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Aus dern Institut fur Parasitologie der Tierarztlichen Hochschule Hannover Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden im Aller-Leine-Gebiet Von W. RUHMI Mit li Abbildungen Das Aller-Leine-Gebiet ist als Schadgebiet der Simuliiden schon sehr lange bekannt. Bereits aus dem vorigen Jahrhundert wurde uber Verluste an Weidetieren berichtet, deren Ursache Kriebelmucken gewesen sein durfien. Spater wurden bei dem Auftreten von Todesfallen unter Weiderindern ver- schiedene blutsaugende Simuliiden an diesen nachgewiesen und als Ursache erkannt. Als wesentlicher Faktor. der die massenhafie Entwicklung: der Simuliiden begunstigen soll, wurde die Verunreinigung der Gewasser &d der dadurch bedingte Ruckgang der Fische, wichtigen Feinden der Simuliidenlarven, an- gesehen. Ferner sollen das Grofiklima und Regionalklima als entscheidende Faktoren die Entwicklung der groi3en Simuliidenschwarme zu Beginn des Fruhjahrs bewirken (WILHELMI 1920). Ein plotzlicher Temperaturanstieg im Fruhjahr nach vorausgegangenen kuhlen Tagen stimulieren nach verschiede- nen Autoren das Massenschliipfen der Simuliiden aus den Puppen. Ein ab- sinkender Pegel, insbesondere nach Hochwasser soll die Wirkung des Tem- peraturanstiegs im Hinblick auf das Massenschlupfen verstarken (vgl. PLATE 1954). Das konzentrierte Auftreten der Erkrankungen und Todesfalle wah- rend der ersten Flugwochen der Mucken im Fruhjahr und die nur seltenen Erkrankungen wahrend der restlichen Vegetationsperiode erklarte man mit der zunachst fehlenden, dann zunehmenden Immunitat der Weidetiere ge- genuber dem vermuteten Toxin aus den Speicheldrusen der Kriebelmucken. Der Strefi, der durch den Obergang von der Stall- zur Weidehaltung bedingt wird, soll die Wirkung des Toxins auf den Kreislauf fordern. Eine Folge der Untersuchungen waren Vorschlage zur Bekampfung und zur Verringerung der Schaden (WILHELMI 1920, ENDERLEIN 1931). Diese Vor- schlage gipfelten im wesentlichen in einer Beschrankung des Weideganges und in einem verspateten Austrieb nach dem 15. 5. jedes Jahres. Zuletzt wurden auch Kontaktinsektizide gegen die Imagines in unmittelbarer Nahe der Flufi- ufer und gegen die Larven in den Graben erprobt (ENIGK 1955, TANNERT 1957). Wie wenig bis heute die Gefahr gebannt ist und sich die einzelnen Mafinahmen durchsetzen konnten, beweisen die Verluste und Erkrankungen von 1941 : mit insgesamt 198 verendeten Tieren im gesamten Aller-Leine- Herrn Prof. Dr. K. ENICK zum 60. Geburtstag gewidmet.

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden im Aller-Leine-Gebiet

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Aus dern Institut fur Parasitologie der Tierarztlichen Hochschule Hannover

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden im Aller-Leine-Gebiet

Von W. RUHMI

Mit li Abbildungen

Das Aller-Leine-Gebiet ist als Schadgebiet der Simuliiden schon sehr lange bekannt. Bereits aus dem vorigen Jahrhundert wurde uber Verluste an Weidetieren berichtet, deren Ursache Kriebelmucken gewesen sein durfien. Spater wurden bei dem Auftreten von Todesfallen unter Weiderindern ver- schiedene blutsaugende Simuliiden an diesen nachgewiesen und als Ursache erkannt.

Als wesentlicher Faktor. der die massenhafie Entwicklung: der Simuliiden begunstigen soll, wurde die Verunreinigung der Gewasser &d der dadurch bedingte Ruckgang der Fische, wichtigen Feinden der Simuliidenlarven, an- gesehen. Ferner sollen das Grofiklima und Regionalklima als entscheidende Faktoren die Entwicklung der groi3en Simuliidenschwarme zu Beginn des Fruhjahrs bewirken (WILHELMI 1920). Ein plotzlicher Temperaturanstieg im Fruhjahr nach vorausgegangenen kuhlen Tagen stimulieren nach verschiede- nen Autoren das Massenschliipfen der Simuliiden aus den Puppen. Ein ab- sinkender Pegel, insbesondere nach Hochwasser soll die Wirkung des Tem- peraturanstiegs im Hinblick auf das Massenschlupfen verstarken (vgl. PLATE 1954). Das konzentrierte Auftreten der Erkrankungen und Todesfalle wah- rend der ersten Flugwochen der Mucken im Fruhjahr und die nur seltenen Erkrankungen wahrend der restlichen Vegetationsperiode erklarte man mit der zunachst fehlenden, dann zunehmenden Immunitat der Weidetiere ge- genuber dem vermuteten Toxin aus den Speicheldrusen der Kriebelmucken. Der Strefi, der durch den Obergang von der Stall- zur Weidehaltung bedingt wird, soll die Wirkung des Toxins auf den Kreislauf fordern.

Eine Folge der Untersuchungen waren Vorschlage zur Bekampfung und zur Verringerung der Schaden (WILHELMI 1920, ENDERLEIN 1931). Diese Vor- schlage gipfelten im wesentlichen in einer Beschrankung des Weideganges und in einem verspateten Austrieb nach dem 15. 5. jedes Jahres. Zuletzt wurden auch Kontaktinsektizide gegen die Imagines in unmittelbarer Nahe der Flufi- ufer und gegen die Larven in den Graben erprobt (ENIGK 1955, TANNERT 1957). Wie wenig bis heute die Gefahr gebannt ist und sich die einzelnen Mafinahmen durchsetzen konnten, beweisen die Verluste und Erkrankungen von 1941 : mit insgesamt 198 verendeten Tieren im gesamten Aller-Leine-

’ Herrn Prof. Dr. K. ENICK zum 60. Geburtstag gewidmet.

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Gebiet, 1961 im Landkreis Celle mit 20 erkraiikten und 29 verendeten Tie- ren und schliei3lich 1966 in demselben Landkreis mit 16 erkrankten und 48 verendeten Tieren.

Eine kritische Durchsicht der Literatur zeigt, dai3 uber die Biologie und Ukologie der Simuliiden dieses Gebietes noch verhaltnismaflig wenig bekannt ist, deren Kenntnis die Voraussetzung erfolgreicher Bekampfungsmahah- men ist.

Da trotz mannigfacher Bemuhungen keine Klarheit herrscht, welche Si- muliidenarten innerhalb dieses Gebietes tatsachlich vorkommen, stand zu- nachst die Klarung folgender Punkte im Vordergrund der Untersuchungen, uber die hier kurz berichtet wird: a. die vorkommenden Arten, b. ihre Verbreitung, c. der Anteil, der an Weidetieren blutsaugenden Arten, d. Ermittlung der Art oder der Arten, die die Erkrankungen und Todesfalle

in erster Linie oder ausschliefllich verursachen.

I. Material und Methode

1. Das Untersuchungsgebiet (Abb. 1)

Die Untersuchungen erstrecken sich auf folgendes Gebiet: a. die Leine a b Bordenau (zirka 15 k m nordlich Hannover) bis zum Zusammenflui3 von

Aller und Leine bei Eickeloh sowie deren rechte Zuflusse. b. die Aller kurz vor Celle bis Eickeloh und ihre linken Zuflusse im Bereich Hannover-

Peine-Utze-Celle. c. die Innerste bei Saarstedt (in der Karte nicht eingezeichnet), die Alpe im gesamten Ver-

lauf bis zur Einmiindung in die Aller bei Rethem sowie die Bohme einschliei3lich der Bomlitz ab Fallingbostel bis zur Einmiindung in die Aller bei Bohme.

Dieses Gebiet umfafit samtliche Bereiche, in denen auch die friiheren Bearbeiter Simuliiden gesammelt und beobachtet hatten (WILHELMI, ENDERLEIN, FRIEDERICHS u. a,).

Aller und Leine durchschneiden als Tieflandfiusse in mehr oder minder grofien Maan- dern die Flufiauen (Marschen). Die Leine besitzt im Vergleich zur Aller wenige, zudem nur kleine Zuflusse. Sie ist schmaler als die Aller und ha t auf weiten Strecken eine weitaus steilere Uferboschung aufzuweisen. Der Pflanzenbewuchs in der Leine ist im Gegensatz zur Aller sehr sparlich und fehlt auf weiten Strecken vollig. Verhaltnismafiig selten treten an die Leine Waldungen bis unmittelbar an die Ufer heran. Beide Flusse neigen in Abhangig- keit von der Jahreszeit und von den herrschenden Witterungsbedingungen zu starken Aus- uferungen, die grofie Teile der Auen fur Tage und auch Wochen iiberschwemmen konnen. Das gesamte Flugsystem ist stark anthropogen beeinflufit. Die Leine wird vor allem durch die Abwasser der Stadt Hannover stark verunreinigt. Die Abwasserbelastung der AlIer ist vergreichsweise geringer. An beiden Flussen reichen die Weiden haufig bis zu den Flu& ufern. Hier befinden sich oft Trankstellen fur die Weidetiere. An den Ufern sind stredten- weise starke Abbriiche zu beobachten, die bei beiden Flussen an verschiedenen Stellen lau- fend beseitigt und mit Steinen befestigt werden. Dies gilt vor allem fur die Aller, die we- gen der Schiffahrt vertief? und durch mehrere Schleusen unterteilt ist.

Auch die Zuflusse sind zum Teil mit Detergentien beladen (z. B. die Bohme, Bomlitz, Wietze, Aue, Fuhse). Sic sind fast alle auf grofien Strecken begradigt (Kanile) und an den verschieden steilen Ufern mit dem dichten Saum einer nitrophilen Pflanzengemeinschaft, vor allem Brennesseln, bewachsen. Diese Pflanzengemeinschaft zeigt die starken Ablagerun- gen des Winterhochwassers an. N u r an den Stellen des natiirlichen Verlaufs iiberwiegt augerhalb der naheren Umgebung der Siedlungsgebiete und der landwirtschaftlichen Nut - zungsflachen der Baumbestand. Die Uferzonen dieser mittelgrogen Zufliisse werden ebenso wie die kleinen und mittelgrogen Bache vom Pflanzenbewuchs gereinigt und die mehr oder tninder starke Ansammlung aquatischer und semiaquatischer Pflanzen gemaht und cnt- fernt. An verschiedenen Stellen sind Schleusen eingebaut (Wietze, Fuhse).

Z U Y Vevbveitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden 405

Die Bache (z. B. Alpe, Beeke) sind meist Moorentwasserungen und nur die Jiirse be- sitzt eine von einem kleinen Waldhorst umstellte Sickerquelle. Ebenso besitzt eine derartige Quelle ein kleiner in die Jiirse miindender Bach (J 7). Die zufiihrenden Graben nehmen das Drainagewasser der Weiden auf. An verschiedenen Stellen wird dieses Entwasserungs- system zur Zeit erweitert. Die Uferzonen sind von einer zum Teil reichhaltigen Flora um- saumt. Auch der Pflanzenwuchs in den Bachen ist haufig sehr stark, so dafi diese vorwie- gend im Herbst, gereinigt werden miissen. Bei Wassermangel wird aus den Bachen zur Be- wasserung in grofiem Umfang Wasser entnommen. Auch hier treten die Weidetiere, wenn es an Tranken mangelt, direkt an die Bache zur Wasseraufnahme heran. An diesen Stellen werden ebenfalls die Uferzonen stark ausgetreten, so dafi kleine Buchten entstehen konnen. Die Verunreinigung der Bache ist geringer als die der Fliisse.

2. Materialgewinnung

Zu Beginn der Untersuchungen wurden die Flu& und Bachabschnitte mit dem Auto abge- fahren und auf das Vorhandensein von Simuliidenlarven durch die Aufnahme von Stich- proben untersucht. Die grofieren Fliisse wurden kilometerweit mit einem Schlauchboot ab- gefahren und nach Simuliiden abgesucht. Auf diese Weise wurde ein Dberblick iiber das Gewassersystem des Untersuchungsgebietes erhalten. Im Anschlufi daran wurden feste Punkte zur Entnahme der Proben nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewahlt. Diese Kontrollpunkte wurden jeweils in einem Zyklus von 2-4 Wochen besucht. Gelegentlich wurden diese Probenentnahmen durch grofie Uberschwemmungen behindert.

Die mit Simuliidenlarven und -puppen besetzten Pflanzen wurden eingesammelt und nach der iiblichen Methode in beliifteten Aquarien aus den Altlarven und Puppen die Imagines gcziichtet. Pflanzen, an denen sich fast ausschliefilich Puppen befanden, wurden lediglich angefeuchtet und die Imagines zum Schliipfen gebracht. In seltenen Fillen wur- den Junglarven bis zum Schliipfen der Imagines durchgeziichtet. Die Larven, Puppen und Imagines wurden bis zur weiteren morphologischen und systematischen Untersuchung in 70°/oigem Alkohol aufbewahrt.

Aufierdem wurden die den Menschen und die Weidetiere wahrend der einzelnen Tages- stunden anfliegenden Imagines mit dem Ketscher abgefangen oder nach dem Landen bzw. nach der Blutaufnahme mit einem Netz, an dessen Ende ein leichtes Plastikglas befestigt war, abgefangen. Die Muckenweibchen flogen meist direkt in das Glas, da der Landeplatz an den Weidetieren durch das Stoffnetz abgedunkelt war. Von diesem Plastikglas konnten die Mucken ohne Schwierigkeiten in ein beschrifietes Gefai3, sei es zur weiteren Beobach- tung oder zur Fixierung, umgefiillt werden. Ferner wurden Imagines aus den Schwarmen gefangen oder von der ufernahen Vegetation geketschert.

Zur Determination wurde die bereits iiber das Aller-Leine-Gebiet vorliegende Litera- tur und die RunTzovsche Systematik der Simuliiden herangezogen. Stets wurde darauf geac'htet, die Larven, Puppen und Imagines einer Art zueinander in Beziehung zu bringen und die Artbestimmung auf ein umfangreiches Material zu stiitzen, das wahrend des bis- herigen Beobachtungszeitraumes von zwei Jahren gesammelt werden konnte.

Mit der Probenaufnahme wurden u. a. auch Wasserproben fur eine detaillierte Analyse genommen und Temperatur und Stromungsmessungen durchgefuhrt, auf die in diesem Zu- sammenhang nicht eingegangen wird.

11. Die Sirnuliiden des Aller-Leine-Gebietes

1. Zur Taxonomie der Arten

Uber die Frage, welche Arten iin Untersuchungsgebiet auftreten, bestand bis heute keine Klarheit. Die Unsicherheit in der Bestimmung der Arten hatte bzw. hat verschiedene Griinde: I . die inorphologisch schwer unterscheidbaren Arten wurden nur an Hand

der variablen auiierlichen Merkinale der weiblichen Miicken bestimmt. Die Morphologie der Miinnchen, insbesondere deren Hypopygium, sowic die der Larven und Puppen wurden nicht oder nur wenig beriicksichtigt.

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2 . Verschiedene Artbezeichnungen, die sich auf Untersuchungen an Si- muliiden anderer Gebiete bezogen, wurden von einigen Autoren ohne eigene kritische Untersuchungen direkt iibernommen.

3. Die geringe morphologische Difierenzierung der Simuliiden bereitet aber auch bei einer Berucksichtigung samtlicher Entwicklungsstadien einer Art Schwierigkeiten. Zahlreiche Artenkomplexe bzw. Geschwisterarten diirf- ten daher nur mit cytotaxonomischen Methoden aufschliisselbar sein (vgl. ROTHFELS u. DUNBAR 1953, ROTHFELS 1956, DUNBAR 1959, 1966, BAS- RUR 1959 u. a.).

Die meristischeii Merkmale variieren bei zahlreichen Arten mehr oder min- der betrachtlich. Die Variationsbreite ist aber bei den bisher bekannten Arten aus verschiedenen Gegenden nur in den wenigsten Fallen exalrt erfaflt. Zur Variation der Einzelmerkmale kommt bei einigen Arten ein verschieden stark ausgepragter Saisondimorphismus hinzu, der die Entscheidung, ob es sich um eine oder zwei Arten mit verschiedenen Generationen handelt, sehr erschwert oder bisher unmoglich machte. Biologische Kriterien reichten nicht aus, da ihre genetische Fixierung durch Kreuzung nicht nachgewiesen werden konnte. Wahrend noch DAMANN und OPPERMANN 1905 in den Simuliiden, die sie nicht naher bestimmten, Ubertrager einer Bakterienerkrankung sahen, erwahnte LONS (1 906) sie als unmittelbar schadliche Simuliidenart ,,Simulia ornata". LONS stiitzte sich auf das Untersuchungsmaterial von WIEGAND, der erst 1908 uber seine Untersuchungen berichtete. DAHLGRUN (1911) er- wahnte Simulium reptans (L.), die er als Kolumbatscher Miicke bezeichnete, als den Hauptschadling und als weitere in Frage kommende schadliche Arten Simulium maculatum Meig., Simulium argyreatum Meig. und Simulium latipes Meig. MIESSNER (1 91 4/16) berichtete von Simulium reptans, Simu- lium ovnatum (Meig.), wobei er wiederuni die Bedeutung der erstgenannten Art fur das Leine-Gebiet hervorhob. Weder DAHLGKUN noch MIESSNER hat- ten, wie ihren Angaben zu entnehmen ist, die Siinuliiden bestimmt. Vcr- schiedentlich stiitzten sie sich auf Literaturangaben aus anderen Gebieten (s. o.), aus denen von schadlichen Kriebelmiickenarten berichtet worden war. Auch BRANDES (1 914) hatte Simulium ornatum und Simulium reptans nicht selbst determiniert. MATTHIESEN, PEETS und DAHLGRUN (1915, 1917, 1921) erwahnten erneut Simulium reptans, Simulium ornatum. Simulium latipes und Simulium maculatum. Die Bestimmungen fiihrte PEETS durch. Spater beschrieb dann FRIEDERICHS (1 922), der die Simuliiden verschiedener Ge- biete bearbeitete, aus dem Leine-Gebiet folgende Arten:

Simulium ovnatum, Simulium ornatum var. pratorum (Friedr.), Simulium ornatum var. nitidijrons (Edw.), Simulium argyreatum, Simulium latipes, Sirnutiurn aureum (Fries) und SimuLium maculatum. FRIEDERICHs kam zu dem Schlufl, dafl nicht Simulium reptans die den Weidetieren gefahrliche Siinuliidenart sein konne. Er liielt Simulium argyreaturn, die er in grofler Anzahl aus den aus der Leine gesainmelten Puppen zucliten koniite, fur den Hauptschadling. Deinzufolge stellte er diese Art als Neustadter Miiclte der Koluinbatscher Mucke zur Seite. Neben Simulium argyreatum zuchtete FKIE- DEKICHS auch Simulium maculatum aus Puppen, die er iiiit Pflanzen der Leine bei Neustadt entnommeii hatte. Dagegen wurde yon FPJLDLKICHS Simulium reptans entgegen den Ausfiihrungen ENDERLEINS (1 93 1) i n Aller-Leine-Ge- biet nicht nachgewiesen.

Zuletzt widmete sich EKDERLEIN (1 93 1) noch einmal der Siiiiuliidenfaun'i des Aller-Leine-Gebietes. Auf seinen Untersuchungen basieren iiii wesent-

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Sirnuliiden 407

lichen unsere derzeitigen Kenntnisse iiber die Simuliidenfauna des Aller- Leine-Gebietes. ENDERLEIN wies insgesamt folgende 15 Arten nach (unter Bei- behaltung seiner Nomenklatur) : Stegopterna tibialis (Macq.), Cnetha albi- pileata (End.), Cnetha schielei (End.), Cnetha wigandi (End.), Cnetha lund- stromi (End.), Wilhelmia lineata (Meig.), Wilhelmia equina (L.), Wilhelmia equina var. nigra (Meig.), Boophthora sericata (Meig.), Boophthora sericata forma argyreata (Meig.), Simulium reptans, Simulium heringi (End.), S’ tmu- l ium latimanus (End.) und Odagmia ornata (= Simulium ornatum, s. 0.).

ENDERLEIN war nun seinerseits der Ansicht, dai3 Simulium reptans als be- sonders schadliche Art haufig mit Simulium ornatum verwechselt worden war. In der PEETsschen Sammlung fand er zwei Exemplare von Simulium ornatum, die falschlicherweise als Simulium reptans bestimmt worden waren. Er selbst wies Simulium reptans in wenigen Exemplaren fur das Leine-Ge- biet nach. Als den Hauptschadling sah er Boophthora sericata an. Nach seinen Befunden synonymisierte er die Arten der PEETsschen Sammlung in folgender Weise:

Simulium latipes = Cnetha wigandi, Simulium maculatum = Wilhelmia lineata, Wilhelmia lineata = Wilhelmia equina, Simulium reptans = Odagmia ornata, Simulittm argyreatum == Boophthora sericata und Booph- thora sericata var. argyreata.

Ebenso synonymisierte er die Arten von FRIEDERICHS: Simulium latipes = Cnetha wigandi, Simulium aureum = Cnetha lund-

stromi, Simulium maculatum = Wilhelmia lineata, Simulium reptans = Odagmia ornata, Simulium argyreatum = Boophthora sericata.

TANNERT (1957), der vor allem Versuche zur Bekampfung der Kriebel- miicken durchfiihrte, gab fur einen kleinen Abschnitt der Leine, fur die Jiirse, einen Zuflui3 der Leine und fur die in die Aller einmiindende Alpe das Vorkommen von Simulium ornatum, Simulium latipes und Simulium argyreatum (s. u.) an. Er stiitzte sich nach eigenen Angaben in erster Linie auf die Ausfiihrungen von FRIEDERICHS.

RUBTZOV (1953, 1964) revidierte in seiner uinfangreichen Monographie der Simuliidae an Hand eigener Funde in den UdSSR, den in den Museen befindlichen Typen sowie den einzelnen Beschreibungen die Nomenklatur und Taxonomie der in der palaarktischen Region vorkommenden Arten. Formal verwendete er einen groi3en Teil der von ENDERLEIN geschaffenen Gattungsbezeichnungen, fai3te jedoch die einzelnen Gattungen neu. An H a n d dieser Revision und durch einen Vergleich der alteren Artangaben mit den derzeit im Untersuchungsgebiet nachweisbaren Arten ist es moglich, die fru- heren Befunde zu interpretieren.

Simulium reptans ist eindeutig abgegrenzt worden. Diese Art wurde in der alteren Literatur haufig erwahnt und init verwandten Arten, z. B. der Koluinbatscher Miicke (s. o.), verwechselt. Von einigen friiheren Bearbeitern der Simuliiden des Aller-Leine-Gebietes wurde diese Art, wie schon erwahnt, aus der Literatur ubernommen, aber nicht nachgewiesen. D a ENDEKLEIN diese Art in wenigen Exemplaren im Untersuchungsgebiet nachgewiesen hat, ist nicht sicher zu entscheiden - die PEETssche Sainmlung ausgeiiommen - ob Simulium reptans auch von anderen Autoren z. B. mit Odagmia ornata ver- wechselt worden war. In dein eigenen Untersuchungsmaterial fehlt diese Art.

ENDERLEIN erkannte, dai3 Simulium argyreatum nicht die Neustadter bzw. Leine-Mucke sein konnte, sondern dai3 es sich uin eine andere Art handelte, die er mit Boophthora sericata bzw. B. sericata var. argyreata bezeichnete.

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RUBTZOV wies dann in seiiien Untersuchungen nach, dafl unter der Bezeich- nung Simuliurn argyreatum verschiedene Arten vermengt worden waren. Er wies darauf hin, daf3 wohl die haufigsten Verwechslungen mit Boophthora erythrocephala (DE GEER) vorgekommen sind, die als Stammart zu gelten hat. Als groi3e Friihjahrsform mug bis zur endgiiltigen Klarung der Syste- matik Boophthora sericata (MEIG.) angesehen werden. Boophthora erythro- cephala wurde von mir im Untersuchungsgebiet massenhaft nachgewiesen

Ein groi3er Teil friiherer Autoren erwahnte haufig Simulium maculatum als schadliche Art. Aus SMART (1945) und RUBTZOV (1956,1963) geht hervor, daf3 etwa die Halfte der Namen westeuropaischer Arten aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts mit Simulium maculatum in Verbindung ge- bracht worden war. Die typische Art, ,,Maculatum", ist heute als Titanop- teryx maculata (Meig.) gut abgegrenzt. FRIEDERICHS sonderte (1922) von Simulium maculatum eine nicht verwandte Art aus, die heute als Eusimulium costatum (Friedr.) gefiihrt wird (s. u.). FRIEDERICHS hat aber bei seiner Be- schreibung von Simulium maculatum mindestens 2 Arten ineinanderkombi- niert. So entspricht das von ihm abgebildete Hypopygium durchaus dem einer Wilhelmia-Art. Dagegen gehort die Puppe nach der Form und Ver- zweigung ihrer Atemfaden zu einer anderen, nicht mehr zu identifizierenden Art. so synonymisierte ENDERLEIN nicht ganz zu unrecht die von FRIEDERICHS beschriebene Simulium maculatum mit Wilhelmia lineata.

An den von FRIEDERICHS angegebenen Fundorten konnten von mir in ge- ringer Anzahl Wilhelmia equina und Wilhelmia salopiensis (Edw.) noch nachgewiesen werden. FRIEDERICHS weist nun mit Nachdruck darauf hin, dai3 seine Simulium maculatum sich massenhaR nach dem Schlupfen, auch ein- gezwingert begattete. Dieses Verhalten konnte bisher nur bei Boophthora erythrocephala und Wilhelmia salopiensis von WENK (1 965) und jetzt von inir auch an dein im Aller-Leine-Gebiet gesammelten Untersuchungsmaterial beider Arten nachgewiesen werden. Die hier wesentlich seltenere Wilhelmia equina erwies sich als eurygam. Wilhelmia lineata konnte ich nicht nach- weisen und so eine Stenogamie oder Eurygamie beobachten. Trotzdem ist es sehr wahrscheinlich, dai3 FRIEDERICHS bei seiner Simulium maculatum des Aller-Leine-Gebietes Wilhelmia salopiensis vor sich gehabt hat.

Eusimulium costatum wurde von mir erstmals im Aller-Leine-Gebiet nachgewiesen. Es handelt sich u m eine stenotope Art, die nur im nahen Quell- bereich lebt. Diese groi3te Art im Untersuchungsgebiet liommt in keinein Falle neben den erwahnten Wilhelmia-Arten vor. RUBTZOV (vgl. 1964) synonymisierte wegen ungenugender morphologischer Beschreibungen die von ENDEKLEIN beschriebene Cnetha albipileata, Cnetha schielei und Cnetha wigandi mit Eusimulium latipes, Wilhelmia equina var. nigra mit Wilhelmia equina. Simulium heringi End. ist eine sehr strittige Art, die nach RUBTZOV inir Simulium verecundurn Stone et Janinb. identisch sein iionnte. Weder die eine noch die andere Art tauchte in dein in 2 Jahren aufgesammelten Ma- terial auf. Die von ENDERLEIN beschriebene Stegopterna tibialis und Simulium latimanus werden von RURTZOV, wohl wegen ungenugeiider Beschreibung, in seiner Systeinatik auch als Synonyme nicht erwahnt.

Eusimulium aureum, die fri;.her unter dem Nainen Simulium aureurn er- wahnt wurde, konnte von mir erneut nachgewieseii werden. Desgleichen fa 11 d ich E usimulium 1 un d s t rom i . Die Ann a hm e END E R LEI N s, F R I ELI E R I CH s habe nicht Eusimulium aureum, sondern Eusirnulium lundstromi vorgelegen,

(s. u.).

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Sirnuliiden 409

besteht zu Recht. Die schematischen Zeichnungen FRIEDERICHS lassen nach der Form des Gonosternums einen Vertreter der Eusimulium angustitarse- Gruppe, zu der Eusimulium lundstromi gehort, erkennen.

Odagmia ornata konnte von mir in groi3er Anzahl wieder nachgewiesen werden. Die von FRIEDERICHS genannten Uiiterarten von Odagmia ornata, darunter die von ihm beschriebene Odagmia ornata pratorum, werden von RUBTZOV anerkannt. Von einer Aufschlusselung dieser Artengruppe habe ich zunachst abgesehen, zuinal es sich herausstellte, dai3 ein Teil der Individuen innerhalb einer eng zusammenlebenden Odagmia-Population nicht nur bei- spielsweise Omata-Prutorum-Merkmale oder Omuta-Nitidifrons-Merk- male, sondern die beider Gruppen in scheinbar ,, freier Kombination" besitzt.

Tabelle I

Auror

L O N S D A H L G R U N

BRANDES

MIESSNER

MATTHIESEN, PEETS. DAHLGRUN

Jahr Art

1906 Odagmia ornata 1911 Odagmia ornata

Boophthora erythrocephala Eusimulium latipes Wilhelmia equina oder lineata oder salopiensis

1914 Odagmia ornatn Boophthora erythrocephata

1914116 Odagrnia ornata Boophthora erythrocephala

1915117121 s. D A H L G R U N 1911

1931

1957

1964.65

FRIED~RICHS 1922 Odagmia orrzatu Odagrnia ornata pratorum Odagmia ornata nitidifrons Boophthora erythvocephala Eusimulium latipes Eusirnulium lundstromi Wilhelmia salopiensis Wilhelmia equiiia Wilhelmia lineata ? Odagmia ornata Boophthora erythrocephaln Wilhelmia lineata Wilhelmia equina Simulium reptans Simulium heringi Eusimulium latipes Eusimulium lundstromi

Boophthora e,-ythrocephalu Boophthora sevicuta Eusirnulium latipes

END E R L E I N

TA N N E RT Odagmia o v m t a

eigcne Unrersucliungen Otidgmi'c oriiiciti BooQhthold ? ~ y t / i ~ o c e p h d d Wilhelmia equina Wilhelmia salopiensis Eusimuliiirn litipes Eusimulium aureum Eusimulium lutzdstrijmi Cusimulirtn: cosi'ctuni .Simulizim ,>roi.sit,iiis Cnep,bid s p .

410 W. Ruhm

Neu fur das Aller-Leine-Gebiet ist Simttlium morsitans (Edw.), d' ie von keinem der fruheren Autoren erwahnt wurde, und eine Cnephia-Art, deren samtliche Entwicklungsstadien noch nicht vorliegen und die wie Eusimulium costatum weitgehend stenotop zu sein scheint.

Demnach wurden bis 1957 nach kritischer Durchsicht folgende Arten, denen die eigenen Funde gegeniibergestellt sind, im Aller-Leine-Gebiet be- obachtet:

2. Die Arten des Aller-Leine-Gebietes und die Artbeschreibung von Rubtzov

Bei einem Vergleich der einzelnen Arten mit den von RUBTZOV gegebenen Beschreibungen der Typen und Arten konnte nicht die zu fordernde morpho- logische Identitat festgestellt werden. Stets weichen einige Merkmale, und diese nicht unerheblich, von den Beschreibungen ab. Dies b e t r i a u. a. fol- gende Merkmale: a. bei den Larvenstadien:

die Anzahl der Borsten des Filterapparates die Anzahl und Stellung der Borsten des Hypostoms die Farbzeichnung der Kopfkapsel die Anzahl der Haken des hinteren Hafforgans

die Chatotoxie des gesamten Korpers

die Farbzeichnung und Beborstung des Thorax die Farbzeichnung der Beinpaare den Bau des Gonosternums

Zur Beantwortung der Frage, ob die Unterschiede dadurch bedingt sind, dai3 es sich doch um verschiedene Arten, verschiedene Arten eines Komplexes oder nicht erheblich bedingte Variationsmerkmale handelt, fehlt noch eine exakte Abgrenzung der betreff enden Arten durch Vergleich der morphologi- schen Merkmale an Hand eines umfangreichen Materials. RUBTZOV weist jedenfalls bei dem groi3ten Teil der Arten wie z. B. Odagmia ornata, Eusi- mulium latipes, denen die Simuliiden des Aller-Leine-Gebietes zuzuordnen sind, darauf hin, dai3 es sich um sog. Sammelarten handelt, deren morpholo- gische Bearbeitung teilweise noch unzulanglich ist. Es ist daher durchaus mog- lich, dai3 beispielsweise die von ENDERLEIN beschriebenen Eusimwlium-Arten (Cnetha b. ENDERLEIN) des Latipes-Komplexes reale Arten sind. D a aber die Beschreibungen unzureichend sind, diirfien sie auch bei einer Aufschliisselung des Koinplexes nicht wieder identifiziert werden konnen.

Bei Wilhelmia salopiensis und Boophthova ery throcephala liegen die Vor- aussetzungen, die ,,Arten" abzugrenzen bzw. den Saisondiinorphismus auf- zuklaren, besonders giinstig, weil mit beiden Arten auch Kreuzungsexperi- iiiente durchgefuhrt werden konnen. Sobald die Ausbeute der Larvenzuchten groi3er als bisher ist, diirfie es auch iuoglich sein, die genetische Fixierung ein- zelner Merkmale uiid die dazugehorige Chroinosomenstruktur nachzuweisen.

b. Puppen:

c. Imagines:

Zur Vevbreitung und Bedeutung dev blutsaugenden Simuliiden 41 1

, ..a* i

Abb. 1. Verteilung der Simuliidenarten auf die verschiedenen Beobachtungsstellen im Aller-Leine-Gebiet

111. Die Verbreitung der Simuliiden

1. Die Verbreitung der einzelnen Arten

a. Boophthora el-ythrocephala

Von Boophthora erythrocephala wurde stets aus den1 Gebiet uin Neustadtl Riibenberge an der Leine berichtet. E N D ~ R L E I N (1931) fiihrte noch aus, dai3 diese Ar t nicinals in den Biicheti und Nebenflussen lebt. I n dein Beobach- tungszeitraum 1964/65 konnte Boophthora erythrocephala i n der Leine i n der unmittelbaren Uingebung von Neustadt als Larve iiur in wenigen Ex- emplaren nachgewiesen werden (s. 0.). Ferner wurden einige wenigc Eigelege an den Pflanzen der Ufervegetation geleFentlich gefunden. Zirka 1 8 kni flu& abwiirts von Neustadt konnte in der Nahe des Zusammenflusses von Aller

412 W. Ruhm

und Leine ein mittelgrofler, temporarer Herd (Abb. 1, L 4) ermittelt werden. Demgegenuber wurde Boophthora erythrocephala in der Aller, im Bereich von Celle bis zum Zusammenflufl mit der Leine in grofler Anzahl mit unter- schiedlicher Individuendichte festgestellt. Da sowohl in der Leine als auch in der Aller die Proben gleichartig in einem vergleichbaren Zeitabschnitt ent- nommen worden waren, konnte der Befallsunterschied nicht methodisch be- dingt sein. Wir konnen daher annehmen, dai3 Boophthora erythrocephala, die sog. Leinemiicke (s. u.), innerhalb ihres urspriinglichen Schadgebietes nahezu vollig zuriickgedrangt wurde. Dieser Riickgang diirfle etwa ab 1956 eingesetzt haben (vgl. TANNERT). Da fur den Bereich der Aller aus friiheren Arbeiten keinerlei verwertbare Angaben vorliegen, ist nicht zu entscheiden, ob dort Boophthora erythrocephala zugenommen oder sich gehalten hat. Entgegen den Angaben ENDERLE~NS und anderen Autoren konnte Boophthora auch in Bachen und kleinen sowie mittelgroflen Nebenflussen nachgewiesen werden (Abb. 1).

b. Odagmia ornata

Schon aus den friiheren Angaben geht hervor, dafl Odagmia ornata bzw. der gesamte Komplex im Untersuchungsgebiet relativ weit verbreitet sein mui3te. Wir finden diese fruhschwarmende Simuliidenart in Entwasserungsgraben und vom nahen Quellbereich einzelner Bache iiber den oberen und mittleren Abschnitt bis zum Unterlauf auch in der Aller. Dort, wo sich das Wasser ein- miindender Bache noch nicht mit dem der Leine vollig vermischt hatte, konn- ten abgedriflete Individuen innerhalb weniger Meter selbst in diesem Flui3 nachgewiesen werden. Die weiteren Analysen miissen zeigen, ob es sich um eine Art handelt, die sich in sehr verschiedenen Gewassertypen mit schwacher und starker Stroinung, mit starker und schwacher Verschmutzung zu ent- wickeln vermag oder um mehrere Arten, die jeweils die verschiedenen ,,Ni- schen" besetzen. Im quellnahen Bereich, im Anfangsabschnitt der Entwasse- rungsgraben, in der Leine im Bereich der Zufliisse (s. 0.) und der Aller ist die Individuenzahl verhaltnismaflig gering. Die groflten Populationen befinden sich in den Mittelabschnitten der Bache und in kleinen Nebenflussen, wenn eine starkere Beschattung durch Geholze und Waldungen beiderseits der Ufer fehlt. Auch in den Abschnitten, die vollig von Wald umgeben sind, fehlt diese Art, entgegen den Augerungen verschiedener Autoren, nicht. Im Ge- gensatz zu Boophthora erythrocephala wurde Odagmia ornata selbst dort, wo sie in sehr geringer Individuenzahl auftritt, wahrend des gesamten Jahres gefunden.

c. Wilhelmia equina und Wilhelmia salopiensis Beide Wilhelrnia-Arten konnten im Bereich zwischen Aller und Leine nur an wenigen Punkten und dort in geringer Individuenzahl gelegentlich nach- gewiesen werden (Abb. 1, J 5, Gb. 1, A 7 u. a.). Auflerhalb dieses Gebietes wurden sie in verschwindend geringer Anzahl in der Innerste gefunden, die zur Klarung der FKrmERIcHschen Funde in die Untersuchungen init ein- bezogen worden war. Das einzige groi3ere Vorkommen im Aller-Bereich be- findet sich im Unterlauf der Bohme, wshrend beide Arten i n der Aller selbst nicht beobachtet werden konnten. Nach den bisherigen Analysen dominiert m samtlichen Fundorten Wilhelrnia salopierisis gegeniiber Wilhelrnia equina. Nach den frGheren Befunden sind beide Arten aus der ie ine verschwunden und aus der Innerste nahezu vollig eliminiert.

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden

d . Simulium morsitans

Die spatschwarmende Simulium morsitans ist verhaltnismaflig weitverbrei- tet. Sie kommt selten und in geringer Individuenzahl in den oberen Abschnit- ten, haufiger dagegen in den mittleren Abschnitten der Bache und Fliisse vor. Sie konzentriert sich im wesentlichen auf den Unterlauf der Zufliisse. Das Hauptvorkommen liegt im Unterlauf der Alpe, der Bohme und innerhalb der Aller.

e. Eusinzulium latipes

Auch bei Eusimulitm latipes war eine verhaltnismaflig weite Verbreitung zu erwarten. Dieser Artenkomplex lebt in enger Nachbarschaft von Odagmia ornata. Eusimulium latipes wurde vorwiegend in den oberen und mittleren Abschnitten der kleinen Nebenfliisse fast stets in geringer Individuenzahl gefunden. In den mittelgroflen Fliissen wie Erse und Fuhse konnte diese Art nicht festgestellt werden. In der Aller wurden nur wenige Individuen ge- funden, so dai3 man dort ihr Vorkommen als zufallig bezeichnen kann. Es ist nicht ausgeschlossen, dai3 sie in die Aller durch die Drift verfrachtet wurde.

Innerhalb der oben erwahnten Abschnitte nahm die Individuenzahl in den starker beschatteten Bachabschnitten zu, wahrend dann Odagmia ornata zuriicktrat. Das Vorkominen beider Komplexe ist haufig mosaikartig (Jiirse, Auter). Eine fast die gesamte Vegetationsperiode nahezu reine Eusimulium latipes-Population (Tab. 2 ) konnte bisher nur in einem auf weiter Strecke von Geholzen umgebenen kleinen Bach, der Seebeeke, festgestellt werden (Abb. 1).

41 3

f . Eusimuliuna lundstromi und Eusimulium aureum

Beide Arten wurden nebeneinander und in Vergesellschaftung mit Odagmia ornata und Eusimulium latipes gefunden. Ihr Vorkommen in den Bachen und mittelgroflen Fliissen war fast stets sporadisch. Die Individuenzahl war stets gering. Eusimulium aureurn wurde in der Those, einein kleinen, eben- falls von reicher Geholzflora umgebenen, kleinen Bach, fast rein nachgewie- sen. Ober das Vorkommen in der Aller t r i a das fur Eusimulium Gesagte zu.

g. Eusimulium costaturn

Diese Art wurde bisher in Deutschland von FRIEDEKICHS in Danemark, Frankreich und in Siidainerika (Patagonien) festgestellt. EDWARDS und spater RUBTZOV (vgl. RUBTZOV 1964) weisen auf diese tiergeographische Besonder- heit des disjunktiven Vorkommens von Eusimulium costaturn hin. RUBTZOV hegt init Recht groi3e Zweifel, dai3 es sich um ein und dieselbe Art handelt. Sic ist, wie dies schon aus den bisherigen Funden hervorgcht, stenotop. In1 Untersuchungsgebiet koinint sie nur innerhalb von ZOO 111 des Qucllbereiches der Jiirse (J Q) vor und davon in zirka 5 kin Lufilinie entfernt in unmittel- barer Niihe einer weiteren kleinen Quelle, die in den Mittellauf der Jiirse einmiindet. Wahrend sie in der Jiirsenquelle fast stets allein vorltommt, ist sie in wesentlich geringerer Individuenzahl an dem andereii Fundort init ver- schiedenen Eusimulium-Arten vergesellschafiet. Trotz uinfangreicher Er- hebungen konnte sie dort nicht festgestellt werdcn, \vo die Moorentwkse- rungen, aus denen Biiche wie die Alpe hervorgehen, quellartig entspringen.

414 W. Ruhm

2. Unterschiede in der Besiedlung der Gewasser

Keiner der im Untersuchungsgebiet befindlichen Bache und Fliisse (Abb. 1) ist vollig frei von Simuliidenlarven und -puppen. Auch frisch angelegte Ent- wasserungsgraben, die infolge der Flurbereinigung und Melioration mooriger Boden angelegt worden waren, besai3en nach kurzer Zeit Simuliiden, solange sie hinreichend fliei3endes Wasser fiihrten. Die Individuenzahl ist allerdings dort verhaltnismailig gering. Einzelne Bache (z. B. Jurse, gr. Beeke, Auter) sind fast in ihrem gesainten Verlauf mit Simuliidenlarven besetzt. Kleine und mittelgroi3e Fliisse besitzen meist verschieden groi3e Abschnitte ohne Simuliiden (z. B. Fuhse), wobei dann auf einer jeweils relativ kurzen Strecke eine auffallend groi3e Larvenpopulation festzustellen ist. Einige Gewasser sind wahrend des Jahres nur kurzfristig mit Eiern oder einigen wenigen Lar- ven bzw. Puppen besetzt, ohne dai3 es in diesem Zeitraum einmal zur Ent- wicklung einer groi3eren Larvenpopulation gekommen ware. Gerade die Wietze und die Aue, zwei stark anthropogen beeinflui3te Fliefigewasser, sind kaum von Simuliiden besiedelt. Im Hinblick auf die fruheren Angaben war es eine besondere Oberraschung, dai3 auch die Leine innerhalb des Unter- suchungsgebietes nur ein geringfiigiges Vorkommen an Simuliiden zeigt und der als Kriebelmuckenbrutstatte bekannte Flui3abschnitt um NeustaddRu- benberge fast vollkommen simuliidenfrei ist. Demgegenuber erweist sich die Aller im gesamten Bereich mit zahlreichen Simuliidenlarven besetzt. In die- sem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dai3 das weitgehende Fehlen der Simuliiden in einigen Flieggewassern eine direkte oder indirekte Folge ver- schiedener anthropogener Einfliisse ist, zu denen u. a. die Einleitung von Ab- wassern gehort. Ein besonders klares Beispiel liefert die in ihrem Unterlauf rasch fliefiende Bomlitz, die vor der Einleitung der Abwasser eines Industrie- werkes mit Simuliiden besetzt ist, danach bis zur Einmiindung in die Bohme auf mehreren Kilometern stets simuliidenfrei ist. Sieht man von Einzelvor- lrommen ab, so kann man im Hinblick auf die Verteilung der Arten bzw. Artenkomplexe in den Bachen 2 bzw. 3 Abschnitte unterscheiden. Nur dort, wo eine Quelle entspringt, lebt Eusimulium costatum. In den oberen Bach- abschnitten (Rinnsalen) kommen in geringer Anzahl Odagmia ornata und Eusimulium-Arten vor. Das Schwergewicht der Verbreitung von Odagmia ornata und den Eusimulium-Arten liegt in den mittleren und unteren Ab- schnitten der Bache. In den unteren Abschnitten treten Simulium morsitans und Boophthora erythrocephala hinzu. Als typische Besiedler von Aller und Leine sind Boophthora erythrocephala und Simulium morsitans zu be- zeichnen. Der grof3te Artenreichtuni liegt im mittleren und unteren Bereich der Bache bis zur Einmiindung in die Fliisse. In den Flussen nimmt die Arten- zahl wieder ab. Diese Gliederung stutzt sich auf ein engumgrenztes Unter- suchungsgebiet, so daf3 es sich hier nur uin einen Hinweis handeln kann. Eine Gliederung der mittelgrogen Fliisse ist schon allein wegen verschiedener Sto- rungsfaktoren wie Wasserstau und Abwasser nicht moglich. Als artenreich innerhalb des Gewassersystems zeichnen sich die Auter, Jurse, gr. Beeke und die Alpe aus.

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Sirntiliiden 4 15

IV. Der Anteil der Arten an der Anzahl der geschliipften Imagines

Zur Erfassung des prozentualen Anteils der Arten an einein Probepunkt konnen grundsatzlich zwei Wege beschritten werden : a. Die Aufsammlung der Wasserstadien (Eier, Larven, Puppen). b. Die Aufzucht der Imagines aus den Altlarven und Puppen.

In beiden Fallen ist es aus folgenden Griinden nicht moglich, eine kon- stante Probengrofie auch innerhalb eines engen Bereiches einzuhalten:

a. Die Larven wechseln in Abhangigkeit ihres Entwicklungsstadiums und ihrer Umwelt (z. B. Stromung) den Aufenthaltsort. Demzufolge ver- andert sich auch ihre Dispersion und Dichte. Erst nach der Fixierung als Puppe ist eine Ortsveranderung unmoglich.

b. Die Probenentnahme ist daher mehr oder ininder stark subjektiv beein- flufit, da sie nur in deni Bereich erfolgt, wo die Wasserstadien zu erkennen sind, d. h. sich haufen. Bei einer stichprobenartigen Aufnahme konnte es namlich vorkommen, dai3 in der Gesamtprobe keine Larven enthalten sind, obwohl sie in grofier Anzahl im Bereich des Probenpunktes vor- handen sind.

c. Ein Vergleich beispielsweise der Blattmenge, an der die Stadien haften, ist ebenfalls nicht moglich, da die Larven verschiedene Pflanzenarten, ver- schiedene Strukturteile besiedeln konnen und nicht zuletzt diese sich im Laufe der Vegetationsperiode in ihrer Zusammensetzung und Proportio- nen (z. B. durch Zuwachs) verandern.

d. Beim Herausnehmen der Pflanzen konnen Larven sich loslosen und weg- gespult werden. Das HaRverrnogen ist zwischen einzelnen Arten und Stadien nach eigenen Beobachtungen durchaus verschieden.

Bei der Auswertung sowohl der Larvenproben als auch der Ermittlung des Schlupfteiles sind einige Fehlerquellen ZLI beachten: a. Zum Zeitpunkt der Probenaufnahme ist mit wenigen Ausnahmen stets

ein bei den Arten wechselnder und unterschiedlicher Anteil junger Lar- venstadien vorhanden. Diese jungen Entwicklungsstadien sind hiiufiger sehr schwer oder gar nicht einer Art zuzuordnen. Eigelege konnen nicht in allen Fallen identifiziert werden. Auflerdem sind sie bei einzelnen Arten infolge ihrer besonderen Dispersion und Lage nicht ihrem Anteil ent- sprechend zu erfassen.

b. Bei der Aufzucht im Labor kann der Anteil der Arten dadurch verschoben werden, dai3 einzelne von ihnen durch die veranderten Umweltbedingun- gen einer starkeren Mortalitat als aiidere Arten ausgesetzt sind. Ferner ist die Aussage auf die Schliipfperiode beschrankt.

Trotz der obigen Fehlerquellen, die den Wert der Aussage einschranken, gibt die Eriiiittlung des prozentualen Anteiles der Arten an den geschliipfien Imagines von Mirz (fruhester Schlupftermin) bis Oktober (letzter Schliipf- termin) bei gleicher Probenanzahl, die zu demselben Zeitpunkt entnonimen wurde, Auskunft iiber die Entwicltlungsschwerpunkte einzelner Arten. Sie zeigt auch, wo der Anteil einzelner blutsaugender Arten hoch und niedrig ist bzw. sein wird. Nach diesen Eriiiittlungen (Tab. 2) doniiniert in groflen Bereichen der Biiche vom Marz bis Oktober Odagmia ornata bzw. der Or- nata-Komplex. In den oberen, meist starker von Wald umgebenen Bachen treten die Eusirnuliurn-Arten besonders hervor (nu 6, Au 8, GB 5, GB 6, See, Th, Da). In1 Unterlauf der Alpe konzentriert sich das Vorkonimen von

416 W . Ruhm

Arten - 0,3 1,5

52,O 0.6

Mammalopbile

0,3 - -

1 >O

13,O - 50,6 0,1 61,O 0,3

10,4 -

- -

43,4 0,3

-

A Q A 11213

100,o 97.0

A 4 A 5 A 6 A 7 A 8 A 9 A 10 Au 112 Au 314 Au 5 Au 6 ALI 7 Au 8

9710 26,5 38,O 36,O 51,2 84,O 81,O 97,O 99,O 98,O 25,O 62,5 8,s

0; 1 0.6

014 0,3 - 0,9 14,O 17,3 82.4

2:7 Au 9 J Q J 112 J 3 J 4 J 5 J 6 GB 112 GB 3

9010 773

98,O 97,5 94,5 97,8 50,O 74,O 98,O 75,O 14.0

- 20,8

0,5

0.1 -

GB 4 GB 5 GI3 6 R 1

84;5 75,O 25;O

65.9 0,8 1.3

w u 1!2 wu 3

7113 51,3 58,O 3,o 0,3

K G Se TI1 Dn Es Gr E l E 2

333

30,O 94,8 92.5

t u r Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden 417

Simulium morsitans. In den mittelgrofien Zuflussen wachst der Anteil von Boophthora erythvocephala beachtlich an, in den Flussen doininiert diese Art. An verhaltnismafiig wenigen Punkten war der Anteil der einzelnen Ar- ten annahernd ausgeglichen. Haufig dominierte eine, seltener zwei Arten (Tab. 2).

V. Die mammalophilen Simuliiden

Von den zehn im Laufe dieser Untersuchungen nachgewiesenen Arten konn- ten folgende an den Weidetieren als Blutsauger festgestellt werden:

Odagmia ornata Boophthora erythrocephala Wilhelmia salopiensis Wilhelmia equina Simulium morsitans

Weitaus am haufigsten wurden, wie nach den vorausgehenden Ausfiih- rungen zu erwarten war, Odagmia ornata und Boophthora erythrocephala an den Rindern wahrend der Vegetationsperiode nachgewiesen. Der Anflug der Arten konzentrierte sich auf den engeren Bereich der Brutgewasser.

1. Die Simulien und die Weidetiere

Odagmia ornata flog bevorzugt die Bauchpartie der Weidetiere, d. h. in der Regel Rinder, zur Blutaufnahme an. Im Friihjahr konnte diese Art gelegent- lich in den Ohren der Rinder beobachtet werden. Boophthova erythrocephala bevorzugte eindeutig die Bauchpartie (vgl. WENK 1963), Triel, Partien hinter den Ellenbogen, die Kniefalten, Hoden, Euter und die Analgegend. Haufiger im Friihjahr, jedoch wesentlich seltener wahrend der Sommermonate beflog sie die Ohren ihrer Wirte. Demgegeniiber konzentrierten sich Wilhelmia equina und Wilhelmia salopiensis auf die Kopfgegend und suchten vorwie- gend die Ohren auf. Simulium morsitans scheint ebenfalls die Bauchpartie zu bevorzugen.

2. Die Simuliiden und der Mensch

Die vier erstgenannten Arten flogen vor allem wahrend der ersten Flugtage im Friihjahr, als ein groi3er Teil des Gebietes zwischen Aller und Leine noch frei von Weidetieren war, den Menschen an. In den Sommer- und Herbst- inonaten bildete der Anflug von Odagmia ovnata und Boophthora erythroce- phala eine Ausnahnie. Nur Wilhelmia equina und insbesondere Wilhelmia salopiensis flogen wahrend des Flugmaximums im Oktober, vermutlich wegen der geringen Anzahl Weidetiere, die als Wirte zur Verfiigung standen, den Menschen in groi3er Zahl an.

Odagmia ornata schwarinte beim Anflug auf den Menschen unruhig uin- her und flog nach einer kurzen Landung oder meist nur Beruhrung sofort wieder ab. Es wurden fast saintliche Korperstellen beflogen, jedoch bei ste- henden Personen die Korperpartien unterhalb der Gurtellinie bevorzugt. Sie

41 8 M. Ruhm

flogen auch eine Versuchsperson an, wenn diese sich in Hockstellung befand oder am Bodeii sai3. Mannchen konnten beim Anflug in keinem Falle be- obachtet werden. Boophthora evythvocephala suchte samtliche Korperstellen auf und landete. Bei fehlender Abwehr stach sie in zahlreichen Fallen nach lcurzem Aufenthalt zur Blutaufnahme zu (vgl. WENK 1965). Die Hock- oder Sitzstellung schwachte den Anflug nur geringfugig ab. Neben den Mucken- weibchen umflog eine geringe Anzahl Mannchen die jeweiligen Versuchs- personen. Zu einer Schwarmbildung der Mannchen kam es nicht. Wilhelmia equina und W. salopiensis bevorzugten auch beim Menschen die Kopfregion und versuchten in die Ohren einzudringen. Ober den Versuchspersonen sani- melten sich die in mehr oder minder groi3er Anzahl schwarmenden Mann- chen turmartig an. Sie folgten auf freiem Gelande stetig nach.

3. Die Eusimulium-Arten

Die Eusimulium-Arten konnten weder beim Anflug an Weidetiere noch am Menschen beobachtet werden. Ob es sich in samtlichen Fallen um ornitho- phile Arten handelt, wie es bei der Eusimulium latipes-Gruppe nach den Un- tersuchungen anderer Autoren sehr wahrscheinlich ist, miissen kiinflige Un- tersuchungen zeigen.

VJ. Boophtkora erythrocepbala, die sogenannte Leinerniicke

Nach den fruheren Angaben war zu vermuten, dai3 Boophthora erythroce- phala nicht nur als die ,,Leineinucke" zu gelten hat, sondern auch weitgehend fur die Schadfalle (Erkrankungen, Todesfalle) verantwortlich zu machen ist. Aus diesem Grunde wurde bzw. wird die Biologie und Okologie dieser Art besonders eingehend untersucht. Ober die Ergebnisse der noch laufenden Un- tersuchungen wird spater berichtet werden.

1. Die verschiedenen Herdtypen

Innerhalb des Untersuchungsgebietes konnten vorlaufig drei Herdtypen ab- gegrenzt werden (Abb. 2).

a. Dev permanente Herd (Abb. 3 )

Iin permanenten Herd bzw. Dauerherd konnte Boophthora erythrocephala wahrend des gesainten Jahres im Ei-, Larven- und Puppenstadicm je nach dem Entwicklungsrhythmus uiid den Uniweltbedinguiigen in den Gewassern nachgewiesen werden. Die Imagines schlupften von April bis Oktober in Intervallen oder fortlaufend, in Abhangigkeit der umweltgesteuerten Ent- wicklungsdauer. Die eiablagebereiten Weibchen kehrten zur Eiablage an das Brutgewasser zuruck. Der permanente Herd erhalt sich selbst und ist nicht auf einen Zuflug nus anderen Gebieten oder eine zufallige Ansaiiiinlung durch Drift angewiesen. Die Groi3e des Dauerherdes, die nur abgeschatzt werden kann, ist unterschiedlich. Eine Mindestgrofle scheint nicht unterschrit-

Zur Verbreitung und Bedeutung det blutsaugenden Sinzuliiden 4 19

Abb. 2. Verteilung der verschiedenen Herdtypen von Boophthora erythvocephala

ten zu werden. Zu den permanenten Herden (Abb. 2) gehorten mit unter- schiedlicher Individuendichte die Aller, der Unterlauf der Bohme und zwei kleine Herde in der Fuhse und Erse.

b. Der tetnporare Herd

Im temporaren Herd entwickelten sich ohne Unterbrechung inindestens zwei Generationen hiiitereinander oder zu verschiedener Zeit in ihrcr Entwick- lung getrennte Generationen. Das Vorkommen ist demnach auf eine mehr oder ininder kurze Zeitperiode beschrankt. Vor allem in den Wintermonaten fehlt die Art vollig oder ist nur in einer sehr geringen Anzahl nachzuweisen. Zur Erhaltung des temporaren Herdes ist der Zuflug oder die DriR von einem permanenten Herd aus notwendig. Eine scharfe Abgrenzung des teinporaren Herdes ist beim derzeitigen Stand der Untersuchungen noch nicht moglich. Es ist wahrscheinlich, dai3 sich aus einem temporaren Herd ein

420 W. Ruhm

permanenter zu entwickeln vermag. Zur Beurteilung dieses Sachverhaltes ist ein mehrjahriger Beobachtungszeitraum erforderlich. Es ist nicht ausgeschlos- sen, dai3 einige temporare Herde potentielle Dauerherde (L 4) anzeigen. Die

I -- - -ccEf

Abb. 3. Permanenter Herd von Boophthora erythrocephafa an der Aller

Schwankungen in der Populations- und Herdgroi3e konnen betrachtlich sein. Zu den temporaren Herden gehoren: der Esseler Graben, der Unterlauf der Leine, der Wietze und des Kuhlagersgrabens.

c. Dev ephemeve Herd

Im ephemeren Herd tritt Boophthora evythvocephala nur kurzfristig, hoch- stens eine Generation lang in geringer Individuenzahl auf. Der ephemere Herd bildet sich in unregelmSi3igem Wechsel an den verschiedensten Stellen des Gewassersystems (Abb. 2 ) . Er erhalt sich in keinem Falle selbst. Wah- rend der Wintermonate sind keine Larvenstadien nachzuweisen. Die epheme- ren Herde verteilen sich derzeit zu 20 O/o auf die Friihjahrs- und zu 60 O / o auf die Sommer- und Herbstmonate.

2. Erkrankungen und Todesfalle im Landkreis Celle im Jahre 1966

Wenn die obige Annahme richtig war, dai3 Boophthova erythvocephala der Hauptschadling ist, dann inuCten sich die Schadfalle vor allein auf die per- inanenten Herde im Bereich der Aller konzentrieren, sieht man von der evtl. Fahigkeit, eine grogere Distanz durch den Flug zu uberbrucken, ab. Ferner durften Schadfdle nicht vor dem ersten Flug der Boophthora erythvocephala auftreten.

Bereits um den 15. 4. 1966 wurden die ersten Tiere auf die Weiden gc- trieben. Gegen den 20. 4. nahm der Austrieb innerhalb des Untersuchungs- gebietes in saintlichen Bereichen zu. Wahrend dieses ersten Austriebes flogen bereits in starkerein Ausinai3e Odagmia ovnata und loltal begrenzt Wilhe lmia salopiensis. Die Muckenweibchen dieser beiden Arten hatten die Moglichkcit,

Zur Verbreitung und Bedeutung der Glutsaugenden Sirnutiiden 421

sich auf eine relativ geringe Anzahl Weidetiere ZLI konzentrieren. In keinem Falle kam es aber zu Erkrankungen oder Todesfallen. Nach dem 22. 4. setzte dann der Boophthora-Anflug ein. Dieser Anflug fie1 mit einer Schon- wetterperiode zusammen, die die Landwirte zu einem verstarkten Austrieb veranlai3te. Da die Aller zu diesem Zeitpunkt Hochwasser fuhrte, wurde auf die Weiden um die GehoRe und weiter von der Aller entfernte Weiden aus- getrieben. Kurz darauf (Abb. 4) kam es am 24. 4. 66 zu den ersten Todes- fallen und Erkrankungen. Die groi3e Unruhe auf den Weiden, die Erkran- kungen und Todesfalle, fuhrten dam, dai3 die Landwirte die Tiere zuruck- trieben oder den Austrieb verschoben. Es geniigte nicht, die Tiere an die Ge- hoRe heranzufuhren, da die Miicken sie bis in unmittelbare Nahe der Stal- lungen in groi3er Anzahl verfolgten. Ein erneuter, verstarkter Austrieb in den ersten Maitagen fuhrte zu weiteren Erkrankungen und Todesfallen. Etwa 14 Tage nach dem ersten Schwarmen von Boophthora erythrocephala

I

kam es, mit einer Aus- nahme (s. u.), trotz an- haltenden starken An- fluges und groi3er Stech- aktivitat nicht mehr zu Schaden.

Von Anbeginn des Schwarmens wurden Weidetiere fortlaufend auf Simuliidenanflug kontrolliert. Die Auf- merksamkeit richtete sich besonders auf die Weiden, auf denen es zu Schaden gekommen war. In keinem Falle lconnte eine andere Art in groi3erer Indivi- duenzahl beim Anflug und Landen nachgewie- sen werden als Booph- thora erythrocephala. Aui3erdem besai3en die erkrankten Tiere, ab- eesehen von anderen

20 1

244 254 27L 29L 304 2 5 35 45 5 5 6 5 75 85 95 175 185

Abb. 4. Todesfalle und Erkrankungen der Weidetiere (in Prozenren) durch die Stiche von Boophthora erythrocephafa im Landkreis Celle wahrend der ersten Flugperiode im

Fruhjahr 1966

krankheitssymptomen wie z. B. Schwellung des Triels, Stichstellen in den Ohren und in groi3er Anzahl an den Bauchpartien. Aus den Stichstellen trat jeweils ein kleiner Blutstropfen heraus, der dann verkrustete. Bei starkem Befall entstanden an den Bauchpartien zusammenhangende, blutverkrustete Hautpartien unterschiedlicher Grofle. Besonders charakteristisch waren die dicht nebeneinander befindlichen Petechien, die noch nach 2 bis 3 Tagen deutlich zu erkennen waren.

Samtliche Schadineldungen (Abb. 4) beschrankten sich auf die nahere Um- gebung der Aller und damit die permanenten Herde. Die Ausnahme betriffl die Meldungen vom 17. 5 . 66 aus Endeholz, wo zwei Tiere verendeten, und aus Wathlingen, wo ein Tier starb. Das Gebiet von Endeholz liegt ca. 25 km Luftlinie von der Aller entfernt. Ein Boophthoua-Herd konnte dort nicht

422 M. Ruhm

nachgewiesen werden. Auffallend war der spate Zeitpunkt beider Schad- meldungen, die in einem doch betrachtlichen Abstand zu den letzten Schaden an der Aller lagen. Demgegeniiber liegt Wathlingen im Bereich eines perma- nenten Boophthova-Herdes. Beim Anflug an die Weidetiere konnte um Ende- holz Boophthora erythrocephala nicht nachgewiesen werden. Aui3erdem fehl- ten die typischen aui3eren Merkmale, die durch die Kriebelmiickenstiche ver-

Abb. 5. Verteilung der durch Boophthoru erythvocephalu im Landkreis Celle 1966 ver- ursaditen Todesfdle und Erkrankungen (Orte mir starkeren Schad fallen sind untersrrichen)

ursacht werden (s. 0.). Die Hautveranderungen bestanden bei einer grofleren Anzahl Tiere in einem Praputialodein, deren Genese nicht geklart werden konnte. Die Meldungen aus Wathlingen konnten nicht iiberpriift werden.

Die durch Boophthora erythrocephala verursachten Todesfalle diirften weitgehend erfai3t worden sein. Demgegeniiber durRen die durch die Krie- beliniicken hervorgerufenen Erkrankungen wesentlich hoher liegen, als sie dem Kreistierarzt geineldet wurden. Nach eigenen Feststellungen sah ein Teil der Landwirte, iiachdem sich erkranlite Tiere wieder erholt hatten, von einer Meldung ab. Haufig war es nur dem Zufall zu verdanken, dafl die Landwirte den starken Kriebelmiickenbefall, insbesondere bei den Jung-

Zur Verbreitung und Bedeutung der blutsaugenden Simuliiden 423

rindern und Kalbern, gerade noch rechtzeitig beobachten und durch sofortige Aufstallung einen noch starkeren Befall verhindern konnten. Nach zirka 1-2 Tagen erholten sich die erkrankten Tiere. Ein erneuter Austrieb dieser Tiere auf die Weide fiihrte trotz Boophthora-Anfluges, der an den Bauch- partien auch weiterhin blutverkrustete Wunden verursachte, zu keinen sicht- baren Erkrankungen oder gar Todesfallen.

Die Schadmeldungen des Jahres 1966 beschrankten sich im wesentlichen nur auf den Landkreis Celle. KiinRigen Ermittlungen mui3 die Klarung der Frage vorbehalten bleiben, ob nicht auch in den angrenzenden Landkreisen im Bereich der Aller Schaden durch Boophthora erythrocephala aufgetreten sind oder auftreten.

Zusammenfassung

Im Aller-Leine-Gebiet kommen zehn verschiedene Simuliidenarten bzw. Ar- tenkomplexe vor. Fiinf Arten, namlich Boophthora erythrocephala, Odagmia ornata, Wilhelmia salopiensis, Wilhelmia equina und Simulium morsitans greifen die Weidetiere an. Boophthora erythrocephala sticht wahrend der ersten Flugwochen auch den Menschen. Die Schwerpunkte des Vorkommens liegen bei den einzelnen Arten verschieden. Einige Arten wie Odagmia ornata leben vorwiegend in den Bachen, andere wie Boophthora erythroce- phala und die Wilhelmia-Arten in den mittelgroi3en bis groi3en Fliissen. Nur Boophthora erythrocephala verursacht durch Stiche Erkrankungen und To- desfalle bei den Weidetieren. Boophthora erythrocephala kommt in der Leine nur noch relativ selten vor, wahrend sie in der Aller sehr haufig ist. Innerhalb des Untersuchungsgebietes lassen sich zur Zeit der permanente, der temporare und ephemere Herd unterscheiden. Die Schaden traten 1966 nur im engeren Bereich der permanenten Herde wahrend der ersten 14 Flugtage im April/Mai auf.

Die Untersuchungen wurden durch eine Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemein- schaft (Bad Godesberg) unterstiitzt. Die Angaben iiber das Schadauftreten von Kriebel- iniicken im Jahre 1966 erhielt ich von Herrn Regierungsveterinarrat Dr. U. FRITZE (Celle). Wertvolle Auskiinfte erteilten mir die Wasser- und Schiffahrtsdirektion in Hannover und das Wasser- und Schifiahrtsarnt in Celle. Hierfiir sage ich meinen herzlichen Dank. Ebenso danke ich den Mitarbeitern des Institutes, Frl. v. SAMSON, Herrn HUNERBEIN und Herrn WOLFHAGEN.

Summary

Ten different species or species-komplexes of black flies (Simuliidae) occur in the basins of the rivers “Aller” and “Leine” (North Germany). Five species, i. e. Boophthora erythrocephala, Odagmia ornata, Wilhelmia salopiensis, Wilhelmia equina and Simulium morsitans, would attack grazing farm ani- mals. Boophthora erythrocephala bites human beeings also during the first weeks of its flying period. The geographical distribution of the above men- tioned species is different. Some species like Odagmia ornata live predomi- nately in brooks, others like Boophthora erythrocephala and Wilhelmia- species in creeks and rivers. Only the bites of Boophthora erythrocephala can cause disease or may he fatal. At present permanent, temporary and

424 W . Ruhm

transient foci are recognizable in the area at this survey. In 1966 losses due to bites a t Boophthora erythrocephala were observed only in the vicinity of the permanent foci during the first 14 Dayd at the flying period in April and May.

Literatur

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