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Heft 1 ] 1981 ] 89 J. Orn. 122, 1981: S. 89-122 Zur Kenntnis der Laubmeise, Sylviparus modestus Von Hans L6hrl Von dieser kleinsten Meise, die nur 6--7 g wiegt und im Himalaya-Gebiet lebt, gibt es nur sehr wenig Beobachtungen. Ihre systematische Stellung ist umstritten. HELLMAVR (1903) hatte die Art noch zu seiner Unterfamilie Regulinae gestellt, also zu den Gold- h~ihnchen, die er den Meisen (Paridae) angegliedert hatte: HARTERT (1932--1938) hat sie aufgrund ihrer morphologischen Merkmale -- mit Ausnahme der F~irbung -- den Meisen der Gattung Parus angeschlossen, obwohl noch nichts tiber ihre Brutbiologie bekannt war.MAYR & AMAI)ON(1951) belieflen sie bei den Meisen mit der Bemerkung, sie sei ,,a dubious member of this group". Bei den Paridae blieb sie auch bei SNow (in PzTERS' Check List 1967) sowie bei VAVRtE (1959) und ALI& RivLzv (1973). Voovs (1977) hat sie vom Ende der Paridae an den Anfang gertickt in der Annahme, es handle sich um eine primitive Meisenform. Erst FLEMING(1973) konnte nach dem Fund zweier BruthOhlen durch Exkursions- teilnehmer best~itigen, daft die Art tats~ichlich meisenartig in Baumh~Shlen brtitet. Da diese Mitteilung schwer zug~inglich ist, sei hier kurz das Wichtigste zusammengefafit: Die erste BruthOhle wurde am 4. V. 1968 in 2 378 mauf dem Phu]chowki entdeckt. Die Alw~- gel ftitterten dort Junge, und die Fiitterungsfrequenz sowie das Verhalten der Altv6gel wurde einige Stunden lang beobachtet. Der Eingang zur Bruth6hle lag nur 42 cm tiber dem Boden und bestand aus einem 45 mm langen und 17 mm breiten Spalt. Die zweite BruthOhle, die noch Eier enthielt, wurde am 25. IV. 1972 entdeckt; sie lag etwa 6 m tiber dem Boden. Auch dort war der Eingang nur 17 mm breit und 50 mm lang. Ein Versuch, das Nest mit den Eiern zu bergen, mifl- lang, die Eier zerbrachen, so dai~ bis heute Eier dieser Vogelart nicht bekannt sin& Die Eischalen schienen einfarbig weit~ zu sein. Als ich mit meiner Frau 1979 zwei Monate lang in NepaP) beobachtete, wollte ich u. a. auch dieser Meise besondere Aufmerksamkeit widmen. Doch zeigte sich, daft sie bei unseren h~iufigen Aufenthalten im immergrtinen Laubwald des Phulchowki, wo eine der yon FLEMmC beschriebenen Bruthc3hlen gefunden wurde, ~iuferst schwierig zu beobachten war. Offenkundig war der Vogel, im Gegensatz zu den beiden anderen im selben Waldgebiet brtitenden Meisen, der Bergkohlmeise Parus monticolus und der Kronenmeise Parus xanthogenys, sehr schweigsam, so daft ich ihn in dem unzug~ingli- chen Gel~inde nur wenige Male ftir kurze Zeit sehen konnte. Zuflillig trafen wit jedoch auf unserem Zeltplatz in 2 100 m O. M. die englischen Vogelbeobachter NIGEL REDMAN und CHRxS MVRPHV.Als die Sprache auf die Meise kam, erw~hnte Mt;l~vrtv beil~iufig, er habe von diesem Vogel eine Bruth/3hle gefunden. Er war tiberrascht, als ich ibm erwi- derte, dies sei die dritte bekannte BruthOhle dieser Art tiberhaupt. Mr. MvRvH~cftihrte reich freundlicherweise zu diesem Brutbaum, so daft ich in den folgenden --leider letz- ten -- Tagen unseres Aufenthalts noch einige Einblicke gewinnen konnte. I) Dem Nepal Research Center in Katmandu verdanken wir mancherlei Unterst0tzung.

Zur Kenntnis der Laubmeise,Sylviparus modestus

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Heft 1 ] 1981 ] 89

J. Orn. 122, 1981: S. 8 9 - 1 2 2

Zur Kenntnis der Laubmeise, Sylviparus modestus

Von Hans L6hrl

Von dieser kleinsten Meise, die nur 6- -7 g wiegt und im Himalaya-Gebiet lebt, gibt es nur sehr wenig Beobachtungen. Ihre systematische Stellung ist umstritten. HELLMAVR (1903) hatte die Art noch zu seiner Unterfamilie Regulinae gestellt, also zu den Gold- h~ihnchen, die er den Meisen (Paridae) angegliedert hatte: HARTERT (1932--1938) hat sie aufgrund ihrer morphologischen Merkmale -- mit Ausnahme der F~irbung - - den Meisen der Gattung Parus angeschlossen, obwohl noch nichts tiber ihre Brutbiologie bekannt war.MAYR & AMAI)ON (1951) belieflen sie bei den Meisen mit der Bemerkung, sie sei ,,a dubious member of this group". Bei den Paridae blieb sie auch bei SNow (in PzTERS' Check List 1967) sowie bei VAVRtE (1959) und ALI& RivLzv (1973). Voovs (1977) hat sie vom Ende der Paridae an den Anfang gertickt in der Annahme, es handle sich um eine primitive Meisenform.

Erst FLEMING (1973) konnte nach dem Fund zweier BruthOhlen durch Exkursions- teilnehmer best~itigen, daft die Art tats~ichlich meisenartig in Baumh~Shlen brtitet. Da diese Mitteilung schwer zug~inglich ist, sei hier kurz das Wichtigste zusammengefafit:

Die erste BruthOhle wurde am 4. V. 1968 in 2 378 mauf dem Phu]chowki entdeckt. Die Alw~- gel ftitterten dort Junge, und die Fiitterungsfrequenz sowie das Verhalten der Altv6gel wurde einige Stunden lang beobachtet. Der Eingang zur Bruth6hle lag nur 42 cm tiber dem Boden und bestand aus einem 45 mm langen und 17 mm breiten Spalt. Die zweite BruthOhle, die noch Eier enthielt, wurde am 25. IV. 1972 entdeckt; sie lag etwa 6 m tiber dem Boden. Auch dort war der Eingang nur 17 mm breit und 50 mm lang. Ein Versuch, das Nest mit den Eiern zu bergen, mifl- lang, die Eier zerbrachen, so dai~ bis heute Eier dieser Vogelart nicht bekannt sin& Die Eischalen schienen einfarbig weit~ zu sein.

Als ich mit meiner Frau 1979 zwei Monate lang in NepaP) beobachtete, wollte ich u. a. auch dieser Meise besondere Aufmerksamkeit widmen. Doch zeigte sich, daft sie bei unseren h~iufigen Aufenthalten im immergrtinen Laubwald des Phulchowki, wo eine der yon FLEMmC beschriebenen Bruthc3hlen gefunden wurde, ~iuferst schwierig zu beobachten war. Offenkundig war der Vogel, im Gegensatz zu den beiden anderen im selben Waldgebiet brtitenden Meisen, der Bergkohlmeise Parus monticolus und der Kronenmeise Parus xanthogenys, sehr schweigsam, so daft ich ihn in dem unzug~ingli- chen Gel~inde nur wenige Male ftir kurze Zeit sehen konnte. Zuflillig trafen wi t jedoch auf unserem Zeltplatz in 2 100 m O. M. die englischen Vogelbeobachter NIGEL REDMAN und CHRxS MVRPHV. Als die Sprache auf die Meise kam, erw~hnte Mt;l~vrtv beil~iufig, er habe von diesem Vogel eine Bruth/3hle gefunden. Er war tiberrascht, als ich ibm erwi- derte, dies sei die dritte bekannte BruthOhle dieser Art tiberhaupt. Mr. MvRvH~c ftihrte reich freundlicherweise zu diesem Brutbaum, so daft ich in den folgenden --leider letz- ten -- Tagen unseres Aufenthalts noch einige Einblicke gewinnen konnte.

I) Dem Nepal Research Center in Katmandu verdanken wir mancherlei Unterst0tzung.

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Am 3. V. konnte ich erstmals in Nestn~he ansitzen. Der Brutplatz lag in 1 965 m ti. M. am Steilhang eines Bachtales, etwa 25 m yon dem in dieser Zeit trockenen Bach- bett entfernt. Es handelte sich um einen im Geb~isch stehenden Baum, den ich nicht bestimmen konnte, da er nicht zu den h~ufigen Arten geh6rte. Der Stature bildete schon dicht tiber dem Boden ftinf Teile, Die Bruthohle lag auf der Unterseite eines im Winkel yon etwa 50 ° schr~tg stehenden Stammteiles. Die Einflug~Sffnung war eine deutliche Bruchstelle, rund, mit etwa 30 ram Durchmesser, ungef~hr 7 m tiber dem Boden. Die V6gel konnten ohne jede Schwierigkeit aus- und einschltipfen, im Gegen- satz zu den beiden yon FLEMING beschriebenen Paaren, die sich durch spaitf6rmige (3ffnungen zw~tngen mui~ten.

Fiitterung und Feindverhalten am Nest

Bei der Beobachtung aus etwa 7 m Entfernung yore Flugloch konnte ich die Jun- gennahrung nur gdegentlich erkennen, da die V6gel oft ohne Halt im Inneren der H6hle verschwanden. Auffallend war, was schon FLEMING feststellte, daf~ die V6gel immer nur e in Beutestiick brachten. Die erkennbare Nahrung bestand 8 real aus Rau- pen verschiedener F~rbung yon gri~n his rotbraun, 2 Spinnen, 2 vermutl. K~ferlarven brauner und wei~er F~rbung, einer langbeinigen Heuschrecke und einer well'lichen Puppe. FLEeriNG hatte bei einem Paar fast nut Raupen festgestellt.

Die Ftitterungsfrequenz war am Morgen deutlich geringer als nach der Erw~irmung gegen Mittag. Am 3.V. waren es urn die Mittagszeit 24 F~itterungen in einer Stunde, anschliet~end 13 in einer halben. Am 4. V. wurde Yon 7.23 his 9.23 hje Stunde nur 14 mal geftittert. Es war ktihl und die Sonne hatte in der ersten Stunde den Brutbaum noch nicht erreicht. In der 3. und 4. Stunde folgten 25 und 24 Fi~tterungen. Die Jung- v6gel mi~ssen schon relativ groi~ gewesen sein, sie wurden nicht mehr gehudert und der ausgetragene Kot war grofl.

Ich selbst wurde yon den AltvOgeln nicht beachtet, wenn ich am Steilhang auf dem Boden safe. Kletterte ich jedoch am Nistbaum hoch, warnte mindestens einer mit sehr hohen Lauten, die m. E. h~Sher lagen als Goldh~thnchenlaute. Dieselben Rule ert6nten, als ein Eichelh~ther (Garrulus glandarius bispecularis) auf dem Baum gelandet war und rief. Als ein Groi~er Bartvogel (Megalaima virens) etwa 3 m tiber der Bruth~shle sag und seine Rufreihe begann, erfolgte keinerlei erkennbare Reaktion. Lediglich das Ein- schltipfen unterblieb in der Zeit. Auffallend friedlich waren beide AltvtSgel auch, als sich ein Himalaya-Kleiber (Sitta himalayensis) mehrmals ans Flugloch anl-i~ingte und hineinsah. Es gab keinerlei Abwehr. Ein Altvogel schltipfte sofort ein, als der Kleiber das Flugloch freigegeben hatte. Dasselbe zeigte sich, als ein anderer Kleinvogel ~ihnlich dem Kleiber mehrmals am Flugloch hing und hineinblickte.

Bewegungsweisen

Wenn das Paar gemeinsam erschien, was nicht selten der Fall war, wartete der eine Partner, bis der andere geftittert hatte und wieder abflog. Wenn ich jedoch den Baum ein Stock weit bestieg, so dai~ die Vogel nicht zu ftittern wagten, erfolgte das Fltigelzit-

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tern, das mir yon der Tannen-, Blau- und Kohlmeise bekannt ist. Da bei diesen Arten abet stets das 9 intensiver und mit grofterem Ausschlag ,,zittert" und ausnahmslos wartet, bis das U als erstes einschltipft, vermute ich, daft FLEMINC die Geschlechter unrichtig bestimmt hat, als er aufgrund der Laut~iuferungen den ,,singenden" Vogel ftir ein o ~ hielt. Wenn die yon ihm beschriebenen Laute ,,a high, squeaking tee repeated between 5 and 8 times in a 15 second period" mit den yon mir geh6rten identisch waren, so handelt es sich urn einen Erregungslaut ais Reaktion auf die Nestbedrohung dutch den Beobachter. Daft bei ibm das angenommene U stets wartete und dem Part- ner den Vortritt lieft, spricht ebenso for meine Annahrne, da bei den mir bekannten Meisen und Kleibern die Dominanz des 9 nur yon der Zeit des Nestbaus ab bis einige Tage nach dem Schkipfen besteht.

Hatten reich die Meisen schon im Profil mit den haubenartig verl~ingerten Scheitel- federn an eine Blaumeise erinnert, so verst~irkte sich der Eindruck noch bei der Beob- achtung der Nahrungssuche. Die V6gel landeten nut kurz auf einem Zweig, dann begannen sie, stets nach unten h~ingend, mit der Untersuchung der Triebspitzen. War eine Beute gefunden, so ging es ohne Bearbeitung der Nahrung zur BruthOhle. Auch FLEMIN6 (1976) schreibt yon ,,frequently hanging upside-down" und spricht mit Recht (1973) yon ,,this birds typical titmouse behaviour". Abweichend scheint nut das regel- m~iftige Fl~gelzucken zu sein, das an Laubs~inger wie an GoldMhnchen erinnert, doch zucken mindestens die europ~tischen Meisen auch mit den Fl~igeln, wenn auch meist nut in der Erregung.

Diskussion

Daft diese Meise nut zuf~illig an Laubs~inger erinnert aufgrund der F~irbung und des h~.ufigen Fl/~gelzuckens, war den Taxonomen schon immer klar. Nachdem keine Zwei- fel mehr moglich sind, daft sie auch in der Brutbiologie als Meise gekennzeichnet ist, geh6rt sie wohl sicher, wie Voous (1977) vorschlug, an den Anfang der Paridae und nicht an das Ende, denn nichts deutet darauf bin, daft sie als Ergebnis einer Aufsplitte- rung oder Spezialisierung zu betrachten ist. M6gliche Beziehungen zu den GoldMhn- chen, wie sie HELLMAVR angenommen hat, sollte man erneut in Betracht ziehen, nach- dem eine tiefere Kennmis der Goldh~ihnchen, die uns THALER (1979) vermittelt hat, diese eher wieder an die Meisen anzulehnen scheint als an die Laubs~inger. Die lange Nestlingszeit der Goldh~ihnchen z. B. findet sich in keiner Weise bei den Laubs~ingern, wohl aber bei den Meisen. Als 6kologische Anpassung ist dies nicht zu erkl~iren und best~tigt die Auffassung yon HARTERT, der die GoldMhnchen gleichfalls an die Paridae im weiteren Sinne und nicht an die Laubs~inger angliederte, erneut. Allerdings sollte man sie, wie das vielfach schon geschieht, in einer eigenen Familie unterbringen.

Sylviparus k6nnte als urt~imliche Meise eine Verbindung zu den Regulidae darstel- len.

Zusammen~assung Von Sylviparus modestus, dec kleinsten Meise, wird die bisher dritte bekannte BruthOhle

beschrieben. Einige Verhaltensweisen und Bestandteile der Jungennahrung werden mitgeteilt. Die

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Zugeh0rigkeit zu den Paridae war aufgrund der Bewegungsweisen und Nistweise unverkennbar. Die Art kann als urttimliche Form betrachtet werden; Beziehungen zu den Goldh~.hnchen sollte man nicht ausschliet~en,

Summary

O b s e r v a t i o n s on the Y e l l o w - b r o w e d T i t , Sylviparus modestus

The third nesting hole record, some behavioral patterns as well as the constitution of the nest- ling diet are described for the smallest tit species, Sylviparus modestus. On the basis of its locomo- tory movements and nesting habits this species belongs to the Paridae. It is presumably a primitive form. A taxonomic relationship to the Regulidae cannot be excluded.

Literatur

ALI, S. & S. D. RIVLEY (1973): Handbook of the Birds of India and Pakistan. Bombay, London, New York. • FLEMING, R. L. (1973): Notes on the Nest and Behaviour of the Yellowbrowed Tit- mouse, Parus modestus (Burton). J. Bombay Nat. Hist. Society 70: 326--329. • FLEMING, Sr. and Jr., L. S. BANGr)EL (1976): Birds of Nepal. Bombay. • HARTERT, E. (1932--1938): Die VOgel der pal~tarktischen Fauna. Berlin. • HE~rMAYR, C. E. (1903): Das Tierreich. Paridae, Sittidae und Cer- thiidae. Berlin. • MAYR, E. & P. AMADON (1951): A Classification of recent Birds. Am. Mus. Novi- rates Nr. 1496. • SNow, D. W. (1967): Paridae in ,,Check-List of Birds of the World", Vol. 12, Cambridge Mass. • T~ALER, E. (1979): Das Aktionssystem yon Winter- und Sommergoldh~hn- chen (Regulus regulus, R. ignicapillus) und deren ethologische Differenzierung. Bonn. Zool. Monograph, 12. • VA~RIZ, C. (1959): The birds of the Palearctic Fauna. Passeriformes. London. • Voot3s, K. H. (1977): List of Recent Holarctic Bird Species. Ibis 117: 376--406,

Anschrift des Verfassers: D--7293 Pfalzgrafenweiler 2, Edelweiler