11
Hans Mohr, Heidemarie Oelze-Karow Zum Mechanismus der Phytochromwirkung 1. Das Ziel des Projekts Abbildung 1 zeigt unser Objekt und illu- striert gleichzeitig unsere Zielsetzung. Die abgebildeten drei Keimpflanzen (weii3er Senf, Sinapis alba L.) sind genetisch prak- tisch identisch. Die auffalligen Unterschiede sind auf den Umweltfaktor ,,Licht" zuruck- zufuhren. Der Dunkelkeimling zeigt die Erscheinungen des Etiolement; die durch Licht bewirkte ,,normale" Entwicklung nennt man Photomorphogenese. Das Licht wirkt nicht uber die Photosyn- these. Das von uns verwendete, standardi- sierte ,,Dunkelrot" (ein Wellenband, das photomorphogenetisch der Wellenlange 718 nm aquivalent ist) hat praktisch den- selben morphogenetischen Effekt wie hoch- intensives Weifllicht, das Chlorophyllbil- dung und Photosynthese ermoglicht. Im Dunkelrot entstehen nur Spuren von Chlo- rophyll: Der Prozei3 der Photosynthese (gemessen als Freisetzung von 02) finder nicht statt. Das langfristige Ziel unserer Arbeitsgrup- pe ist es, Gesetzmai3igkeiten fur die Kon- trolle der Entwicklung durch die Umwelt zu finden. Hierbei verwenden wir die Dif- ferenzmethode der entwicklungsphysiologi- schen Analyse. Dies impliziert, dai3 wir darauf verzichten, die volle Komplexitft der Merkmalstrager (im gegebenen Fall der Senfkeimlinge) zu berucksichtigen. Wir studieren vielmehr die Ursachen fur die Diff erenz der beiden genetisch identischen Systeme (Licht- und Dunkelkeimling) mit dem Ziel, dabei jene Gesetzmai3igkeiten zu finden, die fur die Kontrolle der Entwick- lung durch die Umwelt mai3gebend sind. 2. Die Ausgangsposition Die Unterschiede zwischen den Senfkeim- lingen der Abbildung 1 sind letztlich auf Pf,, auf aktives Phytochrom, zuruckzu- fuhren. Der etiolierte Dunkelkeimling ent- halt nur physiologisch inaktives P,. Das im Licht aus P, entstehende Pf, bewirkt die normale Entwicklung der hoheren Pflanze, die Photomorphogenese. Das Phytochrom- system im Senfkeimling 1ai3t sich im Prin- zip mit Hilfe von 4 Elementen und 5 Re- aktionskonstanten darstellen (Abbildung 2). Im Dunkelkeimling liegt nur P, vor. Es entsteht aus einer Vorstufe P, nach einer Reaktion 0. Ordnung. Pf,, die phy- siologisch aktive Form des Systems, ent- steht nur im Licht und zwar aus P,. Die photochemische Reaktion P, + Pf, ist pho- toreversibel. In beiden Richtungen folgt das photochemische Reaktionsgeschehen einer Kinetik 1. Ordnung. Im Dunkeln ist P, stabil, Pf, hingegen instabil. Es ver- schwindet uber eine Dunkelreversion, die wir im folgenden nicht weiter in Betracht ziehen, nach P, oder iiber eine irreversible Destruktion zu P'f,. Die Destruktion ist ebenfalls eine Reaktion 1. Ordnung. Die Halbwertszeit des Pi, im Senfkeimling be- tragt 45 min (36 h nach Aussaat; Anzucht auf Keimpapier mit bidest. Wasser, 25°C). Biologie in unserer Zeitl3. Jahrg. 1973/Nr. I 137

Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

Hans Mohr, Heidemarie Oelze-Karow Zum Mechanismus der Phytochromwirkung 1. Das Ziel des Projekts

Abbildung 1 zeigt unser Objekt und illu- striert gleichzeitig unsere Zielsetzung. Die abgebildeten drei Keimpflanzen (weii3er Senf, Sinapis alba L.) sind genetisch prak- tisch identisch. Die auffalligen Unterschiede sind auf den Umweltfaktor ,,Licht" zuruck- zufuhren. Der Dunkelkeimling zeigt die Erscheinungen des Etiolement; die durch Licht bewirkte ,,normale" Entwicklung nennt man Photomorphogenese.

Das Licht wirkt nicht uber die Photosyn-

these. Das von uns verwendete, standardi- sierte ,,Dunkelrot" (ein Wellenband, das photomorphogenetisch der Wellenlange 718 nm aquivalent ist) hat praktisch den- selben morphogenetischen Effekt wie hoch- intensives Weifllicht, das Chlorophyllbil- dung und Photosynthese ermoglicht. Im Dunkelrot entstehen nur Spuren von Chlo- rophyll: Der Prozei3 der Photosynthese (gemessen als Freisetzung von 0 2 ) finder nicht statt.

Das langfristige Ziel unserer Arbeitsgrup- pe ist es, Gesetzmai3igkeiten fur die Kon- trolle der Entwicklung durch die Umwelt zu finden. Hierbei verwenden wir die Dif- ferenzmethode der entwicklungsphysiologi- schen Analyse. Dies impliziert, dai3 wir darauf verzichten, die volle Komplexitft der Merkmalstrager (im gegebenen Fall der Senfkeimlinge) zu berucksichtigen. Wir studieren vielmehr die Ursachen fur die Diff erenz der beiden genetisch identischen Systeme (Licht- und Dunkelkeimling) mit dem Ziel, dabei jene Gesetzmai3igkeiten zu finden, die fur die Kontrolle der Entwick- lung durch die Umwelt mai3gebend sind.

2. Die Ausgangsposition

Die Unterschiede zwischen den Senfkeim- lingen der Abbildung 1 sind letztlich auf Pf,, auf aktives Phytochrom, zuruckzu- fuhren. Der etiolierte Dunkelkeimling ent- halt nur physiologisch inaktives P,. Das im Licht aus P, entstehende Pf, bewirkt die normale Entwicklung der hoheren Pflanze, die Photomorphogenese. Das Phytochrom- system im Senfkeimling 1ai3t sich im Prin- zip mit Hilfe von 4 Elementen und 5 Re- aktionskonstanten darstellen (Abbildung 2). Im Dunkelkeimling liegt nur P, vor. Es entsteht aus einer Vorstufe P, nach einer Reaktion 0. Ordnung. Pf,, die phy- siologisch aktive Form des Systems, ent- steht nur im Licht und zwar aus P,. Die photochemische Reaktion P, + Pf, ist pho- toreversibel. In beiden Richtungen folgt das photochemische Reaktionsgeschehen einer Kinetik 1. Ordnung. Im Dunkeln ist P, stabil, Pf, hingegen instabil. Es ver- schwindet uber eine Dunkelreversion, die wir im folgenden nicht weiter in Betracht ziehen, nach P, oder iiber eine irreversible Destruktion zu P'f,. Die Destruktion ist ebenfalls eine Reaktion 1. Ordnung. Die Halbwertszeit des Pi, im Senfkeimling be- tragt 45 min (36 h nach Aussaat; Anzucht auf Keimpapier mit bidest. Wasser, 25°C).

Biologie in unserer Zeitl3. Jahrg. 1973/Nr. I 137

Page 2: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

Chemisch handelt es sich beim Phytochrom um ein Chrornoprotein, mit einem offen- kettigen Tetrapyrrol als chromophorer Gruppe (Abbildung 3). Die reversible Pho- totransformation (P, Z Pf,.) ist komplex.

Der Anregung folgen in beiden Richtungen eine Reihe von Relaxationsprozessen. Sie schliei3en eine Isomerisation der chromopho- ren Gruppe, einen Protonentransfer und Konformationsanderungen der Polypeptid- kette ein. Wir interessieren uns hier ledig- lich fur Pf, im Grundzustand, d. h. fur je- nes Pf,, das nach Abschlui3 der Relaxations- prozesse im Dunkeln vorliegt und seine morphogenetische Wirkung entfaltet.

Die Absorptionsspektren von P, und Pf, uberlappen sich im ganzen Bereich des sichtbaren Spektrums (Abbildung 4). Dies fuhrt zur Einstellung photostationarer Zu- stande (oder Photogleichgewichte), die man

als den Quotienten qL= ~ [Pf r l anzugeben [Ptotalla

pflegt, wobei [P,.] + [Pf,] = [Ptotal] oder [Ptot] ist (die [ ] bedeuten Konzentrationen, 1 bedeutet Wellenlange). Die photostatio- naren Zustande (die pa-Werte) sind in vivo nicht leicht zu messen, da die Konzentration des Phytochroms sehr gering ist, und da man bei den einzelnen Wellenlangen rela- tiv hohe Quantenstromdichten braucht, um die photochemischen Reaktionskonstanten (Iki und Ikz) sehr groi3 gegenuber 1kd zu machen. Es gibt aber neuerdings zuverlassi- ge Daten, z.B. die von Hartmann undSpruit in der Hakenregion des Senfhypokotyls gemessenen Werte (Abbildung 5). Man sieht, dai3 im hellroten Spektralbereich nach Einstellung des photostationaren Zustan- des etwa 80 % des Gesamtphytochroms als Pf, vorliegen, im dunkelroten Spektralbe- reich hingegen nur wenige Prozent (bei der Wellenlange 720 nm etwa 2,5 yo).

Im Standard-Dunkelrot, ein Wellenband, das bezuglich des Phytochromsystems der Wellenlange 718 nm entspricht (vgl. Abbil- dung l), stellt sich rasch ein Photo-Fliei3- gleichgewicht (photo steady state) des Phy- tochromsystems mit 2,3 % Pi, ein (Abbil- dung 6). Die Destruktion von Pf, und die Neubildung von P, halten sich die Waage. Dies gift sowohl fur die Kotyledonen als auch fur den Hypokotylhaken des Senf- keimlings (Abbildung 7), falls der Senf- keimling zum Zeitpunkt 36 h nach der Aus- saat der Samen zum ersten Ma1 belichtet wird.

Das Phytochromsystem (vgl. Abbildung 21 zeigt keine cooperativen Eigenschaflen'>, auch nicht in jenen Zellen, in denen eine hochgradig geordnete, dichroitische An- ordnung der Phytochrommolekule nachge- wiesen wurde. Die Reaktionsgeschehen 1. Ordnung zeigen, dai3 sowohl bei den pho- tochemischen Transformationen als auch bei den Dunkelprozessen die einzelnen Mole- kule zufallsmai3ig in das Reaktionsgesche- hen einbezogen werden. Die Frage ist, ob dies auch fur jenes Reaktionsgeschehen gilt, uber das Pf, in die Morphogenese eingreik

Wir stellen uns nun die Frage, wie das Pf, morphogenetisch wirkt. Man kann diese Frage formal folgendermai3en formulieren:

wirkung ist das Fehlen dieses Beweises je- doch unbedeutend. Die LOG oxydiert be- stimmte ungesattigte Fettsauren, z. B. Linol- saure, zu den entsprechenden Hydroperoxi- den. Diese lassen sich spektralphotometrisch bestimmen. Die physiologische Funktion des Enzyms, uber die es noch verschiedene Mei- nungen gibt, ist fur unsere momentane Fra- gestellung nicht relevant. Deshalb soll die- ser Aspekt nicht weiter behandelt werden. Wichtig hingegen ist die Feststellung, dai3 sich mehr als 95 % der LOG eines Keim- lings in den Kotyledonen nachweisen las- sen und dai3 das Enzym in den Kotyledo- nen auch gebildet wird (Experimente mit isolierten Kotyledonen).

3. Die Grundbeobachtungen Pf, + X -+ Pf,X - - --+ Am.

Die Reaktion, die zu Pf,X fuhrt, nennt man die Primarreaktion des Pf,. Am ist das Sym- bol fur die Merkmalsanderungen, die Pf, letztlich bewirkt, und die man morpholo- gisch, biochemisch oder biophysikalisch mes- sen kann. Das Phanomen der Photomor- phogenese (vgl. Abbildung 1) lafit sich in lauter Merkmalsanderungen (Ami) zerle- gen. Die ursprungliche Annahme, alle Phy- tochromwirkungen seien auf ein und die- selbe Primarreaktion zuruckzufuhren, hat sich nicht bewahrt. Heute neigt man aus guten Grunden zu der Ansicht, dai3 es meh- rere Primarreaktionen des Pf, gibt (PfrXi).

Wir beschranken uns deshalb bei der Be- handlung der Frage, ob sich bei der Phyto- chromwirkung cooperative Eigenschafien abzeichnen, auf eine bestimmte Merkmals- anderung, namlich die Regulation der ap- parenten Synthese des Enzyms Lipoxyge- nase (=LOG) in den Kotyledonen des Senfkeimlings durch Pf,. Der Ausdruck ,,apparente" Synthese soll andeuten, dai3 zwar alle Versuche mit Hemmstoffen der RNA- und Proteinsynthese darauf hinwei- sen, dai3 der Anstieg der Enzymaktivitat eine entsprechende Zunahme von Enzym- molekulen reprasentiert; aus technischen Grunden war es aber bisher nicht moglich, die de novo-Synthese der LOG durch Dich- temarkierung zu beweisen. Fur die Frage nach der Cooperativitat der Phytochrom-

'"her Cooperativitat vergleiche man den Artikel ,,Allosterie und Coaperativitat bei Enzymen des Zellstoffwechsels" von B. S. Dugal, biuz 3/2, 1973, S. 40-49.

Die 1. Beobachtung (Abbildung 8): Die ap- parente Enzymsynthese des Dunkelkeim- lings wird durch Dauer-Dunkelrot (also durch 2,3 % Pf,) sofort und total gehemmt. Die Hemmung halt iiber den gesamten Ex- perimentierzeitraum hinweg an. Die 2. Be- obachtung: Stellt man zum Zeitpunkt 0 (also 36 h nach Aussaat) rnit einem 5 min- Lichtstoi3, der die volle Einstellung des je- weiligen photostationfren Zustandes ga- rantiert, 80 % Pf, (mix Standard-Hellrot) oder 2,3 Yo Pf, (mit Standard-Dunkelrot) ein, so beobachtet man, dai3 die apparente Enzymsynthese nach dem Dunkelrot-Stag fur weitere 40 min, nach dem Hellrot-Stag hingegen fur 4,s h blockiert bleibt. Schaltet man das Dunkelrot erst nach 6 h ab, so dauert es ebenfalls 40 min, bevor die appa- rente LOG-Synthese wieder einsetzt. Zwei Schlusse drangen sich unmittelbar auf : Die Blockierung der apparenten LOG-Synthese durch Pf, hat den Charakter einer Alles- oder-Nichts-Reaktion. Das Phytochromsy- stem andert seine Eigenschaften im Verlauf von 6 h Dunkelrot-Dauerlicht nicht erheb- lich. Der letztere Schlui3 wird durch die di- rekte photometrische Messung des Phyto- chromsystems (vgl. Abbildung 7) bestatigt.

.Die operationalen Kriterien fur die Beteili- ' gung von Pf, bei der Photoregulation der

apparenten LOG-Synthese sind erfullt. Die Erwartung ist, dai3 ein Bestrahlungspro- gramm: 5 min Dunkelrot und ein Bestrah- lungsprogramm: 5 min Hellrot -t 5 min Dunkelrot dieselbe Kinetik liefern werden. Die Erwartung basiert auf dem folgenden Argument (vgl. Abbildung 5): 5 rnin Hell- rot ergeben 80 % Pf,; 5 min Dunkelrot er- geben 2,3 Yo Pf,; 5 min Hellrot -t 5 rnin

138 Biologie in unserer Z e i t l 3 . Jahrg. I9731 Nr. I

Page 3: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

Biologie in unserer Zeit/3. Jahrg. 19731Nr. 5 139

Page 4: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

140 Biologie in unserer Zeitl3. Jahrg. 1973/Nr . I

Page 5: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

Dunkelrot ergeben ebenfalls 2,3 % Pf,, da die jeweils zuletzt gegebene Bestrahlung den photostationaren Zustand festlegt, mit dem der Keimling ins Dunkel geht. Die Da- ten der Abbildung 9 zeigen in der Tat die erwartete totale Revertierung des Hellrot- EfTektes durch das nachfolgende Dunkelrot.

4. Eine Zwischenbilanz

Die Hemmung der apparenten LOG-Syn- these erfolgt durch Pf, im Grundzustand (vgl. S. 138). Hierbei spielt ein Alles-oder- Nichts-Mechanismus die entscheidende Rolle. Die Analyse dieses Phiinomens konnte einen wesentlichen Beitrag zum Verstandnis der Pt,X-Reaktion liefern.

Wir erinnern uns jetzt an einige Daten,

die bei der Behandlung des Phytochrom- systems (vgl. Abbildung 2) genannt wur- den, z. B. daran, dai3 das Pf, im Senfkeim- ling nach einem Reaktionsgeschehen 1. Ordnung mit einer Halbwertszeit von 45 min (36 h nach Aussaat, bei 25°C) durch Destruktion verschwindet. Fassen wir nochmals Abbildung 9 ins Auge: Ein Hell- rotstoi3 zum Zeitpunkt 0 (36 h nach Aus- saat) liefert 80 Yo Pf,, bezogen auf Gesamt- phytochrom zum Zeitpunkt 0. Es dauert genau 4,s h (bezogen auf den Zeitpunkt 0 = Lichtbeginn) bis die apparente Enzym- synthese wieder einsetzt. Geht man von einern photostationaren Zustand fur Hell- rot von 80 % Pf, und von einer Halbwerts- zeit fur Pf, von 45 min aus, so ergibt die Rechnung, dai3 zum Zeitpunkt des Wie- dereinsetzens der apparenten LOG-Syn-

these noch 1,25 % Pf, vorliegen. Im Fall von Dunkelrot liefert ein Lichtstoi3 zum Zeitpunkt 0 2,3 yo Pf,. Es dauert 40 min, bis die apparente Enzymsynthese wieder einsetzt. Die Rechnung ergibt, dai3 zum Zeitpunkt des Wiedereinsetzens der LOG- Synthese noch 1,25 % Pf, vorliegen.

Daraus haben wir den Schlui3 gezogen, dai3 die beobachtete Alles-oder-Nichts-Reaktion den Charakter einer Schwellenwertsreak- tion hat, dergestalt, dai3 unterhalb des Schwellenwerts die apparente LOG-Syn- these von Pf, nicht tangiert, oberhalb des Schwellenwerts aber total gehemmt wird (Abbildung 10). Dieses Konzept hat sich ausgezeichnet bewahrt und zu einigen Ein- sichten gefiihrt, die fur das Verstandnis der Regulation bei hoheren Organismen allge-

Biologie in unserer Z e i t / 3 . Jahrg. 19731 Nr. 5 141

Page 6: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

mein bedeutsam sein durften. Wir gehen davon aus, dai3 die beobachtete Schwellen- wertsreaktion eine hochgradige Cooperati- vitut auf dem Niveau der Pf,X-Reaktion widerspiegelt.

5. Die Symmetrie der Schwellenwerts- reaktion

Das Schwellenwertsmodell (Abbildung 10) ist symmetrisch. Die Frage ist, ob diese Symmetrie auch kinetisch gerechtfertigt ist. Die Antwort geben Experimente der Art, wie sie auf der Abbildung 11 darge- stellt sind. Dauer-Dunkelrot, vom Zeit- punkt 0 ab gegeben, hemmt die apparente LOG-Synthese uber den ganzen Versuchs- zeitraum hinweg. Die Erklarung ist, dai3 das Dunkelrot uber den ganzen Zeitraum

hinweg einen konstanten Phytochrompe- gel und damit einen konstanten Pf,-Pegel von 2,3 % Pf, (bezogen auf [Ptotal] zum Zeitpunkt 0) aufrecht erhalt. Dieser Pegel liegt weit uber dem Schwellenwert von 1,25 % Pf,. Belichtet man vom Zeitpunkt 0 ab mit Hellrot, so sinkt wegen der starken Destruktion von Pi, (80 % Pi,!) der Phy- tochromgehalt ab. Die diesbezugliche Rech- nung wird durch direkte Phytochrommes- sungen bestatigt: Nach 2 h Hellrot ist der Gesamtphytochromgehalt auf etwa 17 '33

des ursprunglichen Gehalts (zum Zeitpunkt 0) abgesunken. Wenn man jetzt auf Dun- kelrot umschaltet, stellt sich ein Pf,-Pegel von 17 x 0,023 = 0,4 % Pf, (bezogen auf [Ptotal] zum Zeitpunkt 0) ein. Dieser Pegel liegt weit unter dem Schwellenwert. Dem- gemafi setzt die apparente LOG-Synthese

sofort und mit voller Intensitat wieder ein, sobald man von Hellrot auf Dauer-Dun- kelrot umschaltet. Durch derlei Experimen- te kann die Symmetrie des Modells auch vom Standpunkt der Kinetik aus gerecht- fertigt werden. Daruber hinaus zeigt das Experiment, dai3 das jeweilige Verhaltnis [Pf,]/[Pt,t] fur die Regulation nicht wichtig ist. Dieses jeweilige Verhaltnis ist im Dauer- Dunkelrot stets gleich (2,3 %). Nach 2 h Hellrot-Belichtung hat das Dunkelrot je- doch keinen Effekt, ohne Hellrot-Vorbe- lichtung den vollen Effekt. Es kommt in der Tat nur auf die absolute Menge an Pi, an.

Wir geben diese Menge stets in Prozent des Ptotal-Wertes zum Zeitpunkt 0 an. Da die- ser Wert eine Konstante ist, reprasentieren die Prozentwerte an Pf, absolute Mengen.

142 Biologie in un~erer Zei t l3 . Jahrg. 19731Nr. I

Page 7: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

6. Die indirekte Bestimmung der pl-Werte

Zum Zeitpunkt O wurden mit verschiedenen Wellenlangen die jeweiligen photostationa- ren Zustande mit 5 min-Bestrahlung einge- stellt, und die Zeitdauer A t zwischen dem Ende der 5 min-Belichtung und dem Wie- dereinsetzen der apparenten LOG-Synthese bestimmt (Abbildung 12). Von diesen em- pirisch ermittelten At-Werten wird nun auf die pi-Werte zum Zeitpunkt 0 extrapoliert (Abbildung 13). Die hierbei gemachten An- nahmen (die Destruktionsreaktion 1. Ord- nung fur Pfr, die Halbwertszeit von 45 min f i r Pfr, die Wellenlangenunabhangigkeit des Schwellenwerts) sind empirisch zu recht- fertigen. Abbildung 14 zeigt, dai3 die auf diese Weise ermittelten pl-Werte sehr gut mit den von Hartmann und Spruit im Hy-

pokotylhakengewebe spektral-photome- trisch ermittelten PA-Werten ubereinstim- men (vgl. Abbildung 5). Hingegen weichen diese pi-Werte erheblich von jenen Werten ab, die Schafer und Mitarbeiter in unserem Freiburger Laboratorium in den Senfkotyl- edonen spektral-photometrisch gemessen haben. Der pi-Wert fur Dunkelrot liegt in den Kotyledonen in der GroGenordnung von 7,5 %. Wir haben daraus den Schlui3 gezogen, dai3 das bei der Kontrolle der ap- parenten LOG-Synthese aktive Phyto- chrom in der Hakenregion lokalisiert ist und nicht in den Kotyledonen.

Die experimentelle merprufung dieser Hy- pothese ergab, dai3 isolierte Kotyledonen beziiglich der apparenten LOG-Synthese in der Tat nicht mehr auf Licht reagieren. Die

volle Dunkelrot-Wirkung auf die apparente LOG-Synthese wird hingegen beobachtet, solange der gekrummte Teil des Hypoko- tyls, also die Hakenregion, mit den Kotyl- edonen verbunden bleibt (Abbildung 15). Die Keimwurzel und der basale Teil des Hypokotyls sind fur die Reaktion nicht wichtig. Es scheint keine Alternative zu der Auffassung zu geben, dai3 das Pf, vom obe- ren Achsenabschnitt (einschliei3lich Vegeta- tionspunkt) aus die apparente LOG-Syn- these in den Kotyledonen uber eine Schwel- lenwertsreaktion reguliert. Dies verlangt eine hohe Cooperativitat der Primarreak- tion des Pf, und eine rapide Kommunika- tion zwischen Achse und Kotyledonen. Bei der Obertragung des Signals bleibt der Mo- dus einer Alles-oder-Nichts-Reaktion er- halten. Wir glauben, dai3 der Ausdruck

Biologie in rnserer Zeit/3.]ahrg. 1973/Nr. 5 143

Page 8: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

144 Biologie in unserer Z e i t / 3 . Jahrg. 1973lNr. 5

Page 9: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

,,Obertragung eines Zustandes" das Ge- schehen zwischen Achse und Kotyledonen zutreffend charakterisiert. Dber die ,,Na- tur" des Zustandes konnen noch keine Aus- sagen gemacht werden.

7. Die Steilheit der Schwelle

Die Frage nach der Steilheit der Schwelle (vgl. Abbildung 10) ist gleichzeitig die Fra- ge nach dem AusrnaJ der Cooperativitat des Pf, bei der Primarreaktion bezuglich der LOG-Regulation. Um einen Minirnalwert fur die Steilheit zu gewinnen, nehmen wir fiktiv an, der extrapolierte Schwellenwert von 0.0125 (vgl. Abbildung 13) reprasen- tiere den ,,wahren" Schwellenwert, und die ,,wahre" Steilheit der Schwelle in Abbil- dung 10 sei 90" (gegenuber der Basislinie). Abbildung 16 zeigt, dai3 der wahre Schwel- lenwert fur Pf, zwischen den a,A-Werten fur 724nm und 727nm liegen mui3: Eine 5min- Bestrahlung mit 724nm fuhrt noch zu einem mei3baren At-Wert, der in der Gro- i3enordnung von 3 min liegt; eine 5 min- Bestrahlung mit 727nm ist vollig wirkungs- los, a, 727 nm liegt also unter dem Schwellenwert. Eine noch weitergehende Eingrenzung ist aus technischen Grunden (Halbwertsbreite der DEPIL-Interferenz- filter etwa 5 nm) zur Zeit nicht moglich.

Aus dem At-Wert von etwa 3min fur 724 nm berechnet man das V724nm mit 0.0130. Wie 1ai3t sich 9727 nm bestimmen?

Bei Dauerbestrahlung mit Standard-Dun- kelrot (das entspricht dem a, bei 718 nm) halten sich die Synthese von P, und die De-

struktion von Pfr genau die Waage (vgl. Abbildung 7). Das Resultat ist ein Photo- Fliefigleichgewicht f ur Pto ta l uber einen Zeit- raum von mehr als 6 h (vgl. Abbildung 9). Bei 727 nm uberwiegt die Synthese, da a,72Tnm< P)718nm ist und die Destruktions- geschwindigkeit fur Pto ta l proportional zu

- dP

dt a, ist (- = 1 k d . q). Wenn man 727 nm-

Dauerlicht gibt, ist zu erwarten, dai3 irgend- wann Repression auftritt; namlich dann, wenn

kurzlich von Schafer und Mitarbeitern in direkten photometrischen Phytochrommes- sungen im Hakenbereich des Senfkeimlings prazise bestatigt (vgl. Abbildung 7). Aus der Formel (a) laat sich das gesuchte (P7271lm

mit 0.0118 berechnen. Diese Groi3e wurde in weiteren Experimenten verifiziert, Z. B. mit dem folgenden Ansatz (vgl. Abbildung 17): Die Bedingung fur die Hemmung der apparenten LOG-Synthese ist durch die Gleichung

ist.

Dies ist nach 5,3 h (= 320min) der Fall (Ab- bildung 17).

Es gilt nun:

(a) 9 7 2 7 nm * ([Ptotal] Dunkel; 5,3 h - 'kd *

~ 7 2 7 ~ ~ * 320) = 0.0125

Der Term [Ptotal] Dunkel; 5,3 h kann bestimmt werden, da die Zunahme von Pto ta l im Dun- keln innerhalb von 5,3 h gleich der De- struktion ist, die man im Dauer-Dunkelrot (=718 nm) innerhalb dieses Zeitraums be- obachtet (vgl. Abbildung 7).

Es gilt:

Ikd. V718nm. 320 = 0.113 und demgemai3

[Ptotal] Dunkel:5.3h = 1.113

Dieser indirekt ermittelte Wert wurde

gegeben. Da die Reaktionskonstante Ok, fur die Zunahme von Pto ta l im Dunkeln be- kannt ist (vgl. den letzten Absatz), kann man berechnen, dai3 2.B. 3 h nach dem Zeitpunkt 0 die Menge an Ptota1,Dunkel

1.064 sein wird (immer bezogen auf [ P t o t a ~ ]

zum Zeitpunkt 0 = 1). Der entsprechende

Dieser Wert liegt geringfugig uber dem theoretischen Schwellenwert (0.0125). Ab- bildung 17 zeigt, dai3 eine Bestrahlung rnit der Wellenlange 727 nm, die 3 h nach dem Zeitpunkt 0 einsetzt, in der Tat zu einer sofortigen Hemmung der apparenten LOG- Synthese fuhrt.

q727 nm ' [Ptotal] 3 h, Dunkel-Wert ist 0.0126.

Dauerlicht mit langeren Wellenlangen, z. B. 738 nm, hat innerhalb von 9 h kei- nerlei repressive Wirkung, wahrend Dauer- licht mit der Wellenlange 724 nm erwar- tungsgemafl die apparente LOG-Synthese vollig unterdruckt.

Der fur das Problem der Cooperativitat der Primarreaktion besonders wichtige Ge-

Biologie in unserer Zeitl3. Jahrg. 1973/Nr. fi 145

Page 10: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

146 Biologie in unserer Zeitl3.]ahrg. 19731 Nr. 5

Page 11: Zum Mechanismus der Phytochromwirkung

dankengang sei nun zusarnrnengefaflt. Es gilt:

Damit kann wenigstens eine numerische Minimalaussage uber die Steilheit der Schwelle (vgl. Bild 9) gemacht werden. Sie lautet: Das LOG produzierende System in den Kotyledonen des Senfkeimlings rea- giert auf eine Anderung der relativen Pf,- Menge von

118 auf 130 rnit totaler Hemmung und von 130 auf 11 8 rnit totaler Ent-Hemmung.

Mit anderen Worten: Liegt die relative Pf,- Menge 118 (10) vor, so nimmt das LOG produzierende System keine Notiz vom Phytochrom; liegt hingegen die relative Pf,- Menge 130 (11) vor, so reagiert das LOG produzierende System mit sofortiger und totaler Hemmung. Dies irnpliziert eine un- geheuer hohe Cooperativitat der Pf,+X+ Pf,X-Reaktion. Es ist unseres Wissens das erste Mal, dai3 die hohe Cooperativitat ei- nes bei der Entwicklung vielzelliger Sy- steme tatigen Effektormolekuls experimen- tell aufgezeigt und durch einen Minimal- wert quantitativ charakterisiert werden konnte.

Es erscheint uns verfruht, detailliert uber Cooperativitats-Modelle zu spekulieren, die geeignet waren, die bei der Primarreak- tion des Pf, beobachtete Alles-oder-Nichts- Reaktion zu erklaren. Im Prinzip konnte das von Changeux vorgeschlagene Mem- branmodell fur unseren Fall herangezogen werden (Abbildung 18): Pf, ware analog einem Liganden und der primare Reaktant von Pf, ( X ) ware analog einer bereits vor der Belichtung existierenden Matrix (Mem- bran), welche die EigenschaR besitzt, vollig reversible Konformationsanderungen mit einem hohen Grad an Kooperativitat aus- zufuhren. Die eine Konformation der Ma- trix (Menge an Pf, unter dem Schwellen- wert) erlaubt die apparente LOG-Synthese; die andere Konformation der Matrix (Menge an Pf, uber dem Schwellenwert) erlaubt sie nicht. Die Konformationsande- rungen erfolgen in der Achse (Hakenbe- reich), die apparente LOG-Synthese spielt sich in den Kotyledonen ab. Es wird eine unserer kunRigen Aufgaben sein, eine Ma- trix (Membran?), welche die postulierten

Konformationsanderungen unter dem Ein- flui3 von Pf, ausfuhrt, aus dem Hypokotyl- haken zu isolieren. Die weitere Aufgabe besteht darin, die rasche Signalleitung von der Achse in die Kotyledonen (,,Obertra- gung eines Zustandes") naher zu untersu- chen. Es ist nicht ausgeschlossen, dai3 sich dabei neue und unerwartete Gesichtspunkte zur ,,Verhaltensphysiologie" der hoheren Pflanze ergeben werden.

8. Zusammenfassung der Schluflfolge- rungen

(1) Die Schwellenwertsregulation (oder Alles-oder-Nichts-Reaktion), die man bei der Kontrolle der apparenten LOG-Syn- these durch Pf, beobachtet, erfordert zu ih- rer Erklarung eine hohe Cooperativitat der Pf,+X+Pf,X-Reaktion und eine vollstan- dige Synchronisation der an der apparen- ten LOG-Synthese beteiligten Zellen.

(2) Der durch zwei unabhangige Befunde gestutzte SchluB, dai3 das bei dieser Reak- tion aktive Pf, im oberen Teil der Keim- achse (und nicht in den Kotyledonen) loka- lisiert ist, kann unseres Erachtens nur ver- standen werden, wenn man annimmt, dai3 eine sehr rasche und prazise Signalleitung vom Haken in die Kotyledonen moglich ist. Der normale epigaische Keimvorgang einer dikotylen Pflanze steht im Einklang rnit der Auffassung, dai3 dem Hypokotylhaken eine besondere Bedeutung bei der Aufnah- me und Verarbeitung des ,,Lichtreizes" zu- kommt (Abbildung 19).

Unsere Arbeiten wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft ermoglicht (SFB 46, Projekt Mohr).

Literatur

Changeux, J. P.: Remarks on the symme- try and cooperative properties of biolo- gical membranes. In: Symmetry and Func- tion of Biological Systems at the Macro- molecular Level, p. 235-256. (Engstroifi, A,, Strandberg, B., eds.) Almqvist & Wik- sell, Stockholm 1969.

Mitrakos, K. and W. Shropshire, Jr. (eds.): Phytochrome. Academic Press, London - New York 1972.

Mohr, H.: Lectures on Photomorphoge- nesis. Springer, Berlin - Heidelberg - New York 1972.

Oelze-Karow, H. and H. Mohr: Quanti- tative correlation between spectrophoto- metric phytochrome assay and physiolo- gical response. Photochem. Photobiol. 18, 319-330 (1973).

Oelze-Karow, H., P. Schopfer and H. Mohr: Phytochrome-mediated repression of enzyme synthesis (Lipoxygenase): A threshold phenomenon. Proc. Nat. Acad. Sci. U. S. 65, 51-57 (1970).

Schafer, E., W. Schmidt and H. Mohr: Comparative measurements of phytochro- me in cotyledons and hypokotyl hook of mustard (Sinapis alba L.) Photochem. Pho- tobiol. 18, 331-334 (1973).

Dr. Heidemarie Oelze, geb. Karow, 1940 in Berlin. Studium der Biologie an der Uni- versitat Freiburg. Promotion 1969 mit ei- ner Arbeit uber Lipoxygenase. 1970/71 Forschungsaufenthalt bei Dr. W. L. Butler an der Universitat in San Diego, Kalifor- nien. Untersuchung der Photophosphorylie- rung in vivo. Anschliei3end wissenschaftli- cher Mitarbeiter am Institut fur Biologie I1 der Universitat Freiburg (SFB 46, Pro- jekt Mohr).

Prof. Dr. Hans Mohr, geb. 1930 in Altburg (Schwarzwald). 1950/55 Studium der Na- turwissenschaften und PromoFion an der Universitat Tubingen bei Prof. Bunning. 1956/57 postdoctoral research fellow in der Forschungsgruppe von H. A. Borthwick und S. B. Hendricks in Beltsville - U.S.A. 1959 Habilitation fur Botanik in Tubingen. Seit 1960 Professor fur Biologie an der Uni- versitat Freiburg (Lehrstuhl fur Botanik). Seit 1966 Mitglied der ,,Leopoldina". 1971 Visiting Professor an der University of Massachusetts. 1970/72 Prorektor fur For- schung der Universitat Freiburg.

Biologie in unserer Z e i t l 3 . Jahrg. 19731 N r . 5 147