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JOURNAL FI~R ORNITHOLOGIE Band 114 1973 Nr. 4 J. Orn. 114, 1973: S. 399--416 Aus dem Max-Planck-Institutfür Verhaltensphysiologie, Vogelwarte Radolfzell Zur Brutökologie der Rauchschwalbe (Hirundo rustica) in einem südwestdeutschen Dorf Von Hans Löhrl und Hans Gutscher Einleitung (3ber die Rauchschwalbe ist im Lauf von Jahrzehnten eine umfangreiche Literatur er- schienen, die dann v. VI~TI~qGHOrr-RIrsCH (1955) gewissenhaft, wenn auch vielfach ohne kritische Uberprüfung auswertete. Danach ist jedoch offenkundig noch nie eine Rauchschwalbenpopulation über einen längeren Zeitraum hinweg gründlich untersucht worden. Allerdings gibt es beim Studium dieser Art einen Nachteil: Rauchschwalben sind nur in geringem Maße geburtsortstreu, ganz im Gegensatz zur Mehlschwalbe (vgl. RHrINWALD & GUTSCHrR 1969); Untersuchungen über Jugendsterblichkeit, Altersauf- bau, Vererbungsfragen usw. lassen daher kaum Erfolge erhoffen. Die Brutpaare sind indessen sehr ortstreu, und die Verwendung von Kennringen kann lohnend sein. So konnte G. an der kleinen, hier untersuchten Population in wenigen Jahren mehrere Fälle von Polygynie nachweisen. Die Arbeit mußte sich auf nur vier Jahre beschränken und befaßt sich mit einer Population von Einzelbrütern an einem klimatisch günstigen Standort. Daß die erhal- tenen Daten trotz der zeitlichen Beschränkung repräsentativ sind, ergibt ein Vergleich mit einer Arbeit (RADERMACHER 1970), die auf einer jahrzehntelangen Untersuchung eines einzigen Brutpaares im Hause des Verfassers beruht. Vergleiche mit anderen Populationen, vor allem mit kolonieartig brütenden Paaren, würden einen umfassen- deren Einblick ermöglichen. Im übrigen hoffen wir, mit unserer Arbeit zeigen zu können, daß auch bei dieser durch ihren Anschluß an den Menschen so allgemein bekannten Vogelart noch mancherlei fesselnde Fragen offen sind, die in der umfang- reichen Monografie von v. VIETINGOrr-RlrSCH nicht gestellt oder befriedigend beant- wortet sind. Untersuchungsgebiet, Material und Methode Das Dorf Riet, dessen geographische und klimatische Lage von RHEINWALD & GUTSCHER (1969) bereits beschrieben wurde, liegt gut 20 km nordwestlich von Stuttgart und hat rund

Zur Brutökologie der Rauchschwalbe (Hirundo rustica) in einem südwestdeutschen Dorf

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Page 1: Zur Brutökologie der Rauchschwalbe (Hirundo rustica) in einem südwestdeutschen Dorf

JOURNAL FI~R

ORNITHOLOGIE

B a n d 114 1973 Nr . 4

J. Orn. 114, 1973: S. 399--416

Aus dem Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie, Vogelwarte Radolfzell

Zur Brutökologie der Rauchschwalbe ( H i r u n d o rus t ica) in einem südwestdeutschen Dorf

Von Hans Löhrl und Hans Gutscher

Einleitung (3ber die Rauchschwalbe ist im Lauf von Jahrzehnten eine umfangreiche Literatur er- schienen, die dann v. VI~TI~qGHOrr-RIrsCH (1955) gewissenhaft, wenn auch vielfach ohne kritische Uberprüfung auswertete. Danach ist jedoch offenkundig noch nie eine Rauchschwalbenpopulation über einen längeren Zeitraum hinweg gründlich untersucht worden.

Allerdings gibt es beim Studium dieser Art einen Nachteil: Rauchschwalben sind nur in geringem Maße geburtsortstreu, ganz im Gegensatz zur Mehlschwalbe (vgl. RHrINWALD & GUTSCHrR 1969); Untersuchungen über Jugendsterblichkeit, Altersauf- bau, Vererbungsfragen usw. lassen daher kaum Erfolge erhoffen. Die Brutpaare sind indessen sehr ortstreu, und die Verwendung von Kennringen kann lohnend sein. So konnte G. an der kleinen, hier untersuchten Population in wenigen Jahren mehrere Fälle von Polygynie nachweisen.

Die Arbeit mußte sich auf nur vier Jahre beschränken und befaßt sich mit einer Population von Einzelbrütern an einem klimatisch günstigen Standort. Daß die erhal- tenen Daten trotz der zeitlichen Beschränkung repräsentativ sind, ergibt ein Vergleich mit einer Arbeit (RADERMACHER 1970), die auf einer jahrzehntelangen Untersuchung eines einzigen Brutpaares im Hause des Verfassers beruht. Vergleiche mit anderen Populationen, vor allem mit kolonieartig brütenden Paaren, würden einen umfassen- deren Einblick ermöglichen. Im übrigen hoffen wir, mit unserer Arbeit zeigen zu können, daß auch bei dieser durch ihren Anschluß an den Menschen so allgemein bekannten Vogelart noch mancherlei fesselnde Fragen offen sind, die in der umfang- reichen Monografie von v. VIETINGOrr-RlrSCH nicht gestellt oder befriedigend beant- wortet sind.

Untersuchungsgebiet, Material und Methode Das Dorf Riet, dessen geographische und klimatische Lage von RHEINWALD & GUTSCHER

(1969) bereits beschrieben wurde, liegt gut 20 km nordwestlich von Stuttgart und hat rund

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400 H. LöHRL & H. GUTSCHER r ¢-».~j.1,~~,~.

700 Einwohner. Es liegt, umgeben von Weinbergen, windgeschützt in einem Tal, 250 m hoch. Ein kleiner Bach fließt in geringer Entfernung in die Enz, einen Nebenfluß des Neckars. Der Ort ist klimatisch Tell des Neckarbeckens. Dort waren 1958 und 1959 jeweils die jungen Rauchschwalben beringt und damit die Bruten zahlenmäßig erfaßt worden. Vom Sommer 1961, also der zweiten Brut der Rauchschwalben ab, kontrollierte G. regelmäßig sämtliche Nester, so daß auch die Legebeginne, die Gelegegrößen und der Bruterfolg erfaßt wurden. Von 1962 an wurde auch die Ankunft wöchentlich durch unmittelbare Beobachtung wie auch durch Befragung der Hausbesitzer ermittelt. Damit wurde der gesamte Rauchschwalbenbestand des Dorfes Riet registriert, der wesentlich geringer war als der Mehlschwalbenbestand. Meist handelte es sich um Einzelbrüter, nur gelegentlich haben zwei Schwalbenpaare in demselben Raum genistet.

Zwischen 1959 und 1962 ist der Rauchschwalbenbestand in Riet entscheidend zurückgegan- gen. 1958 war die Ankunft von 38 Paaren, 1959 von 40 Paaren registriert worden, während 1962 nur 23 Paare erschienen und der Bestand seither etwa auf dieser Höhe blieb. Wann der entscheidende Rückgang erfolgte, ist unbekannt.

Die Beringung der Rauchschwalben war 1960 von der Vogelwarte aus eingestellt worden, da ausreichend Wiederfunde vorlagen. Damit unterblieb in jenem Jahr auch die Erfassung des Bestandes.

Leider wurden unsere Untersuchungen durch äußere Umstände 1966 unterbrochen, da der in Riet ansässige Verfasser G. nach einem Betriebsunfall die Weiterarbeit unterbrechen mußte.

Wenn wir uns trotzdem zur Veröffentlichung der nur vier Jahre dauernden Untersuchungen entschlossen haben, so ist dies neben dem Fehlen entsprechender Arbeiten darauf zurück- zuführen, daß die Auswertung schon jetzt eine Reihe wichtiger Ergebnisse erkennen ließ und daß die Variationsbreite des Zahlemnaterials relativ gering ist. Für gewisse Fragen konnten auch noch Teile der Daten von 1958, 1959, von der zweiten Brut 1961 und der ersten Brut 1966 mit einbezogen werden, doch wurden im wesentlichen die vier vollständig erfaßten Jahrgänge 1962 bis 1965 ausgewertet.

Bei der Ermittlung des Legebeginns wurde folgendermaßen verfahren: Wenn die Kontrolle während der Eiablage erfolgte, so wurde der Legebeginn ermittelt in der Annahme, daß täglich ein Ei gelegt wurde. War jedoch bereits ein Vollgelege vorhanden, so wurde die El- ablage nach dem Schlüpftermin berechnet, wobei eine Durchschnitts-Brutdauer von 14 Tagen zugrunde gelegt wurdel). Da stets einige Fälle vorkamen, wo bei der Kontrolle gerade das erste Ei vorgefunden wurde, konnte dieses Verfahren immer wieder auf seine Genauigkeit überprüft werden; die Differenz war dabei nie größer als zwei Tage. Eine Zusammen- fassung der Daten in Pentaden hätte jedoch eine zu große Sicherheit vorgetäuscht, während die Dekaden die Verhältnisse ausreichend und übersichtlich erkennen lassen.

Bei der Untersuchung einer solchen aus Einzelbrütern bestehenden Population ist man nicht unbedingt auf die individuelle Kennzeichnung der Brutpaare angewiesen. Ein ä~löglicher Fehler ist gering, wenn man davon ausgeht, daß es dasselbe Brutpaar ist, das in demselben Innenraum, meist auch in demselben Nest, eine zweite Brut aufzieht. Gelegentlich befanden sich in dem betreffenden Raum zwei Rauchschwalbennester, die abwechse]nd für die erste und die zweite Brut benutzt wurden. Wäre zwischen der ersten und der zweiten Brut ein Partner umgekommen und ersetzt worden, so wäre ein solcher Wechsel so auffallend gewesen, daß er bei den Kontrollen wahrscheinlich bemerkt worden wäre. Dies hat sich bei wenigen Fällen von Verlusten gezeigt. Bei einer so kleinen Population war ein Austausch einzelner Partner in der Brutzelt sehr schwierig.

Der Verzicht auf eine Kennzeichnung der meisten Altvögel hatte zusätzlich den großen Vorteil, daß mögliche Störungen des Brutablaufs durch den Fang ausgeschlossen waren. Nach v. VIETINGHOFF-RIEsCtt können adulte Rauchschwalben den Fang und die Beringung sehr verübeln. Die Beobachtung kann mindestens erschwert werden, da einmal gefangene Vögel

1) RADI~ItMACltI~R (1970) stellte bei 35 überprüften Bruten gleichfalls eine 14tägige Brutdauer fest.

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scheuer zu werden pflegen. Dies ergab sich auch bei den Kontrollfängen der wenigen Brut- vögel, die beringt angetroffen wurden.

Bei Einzelbrütern bestehen zudem öfters Möglichkeiten, die Individuen persönlich zu erken- nen aufgrund spezieller Verhaltensweisen. So war z.B. das polygyne (3 K 199116, von dem noch die Rede sein wird, ganz besonders zutraulich; außerdem hatte es die Eigenart, wenn jemand unter der geöffneten Stalltüre stand, so dicht vorbeizufliegen, daß vielfach die Flügel- spitzen den Kopf berührten. Dies wiederholte die Schwalbe, ohne dabei, wie sonst bei Gefahr iiblich, den Warnruf auszustoßen. An dieser Eigenart konnte dieses ~ jederzeit identifiziert werden, auch ohne daß der Nummernring (später durch einen Kennring ergänzt) abgelesen werden mußte.

Einzelbrut oder ùKolonie"

Die Rauchschwalbe kann bekanntlich einzeln oder kolonieartig brüten, wobei vor allem in großen Stallungen die Nester nahe beieinander liegen. Solche ,Kolonien" findet man vor allem dort, wo die Landwirtschaft in großen, vielfach isolierten Ein- zelgehöften betrieben wird. VoN VIETINGHOFF-RI~SCH schreibt von 120 Brutpaaren in einem einzigen Stall und FIöLzn~GER (1969) berichtet von einem Stall mit 95 Brut- paaren.

Die Tradition scheint hierbei mitzuspielen, denn dort, wo in Südwestdeutschland in den letzten Jahren große Aussiedlerhöfe gebaut wurden, fehlen zwar die Rauchschwal- ben nicht, sie brüten auch zu mehreren Paaren, aber niemals auch nur annähernd in einer solchen Dichte wie etwa in Oberbayern oder Schwaben, wo Einzelhöfe seit lan- gem bestehen. In Aussiedlerhöfen benehmen sich die Paare noch wie Einzelbräter, indem sie einen relativ großen Teil des Stalls alsRevier verteidigen und Eindringlinge daraus vertreiben. Wo die Höfe infolge der Erbteilung stark verkleinert sind und die Landwirtschaft meist im Nebenerwerb betrieben wird, sind die Rauchschwalben im allgemeinen Einzelbrüter, wobei die 6 gegen jeden Eindringling heftige Kämpfe führen. Gelegentlich erscheinen auch zwei Paare in einem Stall. Dies führt, wie G. beweisen konnte, leicht zu Polygynie, wobei ein einziges ~ den gesamten Raum be- herrscht, während in verschiedenen Teilen je ein ~ brütet (vgl. LöHRL 1962).

Es hat den Anschein, als ob das Einzelbrüten und die stark ausgeprägte Territoriali- tät dieser Schwalben ein dichteres Zusammenbrüten auch dort verhindern würde, wo neuerdings die Voraussetzungen dafür gegeben wären. Territorial sind die Rauch- schwalben stets, und die zuerst eingetroffenen c~ versuchen wohl überall, zunächst möglichst viel Raum für sich zu behaupten. Vielleicht macht erst der gleichzeitige Ansturm einer großen Anzahl von Rivalen einen Erfolg des Territorialverhaltens zu- nichte. Ganz ähnliche Probleme bestehen ja auch bei anderen Arten wie etwa dem Storch oder dem Höckerschwan, die in vielen Gebieten Einzelbrüter sind und ihre Nachbarn, auch in weiter Entfernung noch, heftig bekämpfen, während sie in anderen Gebieten kolonieartig dicht beisammen brüten können.

Inwieweit bei solchen Arten das Einzelbrüten oder das Koloniebrüten begünstigt ist und Vorteile mit sich bringt, ist bis jetzt noch bei keiner Art untersucht worden, auch nicht bei der Rauchschwalbe. Deshalb soll hier zunächst einmal der Bruterfolg und Brutverlauf bei Einzelbrütern dargestellt werden.

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Eine solche Population unterscheidet sich allerdings noch insofern von einer Brut- kolonie, als die gesamte Populationsdichte geringer ist. In Dörfern mit Einzelbruten ist der Brutbestand vielfach wesentlich geringer als der der Mehlschwalben, während es in Gebieten mit großen landwirtschaftlichen Gehörten umgekehrt zu sein pflegt. Diese unterschiedliche Siedlungsdichte könnte Auswirkungen auf die Vermehrungs- ziffer haben. Andererseits ist das Nahrungsrevier der Rauchschwalben rund um ihre Siedlung unbegrenzt, sofern diese nicht inmitten eines Waldgebietes liegt. Man kann sich kaum vorstellen, daß etwa die Rauchschwalben eines relativ isolierten Gehöftes mit vielen Brutpaaren weniger oder mehr Nahrung finden könnten als Einzelbrüter in einem Dorf. Ein Einfluß wäre vorstellbar bei ungünstiger Witterung, wenn die Schwalben unmittelbar an ihrem Brutplatz innerhalb der Ställe zusätzlich Fliegen erbeuten. Diese Möglichkeit ist jedoch heutzutage begrenzt, da vor allem moderne Ställe stark durchlüftet sind und manchmal auch begiftet werden, so daß Fliegen nicht mehr in großer Zahl dort auftreten. Außerdem brüten gerade unter Einzelbrü- tern viele Paare gar nicht mehr in dem warmen Mikroklima eines Kuhstalles, sondern in Scheunen oder verlassenen Ställen, wo dann dieser Vorteil gänzlich wegfällt. Es gibt auch Kolonien von Rauchschwalben, die nicht in Ställen brüten (GLuTZ VON BLOTZHU~~ 1962). Deshalb ist es fraglich, ob diese Unterschiede ins Gewicht fallen.

Witterungsübersicht Die Witterungsübersicht (Abb. 1) beschränkt sich auf die monatliche Durchschnittsternpe-

:atur und die Niederschlagsmenge im Vergleich zu den langjährigen Mittelwerten (,NormaI- werten"). Sie zeigt,, wie wechselhaft die Bedingungen sind, die die Rauchschwalben nach der Ankunft im Brutgebiet antreffen.

1962 1963 1964 1965 1966

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Abb. 1. Witterungsübersicht l) 1962--1966 (Ludwigsburg). Monatliche Durchschnittstemperaturen von März bis Mai. Der obere Teil kennzeichnet die Abweichung vom langjährigen Mittelwert: -4- = wärmer, - - = kälter. Man erkennt deutlich die für die SchwaIben besonders ungünstigen Werte des Jahres 1965.

1) Daten entnommen au*: ,Monatl. Witterungsbericht für Württemberg «, herausgeg, vom Deutschen Wetterdienst, Wetteramt Stuttgart.

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Die Werte betreffen allerdings nicht das Dorf Riet, sondern das Gebiet von Ludwigsburg, 17km östlich von Riet. Die klimatischen Bedingungen sind jedoch nicht wesentlich ver- schieden.

Wenn man den Legebeginn der Rauchschwalben mit dem Witterungsverlauf vergleicht, ergibt sich eine deutliche Korrelation: Ist das Monatsmittel der Apriltemperaturen deutlich höher als der langjährige Mittelwert, so beginnen die ersten Gelege schon Ende April (1963, 1964, 1966). 1962 lag der Beginn bei sehr kaltem März und weniger April-Überschuß in der ersten Mai-Dekade. 1965 wurden die ersten Gelege nach einem kalten und sehr regenreichen April erst in der zweiten Mai-Dekade begonnen. Die Verhältnisse im März dürften nur inso- weit Einfluß haben, als die Pflanzenentwicklung und damit der Insektenreichtum sich auch in den folgenden Monaten auswirken. Ein überdurchschnittlich warmer Mai (1964) dürfte den hohen Jahresdurchschnitt der Produktion dieses Jahrgangs beeinflußt haben, noch deutlicher dürfte die niedrigste Produktionszlff~r, die auf das Jahr 1965 fiel, auf das drei Monate lang zu kalte und regenreiche Frühjahr zurückzuführen sein. Der Einfluß der Witterungsbedingun- gen geht wohl hauptsächlich auf das davon abhängige Nahrungsangebot zurück.

Ankunft der Brutpopulation

Über die Ankunft der e r s t e n Rauchschwalben gibt es eine umfangreiche Lite- ratur. Es wurde sogar versucht, aufgrund solcher Erstbeobachtungen die unterschied- liche Besiedlungszeit in einem größeren Raum darzustellen. Solche ersten Rauchschwal- ben sind jedoch oft Durchzügler, die mit der örtlichen Brutpopulation gar nichts zu tun haben. So wurden in Riet 1962 die ersten Rauchschwalben am 30.3. und am 2.4. beobachtet, Nistreviere der örtlichen Brutpopulation waren jedoch erst vom 12.4. ab besetzt. 1963 flog die erste Rauchschwalbe am 31.3., während das erste Brutpaar am 7. 4. im Stall eintraf. 1965 zeigten sich die ersten Rauchschwalben am 29. 3 und erwiesen sich am Abend dieses Tages tatsächlich als ortsansässig. Ähnlich war es 1966, wo die am 2.4. beobachteten Rauchschwalben sich gleichfalls schon als Brutvögel des Ortes erwiesen.

Daß die Beobachtung der Erstankömmlinge noch keine Rückschlüsse auf das frühere oder spätere Erscheinen der Population zuläßt, zeigt als Beispiel das Jahr 1965, wo, wie erwähnt, die ersten Brutvögel bereits am 29.3. erschienen. Bis zum 24.4. waren 'jedoch erst fünf Brutpaare anwesend, während in den folgenden drei Wochen vom 25.4. bis zum 15.5. weitere I4 Paare an ihren Nistorten registriert wurden. In der darauffolgenden Woche erschien ein weiteres Paar und ein letztes besetzte am 2.6. ein Revier. Die Ankunft der ortsansässigen Brutpaare zog sich also in diesem Jahr über zwei Monate (genau: 66 Tage) hin. Diese weite Streuung ist jedoch nicht außer- gewöhnlich. Auch im folgenden Jahr 1966 dauerte die Besetzung der Brutplätze vom 2.4. bis zum 5.6. (65 Tage). In den vorhergehenden Jahren war die Ankunftszeit teilweise auf sechs Wochen verkürzt, so 1962 vom 12.4. bis 30.5. (49 Tage), 1963 vom 8.4. bis 28.5. (51 Tage) und 1964 vom 8.4. bis zu einem nicht genau festge- stellten Termin zwischen dem 17. 5. und dem 23.5.

Bis jetzt hatte vor allem L. SCHUSTER (1953) festgestellt, daß sich die Ankunft der Rauchschwalben des hessischen Dorfes Frischborn einmal auf 31, im folgenden Jahr auf 53 Tage erstreckte. Anschließend hat dann G. SCHmT~R (1954) den Einzug einer 12 Paare umfassenden Dorfpopulation registriert. Auch hier verteilte sich die Ankunft auf 28 Tage.

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Wenn indessen L. SCHUSTER glaubte, 53 Tage entsprächen ,nicht ganz demNormal- fall «, so zeigen unsere Daten, daß so lange Zeiträume keine Ausnahmen sind.

Mit_einer großen Variationsbreite der Ankunftsdaten stehen die Rauchschwalben durchaus nicht allein da. Sie scheint, wie auch SCHUSTER betont, bei vielen Zugvögeln die Regel zu sein, doch gibt es nur wenige Nachweise, z.B. beim Storch (BAUER & GLUTZ v. BLOTZHEIM 1966), Halsbandschnäpper (LÖHRL 1951), Rotkopfwürger (ULI~RICH 1971).

Der Verdacht, daß es sich bei den frühesten Ankömmlingen um Alt- und bei den spätesten um erstmals brütende Jungvögel des Vorjahres handeln dürfte, erhält eine Stütze durch folgende Feststellungen: Eine der ersten Rauchschwalben der Brutpopu- lation (K 199116), die 1963 am 8.4., 1964 wieder am 8 .4 , 1965 am 30.3. und 1966 am 2.4. am Brutort eintraf, war 1959 als Jungvogel beringt worden, der demnach im Alter von 4, 5, 6 und 7 Jahren jeweils einer der ersten Heimkehrer war. Von den spätesten Rückkehrern waren 1963 zwei Männchen gekennzeichnet: ein am 20.5. erschienener Vogel stammte aus der ersten Brut 1962 und der am 22.5. erstmals be- obachtete war in einer zweiten Brut des Vorjahres als Nestllng beringt worden.

Trotz des langen Zeitraumes, in dem sich die Ankunft der Brutpopulation voll- zieht, gibt es deutliche, in den einzelnen Jahrgängen verschieden liegende Zeitspan- nen, in denen die Hauptmasse der Brutpaare eintrifft. So erschienen 1962 bei ins- gesamt 21 in ihrer Ankunftszeit registrierten Brutpaaren 16 zwischen dern 22.4. und 5.5.; 1963 kamen 12 der 21 Paare zwischen dem 14.4. und dem 4.5. an. 1964 da- gegen war dieser Zeitpunkt deutlich verschoben: von den 22 Paaren erschienen 14 zwischen dem 26.4. und 16.5.; 1965 lag die Ankunft von 14 der 20 Paare gleichfalls erst zwischen dern 25.4. und 15.5, doch waren vom 28.3. bis 3.4. drei Brutpaare angekommen. Es waren wohl Witterungseinflüsse, die die weitere Ankunft zunächst verzögerten, denn bis zum 24.4. waren erst zwei weitere Paare angekommen. 1966 war die Verteilung wiederum ganz anders: 17 der insgesamt 23 Paare hatten bereits bis zum 23.4. ihre Nistreviere besetzt.

Man kann also folgern, daß sich die Ankunft der Gesamtpopulation ~/uf sechs bis acht Wochen hinzuziehen pflegt, daß jedoch die Hauptmasse innerhalb von zwei bis drei Wochen eintrifft. Die Zeit, zu der dies stattfindet, variiert in den einzelnen Jahren stärker als die Zeitspanne, in der die Gesamtpopulation erscheint.

Diese Tatsachen zeigen, daß die Auswertung von Erstankunfts-Daten über den Einzug einer Brutpopulation nicht viel auszusagen vermag.

Abzug

Der Abzug der Rauchschwalbenpopulation in Riet verteilt sich auf einen Zeitraum von drei bis vier Wochen. Er beginnt regelmäßig in der letzten Augustwoche; bis etwa zum 12.9. ist der größte Teil alljährlich weggezogen. Die letzten Vögel der Brutpopulation verschwanden 1963 in der Woche vom 22.--28.9, 1964 am 22.9. und 1965 am 18.9. Wenn SCHUSTER (1953) berichtet, im Gegensatz zum Einzug voll- ziehe sich der herbstliche Abzug, ,indem die Gesamtpopulation truppweise und meist

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innerhalb weniger Tage verschwindet", so traf das bei unserer Population nicht zu, wohl aber vollzieht sich der Abzug rascher.

Legebeginn und erste Brut

Der Legebeginn ist stark von der Witterung abhängig und variiert entsprechend. Eine frühzeitige Ankunft des Großteils der Population braucht jedoch nicht unbe- dingt einen frühen Legebeginn mit sich zu bringen, wenn die Witterung nach de1 Ankunft ungünstig ist. Andererseits hat eine sehr späte Rückkehr selbstverständlich einen verspäteten Legebeginn zur Folge.

F r ü h e s ' t e r L e g e b e g i n n

In den vier Kontrolljahren variierte der früheste Legebeginn vom 28.4. (1963 und 1964) bis zum 13.5. (1965). Im Jahr 1966, in dem noch die Ankunft und der Lege- beginn der frühesten Paare registriert werden konnte, begann die Eiablage bei einem Paar schon am 20. oder 21.4., bei einem zweiten Paar am 25.4. Die Variationsbreite kann also in den einzelnen Jahrgängen rund drei Wochen betragen. Die Verallgemei- nerung v. VI~TINGHOrF-RIEsCHS: , In Deutschland trifft man auf volle Gelege frühe- stens am 10. Mai, im allgemeinen nicht vor Mitte Ma i . . . " , trifft also keinesfalls zu.

Innerhalb der vier Untersuchungsjahre schwankte der Beginn der Eiablage bei den einzelnen Paaren"

1962 vom 7. 5.--17. 6. 1963 vom 28.4.--13.6. 1964 vom 28.4.-- 3.6. 1965 vom 13.5.--20.6.

42 Tage 47 Tage 37 Tage 38 Tage.

B e z i e h u n g z w i s c h e n E r s t b r u t - L e g e b e g i n n u n d Z w e i t b r u t

Die späte Ankunft der Brutpopulation im Jahre 1965 und der späte Legebeginn hatten den in der Untersuchungszeit geringsten Anteil an Zweitbruten zur Folge. Umgekehrt stammten die in der Berichtszeit festgestellten beiden Drittbruten von Paaren, die das erste Ei der ersten Brut noch Ende April abgelegt hatten. Ein so früher Legebeginn wurde - - außer 1966 - - sechsmal ermittelt.

Wenn wir alle diese Bruten als ,erste Brut" bezeichneten, so bedeutet das nicht, daß sich stets eine Zweitbrut anschloß. Im allgemeinen wurden die Gelege bis Ende Mai begonnen, sofern noch eine zweite Brut folgte, zweimal war es noch der 2.6., einmal sogar der 17. 6.

V e r t e i l u n g d e r L e g e b e g i n n e (Abb. 2)

Wenn man die insgesamt 86 Erstgelege nach Jahren getrennt aufzeichnet, so ent- steht ein reichlich uneinheitliches Bild. Dies ist wahrscheinlich vom jeweiligen Witte- rungsverlauf abhängig. Am einheitlichsten erscheint die f3bersicht 1965, wo die un- günstige Witterung keinen frühen Legebeginn zuließ. Die Folge war, daß nach Be- ginn der Eiablage schon in der ersten Dekade ein Gipfel erreicht wurde, der allmäh-

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30 ,o. 2o 30. 9. ~9. 29 9. ,9. 29 8. A I M I J I ~ I A

Abb. 2. Zahl der Legebeginne in Dekaden. Schwarz: I. Brut; weiß: II. Brut; s&raffiert: I. und II. Brut gleichzeitig

lich und gleichmäßig abfiel. Bei Zusammenfassung der Dekaden der vier Jahre nähert sich das Bild jedoch einer Normalverteilung. Die Zahl der begonnenen Gelege nimmt zu, erreicht in der letzten Maidekade den Gipfel und fällt dann steil ab.

Zweite Brut

Innerhalb der Untersuchungsjahre lagen die weitesten Zeitspannen für die Lege- beginne der zweiten Brut:

1962 vom 24.6. bis 7.8. = 44 Tage 1963 vom 14.6. bis 5.8. = 52 Tage 1964 vom 10.6. bis 31.7. = 51 Tage 1965 vom 28.6. bis 2.8. = 35 Tage

Die frühesten Zweitbruten beginnen also alljährlich schon im Juni. Von VIETING- HOFF-RI~scH meint demgegenüber, im allgemeinen lägen die ersten Eier der Zweit- brut um den 21. Juli im Nest. ,Theoretisch" könnte das schon Anfang Juli möglich sein.

Trotz der sehr variablen Zeitspanne, die teilweise von den Daten der Erstbrut ab- hängt, ergibt sich auch bei der zweiten Brut ein deutlicher Gipfel, der auf die zweite

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Julidekade vom 10.--19.7. fällt. Im Juni können im selben Zeitraum sowohl späte Erstgelege wie auch frühe Zweitgelege begonnen werden.

Zeitabstand zwischen der ersten und zweiten Brüt

Nach von VIETINGHOFF-RrEsCH liegt der kürzeste Zeitabstand zwischen der ersten und zweiten Brut bei 36 Tagen, wenn man zugrunde legt, daß nach 5 Tagen der Eiab- lage eine als Minimum elftägige Bebrütung folgt und anschließend eine zwanzigtägige Nestlingszeit. Wir fanden indessen niemals eine Brütezeit von nur 11 Tagen.

In unserer Berichtszeit lag die kürzeste Zeitspanne (die auf ein Paar entfiel, das anschließend eine dritte Brut machte) bei etwa 43 Tagen. Ein ähnlich kurzer Zeitab- stand von 44 Tagen ergab sich bei einem sehr leistungsfähigen Paar, das bei der ersten Brut fünf Eier legte und fünf Junge aufzog, bei der zweiten aus sechs Eiern sechs Junge. Die übrigen Zeitspannen liegen zwischen 46 und 65 Tagen. Der Durchschnitt in den vier Jahren beträgt 53,5 Tage und variierte in den einzelnen Jahren von knapp 51 bis 55,5 Tagen; v. VIET~NO~OF»-RIEsCH berichtet von durchschnittlich 55 Tagen.

Bei neun Brutpaaren wurden die Legebeginne sowohl bei der ersten wie bei der zweiten Brut während der Eiablage, also ohne mögliche Berechnungsfehler, ermittelt. Die Zeitabstände betrugen: 46, 49, 50, 50, 53, 53, 56, 60 und 65 Tage. Die durch- schnittliche Dauer beträgt auch hier 53,5 Tage.

Gelegegröße E r s t e B r u t

Die häufigste Eizahl eines Geleges war 5 (Abb. 3). Die durchschnittliche Gelege- größe betrug

1962 4,7 (n = 23) 1963 4,7 (n = 21) 1964 5,0 (n = 22) 1965 5,0 (n = 20)

GELEGEGRÖSSEN DER RAUCHSCHWALBE 1962-1965

80 I BRUT ]I BRUT I*IT,]]I BRUT

60

4 0 -

3 0 -

2 0 -

io 2

o A 3 4 5 6 7 3 4 5 6 3 4 5 6 7

n = 2~ 21; 52« 10; I n.7, 39; 22~ I n = 9, 62174; 11;I B- 4,85 ~=4,25 ¢-4,57

EIER Abb. 3. Gelegegröflen der Rauchschwalbe

1962--1965 (Ordinate = Zahl der Bruten)

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408 H. LöHRL & Il . GUTSCHER t C~. l j.l~~n.

Die Verteilung der verschiedenen Gelege ist der Abbildung zu entnehmen. Die ins- gesamt registrierten 86 Gelege mit 417 Eiern ergeben eine durchschnittliche Eizahl von 4,85.

Z w e i t e B r u t

Hier sinkt die Gelegegröße im Durchschnitt deutlich ab. Sie betrug

1962 4,05 (n = 21) 1963 4,5 (n = 16) 1964 4,3 (n = 19) 1965 4,15 (n = 13)

Bei der zweiten Brut enthielten 69 Gelege 293 Eier, im Durchschnitt 4,25.

Der Unterschied in der Gelegegröße zwischen der ersten und zweiten Brut beträgt weniger als ein El. Nicht alle 9 legen also bei der 2. Brut weniger Eier als bei der ersten. In sechs Fällen enthielt das zweite Gelege m e h r Eier als das erste, bei 22 Bruten war die Eizahl gleich geblieben, bei 31 Bruten wurde ein Ei weniger ge- legt, bei 9 Bruten waren es 2 Eier und bei einer einzigen Brut 3. Daraus geht hervor, daß mehr als ein Drittel aller Gelege der II. Bruten gleich groß oder größer war als bei der I. Brut.

A n t e i l d e r Z w e i t b r u t e n

Nicht alle Rauchschwalben machen alljährlich zwei Bruten. In den vier Jahren entfielen auf 86 Erstbruten 69 Zweitbruten, das sind 80 %. In den einzelnen Jahren betrug der Anteil:

1962 1963 1964 1965

9 1 % 76 °/0 86 °/0 65 °/0.

Es ist sehr wahrscheinlich, aber bis jetzt noch nicht bewiesen, daß es sich bei spät ankommenden Paaren um einjährige Vögel handelt, die vielfach nur eine Brut durch- führen. Doch ist es fraglich, ob alle Weibchen, die nur einmal brüten, einjährig sein müssen. Der geringe Anteil von Zweitbruten 1965 geht offenkundig auf die witte- rungsbedingte späte Ankunft und den späten Brutbeginn fast aller Rauchschwalben der Population in jenem Jahr zurück.

D r i t t e B r u t

Wie schon erwähnt, haben zweimal Paare drei Bruten erfolgreich aufgezogen, was 2,3 o/o der Erstbruten entspricht. Die Gelege der beiden Drittbruten enthielten je 4 Eier; davon kamen 4 und 2 Junge zum Ausfliegen.

Drittbruten, die auch v. VI~TINGHOF»-RIEsC~ als ,großen Ausnahmefall « bezeich- net, kommen offenbar nur vor, wenn die Witterungsbedingungen einen sehr frühen Legebeginn für die erste Brut zulassen. Zwischen der ersten und zweiten Brut lagen dazuhin die kurzen Zeitabstände von 43 bzw. 47 Tagen, zwischen der zweiten und

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Heft 4 ] 1973

6] n~ó ~15 22

5-

4i

3-

2-

1-

O.

30. 10. 20. 30.

A I M I

Brutbiologie der Rauchschwalbe 409

24 10 7.3 1.14 11 25 10 4

~9. ~9. 9. ~9. ~~ 8.

J I J i A p

Abb. 4. Gelegegröße in den einzelnen Dekaden n = Zahl der Bruten

Schwarz: I. Brut; weiß: I I . Brut

dritten Brut betrug die Zeitdifferenz 45 bzw. 46 Tage. Die Ablage des dritten Ge- leges fiel auf diese Weise noch in die letzte Juliwoche, also noch über eine Woche vor den Beginn der allerletzten Zweitbruten.

Die jahreszeitliche Variation der Gelegegröße

Die Aufteilung der Gelegegrößen nach Dekaden (Abb. 4) ergibt ein von vielen bis- her untersuchten Vogelarten abweichendes Bild. In den drei Mai-Dekaden, in denen die meisten Erstgelege (62 von 86 Bruten) produziert werden, nimmt die Eizahl nicht ab, sie beträgt je Dekade 5,1, 4,95 und 5,05. Die letzte April-Dekade ist nicht reprä- sentativ, da nur 6 Werte verfügbar sind. Im Juni fällt die Eizahl auf 4,5 ab und bleibt wieder während der drei Dekaden gleich, wenn man die 3 + 1 letzten Gelege der Erstbruten als nicht repräsentativ unberücksichtigt läßt. Innerhalb von 70 Tagen, vom 10.5. bis zum 19.7., sinkt die Gelegegröße lediglich um 0,8. Vergleicht man dies mit den gut untersuchten Höhlenbrütern, z.B. der Kohlmeise, so fällt dort nach KLtrlJVER (1951) die Gelegegröße von April bis Juli von 10,3 auf 6,0, also um 4,3. Beim Trauerschnäpper (v. I-IAARTMAN 1951, 1954, 1967, CREUTZ 1955, Ctn~Io 1959) sowie beim Halsbandschnäpper (LöHRr 1957) vermindert sich die durchschnittliche Gelegegröße um mehr als 2 innerhalb von 4 bis 5 Wochen. Viele weitere Beispiele und Hinweise sind zu finden bei KroMv (1970) im Abschnitt ,Seasonal variation of Clutch-size".

Bruterfolg

Der Bruterfolg der Rauchschwalbenpopulation von Riet war in den vier Unter- suchungsjahren wie auch in den Jahren 1958 und 1959 außerordentlich hoch. Bei der ersten Brut sind von 417 gelegten Eiern 364 Junge ausgeflogen, was einem Anteil von 87,3 °/0 entspricht. Bei der zweiten Brut waren es von 293 Eiern 257 ausgeflogene Junge (87,7 °/0). Insgesamt ergaben, einschließlich der beiden Drittbruten, 87,6 °/0 der gelegten Eier ausgeflogene Junge.

Die geringfügigen V e r 1 u s t e sind nicht gleichmäßig verteilt. Bei den Erstbruten hatten 58 von 86 keinen Verlust. Aus diesen Gelegen (67,4 0/0) flogen so viele Junge aus, wie Eier gelegt worden waren. Von den 28 Gelegen mit Verlusten waren bei 23 nicht geschlüpfte Eier die Ursache. Jungenverluste gab es in 10 Nestern. Eir~zelne

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410 H. LöHnE & H. GUTSC~ER [ J" Orn. L 114

Nester hatten Verluste durch nicht geschlüpfte Eier wie auch durch eingegangene Junge.

Bei den Zweitbruten waren 54 von 69 ohne jeden Verlust (78,3 °/0). Bei den 15 Bru- ten mit Verlusten waren bei 10 nicht geschlüpfte Eier die Ursache, bei 6 Bruten starben Junge.

Es ergab sich demnach ein deutlicher Unterschied zwischen der ersten und der zwei- ten Brut, da bei 26,7 °/0 sämtlicher Erstbruten einzelne Eier nicht schlüpften, bei den Zweitbruten waren es nur 14,4 °/0. Wenn trotzdem bei Erst- und Zweitbruten der Er- folg ähnlich groß war, so lag dies nicht an dem Anteil der Nester mit Verlusten über- haupt, sondern an der Höhe der Verluste in den einzelnen Nestern. Während bei der ersten Brut 53 Junge weniger ausflogen, als Eier gelegt worden waren, verteilt sich diese Zahl auf 39 nicht geschlüpfte Eier und 14 gestorbene Junge. Bei der zweiten Brut betrug die Differenz zwischen Eiern und ausgeflogenen Jungen 36, davon entfielen auf nicht geschlüpfte Eier wie auf gestorbene Junge je 18.

Bei den wenigen Nestern, die überhaupt Verluste hatten, waren diese also bei der zweiten Brut höher als bei den entsprechenden Erstbruten. I m D u r c h s c h n i t t s i n d b e i d e r e r s t e n B r u t 4,23 J u n g e a u s g e f l o g e n (364 in 86 B r u t e n ) , b e i d e r z w e i t e n B r u t 3,72 ( 2 5 7 in 69 B r u t e n ) .

Im einzelnen kamen zum Ausfliegen: 2~8 Junge aus 9 Dreier-Gelegen, 3,4 Junge aus 62 Vierer-Gelegen, 4,4 Junge aus 74 Fünfer-Gelegen und 5,3 Junge aus 11 Sechser-Gelegen. Aus 1 Siebener-Gelege flogen alle Jungen aus.

Produktion

Die Produktion errechnet sich aus der Zahl der Jungen, die pro Brutpaar zum Aus- fliegen kamen. Dabei fällt natürlich stark ins Gewicht, wie viele Paare eine Zweitbrut durchgeführt haben. Ein geringer Hundertsatz von Zweitbruten senkt den Durch- schnitt. Die Zahl der ausgeflogenen Jungen pro Brutpaar betrug in diesen vier Jahren 7,3 Junge. Darin sind auch die insgesamt 6 Jungen der zweimal vorgekommenen drit- ten Bruten enthalten. Die höchsten Zahlen an ausgeflogenen Jungen, die ein einziges Paar innerhalb einer Brutsaison zum Ausfliegen brachte, waren einmal (1963) 13 flügge Junge, nämlich in drei Bruten zu 4, 5 und 4 Jungen; 1965 flogen aus zwei Bruten 12 Junge aus, 7 bei der I., 5 bei der II. Brut. Der Durchschnitt der Produktion pro Brutpaar in den einzelnen Jahren betrug

1962 7,0 (I. Brut 3,74, II. Brut 3,57 Junge) 1963 7,6 (I. Brut 4,24, II. Brut 4,18 Junge) 1964 7,8 (I. Brut 4,64, II. Brut 3,53 Junge) 1965 6,7 (I. Brut 4,35, II. Brut 3,7 Junge)

Einfluß des Mikroklimas auf Bruterfolg und Produktion

Man kann wohl allgemeingültig sagen, daß Rauchschwalben Ställe, in denen sich Vieh befindet, anderen Räumen vorziehen. Ställe haben eindeutig ein wärmeres Mi- kroklima als andere Räume, und dies wirkt sich in erster Linie dann aus, wenn die Außentemperatur durch Witterungsrückschläge starkt sinkt, was sich in Ställen weniger

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Heft4] Brutbiologie der Rauchschwalbe 411 1973 /

bemerkbar macht. Dazu kommt, daß Fliegen in Ställen zahlreicher sind als in anderen Räumen.

Die Population in Riet besteht zu etwa einem Drittel aus Paaren, die regelmäßig in Räumen ohne zusätzliche Wärmequelle brüten. Es handelt sich dabei um Scheunen, Werkhallen und ehemalige Ställe, in denen sich kein Vieh mehr befindet. Eine Tren- nung der Population in Paare, die in kalten Räumen bzw. in warmen Ställen brüten, führte zu folgenden Ergebnissen:

G e 1 e g e g r ö B e : Die durchschnittliche Gelegegröße betrug in kalten Räumen bei der ersten Brut 4,82, bei der zweiten Brut 4,32; in warmen Ställen bei der ersten Brut 4,86, bei der zweiten Brut 4,21. Hier ergibt sich also kein Unterschied.

A n t e i l d e r Z w e i t b r u t e n : 28 Brutpaare in kalten Räumen machten 22 Zweitbruten = 78,5 °/0; 58 Brutpaare in warmen Ställen machten 47 Zweitbru- ten 81 °/0.

Daraus resultiert die

F r u c h t b a r k e i t (Gelegegröße bei der ersten und zweiten Brut) : Bei 28 Bruten in kalten Räumen kamen insgesamt 230 Eier zur Ablage, was eine Fruchtbarkeit von durchschnittlich 8,21 Eiern je Brutpaar ergibt; bei 58 Bruten in warmen Ställen wur- den insgesamt 488 Eier (einschließlich der beiden Drittbruten) abgelegt. Dies ergibt einen Durchschnitt von 8,41 Eiern je Brutpaar.

V e r ! u s t e : Von 230 Eiern, die in kalten Räumen gelegt wurden, kamen 199 Junge zum Ausfliegen. Der Verlust von 31 Eiern oder Jungen entspricht einem Anteil von 13,5 %. Von 488 Eiern, die in warmen Ställen gelegt wurden, kamen 428 Junge zum Ausfliegen. Ein Verlust von 60 Eiern oder Jungen entspricht einem Anteil von 12,3 0/0.

D i e P r o d u k t i o n , d.h. die Zahl der Jungen, die ein Brutpaar im Jahres- durchschnitt zum Ausfliegen brachte, betrug

bei Bruten in kalten Räumen 199 : 28 = 7,1, bei Bruten in warmen Ställen 428 : 58 = 7,38.

Es ergibt sich also ein geringer, jedoch nicht signifikanter Unterschied im Bruterfolg. Die Gelegegröße ist bei Brutpaaren in kalten Räumen gleich groß, diese Brutpaare machen jedoch e t w a s weniger Zweitbruten und zusätzlich haben sie e t w a s höhere Ausfälle an Eiern und Jungen. Dies ergibt dann den Unterschied in der Pro- duktion, der sich in ,normalen « Jahren zwar kaum auswirkt, doch wäre es denkbar, daß sich ein möglicher Vorteil warmer Ställe im Falle von Kaltwettereinbrüchen deutlicher bemerkbar machen könnte. Weitere diesbezügliche Untersuchungen wären

erwünscht.

Diskussion

Die Regelmäßigkeit, mit der die ersten Rauchschwalben einer Population Ende März oder Anfang April zu erscheinen pflegen, sollte nicht darüber hinwegtäuschen,

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412 H. LöHRL & H. GUTSCHER [ j' 114Orn"

daß ebenso regelmäßig die letzten Brutpaare erst Ende Mai oder anfangs Juni ein- treffen. Die lange Zeitspanne hängt wohl damit zusammen, daß die Mauser im Win- terquartier nicht gleichzeitig beendet ist. Im Februar 1971 sah L. in Zentralafrika sehr verschiedene Mauserstadien bei Rauchschwalben desselben Schwarms.

Es wäre denkbar, daß die Jungvögel später Bruten später mausern und zurück- kehren, da~~ also die Phasenlage ihrer Jahresperiodik noch längere Zeit vom Geburts- termin abhängig bleibt. Bei zwei Grasmückenarten haben B~RT~OLD et. aL (1970) jedoch gezeigt, daß Junge später Bruten die jahreszeitliche Verspätung in der Feder- entwicklung und Mauser aufholen. Im Gegensatz zu den Schwalben wird jedoch bei diesen Arten die Jugendmauser v o r dem Wegzug durchgeführt und beendet.

Die weit verteilten Ankunftszeiten können jedoch biologisch sinnvoll sein, denn im Falle von Witterungskatastrophen auf dem Zuge wird dadurch jeweils nur ein Teil der Population betroffen. In gleicher Weise kann das Fehlen einer erkennbaren Syn- chronisation der Population in der Fortpflanzungszeit das Risiko von witterungsbe- dingten Jungvogelverlusten während kurzer Schlechtwetterperioden innerhalb der Population vermindern. Die Dauer der Fortpflanzungsbereitsd~aft von der letzten April-Dekade bis anfangs August ist nur möglich, weil die Jugendmauser, anders als bei den meisten Passeres, erst im Winterquartier stattfindet. Die lange Ausdehnung der Legeperiode ist teilweise ein Spiegelbild der verschiedenen Ankunftszeiten. Die verspätete Ankunft und ungünstige Witterung im Jahr 1965 wurde jedoch zum Teil durch eine verkürzte Legeperiode ausgeglichen. Das Fehlen von Beispielen, die zeigen könnten, ob Verluste infolge ungünstiger Bedingungen nur Teile der Population be- treffen können, ist möglicherweise eine Folge der zu kurzen Untersuchungszeit. Bei dem in Mitteleuropa extrem wechselhaften Witterungsverlauf können um so mehr mögliche Faktoren erfaßt werden, je länger eine Untersuchung durchgeführt wird.

Der aui~erordentlich hohe Bruterfolg dieser Populatlon von Einzelbrütern dürfte kaum zu übertreffèn sein in Populationen, die in großen Stallgebäuden kolonieartig brüten. Solche ,Kolonien" sind bei den Rauchschwalben wahrscheinlich nur auf die Ausnutzung derartiger Innenräume zur~ickzuführen, die zur Brut besonders geeignet sind. Offenbar ermöglicht eine in diesen Fällen verminderte Aggression das gemein- schaftliche Brüten. Die gemeinsame Verteidigung gegenüber Flugfeinden, die Kolonie- brütet vielfach zu begünstigen scheint, ist bei Einzelbrütern innerhalb von Dorfge- meinschaften in gleicher Weise möglich. Grelfvögel, die über einem solchen Dorf er- scheinen, Werden regelmäßig von großen Teilen der Population gemeinschaftlich ver- folgt.

Der konstant hohe Bruterfolg der untersuchten Population deutet darauf hin, daß die wenige Jahre vor Beginn der Untersuchungen festgestellte starke Abnahme kaum auf Mortalitätsfaktoren zurückgeführt werden kann, die in diesem Brutgebiet lagen. Sie wären G. zweifellos nicht entgangen. Die fehlende Geburtsortstreue der Rauch- schwalben führt wohl dazu, daß sich die einjährigen Rückkehrer großenteils in der weiteren Umgebung ansiedeln (vgl. v. VIETINGHOFF-RIESCH 1955), SO daß sich Ver- luste wie auch Überschüsse auf größere Gebiet aufteilen. Es ist durchaus möglich, daß

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Heft 4] Brutbiologie der Rauchschwalbe 413 1973 I

die Rauchschwalben in ihren Durchzugsgebieten Verluste durch Nahrungsmangel oder Gifteinwirkung erleiden, etwa in Jahren, wo in Nordafrika in größerem Umfang Insektizide gegen Heuschreckenschwärme vom Flugzeug aus versprüht werden.

Ob man die Rauchschwalbe unter die Arten einreihen kann, deren Gelegegröße im Verlauf der Brutperiode gleichförmig abnimmt, erscheint fraglich. Unter den von KLO~P (1970) dargestellten Beispielen zeigt keines ein derart geringes Gefälle inner- halb von zwei Monaten. Die Tatsache, daß die Eizahl jeweils über mehrere Dekaden auf gleicher Höhe bleibt und dann nicht allmählich, sondern als Stufe abfällt, läßt eher auf einen Effekt der Brutzahl schließen, indem die Eizahl der zweiten Brut etwas geringer ist als die der Erstbrut, was jedoch nicht einmal für alle Brutpaare gilt. Nur die jeweils allerletzten Gelege der ersten wie der zweiten Brut fallen etwas mehr ab. Die funktionelle Bedeutung, also der ,ultimate factor", wird vor allem durch LAcK (1954) mit der Verschlechterung der Ernährungsbedingungen für die Jungen der späteren Bruten erklärt.

Die viel stärkere Abnahme der Eizahl bei den gründlich untersuchten Kohlmeisen oder Fliegenschnäppern ist wahrscheinlich angepaßt an die sich wandelnde Nahrungs- q u a 1 i t ä t ; wie L. beim Halsbandschnäpper (LöHRL 1957) zeigen konnte, besteht das Aufzuchtsfutter für die Jungen früher Bruten zu einem viel größeren Anteil aus Larven, vor allem Raupen, während späte Bruten größtenteils mit Fluginsekten ge- füttert werden müssen, die wahrscheinlich wesentlich mehr Ballast- und weniger Auf- baustoffe enthalten. Bei der Rauchschwalbe hingegen besteht die Nahrung während des ganzen Sommers aus Fluginsekten, so daß sie sich qualitativ nicht verschlechtert.

Der Gipfel in der Periode der Eiablage der I. Brut fällt nach Abb. 1 auf die zweite bis dritte Dekade im Mai, die Aufzuchtszeit der Jungen dementsprechend in den Juni; der Gipfel bei der Eiablage der II. Brut liegt in der zweiten Juli-Dekade, die Aufzucht der Jungen erfolgt im Lauf des August. Bezüglich der Ernährung liegt der Unterschied zwischen der I. und II. Brut in der verfügbaren Tageszeit für die Flug- jagd und damit der Nahrungsm e n g e. Bei der II. Brut ist die Tageslänge um etwa zwei Stunden verringert (Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang am 18. Juni: 16 Stun- den 36 Minuten; am 13. August: 14 Stunden 43 Minuten). Die geringe Verminderung der Jungenzahl um durchschnittlich 0,5 entspricht weitgehend der kürzeren Tageszeit, die für die Nahrungsbeschaffung zur Verfügung steht.

Wenn wir nach den auslösenden Reizen - - proximate factor - - für diese Erschei- nung suchen, fiele es nicht schwer, als steuernden Mechanismus die zunehmende Tages- länge bei der Eiablage für die I. Brut, die abnehmende Tageslänge für die verminderte Gelegegröße bei der II. Brut anzunehmen, denn hier bildet der Kulminationspunkt des 21. Juni gleichzeitig (mit wenigen Ausnahmen) die zeitliche Trennung der Eiab- lage zwischen der ersten und zweiten Brut (Abb. 2). Bei den oben erwähnten Arten mit abnehmender Eizahl vom Beginn der Legeperiode ab entsteht die Schwierigkeit, daß die gleichförmige Abnahme bei zunehmender Tageslänge beginnt und bei ab- nehmender endet. Dort scheidet also die Annahme einer nur photoperiodischen Steue- rung aus, und dies zeigt, daß das Problem wohl auch bei der Rauchschwalbe nicht so einfach liegt, wie es scheinen könnte.

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414 H. LÖHRL ~ H. GUTSCHER [J. Orn. 114

Zusammenfassung Eine aus Einzelbrütern bestehende Dorfpopulation der t(auchschwalbe wurde vier Jahre

lang in Beziehung auf die Ankunftszeiten, den Wegzug, den Legebeginn der I. und II. Brut, den Zeitabstand beider Bruten, die Gelegegröße und den Bruterfolg untersucht. Dazu kamen Fragendes Einflusses der Witterung sowie etwaiger Einflüsse kalter Bruträume im Vergleich zu warmen Stallungen auf den Brutetfolg. Untersuchungsgebiet war das Dorf Riet nordwest- lich von Stuttgart, klimatisch zum Neckarbecken gehörend. Ankunftszeiten und Bruten wur- den wöchentlich, manchmal auch täglich kontrolliert.

Die Witterung in den Frühjahrsmonaten war in den vier Untersuchungsjahren sehr ver- schieden; der Legebeginn, teilweise auch die Ankunft, erwiesen sich als witterungsabhängig. Die Ankunft der Brutpopulation (20 bis 23 Paare pro Jahr) dauerte 49, 51, 40--46, 66 und 65 Tage. Der Wegzug dauerte von Ende August bis Ende September.

Der Legebeginn für die früheste Jahresbrut lag zwischen Ende April und dem 13. Mai. Innerhalb der Population verteilte sich die Eiablage der I. Brut auf 42, 47, 37 und 38 Tage. 'Die häufigsten'Legebeginne fielen auf die dritte Mai-Dekade, die letzten Gelege der Erstbrut wurden am 17. 6., 13.6., 3.6. und 20.6. begonnen.

Der Anteil der Paare mit Zweitbruten schwankte zwischen 91 °/0, 76 °/0, 86 °/0 und 65 °/o. Insgesamt gab es 69 Zweitbruten gegenüber 86 Erstbruten, im Durchschnitt 80 °/0.

Die Zeitabstände zwischen der I. und II. Brut betrugen im Durchschnitt 53,5 Tage und schwankten zwischen 46 und 65 Tagen. Das erste Ei der frühesten Zweitbruten wurde zwischen dem 10.6. und 28.6. abgelegt', die spätesten am 5. und 7. August. Die Eiablage bei der II. Brut verteilte sich auf 35 bis 52 Tage.

Die Gelegegröße der I. Brut betrug im Jahresdurchschnitt 4,7; 4,7; 5,0 und 5,0. Bei der II. Brut war sie abgesunken auf durchschnittlich 4,05; 4,5; 4,3 und 4,15.

Innerhalb der vier Jahre enthielten die Gelege der I. Brut durchschnittlich 4,85, die der II. Brut 4,25 Eier. Zwei Drittbruten enthielten je 4 Eier. Der Durchschnitt aller 157 Bruten beträgt 4,57.

Die Abnahme der Eizahl während der Brutperiode war im Vergleich mit anderen Arten gering. Da sich das Nahrungsangebot nicht ändert, könnte die verminderte Jungenzahl eine Anpassung an die um 2 Stunden verkürzte Tageszeit darstellen, die für die Insektenjagd zur Verfügung steht.

Der Bruterfolg war sehr hoch. Bei der I. Brut ergaben 87,3 °/0 der gelegten Eier flügge Junge, bei der II. Brut 87,7 °/0. Im Durchschnitt flogen bei der I. Brut 4,23 Junge je Brut, bei der II. Brut 3,72 Junge aus. Die Frage etwaiger Vorteile einzeln oder gemeinschaftlich brüten- der Rauchschwalben wird erörtert.

Die Produktion, d. h. die Zahl der ausgeflogenen Jungen pro Brutpaar betrug 7,0; 7,6; 7,8 und 6,7. Das Jahresmaximum waren 13 und 12 Junge pro Brutpaar.

Zwischen ùkalten" Bruträumen und warmen Ställen ergaben sich nur geringfügige Unter- schiede. Die Produktion betrug 7,1 und 7,38. Der geringe Unterschied geht nicht auf die Gelegegröfle, sondern auf die in kalten Räumen etwas geringere Zahl von Zweitbruten und etwas höheren A.usfälle an Eiern und Jungen zurück.

Summary ;~)

P o p u l a t i o n s t u d i e s of t h e S w a l l o w (Hirundorustica) i n a v i l , l a g e in S o u t h w e s t G e r m a n y

A village population of the Swallow, breeding in slngle pairs in srnall rooms, was studied during a period of four years. Data taken included time of arrival, time of depar- ture, beginning of egg laying in the first and second broods, time interval between the two

::') Für die Korrektur der englischen Übersetzung danken wir D. L. BAPTISTA und Frau vielmals.

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Heft 4 ] Brutbiologie der Rauchschwalbe 415 1973 1

breeding periods, clutch size and breeding success. The possible inf/uences of weather and cold rooms compared with warm stab/es on breeding success were examined.

The study area was the village Riet northwest of Stuttgart; the ctimate was typical of the warm Neckar Valley. Time of arrival was recorded, and nests were inspected weekly, sometimes daily. Spring weather differed from year to year during the four-year study period.

The beginning of egg laying and sometimes also time of arrival were correlated with the weather conditions. The time of arrival of the whole population (20--23 pairs) was 40, 51, 40--46, 66 and (in a fifth year) 65 days. Departure began in the last week of August and terminated by the end of September. The beginning of egg laying in the earliest clutch of the year ranged from the last days of April to the 13th of May. First clutches of the population were completed within periods of 42, 47, 37 and 38 days. The greatest number of clutches were laid during the last ten days of May. The last first clutches began on the 17th, 13th, 3rd and 20th of June.

The percentage of pairs breeding a second time was 91%, 76 %, 86 % and 65 %. There were altogether 69 second clutches in contrast to 86 first clutches over the four years. The interval between the first and second clutch averaged 53,5 days, and ranged from 46 to 65 days. The first egg of the earliest second clutch was laid between the 10th and 28th of June, the latest between the 5th and 7th of August. Egg laying for the second clutches was spread over a perlod of 35 to 52 days.

The average first clutch sizes were 4,7; 4,7; 5,0 and 5,0. Second clutches averaging

4,05, 4,5, 4,3 and 4,15 were smaller. Average clutch size over the four-year period was 4,85 for the first clutch and 4,25 for

the second. There were two third clutches, each with four eggs. The average of all 157 clutches was 4,57.

In contrast to some other species, the decrease in clutch size during the breeding season was low. Since the food supply was equal during both breeding attempts, the low decrease in clutch size was probably an adaptation to shorter day lenght: there were two hours less for hunting insects.

Breeding success was very high; for the first breeding attempt 87,3 % of the young fledged, and for the second 87,7 %. The average number of fledged young was 4,23 for the first brood and 3,7 for the second. The advantages of solitary versus colonial breeding are discussed.

The production, i .e . .number of fledged young per pair averaged 7,0, 7,6, 7,8 and 6,7. The two highest numbers per pair in one season were 13 and 12. Only small differences were found between pairs nesting in cold rooms versus warm stables. The production in cold rooms was 7,1, in warm stables 7,38. The difference was not in lower clutch sizes, but because of fewer second clutches and slightly higher Iosses of eggs and young.

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Anschrift der Verfasser: D-7761 Möggingen, Am Schloßberg; D-7141 VaihingerdEnz-Riet, Schulstraße 46.