Zur Relevanz des Supply-Chain-Management-Ansatzes … Arndt.pdf · 317 Erziehungswissenschaft und Beruf 3/2004 FACHWISSENSCHAFT UND FACHDIDAKTIK Holger Arndt Zur Relevanz des Supply-Chain-Management-Ansatzes

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    FACHWISSENSCHAFT UND FACHDIDAKTIK

    Holger Arndt

    Zur Relevanz des Supply-Chain-Management-Ansatzesfr die berufliche Bildung

    1 Einleitung

    Seit einigen Jahren erfreut sich das Konzept bzw. der Begriff des Supply Chain Ma-nagement (SCM) in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur und zumindest in gr-eren Unternehmen wachsender Beliebtheit. Angesichts der Vielzahl neuer Trends1

    stellen sich Lehrkrfte mglicherweise die Frage, ob sich eine Auseinandersetzung mitsolchen Anstzen lohnt, da sie sich oft im Nachhinein nur als kurzfristige Moden erwei-sen. SCM fordert eine ganzheitliche Perspektive als Basis unternehmerischen Handelns,woraus sich insbesondere fr lernfeldorientierte Berufe Analogien zur Ausrichtungmodernen kaufmnnischen Unterrichts ergeben. Entsprechend wird im Folgenden da-von ausgegangen, dass die Beschftigung mit SCM fruchtbare Impulse fr den Unter-richt liefern kann.

    Zuerst wird die Entwicklung zum SCM dargestellt und gezeigt, welche betriebswirt-schaftlichen Inhalte sich dahinter verbergen. Anschlieend finden sich berlegungenbez. der Unterrichtsrelevanz des SCM und konkrete Hinweise zur Umsetzung in denUnterricht.

    2 Die Entwicklung der Logistik zum Supply Chain Management

    2.1 Logistik als funktionsbezogene Spezialisierung

    Seit den 50er-Jahren hat sich das Verstndnis von logistischen Aufgaben in mehrerenPhasen gendert, was mit einer Bedeutungszunahme einherging. Bis zu Beginn der70er-Jahre dominierte ein Verstndnis der Logistik, das sich auf Transport-, Umschlag-und Lageraufgaben reduzierte. Die meisten Unternehmen hatten sich um Spezia-lisierungsvorteile durch funktionsbezogene Abteilungsbildung bemht, wodurch sichallerdings die Probleme durch Schnittstellenbildung (siehe Kasten Schnittstellen) ver-strkten.

    Das Problem der Schnittstellen

    Schnittstellen entstehen, wenn eine Aufgabe bzw. ein Prozess von mehrerenPersonen bzw. Abteilungen (intraorganisatorische Schnittstellen) oder Unterneh-men (interorganisatorische Schnittstellen) bearbeitet wird. Am Ort der berga-be des Materials oder der Information kann es zu vielfltigen Problemen und zurUnterbrechung des Material- oder Informationsflusses kommen.

    Unklare Verantwortlichkeiten: Wenn mehrere Personen oder Abteilungen aneinem Prozess beteiligt sind, besteht die Tendenz, nicht sich selbst, sonderndie anderen fr die Prozessverantwortlichen zu halten. Dies hat zur Folge,dass sich niemand fr den Prozess (und letztlich den Kunden) verantwortlichfhlt. Auch der umgekehrte Fall ist denkbar: Dass sich mehrere Abteilungen

    1 Hier ist u.a. an Schlagworte und Anstze wie Balanced Scorecard, Benchmarking, Total Quality Management, Efficient ConsumerResponse, Rapid Prototyping und Rapid Manufacturing zu denken.

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    verantwortlich fhlen, unterschiedliche Entscheidungen treffen und sich ge-genseitig auszuspielen suchen.

    Abteilungsegoismen: Vielfach verfolgen einzelne Abteilungen eigene Ziele,die denen des Gesamtunternehmens zuwiderlaufen knnen. Nicht der Pro-zess bzw. Kunde steht im Mittelpunkt der Ttigkeiten, sondern die jeweiligenAbteilungsziele.

    Kommunikationsprobleme: Oftmals werden die gleichen Sachverhalte andersbeschrieben oder es werden fr den gleichen Sachverhalt andere Begriffeverwendet. Hieraus knnen vielfltige Missverstndnisse entstehen.

    Inkompatible DV-Systeme: Vielfach haben einzelne Abteilungen spezielle Soft-wareprogramme, die nicht mit dem Rest des Unternehmens kompatibel sind(Insellsungen). Ggf. mssen Informationen deshalb ausgedruckt, gefaxtund dann wieder eingetippt werden. Dies ist fehleranfllig, verursacht Kostenund unterbricht den Informationsfluss. An interorganisatorischen (unter-nehmensbergreifenden) Schnittstellen treten diese Probleme verstrkt auf.

    Doppelarbeit: Eine Ttigkeit wird jeweils von einem Beteiligten beider Schnitt-stellenbereiche vollzogen, z.B. eine Warenausgangskontrolle beim Lieferan-ten und eine Kontrolle des Wareneingangs beim Kunden.

    In der Folgezeit standen Manahmen zur Abmilderung der Schnittstellenprobleme imMittelpunkt der Optimierungsbemhungen.

    2.2 Wandel von der Funktions- zur Prozessorientierung

    Um beispielsweise lange Entscheidungswege zu verkrzen, wurden zunehmend Mitar-beiter der Logistikabteilung mit zustzlichen Kompetenzen ausgestattet. Sie berneh-men in dieser Phase die Verantwortung fr reibungsrmere Material- und Warenflsse.Warenflussbezogene Entscheidungen werden nicht mehr von den jeweiligen Vorge-setzten der funktionalen Abteilungen (Beschaffung, Produktion, Verkauf) getroffen,sondern vom prozessverantwortlichen Logistikmanager. Die Mitarbeiter haben durchdie Koordinationsaufgabe der Logistik nun zwei weisungsbefugte Vorgesetzte: den derfunktionalen Organisation (beispielsweise den Abteilungsleiter Produktion) und denlogistischen Prozessverantwortlichen. So gesehen hat die funktionale Organisationwesentliche Merkmale der Matrixorganisation erhalten. Die Entscheidungswege lau-fen damit nicht mehr horizontal, sondern vertikal und damit erheblich schneller (sieheAbb. 1).

    Trotz dieser strkeren Orientierung am Warenfluss bleibt dabei die funktionale Unter-nehmensstruktur prinzipiell bestehen, sie wird nur um Prozessverantwortliche fr denBereich des Waren- und Materialflusses ergnzt. Viele Probleme der starken Speziali-sierung und Schnittstellenbildung bleiben allerdings ungelst. In hochspezialisiertenOrganisationen konzentrieren sich Mitarbeiter auf kleine Arbeitsschritte, die sie sehrgut ausfhren knnen. Dafr geraten jedoch die bergeordneten Ziele schnell in Ver-gessenheit, der Mitarbeiter wei oft gar nicht, wo sein Anteil am Unternehmenserfolgist. Arbeitskrfte ohne Kundenkontakt vergessen so leicht, dass ihre Aufgabe im Unter-nehmen eigentlich darin besteht, Kunden mglichst zufrieden zu stellen.

    Entsprechend dieser Zielsetzung richten Unternehmen ihre Prozesse strker auf dieBedrfnisse ihrer Kunden ein, statt sich primr an funktionsbezogenen Spezialisierungs-

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    vorteilen zu orientieren. Ein derart prozessorientiertes Unternehmen ist u.a. durch fol-gende Merkmale gekennzeichnet:

    1. Eine Komponente der prozessorientierten Organisation ist der Einsatz von Prozess-verantwortlichen, deren Kompetenzen quer zur Aufbauorganisation verlaufen. Diesbezieht sich nicht mehr ausschlielich auf die rein warenflussbezogenen Prozesse,sondern auf alle wichtigen Unternehmensprozesse.

    Abb. 1: Warenflussbezogene Kompetenzen

    Abb. 2: Zerschnittene Prozesse

    2. Das Denken ber Abteilungsgrenzen (oder gar nur den eigenen Schreibtisch) hin-aus mit der Zielsetzung eines optimalen Waren- und Informationsflusses zur best-mglichen Erfllung der Kundenanforderungen wird nicht nur von Mitarbeiternder Logistik verinnerlicht, sondern von allen Mitarbeitern des Unternehmens. DieseDenkhaltung der Mitarbeiter ist gemeint, wenn von Fhrungsfunktion der Logistikgesprochen wird.2

    Zerschnittener Prozess

    2 Diese Formulierung ist in Analogie zur Fhrungsfunktion des Marketing zu verstehen, womit eine konsequente Ausrichtung desUnternehmens und der Mitarbeiter auf Kundenbedrfnisse gemeint ist. Beide Ausrichtungen stehen dabei in einem syntheti-schen Verhltnis zueinander, und nicht in einem antithetischen.

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    3. Wichtig ist auch die Restrukturierung der Aufbauorganisation entlang der Kern-prozesse. Als Grundlage einer Restrukturierung der Aufbauorganisation sind zuerstdie wesentlichen Prozesse zu analysieren, u.a. im Hinblick auf Schnittstellen. DieAbbildungen 2 und 3 verdeutlichen die Zusammenhnge. Prozess A (gestrichelteLinie) wird von den Mitarbeitern 2, 16, 10, 4, 8 und 14 bearbeitet, dabei mssen fnfAbteilungsschnittstellen berwunden werden. hnliches gilt fr Prozess B.

    Durch eine Restrukturierung, bei der die Prozesse bercksichtigt werden, lassen sichabteilungsbergreifende Schnittstellen erheblich reduzieren. So fllt bei Prozess A nurnoch eine abteilungsbergreifende Schnittstelle an, bei B entfallen sie komplett.

    Abb. 3: Prozessorientierte Aufbauorganisation

    Bei einer Restrukturierung mssen alle wichtigen Prozesse bercksichtigt werden, wasdie Komplexitt einer solchen Aufgabe stark erhht. Weiterhin kann es zu Widerstn-den kommen, an denen solche Projekte scheitern knnen. So wird Mitarbeiter 2 indiesem Fall dem Mitarbeiter 4 zugeordnet, whrend sie vorher noch hierarchisch gleich-gestellt waren.

    2.3 Supply Chain Management

    Hat sich die Fluss- und Prozessorientierung im Unternehmen durchgesetzt, stellt sichdie Frage nach weiterem Optimierungspotenzial, das angesichts der folgenden Dar-stellung offensichtlich ist.

    Eine weitere Verbesserung der Material-, Informations- und Werteflsse ergibt sich beiAusweitung des Blickwinkels ber die Unternehmensgrenzen hinaus: Wie lassen sichSchnittstellen und Flsse zwischen den Lieferanten, dem eigenen Unternehmen undseinen Kunden verbessern?

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    In den 80er-Jahren wurde mit dem Just-in-time-Konzept die Lcke zwischen dem Un-ternehmen und seinen Lieferanten geschlossen. Die 90er Jahre brachten das KonzeptEfficient-Consumer-Response (ECR) hervor, wodurch sich das Unternehmen besser mitseinen Kunden abstimmen konnte. Allerdings reicht oftmals der Blick auf die direktenLieferanten und die eigenen Kunden nicht aus, es geht vielmehr um die Optimierungder Zusammenarbeit, um Reduktion der Schnittstellen und um Fluss- und Prozess-orientierung entlang der gesamten Wertschpfungskette: Ein Unternehmen, das zwardie Zusammenarbeit mit seinem Lieferanten optimiert hat, ist trotzdem vor Problemegestellt, wenn der Lieferant des Lieferanten Lieferengpsse hat.

    Entsprechend dieser erweiterten Perspektive lsst sich Supply Chain Management wiefolgt umschreiben:

    Definition Supply Chain Management (SCM)

    Supply Chain Management ist die unternehmensbergreifende Koordination undOptimierung der Material-, Informations- und Wertflsse ber den gesamtenWertschpfungsprozess von der Rohstoffgewinnung ber die einzelnen Verede-lungsstufen bis hin zum Endkunden mit dem Ziel, den Gesamtprozess sowohlzeit- als auch kostenoptimal zu gestalten.3

    Anzumerken ist, dass aufgrund unterschiedlicher Akzente keine allgemein gltige De-finition des SCM-Begriffs existiert. Jedoch haben die unterschiedlichen Sichtweisenvon SCM folgende Merkmale gemein:

    1. Funktionsorientierte Sichtweisen von Aufgaben werden von flussorientierten,prozessorientierten Anstzen abgelst. Zwar ermglicht eine funktionsorientierteUnternehmensorganisation die Konzentration auf bestimmte Aufgaben mit entspre-chenden Spezialisierungsvorteilen. Jedoch entstehen dabei organisatorische Schnitt-stellen mit den geschilderten Nachteilen.4

    2. Tendenzielle Abkehr vom Push-Prinzip, das durch hohe Kapazittsauslastung nied-rige Stckkosten ermglicht, allerdings um den Preis hoher Lagerbestnde. Statt-dessen verstrkte Anwendung des Pull-Prinzips, in dem der Endabnehmer als ge-danklicher Auslser jeglicher Supply-Chain-Aktivitten fungiert: Wie beim Domi-nospiel mssen alle Stufen so synchronisiert sein, dass im gleichen Takt genau dieMenge nachgeliefert wird, die auch bestellt wurde.5 Dadurch sind niedrigere La-gerbestnde realisierbar, was die Kapitalbindung senkt, die flexible Erfllung derKundenwnsche ermglicht und die Gefahr des Wertverlusts der Materialien redu-ziert. Sehr konsequent wird das Pull-Prinzip mit groem Erfolg beispielsweise vonDell angewendet.6

    3 Arndt, Holger: Supply Chain Management. Optimierung logistischer Prozesse. Wiesbaden 2004, S. 46

    4 Vgl. Thaler, Klaus: Supply Chain Management. Prozessoptimierung in der logistischen Kette. Kln 2001, S. 23f.

    5 Corsten, Daniel; Gabriel, Christoph: Supply Chain Management erfolgreich umsetzen. Grundlagen, Realisierung und Fallstudien.Berlin 2002, S. 16

    6 Vgl. http://www.dell.com/us/en/gen/corporate/vision_000_directmodel.htm

    Abb. 4: Unternehmensbergreifende Schnittstellen

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    3. Konsequente intra- und interorganisationale Integration der gesamten Wert-schpfungskette vom Lieferanten des Lieferanten bis zum Kunden des Kunden.Besondere Bedeutung kommt dabei der Zusammenarbeit der Unternehmen zu, so-dass nicht nur vom Management eines Unternehmens gesprochen werden kann,sondern vom Management eines Unternehmensnetzwerks. Optimierungen sollenweniger lokal evtl. zu Lasten der Wertschpfungspartner , als vielmehr global aufdie ganze Supply Chain bezogen werden, sodass alle Partner profitieren. Bei Be-rcksichtigung einer Vielzahl von Unternehmen wchst die Komplexitt stark an,sodass die Fhigkeit zu vernetztem Denken bei Entscheidern noch bedeutsamerwird.

    4. Der Informationstechnologie kommt eine zentrale Bedeutung zu. Dabei haben je-doch traditionelle ERP-Programme Schwchen, da sie primr intraorganisatorischausgerichtet sind. Interorganisatorische Ablufe werden gut durch SCM-orientierteProgramme von Unternehmen i2-Technologies untersttzt.7 Darber hinaus wchstdie Bedeutung von Simulationsprogrammen, mit deren Hilfe verschiedene Szena-rien getestet werden knnen.

    3 Supply Chain Management und Lernfelder

    Entsprechend des geschilderten Wandels ergeben sich neue Qualifikationsanforderun-gen an Mitarbeiter. Aus dem Paradigmenwechsel von der Funktions- zur Prozessorien-tierung folgt die Notwendigkeit einer breiteren Qualifikation bei weiterhin bentigtemfunktionalem Spezialistenwissen, was im Zuge der Informationstechnologisie-rung aucherhhte IT-Kompetenz bedingt. Noch wesentlicher ist jedoch die Fhigkeit zu prozess-orientiertem Denken. Damit geht eine Erweiterung der Perspektive und des Verstnd-nisses ber die eigene Abteilung (oder bei vielen Mitarbeitern auch nur ber den eige-nen Arbeitsplatz) hinaus zum verantwortungsbewussten Handeln im Interesse desGesamtunternehmens bzw. der ganzen Wertschpfungskette. Weiterhin bedingtprozessorientiertes Denken Kundenorientierung und einen Mentalittswandel zur per-manenten Verbesserung. Darber hinaus erwarten prozessorientierte Unternehmen vonihren Mitarbeitern eigenverantwortliches Handeln, Team- und Kommunikationsfhigkeit.

    Eine wesentliche Zielsetzung der Berufsschule besteht in der Qualifikation der Schlerhinsichtlich deren knftiger beruflicher Anforderungen. Traditionell ist der Berufsschul-unterricht eher fachwissenschaftlich ausgerichtet. Die systematische Erschlieung ab-straktionshierarchischer Begriffsstrukturen bedingt Klassenbildung und Prinzipien derberordnung und Deduktion. Diese Abbildung der fachwissenschaftlichen Systematikder funktionsorientierten speziellen Betriebswirtschaftslehren im kaufmnnischen Un-terricht korrespondiert sehr gut mit den Systematiken funktionaler Aufbauorganisatio-nen von Unternehmen. Anders formuliert: Die funktionale Sichtweise dominiert sowohldie wissenschaftliche Forschung als auch den kaufmnnischen Unterricht und die be-triebliche Praxis. Konkret: Theoretische Erkenntnisse der Absatzlehre werden im FachAllgemeine Betriebswirtschaftslehre analog zur wissenschaftlichen Strukturierung ver-mittelt wenngleich nur exemplarisch und didaktisch reduziert und im Beruf in derMarketingabteilung angewendet. Mit dem oben skizzierten Wandel der Unternehmens-kultur zur Prozessorientierung entsteht allerdings ein Spannungsfeld zwischen berufli-chen Anforderungen und von der Schule vermittelten Inhalten bzw. Kompetenzen.

    Als Reaktion auf die entsprechend vorgebrachte Kritik an den Berufsschulen seitensder Wirtschaftsverbnde sind die Handreichungen fr die Erarbeitung von Rahmen-7 Vgl. Marquardt, Ulrich u.a.: Integrative Logistikstrategien. http://www.diebold.de/ media/ pdf/ SCM_Studie_Inhalt.pdf, S. 2f.

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    lehrplnen der Kultusministerkonferenz (KMK) fr den berufsbezogenen Unterricht inder Berufsschule und ihre Abstimmung mit Ausbildungsordnungen des Bundes franerkannte Ausbildungsberufe von 1996 zu verstehen. Damit verlagert sich der Schwer-punkt von Lehrplnen, die prinzipiell im Spannungsfeld von Situations- und Wissen-schaftsorientierung stehen, weg von der fachwissenschaftlichen Systematik. Vielmehrbilden berufliche Handlungssituationen den Ausgangspunkt des Lernprozesses, beidenen bereits zu Beginn Informationen aus vielen verschiedenen Bereichen bentigtwerden, die durch die jeweilige Situation miteinander verknpft sind. Entsprechendergeben sich unterschiedliche Akzentuierungen, insbesondere bez. der Stoffflle. Dem-nach sind stoffliche Inhalte weniger Selbstzweck als Mittel im Dienste des (Handlungs-)Kompetenzaufbaus und bei der Vermittlung in die jeweilige Geschftsprozessperspektivezu integrieren.

    Mit dem Lernfeldansatz vollziehen Lehrplne den Paradigmenwechsel zur Prozess-orientierung im unternehmerischen Umfeld fr die Berufsschule nach, wodurch letzte-re ihrem bildungspolitischem Auftrag wieder besser gerecht werden kann.

    Zwar findet sich das Konzept des SCM in kaum einem Lehrplan explizit erwhnt, aberdie zentralen Inhalte des SCM (Prozessorientierung, Pull-Prinzip, Integration der Wert-schpfungskette, integrierte Unternehmenssoftware) sind durchaus Gegenstand neugeordneter Ausbildungsberufe.8

    4 Umsetzungsbeispiele fr den kaufmnnischen Unterricht

    In diesem Kapitel werden einige Inhalte und Methoden des SCM dargestellt, die sichinhaltlich gut in den kaufmnnischen Unterricht integrieren lassen. Angesichts des be-schrnkten Umfangs dieses Artikels knnen hier nur einige Anstze skizziert werden.

    4.1 Planspiel Supply Chain Management

    Mit dem hier vorgestellten Planspiel lassen sich die Interdependenzen zwischen Unter-nehmen einer Wertschpfungskette sehr gut veranschaulichen. Das Planspiel basiertauf einer vier- bzw. fnfgliedrigen Wertschpfungskette, bestehend aus Kunde, Einzel-hndler, Grohndler, Regionallager und Fabrik. Hier sind einige interorganisatorischeSchnittstellen vorhanden, die aufgrund vielfltiger Ursachen im Verlauf des Planspielsfast immer den so genannten Peitscheneffekt hervorbringen, der in der betrieblichenRealitt vielfach beobachtet werden kann, also empirisch besttigt ist. Dabei handeltes sich um folgendes Phnomen: Wenn sich die Nachfrage der Endkunden verndert,kommt es nach einiger Zeit zu immer greren Nachfrageschwankungen, je weiter einUnternehmen vom Kunden entfernt ist. Erhhen die Kunden ihre Nachfrage beispiels-weise von 10 auf 20 Fahrrder, wird der Einzelhndler eine Zeit lang vielleicht 1520Rder bestellen, der Grohndler 3040 und bei der Fabrik gehen oft zeitweise Bestel-lungen von mehreren Hundert Rdern ein. Da diese Produktionsmengen jedoch nichtvom Endkunden nachgefragt werden, sind die Lger der Supply-Chain-Unternehmenber lngere Zeit gefllt. So ergibt sich das Paradoxon durchschnittlich hoher Lager-bestnde bei niedriger Lieferfhigkeit.

    Dieses auf den ersten Blick nicht einsichtige Phnomen wird durch das Planspiel direkterfahrbar. Die anschlieende Analyse ergibt als Ursachen dieser Probleme im Allge-meinen: lange Verzgerungen des Informations- und Materialflusses, fehlende oder

    8 Vgl. z.B.: Kultusministerkonferenz: Rahmenlehrplan fr den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/Industriekauffrau. Vom 14.06.2002

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    verzerrte Informationen und falsche Bestellentscheidungen der Akteure. Entsprechendwerden Lsungsanstze erarbeitet und in einer Simulationsumgebung, die ebenfallsTeil des Planspiels ist, auf ihre Wirksamkeit untersucht.

    Da die Unterrichtsreihe modular aufgebaut ist, lsst sich der Zeitaufwand den gegebe-nen Bedingungen anpassen und bentigt zwischen zwei und fnf Doppelstunden. Durchdas Planspiel werden alle in 2.3 genannte Aspekte des SCM thematisiert. Neben denVorteilen einer nachfragesynchronen Fertigung (Pull-Prinzip) wird insbesondere deut-lich, dass der Erfolg des eigenen Unternehmens mageblich mit dem der Wert-schpfungspartner verbunden ist und deshalb eine vertrauensvolle Kooperation unab-dingbar ist. Dies beinhaltet insbesondere das zeitnahe Austauschen von Informatio-nen (hauptschlich ber Auftragsbestnde und Kapazitten), was im Wesentlichen miteiner geeigneten IT-Infrastruktur gelingt. Weiterhin frdert die Reihe die Fhigkeit derSchler zu vernetztem Denken in komplexen Handlungssituationen, was eine zentraleAnforderung an Mitarbeiter prozessorientierter Unternehmen darstellt.9

    4.2 Planspiel zum Umgang mit Unsicherheit

    Einige betriebswirtschaftlich relevante Megatrends der letzten Jahre wie Globalisierung,erhhter Konkurrenzdruck, krzere Produktlebenszyklen und steigende Kundenan-forderungen bei gleichzeitig erschwert prognostizierbarem Kundenverhalten erhhendie Unsicherheit fr unternehmerische Entscheidungen signifikant. Sich schnell n-dernde Rahmenbedingungen erfordern von Unternehmen Schlankheit, Agilitt undReaktionsfhigkeit. Diese Anforderungen lassen sich unter anderem mit der Konzent-ration auf die Kernkompetenzen und damit einhergehendem Outsourcing erreichen.Unternehmen konzentrieren also ihre gesamten Aktivitten und Ressourcen auf dieBereiche, die sie besonders gut beherrschen, whrend sie den Rest zukaufen.10 Ein indiesem Zusammenhang wichtiger Vorteil des Outsourcing ist die Variabilisierung fixerKosten. Damit ist gemeint, dass durch den Zukauf von Leistungen generell variable(mengenabhngige) Kosten entstehen, whrend bei der Eigenfertigung vielfach fixe(mengenunabhngige) Kosten anfallen, die sich nur schwer abbauen lassen. So kn-nen beispielsweise Lagerkapazitten (aber auch Produktionskapazitten) gemietet wer-den. Kosten fallen hierfr nur fr die eingelagerte Menge an. Bei einem eigenen Lagerfallen Kosten auch dann an, wenn es leer steht. Insbesondere bei Unsicherheit erge-ben sich aufgrund der hheren Flexibilitt folglich gravierende Vorteile niedriger Fix-kosten, selbst wenn dies mit hheren variablen Kosten erkauft werden muss. Dieseberlegung steht im Widerspruch zur traditionellen Denkweise der Massenfertigung:Man nimmt hhere Fixkosten in Kauf, um mglichst niedrige Kosten pro Stck zu er-zielen, um dann groe Stckzahlen zu niedrigen Preisen produzieren und in den Marktdrcken zu knnen (Push-Prinzip). Lassen sich die Produkte jedoch nicht absetzen,knnen die Fixkosten nicht erwirtschaftet werden.

    Ein Verstndnis fr diese Zusammenhnge liefert ein konkurrenzorientiertes Planspiel,das sich in einer Doppelstunde ohne groen technischen Aufwand spielen lsst (ein

    9 Das Planspiel konnte hier nur sehr grob skizziert werden. Interessierte Lehrkrfte finden vertiefende Informationen in: Arndt, Holger: Frderung der Handlungskompetenz durch Modellbildung und Simulation in der kaufmnnischen Ausbildung

    konkretisiert an der Neuordnung des Ausbildungsberufs Industriekaufmann/Industriekauffrau. Erziehungswissenschaft undBeruf 4/2002, S.407427

    Arndt, Holger: Supply Chain Management. Optimierung logistischer Prozesse. Wiesbaden 2004, S. 5073 und S. 205215Die Dateien des Planspiels knnen auf der Website des Autors heruntergeladen werden: www.arndt-wirtschaftspaedagogik.de

    10 Nebenbei bemerkt verringert sich durch die Konzentration auf Kernkompetenzen im Allgemeinen die Wertschpfungstiefe unddie Anzahl der Unternehmen einer Wertschpfungskette steigt, was wiederum deren Management (dies umschreibt der BegriffSCM) wichtiger macht.

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    PC gengt), und in einer weiteren Doppelstunde ausgewertet/interpretiert werden kann.Auf dem Markt sind vier Unternehmen (Lerngruppen), die ein nicht lagerfhiges Pro-dukt herstellen und verkaufen. Zu Beginn mssen die Gruppen eine Produktions-maschine auswhlen. Die zur Verfgung stehenden Maschinen unterscheiden sich imWesentlichen durch unterschiedliche Kombinationen ihrer fixen und variablen Kosten.Da die Maschine im Spielverlauf nicht mehr gewechselt werden kann, kommt dieserEntscheidung grundlegende Bedeutung zu. In den folgenden maximal sieben Rundensind dann jeweils zwei Entscheidungen zu treffen: Wie viele Produkte sollen hergestelltwerden und zu welchem Preis werden sie angeboten? Die tatschliche Absatzmengehngt von dem eigenen Preis relativ zu dem der Konkurrenz ab. Da deren Preise a priorijedoch unbekannt sind, herrscht recht groe Unsicherheit bez. der Absatzmenge, wasdem Spiel sehr viel Dynamik und Spannung verleiht.

    Meistens entscheiden sich die Gruppen fr eine Maschine mit hohen Fixkosten undniedrigen variablen Kosten, weil sie mit einer Niedrigpreisstrategie die Marktfhrer-schaft anstreben. Da vielfach jedoch alle Gruppen diese Strategie verfolgen, kommt eshufig zu einem massiven berangebot, ruinsem Preiswettbewerb und hohen Ver-lusten fr alle Beteiligten. Ein Strategiewechsel, der Gewinne ermglicht, ist aufgrundder hohen Fixkosten nur schwer umsetzbar. So lassen sich die oben skizzierten Inhaltehervorragend am Verlauf des Spiels verdeutlichen. Zustzlich knnen andere fr denUnterricht relevante Aspekte vertieft werden, beispielsweise die Preispolitik auf unter-schiedlichen Marktformen.11

    4.3 Kooperationen gestalten

    Die erfolgreiche Kooperation mit Wertschpfungspartnern ist eine zentrale Kompo-nente des SCM. Wie insbesondere aus dem in 4.1 geschilderten Planspiel deutlich wird,hngt der Erfolg eines Unternehmens sehr stark von der Qualitt seiner Beziehungenzu seinen Geschftspartnern ab. Ein wenig berspitzt formuliert konkurrieren so ge-sehen nicht mehr einzelne Unternehmen gegeneinander, vielmehr stehen ganzeSupply Chains in Konkurrenz zueinander. Unternehmen, die Kosten einfach auf ihreKunden oder Lieferanten abwlzen, tragen so wenig zum Erfolg ihrer Wertschpfungs-kette bei und langfristig betrachtet auch nicht zum eigenen Erfolg. Viel versprechen-der ist die Zielsetzung einer Win-Win-Situation, sodass aufgrund der Kooperation alleBeteiligten gewinnen, beispielsweise durch besser abgestimmte Prozesse und Einfh-rung einer integrierten Softwarearchitektur. Es geht also nicht um ein Abwlzen derProbleme, sondern darum, gemeinsam Lsungen zu entwickeln und den daraus resul-tierenden Vorteil fair untereinander zu teilen.

    Die entscheidende Voraussetzung fr den langfristigen Erfolg einer Partnerschaft istgegenseitiges Vertrauen. Wer seinen Partnern nicht vertraut, wird ihnen keine sensib-len Informationen zur Verfgung stellen (die jedoch ntig sind, um z.B. den Peitschen-effekt zu reduzieren und schneller am Markt agieren zu knnen), wird nicht in gemein-same Infrastruktur investieren oder seine Prozesse aufeinander abstimmen.

    Die schwierige Aufgabe, Vertrauen aufzubauen und zu erhalten, kann an dieser Stelleaus Platzgrnden nicht erlutert werden. Allerdings lsst sich mit dem sog. Gefangenen-dilemma, das aus der Spieltheorie stammt, die Bedeutung des Faktors Vertrauen imUnterricht verdeutlichen. Zur methodischen Umsetzung bietet sich ein Rollenspiel an.

    11 Vertiefende Informationen zu den betriebswirtschaftlichen Hintergrnden und Arbeitsbltter zum Planspiel finden sich in: Arndt,Holger: Supply Chain Management. Optimierung logistischer Prozesse. Wiesbaden 2004, S. 154ff.

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    Estragon und Vladimir sitzen wegen eines Bankberfalls in Untersuchungshaft in ge-trennten Zellen und stehen kurz vor einem Einzelverhr durch den Staatsanwalt. Bei-den sind folgende Zusammenhnge bekannt:

    Streiten beide den Bankberfall ab, kann ihnen der Staatsanwalt nichts nachwei-sen. Sie erhalten nur eine dreimonatige Gefngnisstrafe wegen unerlaubten Waf-fenbesitzes.

    Gestehen beide, mssen sie mit jeweils drei Jahren Haft rechnen.

    Gesteht nur einer und belastet den nicht gestndigen Mittter, erhlt er als Zeugeder Anklage Haftverschonung, whrend der ungestndige fnf Jahre ins Gefngnismuss.

    Wie soll sich Estragon verhalten?

    5 Ausblick

    In den vorangegangenen Abschnitten wurde die Genese des SCM-Konzepts und des-sen zentrale Merkmale erlutert, sein Bezug zum kaufmnnischen Unterricht aufge-zeigt und exemplarisch dargestellt, wie sich die Inhalte im Unterricht umsetzen lassen.Aus Platzgrnden mussten gerade bei den Unterrichtsbeispielen sehr viele Inhalteentfallen, die fr das SCM bedeutsam sind, beispielsweise softwaregesttzte Prozess-modellierung, IT-Einsatz (ERP-Software wie R/3 und Navision Attain, aber auch unter-nehmensbergreifende Optimierungsprogramme wie SAP APO), Change Management,Analyseinstrumente oder Ziele und Kennzahlensysteme. Fr entsprechende sch-lergerecht aufgearbeitete Aspekte sei auf ein Lehrbuch des Autors im Gabler-Verlaghingewiesen.

    Angesichts der skizzierten Inhalte mag sich der Leser fragen, was das Neue, das Inno-vative an Supply Chain Management ist. Schlielich erscheint doch vieles bekannt undist bereits Gegenstand des kaufmnnischen Unterrichts. Revolutionr neue Inhalte er-geben sich bei SCM tatschlich kaum, was allerdings auch nicht der Anspruch ist. SCMist vielmehr als Managementansatz zu verstehen, der bestehende Konzepte aufgreiftund durch eine ganzheitliche, prozess- und kundenorientierte Perspektive integriert.Verinnerlichen Schler diese erweiterte Perspektive, wozu kaufmnnischer Unterrichtbeitragen kann und soll, legen sie eine Basis zu ihrem spterem beruflichen Erfolg.

    Bibliographie

    Arndt, Holger: Supply Chain Management. Optimierung logistischer Prozesse. Wiesbaden 2004

    Arndt, Holger: Frderung der Handlungskompetenz durch Modellbildung und Simulation in derkaufmnnischen Ausbildung konkretisiert an der Neuordnung des AusbildungsberufsIndustriekaufmann/Industriekauffrau. Erziehungswissenschaft und Beruf 4/2002

    Corsten, Daniel; Gabriel, Christoph: Supply Chain Management erfolgreich umsetzen. Grundla-gen, Realisierung und Fallstudien. Berlin 2002,

    Kultusministerkonferenz: Rahmenlehrplan fr den Ausbildungsberuf Industriekaufmann/ Industrie-kauffrau. Vom 14.06.2002

    Marquardt, Ulrich u.a.: Integrative Logistikstrategien. http://www.diebold.de/media/pdf/SCM_Stu-die_Inhalt.pdf

    Thaler, Klaus: Supply Chain Management. Prozessoptimierung in der logistischen Kette. Kln2001