9
© Prof.. Dr. Karl-Heinz Boeßenecker - Bundesfachtagung „Gemeinsam auf dem Weg“ – 5./6. Oktober 2004, Heilbronn Zum Stand der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe Gliederung: 1. Die Ausgangslage: Neue Rahmenbedingungen erzwingen Neupositionierungen 2. Die Qualitätsdebatte - Konzeptentwicklungen 3. Befunde 4. Uneingelöste Perspektiven Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Anwesende, mit der heutigen Fachtagung soll ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einem besseren Qualitätsmanagement sozialer Dienstleistungen gesetzt werden. Anlass ist der vorläufige Abschluss eines mehrjährigen Modellprojektes, dessen Anfänge sich bis in die frühen 1990er Jahre zurückverfolgen lassen. Gerne bin ich der Anfrage gefolgt, die heute und morgen stattfindenden Fachdiskussionen mit einem Einführungsreferat zu bereichern. Gewissermaßen aus der Vogelperspektive werde ich zum Thema Qualitätsentwicklung referieren und versuchen, einen roten Faden zu zeichnen. Allerdings bin ich skeptisch, ob es einen solchen „roten Faden“, gemeint als ein durchgängiges fachliches Muster in der Qualitätsdebatte überhaupt gibt. Sie werden bald sehen, dass die Anlässe, Motive und Positionen der vorliegenden Konzepte sehr unterschiedlich, zum Teil sogar kontrovers angelegt sind. Auf jeden Fall soll mein Beitrag es ermöglichen, das in der Region Heilbronn-Franken entwickelte Modell in einem größeren Zusammenhang zu sehen und vielleicht mit einigen weiteren Überlegungen anzureichern. Lassen Sie mich einleitend noch eine kleine Ergänzung zu meiner Person vornehmen. Neben meiner Professur für Verwaltung und Organisation sozialer Dienste leite ich den Forschungsschwerpunkt Wohlfahrtsverbände/Sozialwirtschaft. Die Befunde, die ich Ihnen heute vortrage, sind aus einem mehrjährigen Forschungsprojekt über die „Genese und Entwicklung von Qualitätskonzepten in der Sozialen Arbeit“ gewonnen. Hinweise auf diese Studie finden Sie in Ihren Tagungsunterlagen. Nun aber zum Thema. Ich habe hierfür vier Überschriften gewählt. 1. Die Ausgangslage: Neue Rahmenbedingungen erfordern Neupositionierungen 2. Die Qualitätsdebatte - Konzeptentwicklungen 3. Befunde 4. die Arbeit ist noch nicht erledigt – uneingelöste Perspektiven! 1. Die Ausgangslage: Neue Rahmenbedingen erfordern Neupositionierungen Wie wir alle wissen und erleben, befindet sich die Soziale Arbeit schon seit geraumer Zeit in einer neuen Entwicklungsphase. Zunehmend ist sie konfrontiert mit neuen wettbewerblichen Herausforderungen. Früher praktizierte und bewährte Strategien der Bestandssicherung und Legitimation einer öffentlichen Förderung taugen immer weniger für notwendige Neupositionierungen. Wenn auch zuweilen noch zögerlich, so wird doch vermehrt Abstand genommen von einem verklärenden Selbstbild uneigennütziger Mildtätigkeit. Der Titel einer vor wenigen Wochen stattgefundenen Fachtagung ist hierfür bezeichnend. Unter dem Slogan „Abschied vom barmherzigen Samariter“ diskutierten in der Ev. Akademie Tutzing maßgebliche Vertreter der Diakonie über die weitere Zukunft diakonischer Einrichtungen. Zunehmend wird also erkannt und akzeptiert, dass die ökonomische Realität des Sozialsektors anders aussieht, als es der bisher ritualisiert vorgetragene Verweis auf eine selbstlose Gemeinnützigkeit vorspiegelt. Nur einige Stichworte sollen dies illustrieren: 1

Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

© Prof.. Dr. Karl-Heinz Boeßenecker - Bundesfachtagung „Gemeinsam auf dem Weg“ – 5./6. Oktober 2004, Heilbronn Zum Stand der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe Gliederung: 1. Die Ausgangslage: Neue Rahmenbedingungen erzwingen Neupositionierungen 2. Die Qualitätsdebatte - Konzeptentwicklungen 3. Befunde 4. Uneingelöste Perspektiven Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Anwesende, mit der heutigen Fachtagung soll ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einem besseren Qualitätsmanagement sozialer Dienstleistungen gesetzt werden. Anlass ist der vorläufige Abschluss eines mehrjährigen Modellprojektes, dessen Anfänge sich bis in die frühen 1990er Jahre zurückverfolgen lassen. Gerne bin ich der Anfrage gefolgt, die heute und morgen stattfindenden Fachdiskussionen mit einem Einführungsreferat zu bereichern. Gewissermaßen aus der Vogelperspektive werde ich zum Thema Qualitätsentwicklung referieren und versuchen, einen roten Faden zu zeichnen. Allerdings bin ich skeptisch, ob es einen solchen „roten Faden“, gemeint als ein durchgängiges fachliches Muster in der Qualitätsdebatte überhaupt gibt. Sie werden bald sehen, dass die Anlässe, Motive und Positionen der vorliegenden Konzepte sehr unterschiedlich, zum Teil sogar kontrovers angelegt sind. Auf jeden Fall soll mein Beitrag es ermöglichen, das in der Region Heilbronn-Franken entwickelte Modell in einem größeren Zusammenhang zu sehen und vielleicht mit einigen weiteren Überlegungen anzureichern. Lassen Sie mich einleitend noch eine kleine Ergänzung zu meiner Person vornehmen. Neben meiner Professur für Verwaltung und Organisation sozialer Dienste leite ich den Forschungsschwerpunkt Wohlfahrtsverbände/Sozialwirtschaft. Die Befunde, die ich Ihnen heute vortrage, sind aus einem mehrjährigen Forschungsprojekt über die „Genese und Entwicklung von Qualitätskonzepten in der Sozialen Arbeit“ gewonnen. Hinweise auf diese Studie finden Sie in Ihren Tagungsunterlagen. Nun aber zum Thema. Ich habe hierfür vier Überschriften gewählt. 1. Die Ausgangslage: Neue Rahmenbedingungen erfordern Neupositionierungen 2. Die Qualitätsdebatte - Konzeptentwicklungen 3. Befunde 4. die Arbeit ist noch nicht erledigt – uneingelöste Perspektiven! 1. Die Ausgangslage: Neue Rahmenbedingen erfordern Neupositionierungen Wie wir alle wissen und erleben, befindet sich die Soziale Arbeit schon seit geraumer Zeit in einer neuen Entwicklungsphase. Zunehmend ist sie konfrontiert mit neuen wettbewerblichen Herausforderungen. Früher praktizierte und bewährte Strategien der Bestandssicherung und Legitimation einer öffentlichen Förderung taugen immer weniger für notwendige Neupositionierungen. Wenn auch zuweilen noch zögerlich, so wird doch vermehrt Abstand genommen von einem verklärenden Selbstbild uneigennütziger Mildtätigkeit. Der Titel einer vor wenigen Wochen stattgefundenen Fachtagung ist hierfür bezeichnend. Unter dem Slogan „Abschied vom barmherzigen Samariter“ diskutierten in der Ev. Akademie Tutzing maßgebliche Vertreter der Diakonie über die weitere Zukunft diakonischer Einrichtungen. Zunehmend wird also erkannt und akzeptiert, dass die ökonomische Realität des Sozialsektors anders aussieht, als es der bisher ritualisiert vorgetragene Verweis auf eine selbstlose Gemeinnützigkeit vorspiegelt. Nur einige Stichworte sollen dies illustrieren:

1

Page 2: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

�� Inzwischen sind rund 1,3 Millionen Menschen in der freien Wohlfahrtspflege hauptberuflich

beschäftigt. 1950 waren dies erste knapp 140.000 abhängig Beschäftigte. �� Wurde die Höhe der jährlichen Arbeitsleistungen der freien Wohlfahrtspflege für das Jahr 1991

auf knapp 19 Mrd. EUR (38 Mrd. DM) errechnet, so sind dies heute mehr als 50 Mrd. EUR. �� Soziale Arbeit ist ein überwiegend steuer- und entgeltfinanzierter Dienstleistungsbereich. Die

Einnahmen bestehen übe 64 % aus Leistungsentgelten, mehr als 20 % entstammen staatlichen Zuschüssen. Spenden im weiteren Sinne umfassen einen Anteil von gerade einmal 3,2 %. D.h. fast 88 % aller Einnahmen sind nicht mittelbar oder unmittelbar steuer- und beitragsfinanziert.

�� Mehr als acht Millionen Beschäftigte sind direkt oder indirekt vom Tarifsystem des öffentlichen Dienstes betroffen. In Kirchen und Wohlfahrtsverbänden unterliegen rd. 2,3 Millionen Arbeitnehmer solchen Tarifbedingungen. Selbst in privat-gewerblichen Dienstleistungsstrukturen sind rd. 850.000 Beschäftigte zumindest mittelbar von BAT-Regelungen tangiert. Aktuell ist zu sehen, dass sich diese Tarifbedingungen nicht nur in einem starken Veränderungsprozess befinden, sondern sehr bald nur noch Geschichte sein werden.

Diese Eckdaten sind Hinweise auf substanzielle Veränderungsprozesse, wie sie sich auf einer allgemeinen Ebene vollziehen. Betrachtet man den Arbeitsmarkt „Kinder- und Jugendhilfe“ genauer, so zeigen sich weitere Strukturmerkmale, die bei der Debatte um eine Qualitätsentwicklung nicht vergessen werden dürfen.

��So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002 gestiegen. Das entspricht einem Wachstum von 154 %!

��So sind nach wie vor überwiegend Frauen hauptberuflich in den Einrichtungen der Jugendhilfe tätig. Ihr Anteil umfasst rd. 85 % und dies unverändert seit vielen Jahren.

��So hat sich der Anteil der Teilzeit-, also prekären Arbeitsverhältnissen in den vergangenen Jahrzehnten ständig erhöht. Betrug dieser 1974 erst 18,4 %, befinden sich heute über 40 % aller Arbeitnehmer in der Jugendhilfe in Teilzeitstellen.

��So überwiegen trotz des öffentlichen Charakters der Jugendhilfeleistungen nach wie vor frei-gemeinnützige Trägerschaften im Feld der Anbieter und Organisatoren. Rd. 62 % aller Arbeitnehmer in der Jugendhilfe sind bei freien Trägern beschäftigt.

��So liegt das Ausbildungsniveau der beschäftigten Mitarbeiter/innen – trotz mancher Fortschritte – nach wie vor weit unterhalb des Levels anderer pädagogischer Bereiche (Schule, Weiterbildung). Nur rund 15 % der in der Jugendhilfe Beschäftigten verfügen über eine akademische Berufsausbildung.

��So bestehen in der Kinder- und Jugendhilfe etwa 78.000 Einrichtungen, die in unterschiedlichsten Rechts- und Organisationsformen von einer nicht zu übersehenden Zahl öffentlicher, frei-gemeinnütziger und privat-gewerblicher Träger betrieben werden.

Es sind dies keineswegs nur schnöde Zahlen, sondern dahinter verbergen sich sehr spezifische Handlungskontexte, innerhalb derer neue Überlegungen zur Weiterentwicklung sozialer Dienste durchsetzbar sind, akzeptiert oder auch abgelehnt werden. Die Frage nach der Wirksamkeit von Qualitätskonzepten ist also keineswegs nur ein voluntaristischer Akt oder Ergebnis formaler Beschlüsse, sondern von Bedingungen abhängig, die einer Qualitätsentwicklung entweder förderlich sind oder eher hinderlich im Wege stehen. Und die genannten Daten charakterisieren wichtige Eckpfeiler dieser Rahmenbedingungen Blickt man auf die erste Phase der Qualitätsdebatte, also auf die beginnenden 1990er Jahre, so ist zu sehen, dass die Mitarbeiter/innen in den sozialen Diensten und Einrichtungen zunächst nur zögerlich von diesem Diskurs erreicht werden. Es überwiegt Ablehnung und Skepsis. Die losgetretene Diskussion über die Wirkungen und Ergebnisse der Jugendhilfe stößt bei den sozialpädagogischen Fachkräften anfangs alles andere als auf Zustimmung. Formuliert wird vielmehr der Generalverdacht, dass dies alles nur die Fortsetzung von bürokratischer Kontrolle mit anderen Methoden und Mittel sei. Und zugleich wird unverändert der in der Zunft weitverbreitete Mythos verteidigt, soziale Arbeit ließe sich nun einmal nicht bewerten und bemessen.

2

Page 3: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

Diese Verweigerungshaltung ist mit ein Grund dafür, dass andere Berufsgruppen das Heft in die Hand nehmen. Die Akteure sind hierbei die Verwaltungsspitzen, Kämmerer, konsultativ unterstützt von der KGSt, die der Sozialen Arbeit diesen Prozess geradezu aufnötigten. Ausgangspunkt ist die grassierende öffentliche Finanzkrise, die zunehmend Fragen nach den Kosten und den nachweisbaren Ergebnissen auch der Jugendhilfe stellt. Dies ist der eigentliche Auslöser der in den 1990er Jahren beginnenden neuen Qualitätsdebatte. Der Blickwinkel hierbei ist weniger ein sozialpädagogischer als vielmehr ein betriebswirtschaftlicher. Im Vordergrund steht nicht eine qualitative Verbesserung sozialer Dienstleistungen oder gar Empowermentstrategien zur Stärkung einer bislang vernachlässigten Klientenorientierung. Bestimmend sind vielmehr Kostengesichtspunkte und Leistungsberechnungen, die auf betriebswirtschaftliche Quellen zurückgreifen. Gewissermaßen nach dem Motto „von der Wirtschaft lernen heißt siegen lernen“ bricht in den beginnenden 1990er Jahren geradezu eine ISO-Epidemie aus, die nach ihrer anfänglich naiven Phase durch weitere betriebswirtschaftliche Krankheitserreger angereichert wird. Spannend hierbei ist zu sehen, dass sich diese Entwicklungen durchaus träger- und einrichtungsübergreifend vollziehen. Die hochgradig zersplitterte Organisations- und Trägerlandschaft in der Sozialen Arbeit verhindert jedoch einen gegenseitigen Austausch und Lernprozess und verstärkt eher die schon vorhandenen Abgrenzungen zwischen den verschiedenen Trägern. Meine Damen und Herren. Lassen Sie mich nun konkreter diese Entwicklungen kommentieren. Ich komme zu meinem zweiten Punkt. 2. Die Qualitätsdebatte – Konzeptentwicklungen Vielfalt und Vielzahl der in den letzten Jahren entstandenen Konzepte einer Qualitätsentwicklung für die Soziale Arbeit sind beeindruckend. Ob es um die Arbeit mit beschäftigungslosen Menschen geht, um Fragen der Erziehungsberatung, die Arbeit in Sozialstationen, Fragen der Erziehungshilfen oder um Maßnahmen der Offenen Jugendarbeit. Es dürfte heute schwer sein, einen Handlungsbereich auszumachen, in dem Qualitätskonzepte keine Rolle spielen. Inzwischen existieren mehr als 40 Konzepte mit durchaus unterschiedlichen, zuweilen auch polarisierenden Ausrichtungen, Begründungen und organisatorischen backgrounds. Ganz unzweifelhaft: Die Entwicklung von Qualitätskonzepten für soziale Dienstleistungen boomt. Und die Palette verschiedenster Ansätze ist keineswegs schon abgeschlossen, sondern wird breiter. Zugleich ist jedoch folgendes zu sehen: Nur vereinzelt handelt es sich hierbei um eine Renaissance früherer Fachdiskurse, die Qualität und Wirksamkeit sozialer Arbeit fachwissenschaftlich zu beleben. Problematisch hierbei ist dies zumindest aus zwei Gründen. Erstens bleiben Erfahrungen und fachwissenschaftliche Befunde ausgeblendet, wie sie in schon länger zurückliegenden Evaluations- und Wirkungsanalysen gewonnen wurden. Erweckt wird so der Eindruck, als hätte zuvor die Frage nach den Inhalten, dem Sinn und den zu erzielenden Ergebnissen sozialpädagogischer Interventionen und Handlungskonzepte keine Rolle gespielt. Zweitens, und dies ist im Zuge des neuen mainstreams keineswegs überraschend: Viele dieser neuen Konzepte orientieren sich an vordergründig durchaus plausiblen Effektivitäts- und Effizienzkriterien, denen eine inhaltsunabhängige Objektivität unterstellt wird. Die früher bestehende Kolonialisierung der Sozialen Arbeit durch die Jurisprudenz und die Verwaltungswissenschaften wird so durch die neue Leitdisziplin Betriebswirtschaft abgelöst. Es bleibt bei der Fremddefinition der Sozialen Arbeit. Erst über diesen Umweg wird langsam zum Kern einer sozialpädagogischen Fachlichkeit zurückgefunden. Beide Momente führen dazu nicht nur dazu, das Rad jeweils neu erfinden zu müssen, sondern ebenso, dass es der Sozialarbeit/Sozialpädagogik nach wie vor nicht gelingt, ihren semiprofessionellen Status zu überwinden. 3. Unsere Befunde im einzelnen: Wie schon gesagt, wird das Thema Qualitätsentwicklung/-sicherung ab Beginn der 1990er Jahre bei den Trägern der Sozialen Arbeit zunehmend relevant. Als Folge der öffentlichen Finanzierungskrise verstärkt sich der Legitimationsdruck für die Träger sozialer Dienste. Die entscheidenden Akteure waren die Verwaltungsspitzen und Kämmerer bzw. ihre Gegenüber bei den Verbänden. Ich sagte dies schon. Aus deren Interessenlage stellte sich die Frage nach dem Nutzen sozialer Dienste aus einer ganz anderen Perspektive. Gefordert sind quantitative Angaben zur Effektivität und Effizienz; es sind die neuen Stichworte, die einen grundsätzlichen Paradigmenwechsel markieren.

3

Page 4: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

War nämlich bis zum Ende der 1980er Jahre die durchaus kontrovers geführte Debatte um eine qualitative Weiterentwicklung der Jugendhilfe ein fachpolitisch bestimmter Streit, so überwiegen jetzt verwaltungsorganisatorische Steuerungsbedürfnisse. Im Kontext einer auf mehr Effizienz und Effektivität gerichteten Verwaltungsreform wird hierbei zunächst das „Neue Steuerungsmodell“ als neues Heilmittel propagiert. Für einige Jahre konzentrieren sich die Beziehungen zwischen öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern in strittiger Weise auf die Ausformulierung von Produktbeschreibungen. Das Paradoxe dieser Entwicklung besteht in Folgendem: Einerseits finden die fachpolitischen Essentials einer mehr als 30-jährigen Jugendhilferechtsreformdebatte ihren gesetzlichen Niederschlag in dem 1990 durch den Bundestag verabschiedeten KJHG. Andererseits spielen schon kurz nach in Kraft treten dieses Reformwerkes die hiermit verbundenen Intentionen und fachlichen Ansprüche immer weniger eine Rolle bei der Ausgestaltung sozialer Dienste und Entscheidungsprozesse. Für die Qualitätsdebatte wurde so die Chance vertan, an dem berühmt gewordenen Methodenstreit der frühen 1970er Jahre neu anzusetzen. Dies lag außerhalb der Perspektive. Zur Erinnerung: Inhalt des Streits war die begrenzte Reichweite der klassischen und spezialisiert angewandten Methoden Einzelfallhilfe („Casework“), sozialpädagogische Gruppenarbeit („Social Group Work“) und Gemeinwesenarbeit („Community Organization“). Die hier aus fachlicher Sicht kritisierten Mängel sollten durch das Konzept eines integrierten Gemeinwesenansatzes überwunden werden. Oehlschlägel war einer der prononciertesten Vertreter dieser Schule, deren Quellen u.a. auf die frühere Victor-Gollancz-Stiftung sowie die Fortbildungsakademie Haus Schwalbach zurückgehen. Zumindest einige der hier anwesenden älteren Semester werden sich an diese Debatten wahrscheinlich noch erinnern können. Nun, die Zeiten änderten sich; es wurde still um diesen Methodenstreit, der nur wenige Jahre später gänzlich in Vergessenheit geriet. Der Grund hierfür lag nicht nur in der letztlich ausbleibenden Erfolgsgeschichte des neu präferierten Ansatzes einer integrierten Gemeinwesenarbeit und seiner sozialpolitisch hergeleiteten Zielorientierung. Auch innerhalb der Sozialpädagogenzunft gewannen andere Themen Oberhand; insbesondere die Psychologisierung von Sozialer Arbeit und die Orientierung an therapeutischen und beratenden Berufen begünstigten einen schleichenden Entpolitisierungsprozess. Das Verständnis von Sozialer Arbeit als eine Position beziehende und sich einmischende Interventionsstrategie fand innerhalb der Profession immer weniger Akzeptanz. Was für wenige Jahre die Hitliste im Professionsverständnis einer neuen Sozialarbeiter/Pädagogen-Generation anführte, geriet so immer mehr in eine Randstellung und in ideologischen Verruf. Wer kennt beispielsweise noch heute die schon 1974 vom damaligen Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit (BMJFG) herausgegebene wegweisende Veröffentlichung mit dem bezeichnenden Titel „Mehr Chancen für die Jugend- zu Inhalt und Begriff einer offensive Jugendhilfe“? Übrigens, die damaligen Fachministerin war Katharina Focke. Aber auch dies nur zur vergessenen Geschichte. Es sind dies Erklärungen dafür, weshalb die damalige Fachdebatte um eine Qualitätsentwicklung und Wirkungskontrolle Sozialer Arbeit vergessen und verdrängt wurde und in den neueren Entwicklungen keine Rolle mehr spielte. Wie zu sehen, waren stattdessen ab Anfang der 1990er Jahre gänzlich andere Orientierungen bestimmend. Resümiert man diese Entwicklung, so werden folgende Auffälligkeiten deutlich:

��Zunächst handelt es sich um gänzlich unabhängig voneinander entwickelnde Konzepte, besser gesagt Konzeptansätze. Sie realisieren sich eher hausbacken und hemdsärmelig als professionell und fachlich begründet. Hinzu kommt, dass sich die damit verbundenen Überlegungen abgeschottet innerhalb jeweiliger verbandlicher Käseglocken realisieren.

��Konzeptionelle Lösungen verspricht man sich von angeblich bewährten und erprobten Qualitätssicherungsverfahren aus dem gewerblichen und industriellen Anwendungsbereich. Hier kommt es zeitweilig zu einer regelrechten ISO-Euphorie, die sich vor allem im Gesundheits- und Pflegebereich ausbreitet. Involviert sind Consulting- und Unternehmensberatungsgesellschaften, die verfahrenstechnische Lösungen anbieten und die generelle Übertragungsfähigkeit auf soziale Dienste propagieren.

4

Page 5: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

��Parallel hierzu findet im Kontext der öffentlichen Verwaltungsreform eine Verbreitung und

Adaption des sogenannten Tilburger Modells statt. Mit dem Konzept der Neuen Steuerung sollen die altbekannten Leistungs- und Transparenzmängel nicht nur der öffentlichen Verwaltungen überwunden werden. Die Abhängigkeitsbeziehungen zwischen öffentlichen und freigemeinnützigen Trägern führt deshalb schnell auch in der Jugendhilfe zur einer Adaption und Übertragung des Neuen Steuerungsmodells in den Bereich frei-gemeinnütziger Trägerschaften. Angesagt ist nunmehr eine „output-orientierte Steuerung“.

��Sowohl die angekündigten, jedoch in ihrer Wirkung überschätzten Änderungen des europäischen Wettbewerbsrechts, vor allem aber die Vorfelddiskussionen um die 1996 vorgenommene Novellierung des BSGH lösten innerhalb vieler Einrichtungen hektische Aktivitäten aus. Die Angst ging um, beim Fehlen nachweisbarer Qualitätsverfahren ab Januar 1997 nicht weiter finanziert zu werden. Der Beratungs- und Handlungsbedarf war hoch und spitzte sich in kurzer Zeit zu. Es ist die Gründerzeit für Unternehmensberatungsgesellschaften unterschiedlichster Herkunft, die von diesem Effekt profitieren und den Markt sozialer Dienstleistungen neu vermessen.

��Das Thema Qualitätsentwicklung gewinnt aber auch noch aus einer anderen Sicht eine zentrale Bedeutung. Innerhalb der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege führt das allgemeine Schwinden weltanschaulicher Werte und Motive zu starken Verunsicherungen. Aufgeworfen wird die Frage nach der corporate identity, nach dem verbandlichen Selbstverständnis, nach den Unterscheidungsmerkmalen gegenüber anderen Trägern von Sozialer Arbeit. Und insbesondere das Entstehen privat-gewerblicher Anbieter forciert diesen Prozess. Immer stärker zeigen sich Qualitätsdebatte und Leitbilddiskussionen als miteinander verbundene Themen bei dem Versuch einer strategischen Neuausrichtung der Verbände. Zur Folge hat dies die Bildung eigener Qualitätsgesellschaften bzw. –abteilungen, die mit der Entwicklung verbandsspezifischer Konzepte befasst sind und diese innerhalb der jeweiligen Dachverbände propagieren.

��Erst in langsamen Schritten und Suchbewegungen emanzipiert sich der Qualitätsdiskurs von den zunächst favorisierten eher technisch und industriell geprägten Qualitätskonzepten. Statt ISO Normen werden für die Soziale Arbeit stärker Ansätze eines Total-Quality-Managements oder des EFQM-Systems als geeigneter angesehen. Viele Versuche werden unternommen, diese auf jeweilige Verbands- und Handlungsfelder zu übertragen. Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität sind hierbei die neuen Kriterien, die mit sogenannten ganzheitlichen und prozessualen Elementen kombiniert werden. Zunehmend werden hierbei auch die Endverbraucher, die Nutzer sozialer Dienstleistungen als wichtige Rückmeldeindikatoren und Ko-Produzenten entdeckt. Gleich ob Diakonie-Siegel, Tandem-QM oder SQ-J usw. gleichen sich die Grundmuster. Sie unterscheiden sich mehr durch Äußerlichkeiten der jeweiligen Bezeichnungen, als durch substanziell andere Inhalte.

Ein erstes Fazit: Die neue Qualitätsdebatte tobt nunmehr seit etwa 15 Jahren. Danach gefragt, was das Ganze nun gebracht hat, gibt es zumindest zwei Antworten. Eine pessimistische und eine optimistische Variante. Die pessimistische würde lauten, dass außer „Spesen nichts gewesen sei“, viel Papier bedruckt, viel Zeit und viel Geld eingesetzt und letztlich ergebnislos verloren wurde. Die optimistische Variante kommt zu dem Befund, dass sich doch einiges zum Besseren verändert und entwickelt hat. Ich schließe mich der optimistischen Einschätzung an. Ganz unzweifelhaft haben die unterschiedlich geführten Qualitätsdiskurse zu einer bislang fehlenden Transparenz darüber geführt, wie und mit welchen Mitteln soziale Dienste überhaupt realisiert werden. Ganz sicher ist ebenso auch ein gewachsenes Ressourcenbewusstsein der handelnden Akteure, d.h. auch bei den sozialpädagogischen Fachkräften entstanden. In diesem Sinne können wir inzwischen davon ausgehen, die Phase einer naiven Dienstleistungserbringung in der Jugendhilfe überwunden zu haben. Wenn auch noch keineswegs flächendeckend verbreitet, besteht doch heute eine größere Einsicht, dass eine „Gut-Mensch-Mentalität“ für die Erbringung sozialer Dienstleistungen nicht ausreicht und fachliche Kompetenz erforderlich ist. Qualität und Evaluation haben also ihren anfänglichen Schrecken als ausschließliches bürokratisches Kontrollinstrument verloren; zumindest im Konjunktiv formuliert gehören sie heute zum fachlichen Selbstverständnis der Profession. Ich halte dies für einen Fortschritt.

5

Page 6: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

Gleichwohl besteht jedoch kein Grund zur Entspannung. Denn trotz dieser optimistischen Sichtweise, ist der hier kredenzte Wein mit viel Wasser durchsetzt. Ich nenne die aus meiner Sicht wichtigsten, nach wie vor bestehenden Mängel: Immer noch spielen sozialpädagogisch geprägte Evaluationskonzepte für die Qualitätsentwicklung in sozialen Diensten nur eine geringe Bedeutung. Insbesondere Konzepte der Fremd- und Selbstevaluation finden nur zögerlich Eingang in die Praxis von Sozialer Arbeit. Zumindest drei Gründe erklären dies. Zum Einen führen prozessbezogene Wirksamkeitsprüfungen nicht zu schnellen Ergebnissen. Kurzfristige Erfolgsberichte sind also kaum zu erwarten, wenn nicht sogar unmöglich. Weshalb also für etwas Geld ausgeben, dessen Ergebnis unklar bleibt und im politischen Geschäft wenig Karriere fördernd ist. Zum Zweiten bedarf die Anwendung solcher Konzepte eine Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Gerade diese findet in vielen Einrichtungen nicht oder nur noch eingeschränkt statt. In besonderer Weise sind hiervon Kleineinrichtungen betroffen. Gerade aber diese prägen in weiten Bereichen das Feld der Jugendhilfe. Zum Dritten sind prozessbegleitende Evaluationskonzepte teuer und aufwändig. Sie sind nicht einmal abgeschlossen, um dann zu den Akten genommen und bei Bedarf aktualisiert zu werden, sondern bedürfen der kontinuierlichen Fortschreibung und Überprüfung. Angesichts anderer vorgenommener Prioritäten sowie einer fehlenden fachpolitischen Lobby sind die Chancen zur Zeit gering, für solche Verfahren notwendige Finanzmittel bereitzustellen. Ein weiteres Problem, wenn auch das Thema Qualitätsentwicklung mittlerweile bei allen Trägern einen zentralen Stellenwert einnimmt und vielerorts zur Chefangelegenheit erklärt ist, existiert nach wie vor kommunikatives Chaos. Gebündelte und zentral verfügbare Informationen über die Reichweite der existierenden und angewandten Konzepte zur Qualitätsentwicklung liegen in der Regel nicht vor. Konzeptionsdebatten und Konzeptentwicklungen erfolgen stattdessen nach wie vor im engen Kontext des eigenen Organisations- und Verbandsbereiches. Bestenfalls im Rahmen von Modellprojekten gelingt es, diese habitualisierte Kleingärtnermentalität zu überwinden. Viele der vorliegenden Informationen über Qualitätskonzepte und die hiermit verbundenen Erfahrungen versacken deshalb in den unübersichtlichen Binnenstrukturen der jeweiligen Trägerorganisationen. Dies ist nicht nur die Folge wenig transparenter Strukturen auch in der Jugendhilfe, sondern ebenso das Resultat widerstrebender Regelungs- und Machtinteressen zwischen den Akteuren. Mehr oder weniger stark ausgeprägt finden sich solche konkurrierenden Interessenslagen nicht nur innerhalb der einzelnen Trägerorganisationen, sondern ebenfalls auf multi-lateraler Ebene zwischen den Verbänden. Unter dem Stichwort „partnerschaftliche Zusammenarbeit“ zwischen öffentlichen und frei-gemeinnützigen Trägern verbergen sich deshalb oftmals lang erprobte und geregelte Konkurrenzbeziehungen und Claimmentalitäten. Sie stehen einer gemeinsamen Suche nach angemessenen Hilfeformen und deren Evaluation blockierend im Wege. Was hier zum Ausdruck kommt ist ein für die deutsche Wohlfahrtspflege strukturelles Handlungsproblem, das ebenso auch die Jugendhilfe prägt. Heterogene Organisationsstrukturen und auf mehreren Ebenen parallel angesiedelte Entscheidungskompetenzen führen nicht nur zu einer strukturellen Intransparenz des sozialen Hilfeleistungssystems, sondern fördern geradezu eigenbrödlerisches Agieren und Handeln. In der Qualitätsdebatte führt diese Ausgangslage zu kontraproduktiven Interessenkollissionen. Die Folge ist, dass Qualitätskonzepte nicht nur unabhängig voneinander, sondern geradezu in Konkurrenz zueinander und mit Verweis auf angeblich spezifische Besonderheiten präsentiert und verkauft werden. Was wir hier sehen sind die faktischen Ergebnisse hochgradig zersplitterter Anbieterstrukturen, die der deutschen Kleinstaaterei des 19. Jahrhunderts sehr ähnlich sind. Dieses wohlfahrtsverbandliche Trägermodell ist zudem mit einem weiteren Mangel behaftet. Es ist der schon lange konstatierte Befund, soziale Hilfeleistungen vorwiegend aus der Perspektive der Organisationen, nicht aber aus jener der Klienten zu planen und zu realisieren. Wie wir wissen, hat diese paternalistische Sichtweise in Deutschland Tradition. In vielen Handlungsfeldern blockiert eine solche institutionelle Fixierung die Entwicklung problemangemessener und klientenorientierter Qualitätsverfahren.

6

Page 7: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

Was ich referiert habe, sind allgemeine Befunde vorliegender Untersuchungen. Und es ist wenig überraschend, dass sich viele dieser Aspekte auch in dem heute zur Debatte stehenden Qualitätskonzept der Region Heilbronn-Franken wiederfinden lassen. Nur einige Punkte will ich benennen:

��Als Initialzündung für das Projekt werden zwei wesentliche Motive angegeben, wobei die Reihenfolge entscheidend ist: Erstens soll neuen gesetzlichen Vorgaben entsprochen werden, zweitens soll auch die Leistungsqualität erzieherischer Hilfen verbessert werden. Die Prioritäten waren klar benannt.

��Die inhaltlich zu findenden Parameter beziehen sich auf die Elemente Prozess-, Struktur- und Ergebnisqualität und greifen den von Donabedian Anfang der 1980er Jahre aus der Betriebswirtschaftslehre entwickelten dreidimensionalen Qualitätsbegriff auf. Auch dem Heilbronn-Franken-Projekt fehlt es an einer Anschlussfähigkeit gegenüber älteren Ansätzen der sozialpädagogischen Wirkungsanalyse und Evaluation.

��Als ein noch ausstehendes Regelungsproblem wird die uneingelöste Verknüpfung mit der Jugendhilfeplanung benannt. Trotz vieler Arbeitskreise und Abstimmungsgremien zeigt sich, dass die fachpolitischen Anliegen und Kompetenzen einer öffentlich zu verantwortenden Jugendhilfeplanung angesichts einer differenzierten Trägerlandschaft nur begrenzt wirksam werden.

��Der Endbericht konstatiert deshalb keineswegs überraschend, dass die Entwicklung geeigneter Konfliktregelungen zwischen den unterschiedlich beteiligten Akteuren noch aussteht. Ebenso wird die Organisationslastigkeit des Beschwerdemanagements als entwicklungsbedürftig beschrieben.

Gerade dieser letzte Punkt verweist erneut auf einen Hauptmangel bei der Ausgestaltung und Erbringung sozialer Dienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland. Es ist die weitgehende Ausblendung einer Klientenperspektive. Nicht zuletzt deshalb spricht man in Deutschland seit langem von einer fehlenden Klientensouveränität Dass es letztlich um diese gehen muss und deren Handlungs-, Verantwortung- und Entscheidungskompetenz zu stärken sei, ist zwar Gegenstand von Fachkongressen und wissenschaftlichen Beiträgen, steht noch immer aber nicht im Focus bei der Organisations- und Qualitätsentwicklung in der Sozialen Arbeit. Es gibt jedoch auch Lichtstreifen am Horizont. Unter dem Stichwort „Subjektförderung“ werden neuerdings nämlich auch andere qualitativ Entwicklungen möglich. Und denken Sie beispielsweise an den Behindertenbereich und das Instrument der persönlichen Assistenzen, so gibt es inzwischen ermutigende Ansätze für eine unmittelbare Beteiligung der Klienten bei der Planung und Ausgestaltung ihres Hilfebedarfes. Für den weiteren Qualitätsdiskurs sollte diese Chance nicht vertan werden. Damit komme ich zum letzten Punkt. 4. Uneingelöste Perspektiven – die Arbeit ist noch nicht getan! Meine Damen und Herren, werte Kolleginnen und Kollegen. Ich komme zum Schluss. Lassen Sie mich hierbei ein entschiedenes Plädoyer halten, an dem fachlich erreichten Konsens der Jugendhilferechtsreform 1990 festzuhalten. Demnach müssten für die Qualitäts- und Organisationsentwicklung sozialer Dienste folgende Prämissen gelten und angelegt werden: ��Prävention ��Lebensweltorientiertes Handeln der Träger ��Alltagsorientierung in den Angeboten und Methoden ��Gesellschaftliche Integration ��Alltagsbewältigung und Existenzsicherung ��Partizipation und Freiwilligkeit ��Einmischung in andere Politikbereiche (z.B. Arbeitsmarktpolitik, Bildungspolitik,

Stadtentwicklungspolitik etc.) oder anders gesagt: Entwicklung politikfeldübergreifender Handlungskonzepte

��Förderung von Selbsthilfe und sozialem Engagement.

7

Page 8: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

Als methodische Konzepte und fachliche Handlungsinterventionen wären zu präferieren: ��Jugendhilfeplanung, ��Betroffenenbeteiligung, ��Wahl- und Wunschrecht, ��Partnerschaftliche Zusammenarbeit, ��Kooperation und Vernetzung, ��Hilfeplanverfahren, ��Mediation, um nur die wichtigsten zu nennen. Wenn ich mich hier auch möglicher Weise dem Vorwurf aussetze, die Zeit verschlafen zu haben und den Schnee von gestern zu propagieren, so halte ich daran fest, dass diese fachinhaltlichen und nach mehrjährigen Debatten gewonnenen Kriterien den eigentlichen Referenzpunkt bei der Qualitätsentwicklung in sozialen Einrichtungen zu bilden haben. Dies ist sicher ein Gegensatz zu betriebswirtschaftlich ausgeprägten Formen des Qualitätsmanagements, nicht aber ein Widerspruch zu Konzepten der „lernenden Organisation“. Hier bieten sich nun in der Tat Verknüpfungen mit Konzepten des TQM, des EFQM-Ansatzes, der fachlichen Selbst- und Fremdevaluation an. Erst aus einer solchen Kombination ergibt sich ein fachlicher Sinn, der sich eben nicht nur auf die Anwendung formaler Verfahren und damit verbundener Ergebnisdokumentationen begrenzt. Ein solcher Ansatz erfordert freilich die Bereitschaft zu einem ergebnisoffenen trägerübergreifenden Diskurs über die gesellschaftlich und sozialpolitisch erforderlichen Leistungen und Angebotsstrukturen in der Jugendhilfe. Und diese Frage ist nun keinesfalls als eine abstrakte Sozialstaatsdebatte zu führen, sondern sehr konkret auf die lokalen und regionalen Lebensverhältnisse zu beziehen. Konsens und heftige Kontroversen werden hier zu führen und nicht zu vermeiden sein. Aber nur hierüber wird es gelingen können, inhaltsleere Verfahrensbeschreibungen und Dokumentationsformen über den Gehalt und angeblichen Erfolg von Jugendhilfeleistungen zu überwinden. Das Ergebnis wäre mehr als ein nur anderes Etikett für frühere Formen bürokratischer Verwendungsnachweise, um deren fragwürdige Aussagekraft wir alle wissen. Lassen wir uns nicht auf solche Scheinlösungen ein, es wäre nichts gewonnen! Meine Damen und Herren, ich hoffe, meine Überlegungen inspirieren Sie bei der anstehenden Fachdebatte um die Weiterentwicklung eines Ansatzes, der mehr als nur eine formale Fortsetzung verdient. Haben Sie vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Literatur - Boeßenecker, Karl-Heinz u.a. 2003: Qualitätskonzepte in der Sozialen Arbeit. Eine Orientierung

für Ausbildung, Studium und Praxis. Weinheim-Basel-Berlin: Verlag Beltz-Votum. - Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit (1974): Schriftenreihe des BMJFG Band 13:

Mehr Chancen für die Jugend – zu Inhalt und Begriff einer offensiven Jugendhilfe -. Stuttgart. Verlag W. Kohlhammer

- Forschungsschwerpunkt Wohlfahrtsverbände/Sozialwirtschaft 1998: Forschungsprojekt Qualitätsmerkmale und Qualitätssicherung in der Sozialen Arbeit. Erster Zwischenbericht: Positionen zur Qualitätsdiskussion in der Sozialen Arbeit aus der Sicht von leitenden Mitarbeitern in frei-gemeinnützigen Verbänden. Düsseldorf: Fachhochschule.

- Heiner, Maja (Hrsg.) 1996: Qualitätsentwicklung durch Evaluation. Freiburg i.Br.: Lambertus. - Jordan, Erwin; Reismann, Hendrik (1998): Qualitätssicherung und Verwaltungsmodernisierung in

der Jugendhilfe. Hrsg. vom Institut für Soziale Arbeit e.V. Münster: Votum. - Jordan, Erwin; Schone, Reinhold (Hrsg.) (1998): Handbuch Jugendhilfeplanung. Grundlagen,

Bausteine, Materialien. Münster: Votum. - Meinhold, Marianne (1996): Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit.

Einführung und Arbeitshilfen. Freiburg i.Br.: Lambertus. - Merchel, Joachim (2001): Qualitätsmanagement in der Sozialen Arbeit. Ein Lehr- und Arbeitsbuch.

Münster. Votum - Müller, C. Wolfgang (Hrsg.) (1978): Begleitforschung in der Sozialpädagogik. Analysen und

Berichte zur Evaluationsforschung in der Bundesrepublik. Weinheim-Basel: Beltz.

8

Page 9: Zum Stand der Qualitätsentwicklung in der Kinder- und ... · vergessen werden dürfen. So ist die Zahl der Beschäftigten von rd. 223.000 im Jahr 1974 auf rd. 568.000 im Jahr 2002

- Siegen-Sozial, Nr. 1, Jahrgang 4 (1999): Schwerpunkt Qualitätssicherung in der Sozialen Arbeit.

Siegen: Universität-Gesamthochschule. - Tietze, Wolfgang; Schuster, Käthe-Maria; Grenner, Katja; Rossbach, Hans-Günther (2001):

Kindergarten-Skala. Revidierte Fassung (KES-R). Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand. Personenangabe Prof. Dr. Karl-Heinz Boeßenecker, Sozialarbeiter und Sozialwissenschafter, arbeitet an der Fachhochschule Düsseldorf (Lehrgebiet Verwaltung und Organisation, Leiter des Forschungsschwerpunktes Wohlfahrtsverbände/Sozialwirtschaft) sowie am Zentrum für Planung und Evaluation sozialer Dienste der Universität Siegen. Adresse: FSP WV/SW, FH Düsseldorf, Universitätsstr., Geb. 24.21, 40225 Düsseldorf. URL: www.wohlfahrtsverbaende.de. E-mail: [email protected]

9