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Z Gerontol Geriat 37:425–426 (2004)DOI 10.1007/s00391-004-0271-9
ZG
G271
EDITORIAL
Th. Nikolaus Wissenschaftliche Evidenzin Geriatrie und Gerontologie
Prof. Dr. Th. Nikolaus ())Bethesda Geriatrische KlinikUniversität UlmZollernring 2689073 Ulm, Germany
Zu Recht wird über die fehlendewissenschaftliche Evidenz in vie-len für die Altersmedizin relevan-ten Bereichen geklagt. Erst injüngster Zeit hat sich die Daten-lage in einigen wenigen Gebietender klassischen Medizin gebes-sert. Nach wie vor fehlen diesewissenschaftlich gesicherten Er-kenntnisse jedoch in der medizi-nischen Psychologie, Gerontopsy-chotherapie oder aber bei Thera-pieverfahren anderer Berufsgrup-pen wie Logopädie, Physiothera-pie und Ergotherapie. Generell inden Kinderschuhen steckt dieForschung im Bereich der Bewoh-ner von Alten- und Pflegeheimen.Diese Bevölkerungsgruppe wirdin Zukunft rasch anwachsen undzu großen ökonomischen, medizi-nischen und pflegerischen He-rausforderungen führen. Obwohldiese Tatsache seit langem be-kannt ist, fehlt es an ausreichen-den finanziellen Mitteln, um wis-senschaftlich die Bedürfnisse undWünsche der Bewohner zu erfas-
sen, die Versorgungsqualität zuüberprüfen und verschiedene Be-handlungskonzepte dieser häufigsehr gebrechlichen Menschen zuerproben.
Im vorliegenden Heft findensich sechs Originalarbeiten, in de-nen unterschiedliche Dimensionenbisher fehlender wissenschaftli-cher Evidenz in der Behandlungälterer Menschen angesprochenwerden oder in denen die Bewoh-ner von Alten- und Pflegeheimendie Zielgruppe der wissenschaftli-chen Untersuchungen darstellen.
Hautzinger und Welz beschäf-tigen sich mit der kognitiven Ver-haltenstherapie bei Depressionenim Alter. Bisher mangelt es anwissenschaftlicher Evidenz, inwie-weit Psychotherapie von Depressi-on im Alter effektiv ist. In einerkontrollierten prospektiven Studievon insgesamt 100 älteren Men-schen mit aktuellen depressivenStörungen wurde eine kognitivverhaltenstherapeutische Grup-penintervention durchgeführt undmit gleichartigen Patienten unterWarte-/Kontroll-Bedingungen ver-glichen.
Die Studie zeigt, dass die kog-nitiv verhaltenstherapeutischeGruppenintervention hoch wirk-sam ist, wirft jedoch weitere Fra-gen auf bezüglich der Rolle derDepressionsschwere, der antide-pressiven Medikation sowie derKombination der Wirkfaktoren
der kognitiv verhaltenstherapeuti-schen Intervention.
In einer Untersuchung vonVolkert, Kreuel und Stehle wirddas Trinkverhalten bei selbständiglebenden Senioren untersucht.Dabei stand der Zusammenhangzwischen Trinkmenge und Trink-motivation im Vordergrund.
Es zeigte sich, dass jeder 7.über 65-Jährige und jeder 4. über85-Jährige zu wenig trinkt. Diebeobachteten Zusammenhängegeben Hinweise darauf, dassTrinkmenge und Trinkmotivationzusammenhängen und ggf. dasTrinkverhalten durch entspre-chende Aufklärungsmaßnahmenverbessert werden kann.
Voigt-Radloff, Schochat undHeiß haben eine Literaturrecher-che durchgeführt, inwieweit eineergotherapeutische Behandlungdie Kompetenz, Autonomie undLebenszufriedenheit von älterenMenschen bei Alltagsaktivitätenverbessert oder stabilisiert. DieErgebnisse zeigen in erschrecken-dem Maße die fehlende wissen-schaftliche Tradition in diesemBereich in Deutschland. Überwie-gend wurden die 31 identifizier-ten Studien im angloamerikani-schen Raum durchgeführt, keinein Deutschland. Trotz erheblichermethodischer Mängel weisen dieaufgeführten Untersuchungen ins-gesamt auf eine positive Wirkungder Ergotherapie bei Älteren hin.
426 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, Band 37, Heft 6 (2004)© Steinkopff Verlag 2004
Bei einer eingehenden Betrach-tung von einzelnen Erkrankungenund Behinderungen zeigte sichdie wissenschaftliche Nachweis-barkeit eines positiven Effektesbei Patienten mit Schlaganfall,Demenz, Prävention von Stürzen,Inaktivität, Vereinsamung undzur Vermeidung von Pflegebe-dürftigkeit. Weiterer ergotherapie-spezifischer Forschungsbedarf be-steht bei den KrankheitsbildernDepression und Diabetes mellitusim Alter.
In einer Untersuchung vonWarnke, Meyer, Bott und Mühl-hauser wurde ein Instrument zurErhebung der subjektiven gesund-heitsbezogenen Lebensqualität inBezug auf Sturzangst bei Alten-und Pflegeheimbewohnern ent-wickelt und auf Validität und Re-
liabilität überprüft. Das Instru-ment misst die DimensionenSturzangst, tägliches und sozialesLeben. Bewohner von Alten- undPflegeheimen stellen eine Hoch-risikogruppe für Stürze dar. Ne-ben verletzungsbedingten Folgenist die Sturzangst eine wichtigeKomplikation, die zur Einschrän-kung der Aktivitäten führen kannund damit die Lebensqualitätdeutlich beeinträchtigt. Einerechtzeitige Erkennung der Sturz-angst ist daher wichtig, um dieseadäquat therapieren zu können.
In einer Untersuchung von Fi-scher, Bosshard, Zellweger undFaisst wurde der Sterbeort in derDeutschschweiz in den Jahren1969, 1986 und 2001 miteinanderverglichen. Im Zeitraum von 1969bis 1986 zeichnete sich eine Ent-
wicklung zum institutionellenSterben in Krankenhäusern ab.Zwischen 1986 und 2001 verlager-te sich das Sterben von Kranken-häusern weg in Alten- und Pfle-geheime. Die Autoren kommenzum Schluss, dass die Bedeutungder Alten- und Pflegeheime alsSterbeort in Zukunft noch stärkerwachsen wird. Da jedoch dieüberwiegende Mehrheit ältererMenschen gerne zu Hause in ih-rer gewohnten Umgebung sterbenwürde, ist es notwendig, die am-bulanten Hilfsdienste personellauszubauen und das Personal so-wie Angehörige dieser Personenzu schulen und andere Anreize zuschaffen, um die Tendenz zum in-stitutionellen Sterben abzuschwä-chen oder gar umzukehren.