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Zum Tod Hans Werner Henzes_ Er suchte die Schönheit und den Glanz der Wahrheit - FAZ

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7/30/2019 Zum Tod Hans Werner Henzes_ Er suchte die Schönheit und den Glanz der Wahrheit - FAZ

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Man hat später oft versucht, den enorm vielgestaltigen Schaffensreichtum dieses

erfolgreichsten deutschen Komponisten des zwanzigsten Jahrhunderts zu sortieren,

auch chronologisch: Erst ist da der Wirtschaftswunder-Henze, gesegnet mit vielen

gutdotierten Auftragswerken, mit einem neoklassisch orientierten Concerto-Grosso-

Stil, mit prächtigen Balletten, lyrischen Opern. Dann die Wandlung zum homo politicus,

der auf die richtige Seite der Geschichte hinüberwechselt und fortan Agitprop-Musik komponiert. Schließlich der Gereifte, Geläuterte, der das Leben genießt und seine

Meisterschaft auslebt, das Avancierte mit dem Einfachen auf höherer Ebene neu

 versöhnend. All das geht aber nicht so recht auf, die Schubladen klemmen.

Steckt nicht schon in Henzes frühen Werken, zum Beispiel in der zwölftönigen Walt-

 Whitman-Kantate „Whispers from heavenly death“ aus dem Jahr 1948, eine

oppositionelle Grundbefindlichkeit? Sind nicht schon die Figuren in der „Elegie für junge

Liebende“ (1959) konturenscharf geschnitten, wie Abziehbilder einer falschen Welt?

Und weder mit Blick auf den sardonischen Witz der „Englischen Katze“ noch auf das

Pathos der gewaltigen Neunten (den „Helden und Märtyrern des deutschen

 Antifaschismus“ gewidmet) ließe sich im Ernst behaupten, Hans Werner Henze hätte

eines Tages zu einfachsten Formen „zurück“ gefunden oder sich sonstwie korrigiert.Umgekehrt sind viele seiner aus dem kurzen Flirt mit der Studentenbewegung

hervorgegangenen Stücke äußerst komplex konstruiert und avantgardistisch.

„Mit der Postmoderne auf die Welt gekommen“

 Weder vor dem „Medusa“-Krawall noch danach hat Henze sich je heldenhaft an der

Rampe exponiert. Stets geht es in seinen Werken in erster Linie um Ausdruck, Melos

und Sprachfähigkeit, oft wirkt das wie eine Rattenfängermusik, getragen vom Impetus

theatralischer Überredung. Dabei spielt der semantische Aspekt eine Schlüsselrolle, die

 Wortgebundenheit des Henzeschen Melodienfundus ist, selbst wo es ums rein

Instrumentale geht, nicht zu überhören. Mehr als vierzig Stücke für die Bühne hat er im

Lauf seines Lebens geschrieben, mehr als die Hälfte seines uvres ist Theatermusik. Und

die Sehnsucht nach vollkommener Schönheit, die Suche nach dem Glanz der Wahrheit

sind dabei die beiden zentralen Eckpfeiler seiner Poetik. Nicht zu vergessen: das

 beständige Ringen ums allgemein Verständliche. Henze wollte immer auch vom

Publikum erhört werden. Das hat ihn grundsätzlich vom Rest der Avantgarde in seiner

eignen Generation isoliert.

Er sei „mit der Postmoderne auf die Welt gekommen“, erklärte er einmal ironisch im

Interview. Ein chronisch unangepasster Einzelgänger, ein bockiger, scheuer Gegen-den-

Strom-Schwimmer, erfand er sich, als es dieses Schlagwort noch nicht einmal gab, arios

sangbare Melodien in wunderbar lyrisch geschwungenen Bögen. Und tauchte sie,

handwerklich virtuos, in harmonisch fundierte Orchesterfarben zu einer Zeit, da in der

neuen Musik das Dogma der Negation herrschte und unter anderem Hermann

Scherchen, in Abwandlung eines Adornoschen Diktums, die Parole ausgab, man schreibe

doch anständigerweise (nach Auschwitz) keine Arien mehr.

Nur für wenige Jahre – nämlich nach einer Schaffenskrise um 1966, vor dem

phantastischen, mit elektronisch zugespieltem Naturgeräusch und verfremdetem

Herzklopfen aufgeladenen „Tristan“-Klavierkonzert, komponierte Hans Werner Henze

tatsächlich politische Musiken, experimentierte er mit instrumentalen Theaterformen

© GYARMATY, JENSHans Werner Henze 1926 - 2012

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in „El Cimarron“, collagierte Volksmusikalisches in „La Cubana“. Sprach sich,

angespornt von der Freundin Ingeborg Bachmann, zu dieser Zeit öffentlich aus erst für

 Willy Brandt, dann für die Apo, für die Linke, für die kubanische Revolution und

komponierte Musik mit Haltung, für die er selbst die Bezeichnung „musica impura“

erfand – einerseits, um sich abzugrenzen vom klassischen L’Art-pour-l’Art-Ideal wie

auch vom Purismus-Fimmel seiner in Darmstadt und Donaueschingen in Klausur

gegangenen seriellen Kollegen, andererseits, um klar zu machen, dass ein sich

Einmischen des Künstlers in die Wirklichkeit nie mit einem pilatushaften Händewaschen

 beendet sein kann. Doch die 1969 in Havanna uraufgeführte sechste Symphonie für

 verdoppeltes Kammerorchester folgt in ihren Ecksätzen dann schon wieder den

elaborierten klassischen Ordnungsprinzipien von Sonatenhauptsatz und Fuge, die Siebte

 wird seine persönliche Bekenntnis-Symphonie, worin in den langsamen Sätzen sich

„schwere Schatten werfen über die Seele dieser Musik“ (Henze) und im Finale frei nach

Hölderlin „sprachlos und kalt“ im Winde die Fahnen klirren.

Mit achtundzwanzig steht er Modell für eine Romanfigur

 Am 1. Juli 1926 in Gütersloh geboren, aufgewachsen in Bielefeld als Ältester von sechs

Geschwistern in einem nationalsozialistisch geprägten Elternhaus, fand sich Henze schon

als pubertierender Jüngling in der Rolle eines Außenseiters wieder: als Homosexueller,

als musikalisch Hochbegabter, als heimlicher Gegner des Regimes.

Nach Abschluss der Realschule lernte er weiter an der Musikschule in Braunschweig,

später studierte er für kurze Zeit bei Wolfgang Fortner in Heidelberg, dann bei RenéLeibowitz. Was diese an sich lückenhafte Ausbildung verabsäumte, holte er

autodidaktisch im Selbststudium auf. Der frühe Henze bewundert Hindemith, er übt

sich in Schönbergs Zwölftonstrukturen, reibt sich an Bartók, lernt an Strawinsky.

 Achtzehnjährig wird er zunächst zum Arbeitsdienst, dann mit dem letzten Aufgebot als

Funker zu einer Panzereinheit rekrutiert, 1945 gerät er in britische

Kriegsgefangenschaft. Und bereits ein Jahr später startet in Darmstadt bei den

Ferienkursen recht märchenhaft diese außerordentliche Komponistenkarriere, und

zwar mit dem Kammerkonzert für Soloflöte, Soloklavier und Streicher, beseelt von einer

 virtuosen Spielfreude, die ihm prompt einen Vertrag v erschafft beim Schottverlag in

Mainz. Achtundzwanzig Jahre alt, steht er dann Modell für eine Romanfigur: der

Tonsetzer Siegfried Pfaffrath aus Wolfgang Koeppens „Tod in Rom“ ist die Abrechnung

mit den „verborgenen Krankheiten der deutschen Seele“.

Dass seine Komponistenkollegen Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez

in Donaueschingen demonstrativ aufstehen und den Saal verlassen, als 1957 die ersten

Töne von Henzes „Nachtstücke und Arien“ für Sopran und Orchester nach Tex ten von

Ingeborg Bachmann erklingen, hat ihn so tief verletzt, dass er es bis ins hohe Alter

 weder vergessen noch verzeihen konnte. Dabei bewies dieser Fall doch eigentlich gerade

Henzes exterritoriale Rolle als romantischer Individualist. Andere, jüngere Komponisten

hat er auf diese Weise stark beeinflusst.

Nie hat er aufgehört, Musik zu schreiben

Seit 1953 lebte Henze in Italien, keine Flucht, eher ein Nachhausekommen, wie er

gelegentlich sagte. 1976 gründete er den „Cantiere d‘Arte“ in Montepulciano, 1988 dann

die Münchner Biennale für neues Musiktheater – und gab beide Institutionen, als sieetabliert waren und selbst laufen konnten, ab in andere Hände. Lebte in La Leprara in

einer Art öffentlichen Einsiedelei, mit seinem Lebensgefährten und Adoptivsohn Fausto

Moroni, ergab sich dem Luxus eines geordneten Tagesablaufs, empfing Freunde,

Schüler und Gefährten, trank Wein vom eignen Weinberg, aß Gemüse aus dem eignen

Garten und rüstete sich für jeden Tag, der dem Komponieren gewidmet sein sollte, mit

einem Arsenal von gespitzten, weichen Bleistiften: „Allein, allein. . . meine Wenigkeit in

der Rolle eines alten Mannes“ – so legt er es, als sein eigner Librettist, dem Sultan hoch

oben auf dem Turm in den Mund, in jenem wehmütigen, weltabschiedstrunkenen

Selbstporträt, womit sein vorvorletztes Opernwerk „L’Upupa und der Triumph der

Sohnesliebe“, uraufgeführt in Salzburg 2003, beginnt.

Es folgten große und kleine Kantaten, Skurriles und Bekenntnishaftes, auch weitereOpern, „Phaedra“ 2007 für die Lindenoper, „Gisela“ 2010 für die Ruhrtriennale. Nie hat

Hans Werner Henze aufgehört, Musik zu schreiben. Am Samstag ist er im Alter von

sechsundachtzig Jahren in Dresden, wo an der Semperoper gerade eine

spielzeitübergreifende Retrospektive seiner frühen Werke begonnen hatte, gestorben.

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Drei Komponisten der nächsten Generation zum Tod Hans Werner Henzes

 Wolfgang RihmHans Werner Henze war für mich ein frühes Vorbild als frei- und selbstbestimmte Künstlerexistenz.Als ich ihn Anfang der siebziger Jahre kennenlernte, zeigte er sich a ls großzügiger Fürsprecher, under hat sich nicht nur verbal für die Musik meiner G eneration eingesetzt, sondern tatkräftig alsOrganisator und Dirigent. Von ihm war zu lernen: nicht klein zu denken, die eigne Position stets auchfür andere einzusetzen. Von seinen Werken ging von Anfang an der Reiz großer formaler Freiheit,klanglicher Delikatesse und üppig-vegetativer Gestalt aus. Metier war bei ihm nie Bastelanleitung,sondern humanes Anliegen: Es diente der Unterstreichung des menschlichen Glücksverlangens unddessen Beglaubigung als primäres, menschliches Anrecht. Immer spricht seine Musik zu einem DU,so entschieden er, bis zu seinem Ende, künstlerisch ICH zu sagen verstand.

Peter Ruzicka

Hans Werner Henzes Musik hat uns Geschichten vom Menschen erzählt. Geschichten, die unsbetreffen und die uns betroffen machen. Diese Musik wird weiterleben und noch immer neue Fragenan uns zu richten wissen. Es ist sein unermessliches Verdienst, mit der Münchener Biennale einForum für das Musiktheater der jungen Generation und damit der Zukunft begründet zu haben. Wirwerden ihn ehren, indem wir dieses von ihm inspirierte Werk in seinem Sinne fortführen.

 Aribert Reimann

Diese Nachricht ist für mich schwer zu ve rkraften. Ich habe Henze immer sehr bewundert, sehrverehrt. Persönlich kenne ich ihn seit 1957. Er hatte 1962 mit den Berliner Philharmonikern meinerstes Klavierkonzert uraufgeführt, er am Pult, ich am Klavier. Von seiner Musik sind vor allem dreiStücke prägend gewesen für mich: erst der „König Hirsch“, dann „Antiphon“, von Karajan in Berlinuraufgeführt, und die „Fünf neapolitanischen Lieder“, die er 1956 für Dietrich Fischer-Dieskauschrieb. Wie er da ganze neue Musik mit Melos in Verbindung bringt, das fand ich frappierend.Diesen Mut, Melodien zu formulieren innerhalb einer avantgardistischen Sprache hatte sonst keiner!Zuletzt traf ich ihn vor eineinhalb Jahren bei der Gema-Preisverleihung. Einmal, 1994 war das,sprachen wir auch über unsere Unterschiede im Komponieren, wir waren da wohl beide alt genug,dass wir das tun konnten. Henze selbst hat so unterschiedliche Sachen komponiert in seinem Leben,und doch dabei nie seine eigne Sprache aufgegeben. Er ist immer e r geblieben.Drei Komponistender nächsten Generation zum Tod Hans Werner Henzes

Quelle: F.A.Z.

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