Eigenvektor bestimmt, so kann der nachste auf die glei-che Weise ermittelt werden, indem nun ein Startvektor gewahlt wird, der orthogonal zumersten Eigenvektor ist. Diese Orthogonalisierung muss allerdings in jedem Iterationsschrittwiederholt werden. Fur hohere Eigenvektoren ist dann jeweils gegenuber allen bereits be-stimmten Eigenvektoren zu orthogonalisieren. Anstatt dies nun tatsachlich nacheinanderdurchzufuhren, beginnt man gleich mit einer Gruppe von Startvektoren, die untereinan-der standig orthogonalisiert werden, und erhalt dann entsprechend viele Eigenvektoren.Diese simultane Vektoriteration bietet außerdem Vorteile bei dicht benachbarten odermehrfachen Eigenwerten.

Ein gewisses Problem taucht auf, wenn die Matrix K indefinit ist, also Starrkorperbewe-gungen mit ω2 = 0 moglich sind. Dies wird aber einfach dadurch gelost, dass man eineSpektralverschiebung (frequency shift) vornimmt,

(K + αM) φi = (ω2i + α)Mφi . (7.66)

Durch diese Operation andern sich die Eigenvektoren nicht und die Eigenwerte ω2i ver-

schieben sich um α, was man anschließend ja leicht wieder abziehen kann.

Eine ausfuhrliche Darstellung der Vektoriteration und weiterer Verfahren zur Bestimmungder Eigenwerte und -vektoren geben Schwarz [9] und Argyris [1].

7.4 Losung der Bewegungsgleichungen

Betrachtet man das dynamische Problem im Zeitbereich, so ist das Differentialgleichungs-system

Mu(t) + Ku(t) = f(t) (7.67)

zu losen. Dies geschieht durch eine Zeitschrittintegration, bei der die Gleichung (7.67) furdiskrete Zeitschritte erfullt wird. Ziel ist es, aus den bekannten Großen zum Zeitschritt t(und davor) die Großen im nachsten Zeitschritt t + ∆t zu ermitteln. Man unterscheidetnun grundsatzlich zwei verschiedene Moglichkeiten, je nachdem an welchen ZeitpunktGleichung (7.67) ausgewertet wird:

• Benutzt man die Gleichung (7.67) zum Zeitpunkt t und extrapoliert daraus dieGroßen zum Zeitpunkt t + ∆t, dann nennt man dies ein explizites Verfahren.

• Benutzt man die Gleichung (7.67) zum Zeitpunkt t + ∆t und ermittelt daraus dieGroßen zum Zeitpunkt t + ∆t, dann nennt man dies ein implizites Verfahren.

Page 106: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 102

Wir werden nun im folgenden den jeweils wichtigsten Vertreter jedes Verfahrens kennen-lernen. Eine ausfuhrliche Diskussion der verschiedenen Verfahren findet sich in Bathe [2].

7.4.1 Explizite Integration: Das Zentrale-Differenzen-Verfahren

Das Zentrale-Differenzen-Verfahren ist das einfachste numerische Integrationsverfahren.Als explizites Verfahren benutzt es (7.67) in der Form

Mut + Kut = f t , (7.68)

wobei wir mit dem hochgestellten Index t die jeweilige Große zum Zeitpunkt t kennzeich-nen. Fur die zweite Ableitung zur Zeit t wird nun der zentrale Differenzenquotient

ut =ut−∆t − 2ut + ut+∆t

∆t2(7.69)

eingesetzt. Umsortieren liefert dann

1

∆t2Mut+∆t = f t − Kut −

1

∆t2M(ut−∆t − 2ut) . (7.70)

Auf der rechten Seite stehen jetzt nur bekannte Großen, so dass wir jetzt ein lineares Glei-chungssystem fur die unbekannten Verschiebungen zur Zeit t + ∆t haben. Dies lasst sichbesonders einfach losen, wenn M Diagonalgestalt hat, also eine Punktmassenmatrix ist.Dies ist denn auch die Begrundung fur die vielen Versuche passable Punktmassenmatrizenfur die verschiedensten Elementtypen zu finden. In diesem Zusammenhang sei aber an dieErgebnisse von Abschnitt 7.1.4 erinnert, die eine Verwendung von Punktmassenmatrizennur fur lineare Elemente ratsam erscheinen lassen.

So effektiv das Verfahren, zumindest fur eine Punktmassenmatrix, ist, so hat es leidereinen entscheidenden Nachteil: Es ist nur bedingt stabil. Das heißt, es existiert eine kri-tische Zeitschrittweite, bis zu der das Verfahren korrekte Ergebnisse liefert. Wird dieseZeitschrittweite ∆tkrit uberschritten, so liefert das Verfahren vollig falsche Ergebnisse. In-tegriert man zum Beispiel eine freie Schwingung, so schaukelt sich diese nach wenigenIntegrationsschritten auf und die Verschiebungen wachsen ins Unendliche.

Am Beispiel der freien Schwingung eines Ein-Massen Schwingers soll dieses Verhaltendargestellt werden. Die exakte Losung der homogenen Differentialgleichung

mx(t) + cx(t) = 0 (7.71)

mit den Anfangsbedingungen

x(t = 0) = x0 x(t = 0) = 0 (7.72)

lautetx(t) = x0 cos (ωt) (7.73)

mit der Eigenkreisfrequenz

ω =

√c

m. (7.74)

In Abbildung 7.6 ist diese analytische Losung im Vergleich zur Integration mit dem ex-pliziten Verfahren fur drei verschiedene Zeitschrittweiten gezeigt. Fur das Beispiel sind

Page 107: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 103

t in s

t in s

t in s

xin

mx

inm

xin

m

0

0

0

0

0

0

1

1

-1

-110

10

10

20

20

20

20

-20

30

30

30

40

40

40

50

50

50

Abbildung 7.6: Vergleich von expliziter Integration mit der analytischen Losung

Page 108: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 104

die Masse und Steifigkeit so gewahlt, dass die Eigenkreisfrequenz gerade ω = 1/s betragt.Die Anfangsauslenkung ist x0 = 1 m. Die Zeitschrittweiten sind

∆t1 =1

10 ω, ∆t2 =

1

ωund ∆t3 =

2

ω. (7.75)

Fur die kleine Zeitschrittweite ∆t1 ist die Integration fur den betrachteten Zeitraum na-hezu exakt, man hat aber auch 500 Zeitschritte berechnet. Mit dem zehnfach großerenZeitschritt ∆t2 ist die Integration zwar noch stabil, aber die Periode wird nur noch sehrschlecht erfasst, wobei hier eine Periodenverkurzung auftritt. Bei ∆t3 ist das Verfahreninstabil.

Ohne auf die zugehorige Mathematik eingehen zu wollen, sei hier angegeben, dass diekritische Zeitschrittweite mit der hochsten Eigenfrequenz des Systems zusammenhangt

∆tkrit =2

ωmax

, (7.76)

die Zeitschrittweite ∆t3 entspricht also gerade der kritischen Zeitschrittweite ∆tkrit. Nor-malerweise kennt man diese Frequenz vorab nicht und muss diese erst durch eine Ei-genwertanalyse bestimmen. Aber auch dann hilft das noch nicht sehr viel weiter, da diehochste Eigenfrequenz in einem großen System sehr hoch liegt und die kritische Zeit-schrittweite damit extrem klein wird. Man steht dann vor dem Problem entweder sehrviele Zeitschritte rechnen zu mussen oder einen großeren Zeitschritt zu wahlen und dabeiunkalkulierbare Fehler in Kauf zu nehmen.

Aus diesem Grund wird die explizite Integration nur dann eingesetzt, wenn aus anderenGrunden ohnehin mit sehr kleinen Zeitschritten gerechnet werden muss. Dies ist bei nicht-linearen Berechnungen mitunter der Fall; ein typisches Beispiel sind Crash-Rechnungen.

7.4.2 Implizite Integration: Das Newmark-Verfahren

Im Gegensatz zu expliziten Verfahren konnen implizite Verfahren so konstruiert werden,dass sie unbedingt stabil sind, theoretisch also mit beliebig großem Zeitschritt gerechnetwerden kann.

Entsprechend dem impliziten Gedanken wird Gleichung (7.67) in der Form

Mut+∆t + Kut+∆t = f t+∆t (7.77)

ausgewertet. Wir machen nun einen linearen Ansatz fur den Geschwindigkeits- bzw. denVerschiebungsverlauf in einem Zeitinkrement

ut+∆t = ut +(1 − δ)ut + δut+∆t

∆t (7.78)

ut+∆t = ut + ut∆t +

(1

2− α

)

ut + αut+∆t

∆t2 . (7.79)

Prinzipiell sind dabei die Newmark-Parameter δ und α unabhangig. Ublicherweise wirdaber

δ =1

2und α =

1

4(7.80)

Page 109: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 105

gewahlt, was der exakten Integration eines linearen Beschleunigungsverlaufs entspricht.Diese Wahl fuhrt auf ein unbedingt stabiles Verhalten, der Zeitschritt ∆t kann dannbeliebig groß gewahlt werden. Man kann zeigen, dass das Verfahren fur alle Parameter

δ ≥1

2und α ≥

1

4

(

δ +1

2

)2

(7.81)

stabil ist [2].

Umformen von Gleichung (7.79) liefert eine Beziehung fur die Beschleunigungen zumZeitpunkt t + ∆t

ut+∆t =1

α∆t2(ut+∆t − ut) −

1

α∆tut −

(1

2α− 1

)

ut . (7.82)

Damit lasst sich dann auch die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t + ∆t aus (7.78) bestim-men.

Einsetzen von (7.82) in die Bewegungsgleichung und Umformen fuhrt schließlich auf dasgesuchte Gleichungssystem

(a0M + K)ut+∆t = f t+∆t + M(a3ut + a2u

t + a0ut) (7.83)

Keffut+∆t = f t+∆teff (7.84)

mit den Abkurzungen

a0 =1

α∆t2, (7.85)

a2 =1

α∆t, (7.86)

a3 =1

2α− 1 , (7.87)

und der effektiven Steifigkeitsmatrix

Keff = a0M + K (7.88)

und dem effektiven Lastvektor

f t+∆teff = f t+∆t + M(a3u

t + a2ut + a0u

t) . (7.89)

Auch hier wollen wir den Vergleich zwischen analytischer Losung und Zeitschrittintegrati-on fur das Beispiel des Ein-Massen Schwingers aus dem letzten Abschnitt anstellen, wobeiwir wieder dieselben Parameter verwenden.

Abbildung 7.7 zeigt, dass das implizite Verfahren mit wachsender Zeitschrittweite zwar zueiner erheblichen Periodenverlangerung fuhrt, aber immer stabil ist. Das Ergebnis fur ∆t3sieht der exakten Losung zwar nur noch bedingt ahnlich, bleibt aber in deren Grenzen.

7.4.3 Allgemeine Zeitschrittintegration

Alle Zeitschritt-Integrationsverfahren lassen sich auf dasselbe Schema zuruckfuhren, dasauch als verallgemeinertes Newmark-Verfahren bezeichnet wird.

Page 110: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 106

t in s

t in s

t in s

xin

mx

inm

xin

m

0

0

0

0

0

0

1

1

1

-1

-1

-110

10

10 20

20

20

30

30

30

40

40

40 50

50

50

Abbildung 7.7: Vergleich von impliziter Integration mit der analytischen Losung

Page 111: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 107

• Setze ∆t, γ ∈ [1/2, 1], β ∈ [0, γ/2]

• Berechne Startwert der Beschleunigung aus Anfangswerten

Mu0 = f0 − Ku0

• Berechne die modifizierte Massenmatrix

M = M + β∆t2K

• Schleife uber die Zeitschritte

– Pradiktor-Schritt

ut+∆t = ut + ∆tut +∆t2

2(1 − 2β)ut

˙ut+∆t = ut + ∆t(1 − γ)ut

– LoseMut+∆t = f t+∆t − Kut+∆t

– Korrektor-Schritt

ut+∆t = ut+∆t + β∆t2ut+∆t

ut+∆t = ˙ut+∆t + γ∆tut+∆t

Durch die Wahl der Parameter β und γ erhalt man die verschiedenen Verfahren, zumBeispiel

• Zentrales-Differenzen-Verfahren fur γ = 1/2 und β = 0 (bedingt stabil, effizient),

• Standard-Newmark-Verfahren fur γ = 1/2 und β = 1/4 (unbedingt stabil),

• Fox-Goodwin-Verfahren fur γ = 1/2 und β = 1/12 (bedingt stabil, genau).

7.4.4 Modenuberlagerung

Jede Bewegungsantwort eines Systems lasst sich durch eine Uberlagerung der Eigenmodendarstellen,

u(t) = Φx(t) . (7.90)

Haufig sind aber auch bei einer beliebigen Anregung nur wenige Moden an der Antwortbeteiligt, so dass es ausreicht, nur wenige Moden zu berucksichtigen. Dies ist der Grund-gedanke der Modenuberlagerung (mode superposition) oder auch modalen Reduktion.

Nutzt man namlich die Orthogonalitatseigenschaften der Eigenmoden aus, so kann dieGroße des Gleichungssystems betrachtlich reduziert werden, wenn nur wenige ausgewahlteModen berucksichtigt werden. Wir erinnern uns daran, dass bei geeigneter Normierungder Moden die Eigenschaften (7.53) bzw. (7.54) gelten

ΦTMΦ = I , (7.91)

ΦTKΦ = Ω2 . (7.92)

Page 112: Willner - Finite Elemente

7 Numerische Umsetzung 108

Berucksichtigt man nun bei einem n × n-System nur m < n Moden, so reduziert mandurch die modale Transformation mit der reduzierten n × m-Matrix der Eigenmoden Φ,

ΦTMΦx + Φ

TKΦx = Φ

Tf (7.93)

die Bewegungsgleichungen auf ein m × m-System der Art

x + Ω2x = Φ

Tf . (7.94)

Der Ausdruck (7.94) stellt nun m entkoppelte modale Gleichungen dar, die jeweils mit ei-nem der beschriebenen Zeitschrittverfahren integriert werden konnen. Insbesondere stelltdas explizite Verfahren hier kein Problem dar, da zum einen die Massenmatrix diegewunschte Diagonalgestalt annimmt und zum anderen die hochste Eigenfrequenz be-kannt ist, die den Zeitschritt diktiert.

Durch die Rucktransformationu = Φx (7.95)

erhalt man wieder physikalische Koordinaten.

Um eine modale Reduktion vornehmen zu konnen, mussen naturlich vorab die Eigenmo-den durch eine Eigenwertanalyse bestimmt und die relevanten Moden ausgewahlt werden.Die Wahl der Moden muss dabei sehr sorgfaltig vorgenommen werden. Hier hilft haufigeine Fourieranalyse der Anregung. Man wahlt dann alle Moden bis zu einer Eigenfrequenz,die der hochsten interessierenden Frequenz der Anregung entspricht.

Page 113: Willner - Finite Elemente

Anhang A

Tensorrechnung

Wir definieren einen Tensor als lineare Abbildung zwischen Vektorraumen.

Man unterscheidet dabei zwischen Tensoren verschiedener Stufe. So ist zum Beispiel einSkalar ein Tensor 0. Stufe, ein Vektor ein Tensor 1. Stufe und eine Dyade ein Tensor 2. Stu-fe. Normalerweise ist aber mit Tensor speziell eine Dyade gemeint, also ein Tensor 2. Stufe.Was es mit diesen Stufen auf sich hat, werden wir spater erlautern. Zunachst einmal wol-

len wir die Sache mit der linearen Abbildung anhand einer Dyade~~T klaren. Diese ist eine

lineare Abbildung eines Vektors ~a auf einen anderen Vektor ~b und zwar in der Form

~~T~a = ~b . (A.1)

Damit diese Abbildung linear ist, muss gelten

~~T~~S~v =

~~T (~~S~v) (A.2)

(λ~~T +

~~S)~v = λ~~T~v +

~~S~v . (A.3)

Leider gibt es keine allgemein ubliche Schreibweise fur Tensoren, sondern jeder macht waser will. Zum Beispiel ist es ublich, Tensoren als fette Buchstaben a oder als unter- oderuberstrichene Buchstaben a bzw. a zu kennzeichnen. Wir benutzen so viele ubergesetztePfeile, wie der Tensor Stufen hat. Damit ist zum Beispiel ~x ein Tensor 1. Stufe oder ein

Vektor und~~T ein Tensor 2. Stufe oder schlicht ein Tensor. Man nennt diese Schreibweise

symbolisch. Die fetten Buchstaben heben wir uns fur Matrizen auf.

Zu einem Tensor gehort auch immer mindestens eine Basis (von Skalaren einmal abge-sehen). Die Anzahl der Basen gibt die Stufe an, so hat zum Beispiel ein Skalar (Tensor0. Stufe) keine Basis, ein Vektor (Tensor 1. Stufe) eine Basis und eine Dyade (Tensor2. Stufe) besitzt zwei Basen, namlich die Basen der beiden Vektorraume, die sie ver-knupft. Naturlich kann das auch zweimal dieselbe Basis sein, wenn sie einen Vektor nurinnerhalb eines Vektorraumes transformiert. Dieser Fall ist sogar sehr haufig und wir wer-den uns darauf beschranken. Der Einfachheit halber werden wir uns auch auf kartesischeKoordinatensysteme beschranken.

Mit den Basisvektoren ~e1, ~e2 und ~e3 kann man dann einen Vektor ~a schreiben als

~a = a1~e1 + a2~e2 + a3~e3 . (A.4)

Man hat den Vektor also in seine Komponenten zerlegt. Die Faktoren a1, a2, a3 bezeichnetman als die Koordinaten des Vektors. Ihre Angabe allein ohne die Spezifikation der Basis

Page 114: Willner - Finite Elemente

A Tensorrechnung 110

ist sinnlos. Um sich nun Schreibarbeit zu sparen, gibt es die Einstein’sche Summations-

konvention: Man vereinbart, in einem Ausdruck uber alle doppelt vorkommenden Indizeszu summieren. Das heißt, statt a1~e1 + a2~e2 + a3~e3 kann man ai~ei schreiben. Der Index ikommt doppelt vor und ersetzt damit die Summe uber alle Paare mit gleichem Index.Diese Schreibweise nennt man Index-Schreibweise.

Mitunter wird die Basis gar nicht mehr mitgeschrieben und fur den Vektor ~a wird nur stell-vertretend die Koordinate ai geschrieben. Einzeln auftretende Indizes gehoren dann zu dennicht mitgeschriebenen Basen und heißen frei. Doppelt auftretende Indizes nennt man ge-

bunden. Uber sie wird nach der Summationskonvention summiert und sie konnen beliebigumbenannt werden. Dreifache Indizes durfen nicht vorkommen. Diese Kurzschreibweiseist aber gefahrlich, wenn zum Beispiel die Basen nicht konstant sind und Ableitungengebildet werden mussen.

Ein Tensor hoherer Stufe hat mehrere Basissysteme, dies wird in der Index-Schreibweisedeutlich. Eine Dyade ist zum Beispiel

~~T = Tij ~ei ⊗ ~ej , (A.5)

mit den zwei Basissystemen ~ei und ~ej , die naturlich auch identisch sein konnen. Das Pro-dukt ⊗ der beiden Vektoren ~ei und ~ej nennt man ein dyadisches oder nicht ausfuhrbares

Produkt.

Beachtet man die Summationskonvention, dann lautet der Tensor~~T ausgeschrieben

~~T = T11~e1 ⊗ ~e1 + T12~e1 ⊗ ~e2 + T13~e1 ⊗ ~e3

+ T21~e2 ⊗ ~e1 + T22~e2 ⊗ ~e2 + T23~e2 ⊗ ~e3

+ T31~e3 ⊗ ~e1 + T32~e3 ⊗ ~e2 + T33~e3 ⊗ ~e3 . (A.6)

A.1 Tensoralgebra

Wir konnen nun die wichtigsten Vektor- und Tensoroperationen wiederholen.

1. Das Skalarprodukt zweier Vektoren ist definiert als

~a ·~b = |~a||~b| cos∠(~a,~b) (A.7)

bzw. in Indexschreibweise

~a ·~b = ai~ei · bj~ej = aibj ~ei · ~ej = aibjδij = aibi (A.8)

Wir haben hier ein weiteres Symbol eingefuhrt, namlich das Kronecker-Delta, dasfolgende Eigenschaft hat

δij =

0 falls i 6= j

1 falls i = j. (A.9)

Taucht ein solches Kronecker-Symbol in einem Ausdruck amnδnp auf, kann man da-her den doppelten Index n durch den zweiten Index p des Kronecker-Deltas ersetzenund das Kronecker-Delta weglassen.

Page 115: Willner - Finite Elemente

A Tensorrechnung 111

2. Das Skalarprodukt zweier Dyaden ist definiert als

~~A ·~~B = Aij~ei ⊗ ~ej · Bmn~em ⊗ ~en = AijBmnδimδjn = AijBij . (A.10)

Hier herrscht in der Literatur etwas Verwirrung, da es auch moglich ist, ein anderesSkalarprodukt zu bilden, namlich AijBji; dieses Produkt ist aber nicht positiv-definitund nicht kommutativ.

3. Die lineare Abbildung eines Vektors ist wieder ein Vektor,

~~T~a = Tin~ei ⊗ ~en · ap~ep = Tinap ~eiδnp = Tinan~ei = bi~ei = ~b . (A.11)

Dieses Produkt ist nicht kommutativ:

~a~~T = ai~ei · Tjk~ej ⊗ ~ek = ajTjk ~ek 6=

~~T~a = Tjk~ej ⊗ ~ek · ai~ei = Tjkak ~ej . (A.12)

Die lineare Abbildung lasst sich auf Tensoren hoherer Stufe verallgemeinern. So istzum Beispiel ein Tensor 4. Stufe eine lineare Abbildung zwischen Tensoren 2. Stufe

~~~~T~~B = TijklBkl~ei ⊗ ~ej =

~~A . (A.13)

4. Der Einheitstensor~~I ist definiert als

~~I~a = ~a , (A.14)

er bildet also einen Vektor auf sich selbst ab. In Indexschreibweise lautet er

~~I = δij~ei ⊗ ~ej . (A.15)

5. Die Inverse eines Tensors ist definiert durch

~~T−1 ~~T =~~I . (A.16)

6. Das Tensorprodukt zweier Tensoren ist durch die mehrfache Anwendung der linearenAbbildung definiert

~~B~~A~x =

~~T~x (A.17)

BijAjk = Tik . (A.18)

7. Die Transponierte eines Tensors erhalt man durch Vertauschen der Basisvektoren

~~T T = Tji~ei ⊗ ~ej . (A.19)

Damit kann man zum Beispiel

~a~~T = aiTij~ej = Tjiai~ej =

~~T T~a (A.20)

schreiben, was man mit Gleichung (A.12) vergleichen sollte.

Page 116: Willner - Finite Elemente

A Tensorrechnung 112

8. Ein Tensor heißt symmetrisch, wenn gilt

~~T =~~T T . (A.21)

9. Ein Tensor heißt schiefsymmetrisch, wenn gilt

~~T = −~~T T . (A.22)

10. Jeder Tensor lasst sich in einen symmetrischen und einen schiefsymmetrischen Anteilaufspalten

sym~~T =

1

2

(~~T +

~~T T)

(A.23)

ant~~T =

1

2

(~~T −

~~T T)

(A.24)

11. Ein Tensor heißt orthogonal, wenn gilt

~~T T =~~T −1 (A.25)

und eigentlich orthogonal, wenn zusatzlich det~~T = 1 gilt.

12. Ein Tensor heißt positiv-definit, wenn fur beliebige Vektoren ~a 6= ~0

~a ·~~T~a > 0 (A.26)

gilt und positiv-semidefinit, wenn ≥ gilt.

13. Die Invarianten eines Tensors sind skalare Großen, die sich bei einer Koordinaten-transformation des Tensors, also der Darstellung des Tensors in einer anderen Basis,nicht andern. Fur einen Tensor 1.Stufe, also einen Vektor, ist dies der Betrag. Beieinem Tensor 2.Stufe sind sie die Koeffizienten des charakteristischen Polynoms

λ3 + I1λ2 + I2λ + I3 = 0 (A.27)

der Eigenwertaufgabe

(~~T − λ

~~I)~a = ~0 . (A.28)

Ein Tensor 2. Stufe hat damit drei Invarianten. Es sind dies

I1 = sp~~T =

~~T ·~~I (A.29)

I2 =1

2(I2

1 − sp (~~T

~~T )) (A.30)

I3 = det~~T . (A.31)

14. Das Vektorprodukt zweier Vektoren lasst sich darstellen als

~a ×~b = aj~ej × bk~ek = ǫijkajbk~ei =~~~ǫ · (~a ⊗~b) (A.32)

mit dem dreistufigen Levi-Civita-Tensor

~~~ǫ = ǫijk ~ei ⊗ ~ej ⊗ ~ek . (A.33)

Page 117: Willner - Finite Elemente

A Tensorrechnung 113

Das Permutationsymbol ǫijk hat die Bedeutung

ǫijk =

1, wenn ijk = (123, 231, 312)

−1, wenn ijk = (321, 213, 132)

0, sonst

. (A.34)

15. Ebenso kann ein Vektorprodukt zwischen zwei Dyaden mittels

~~T ×~~S =

~~~ǫ~~T

~~S T (A.35)

definiert werden. Insbesondere ist das Ergebnis

~~I ×~~S =

~~~ǫ~~S T = ~s (A.36)

der so genannte axiale Vektor des Tensors~~S. Der axiale Vektor wird durch den

schiefsymmetrischen Anteil von~~S bestimmt. Fur einen symmetrischen Tensor ver-

schwindet der axiale Vektor.

A.2 Tensoranalysis

Auch einige Regeln der Tensoranalysis sollen noch angegeben werden. Dabei wollen wirim folgenden stets von einer Darstellung in einem raumfesten, orthonormalen Koordina-tensystem ausgehen, so dass die Basisvektoren konstant sind. Fur ein tensorielles Feldbedeutet dies dann, dass nur die Koordinaten Funktionen des Ortes und der Zeit sind,zum Beispiel fur einen Vektor

~a(~x, t) = ai(xj , t)~ei . (A.37)

Um die Notation etwas zu verkurzen, fuhren wir fur die partielle Ableitung nach der Zeitfolgende Schreibweise ein

∂~a

∂t=

∂ai

∂t~ei = ai,t~ei = ~a,t (A.38)

Analog werden wir diese Komma-Schreibweise auch fur die partiellen Ableitungen nachdem Ortsvektor benutzen, wie sie fur die Bildung der tensoranalytischen Großen Gradient,Divergenz und Rotation benotigt werden:

1. Der Gradient ist die Ableitung nach dem Ortsvektor. Fur ein Skalarfeld ist derGradient ein Vektor,

grad Φ =∂Φ

∂~x=

∂Phi

∂xi

~ei = Phi,i~ei (A.39)

Analog ist der Gradient eines Vektors ein Tensor 2. Stufe

grad~a =∂~a

∂~x=

∂ai

∂xj~ei ⊗ ~ej = ai,j~ei ⊗ ~ej . (A.40)

Dies lasst sich auch auf Tensoren anderer Stufen ubertragen; die Gradientenbildungerhoht dabei die Stufe immer um eins.

Speziell fur den Ortsvektor selbst ergibt der Gradient den Einheitstensor

grad~x =~~I . (A.41)

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A Tensorrechnung 114

2. Die Divergenz eines Vektors ist die Spur des Gradiententensors, also die Summe derDiagonalelemente,

div~a = sp (grad~a) = grad~a ·~~I =

∂ai

∂xi= ai,i . (A.42)

Analog folgt die Divergenz eines Tensors 2. Stufe zu

div ~T = grad~~T~~I =

∂Tij

∂xj~ei = Tij,j~ei . (A.43)

Auch diese Operation laßt sich analog auf Tensoren hoherer Stufe ubertragen. DieDivergenz erniedrigt dabei die Stufe um eins; die Divergenz eines Skalars gibt esdaher nicht.

3. Die Rotation eines Vektors ist als

rot~a =~~~ǫ (grad~a)T = ǫklmal,k~em (A.44)

definiert und die Rotation eines Tensors 2. Stufe kann als

rot~~T = ǫklmTnl,k~em ⊗ ~en (A.45)

definiert werden. Fur einen Skalar und Tensoren hoherer Stufe ist die Rotation nichtdefiniert.

Die Operationen Gradient, Divergenz und Rotation lassen sich sehr schon mit Hilfe desNabla-Operators formulieren; dieser ist als

~∇ =∂(.)

∂xi~ei = (.),i~ei (A.46)

definiert. Der Nabla-Operator hat also Vektor-Charakter und kann auch entsprechendbenutzt werden:

1. Der Gradient eines Skalars lautet in der Nabla-Schreibweise

gradΦ = Φ~∇ (A.47)

und analog fur Tensoren hoherer Stufe zum Beispiel

grad~a = ~a ⊗ ~∇ bzw. grad~~T =

~~T ⊗ ~∇ . (A.48)

2. Die Divergenz eines Vektorfeldes ist

div~a = ~a · ~∇ (A.49)

und die Divergenz eines Tensors ist

div~~T =

~~T ~∇ . (A.50)

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A Tensorrechnung 115

3. Die Rotation eines Vektorfeldes kann dargestellt werden als

rot~a = ~∇× ~a (A.51)

und fur einen Tensor 2. Stufe als

rot~~T = ~∇×

~~T T . (A.52)

Mitunter nutzlich sind auch noch einige tensoranalytische Identitaten:

rot gradΦ = ~0 (A.53)

rot grad~a = ~~0 (A.54)

div rot~a = 0 (A.55)

div rot~~T = rot div

~~T T (A.56)

rot rot~a = graddiv~a − div grad~a (A.57)

rot div grad~a = div grad rot~a (A.58)

A.3 Der Satz von Gauß

Der bekannte Satz von Gauß, der auch als Divergenztheorem bezeichnet wird,∮

a

~w · ~n da =

v

div ~w dv ≡

v

~w · ~∇ dv (A.59)

ist ein Spezialfall der Operatoridentitat∮

a

(.) op~n da =

v

(.) op ~∇ dv , (A.60)

wenn fur op das Skalarprodukt und fur den Operanden (.) der Tensor 1. Stufe ~w gesetztwird. Allgemein gilt (A.60) mit den folgenden Vereinbarungen:

~n ist die Außennormale der geschlossenen Oberflache a des Volumens v.

~∇ ist der Nabla-Operator.

op ist ein zwischen (.) und ~n zulassiger Produktoperator (z.B. ⊗, ·,×, lineare Ab-bildung, gewohnliche Multiplikation).

(.) steht fur ein innerhalb von v einmal stetig differenzierbares Tensorfeld 0., 1. oder2. Stufe.

Demnach folgt dann fur eine gewohnliche Multiplikation, d.h. (.) op ≡ u,∮

a

u~n da =

v

(

u~∇)

dv ≡

v

gradu dv . (A.61)

Fur das tensorielle Produkt, d.h. (.) op ≡ ~w⊗, findet man∮

a

~w ⊗ ~n da =

v

~w ⊗ ~∇ dv ≡

v

grad ~w dv . (A.62)

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A Tensorrechnung 116

Fur das Skalarprodukt, d.h. (.) op ≡ ~w·, gilt

a

~w · ~n da =

v

~w · ~∇ dv ≡

v

div ~w dv . (A.63)

Fur ein außeres Produkt, d.h. (.) op ≡ ~w×, gilt

a

~w × ~n da =

v

~w × ~∇ dv = −

v

~∇× ~w dv ≡ −

v

rot ~w dv (A.64)

und fur eine lineare Abbildung, d.h. (.) op ≡~~T ,

a

~~T~n da =

v

~~T ~∇ dv ≡

v

div~~T dv . (A.65)

Der Gauß’sche Satz wird haufig in Form der sogenannten partiellen Integration benutzt,

die wir fur den Fall (.) op ≡~~T T~u· zeigen wollen. Dies entspricht der Gleichung (A.63) mit

~w =~~T T~u. Der Gauß’sche Satz liefert

a

(~~T T~u) · ~n da =

v

div(

~~T T~u)

dv (A.66)∮

a

~n~~T · ~u da =

v

(

div~~T · ~u +

~~T · grad ~u)

dv . (A.67)

Damit ergibt sich die folgende Beziehung

v

~~T · grad~u dv =

a

~n~~T · ~u da −

v

div~~T · ~u da , (A.68)

bei der man die Ableitung des Vektors ~u auf eine Ableitung des Tensors~~T verschoben hat

und dabei ein zusatzliches Integral uber den Rand des Gebietes erhalt.

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Literaturverzeichnis

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[3] Engeln-Mullges, G.; Reutter, F.: Numerische Mathematik fur Ingenieure. Mannheim:BI-Wissenschaftsverlag, 1985.

[4] Gaul, L.; Fiedler, C.: Methode der Randelemente in Statik und Dynamik. Braun-schweig: Vieweg, 1997.

[5] Hackbusch, W.: Iterative Losung großer schwachbesetzter Gleichungssysteme. Stutt-gart: B. G. Teubner, 1993.

[6] Hughes, T. J.: The Finite Element Method. New York: Dover Publications, 2000.

[7] Knothe, K.; Wessels, H.: Finite Elemente. 3. Aufl. Berlin: Springer, 1999.

[8] Press, W. H.; Flannery, B. P.; Teukolsky, S. P.; Vetterling, W. T.: Numerical Recipes.3. Aufl. Cambridge: Cambridge University Press, 1988.

[9] Schwarz, H. R.: Methode der finiten Elemente. Stuttgart: B. G. Teubner, 1984.

[10] Schwarz, H. R.: Numerische Mathematik. Stuttgart: B. G. Teubner, 1986.

[11] Schwarz, H. R.: Methode der finiten Elemente. Stuttgart: B. G. Teubner, 1991.

[12] Stroud, A. H.; Secrest, D.: Gaussian Quadrature Formulas. Englewood Cliffs, NewJersey: Prentice Hall, 1966.

[13] Zienkiewicz, O. C.; Taylor, R. L.: The Finite Element Method. Bd. 1: The Basis.Oxford: Butterworth-Heinemann, 2000.

[14] Zienkiewicz, O. C.; Taylor, R. L.: The Finite Element Method. Bd. 2: Solid Mechanics.Oxford: Butterworth-Heinemann, 2000.

[15] Zienkiewicz, O. C.; Taylor, R. L.: The Finite Element Method. Bd. 3: Fluid Dynamics.Oxford: Butterworth-Heinemann, 2000.