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5. Zur Thcorie der ~jnbvaraiscliem Polarisatiom; von. A. Oberbeck. In einer experimentellen Untersuchung iiber Polarisation und Widerstand einer galvanischen Zelle l) kommt F. Streintz zii dem Resultat, dass ,,die 2lestimmun.q der yalvan,ischen Polari- sation im urspriinylichen Stromkreis ein Ding der UnmCylichkeit Von diesem Urtheil werden auch diejenigen Methoden, bei denen Wechselstrome angewandt werden , nicht ausge- n~rnmen.~) Andererseits hat sich derselbe Physiker friiher dahin ausgesprochen , dass ,,man von einer Wippenmethode von vornherein keine zu iryend welchen Schliissen geeigneten Werthe erwarten konnte.4) Hiernach ware also alle auf diesen Gegenstand verwandte Niihe vergeblich und wiirde es auch in Zukunft sein. Inwieweit ist nun dieses vernichtende Urtheil gerecht- fertigt? Zunachst glaube icli, dass man die beiden Grenzfalle der Polarisation davon ausnehmen darf: die Polarisation durch sehr starke und durch sehr schwache Strome. Im ersten Falle erreicht die Polarisation einen oberen Grenzwerth , welchem man experimentell sehr nahe kommen kann und wirklich nahe gekommen .ist. Ausser alteren Arbeiten 6, mochte ich hierfiir eine Untersuchung von E. Vogele) iiber die galvanische Polarisation von Nickel, Cobalt und Eisen anfiihren, durch welche mir die Existenz eines Polarisations- maximums fur die genannten Metalle sowie fur Platin un- zweifelhaft dargethan zu sein scheint. 1) F.Streintz, Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien. 104. 2) 1. c. p. 855. 3) 1. c. p. 847. 4) F. Streintz, Wied. Ann. 32. p. 127. 1887. 5) G. Wiedemann, Die Lehre von derElectricitU,2. p. 692ff. 1894. 6) E. Vogel. Dissertation Greifswsld 1895 ; Wied. Ann. 66. 11s. p. 834-855. 1895. p. 610-622. 1895.

Zur Theorie der galvanischen Polarisation

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Page 1: Zur Theorie der galvanischen Polarisation

5 . Zur Thcorie der ~jnbvaraiscliem Polarisatiom; von. A. O b e r b e c k .

In einer experimentellen Untersuchung iiber Polarisation und Widerstand einer galvanischen Zelle l) kommt F. S t r e i n t z zii dem Resultat, dass ,,die 2lestimmun.q der yalvan,ischen Polari- sation im urspriinylichen Stromkreis ein Ding der UnmCylichkeit

Von diesem Urtheil werden auch diejenigen Methoden, bei denen Wechselstrome angewandt werden , nicht ausge- n~rnmen.~) Andererseits hat sich derselbe Physiker friiher dahin ausgesprochen , dass ,,man von einer Wippenmethode von vornherein keine zu iryend welchen Schliissen geeigneten Werthe erwarten konnte.4)

Hiernach ware also alle auf diesen Gegenstand verwandte Niihe vergeblich und wiirde es auch in Zukunft sein.

Inwieweit ist nun dieses vernichtende Urtheil gerecht- fertigt?

Zunachst glaube icli, dass man die beiden Grenzfalle der Polarisation davon ausnehmen darf: die Polarisation durch sehr starke und durch sehr schwache Strome.

I m ersten Falle erreicht die Polarisation einen oberen Grenzwerth , welchem man experimentell sehr nahe kommen kann und wirklich nahe gekommen .ist. Ausser alteren Arbeiten 6, mochte ich hierfiir eine Untersuchung von E. Vogele) iiber die galvanische Polarisation von Nickel, Cobalt und Eisen anfiihren, durch welche mir die Existenz eines Polarisations- maximums fur die genannten Metalle sowie fur Platin un- zweifelhaft dargethan zu sein scheint.

1) F.Streintz, Sitzungsber. d. k. k. Akad. d. Wiss. zu Wien. 104.

2) 1. c. p. 855. 3) 1. c. p. 847. 4) F. Streintz, Wied. Ann. 32. p. 127. 1887. 5) G. Wiedemann, Die Lehre von derElectricitU,2. p. 692ff. 1894. 6) E. Vogel. Dissertation Greifswsld 1895 ; Wied. Ann. 66.

11s. p. 834-855. 1895.

p. 610-622. 1895.

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30 A. Oberbeck.

Wird andererseits ein sehr schwacher Strom durch eine electrolytische Zelle geleitet , so erreicht die Polarisation in sehr kurzer Zeit nahezu die Hohe der primaren, electro- motorischen Kraft, sodass wir es mit einem Ladungsstrome zu thun hsben, durch dessen Messung man die Capacitat der Zelle erhalten kann. Wendet man in diesem Falle Wechsel- strome an, so kann man ebenfalls die Capacitat der Zelle be- stimmen; jedocli muss man clarauf Riicksicht nehmen, dass dam der Widerstand der Zelle eine scheinbare Vergrosserung erfikhrt.')

Eine derartige Capacititsbestimmung ist aber nichts an- deres als eine llessung der Polarisation.

Fur mittlere Polarisationen, besonders in dem Falle, wo die polarisirenden Krafte zeitlich veranderlich sind, wird man allerdings zugeben mussen, dass eine eingehendere Erklarung derselben noch nicht gegeben werden kann. Hiernach diirfte es zur Zeit hauptsachlich auf eine Ausarbeitung der theore- tischen Vorstellungen ankomrnen.

Die folgenden Bemerkungen enthalten einen Versuch einer solchen Weiterfuhrung der Theorie der Polarisation. Dieselben bind durch eine Untersuchung von 0. Wiedeburg2) angeregt und fuhren zu denselben Resultaten, welche der genannte Physiker auf einem aiideren Wege abgeleitet hat.

Ich gehe dabei von den oben crwkhnten Grenzfallen aus und lege die folgenden Annahmen zu Qrunde.

1. Bei Anwendung schwacher, polarisirender Krafte ver- halt sich eine electrolytische Zelle wie ein Condensator (ge- nauer wie zwei hintereinsnder geschaltete Condensatoren).

2. Bei starkeren Kraften ist diese Vorstellung nur noch annahernd richtig. Jedenfalls ist die Capacitat des Conden- sators als Function der eintretenden Polarisation anzusehen. Sie waclist mit der~elben.~)

3. Die Capacitat wird unendlicli gross, wenn ein oberer Grenzwerth der polarisirenclen Kraft erreicht ist. Derselbe fallt mit dem Polarisationsmaximum zusammen. Die polari-

1 ) 11. Wien, Wied. Ann. 58. p. 37-72. 1896. 2) 0. Wi e d e b u rg.

3) Vergl. A. Oberbeck, Wied. Ann. 19. p. 647. 1883.

Habilitationsschrift Leipzig 1893 ; Wied. Ann. b5. p. 302-345. 1894.

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Theorie der galvanischen Polarisation. 31

sirte Zelle wirkt von dort an, wie eine constante, dem primaren Strom entgegen gerichtete Kette.

4. Neben diesen directen Wirkungen des polarisirendcn Stromes verlauft eine Erscheinung, welche als frei willige Depo- larisation bezeichnet wird und welche darin besteht, dass ein Theil der polarisirend wirkenden Ionen mit der Zeit unwirk- Sam wird. Leider kennen wir die Einzelheiten dieses Vor- ganges noch wenig. Die einzelnen Metalle unterscheiden sich jedenfalls in dieser Beziehung sehr erheblich voneinander. Ich brauche dabei nur an Aluminium und Nickel auf der einen, Platin und Silber auf der anderen Seite zu erinnern. Man hat friiher dieser Erscheinung eine zu geringe Bedeutung zu- geschrieben und besonders angenommen, dass sie bei Wechsel- stromen vernachlassigt werden konnte. Dies scheint in den meisten Fallen aber nicht erlaubt zu sein.

Sehen wir znnachst von dieser freiwilligen Depolarisation ab, so gestalten sich die Gleichungen fiir die Polarisat,ion auf Grund der angefiihrten Annahmen sehr einfach.

Unter allen Umstanden gilt die Gleichung:

w i = 3 - p

nach dem Ohm’schen Gesetz.

Gleichung : Ferner erfullen wir die specielle Annahme 1 .

worin c clie constante Capacitat der Zelle bedeutet. Der allgemeineren Annahme 2. entsprechend

diese Capacitat mit der Polarisation zunehmen.

durch die

sol1 aber

An Stelle von c ist also zu setzen: e l f @ ) , wo die Funktion f so beschaffen sein muss, dass sie p = 0 1 ist und fur einen endlichen Werth: p = P, Null wird.

Demnach ist zu setzen:

Versuchsweise kann man

f ( P ) = 1 - 5 annehmen.

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32 A . Olerbcck.

Dann gelten also die beiden Gleichungen:

P, w i = A’- (1) c - dP - = (1 - +)i.

d t

Man iibersielit ails denselben. dass nach Schluss einer constanten Kette die Polarisation in zcvei Fallen constant wird ( d p / d t = 0).

Jler erste Fall tritt e in , wenn h’ kleiner nls P ist. Uann ist:

I m zweiten Fslle, wenn 13’ griisser als P ist, so ist: p = R, i = 0.

. R - P 2 = - , p = P .

1U

Berucksichtigt man die freiwillige Depolarisation - was jedenfalls h n e r geschehen muss -, so ist in der Gleichung (2) ein Glied hinzuzufugen, welches einer Abnahme der besteheir- den Polarisation entspricht, wenn der polarisirende Strom unterbrochen wird. Hierfiir ist in vielen Fallen die Theorie der Diffusion heranzuziehen. Ich will mich in dieser kurzen Skizze an eiiie Annahme Wiedeburg ’ s halten, welche haufig niit einiger Annaherung xutreffen wird, an die Annahme, dass die Abnalime cler Polarisation der vorhandenen Polarisation proportional ist.

D a m erhalt inan das Gleichungssystem :

(3) t v i = B-11 ,

(4)

Dass diese Gleichungen durch eine Reihe experimenteller Uiitersuchungen bestiitigt werden, hat Wied eburg in der an- gefuhrten Abhandlung gezeigt. Ich erwahne hier nur die folgenden beiden Beispiele.

1. Die Polarisation durch einen Strom von hoher, electro- motorischer Kraft kann als Function der Stromstarke durch die Formel:

Pi p = -- * + x

I ) Vgl. 0. Wiedeburg. Wied. Ann. 66. p. 322. 1894.

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Tlieorie der galvanisciien Polarisation. 33

ausgedruckt werden. Man nahert sich also durch Steigerung der Stromstarke dem Polarisationsmaximum ssymptotisch. In manchen Fallen kommt man demselben sehr nahe; in anderen, besonders bei Benutzung kleiner Electroden, treten Hindernisse ein (2. B. die starke Erwarmung der Fliissigkeit), sodads man den Grenzwerth praktisch nicht erreicheu kann.

2. Die Depolarisation nach Entfernung der primaren Kette erfolgt in vielen Fallen, sowohl im offenen, als im ge- schlossenen Stromkreis nach den angefiihrten Formeln.

Ferner will ich selbst noch folgendes hinzufiigen. 1. Bei Anwendung der obigen Gleichungen auf sehr

schwache Polarisation, wobei p/P gegen 1 zu vernachlassigen ist, ergiebt sich fur die Stromstarke, wenn der Stromkreis im Augenblick t = 0 geschlossen wird:

wo

E e - a t Ex + i T a i = i , + i --

* - 1 + w , X

a=---- ist. 1 + w x W G

Die Stromstarke besteht also aus einem schnell ablaufen- den Stromstoss (i,) und aus einem constanten Reststrom. (iJ. Brsterer giebt den Gesammtstrom:

c E

0

Hierdurch wird die Auffassung dieser Erscheinung, welche R. K r u g e r l) seiner experimentellen Untersuchung zu Grunde gelegt hat, bestatigt. Es zeigt sich allerdings, dass an den nach der Formel c = .El J berechneten Capacitaten eine Correc- tion anzubringen ware.

2. Die obigen Gleichungen, auf die Versuche von M. Wien angewandt, zeigen, dass man den Vorgang so auf- zufassen hat, als ob der Widerstand der polarisirten Zelle eine scheinbare Vergrosserung erfahren hat.

Allerdings stimmen dieselben nicht mit den weiteren Einzelheiten seiner Versuchsergebnisse iiberein, sodass die Be-

1) R. Kriiger, Untersuchungen iiber die CapacitLt von Metall- platten in Salzlosungen. Dissertation Greifswald, 1889; G. Wiedemann, Lehre von der Electricitit, 2. p. 790. 1894.

Ann. d. Phys. u. Chem. N. F. 63. 3

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34 A . Oberbeck.

rucksichtigung der freiwilligen Depolarisation hierbei wohl nocli in etwas anderer Weise stattfinden muss.

3. Die Gleichungen (3) und (4) erklaren die Versuchs- ergebnisse von F. S t r e i n t z , aus denen er die Verurtheilung aller Untersuchungen uber Polarisation im geschlossenen Stromkreis herleitet, vollstandig.

S t r e i n t z schickt durch eine Zelle, welche mehr oder weniger stark durch einen constanten Strom polarisirt wird, einen Inductionsstrom , dessen G esammtintensitat gemessen wird. Hierauf wird nach Ausschaltung der Zelle ein Strom von gleicher electromotorischer Kraft durch denselben Strom - kreis gesandt und soviel Widerstand eingeschaltet , dass die Intensitat dieselbe ist: wie zuvor.

Dabei zeigt sich, dass im Fallc einer schwachen Pola- risation der Zelle der Ersatzwiderstand sehr gross ist, mit der Polarisation abnimmt , bei starker Polarisation constant wird und vermuthlich dem wahren Widerstand der Zelle gleich- kommt.

Auf diesen Versuch wollen wir die oben entwickelte Theorie anwenden.

Zu diesem Zwecke werden die Gleichungen (3) und (4) mit d t multiplicirt und zwischen den Grenzen Null und 9 inte- grirt. Dies giebt:

9 4 4

w J ~ d t = J B d t - J p d t 0 0 0

9 6 0

Nach der Zeit 9 moge der Inductionsstoss vollstiindig ver- laufen sein.

Eine dauernde Aenderung des Polarisationszustandes oicht eingetreten. Also ist:

sei

J g d t = 0. 0

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Deli ganzen, am Galvanometer gemessenen Inductionsstrom bezeichnen wir mit

6

J = j i d t . 0

Das Integral

kann man zwar nicht ausfuhren. Es lasst sich nur ubersehen, dsss dasselbe einen Werth besitzt, welcher kleiner ist als J. Wir wollen ihn mit AJ bezeichnen. Dann ist schliesslich:

9

(W + A ) J = l E d t . 0

Hiermit ist eine scheinbare Widerstandsvergrosserung um den Betrag Alx nachgewiesen, von der sich sofort iibersehen lasst, dass sie fur schwache Polarisation am grossten ist und in der Nahe des Polarisationsmaximums bez. oberhalb des- selben rerschwindet.

Der Hauptsache nach finden also die Versuchsresultate von S t r e in tz ihre Erklarung durch die vorangeschickten, theoretischen Erorterungen.

Die bisherigen Untersuchungen iiber Polarisation sind also keineswegs unfruchtbar gewesen. Sie haben vielmehr zu Vorstellungen iiber das Wesen derselben gefuhrt, welche im ganzen zutreffend sind und nur in ihren Einzelheiten noch weiter durchgearbeitet werden miissen.

Tub ingen , Physikal. Inst. d. Universitat, 20. Juni 1897.

3'