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HNO 2013 · 61:689–691 DOI 10.1007/s00106-012-2645-4 Online publiziert: 27. Januar 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 F. Fahimi 1  · O. Müller 2  · T. K. Hoffmann 1 1  Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Universitätsklinikum Essen 2  Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Essen Zervikale Raumforderung Falldarstellung Anamnese Eine 23-jährige Patientin stellte sich im guten Allgemeinzustand mit einer seit 5 Wochen bestehenden zervikalen indo- lenten Raumforderung auf der rechten Seite vor (. Abb. 1). Als Einweisungs- diagnose wurde der Verdacht auf eine la- terale Halszyste angegeben. Klinischer Befund Inspektorisch zeigte sich eine deutliche Asymmetrie zugunsten der rechten Seite im Bereich der Regio III rechts. Die übrige HNO-ärztliche Spiegeluntersuchung war unauffällig. Der Palpationsbefund ergab eine derbe, gegen die Haut verschiebliche, jedoch gegen den Untergrund fixierte, nicht druckdolente Raumforderung. Ne- ben einzelnen halsnahen Nävi (. Abb. 1) zeigten sich großflächige Hautverände- rungen stammbetont (. Abb. 2), die sie von ihrer Mutter „geerbt“ hätte. Bildgebung Bei der Halssonographie wurde eine bis zu 3,5 cm große Raumforderung mit in- homogenem Binnenecho und dorsaler Schallverstärkung detektiert. Die Raum- forderung war ähnlich wie bei einer late- ralen Halszyste hinter dem M. sternoclei- domastoideus lokalisiert. Die aufgrund der uneindeutigen Untersuchungsergeb- nisse durchgeführte Computertomogra- phie mit Gabe von Kontrastmittel (KM) zeigte eine hypodense Raumforderung rechts (max. 12×48 mm), ausgehend vom Neuroforamen auf Höhe der Halswirbel- körper (HWK) 3/4 und nach medial hin bis in den Spinalkanal reichend. Die os- sären Begrenzungen stellten sich aufge- weitet dar, das Myelon nach kontralate- ral verlagert und bis zu 50% komprimiert (. Abb. 3). Neben diesem Befund be- stand eine weitere hyperdense Raumfor- derung (6×9 mm) rechts im Pons. In der veranlassten MRT-Bildgebung zeigte sich ausgehend vom erweiterten Neuroforamen die intraspinale Kompres- sion des Myelons (. Abb. 4). Nebenbe- fundlich ergaben sich weitere multiple Raumforderungen des zervikalen Ner- venplexus, betont foraminal an den Brust- wirbelkörpern (BWK) 1–4 rechts. Bild und Fall Abb. 18 Raumforderung rechts zervikal Abb. 28 Stammbetonte großflächige Hyperpigmentierung Redaktion F. Bootz, Bonn 689 HNO 8 · 2013|

Zervikale Raumforderung; Neck mass;

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HNO 2013 · 61:689–691DOI 10.1007/s00106-012-2645-4Online publiziert: 27. Januar 2013© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

F. Fahimi1 · O. Müller2 · T. K. Hoffmann1

1 Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Universitätsklinikum Essen2 Klinik für Neurochirurgie, Universitätsklinikum Essen

Zervikale Raumforderung

Falldarstellung

Anamnese

Eine 23-jährige Patientin stellte sich im guten Allgemeinzustand mit einer seit 5 Wochen bestehenden zervikalen indo-lenten Raumforderung auf der rechten Seite vor (. Abb. 1). Als Einweisungs-diagnose wurde der Verdacht auf eine la-terale Halszyste angegeben.

Klinischer Befund

Inspektorisch zeigte sich eine deutliche Asymmetrie zugunsten der rechten Seite im Bereich der Regio III rechts. Die übrige HNO-ärztliche Spiegeluntersuchung war unauffällig. Der Palpationsbefund ergab eine derbe, gegen die Haut verschiebliche,

jedoch gegen den Untergrund fixierte, nicht druckdolente Raumforderung. Ne-ben einzelnen halsnahen Nävi (. Abb. 1) zeigten sich großflächige Hautverände-rungen stammbetont (. Abb. 2), die sie von ihrer Mutter „geerbt“ hätte.

Bildgebung

Bei der Halssonographie wurde eine bis zu 3,5 cm große Raumforderung mit in-homogenem Binnenecho und dorsaler Schallverstärkung detektiert. Die Raum-forderung war ähnlich wie bei einer late-ralen Halszyste hinter dem M. sternoclei-domastoideus lokalisiert. Die aufgrund der uneindeutigen Untersuchungsergeb-nisse durchgeführte Computertomogra-phie mit Gabe von Kontrastmittel (KM) zeigte eine hypodense Raumforderung

rechts (max. 12×48 mm), ausgehend vom Neuroforamen auf Höhe der Halswirbel-körper (HWK) 3/4 und nach medial hin bis in den Spinalkanal reichend. Die os-sären Begrenzungen stellten sich aufge-weitet dar, das Myelon nach kontralate-ral verlagert und bis zu 50% komprimiert (. Abb. 3). Neben diesem Befund be-stand eine weitere hyperdense Raumfor-derung (6×9 mm) rechts im Pons.

In der veranlassten MRT-Bildgebung zeigte sich ausgehend vom erweiterten Neuroforamen die intraspinale Kompres-sion des Myelons (. Abb. 4). Nebenbe-fundlich ergaben sich weitere multiple Raumforderungen des zervikalen Ner-venplexus, betont foraminal an den Brust-wirbelkörpern (BWK) 1–4 rechts.

Bild und Fall

Abb. 1 8 Raumforderung rechts zervikal

Abb. 2 8 Stammbetonte großflächige Hyperpigmentierung

RedaktionF. Bootz, Bonn

689HNO 8 · 2013  | 

»  Diagnose: Neurofibromatose Typ 1 mit zervikalem Neurinom

Unter der Verdachtsdiagnose einer Neurofibromatose Typ 1 (NF Typ 1) wur-de die Patientin interdisziplinär vorge-stellt. In der weiteren Schnittbilddiagnos-tik ergaben sich ein asymptomatisches Optikusgliom rechts retrobulbär mit Aus-dehnung bis zum Chiasma opticum und mehrere T2-hyperintense, nicht KM-affi-ne Herde supra- und infratentoriell, wel-che am ehesten als für NF Typ 1 typische sog. UBO („unidentified bright objects“) identifiziert wurden. Ein pontiner Herd

rechts mit deutlicher KM-Affinität deu-tete auf ein Astrozytom WHO 1 (pilozy-tisches Astrozytom) hin. Von dermatolo-gischer Seite wurden multiple (>5) Café-au-lait-Effloreszenzen, kutane Fibrome, Neurofibrome an den Extremitäten und ein sog. Freckling axillär, passend zum NF Typ 1, festgestellt.

Therapie und Verlauf

Zunächst wurde die das zervikale Myelon komprimierende Raumforderung rese-ziert, um nachfolgend die zervikale, vom Truncus sympathicus ausgehende Lä-sion zu entfernen (. Abb. 5). Postopera-tiv entwickelte die Patientin ein Horner-

Syndrom rechts. Ansonsten verliefen bei-de Eingriffe komplikationslos. Die His-tologie der Raumforderung entsprach der eines gutartigen Nervenscheidentu-mors im Sinne des Neurofibroms (WHO Grad 1).

Diskussion

Die NF Typ 1 ist durch eine genetische Va-riation des Chromosoms 17 sowie der au-tosomal-dominanten Vererbung gekenn-zeichnet. Hierbei sind eine 100%ige Pe-netranz, variabler Phänotyp und in 50% der Fälle spontane Neumutationen zu be-obachten. Der Gendefekt führt zu einem Mangel an Neurofibromin, welches eine Aktivierung des Signaltransduktionspro-teins RAS bewirkt. Diese wiederum indu-ziert die Entstehung von Neoplasien und Neurofibromen an peripheren Nerven. Insgesamt zeichnet sich die Multiorgan-erkrankung NF Typ 1 vor allem durch ku-tane und neurale Manifestationen aus. Weitere klinisch diagnostische Kriterien sind mehr als 6 Café-au-lait-Flecken, 2 oder mehr Neurofibrome, Optikusglio-me, axilläres Freckling, pigmentierte Iris-harmatome (Lisch-Knötchen) oder Kno-chenveränderungen [1, 2].

Therapie der Wahl ist die operati-ve Entfernung von symptomatischen Neurofibromen [3]. Die Optikusgliome

Abb. 3 8 Computertomographie des Halses. Raumforderung rechts auf Höhe der HWK 3/4

Abb. 4 8 Raumforderung in Höhe der HWK 3/4 mit intraspinaler Kompression des Myelons

Abb. 5 9 Exstirpation des Neurofibroms

D Wie lautet Ihre Diagnose?

690 |  HNO 8 · 2013

Bild und Fall

erweisen sich bei der NF Typ 1 häufig sta-bil in ihrem Verlauf über viele Jahre. Im Fall einer Größenprogredienz und Chias-mabeteiligung wie im vorliegenden Fall ist ggf. eine Radiochemotherapie zu dis-kutieren.

Die NF Typ 1 hat i. d. R. bei Ausbleiben maligner peripherer Nervenscheidentu-moren oder Glioblastomen eine gute Pro-gnose und eine normale Lebenserwar-tung. Anhand des vorliegenden Fallbei-spiels wird deutlich, dass die Neurofibro-matose als Multiorganerkankung mit vor-wiegend kutanen und zentralen Läsionen gekennzeichnet ist. Hervorzuheben ist, dass die zufällig erhobenen Befunde, ins-besondere die zervikale Raumforderung mit Verdrängung des Myelons, lange Zeit klinisch asymptomatisch und bei Unter-suchung ohne begleitende fokal neurolo-gische Defizite waren.

Bei isolierter Betrachtung des zervika-len Befundes war eine eindeutige Zuord-nung zunächst nicht möglich. Unter Zu-sammenschau der gesammelten Befunde, insbesondere der kutanen Kardinalsym-ptome, ist die Diagnose NF Typ 1 jedoch eindeutig. Die Neutrofibromatose ver-langt als Multisystemerkrankung ein ab-gestimmtes interdisziplinäres diagnosti-sches und therapeutisches Konzept.

Korrespondenzadresse

F. FahimiKlinik für  Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Universitätsklinikum EssenHufelandstr. 55, 45147 [email protected]

Danksagung.  Ein besonderer Dank gilt Frau Wacker für die Erstellung der Photographien.

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Literatur

  1.  Grehl H, Reinhardt F (2008) Neurologie Checkliste, 4. Aufl. Thieme, Stuttgart, S 296–297

  2.  Charfeddine I, Mnejja M, Hammami B et al (2009) Neurofibromatosis type 1 revealed by malignant peripheral nerve sheath tumor. Rev Laryngol Otol Rhinol 130:327–330

  3.  Taleb FS, Guha A, Arnold PM et al (2011) Surgical management of cervical spine manifestations of neurofibromatosis type 1: long-term clinical and radiological follow-up in 22 cases. J Neurosurg Spi-ne:356–366

Neugebauer EAM, Mutschler W, Claes L (Hrsg.)Von der Idee zur PublikationErfolgreiches wissenschaftliches Arbeiten in der medizinischen  ForschungBerlin, Heidelberg, Tokio, New York:  Springer-Verlag GmbH 2011, 2. Aufl., 224 S., (ISBN 978-3-642-16068-4), 49.00 EUR

Das vorliegende 

Buch fasst die lang-

jährige Erfahrung 

im akademischen 

Mentoring von 

3 erfolgreichen 

deutschen Wis-

senschaftlern in 

der Medizin zu-

sammen. Es ist ein 

umfassender Leitfaden für die chirurgische 

Forschung. Ziel ist es, Nachwuchsforschern 

anhand eines gut strukturierten Konzeptes 

den Weg in die Forschung zu ebnen und 

wichtige Hilfestellungen sowie Ideen zu 

geben.

In den ersten drei Kapiteln wird dem Leser 

ein Überblick über Projektplanung, Pro-

jektskizzierung sowie der Antragstellung 

gegeben. Im Anschluss daran wird auf-

geführt, wie ein Projekt nach erfolgreichem 

Antrag durchgeführt und ausgewertet 

wird. Schlussendlich wird veranschaulicht, 

wie das Projekt im besten Fall mit einer 

erfolgreichen Publikation abgeschlossen 

wird. Neben allgemeinen, sehr nützlichen 

Informationen überzeugt das Buch sowohl 

durch hilfreiche Details als auch durch 

praktische Beispiele für Projektskizzen und 

Projektpläne.

Schon im Vorwort fassen die Autoren sehr 

treffend Folgendes zusammen: „Chirurgi-

sche Forschung braucht forschende Chirur-

gen“. Dieser Forderung wird das vorliegen-

de Buch in jeder Hinsicht gerecht. „Von der 

Idee zur Publikation“ ist ein sehr gelunge-

nes Werk, welches genau hier ansetzt. Es ist 

vor allem an den jungen aber auch den er-

fahrenen Kollegen gerichtet, welcher aktiv 

forscht oder dies zumindest plant. 

S. Frey und R. Meffert (Würzburg)

Rainer Meffert (Würzburg)

Buchbesprechung

691HNO 8 · 2013  |