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8 V ORBILD N ATUR IRKSTOFFE W AUS DER N ATUR

WNATURnaturstoff-forschung.info/Broschüre+_Vorbild+Natur_-p-9/_/03... · hierte Gift Coniin, ein Alkaloid, das durch Atemlähmung zum Tode führt. Ebenfalls schon im Griechenland

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8 VO R B I L D NA T U R

IRKSTOFFEW AUS DERNATUR

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NA T U R S T O F F-FO R S C H U N G I N DE U T S C H L A N D 9

Die Nutzung von Wirkstoffen aus der Natur ist dem Menschen seit Jahrtausendenvertraut. Schon der prähistorische Mensch hat gelernt, nicht nur zwischen essbarenund giftigen Pflanzen zu unterscheiden, sondern sich auch die giftigen Pflanzen zunutze zu machen. Es gibt Hinweise darauf, dass bereits in der Steinzeit Tollkirschenextrahiert wurden, um Pfeilgifte zu gewinnen. Bis in die Gegenwart hat sich dieJagd mit vergifteten Pfeilen gehalten. Dabei werden aber nicht nur Pflanzen, son-dern auch Tiere als Quelle zur Gewinnung von Giften genutzt. Noch heute setzenVölker im Amazonas-Gebiet hochwirksame Froschgifte ein, um ihre Beutetiereinnerhalb von Sekunden nach Eintritt des Giftes in die Blutbahn zu lähmen oder zutöten.

AlkaloideVornehmlich in Pflanzen auftre-tende basische Naturstoffe, die einoder mehrere meist heterozyklischeingebaute Stickstoffatome enthal-ten.

Auch die Heilwirkung verschiedener Pflan-zen, in Europa bis ins 18. Jahrhundert hineinnoch mit der Vorstellung von „Zauberkraft“zur Austreibung von „Krankheitsdämonen“aus dem Körper in Verbindung gebracht, istseit langem bekannt. Schriften, die bis ins 5.Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zu-rückreichen, belegen die Nutzung einer Reihevon Pflanzen, die noch heute zur Herstellungvon Naturheilmitteln Verwendung finden.Insbesondere aus China gibt es seit dem 3.Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung aus-führliche Beschreibungen von Heilmittelnnicht nur pflanzlichen, sondern auch tieri-schen und vereinzelt auch mineralischen Ur-sprungs.

Ein eindrucksvolles Beispiel, mit welcherGründlichkeit, Sachlichkeit und Klarheitschon früh Wirkungen von Pflanzenextraktendokumentiert wurden, ist der aus der Zeit um1550 vor Christus aus dem alten Ägyptenüberlieferte Papyrus Ebers. In dieser umfan-greichen Schriftrolle zur Arzneimittellehre,die Georg Ebers 1873 in Luxor für das Leipzi-ger Museum erworben hat und die noch heu-te in der Universitätsbibliothek Leipzig zufinden ist, werden für eine Vielzahl vonPflanzen Anwendung und Dosierung genaubeschrieben. Damals war beispielsweiseschon die Wirkung von herzaktiven Finger-hut-Glykosiden bekannt. Dabei handelt essich um Pflanzenwirkstoffe, die auch in dermodernen Medizin noch unverzichtbar sind.Aber nicht nur die alten chinesischen undägyptischen Kulturen kannten die Kraft derNaturstoffe; auch in Europa wusste manschon früh mit Heilkräutern und Pflanzengif-ten umzugehen.

In Athen wurde 399 vor Christus Sokrates alsJugendverderber, der die Götter des Staatesanzweifelte, zum Tode durch den Schierlings-becher verurteilt. Der ihm verabreichteSchierlingstrunk enthielt – wie wir heute wis-sen – das aus der Schierlingspflanze extra-hierte Gift Coniin, ein Alkaloid, das durch

Atemlähmung zum Tode führt. Ebenfallsschon im Griechenland der Antike wurde dieWeidenrinde zur Schmerzlinderung und zurFiebersenkung verwendet. Schwangerenwurde geraten durch Kauen dieser Rinde dieWehenschmerzen zu reduzieren. Vom akti-ven Inhaltsstoff der Weidenrinde leitet sichdas erfolgreichste Medikament aller Zeiten,das Aspirin® ab, dessen Siegeszug als Rein-stoff aber erst 1899 begann.

Besonders bemerkenswert erscheint selbstheute noch, wie genau die Benediktinermön-che den Schlafmohn Papaver somniferum zudosieren wussten. Sie haben ihn nicht nur zurSchmerzbekämpfung, sondern auch zur Nar-

WI R K S T O F F E A U S D E R NA T U R – E I N E U N E N D L I C H E GE S C H I C H T E

ASPIRIN® – VON DER NATURHEILKUNDE ZUR ANALYTISCHEN UNDSYNTHETISCHEN NATURSTOFFCHEMIE

Die Weidenrinde (Cortex Salicis) hatte schon über viele Jahrhunderte große Bedeu-tung als Naturheilmittel, bevor im 19. Jahrhundert die Wirksubstanzen isoliert, inihren chemischen Strukturen als Derivate der Salicylsäure bestimmt und chemischmodifiziert wurden. Die Synthese der Salicylsäure gelang erstmals Hermann Kolbe,Professor für Chemie in Marburg. Die industrielle Produktion in einer Fabrik inDresden folgte schnell, und schon bald war die Wirksamkeit der Salicylsäure gegenfiebrige Erkältungen unbestritten. Dem Durchbruch zum viel verwendeten Arznei-mittel standen jedoch starke Magenreizungen als Nebenwirkung entgegen. Es wur-den daher eine Vielzahl von Versuchen unternommen, die Eigenschaften der Sali-cylsäure durch chemische Derivatisierung abzuwandeln, um ein verträglicheresMedikament zu erhalten. Die Versuche führten lange nicht zum Erfolg, und es ge-schah dann im Oktober 1897 eher zufällig, dass der junge Chemiker Felix Hoffmannin den Laboratorien von Bayer Acetylsalicylsäure, ein in der Literatur bereits be-schriebenes Derivat, nach leicht verbessertem Verfahren nochmals synthetisierte.Das Interesse an der Substanzklasse hatte zu dem Zeitpunkt bei Bayer schon merk-lich nachgelassen, so dass erst Selbstversuche der Chemiker den Entwicklungspro-zess wieder in Gang setzen konnten mit dem Erfolg, dass die Acetylsalicylsäureschon 1899 als Aspirin® auf den Markt kam. Auch heute noch wird Aspirin® imgewaltigen Maßstab von 50.000 Tonnen pro Jahr hergestellt. Aber selbst nach mehrals einem Jahrhundert der weltweiten Anwendung ist der Wirkmechanismus diesesNaturstoff-Derivats noch nicht vollständig geklärt.

Auszug aus der um 1550 vor Christus inÄgypten entstandenen Schriftrolle Papy-rus Ebers, die heute noch in der Universi-tätsbibliothek Leipzig zu finden ist.

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BakterienMikroskopisch kleine, meist ein-zellige Organismen, die keinenechten Zellkern besitzen.

ImmunsuppresivaSubstanzen, die die Wirkung desImmunsystems unterdrücken.

Der aus dem Fingerhut gewonnene Wirk-stoff Digitoxin wird in Arzneimitteln zurSenkung der Herzfrequenz verwendet.

Fríedrich Wöhler (1800-1882), einer derbedeutendsten deutschen Chemiker undVater der Naturstoff-Synthese.

kotisierung eingesetzt. Von den ersten An-wendungen des Schlafmohns bis zur Reindar-stellung des Morphins, dem Hauptwirkprin-zip, verstrichen mehrere Jahrhunderte. Erst1806 konnte der Paderborner Apotheker Frie-drich Sertürner als Erster reines Morphin, be-nannt nach Morpheus, dem griechischen Gottdes Schlafs, verfügbar machen. Weitere 20Jahre vergingen, bis dieProduktion von Mor-phin für den allgemei-nen Gebrauch als Arz-neimittel von dem Apo-theker Heinrich Ema-nuel Merck in Darm-stadt aufgenommenwurde und er so denGrundstein für ein welt-weit erfolgreiches Phar-maunternehmen legenkonnte. Er gab als ersterHersteller seinem Pro-dukt eine Reinheitsga-rantie und setzte damitneue Normen für Arz-neimittel.

Eine ähnlich lange Ent-wicklungsgeschichte hatauch das noch heuteverwendete Malariamit-tel Chinin. Zur Behandlung dieser Krankheitwurde im europäischen Kulturraum erstmalsim 17. Jahrhundert die Rinde des peruani-schen Cinchona-Baums genutzt. Es dauerteaber fast noch 200 Jahre, bis daraus das Chi-nin als Wirkprinzip in reiner Form isoliertwerden konnte.

In dem Maße wie sich die Chemie des begin-nenden 19. Jahrhunderts analytische Metho-den erschloss, wurde es nicht nur möglich dieReinheit von Pflanzeninhaltsstoffen, sondernzunehmend auch strukturelle Eigenschaftenzu bestimmen. Es zeigte sich mit der Isolie-rung und Reindarstellung der ersten Pflan-zenwirkstoffe allerdings schnell, dass die Auf-klärung der chemischen Strukturen eine ge-waltige neue Herausforderung war, die bisheute nicht an Aktualität verloren hat und diedie Naturstoff-Chemiker immer wieder vorneue faszinierende Aufgaben stellt. Die mole-kularen Strukturen der Wirkprinzipien, diedie Natur im Laufe der Evolution als Antwortauf die verschiedensten Herausforderungenin unvergleichlicher Vielfalt und Komplexitäthervorgebracht hat, sind auch heute noch

nicht immer mit Routinemethoden zu lösen.Dies macht verständlich, warum sich dieStrukturaufklärung einzelner Naturstoffe im19. und beginnenden 20. Jahrhundert überviele Jahrzehnte hinstrecken konnte und nichtfrei von Irrtümern war. So konnte beispiels-weise die korrekte Struktur des Morphins erst120 Jahre nach der ersten Reindarstellung des

komplexen Alkaloidspubliziert werden (siehe „Sorbicillacton A- eine chemischeSchnitzeljagd”, S. 52).

Im 19. Jahrhundertwurden auch die erstenVersuche der Chemikerveröffentlicht, Wirk-stoffe aus der Natur imLabor nachzubauenund abzuwandeln. DenStartschuss dazu liefer-te Friedrich Wöhler,der 1828 das Dogmagebrochen hat, dass or-ganischen Stoffen eine„Lebenskraft“ inne-wohne. Bis dahin wur-de angenommen, dassder Mensch keine Stof-fe der belebten Natur

herstellen kann. Wöhler stellte aber mit dereinfachen Verbindung Harnstoff erstmals ei-nen Naturstoff synthetisch her. Danach erleb-te die organische Synthesechemie ihren Auf-schwung. Europa war Vorreiter für den Auf-bau einer chemischen Industrie, deren Aus-gangspunkt die Herstellung von preiswerte-ren und lichtstabileren Produkten als Ersatzfür die bis dahin vornehmlich aus Pflanzengewonnenen natürlichen Farbstoffe war.Schon sehr bald suchte man nach Möglichkei-ten, Abfall- und Nebenkomponenten der Far-benproduktion zu verwerten, um so für diejungen Unternehmen zusätzliche Erträge er-wirtschaften zu können. So lag es nahe, nachneuen Arzneimitteln zu suchen. InsbesondereWirkstoffe zur Fiebersenkung und Schmerz-linderung waren zunächst Ziel der Bemühun-gen. Mit Antipyrin® konnten die FarbwerkeHoechst 1884 das erste synthetische Schmerz-mittel auf den Markt bringen, ohne jedoch diechemische Struktur genau zu kennen. EinSchüler von Emil Fischer, Ludwig Knorr, syn-thetisierte Antipyrin® erstmals 1883 - nur einJahr zuvor. Knorr bemühte sich als angehen-der Hochschullehrer vorwiegend um akade-mische Anerkennung und war nur schwer da-

DIE GEBURTSSTUNDE DERNATURSTOFF-SYNTHESE

Wöhler 1828 an Berzelius: „...ich kann, sozu sagen, mein chemisches Wasser nichthalten und muß Ihnen sagen, dass ichHarnstoff machen kann, ohne dazu Nie-ren oder überhaupt ein Thier, sey esMensch oder Hund, nöthig zu haben. Dascyansaure Ammoniak ist Harnstoff. ...Diese künstliche Bildung von Harnstoff,kann man sie als ein Beispiel von Bildungeiner organischen Substanz aus unorgani-schen Stoffen betrachten? Es ist auffal-lend, dass man zur Hervorbringung vonCyansäure (und auch von Ammoniak)immer doch ursprünglich eine organischeSubstanz haben muss, und ein Naturphi-losoph würde sagen, dass sowohl aus derthierischen Kohle, als auch aus den dar-aus gebildeten Cyanverbindungen, dasOrganische noch nicht verschwunden,und daher immer noch ein organischerKörper daraus wieder hervorgegangenist.”

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ActinomycetenGram-positive, oft filamentöse (fä-dige) Bakterien, die ein Mycel ähn-lich dem der Pilze bilden. Sie stel-len einen wesentlichen Bestandteilder Bodenmikroflora dar und be-sitzen herausragende Eigenschaf-ten im Hinblick auf die Bildungvon biologisch aktiven Naturstof-fen.

Antibiotika (pl.)Verbindungen, meist mikrobiellenUrsprungs, die in der Lage sindBakterien abzutöten (bakterizid)oder deren Vermehrung zu ver-hindern (bakteriostatisch).

ß-Lactam-AntibiotikaVerbindungsklasse mit charakte-ristischem Strukturelement, diedie Bakterienzellwandbildung in-hibieren.

MikroorganismusMikroskopisch kleine, oft einzelli-ge Lebewesen mit eigenständigemStoffwechsel.

Pilze (Fungi) Eukaryonten, die neben den Tie-ren, Pflanzen und Protisten ein eigenes Reich darstellen. Sie besit-zen einen echten Zellkern und einCytoskelett; ihre Vermehrung undAusbreitung erfolgt geschlechtlichdurch Sporen und/oder unge-schlechtlich bzw. vegetativ durchAusbreitung von Mycelien.

Sekundärstoffe / -metaboliteProdukte von lebenden Zellen, diefür den Grundstoffwechsel einesOrganismus zwar entbehrlichsind, aber aufgrund ihrer ökologi-schen Bedeutung für das Überle-ben essentiell sind (z.B. Blüten-farbstoffe, Verteidigungssubstan-zen).

Im Milchsaft des Schlafmohns sind nebenMorphin und Codein 40 verschiedene Al-kaloide enthalten, von denen einige alsArzneimittel eingesetzt werden.

von zu überzeugen, dass vor einer Veröffent-lichung seiner Ergebnisse die Absicherungder kommerziellen Interessen eines Industrie-partners durch eine Patentanmeldung stehensollte. Da Knorr, später Professor in Jena, vonden Farbwerken Hoechst großzügig honoriertwurde, dürfte ihm seine Entscheidung,Hoechst zu unterstützen, im Nachhinein nichtLeid getan haben.

1888 konnte Bayer, der weltweit größte Kon-kurrent von Hoechst, mit Phenacetin erstmalsein Medikament auf den Markt bringen, dasvon der Entdeckung über die pharmakologi-schen Prüfungen bis zur verfahrenstechni-schen Bearbeitung in einem Industrieunter-nehmen entwickelt wurde. Für die Wirkstoff-forschung bei Bayer war dies nur der erste ineiner langen Reihe von Erfolgen.

Hinter vielen wirtschaftlich erfolgreichen Ent-wicklungen stehen zunächst die zufällige Be-obachtung und dann die gezielte Hinterfra-gung der Zusammenhänge, die uns die Naturoffenbart. So bemerkte der britische Bakterio-loge Alexander Fleming 1928, dass eineSchimmelpilz-Kolonie (Penicillium notatum)das Wachstum von Bakterien hemmt, die le-bensbedrohliche Infektionen aus-lösen können. Konsequente Suchenach dem dahinter stehendenWirkprinzip führte zur Isolierungund Strukturaufklärung von Peni-cillin, dem ersten Antibiotikum. Inden 40er Jahren des letzten Jahr-hunderts begann mit dessen Ent-wicklung und klinischer Nutzung,die durch die vielen Verletzten desZweiten Weltkrieges nachhaltigbeschleunigt wurde, eine neueEpoche der Naturstoff-Forschungmit umwälzenden Auswirkungenauf die industrielle Pharmafor-schung. Mit Penicillin konntenerstmals schwere, oft tödlich ver-laufende bakterielle Infektionen geheilt wer-den. Penicillin wird heute industriell in 100 m³großen Bioreaktoren (Fermentern) unter steri-len Bedingungen durch Kultivierung von Pe-nicillium-Stämmen in Ausbeuten von ca. 80gpro Liter hergestellt. Es ist der erste therapeu-tisch genutzte Wirkstoff aus einem Mikroor-ganismus. Seine Entdeckung gab Anlass zu ei-ner bis heute währenden Suche nach neuenantibakteriell wirksamen Naturstoffen ausMikroorganismen, die helfen sollen, immerwieder aufs Neue auftretende Resistenzen

von pathogenen Bakterien zu überwinden. Bisheute gehören die ß-Lactam-Antibiotika, diealle das zentrale Strukturelement des Penicil-lins tragen, zu den weltweit umsatzstärkstenArzneimitteln auf Basis von Naturstoffen (sie-he „Infektionen - die unterschätzte Gefahr”, S. 24).

Auch als Antimykotika zur Bekämpfung vonPilzinfektionen und als Krebstherapeutika er-langten zellwachstumshemmende Sekundär-stoffe aus Mikroorganismen schnell großewissenschaftliche und wirtschaftliche Bedeu-tung. Die Hypothese wurde geprägt, dassMikroorganismen sich durch die Bildung vonderartigen aktiven Stoffen einen Wachstums-vorteil in ihrem natürlichen Habitat verschaf-fen. Dabei wurde lange übersehen, dassMikroorganismen darüber hinaus eine Viel-zahl von neuen potenziellen Medikamentenbilden können, die nicht im unmittelbarenZusammenhang mit wachstumshemmendenWirkungen stehen. Insbesondere Actinomy-ceten und Pilze haben sich, im Labor in Kul-tur genommen, als Meister in der Synthesevon hochaktiven, strukturell zum Teil äußerstkomplexen Wirkstoffen erwiesen, von denenes insgesamt mehr als 25.000 gibt.

Die Bearbeitung von Wirkstoffen aus Mikro-organismen lässt sich seit der Entdeckung desPenicillins als Erfolgsgeschichte schreiben.Wesentlichen Anteil daran hatten und habendie Methoden zur Strukturaufklärung, die inder zweiten Hälfte des 20. Jahrhundertsenorm verbessert wurden. So können heutemit modernen spektroskopischen Technikenselbst von komplexen Naturstoffen Mikro-gramm-Mengen ausreichend sein, um die

NATURSTOFFE AUS PILZEN KÖNNEN DIEORGANABSTOSSUNG VERHINDERN

Cyclosporin A wurde von der Schweizer PharmafirmaSandoz zunächst als antimykotisch wirkender Naturstoffaus einer Pilz-Kultur isoliert und identifiziert. Die Ver-bindung erwies sich dann im Laufe der vertieften biologi-schen Prüfung in Tierversuchen als immunsuppressiv.Nur sieben Jahre nach der Erstbeschreibung wurde es alsSandimmun® 1983 als erstes wirksames Immunsuppres-sivum bei Organtransplantationen auf den Markt ge-bracht. Zum ersten Mal gelang es, die zur Gewebeabstos-sung führende Immunantwort zu unterdrücken, ohnegleichzeitig die Abwehr von bakteriellen Infektionen ent-scheidend einzuschränken. Allerdings bleiben Transplan-tationspatienten ihr ganzes weiteres Leben lang vonSandimmun® abhängig (siehe „Pilze, ein Reich für sich”,S. 58).

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Artemisinin (auch Qinghaosu)Sekundärer Pflanzenstoff aus derStrukturklasse der Sesquiterpene,der in den Blättern und Blüten desEinjährigen Beifußes (Artemisia an-nua) vorkommt. Artemisinin undbestimmte Derivate werden zurBehandlung von Infektionen mitmultiresistenten Stämmen vonPlasmodium falciparum, dem Erre-ger der Malaria tropica, eingesetzt.

CamptothecinVerbindung aus der Rinde des inChina vorkommenden BaumesCamptotheca acuminata, die krebs-hemmende Wirkung zeigt.

Funktionelle Lebensmittel(Functional Food)Lebensmittel oder Bestandteile ei-nes Lebensmittels, denen über dieZufuhr von Nährstoffen hinausein zusätzlicher Nutzen zugespro-chen wird, der in der Steigerungdes Wohlbefindens und dem Er-halt der Gesundheit liegt.

Klinische EntwicklungProzess, in dem ein Wirkstoff zurAnwendung im Menschen entwi-ckelt wird, nachdem er in Tierver-suchen auf eventuelle toxikologi-sche Risiken überprüft wurde(präklinische Entwicklung). Sieumfasst zunächst kontrollierteVersuche an Probanden, in denendie Verträglichkeit eines Wirk-stoffs untersucht wird, bevor brei-ter angelegte Arzneimittelstudiendurchgeführt werden können.

chemische Struktur in kurzer Zeit aufzuklä-ren. Darüber hinaus haben Naturstoff-Che-miker immer weiter verfeinerte Methodenentwickelt, so dass auch anspruchsvolle Mo-leküle gezielt synthetisiert oder modifiziertwerden können. So lassen sich in Kombina-tion mit anwendungsnahen biologischenTestsystemen, die nur wenig Substanzmengebenötigen, in relativ kurzer Zeit die für eineklinische Entwicklung besten Kandidatenherausfiltern.

Obwohl die Pflanzen mit mehr als 120.000 be-schriebenen Naturstoffen nach wie vor weitvor den Mikroorganismen liegen, sind sieMitte des 20. Jahrhunderts als Quelle fürneue Arzneimittel gegenüber Medikamentenaus Mikroorganismen-Kulturen in denHintergrund gerückt. Nach wie vor hattenPflanzenextrakte als Phytopharmaka, beste-hend aus Naturstoff-Gemischen, ihren festenPlatz (siehe „Pflanzenextrakte als Arzneimit-tel”, S. 14). Neue patentgeschützte Wirkstoffefanden aber nicht ihren Weg auf den Markt.Dieses Bild begann sich 1987 mit der Einfüh-rung von Artemisinin gegen Malaria zu än-dern. Es folgten mit Taxol® und Taxotère®zwei heute unverzichtbare Krebstherapeuti-ka, die insbesondere gegen Mammakarzino-me eingesetzt werden. Ebenfalls zum Fort-schritt in der Chemotherapie von Tumoren

tragen Derivate des Naturstoffs Camptothe-cin bei. Durch chemische Modifizierung desGrundgerüstes konnte durch bessere Lö-sungseigenschaften die biologische Wirksam-keit erheblich gesteigert werden (siehe „Kei-ne Wunderwaffe aus dem Regenwald”, S.18).

Mit der Erschließung mariner Lebensräumezeichnet sich seit Ende des letzten Jahrhun-derts eine neue Quelle für hochwirksameArzneimittel insbesondere gegen Krebser-krankungen ab. Es konnte gezeigt werden,dass vor allem aus Schwämmen und anderenwirbellosen Tieren eine reiche Vielfalt anstrukturell völlig neuartigen Wirkstoffen iso-liert werden kann. Der Zugang zu Mengen,wie sie für die Medikamenten-Entwicklungerforderlich sind, ist aber ein derzeit nochweitgehend ungelöstes Problem. Trotzdemhaben schon einige marine Naturstoffe denWeg in die klinische Entwicklung gefunden(siehe „Faszination Meer”, S. 44).

Über die oft verschreibungspflichtigen Arz-neimittel hinaus zeichnet sich seit einiger Zeitein neues Arbeitsgebiet für die wirkstoff-orientierte Naturstoff-Forschung ab. Es wirdimmer mehr über die gesundheitsförderndeWirkung von Inhaltsstoffen unserer pflanz-lichen und tierischen Nahrung bekannt. Umsich diese Eigenschaften in alltäglichen Le-bensmitteln zu Nutze zu machen, werden im-mer mehr funktionelle Lebensmittel (Funct-ional Food) und Nahrungsergänzungsmittelentwickelt. Mit Marktprodukten wie Brot,

ACARBOSE – EIN ZUCKER GEGEN DIE ZUCKERKRANKHEIT

Eine weitere Zivilisationskrankheit mit dramatisch steigenden Neuerkrankungen ist der Di-abetes mellitus, gegen den der Naturstoff Acarbose, isoliert aus Kulturen eines Actinomyce-ten-Stamms, eingesetzt wird. Acarbose, selbst ein aus vier Zuckerbausteinen bestehendesArzneimittel von Bayer, hemmt den Abbau von Kohlenhydraten im Darm und trägt so zurSenkung des Glukosespiegels im Blut bei.

Schwämme sind eine reiche Quelle für Wirkstoffe.

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Fermenter

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dem Omega-3-Fettsäuren zugesetzt sind, undMargarine mit Phytosterolen soll das Risikokardiovaskulärer Erkrankungen herabgesetztwerden. Auch Getreideriegel angereichertmit Vitamin D und Mineralstoffen zur Gesun-derhaltung der Knochenmasse gibt es schonim Supermarkt zu kaufen (siehe „Funktionel-le Lebensmittel - Naturstoff-Forschung für ei-ne gesunde Ernährung”, S. 90).

Aber nicht nur der Pharma- und Lebens-mittelmarkt profitiert von den neuen Mög-lichkeiten der Naturstoff-Chemie. Auch imPflanzenschutz gibt es bahnbrechende Fort-schritte. So hat das Strobilurin A, von deut-schen Forschern aus einem weit verbreitetvorkommenden höheren Pilz isoliert und be-schrieben, als Leitbild zur Synthese einer völ-lig neuen Generation von Fungiziden für denPflanzenschutz geführt (siehe „Pilze, einReich für sich”, S. 58). Im Gegensatz zu älte-ren Produkten sind sie ökologisch hervorra-gend verträglich und zeigen auch keineWarmblütertoxizität. Die darauf basierendenEntwicklungen der BASF wurden 2005 fürden Zukunftspreis des deutschen Bundesprä-sidenten vorgeschlagen.

Nicht nur wirtschaftlich, auch wissenschaft-lich gesehen, hat die Naturstoff-Forschung inden letzten hundert Jahren Herausragendesgeleistet, und Naturstoff-Chemiker sind da-für mehrmals mit dem Nobelpreis belohntworden. Einer von ihnen ist der US-Amerika-ner Robert Burns Woodward, der 1965 dieseAuszeichnung erhielt. Er hat sich zum Bei-spiel der Herausforderung einer Totalsynthe-se von Vitamin B12 gestellt. Nach fast 15 Jah-ren und mit einem Team von insgesamt über100 Wissenschaftlern gelang 1971 der erfolg-reiche Abschluss der Arbeiten, die noch heuteeinen Meilenstein in der Naturstoff-Synthesemarkieren.

Die methodischen Fortschritte erlauben zu-nehmend auch Untersuchungen zur Funktionvon Naturstoffen in ihrem natürlichen ökolo-gischen Umfeld. Zum Beispiel wurden in derzweiten Hälfte des 20. Jahrhundert die in nuräußerst geringen Mengen vorhandenen Lock-stoffe von Insekten – die Pheromone – zu-gänglich. Als Pionierarbeiten gelten hier dieUntersuchungen von Adolf Butenandt. Erkonnte 1959 nach jahrzehntelangen Forschun-gen das Pheromon des Seidenspinners, dasBombykol, beschreiben. Er belegte damit,

dass Lebewesen auch eine Sprache entwickelthaben, die nicht auf Lauten, sondern auf Sig-naturen von chemischen Signalen besteht. DieZukunft dieses Arbeitsgebietes, für das derBegriff Chemische Ökologie geprägt wurde,liegt insbesondere auch in der Kombinationchemischer und physiko-chemischer mit neu-en molekularbiologischen und gentechni-schen Methoden (siehe „Von Loreley und Ve-nusfallen”, S. 52).

Susanne Grabley und Georg Pohnert

Omega-3-FettsäurenMehrfach ungesättigte Fettsäuren,die für den Menschen essentiell sindund über die Nahrung aufgenom-men werden müssen.

PhytosteroleIn höheren Pflanzen vorkommendeVerbindungen mit einem Steroid-Grundgerüst.

Schwämme(Phylum Porifera, Porenträger)Frühe Entwicklungsform der Viel-zeller. Schwämme bilden einen Tier-stamm innerhalb der Abteilung derGewebelosen. Sie leben allesamt imWasser und kommen in allen Mee-resgewässern der Erde vor. Nur we-nige Arten leben im Süßwasser.

Taxol® und Taxotère®Verbindung aus der Pazifischen Ei-be, die als Arzneistoff zur Inhibie-rung von Tumorwachstum erfolg-reich eingesetzt wird.

MIT SCHIMMELPILZEN GEGENZU VIEL CHOLESTERIN

Aus Schimmelpilzen wie Aspergillen undPenicillien wurden eine Reihe von struktu-rell eng verwandten Naturstoffen isoliert,die die Biosynthese des Cholesterins zuhemmen vermögen und so zur Senkungdes Cholesterinspiegels im Blut beitragenkönnen. Unter dem Namen Statine sind in-zwischen neben dem Naturstoff Lovasta-tin eine ganze Reihe von halb- und voll-synthetisch hergestellten Nachfolgepro-dukten auf den noch immer weiter stei-genden Markt für Lipidsenker zur Vorbeu-gung vor koronaren Herzerkrankungengekommen.

WI R K S T O F F E A U S D E R NA T U R – E I N E U N E N D L I C H E GE S C H I C H T E

Viele filamentöse Pilze (Schimmelpilze)produzieren wichtige Wirkstoffe, wie z.B.das Penicillin.