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Zwischenspiel auf Ath

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Terra Astra 409

E. C. Tubb

Zwischenspiel auf Ath

Ein Roman mit Earl Dumarest, dem Weltraumvagabunden

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Der Waldschrat

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Die Hauptpersonen des Romans:

Earl Dumarest - Der kosmische Vagabund entdeckt eine neue Spur

Sardia del Naeem - Eine Kunsthändlerin Ursula - Sie liebt Earl Dumarest

Tuvey - Ein korrupter Kapitän Eian alias Balain - Lademeister der SIVAS

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1. Cornelius war nicht zufrieden mit seinem Werk. Die Grimasse eines Menschen, der alle Tiefen der Hölle durchmachte, ein vor unbändigem Schmerz verzerrtes Gesicht. Nein, kein Gesicht mehr - in seiner Übertriebenheit wirkte es schon wie die Maske eines Clowns. Cornelius fuhr mit dem Pinsel über die Leinwand und übermalte das total deformierte Kinn. Die Augen, der Mund - Cornelius schüttelte stumm den Kopf. Nur der Körper konnte ihn zufriedenstellen: dünn, mit hervorstehenden Rippen und kaum Muskeln. Ein Bild menschlichen Elends. Die Finger und Zehen glichen Klauen. Ein Mann, der sich mit dem Tode abgefunden hatte und sich doch ein letztesmal aufbäumte - ein einfaches Thema, aber wieso bekam Cornelius es nicht in den Griff? Cornelius trat zurück, setzte sich und betrachtete das Bild. Der Hintergrund war in Ordnung - ein düsterer Nebel, der die Einsamkeit des Sterbenden unterstrich. Der Vordergrund - Sand und kleine Steine. Die Arme des Mannes waren an die hölzernen Querbalken eines Kreuzes gefesselt. Alles war in kleinsten Details festgehalten. Ein Universum der Angst, der Einsamkeit, des Schreckens. Cornelius glaubte bald, selbst der ans Kreuz gefesselte zu sein und dessen Qualen am eigenen Leib zu erleben. Weshalb gelang es ihm dann nicht, diese vollkommen darzustellen? Würde ein anderer Betrachter die Botschaft verstehen, die er vermitteln wollte? „Cornelius!" Die Stimme kam von hinten. Ursula, natürlich. Wer sonst konnte die feingeschliffenen Glasperlen, die an Fäden in der Eingangstür zum Atelier aufgehängt waren, beim Eintreten so auseinanderschieben, daß fast eine Musik erklang. Ein Glockenspiel um ihren Körper.

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Sie war groß, schlank und voller Anmut, als sie über den Mosaikfußboden zu ihm trat und neben dem Stuhl stehenblieb. Alles an ihr war blau - das lange Kleid, das sich eng um ihren Körper schmiegte, die Augen, die Lippen. Selbst das Haar schimmerte bläulich. „Cornelius", sagte sie nochmals, diesmal leiser, und legte eine Hand auf seine Schulter. „Das Bild ist großartig!" „Nein." „Du bist zu selbstkritisch. Dieser Mann - ich fühle sein Leid." „Und?" Cornelius lachte humorlos. „Ist das alles? Ein Mann, der leidet - ist das alles, was du siehst?" Ihr Zögern war Antwort genug. Cornelius stand auf und legte Pinsel und Palette beiseite. Dann reinigte er die Hände. Später würde er versuchen, doch noch das in das Gemälde hineinzubringen, was er tief in seinem Innern fühlte. „Du warst schwimmen?" fragte er Ursula. „Eine Übung", sagte sie. „Man muß frisch bleiben." „Und Achiab? War er auch eine Übung?" „Wenn man Hunger hat, muß man essen, Cornelius." Die Frau drehte sich um und betrachtete eine unfertige Statuette. „Du wolltest arbeiten, und ich hatte Langeweile. Achiab war ein Mittel, um mir die Zeit zu vertreiben. Aber er enttäuschte mich. Es war nicht wie früher." „Vielleicht hatte auch er Langeweile", sagte Cornelius sarkastisch. „Vielleicht warst du für ihn ...'! Er sah, wie sie herumfuhr, sah ihren Blick, ihre Verständnislosigkeit und den Zorn. „Es tut mir leid, Ursula. Es... es war nicht so gemeint." „Du hast mich nach Achiab gefragt - warum?" „Einfach so, nichts weiter." „Was ich tue, wohin ich gehe, mit wem ich mich treffe - was bedeutet das für dich?" „Vergiß es Ursula. Ich war unzufrieden mit mir und etwas zerstreut. Die Frage hatte nichts zu bedeuten." Cornelius

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zuckte die Schultern, brachte ein Lächeln zustande und wollte etwas hinzufügen, aber Ursula winkte ab. „Du bist in mich verliebt. Ist es das?" Cornelius aber schwieg. Er betrachtete wieder das Bild. Hatte sie recht? Liebte er sie, ohne es sich selbst eingestehen zu wollen? Hatte er Angst davor? Der Mann am Holzbalken - er war gefangen und hilflos. Gefangen in einem Vakuum, einem Universum des Grauens. Wehrte Cornelius sich dagegen, ebenso gefangen zu sein - in einem goldenen Käfig? Sträubte er sich gegen die Liebe, weil er bereits die Fesseln spürte? „Cornelius." Ursula trat an seine Seite. Ihr Parfüm drang in seine Nase. Es paßte vollkommen zu ihrer Erscheinung, ihrem Gesicht, ihrer makellosen Figur, der Sinnlichkeit, die sie ausstrahlte. „Warum zerbrichst du dir den Kopf und machst es dir so schwer? Wenn du mich liebst, warum sagst du es nicht einfach?" Cornelius hatte ihre Liebe genossen. Er würde es wieder können - jederzeit. Aber was brachte es ihm? Hatte er wirklich jemals echte Befriedigung gefunden? „Sage jetzt nichts." Ursulas Finger legten sich über seine Lippen. „Vielleicht haben wir schon zu lange zusammen - und doch aneinander vorbeigelebt. Ich bin eben ...", sie zuckte die Schultern. „Ich habe Langeweile." „Du muß Geduld haben. Eines Tages wirst du finden, wonach du suchst. Und vielleicht..." „Geduld!" Ursula stieß die Luft aus. Die Glasperlen im Eingang fingen jede Luftbewegung, jeden Schritt auf und begleiteten Ursulas Worte mit einer leisen Melodie. „Ist das alles, was du vorzuschlagen hast? Wo ist dein Tekoa?" Schweigend deutete Cornelius auf das verzierte Kästchen auf einem kleinen Tisch. Ursula nahm eine gelblich schimmernde Kugel heraus und begann sie zu zerkauen. „Deine erste heute?" fragte der Maler.

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„Ist das wichtig?" Sie nahm eine weitere Kapsel und zerbiß sie. Der Geschmack war angenehm, und die Wirkung... „Schläfst du mit mir?" „Nein!" sagte Cornelius. „Dann bist du ein Dummkopf." Immer noch kauend, ging sie zu einem der großen Fenster und sah hinaus. Ihre Finger griffen zum dritten Mal in das Kästchen. „Ein Dummkopf", murmelte sie. Doch sie nahm ihre eigenen Worte schon nicht mehr wahr. Alles war vergessen - ihr Wunsch, mit Cornelius zu schlafen, die Langeweile, das Atelier. Die ganze Welt versank in einem Meer aus Farben und Formen. Ursula spürte nicht mehr, wie Cornelius sie zum Stuhl führte, und sie hörte nicht, wie er das Atelier verließ, um sie ihren Träumen zu überlassen. Und der Dunkelheit.

* „Mister! Um der Liebe Gottes willen, gebt mir etwas. Ich verhungere! Helft mir, ich ..." Dumarest zwang sich, die flehenden Worte, die ausgestreckten Hände überall am Rand der Straße zu ignorieren. Kinder, Alte, Verhungernde - verzweifelte Gesichter, eingefallene Augen, Menschen in Lumpen. Dumarest hatte sich an den Anblick gewöhnt, und er wußte, daß hinter jedem dieser Verzweifelten ein anderer mit einem Messer in der Hand lauern konnte, irgendwie im Schatten versteckt. „Mister, bitte! Nahrung für mein Kind! Mein Körper für Nahrung!" Die Stimme der jungen Frau wurde zu einem häßlichen Krächzen, als der Mann von Terra weiterging, ohne sie zu beachten. Weitere Bettler. Eine ältere Frau, die sich ihm in den Weg stellte. „Du bist einsam, Fremder? Verloren?" „Verirrt."

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„Du suchst etwas? Vielleicht ein Mädchen? Ein Spiel?" „Den Raumhafen." „Den wirst du im Labyrinth kaum finden." Die Alte kicherte. „Du willst Spaß haben, oder? Ich kann ihn dir besorgen, alle Arten von Spaß." Sie stockte, als Dumarest ihr eine Münze in die Hand drückte. „Wofür ist das?" „Der Weg zum Hafen." Einen Augenblick schien es so, als versuchte die Alte, in seinen Augen zu lesen. Dumarest gab ihr eine zweite Münze. „Zunächst geradeaus, dann die dritte Straße rechts, dann links bis zum Hochspannungsmast und wieder links bis zum Brunnen." Die Alte versteckte die Geldstücke in ihren Lumpen. „Paß auf dich auf. Man lebt nicht lange im Labyrinth." Die Warnung war unnötig. Dies war Juba - ein Planet einer roten Riesensonne am Rande der Rinne. Eine von skrupellosen Geschäftemachern wegen ihrer reichlichen Erzvorkommen ausgebeutete und ruinierte Welt. Der richtige Nährboden für alle möglichen kriminellen Elemente. Die Reichen lebten zurückgezogen und streng bewacht auf den Hügeln um die Städte herum in ihren Villen. Händler bevorzugten ebenfalls gut bewachte Hotels. Die Armen kämpften einen ewigen Überlebenskampf - jeder gegen jeden. Dies war das „Labyrinth" - ihre Heimat, die Heimat- der Hoffnungslosen, Verzweifelten, all jener, die alles verloren und nur wenig zu gewinnen hatten. Doch dazu war ihnen jedes Mittel recht. Hier herrschte das Gesetz des Dschungels. Die Starken überlebten. „Nein!" Dumarest fuhr herum, als er den gellenden Schrei hörte. Er hatte den Weg genommen, den ihm die Alte gewiesen hatte. Er befand sich kurz vor dem Brunnen. Er versuchte, etwas zu hören, etwas zu erkennen. Es war dunkel. Nur einige Laternen spendeten fahles Licht. Der Springbrunnen war .eine Schale, aus

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der das Wasser sprudelte, und die auf drei Figuren ruhte. Dumarest hörte wieder den Schrei: „Nein! Bitte nicht!" Eine hohe Stimme voller Schrecken und Verzweiflung - Todesangst. „Feld!" Eine tiefe Stimme. Dann das Geräusch laufender Füße. Ein Mann, der aus dem Dunkel hinter dem Brunnen auftauchte und auf Dumarest zukam. Ein von Narben verunstaltetes Gesicht. Der Mann trug einen Bart, und die Haare fielen ihm derart ins Gesicht, daß die Augen kaum zu sehen waren. In der Hand hatte der Fremde ein Netz, in seinem Gürtel eine schwere Keule. Jemand, der um den Brunnen lief, um einem anderen den Weg abzuschneiden - der Frau, die jetzt wieder in Panik um Hilfe schrie. Sie wurde verfolgt, vielleicht von einem, vielleicht von mehreren. Jäger und eine leichte Beute. „Feld!" Der Bärtige blieb stehen, als Dumarest seinen Namen rief, riß das Netz hoch, als der kosmische Vagabund mit dem Messer in der Hand auf ihn zustürmte. Der Mann war tot, bevor er seine Komplizen alarmieren konnte. „Feld!" wieder die dunkle Stimme, diesmal ungeduldiger. „Mach schnell, du Bastard! Fang sie ein!" Dumarest fuhr herum wie eine Katze. Er hatte das Messer aus dem Leib des Toten gezogen und sah plötzlich die Frau vor sich. Sie schrie und schlug die Hände vor die Augen. Hinter ihr tauchten zwei Gestalten auf. „Feld?" Die tiefe Stimme. „Worauf, zum Teufel, wartest du?" Der Rufer war ein Hüne. Er schälte sich aus dem Schatten und war schon nahe bei der Frau. Er war nicht allein. Ihm folgte eine Kreatur, die nur annähernd einem Menschen glich, aber ebenso groß war wie der Hüne. Ein Mutant, das Produkt unkontrollierbarer Energien, die Gene verändern und lebende Alpträume schaffen konnten. Strahlungen, denen jeder

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ausgesetzt war, der sich in unbekannte Regionen des Alls begab. Dumarest sah Klauen anstelle von Händen, als das Monstrum in den Lichtkegel einer der Laternen geriet. „Hinter mir", zischte Dumarest der Frau zu. „Der Mann ist tot. Er hat ein Netz und eine Keule. Holen Sie beides und wehren Sie sich damit gegen den Mutanten. Los!" Der Hüne hatte die Hand am Gürtel, als Dumarest sich ihm vorsichtig näherte. Das Mädchen schien aus der Erstarrung zu erwachen. Die Hauptsache war, daß sie den Mutanten jetzt ablenkte. Er würde ihr folgen, während er es mit dem Riesen aufnahm. „Feld? Bist du das? Was, zum Teufel, soll das?" Dumarest fiel nicht darauf herein. Der Mann hätte schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, daß er nicht seinen Komplizen vor sich hatte. Er wollte Dumarest verwirren und blitzschnell vorstoßen. Aber der kosmische Vagabund durchschaute die Finte. Sein Messer durchtrennte die Sehnen der Hand, die blitzschnell den Laser aus dem Gürtel gerissen hatte, und die Waffe des Gegners fiel zu Boden. Bevor der Hüne sich danach bücken konnte, war er tot. Die Frau schrie in Panik. Der Mutant! Vor Dumarests Augen tanzten schwarze Punkte. Der Blick in eine Laterne hatte ihn geblendet. Wo war das Monstrum? Dumarest warf sich instinktiv zur Seite, sah die Frau, die verwaschene Gestalt an ihrer Seite, die im fahlen Licht schimmernden Klauen an ihrer Keule. Dann den Laser, den der Hüne verloren hatte. Er sprang auf, das Messer in einer Hand, den Laser in der anderen. Beides - der glutrote Strahl der Pistole und das geschleuderte Messer - trafen den Mutanten fast gleichzeitig. Das Ungeheuer fiel neben der Frau leblos zu Boden. Sie brauchte einige Zeit, bis sie begriff, daß sie gerettet war. „Sie haben es getötet", brachte sie keuchend hervor. „Einfach irgend etwas geworfen, und es ... es fiel."

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„Ein Messer." Dumarest nahm es wieder an sich und steckte es in seinen Stiefel zurück. „Sind Sie verletzt?" Sie sah ihn nur fassungslos an. „Ich habe noch nie einen Menschen sich so schnell bewegen gesehen." „Sie hatten das Netz und die Keule", entgegnete der Mann von Terra. „Warum haben Sie diese Dinge nicht benutzt?" „Vielleicht bin ich feige - ich konnte es nicht." Sie begann zu schluchzen. „Warum? Was wollten sie von mir?" „Sie und das, was Sie bei sich tragen. Sie wollten ihren Spaß haben. Vielleicht suchten sie Nahrung. Das gehörte Ihnen?" Dumarest hielt ihr den Laser vor die Augen. „Ich zog die Waffe, als sie sich auf mich stürzten, aber einer von ihnen schlug sie mir aus der Hand. Ich rannte weg, aber sie ..." Die Frau zitterte. „Würden Sie mich nach Hause bringen? Sie haben mir das Leben gerettet. Würden Sie ...?"

2. Sie hieß Sardia del Naeem und bewohnte ein kleines, aber luxuriös ausgestattetes Appartement am Hang eines mit Blumen und herrlichen Zierbäumen bewachsenen Hügels. Ein sicherer und gut beschützter Ort - aber nicht ihr Zuhause. Sie stammte von Tonge und war nur wegen ihrer Geschäfte auf Juba. Dumarest erfuhr dies und anderes, als sie ihm einen Cocktail bereitete. „Earl", sagte Sardia, als sie ihm das Glas reichte. „Als du eben sagtest, daß diese Männer auf der Jagd waren - hast du wirklich gemeint, daß sie ... daß sie auf Menschenjagd waren? Daß sie

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mich töten wollten, um ...?" Sie war wie selbstverständlich zum vertraulichen Du übergegangen. „Kannibalen." Dumarest nickte. „Ihnen ist es egal, ob sie Tiere oder Menschen fressen." Er zuckte die Schultern, als sie ihn ungläubig ansah. „Es gibt so viele Welten wie Juba und fast überall Plätze wie das Labyrinth. Fremde verirren sich und kommen darin um. Wer klug ist, macht einen weiten Bogen um diese Viertel." „Und warum kamst du dorthin?" „Ich suchte den Raumhafen." „Und hast mir das Leben gerettet." Sie standen sich nun gegenüber. Nichts erinnerte mehr an die schreiende Frau, der der Angstschweiß auf der Stirn gestanden hatte. Das Haar fiel ihr nun, nachdem sie ein Duschbad genommen hatte, in Locken über die Schultern, von goldenen Spangen gehalten. Sardia war schön, zwar nicht mehr die Allerjüngste, aber all ihre Bewegungen waren von faszinierender Anmut. Eine reife Frau. Dumarest stand vor ihr und versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Sardia lächelte, doch Dumarests Miene blieb kalt. Er war ein Mann, der gelernt hatte, allein zu leben und allein zu kämpfen. Mit der Zeit war er hart geworden. „Laß uns noch etwas trinken", schlug sie vor. Sie reichte ihm ein weiteres Glas und trank mit ihm. Dumarest hatte das Gefühl, daß sie ihn zu analysieren versuchte - den Mann, der noch vor Stunden kaltblütig getötet hatte. „Du wolltest zum Hafen", sagte sie schließlich. „Du hattest ein Schiff?" „Ich wollte eines finden." „Eine Passage." Sie nickte. „Aber was wolltest du im Labyrinth?" „Verirrt", sagte er und dachte dabei: Niemand sollte meine Spur finden, niemand, der mich vielleicht verfolgte oder noch verfolgt. „Und du?" „Ich suchte einen ganz bestimmten Mann. Ich gebe zu, daß ich dumm war. Aber ich muß ihn finden. Außerdem war ich bewaffnet und dachte, daß ..."

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„Was?" Sie zuckte die Schultern. „Du kennst die Geschichte. Ich verirrte mich in den Gassen. Ich fragte einen Kerl nach dem Weg - den, den sie Feld nannten." Sardia wischte sich mit der Hand über das Gesicht. „Er machte einige obszöne Bemerkungen und faßte mich an. Als ich zurücksprang und den Laser zog, schlug mir jemand die Waffe aus der Hand. Der Hüne. Ich rannte weg..." „Warum hast du nicht gleich geschossen?" fragte Dumarest. „Ohne Warnung? Einfach töten?" „Gaben sie dir eine Warnung?" Sardia trank ihr Glas aus und schien zu hoffen, daß der Alkohol ihr die quälenden Gedanken abnehmen würde., „Es ist vorbei", flüsterte sie. „Vorbei. Vergessen wir es." Sardia versuchte, sich selbst etwas einzureden. Vorbei! Männer waren gestorben. Sie war auf der Flucht vor der Realität. Amil war in ihren Armen gestorben, nachdem er seine größte Vorstellung gegeben hatte. Ein letzter Kuß. Und Verecunda - niemals würde Sardia vergessen können, wie das Publikum aufgeschrieen hatte, nachdem Verecunda vom Seil gestürzt war. Nein, sie war kein Kind mehr, das versuchte, mit Hilfe von Drogen die Erinnerung zu verdrängen. „Du brauchst Ruhe", sagte Dumarest. „Gibt es etwas, das ich noch für dich tun kann, bevor ich gehe?" „Du willst gehen?" fragte sie. „Du bist zu Hause und sicher. Vergiß, was geschehen ist." „Dann ist alles so einfach?" „Nein", gab er zu. Als sie nicht antwortete, sagte er mit leiser Stimme. „Brauchst du einen Arzt? Der Schock..." „Der Schock geht vorüber." Plötzlich begann Sardia zu tanzen. Sie schwebte förmlich über den Boden. Von irgendwoher erklang seltsame Musik. Sardias Körper und diese Musik waren eine Einheit. „Poisanards Suite", sagte sie verträumt. „Kennst du sie?" „Nein."

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„Das letzte Werk dieses großen Musikers. Bleibe noch etwas und genieße die Musik." Dumarest zuckte die Schultern und trat ans Fenster. Von hier aus konnte er den entfernten Raumhafen sehen. Ein Schiff startete. Dumarest hätte jetzt an Bord sein können. Er wäre an Bord, hätte er nicht diese Frau getroffen und gerettet. Zufall? Es mußte so sein. Niemand hatte wissen können, welchen Weg er nehmen würde, wann er wo sein würde. Aber was hatte sie ins nächtliche Labyrinth getrieben? Sardia war intelligent. Dumarest betrachtete sie, als sie wie verzaubert in die Ferne blickte. Sie war zu intelligent, um ohne zwingenden Grund ihr Leben aufs Spiel zu setzen. „Wer bist du?" fragte er, ohne sich umzudrehen. „Eine Tänzerin. Auf Tonge war ich Primaballerina im Mantage-Ballett. Kennst du es? Harte Arbeit, Earl. Man hört nicht auf, an sich zu arbeiten. Und dann ...", sie senkte die Stimme, „ ... dann wirst du alt und nutzlos. So einfach ist das." „Und deshalb kamst du nach Juba? Um hier zu tanzen?" „Um Geschäfte zu machen. Wenn du alt wirst, bist du als Tänzerin erledigt. Nun handle ich mit Kunstwerken. Mit ein wenig Glück kann ich meinen Weg machen." „Wie?" „Bestimmt nicht, indem ich auf die Suche nach raren und kostbaren Kunstgegenständen gehe. Verdienen kannst du nur, indem du dir einen jungen und .noch unbekannten Künstler suchst, all seine Bilder zu einem Spottpreis erwirbst* sie eine Weile zurückbehältst und den Mann oder die Frau während dieser Zeit systematisch aufbaust. Einige bestochene Kritiker schreiben gut über ihn, und wenn seine Werke gefragt und entsprechend im Preis gestiegen sind, stößt du sie ab." „Feine Methoden", knurrte Dumarest. „Ich nenne es Raub." „Wieso denn? Gut, ich mache meinen Gewinn, aber der Künstler profitiert doch ebenso davon. Wenn er erst einmal bekannt ist, kann er seine Werke selbst zu guten Preisen

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verkaufen." Sardia schüttelte den Kopf. „Deshalb war ich im Labyrinth. Um einen Mann zu finden, der einen anderen Mann kennt, welcher... Ach, wieso rede ich weiter. Es ist hoffnungslos." „Du mußt aber doch Hinweise haben. Etwas, das dich hierhergeführt hat. Vielleicht Arbeiten dieses Künstlers oder der Künstlerin? Ein Mann oder eine Frau?" „Ich weiß es nicht, Earl. Wahrscheinlich aber doch ein Mann." Sardia stellte die Musik leiser und kam mit zwei frischen Cocktails zurück. „Ich folge einem Regenbogen und hoffe darauf, am Ende den Goldkessel zu finden. Einige Gemälde wurden auf Tonge einer Galerie zum Kauf angeboten. Ich war gerade dort und erkannte sofort das ungeheure Talent dieses Unbekannten. Ich wollte also mehr über ihn wissen, aber alles, was ich erfahren konnte, war, daß die Werke von Juba stammten. Der Verkäufer lebt hier in der Nähe des Hafens. Ich besuchte ihn, aber er gab vor, nichts von den Gemälden zu wissen. Es kostete mich einiges, die Adresse eines Mannes zu erfahren, der gelegentlich für den Händler arbeitet. Er lebt im Labyrinth. Ich versuchte, ihn zu finden - den Rest kennst du." „Wie lange bist du schon auf Juba?" „Ein paar Wochen. Diese Wohnung ist gemietet. Warum?" „So lange brauchtest du, um diese Adresse ausfindig zu machen?" „Es war schwer genug", sagte Sardia. „Er versteckt sich hinter anderen. Männer seines Schlages geben ihre Geheimnisse nicht preis. Es sei denn, man ..." Sardia nahm Dumarests Hand. „Hilfst du mir?" „Nein." „Bitte!" Ihre Stimme wurde flehend. „Du kannst mir helfen. Es braucht nur ein wenig Zeit. Du hast Erfahrung mit Burschen wie diesem gerissenen Händler. Du wirst den Namen und die Adresse des Malers aus ihm herausbekommen, und wenn wir

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diesen erst einmal gefunden haben, wirst du's nicht bereuen, mir geholfen zu haben. Ein Drittel des Reingewinns für dich." „Nein." „Wieviel dann? Die Hälfte? Einverstanden. Laß uns Partner sein." „Es geht nicht, Sardia." „Aber warum nicht? Hast du keine Zeit? Oder mißtraust du mir?" Ihre Stimme senkte sich. „Glaubst du, daß ich dich anlüge?" „Du lügst nicht, Sardia. Du träumst." Träume. Dumarest kannte sie. Träume von Schlüsseln zum Glück, von sagenhaften Welten - von der Erde. „Hier!" Dumarest hatte die Frau für einen Augenblick vergessen. Sie stand vor ihm und hielt ihm ein Bild vor die Augen. Er betrachtete es. Ein weinendes Kind. Der Maler hatte allen Schmerz, alle Qualen, die ein ganzes Universum für Menschen bereithielt, in sein Werk hineingelegt. „Es ist gut", gestand Dumarest. „Gut?" Sardia lachte rauh. In diesem Moment war sie nicht die Frau, die versuchte, sich eine Existenz im harten Geschäft aufzubauen, sondern die gefallene Künstlerin, die übersensible Frau, die stärker als ihre Mitmenschen in der Lage war, sich in die Arbeit eines anderen hineinzuversetzen. „Das ist phantastisch! Sieh's dir an, Earl! Sieh's dir an!" Und Dumarest versank in den Qualen des Kindes - und sah den Mond. Der Mond! „Was ist. los?" fragte Sardia besorgt. „Fehlt dir etwas, Earl?" Er nahm sie gar nicht wahr. Seine Augen starrten auf den Himmelskörper, der das einzige Licht für den zusammengekauerten Körper des leidenden Kindes spendete. Eine von Narben übersäte Kugel am Nachthimmel. Etwas, das er schon einmal gesehen hatte. Wie lange war das jetzt her?

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Seine Finger berührten die Leinwand, als wollten sie den Mond wie einen unbeschreiblich wertvollen Schatz betasten. Und das bedeutete er auch für ihn. Denn es war der Mond, den er als Kind so oft gesehen hatte - der Mond der Erde. Juba war eine reiche Welt. Der Planet verfügte über reichhaltige Bodenschätze, deren Verkauf Wohlstand brachte - wenn auch nur den wenigen, die in ihren luxuriösen Villen oben auf den Hügeln lebten. Sie waren geizig. Von ihnen war nichts zu holen. Auf Juba bildeten die Kinder das Kapital für den Cy-Clan. Cyber Hine betrachtete seine Schüler durch das nur nach einer Seite hin transparente Glas der Klassenzimmertür. Einige Jungen tobten sich aus, lachten und scherzten. Das würde sich ändern. Eines Tages würden die Fähigsten in die Dienste der Organisation treten, die sie ausbildete. Die Schüler verstummten augenblicklich, als der Cyber das Klassenzimmer betrat. Auch Hine glich einem wandelnden Skelett. Für ihn und seinesgleichen diente der Körper lediglich als Gehäuse für das Gehirn. Nahrung wurde nur in dem Maße aufgenommen, in dem sie für den Stoffwechsel erforderlich war. Das Gehirn war einzig wichtig - der Sitz der Intelligenz. Was den Verstand schärfen konnte, war gut; was die Sinne vernebeln konnte, mußte abgelehnt und niedergekämpft werden. Die Cyber waren lebende Maschinen. Alles, ihre Kleidung, ihre Umgebung, ihre Verhaltensweisen mußten dem Diktat der allem übergeordneten Logik gehorchen. Hines Unterricht diente ebenso wie der anderer Cyber auf anderen Welten dazu, die Schüler zum nur von Logik bestimmten Denken zu bringen. Alle Gefühle, alles, was dieses Denken beeinträchtigen konnte, mußten eliminiert werden. Hine ließ seine Schüler Extrapolationen und komplizierte Planspiele ausführen. Wer die ihm gestellte Aufgabe nicht zu Hines Zufriedenheit lösen konnte oder auch nur eine Spur von Geistesabwesenheit zeigte, wurde durch Elektroschocks bestraft,

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die in ihrer Stärke proportional zu den gemachten Fehlern waren. Schmerz war etwas, das es ertragen zu lernen galt. Ein Cyber war nicht zimperlich. Nur der Zweck zählte. Eines Tages würden einige der Jungen vielleicht die scharlachrote Robe mit dem Zeichen des Cy-Clans tragen. Sie mußten lernen, denn der Clan sollte wachsen, bis er die Galaxis beherrschte. Diesem Ziel war alles unterworfen. Die Diktatur der reinen Logik, ein Universum frei vom Gift sinnloser Gefühle. Liebe, Haß, Trauer, Schmerz - all das kannte Hine nicht mehr. Er war durch eine harte Schule voller Entbehrungen gegangen und hatte sich wie alle Cyber unzähligen Tests unterwerfen müssen, bevor er die rote Robe tragen durfte. Noch stand er ziemlich weit unten in der Hierarchie der Organisation, doch es lag an ihm, seinen Weg zu machen, bis er nach endlosen Bewährungen ein Teil der allumfassenden Zentralintelligenz werden würde, so wie all jene, die die Robe trugen. Sein Körper würde sterben, aber man würde das Gehirn heraustrennen und zu den anderen bringen, die in der Nährlösung schwammen und ewig lebten. Tausende von Gehirnen - vereint zu einem Ganzen, der Zentralintelligenz. Dies sollte die Belohnung für seine Arbeit sein. Der Kontakt mit der Zentralintelligenz war das einzige, das einem Cyber Gefühle entlocken konnte - Gefühle unbändiger Euphorie und zeitweiser Geborgenheit. Cyber Buis nahm die Nachricht, daß jemand um Erlaubnis gebeten habe, den Computer des Cha'Nang-Instituts für kurze Zeit benutzen zu dürfen, ohne jede Regung zur Kenntnis, obwohl er bereits nach wenigen weiteren Auskünften wußte, wer da anhand eines Sternenspektrums die Position einer ganz bestimmten Sonne ermittelt haben wollte. Dumarest auf Juba!

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Buis war der ranghöchste Cyber auf diesem Planeten. Ihm oblagen alle Entscheidungen. Nun sah er sich vor eine Situation gestellt, die all seine geistige Kraft erforderte. Earl Dumarest - der Erzfeind des Cy-Clans. Er besaß das Geheimnis der Affinitätszwillinge, die geheime Zusammensetzung jener Kette aus fünfzehn biochemischen Molekulareinheiten, die in den Laboratorien des Cy-Clans entwickelt, dann gestohlen und Dumarest zugespielt worden war. Das Geheimnis der Affinitätszwillinge! Wer es besaß, hatte die Macht über jede bewohnte Welt der Galaxis. Mit Hilfe der Droge war es möglich, in jeden Menschen zu schlüpfen, ihn zu übernehmen, ihn zu steuern -Politiker, Wirtschaftsmagnaten, ganze Armeen. Dumarest auf Juba! Cyber Buis gab seine Anweisungen. Er sorgte dafür, daß das Institut ständig überwacht wurde. Der Raumhafen mußte abgeriegelt werden. Unzählige Maßnahmen wurden getroffen und die Falle aufgestellt. Die Cyber hatten viele Verbündete auf Juba. Sie waren ihnen hörig wie auf so vielen Planeten. Man liebte die Cyber nicht, aber man brauchte ihre Hilfe und war in gewissem Sinne von ihnen abhängig. Es war nun nur eine Frage der Zeit, bis Dumarest in die Hände des Clans fiel. Cyber Buis war ein alter Mann. Seine Zeit würde bald abgelaufen sein. Doch bevor er Teil der Zentralintelligenz wurde, konnte er dem Cy-Clan den größten Dienst erweisen, der überhaupt vorstellbar war. Dumarest, das Geheimnis der Affinitätszwillinge - und dann die Herrschaft über die Galaxis.

3.

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Sardia war eine jener Frauen, bei der es Männern schwerfiel, einen klaren Kopf zu behalten. Sanft und doch voller Leidenschaft. Eine ehemalige Tänzerin und nun Kunsthändlerin - was noch? Dumarest betrachtete sie im Licht der Morgendämmerung, als sie noch schlafend neben ihm lag. Sie kam ihm jetzt noch reizvoller vor als bei Tag. Nach einer Weile begann sie sich im Bett herumzudrehen. Dumarest hörte, wie sie im Halbschlaf seinen Namen murmelte. Sie träumte, Vorsichtig stand er auf und begab sich in die Küche, machte starken Kaffee und brachte ihn ins Wohnzimmer. Dann stand er wieder lange vor dem Bild mit dem weinenden. Kind und dem Mond. Glaubte er, eine Erinnerung heraufbeschwören zu können, indem er es minutenlang anstarrte, nach irgendwelchen Kleinigkeiten suchte, die ihm einen Hinweis geben könnten? Immer wieder schweiften seine Gedanken ab. Sardia. Welches Spiel spielte sie? Die reine Logik sagte Dumarest, daß sie das war, wofür sie sich ausgab, doch jener Instinkt, der ihm so oft das Leben gerettet hatte, mahnte ihn zu erhöhter Vorsicht. Der nächtliche Überfall hatte arrangiert gewesen sein können, die Frau ein Köder. Der Speck in einer Falle, die jeden Augenblick zuschnappen konnte. Es gab keinen Ort in der Galaxis, an dem Dumarest vor seinen Verfolgern sicher sein konnte. „Earl?" Sardia war wach. Die Stimme drang aus dem Schlafzimmer. „Earl, wo bist du?" „Hier", rief er. „Ich habe uns Kaffee gemacht." „Stimmt etwas nicht?" Sardia nahm die Tasse, die Dumarest ans Bett gebracht hatte. „Ich glaubte einen Augenblick, du wärest fort." „Du hast gut geschlafen?" fragte er, während er sich anzog. Alles war noch vorhanden. Hatte er wirklich geglaubt, sie hätte ihm etwas stehlen können, als er schlief? Das Messer?

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„Wie ein Kind, Earl. Wie eine glückliche Frau neben ihrem Geliebten. Und du?" „Ebenso." Eine Lüge als Antwort auf eine Lüge. „Es wird Zeit, daß wir uns an die Arbeit machen. Du bist sicher, daß die Adresse stimmt?" Sardia nickte. „Aber der Mann, den wir suchen, ist nicht da." Dumarest schüttelte den Kopf. „Wir haben schon einen Tag verloren und sind keinen Schritt weitergekommen. Heute machen wir's anders. Ich gehe allein. Du bleibst hier und wartest. Es kann sein, daß ich anrufe und eine Auskunft brauche." Fragen würden ihm genug einfallen. Eine Maßnahme zu seiner Sicherheit. Sardia würde an ihre Wohnung gebunden sein. Außerdem hatte er dafür gesorgt, daß sie nicht nach auswärts telephonieren konnte. „Wie lange wirst du unterwegs sein, Earl?" „Vielleicht Tage." Sardia versuchte nicht, ihre Enttäuschung zu verbergen. Dann aber gab sie sich einen Ruck. „Tue dein Bestes, Earl, und verschwende keine Zeit mehr. Andere könnten ebenso an dem Unbekannten interessiert sein und uns zuvorkommen. Ein schrecklicher Gedanke, daß der Maler bereits von anderen unter Vertrag genommen worden sein könnte." Sie stieg aus dem Bett. Sardia war tatsächlich eine der schönsten und aufregendsten Frauen, die Dumarest je gesehen hatte. Sie legte ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn leidenschaftlich. „Viel Glück, Liebling. Und laß mich nicht zu lange warten."

* Dumarest kannte solche Plätze wie das Labyrinth. Es gab sie überall, wo wenige Reiche eine Welt regierten und die Armen in Gettos zusammengepfercht lebten. Elendsviertel mit ihrem eigenen Geruch, dem eigenen Geschmack, den eigenen

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Gesetzen. Dreck, Krankheit, Hunger, Abfallgestank; Diebe, Mörder, Huren und Bettler. Nur der Stärkere hatte eine Chance zum Überleben. „Bruder! Eine milde Gabe!" Der Mönch unterschied sich kaum von denen, die Dumarest im Laufe seiner Odyssee bereits kennengelernt hatte. Es gehörte viel Mut dazu, sich als Mann der Kirche, wehrlos und jede Gewalt verabscheuend, in Orte wie das Labyrinth zu wagen. Der Mann trug außer der braunen Kutte und primitiven Sandalen nichts am Leib. Dumarest sah die ausgestreckte Hand mit der leeren Schale, das von Wind und Wetter gegerbte Gesicht unter der Kapuze. „Du bist früh auf der Straße, Bruder", sagte der Terraner. „Das Elend kennt keinen Schlaf, und der Hunger fragt nicht nach der Tageszeit." Die Hand mit der Schale hob sich ein wenig. Dumarest warf einige Münzen hinein. „Du bist ein guter Mensch, Bruder", hörte er den Mönch mit leiser Stimme sagen. „Ihr habt im Labyrinth eine Kirche?" „Nicht im Labyrinth. Beim Raumhafen." Dumarest kannte diese Kirchen. Kleine Gebäude, fast Hütten, in die die Mittellosen und Kranken kamen, um sich für wenige Stunden zu erwärmen und die Beichte abzulegen. Die Mönche der Universellen Kirche fragten nicht nach Namen oder Herkunft. Sie waren zufrieden, wenn die Menschen ihre Botschaft verstanden und annahmen. Jeder von ihnen leistete seinen kleinen Beitrag zur Erreichung des großen Zieles, daß alle Menschen eines fernen Tages Brüder sein würden. „Du frierst, Bruder." Dumarest sah, wie der Mönch zitterte. Er warf einige weitere Münzen in die Schale. „Dies ist für dich. Kauf dir etwas zu essen und trinken. Geh und wärme dich." „Ich sammle nicht für mich." „Was nützt es der Kirche, wenn du vor Hunger und Kälte stirbst?" Eine sinnlose Frage, gestand Dumarest sich ein. Ein anderer würde an die Stelle des Mönches treten. „Du könntest

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mir helfen, Bruder. Hast du in letzter Zeit Fremde bemerkt, die hier herumlungern? Männer, die nicht hierhergehören, herumstehen und scheinbar auf etwas warten?" Die Augen des Mönches versuchten in Dumarests Gesicht zu lesen. „Du willst Streit mit jemandem anfangen, Bruder?" „Nein. Aber es gibt vielleicht Leute, die ich nicht gerne treffen möchte." „Nicht hier", sagte der Mönch nach einer Weile. „Aber am Raumhafen stehen Männer herum. Sie scheinen auf etwas oder jemanden zu warten. Außerdem treiben sich einige in der Nähe des Cha'Nang-Instituts herum." Er hatte also doch recht gehabt, sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Jemand hatte eine Falle gestellt. Vielleicht hatte Sardia wirklich nichts damit zu tun. Aber Dumarest machte sich keine Illusionen über die Drahtzieher. Wäre er nicht dazugekommen, als Sardia überfallen wurde, hätte er Juba längst hinter sich gelassen und wäre vorerst in Sicherheit gewesen. Und nun? Dumarest verscheuchte die finsteren Gedanken. Er hatte das Haus erreicht, in dem der Mann wohnen sollte, den Sardia suchte - und der vielleicht der Schlüssel zu jenem Maler war, der den Mond der Erde auf Leinwand gebracht hatte. Er klopfte, so wie er es gestern getan hatte, als Sardia bei ihm war. Gestern hatte sich niemand gemeldet. Diesmal schien Dumarest mehr Glück zu haben. Die Tür öffnete sich einen Spaltbreit, und ein bärtiges, ungewaschenes Gesicht war zu sehen. „Was wollen Sie?" „Eprius Emecheta", sagte Dumarest. „Sind Sie das?" „Und wenn?" „Dann gäbe es für Sie etwas zu verdienen. Lassen Sie mich rein, Mann. Fünf Durinnen für Sie."

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„Fünf? Besser zehn." „Fünf." Dumarest holte die Münzen aus der Tasche. „Für ein kleines Gespräch und vielleicht etwas zu trinken.“ „Das hier ist keine Kneipe, Mister. Zehn Durinnen!" Geld wechselte den Besitzer. Dumarest wurde eingelassen und fand sich in einem verwahrlosten Raum mit einem Bett, einem Tisch und ein paar Stühlen wieder. An den Wänden hingen Spinnen und anderes Ungeziefer. Eine Ratte huschte davon. Emecheta holte eine Flasche Wein und knallte sie vor Dumarest auf den Tisch. Das gereichte Glas war ebenso verstaubt wie die Flasche. Dumarest zwang sich, zu trinken und beobachtete seinen Gastgeber. Der Mann trug Lumpen und stank. Dumarest bemerkte die forschenden Blicke. Zwei Männer, die sich gegenseitig einzuschätzen versuchten. „Man sagt, daß Sie nicht lange fragen, wenn's darum geht, auf leichte Art viel Geld zu verdienen", begann Dumarest. „Das zumindest haben wir beide gemeinsam. Ich bin viel herumgekommen und habe manchen Fang gemacht. Ich besitze einige nette Dinge, wertvolle Dinge. Die Frage ist, wie ich sie an den Mann bringen kann. Die Leute stellen Fragen. Sie verstehen? Wenn ich aber nun einen Partner hätte, der mir helfen könnte, das Zeug zu Geld zu machen ..." Dumarest sprach nicht weiter. Er sah das Funkeln in Emechetas Augen, dann die plötzliche Verschlossenheit. „Mißtrauisch, eh? Ich sagte nicht, daß ich die Sachen gestohlen habe. Sie fielen mir so zu. Und man sagte mir, daß Sie sich kein gutes Geschäft entgehen lassen würden." Dumarest schüttelte den Kopf. „Ich habe mich getäuscht. Es wären mehr als hundert Durinnen für jeden von uns drin, aber ich sehe, daß ich meine Zeit verschwende." Der Mann von Terra trank den Wein aus, stand auf und wandte sich zum Gehen.

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„Moment!" Emecheta sprach hastig. Er war sitzengeblieben, aber eine Hand war unter dem Tisch verschwunden. „Wir können darüber reden. Ich hole eine neue Flasche." „Die Hand!" Dumarest zischte es. „Zuerst die Hand, Mann! Ich will sie sehen, und es wäre besser, wenn sie leer wäre." Er nickte, als Emecheta sie auf den Tisch legte. „Gut so. Nun aufgestanden und weg vom Tisch." Dumarests eigene Hand fuhr zum Griff des Messers im Stiefel. Emecheta gehorchte grunzend. „Und nun können wir reden", sagte Dumarest. „Über Sie, Ihre Hintermänner und Ihre Beziehungen, vor allem aber über Geld." „Wieviel kannst du aufbringen?" fragte Dumarest Sardia, nachdem sie ihn leidenschaftlich begrüßt hatte. „Warum?" „Um es auszugeben, Dinge zu kaufen, damit zu arbeiten. Verlaß dich auf mich. Verkaufe deine Musikanlage und alles, was du hast. Ich warte im Restaurant an der Ecke von Spaceheaven und Drell auf dich. Es muß schnell gehen." Er ließ sich Zeit, als er ihr fo lgte, und betrat das Restaurant erst, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß keine verdächtigen Gestalten in der Nähe herumlungerten. Sardia erwartete ihn bereits ungeduldig. „Das ging alles zu schnell, Earl", flüsterte sie. Ihre samtbraunen Finger legten sich auf seine Hand. „Nun, was sagt er? Hätte ich mit Emecheta ins Geschäft kommen können?" „Er hätte dich übers Ohr gehauen und dir vermutlich ein paar Kerle auf den Hals gehetzt, die dich ausrauben und vielleicht sogar töten sollten." „Ist er so schlecht?" „Ein gerissener Hund. Hast du getan, was ich dir sagte?" „Ja, Earl. Aber ich begreife immer noch nicht, was das alles ..." „Später. Laß uns erst etwas essen."

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Sardia bestellte teure Gerichte, proteinhaltig und mit wenig Fett. Eine Mahlzeit, die Kraft gab. Er würde sie brauchen. „Der Händler, von dem du sprachst", sagte er nach dem Mahl. „Es ist Pude Ahdram?" „Ja. Ich hätte dir vorher mehr über ihn erzählen können, aber ich ..." „Du wußtest nicht, ob du mir trauen konntest. Nun haben wir genug Zeit verloren. Er handelt mit allem, was Geld bringt. Emecheta sagte mir alles, was ich wissen wollte. Ahdram ist unser Mann." „Willst du mir nicht endlich sagen, was du vorhast?" Dumarest sagte es ihr. Sardia starrte ihn ungläubig an. „Ihm meinen ganzen Schmuck und die Musikanlage geben? Ist das dein Ernst?" „Ich werde die Sachen bringen, und zwar zu Emecheta. Ich werde sagen, ich hätte sie gestohlen. Er wird sie dann Ahdram verkaufen. Und du gehst zu Ahdram in dessen Laden, fragst nach irgend etwas Außergewöhnlichem, daß du angeblich kaufen willst, und wartest, bis er dir die Musikanlage zeigt. Dann kommt dein großer Auftritt. Du schreist ihn an, sagst ihm, daß die Anlage dir gehört und gestohlen wurde. Du drohst ihm mit einer Anzeige wegen Hehlerei. Was der Kerl am wenigsten gebrauchen kann, ist eine Untersuchung von selten der Behörden, bei der seine schmutzigen Geschäfte auffliegen würden." „Ich soll ihn also erpressen", sagte Sardia leise. „So lange, bis er bereit ist, mir den Namen des Malers zu verraten." „Weißt du einen besseren Weg zu deinem Künstler?" „Nein", gab sie zu. „Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das durchstehen kann. Ich bin nicht so hart wie du." „Du wirst es schaffen", sagte Dumarest. „Ich bin sicher. Und wenn er nicht darauf eingeht, benachrichtigst du wirklich die Behörden. Du kannst doch beweisen, daß es sich um dein Eigentum handelt?"

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„Natürlich." „Gut. Dann kann uns nichts passieren. Nun komm. Wir haben keine Zeit zu verlieren." Sardia nickte und stand auf. Dumarest bezahlte und folgte ihr in einigem Abstand bis zu Ahdrams Laden. Immer wieder sah er sich um. Überall konnten sie lauern - Männer, die von anderen gedungen worden waren, von jenen, die inzwischen seinen neuen Aufenthaltsort ausfindig gemacht hatten, von Männern in den scharlachroten Roben des Cy-Clans. Dumarest durfte kein Risiko mehr eingehen. Deshalb hatte er Sardia allein zu Ahdram geschickt. Als sie nach fast zwei Stunden aus dem Laden kam, folgte er ihr wiederum unauffällig, bis sie sich in einem abseits gelegenen Viertel des Labyrinths befanden, sicher vor jedem Beobachter. Ein Blick in ihr Gesicht genügte, um zu wissen, daß sie nichts erreicht hatte. „Ahdram erkannte mich sofort wieder", sagte sie, den Tränen nahe. „Aber er war nicht allein. Ein anderer Mann war bei ihm und wollte Bilder verkaufen. Es waren Bilder des Malers, den ich suche, Earl. Seine Technik ist unverwechselbar." „Aber dann mußt du von dem Fremden erfahren haben, wer der. Maler ist." „Eben nicht! Wie ich dir schon sagte, muß man in der Kunstbranche sehr vorsichtig sein. Eine unüberlegte Frage, und der andere wittert ein Geschäft - das Geschäft, das du machen willst. Ich wartete also, bis der andere gegangen war, dann tat ich so, wie besprochen. Ahdram zeigte mir meine Sachen. Ich beschuldigte ihn und drohte. Aber dieser ... dieser Bastard..." „Was tat er?" Dumarest wurde ungeduldig. „Er versuchte, dich einzuschüchtern?" „Nein! Eben nicht! Er sagte mir dann sogar, woher die Bilder stammen. Ich mußte ihm dafür all meinen Schmuck und die Anlage lassen. Wir haben kein Geld, Earl! Alles, was ich besitze, ist diese verdammte nutzlose Information!"

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Kein Geld. Keine Schiffspassage. Aber vielleicht der Schlüssel zur Erde, der Name des Mannes, der den Mond der Erde auf eine Leinwand gebracht hatte ... „Der Künstler lebt nicht hier", berichtete Sardia unter Tränen. „Die Gemälde stammen nicht von Juba.

4. „Und was nun, Earl?" Dumarest stand am Fenster von Sardias Appartement und sah auf den dem Pavillon vorgelagerten kleinen See hinaus. Einige Kinder spielten am Ufer. „Dieser Fremde", murmelte Dumarest. „Der Mann, der im Geschäft war, um die Bilder zu verkaufen -war er einer von denen, die von Planet zu Planet reisen, um Geschäfte zu machen?" „Nein", sagte Sardia. „Er ist Kommandant eines Schiffes und befliegt die Rinne. Sein Name ist Tuvey, Lon Tuvey." „Natürlich wollte auch er nichts über die Herkunft der Gemälde sagen." „Oh doch", sagte Sardia schnell. „Aber das nützt uns nichts. Die Bilder hat er von einer Welt in der Rinne mitgebracht, aber den Namen des Künstlers verriet er nicht. Dafür bot er mir an, mich zu ihm zu bringen und mich ihm vorzustellen - gegen einen entsprechenden Preis, versteht sich." Sie schüttelte heftig den Kopf, als sie den Ausdruck in Dumarests Augen sah. „Nein, Earl, nicht das, was du denkst. Er will Geld, viel Geld." „Dafür daß er dich dem Maler vorstellt?" „Dafür und für eine Oberdeck-Passage nach Ath." Ath?

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Arth? Earth - die Erde? Es konnte nicht sein. Solch eine Fügung war gegen jede Wahrscheinlichkeit. Aber der Mond auf dem Bild... Namen konnten sich im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ändern. Wenn nun doch ...? Dumarest atmete tief ein. Er hatte das Gefühl, in einen Strudel gerissen zu werden, dem er nicht mehr zu entkommen vermochte. „Bist du sicher, was den Namen betrifft?" fragte er. Er sah sie nicken und versuchte, den Hoffnungsfunken in ihm niederzukämpfen. Die Erde konnte nicht in der Rinne liegen. Sie mußte sich an einem Ort in der Galaxis befinden, wo die Sterne weit auseinander standen. Die Rinne war ein Band aus Tausenden von Sternen, ein Schlauch aus interstellarem Staub und tödlichen Energien. Aber auch in der Rinne gab es Zonen, in denen die Sonnen Lichtjahre voneinander entfernt standen. War es wirklich völlig ausgeschlossen, daß Ath die Welt war, nach der er so lange gesucht hatte? Ath, Earth - die Erde? „Earl!" Sardia verlor die Geduld. „Wir müssen entscheiden, was wir tun. Wir müssen mit Tuvey fliegen. Nur er kann uns zu dem geheimnisvollen Unbekannten bringen. Ich sehe es dir an, daß auch du ihn sehen willst, Earl, auch wenn du mir anscheinend nicht sagen willst, weshalb. Tuvey ist geldsüchtig. Für einen genügend hohen Betrag verrät er uns alles, was wir wissen wollen. Aber er wird viel verlangen, denn jetzt weiß er, daß er mit dem Namen des Malers Geschäfte machen kann. Er weiß, daß seine Bilder wertvoll sind und jeden anlocken werden, der etwas von Kunst versteht. Wir brauchen Geld, Earl!" „Tuvey könnte gelogen haben." „Ja", gab Sardia zu. „Aber es gibt nur einen Weg, dies herauszufinden. Wir haben nur diese Chance, Earl. Wir brauchen das Geld, und zwar schnell. Morgen verläßt Tuvey Juba wieder."

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Es war bereits spät am Tag. Die Dämmerung hatte eingesetzt. Dumarest fragte Sardia nach der Summe, die Tuvey beanspruchen würde und fluchte, als er die Antwort erhielt. „So viel?" „Er ist gerissen, Earl. Aber wir müssen für den Rückflug bezahlen und zusehen, daß wir noch Geld für den Maler übrig haben." „Ich habe nicht mehr viel, und du?" „Meine Kleider, eine gültige Rückflugpassage nach Tonge mit der Cheedha-Linie. Ich könnte sie verkaufen." „Nein." Dumarest schüttelte energisch den Kopf. Jedes Aufsehen war zu vermeiden. Der Cy-Clan hatte seine Männer mit Sicherheit nicht nur vor den Toren des Raumhafens postiert. Dumarest rechnete damit, daß auch in der Verwaltung Mittelsmänner saßen. Man würde Schlüsse ziehen. Dumarest sah nur eine Möglichkeit, das Wenige an Kapital, was ihm und Sardia zur Verfügung stand, zu vervielfachen. Er hatte sich auf diese Weise schon so oft die Mittel für Passagen und anderes besorgt. Sein Leben war der Einsatz. Wie auf fast allen Welten, gab es auch auf Juba den Ring, jenen Ring, in dem Männer vor fanatisch mitgehenden Publikum bis auf den Tod gegeneinander kämpften. Der Sieger wurde reich. Der Verlierer brauchte kein Geld mehr. „Wir werden uns das Geld beschaffen", erklärte Dumarest. „Hole alles zusammen, was, du verkaufen kannst. Es muß schnell geschehen sein. Dann kehre zurück und warte am Telephon."

5.

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Es war einer der härtesten Kämpfe gewesen, die Dumarest je zu bestehen hatte. Yhma hieß der hiesige Champion. Bevor Dumarest gegen ihn antrat, hatte der Hüne bereits zwei Männer im Ring besiegt. Der erste war unter Yhmas Messer gestorben. Den zweiten hatte der Champion zum Krüppel gemacht. Dumarest war von mehreren Stichen gezeichnet, als er Yhma nach zunächst aussichtlos erscheinendem Kampf den Todesstoß versetzte. Er hatte warten und jede Sekunde sein Leben riskieren müssen, bis seine Position so aussichtslos schien, daß die Wetten gegen ihn solch hohe Quoten erreichten, daß Sardia, die im Publikum saß und von den anderen verlacht, auf Dumarest setzte, ein kleines Vermögen gewinnen konnte. Nun stand Sardia del Naeem vor den Toren des Raumhafens. Ein Offizier versperrte ihr den Weg. Er war noch jung, kräftig und ganz offensichtlich nicht unempfänglich für weibliche Schönheit. Sardia wußte, was sie zu tun hatte. Der gemietete Gleiter hob ab, nachdem der Pilot Sardias schweres Gepäck ausgeladen hatte. Der Offizier lächelte und trat näher. „Madam?" Sardia erwiderte das Lächeln. „Ich habe eine Passage auf der Sivas gebucht, Kommandant Lon Tuvey, Darf ich passieren?" „Leider nicht so ohne weiteres", sagte der Mann. „Sie haben Gepäck. Es muß untersucht werden, dann werden wir es auf einem Transportgleiter zum Schiff bringen lassen." Der Offizier deutete auf die beiden großen Koffer und die Truhe. Dumarest hatte Sardia von der strengen Bewachung des Hafens berichtet. Zwar wußte sie immer noch nicht, was es damit auf sich hatte, aber sie wußte, daß es etwas mit Earl zu tun hatte, wenn sie auch immer noch darüber rätselte, was wirklich dahintersteckte. Earl war der Mann, nach dem man suchte - aber warum? Man suchte nach einem Mann. Der Offizier hätte normalerweise keinen Grund gehabt, die Frau, die nun vor ihm stand, zu untersuchen. Aber das Gepäck. Die Truhe war groß genug, um

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den Gesuchten aufzunehmen, falls sie ihn an Bord schmuggeln wollte. „Bitte öffnen Sie sie, Madam", sagte der Offizier, während schon der Lastengleiter neben ihm hielt. Der Fahrer stieg aus und sah den Offizier fragend an. „Öffnen Sie die Truhe. Es muß sein. Ich habe meine Vorschriften." „Aber was ist hier eigentlich los?" fragte Sardia gespielt naiv. „Ich reise nicht zum erstenmal, aber noch nie bin ich..." „Ich kann es nicht ändern." Es war dem Offizier anzusehen, daß er es wirklich bedauerte, Sardia aufhalten zu müssen. Der Mann stand unter Druck. „Bitte den Schlüssel." Sardia zuckte die Schultern. Ihre Hand zitterte, als sie ihrem Gegenüber das Gewünschte gab. Rud, der Fahrer des Gleiters, lachte, als er sah, was in der Truhe war. „Bildchen! Kleider! Das hätten wir uns ersparen können." „Kunst!" fuhr Sardia ihn an. „Mein Geschäft! Haben Sie überhaupt eine Ahnung davon, was das hier wert ist? Im Museum meiner Heimatstadt wird man mir auf den Knien dafür danken, daß ich dies hier auf Juba aufkaufen konnte. Oder gibt es etwa Gesetze, die die Ausfuhr verbieten? Ja? Deshalb wollte ich nicht, daß die Truhe geöffnet wurde, denn auf manchen Welten..." „Keine Sorge, Madam", sagte der Offizier lächelnd. „Auf Juba gibt es keine Exportbeschränkungen." Er verschloß die Truhe wieder und gab Rud Anweisung, sie auf den Gleiter zu schaffen. „Und nun die Koffer. Verstehen Sie mich bitte, aber ich muß sie kontrollieren - zumindest einen von ihnen. Stichproben, Sie verstehen." „Tun Sie Ihre Pflicht", sagte Sardia seufzend. „Diesen hier?" Ihre Hand lag auf einem der beiden Koffer. Der Offizier lächelte, als er den Kopf schüttelte. „Den anderen." Aus! durchfuhr es Sardia. Sie hatte versucht, den Mann mit einem Trick hereinzulegen. Nun merkte sie, wie dumm sie gewesen war.

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Gerade, als der Offizier sich über den Koffer beugte, heulte eine Sirene auf. Der Offizier sah sich um. „Die Sivas", sagte er. „Gehen Sie, Madam. Sie haben ehrliche Augen, und ich ...", er zwinkerte ihr zu, „besser, wenn ich nicht weiß, was in Ihren Koffern ist." Er gab Rud eine Anweisung, und der Fahrer des Gleiters lud das Gepäck auf die Ladefläche. „Haben Sie eine gute Reise, Madam." Minuten später stand Sardia vor der Sivas. Der Lademeister des Schiffes nahm das Gepäck vom Gleiter und stöhnte unter dem Gewicht. Sardia zitterte leicht, als sie die Koffer die Laderampe hinaufgleiten sah. „Keine Sorge, Madam", sagte der Lademeister. „Ihre Sachen sind im Frachtraum gut aufgehoben. Nach dem Start lasse ich sie in Ihre Kabine schaffen, wenn sie es wünschen. In zehn Minuten sind wir unterwegs." Zehn Minuten. Sardia ließ sich ihre Befriedigung nicht anmerken. Ihr Zeitplan war genau aufgegangen. Weitere dreißig Minuten vergingen, bis jemand an die Kabinentür klopfte und die Koffer hereinbrachte. Sardia dankte und verschloß die Tür hinter sich. Dann holte sie die Schlüssel hervor und öffnete einen der Koffer. Dumarest lag zusammengekauert in ihm. Er war nur noch Haut und Knochen. Jedes überflüssige Gramm hatte er sich unter dem Einfluß von Kurzzeit, jener. Droge, die die Stoffwechselvorgänge des Körpers radikal beschleunigte und für den, der sie zu sich genommen hatte, Stunden zu Tagen machte, förmlich entzogen. Subjektive Zeit - Tage für Dumarest; Tage, in denen seine Wunden heilen und er genug an Gewicht verlieren konnte; um sich in den Koffer zu zwängen. Er war nackt. Kleidung, Stiefel und das Messer befanden sich mit Sardias Sachen zusammen im anderen Koffer.

*

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Dumarest stöhnte vor Schmerzen, als sich sein Kreislauf wieder normalisierte. Er hatte über eine Stunde so zusammengefaltet gelegen, daß die Muskel und Sehnen steif geworden waren. Für ihn hatte es die Hölle bedeutet. Sardia half ihm aus dem Koffer und stützte ihn, während er die ersten Bewegungsübungen machte. Dumarest massierte sich verschiedene Stellen des Körpers und preßte die Zähne aufeinander, wenn der Schmerz unerträglich wurde. „Earl?" „Es geht schon wieder", murmelte Dumarest, als er die Sorge und Angst auf Sardias Gesicht sah. „Wie lange sind wir unterwegs?" „Fast eine Stunde. Wir sind außer Gefahr." Außer Gefahr. Sicher vor jemandem, den sie nicht kannte, und nach dem sie nicht gefragt hatte. Sie waren Partner und aufeinander angewiesen. Er hatte sein Leben riskiert und das Geld gewonnen. Sie hatte ihn sicher ins Schiff gebracht. Sardia trat an ihn heran und fuhr mit der Hand über seine Haut. Die Knochen standen hervor. Zu den Narben waren drei weitere hinzugekommen. Dumarest ließ sich seine Kleider reichen und zog sie an. „Earl, du mußt etwas zu dir nehmen. Konzentrate, die dich ..." „Später. Zuerst muß ich mit dem Kapitän reden." Sie warteten im Gemeinschaftsraum auf Tuvey. Der Raumfahrer war klein aber kräftig. Das Gesicht war von Falten überzogen. Kleine Augen funkelten unter dichten Brauen. Das Haar wucherte grau unter der Schirmmütze hervor. Tuveys Uniform war sauber und aus teurem Material. Auf der rechten Schulter saß ein Wesen wie aus einem Alptraum, ein Etwas, das an eine riesige Krabbe denken ließ, aber über Dutzende von Extremitäten verfügte - Spinnenbeine, Klauen, Tentakel, die sich um den von Zangen umrahmten Mund gelegt hatten. Kapitän Lou Tuvey war ein höchst ungewöhnlicher Mann.

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„So." Er stand im Eingang und sah abwechselnd Sardia und Dumarest an. „Wir haben also einen blinden Passagier an Bord." „Einen regulären Passagier", korrigierte Sardia. „Earl Dumarest." „Dumarest?" Tuveys Augen verengten sich zu Schlitzen. „Dieser Name steht nicht auf meiner Liste. Der Mann hat also nichts an Bord meines Schiffes verloren. Muß ich Ihnen erzählen, was man mit blinden Passagieren macht?" „Nein", knurrte Dumarest. „Aber Sie werden mich nicht ohne Raumanzug ins Vakuum stoßen. Ich kann bezahlen." „Dann ist es gut. Mit Geld und gutem Willen läßt sich alles regeln." Der Kapitän sah Sardia wieder an. „Sie reisen zusammen? Ja? Dann verdoppelt sich der Preis für die Passage." „Hören Sie", sagte Pumarest. Sie will einen Maler kennenlernen und bezahlt dafür, nicht ich." „Sie können es sich überlegen", antwortete Tuvey ungerührt. „Übrigens sind in diesem Augenblick die Laser meines Stewards und des Lademeisters auf Sie gerichtet. Versuchen Sie also keine Tricks." „Schon gut", sagte Dumarest. „Ich bezahle." „Das ist klug von Ihnen, so klug, daß ich darauf verzichten werde, nach Juba zurückzufliegen und mich zu überzeugen, ob Sie der Mann sind, nach dem sie dort alle suchen." Tuveys Hand fuhr zu dem Tier auf seiner Schulter, und seine Finger trommelten einen Rhythmus auf die Schale des Wesens. „Borol liebt das", erklärte der Kapitän lächelnd und musterte Dumarest erneut. „Sie sehen schlecht aus. Unterdeck-Passage?" „Ja", log Dumarest. „Der Flug nach Juba." Tuvey nickte. „Sie brauchen etwas, um wieder ein Mensch zu werden. Nehmen Sie soviel Konzentrate, wie Sie brauchen. Sie sind im Preis inbegriffen." Ebenso wie Schnell-Zeit, jene Droge, die Kurzzeitgenau entgegengesetzt wirkte. Wer sie zu sich genommen hatte, erlebte

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Tage, Wochen oder Monate nur als Stunden. Die Stoffwechselvorgänge wurden verzögert, alle Lebensfunktionen auf ein Minimum reduziert. „Wie lange werden wir nach Ath unterwegs sein?" fragte Dumarest. „Lange genug." Jetzt grinste Tuvey. Er deutete auf Sardia. „Mit solch einer Reisegefährtin sollte Ihnen die Zeit nicht zu lang werden. Essen und trinken Sie. Entspannen Sie sich und genießen Sie die Reise." Dumarest versuchte es, versuchte, die quälenden Gedanken zu verscheuchen, sich keiner Hoffnung hinzugeben, die sich wahrscheinlich nicht erfüllen würde. Er ließ sich von Sardia verwöhnen. Oft saßen sie schweigend zusammen und tranken Wein. Dann wieder erzählte Sardia von ihrer Jugend und ihrer Karriere als Tänzerin. Dumarest hörte geduldig zu. Allmählich kam er zu Kräften. Von Tag zu Tag nahm er an Gewicht zu. Sardia stellte Fragen nach seiner Jugend, nach seinem Leben, seinen Zielen, seinen Sehnsüchten. Er antwortete, allerdings sagte er nicht alles. Aber es tat gut, sich aussprechen zu können. Sardia nickte immer wieder, auch als er von der Erde sprach - jener Welt, die er suchte. Wenn Sardia zweifelte, ließ sie es sich kaum anmerken. Auch sie glaubte nicht daran, daß es diesen legendären Planeten wirklich gab. Ein Mythos. Wie lange war er nun schon auf der. Suche? Wir oft hatte er mit neuer Hoffnung und auf der Flucht vor dem Cy-Clan Schiffe bestiegen, eine Oberdeck-Passage genommen, wenn er es sich leisten konnte, eine Unterdeck-Passage, wenn er kein Geld hatte. Dumarest hatte gelernt, ums Überleben zu kämpfen. Sein Leben war hart und entbehrungsvoll gewesen, Elend und Gefahr hießen seine ständigen Begleiter. Er zwang sich dazu, diesen Gedanken zu verscheuchen. Es hatte keinen Sinn, auf das Vergangene zurückzublicken. Vor ihm lag Ath - eine neue Welt und eine neue Hoffnung.

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6. Die Sivas landete bei Sonnenuntergang. Der Himmel war ein einziges Meer von Farben, eine grandiose Komposition der Natur. Einen ebenso faszinierenden Anblick bot die Stadt. Breite Terrassen umgaben einen malerischen See, in dessen Mitte eine Wasserfontäne immerwährenden Regen spendete, in dem sich die letzten Strahlen der Sonne ebenso brachen wie in der Atmosphäre. Auf den Terrassen waren von Bäumen und blühenden Sträuchern umgebene Häuser wie Juwelen in der phantastischen Landschaft aneinandergereiht, jedes Gebäude ein Kunstwerk für sich. „Ath", sagte Tuvey. „Gefällt ihnen die Welt?" „Sie ist wundervoll!" entfuhr es Sardia. „So sauber, so vollkommen! Es ist wie ein ..." Ein Kinderspielzeug! vollendete Dumarest in Gedanken. Das war keine normale, aus sich selbst heraus gewachsene Stadt, kein Platz für Menschen, wie er sie kannte. Die Stadt lebte nicht. Alles war zu vollkommen, genau geplant bis ins letzte Detail. Alles paßte zusammen. Dumarest konnte sich bei dem Anblick nicht vorstellen, daß es in den Straßen Kindergeschrei, Geruch oder Staub geben könnte - all das, was einen Platz, an dem Menschen lebten, ausmachte. Dumarest wußte nicht, wie viele Städte es auf Ath gab und ob sie alle aussahen wie diese, aber diese hier war nicht für jene gemacht, die in ihr lebten, nicht dazu da, um deren elementarste Bedürfnisse zu befriedigen. Sie war Selbstzweck. Konstruktion. Kunstwerk. Allerdings hütete der Terraner sich davor, dem ersten Eindruck völlig zu vertrauen. Er kannte die Mentalität der Bewohner von Ath nicht. Sardia jedenfalls war außer sich vor Begeisterung.

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„Komm zu dir!" sagte Dumarest heftiger als beabsichtigt. „Hörst du etwas? Lachen, Weinen, Kinder?" Sie konnte nichts hören und nichts sehen. Es gab keine Kinder. Es schien überhaupt keine Menschen hier zu geben. Tuvey zuckte die Schultern, als Sardia ihm eine entsprechende Frage stellte. „Was geht's mich an? Sie werden schon kommen. Ich lande hier, mache meine Geschäfte und fliege nach einiger Zeit wieder ab. Wie die Leute hier glücklich werden, ist nicht meine Sache." Dumarest beobachtete den Kapitän mißtrauisch. Tuveys scheinbare Interesselosigkeit störte ihn. Der Mann hatte etwas zu verbergen, dieses Gefühl hatte Dumarest während der ganzen Reise gehabt. Gewisse seltsame Flugmanöver hatten ihn nachdenklich werden lassen. Wollte Tuvey sichergehen, daß ihm niemand folgte? Es gab viele Raumfahrer, die irgendwo im Sternengewimmel der Rinne eine Goldgrube entdeckt hatten und diese mit niemand anderem teilen wollten. „Es muß Sie etwas angehen, ob sich jemand blicken läßt", sagte Dumarest. „Wir bezahlen Sie nicht nur für die Passage. Sie wollten uns mit diesem Künstler bekannt machen." „Ich habe es nicht vergessen, aber das betraf nur die Frau. Sie, Earl, werden einen anderen Gastgeber finden." „Gastgeber?" „Sie werden schon sehen." Der Kapitän zeigte zur Stadt hinüber. „Dort kommen sie ja." Dumarest verstand immer weniger. Tuvey schien seine Freude daran zu haben, ihn und Sardia zu verwirren. Die Einwohner der Stadt kamen in Gleitern, die auf den ersten Blick wie glühende Insekten wirkten. Als sie landeten, erkannte Dumarest seinen Irrtum. Die Männer und Frauen stiegen aus. Sie paßten hundertprozentig in die Landschaft, waren Teil dieses einzigen großen Kunstwerks. Sie trugen phantasievoll zugeschnittene, in allen Farben schillernde Kleidung. Die Lippen waren

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ockerfarben geschminkt, die Haare lang und durch silberne und goldene Spangen zusammengehalten. „Wie auf der Bühne", murmelte Sardia. „Earl, es ist wundervoll!" Für sie schon, dachte Dumarest. Sie verbrachte Jahre in diesem Milieu. Die Gefühle gingen mit ihr durch. „Sardia!" Sein Ruf kam zu spät. Schon war sie die Rampe hinabgelaufen. „Lassen Sie sie gehen", sagte Tuvey. „Ich werde mich darum kümmern, daß sie zu ihrem Maler kommt." Grinsend fügte er hinzu: „Ich bin nur gespannt, wen Sie sich angeln werden." Bevor Dumarest eine Frage stellen konnte, erhielt er die Antwort in Form eines guten Dutzends bunter Figuren, die sich um ihn und Tuvey scharten, als die Männer ebenfalls die Rampe hinabgestiegen waren. Ein ganz in Grün gekleideter Mann trat vor und begrüßte Tuvey überschwenglich. „Kapitän! Es ist eine Ehre für uns alle, Sie wieder begrüßen zu dürfen. Eintausend für den Kapitän!" „Anderthalbtausend!" rief eine Frau mit silberfarbenem Haar. „Zwei!" Eine andere Frau drängte sich vor. „Du hattest ihn beim letztenmal Myrna!" „Drei!" hörte Dumarest. „Vier! Viertausend für Tuvey!" Dumarest zweifelte an seinem Verstand, als er begriff, was vor sich ging. Tuveys Worte von den „Gastgebern", seine geheimnisvollen Andeutungen. Sie wurden ersteigert! „Ist dies ein Spiel, Kapitän?" fragte er, als Tuvey strahlend neben der ziemlich aufgetakelten Frau stand, die ihn für sechstausend für sich gewonnen hatte. „Kein Spiel, Earl, aber keine Angst. Es passiert Ihnen nichts. Eine Sitte, nichts weiter. Es gibt hier keine Hotels oder Lokale. Um irgendwo schlafen zu können, brauchen Sie einen Gastgeber. Die Leute sind hier eben so. Sie wohnen bei dem, der das meiste für Sie bietet. Alles, was man dafür von Ihnen verlangt, ist ein bißchen Unterhaltung."

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Dumarest begriff. Eine aus der Langeweile geborene Sitte, aus Langeweile, wie sie ihm förmlich entgegenschlug. Menschen, die im Luxus lebten und nicht wußten, wohin mit ihrer Zeit. Dieses Bild gewann der kosmische Vagabund von den Bewohnern Aths, als sie damit begannen, für ihn zu bieten. Zwei Frauen fingen an, sich zu streiten. Unter wüsten Beschimpfungen gingen sie aufeinander los, als keine sich davon abhalten ließ, immer höhere Summen zu bieten. Dumarest preßte die Zähne aufeinander und sah die Fremde. Sie stand am Rand einer der näheren Terrassen, eine große, schlanke Frau mit rotgolden schimmerndem Haar. Nur das Licht der Scheinwerfer erhe llte ihr Gesicht. Sie war völlig anders als die Zirkusfiguren um ihn herum. Ihre Züge waren streng, die Miene verschlossen. Sie trug lange Hosen und eine weiße Bluse. „Fünfzehn!" hörte er und wurde durch eine junge Frau abgelenkt, die er vorher nicht in der Menge bemerkt hatte. „Ursula ...", flüsterte jemand. „Ich würde es als persönlichen Affront gegen mich werten, sollte jemand weiterbieten." Die Stimme war drohend. „Myrna? Nein, du würdest es nicht wagen. Glissa? Auch du bist zu vernünftig, Cheryl?" Einen Augenblick war Stille. Dann sagte die Fremde: „Nun, Earl Dumarest, es sieht so aus, als ob Sie jetzt mein Gast sein sollten." Dumarest suchte die Terrasse ab, auf der er die dunkle Gestalt gesehen hatte. Sie war verschwunden. Sie hatte etwas Geheimnisvolles an sich. Dumarest fühlte sich an Geschichten erinnert, Märchen und Fabeln, in denen von Feen und Zauberinnen die Rede gewesen war, als er ihr nun einen engen Weg zwischen Büschen und Bäumen hindurch folgte. „Mylady?" fragte er, als sie plötzlich stehenblieb und ihn von oben bis unten musterte. Sanfte Schatten hatten sich auf das Blau ihrer Lippen und Haare gelegt und tauchten ihr schönes Gesicht in ein unwirkliches Licht. „Wohin gehen wir?"

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„Zu meinem Haus - wohin sonst?" „Und dann?" „Werden Sie mich unterhalten können, Earl." Dumarest fragte sich, worin diese Unterhaltung bestehen sollte. Der Begriff ließ viele Deutungen zu, aber er folgte der Fremden, als sie sich wieder umdrehte und den Pfad weiter hinaufstieg. Das Haus war wie die Frau. Blau und Silber herrschten überall vor. Große Torbögen führten von einem Raum in den anderen. Die Wände bestanden aus poliertem Stein. Dumarest sah große Tische mit unbekannten Symbolen darauf. Der Boden war ein einziges Mosaik. Das Licht drang indirekt aus verborgenen Quellen. In Glasvitrinen schienen kleine Geschöpfe eingefroren zu sein - mitten in der Bewegung erstarrt. Die Einrichtung war mehr als eigenwillig. Einmal kam Dumarest an einer Art Werkbank vorbei, auf der sich mehrere Töpfe und eine Masse befanden, wie sie ein Bildhauer zum Formen seiner Skulpturen verwendete, daneben eine Drehscheibe. „Ihr Hobby, Mylady?" fragte Dumarest. „Mein Name ist Ursula, Earl. Warum so formal? Sie sind Gast." Sie legte ihre Finger auf die Scheibe. „Ein Hobby, ja. Ich hatte Spaß daran, Töpfe zu gestalten, aber nun langweilt es mich." Sie führte ihn weiter durch die Räume. Er fragte sich, wie viele Hobbys dieser Art sie sich zugelegt hatte, um ihrer Langeweile zu entgehen, bis sie die neuen Beschäftigungen ebenfalls leid war. „Sie schwimmen gern, Earl?" „Ja." „Und tanzen? Tanzen Sie gerne?" Sie lächelte, als er den Kopf schüttelte. „Dann kämpfen Sie?" „Gehört das zu den Pflichten eines Gastes?" „Ein Gast hat bei uns keine Pflichten, Earl. Man erwartet nur Unterhaltung von ihm, das ist alles. Ich zeige Ihnen jetzt Ihr Zimmer, und sicher wollen Sie ein Bad nehmen."

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Der Raum war riesig. Auch hier waren alle Möbel blau oder silberfarben. Irgendwie wirkte er kalt. Anders das Bad. Die Wände bestanden fast ganz aus Spiegeln, und die Wanne war in den Boden eingelassen. Heißes Wasser strömte ein, als Dumarest sich auszog. Er dachte über das Haus und seine seltsame Gastgeberin nach. Es gab so vieles, was ihm widersprüchlich erschien. Es gab offensichtlich keine Diener, und die Frau hatte keinen Mann. Wer so aussah wie sie, hätte Dutzende an jedem Finger haben können. Warum wollte sie allein leben? Warum hatte sie dann dennoch soviel für ihn geboten? Warum war sie so süchtig nach Unterhaltung? Zurück im ihm angewiesenen Raum, ließ Dumarest sich auf das breite Doppelbett fallen. Der Bezug und die Kissen waren ebenfalls blau. Blaues Licht, eine blaue Frau, blaue Wände... Nach einer Weile stand Dumarest auf und sah durch eines der nach oben bogenförmig zulaufenden großen Fenster. Die Sterne standen am Himmel und spiegelten sich im See. Sie standen viel zu eng beieinander, um jene sein zu können, die er als Kind auf der Erde gesehen hatte. „Nachdenklich, Earl?" Ursula war eingetreten, ohne daß er es bemerkt hatte. „Sie denken an sie - an Sardia del Naeem?" „Nicht an sie." „Woran denn?" Eine Spur von Ungeduld schwang in Ursulas Stimme mit, als sie zu ihm trat und eine Hand auf seinen Arm legte. „Wir haben noch Zeit bis zum Diner, Earl. Erzählen Sie mir von sich. Unterhalten Sie mich." „Diner?" „Natürlich. Wir sind keine Wilden hier auf Ath. Sie werden Leute kennenlernen und alte Bekannte wiedertreffen. Diese Frau, den Kapitän, vielleicht auch den Navigator." Ursula zuckte die Schultern. „Vielleicht auch nicht. Wir haben ihn oft genug erlebt, um..." Sie ließ den Satz unvollendet. „Anders hingegen Tuvey. Er hat etwas Gewisses an sich, aber lassen wir das. Zu Ihnen, Earl. Warum kamen Sie nach Ath?"

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„Weil ich etwas suche und zu finden hoffte. Eine Welt mit einem ähnlichen Namen, die Erde - Earth." „Die Erde?" Dumarest wartete auf ihr Lachen, doch Ursulas Gesicht blieb ernst. „Vielleicht kenne ich sie." Dumarest fühlte, wie sich ihm der Magen zusammenzog. Nur mit Mühe konnte er sich unter Kontrolle halten. Sollte seine Hoffnung doch nicht ganz umsonst gewesen sein? Wieder versuchte er, Belustigung in den Augen der Frau zu erkennen, einen Hinweis dafür, daß sie mit ihm spielte, aber sie blieb weiterhin ernst. „Ich muß es wissen! Kennen Sie sie?" Diesmal lächelte Ursula. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet. „Die Erde", murmelte sie. „Astronomisches Zeichen ist ein Kreuz in einem Kreis. Sie ist der dritte Planet ihrer Sonne." Es überlief Dumarest heiß und kalt, als sie fortfuhr und die exakten Daten des Planeten aufzählte - Äquatordurchmesser, Masse, Zusammensetzung der Atmosphäre. Er starrte Ursula immer noch fassungslos an, als sie abwinkte. „Das ist genug. Daten langweilen mich. Aber es stimmt, Earl - ich kenne die Erde."

* Es roch nach Öl und Spiritus, nach Farbe und Holz. „Es ist schwer", sagte Cornelius, „so furchtbar schwer. Am Anfang steht die Idee, ein Konzept, ein Bild im Kopf. Es nimmt Konturen an, man weiß, was man ausdrücken möchte und kann es nicht erwarten, die Gefühle und Vorstellungen auf die Leinwand zu bringen. Man will etwas schaffen, mit dem man kommunizieren kann, in dem man sich wiedererkennt. Etwas, das lebt." „Ich kenne dieses Gefühl", sagte Sardia, während sie sich immer noch im Atelier umsah. Cornelius sah sie zweifelnd, fast eingeschüchtert an.

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„Glauben Sie? Es gibt wenige Menschen, die dies wirklich verstehen können. Sie glauben, daß es genügt, Farben auf die Leinwand zu bringen und gewisse ästhetische Form- und Farbelemente zu beherrschen. Sie wissen nichts über diesen furchtbaren Drang, alles Gefühl in ein Bild hineinlegen zu müssen. Niemand kennt die Qualen eines Malers, der daran scheitert." Sardia kannte sie - nicht die Qualen eines Malers, aber die eines Menschen, der sich mit Hilfe der Kunst zu veräußern suchte, immer und immer wieder. Und Tanzen war eine Kunst. „Ich weiß", sagte sie kaum hörbar. Cornelius nickte langsam. „Ja, ich glaube, daß Sie es wirklich verstehen. Es ist, als ob man ein Kind zur Welt brächte. Alles Kreative ist ein Akt der Geburt." Schweigen. Sardia konnte ihre Blicke nicht von den überall herumstehenden Bildern lösen. Cornelius schien sein anfängliches Mißtrauen abgelegt zu haben - ein sensibler, immer an sich selbst zweifelnder Mann, der die Faszination auf ihrem Gesicht sah. Nun stand sie vor dem „Gekreuzigten Mann" und betrachtete das Werk lange. „Es gefällt Ihnen?" fragte er. „Es ist großartig!" „Unfertig!" Cornelius winkte ab. „Unfertig und leer!" „Sie scherzen! Das Bild ist großartig:" Cornelius lächelte. Ja, diese Frau verstand etwas von Kunst. Er glaubte ihr sogar, daß sie von dem Bild fasziniert war, obwohl er wußte, daß sie in erster Linie des Geschäfts wegen bei ihm war. Aber im Augenblick genoß er ihre Bewunderung. Sie unterhielten sich. Sardia spürte die Besessenheit dieses Mannes, konnte sich in die Euphorien und die Qualen hineinversetzen, die er zu empfinden imstande war. Kreative Besessenheit, ohne die kein Künstler etwas wirklich Großes schaffen konnte, und die ihn sein Leben lang beherrschte.

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So wie Dumarest von der Idee beherrscht wurde, die Erde zu finden. Eine Herausforderung. Ein Bild, das vollendet sein mußte - ein Planet, der gefunden werden mußte. Wo war der Unterschied? Sardia hörte, wie Cornelius sie rief. Sie lächelte gezwungen. Weshalb mußte sie jetzt an Dumarest und die Erde denken? Daran, wie schnell seine Besessenheit im Tod enden konnte? Sie hatte gefunden, wonach sie suchte. Wieso konnte sie nicht froh darüber sein?

7. Das Diner sollte um Mitternacht beginnen. Dumarest stand kurz vorher noch mit Ursula auf einem Balkon. Im Haus versammelten sich bereits die Gäste und warteten. Dumarest hatte nur den einen Gedanken: Diese Welt war nicht die, die er insgeheim zu finden gehofft hatte, aber diese Frau an seiner Seite kannte ihr Geheimnis. Er mußte es von ihr erfahren, mußte an die Koordinaten der Erde gelangen. Ursula war schön, das Idealbild einer Frau, aber im Augenblick sah der kosmische Vagabund in ihr nur einen lebenden Datenspeicher, die Person, die seine lange Odyssee vielleicht endgültig beenden konnte. Doch er wüßte, daß er nichts überstürzen durfte. Er mußte Ursula dazu bringen, ihm die gewünschten Auskünfte von sich aus zu geben. Sie war stolz. Nichts war gewonnen, wenn sie das Gefühl bekam, ihn in der Hand zu haben, ihn von sich abhängig machen zu können. So unterhielt er sich mit ihr über alle möglichen Dinge, über Ath und die Stadt, und wechselte sofort das Thema, wenn er merkte, daß er sie mit seinen Fragen langweilte.

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„Seltsam", sagte er, als 6r sich über die Brüstung des Balkons lehnte und den Nachthimmel betrachtete. „An dieser Stelle der Rinne sind die Sterne weniger dicht beieinander als normalerweise, und die mörderischen Energien scheinen überhaupt nicht vorhanden zu sein. Ath liegt in einer sehr ruhigen Zone. Auf anderen Welten gibt es keine Nächte wie diese. Der Himmel ist voller Farben. Es sind majestätische Bilder. Zekiah oder Schwitz, dort fühlt man sich der Schöpfung näher als an irgendeinem anderen mir bekannten Ort, obwohl die Strahlung im Weltraum tödlich ist. Sie sollten einmal eine dieser Welten besuchen." „Nein", sagte Ursula entschieden. „Niemand von uns verläßt Ath." „Niemals?" Dumarest sah sie ungläubig an. „Niemals." Bisher hatte sie nichts davon erwähnt, sondern sich in ihrem Hunger nach Unterhaltung nur von ihm über seine Abenteuer auf fernen Planeten erzählen lassen. Dabei hatten ihre Augen geleuchtet. Sie war fasziniert gewesen, und nun schien es gerade so, als hätte sie Angst vor dem Weltraum. Warum? Dumarest sah sich in seinem ersten Eindruck bestätigt. Die Bewohner von Ath - falls sie alle so waren wie Ursula - führten ein Leben in Langeweile. Sie brauchten das Exotische, um sich daran zu berauschen, an dem, was sie vielleicht fürchteten. In gewisser Weise war Ursula ein Kind - aber auch eine Frau mit allen Sehnsüchten und Begierden. Dumarest hatte es gemerkt, als sie ihn immer wieder angesehen hatte, und er merkte es nun. „Earl", sagte sie, während die anderen im Speiseraum bereits ungeduldig wurden. „Auf alle diesen Welten, die Sie besucht haben - sicher gab es dort Frauen - ich meine Frauen, die Sie kennenlernten." „Einige."

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„Und Sie haben sie geliebt?" Sie lächelte, als er keine Antwort gab. „Sie sind diskret, Earl. Ihr Schweigen sagt alles. Aber war eine von ihnen wie ich?" „Nein." Dumarest drehte sich zu ihr um und sah ihr in die Augen. „Keine war wie Sie. Vielleicht sind Sie die ungewöhnlichste Frau, die ich jemals kennenlernte." Als er den zweifelnden Gesichtsausdruck sah und die eigenen Worte wie leere Phrasen in den Ohren klingen hörte, fügte er hinzu: „Es ist wahr, Ursula. Auf vielen Welten wären Sie Königin, gehaßt und geliebt. Gehaßt von den Frauen und geliebt von den Männern." Er nahm ihre Hand und führte sie an seine Lippen. Ursula sah ihn sekundenlang wie erstarrt an, dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte laut. Es war das Lachen eines Menschen, der vor sich selbst auf der Flucht war, der Angst vor etwas hatte, das unaufhaltsam auf ihn zukam - Angst vor sich selbst.„Earl, Sie sind unbezahlbar!" „Nicht ganz. Sie bezahlten gut für mich. Fünfzehntausend." „Das kommt der Allgemeinheit zugute", sagte sie immer noch lachend. „Eine alte Sitte, die noch auf Garnar zurückgeht. Er ist tot, aber seine Arbeit wird von uns fortgeführt." Garnar. Dumarest hatte den Namen bereits einmal gehört. Und einen anderen Namen. Schatten der Vergangenheit, vielleicht einer von den Bewohnern von Ath unbewältigten Vergangenheit. Dumarest stellte eine direkte Frage: „Wer sind die Ohrm?" „Was?" Ursulas Lachen erstarb augenblicklich. „Die Ohrm.. Sie selbst erwähnten sie vorhin beiläufig." Er zeigte auf die Stadt. „Als Sie davon sprachen, wie Sie die vollkommene Harmonie geschaffen hätten oder schaffen wollten." „Sie sind jene ...", murmelte sie zögernd, „jene, die uns dienen." „Eine andere Rasse?"

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„Nein, sie sind wie wir - Menschen. Der Name ist von Francis Ohrm abgeleitet, dem Mann, der zum Sprecher der Passagiere gewählt worden war, die mit der Choudhury nach Ath flogen. Wir sind die Choud. Die Ohrm sind jene, die für uns arbeiten. Wir verwalten und kontrollieren unsere Welt." „Diener oder Sklaven?" fragte Dumarest. „Sie dienen. Sie haben es getan, solange wir zurückdenken können. Sie bebauen das Land und tun all das, was nötig ist, um die Zivilisation, die Kultur der Choud zu erhalten." Ursula schüttelte den Kopf. „Nein, es war einmal anders. Sie waren nicht immer unsere Diener. Nach der Landung der Choudhury kam es zu einem Streit. Die Mehrheit war gegen Francis Ohrm, aber er wollte sich nicht beugen. Er wurde entmachtet und bestraft, aber auch nach seinem Tode lebte sein Name fort. Jene, die ihm gehorcht und gegen uns gekämpft hatten, wurden die Ohrm." Ursula schien dankbar zu sein, als eine Glocke schlug und alle Teilnehmer am Diner zu Tisch bat. Die Unterhaltung war ihr sichtlich unangenehm geworden. „Es wird Zeit für uns, Earl." Wie Dumarest es nicht anders erwarten konnte, dominierten auch im Speiseraum die Farben Blau und Silber. Ursula führte ihren Gast zu den bereits längere Zeit Versammelten, um ihn vorzustellen. Doch bevor die beiden die kleine Gruppe erreichten, löste sich eine Gestalt daraus: Sardia del Naeem. „Earl!" Sardia lachte ihn an. Sie freute sich wie ein Kind, als sie einem Mann zuwinkte, der ihr nur zögernd folgte. „Earl, das ist Cornelius, der Maler, den wir suchten. Cornelius, das ist Earl Dumarest, ein guter Freund." „Sardia hat mir von Ihnen erzählt", sagte Cornelius, als er Dumarest zögernd die Hand reichte. „Ich hoffe, daß auch wir Freunde werden." Cornelius sah Tuvey, der jetzt auf sie zukam. „Kapitän, ich muß Ihnen noch einmal für meinen Gast danken."

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Dumarest fiel sofort auf, daß Tuveys Schulter leer war. Der Raumfahrer bemerkte den Blick und lächelte. „Borol ist im Schiff geblieben. Er ist etwas scheu." „Und das ist gut so", sagte die Frau, die den Kapitän ersteigert hatte. Sie sah wie verwandelt aus, jünger und frischer. „Ich habe dich als Gast, Lon Tuvey, nicht das Biest. Sollte es mir eines Tages gelingen, dich für immer zu bekommen, wirst du ihm ohnehin Lebewohl sagen müssen." „Aber sicher, Etallia", entgegnete der Kapitän zwinkernd. „Alles, wenn der Preis stimmt." „Geld!" rief die Frau in gespieltem Zorn. „Das ist alles, was du kennst. In deinen Adern fließt kein Blut, sondern Geld!" „Sie hat recht", zischte Sardia, als das seltsame Paar sich entfernte. „Er ist nicht nur gierig nach Geld, er ist ein Bastard. Er tut alles dafür. Ich fragte ihn nach der Passage zurück nach Juba, und er lachte nur. Geld, sagte er, dann ist alles in Ordnung. Und ich bin sicher, daß nur er die Koordinaten von Ath kennt. Es gibt keine anderen Schiffe, mit denen wir zurückfliegen können. Er hat das Monopol für diese Welt. Außer der Sivas gab es bisher nur die Mbotia, die dann und wann hier landete, aber das ist lange her. Sie scheint verschollen zu sein. Jedenfalls gibt es für uns nur eine Rückkehr mit der Sivas - oder gar keine. Er hat uns in der Hand, Earl, so oder so. Wenn ich mein Geschäft machen will, bin ich auf ihn angewiesen. Um neue Bilder von Cornelius zu bekommen, muß ich immer wieder hierher zurückkommen. Er fliegt nicht in den Weltraum." Dumarest verstand. Er beobachtete den Maler, der sich jetzt mit einem anderen Gast unterhielt, und flüsterte Sardia zu: „Du mußt ihn dazu bringen, an Bord zu gehen. Alles Weitere findet sich dann schon." „Ich kann es nur versuchen, Earl!" Und sie würde es tun. Dumarest war sicher, daß sie all ihren Charme aufbringen würde, um ein Netz um Cornelius zu

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spinnen, ihn an sich zu fesseln, bis er alles tat, nur um sie zu halten. Cornelius war schon jetzt von ihr fasziniert, und es brauchte nur etwas Zeit, um ihn ihr hörig zu machen. Dumarest fragte sich plötzlich, ob es ihm etwas ausmachen würde, wenn er die beiden Seite an Seite sehen und sich nachts mit dem Gedanken vertraut machen müßte, daß Sardia mit Cornelius im Bett lag und ihn liebte. Liebe als Mittel zum Zweck. Konnte er sie denn wirklich dafür verurteilen, wenn er genau das gleiche tat, um die Koordinaten der Erde zu erfahren? „Cornelius ist bereit, mir seine Werke zum Verkauf zu überlassen", flüsterte Sardia. „Alles Weitere wird davon abhängen, ob ich Zeit genug habe, ihn zu beeinflussen, bevor Tuvey startet. Ansonsten werden wir vielleicht Monate warten müssen, bis er wieder hier landet, vielleicht auch Jahre." Monate oder Jahre - Zeit genug für Dumarests Feinde, seinen neuen Aufenthaltsort zu ermitteln. Zeit für den Cy-Clan, ihm eine Falle zu stellen, aus der es diesmal kein Entkommen geben würde. Der Tisch war hufeisenförmig, so daß sich alle Anwesenden in die Augen sehen konnten. Der Boden im freien Raum in der Mitte war von feinem, sich in der Höhe verlierendem farbigen Nebel bedeckt. „Eine Idee von Debayo", erklärte Ursula. „Er gestaltete den Raum, bevor er sich zurückzog, um in innerer Einkehr und im Kontakt mit den Toten zu leben. Jetzt kauert er nur noch vor Hury herum und wartet auf Eingebungen. Glaubst du, daß Tote den Lebenden erscheinen können, Earl?" Dumarest störte sich nicht an der plötzlich vertraulichen Anrede. „Auf einigen Welten vielleicht", sagte er ausweichend und dachte dabei an Zakym, wo die Toten bei Delusia lebendig wurden. Irgend jemand fing den Ball auf und philosophierte über Mittel und Wege, durch parapsychische Fähigkeiten den Kontakt herzustellen. Andere widersprachen. Bald war das Gespräch in

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vollem Gange Dumarest lehnte sich zurück und betrachtete die Gäste der Reihe nach. Sie waren nicht mehr so verrückt gekleidet wie auf dem Raumhafen, aber immer noch wirkte selbst Sardias phantasievollstes Kleid unscheinbar gegen ihre Gewänder. Das also waren die Beherrscher dieses Planeten, die Degenerierten, jene, die sich um nichts zu kümmern hatten als ihre Langeweile und wie man sie totschlug, während andere die Arbeit für sie machten. Dumarest fühlte sich unwohl, und doch wußte er, daß er sich mit diesen Menschen - zumindest mit Ursula - zu arrangieren hatte, wollte er die Koordinaten der Erde erhalten. Er begegnete Sardias Blick und wußte, daß es ihr im Grunde ebenso ging wie ihm. Einer der Diener, die vor wenigen Minuten erstmals in Erscheinung getreten waren, füllte ihr Glas mit neuem Wein. Vom ersten Augenblick an hatten sie Dumarest Rätsel aufgegeben. Sie waren klein und wirkten irgendwie unfertig, bewegten sich fast lautlos und übertrieben elegant, schwebten wie dienstbare Geister so unauffällig wie möglich zwischen ihren Herren umher. Dumarest konnte nicht sagen, ob es sich um Jungen oder Mädchen handelte. Er mußte an die Frau denken, die er kurz auf der Terrasse gesehen hatte. Sie paßte nicht zu den Choud, aber ebensowenig hatte sie mit diesen Geschöpfen zu tun, die alle wie aus einem Guß gemacht wirkten. Was ging auf Ath wirklich vor? Waren die Diener das Ergebnis genetischer Manipulationen? Gab es neben den Choud und den Ohrm noch eine dritte Gruppe auf Ath? Dumarest trank seinen Pokal aus und ließ sich neuen Wein einschenken, wobei ihn der Arm des Bediensteten streifte. Es war, als ob sich unter dem blauen Gewand nur Knochen verbargen. Dumarest sah in große, leere Augen. Junge oder Mädchen? Oder gar erwachsene Wesen, deren Entwicklung durch genetische Manipulation gebremst worden war? Besaßen diese Geschöpfe überhaupt ein Geschlecht? „Schmeckt dir der Wein, Earl?" fragte Ursula.

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„Er ist gut", sagte er und trank. Ein weiterer Gang wurde gereicht. Dumarest aß und genoß die Stille. Er hatte so viele Fragen auf den Lippen, doch alles, was er um sich herum hörte, waren belanglose Phrasen. Er paßte nicht in diese Gesellschaft. Schließlich, als die Gedecke abgeräumt worden waren, begann der Unterhaltungsteil des Abends. Auch dieser unterschied sich von allem, was Dumarest bisher kennengelernt hatte. Keine Musiker traten auf, keine Zauberkünstler oder Poeten. Statt dessen erhob sich ein Mann und begab sich in den vom Boden aufsteigenden Nebel. Als er zu singen begann, war Dumarest nahe daran, sich die Ohren zuzuhalten. Dem Mann folgte eine Frau, die ein furchtbar klingendes Instrument spielte. Es war grausam, doch es kam noch schlimmer. Zwei Männer standen auf und begannen, sich im Nebel mit Schwertern zu bekämpfen, mit denen man kaum hätte Butter schneiden können. Sardia lachte, als sie wie wild aufeinander losgingen. Alles war zu naiv, wie das Spiel kleiner Kinder. Und diese Menschen beherrschten ein Paradies wie Ath. Mehr denn je fragte sich Dumarest, wer die Ohrm waren und wie die Choud es schafften, sie unter Kontrolle zu halten. Worin bestand das Geheimnis ihrer Macht? Sardia hörte auf zu lachen. Sie saß Dumarest genau gegenüber und hatte inzwischen reichlich getrunken. „Sieh dir die Figuren an, Earl!" rief sie ihm zu. „Jede Wette, daß du sie beide mit einem Arm erledigen kannst! Sieh sie dir an, Earl!" Sie begann zu kichern. „Sie wollen ihr Vergnügen haben. Gib es ihnen! Zeig ihnen, wie richtiges Blut aussieht! Mach's wie im Ring auf Juba! Zeig es ihnen!" „Sardia!" „Laß mich!" Sardia schüttelte Cornelius' Hand ab. „Versuche nicht mir zu sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ich kann es nicht mehr hören, all diese leeren Worte, mit denen ihr euch zu beweisen versucht, daß ihr überhaupt existiert. Wozu braucht ihr sonst Unterhaltung? Dies", sie zeigte auf die immer noch

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Kämpfenden, „ist gar nichts. Ihr wollt doch einen Nervenkitzel, oder? Earl kann ihn euch geben." Sie sah Dumarest auffordernd an. Ein seltsames Feuer brannte in ihren Augen. „Zeig's ihnen, Earl! Cornelius, Earl kann kämpfen, wirklich kämpfen. Ich habe es gesehen. Er kämpft so gut, wie ich tanze." Ursula hatte sich in ihrem Sessel aufgerichtet und starrte die Rivalin haßerfüllt an. „Tanzen?" fragte sie. „Sie können tanzen?" „Natürlich kann ich es! Man liegt mir zu Füßen, man ..." Sardia schien plötzlich zu merken, wie dumm sie sich verhielt. „Es tut mir leid", sagte sie leise. „Ich wollte niemanden beleidigen." Aber es war bereits zu spät. Etallia, die „Gastgeberin" des Kapitäns, fing den Ball auf. „Wenn Sie eine so gute Tänzerin sind, dann bieten Sie uns etwas. Tanzen Sie!" „Nein!" beteuerte Sardia. „Es ist nur der Wein. Er ..." „... löste Ihre Zunge, mein Kind. Nun tanzen Sie! Wir wollen etwas sehen! Tanzen Sie! Zeigen Sie uns Ihre Kunst!" Etallia wehrte Tuveys Einwand ab, daß Sardia nur zuviel getrunken habe. Sie beugte sich über den Tisch und sagte: „Ursula ist die beste Tänzerin auf Ath. Zeigen Sie, daß Sie besser sind." Und Sardia ging in die Falle. Ursula saß neben Earl, neben dem Mann, den sie für viel zu kurze Zeit für sich gehabt hatte. Ursula - die Frau, die ihr den Mann streitig machte, den sie begehrte. Sardia stand abrupt auf. „Ich tanze gegen sie", verkündete die Frau von Tonge. „Wenn sie annimmt." „Und ob ich das tue!" Ursula hatte sich ebenfalls erhoben. Dumarest wollte auffahren und den beiden Frauen zuschreien, vernünftig zu sein, doch dann sah er ihre Augen und wußte, daß es keinen Sinn mehr haben würde. Sardia war dabei, alles aufs Spiel zu setzen, was er und sie sich erhofft hatten.

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8. Für Sardia war es mehr als eine persönliche Herausforderung, mehr als der Zwang, beweisen zu müssen, daß sie besser war als Ursula. Beide Frauen tanzten gleichzeitig, und mit jeder Minute geriet Sardia immer tiefer in eine so lange nicht mehr gekannte Ekstase. Ursula hatte von vornherein keine Chance gegen sie. Sardia verschmolz mit den Rhythmen, und die Umwelt verschwand für sie. Die Blicke der Tafelgäste hingen voller Bewunderung an ihrem Körper. Dumarest sah es mit Besorgnis. Warum mußte Sardia so töricht sein? In Ursula würde sie für alle Zeiten einen Todfeind haben -einen sehr gefährlichen Todfeind. Ursula tanzte gut, sehr gut sogar, aber Sardia war phänomenal. So mußten sie all die Tausende gesehen haben, die ihr vor Jahren zu Füßen gelegen hatten. Das Tempo steigerte sich, und wie eine zuckende Flamme bewegte Sardia sich im Nebel. Sie hatte alles vergessen, alles... „Schluß jetzt!" schrie Dumarest plötzlich, von unbändigem Zorn gepackt. Sardia wollte die Rivalin fertigmachen. Mit diesem Vorsatz war sie in den Nebel gestiegen. Sie benahm sich so dumm! Earl brauchte Ursula - eine Ursula, die nicht mit dem Messer hinter dem Rücken auf ihn wartete. Dumarest schrie wieder. Die Musik erstarb, als er über den Tisch in den Nebel hineinsprang. Ursulas Blicke folgte ihm, als er Sardia am Arm riß und sie heftig durchschüttelte. Ursulas Gesicht war wie aus Eis - hart, kalt, häßlich im Zorn und voller Tränen. Wie sehr mochte sie sich gedemütigt fühlen.

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„Earl..." Sardia schien aus einem Traum zu erwachen. „Du Hexe! Du wußtest genau, daß du ihr überlegen sein würdest. Du brauchst dir nichts darauf einzubilden. Mit der Ausbildung, die du hattest, wäre Ursula eine mindestens ebenso gute Tänzerin wie du." So leise, daß kein anderer es hören konnte, zischte er ihr zu: „Verdammt, du hättest ihr wenigstens eine Chance geben können, du hättest sie besser aussehen lassen können!" „Ha!" Sardia lachte schrill. „Du redest von Mitleid? Ausgerechnet du? Wenn ich kämpfe, dann bis zum letzten - ebenso wie du!" Dumarest sah ihr in die Augen und fühlte sich zwischen widersprüchlichen Gefühlen hin und her gerissen. In ihrem Zorn war Sardia noch schöner als sonst. Sie war zu alt für eine Tänzerin auf den großen Bühnen der unzähligen Welten der Rinne, aber gerade in jenem Alter, in dem eine Frau erst wirklich schön wurde -schön und begehrenswert. Mehr als jemals zuvor spürte Dumarest ausgerechnet jetzt dieses Begehren in sich aufsteigen, und er wußte, daß er sie haben konnte, jetzt, morgen - für immer, wenn er wollte. Aber es war Ursula, die die Erde kannte.

* Sie war einfach weggerannt wie ein verwundetes Tier, das einen stillen, dunklen Platz suchte. Dumarest ging durch die Tür, durch die sie verschwunden war, und erreichte bald einen kleinen Garten. Er suchte den Boden nach Spuren ab und fand sie. Sie führten vom schmalen Pfad genau auf eine Buschgruppe zu. Dumarest konnte sich nicht vorstellen, daß Ursula in ihren kostbaren Kleidern blindlings ins Dickicht gelaufen war, aber wer dann? Noch einmal untersuchte Dumarest die Spuren, und nun konnte er feststellen, daß sie nicht von einer einzigen Person stammten.

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Einige Abdrücke waren tiefer in den Boden getreten als die anderen. Er suchte den Boden ringsherum ab und fand die Stelle, wo die beiden Spuren auseinandergingen. Eine führte vom Rand dieser Terrasse direkt hierher, die andere kam aus der Richtung des Hauses. Noch einmal kehrte Dumarest dorthin zurück, wo die Spur sich vereinte. Die Büsche. Dumarest folgte der Spur, die in sie hinein führte. Und tatsächlich entdeckte er nach kurzer Zeit einen kleinen, blauen Kleiderfetzen, aus dem Ursulas Gewand gemacht war. Sie mußte also hier gewesen sein. Also war sie doch durch die Büsche gelaufen? ' Dumarest bahnte sich seinen Weg durch das Dickicht und fand sich auf einem zweiten, noch engeren Pfad wieder. Eine Bewegung. Eine Gestalt, in der Dunkelheit nur vage als Schatten zu erkennen. Dumarest reagierte instinktiv. Ein griff zum Stiefel, und das Messer blitzte in seiner Hand. „Ursula?" Nichts. Dumarest zog sich vorsichtig einige Schritte zurück. Falls ein Feind in der Dunkelheit lauerte, hatte er schon eine viel zu gute Zielscheibe abgegeben. Dumarest zog sich in die Büsche zurück, huschte lautlos von einem Baum zum anderen, immer darauf bedacht, in Deckung zu bleiben, das Messer in der Rechten wurfbereit. Jetzt bewegte sich wieder etwas, diesmal genau vor ihm. Dumarest zögerte keinen Augenblick. Er sprang vor und hatte den linken Arm um den Hals des Unbekannten gelegt, bevor dieser überhaupt begriff, was ihm geschah. Ein zappelndes Bündel hinter sich her ziehend, bahnte sich Dumarest den Weg zum Pfad. Und nun, im Licht der Sterne, sah er das Gesicht. Aus weit aufgerissenen Augen starrte das Mädchen in Panik auf die Klinge des Messers. Dumarest erkannte das Mädchen sofort. '

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„Dein Name!" zischte er. Die Spitze des Messers drückte leicht gegen die Kehle des Mädchens, als dieses nicht antwortete. „Deinen Namen will ich wissen!" „Pellia", sagte sie schnell. „Das Messer - bitte nicht!" Dumarest nahm es von ihrem Hals weg. „Ich habe dich schon einmal gesehen, auf der Terrasse, als wir aus dem Schiff stiegen. Du bist eine von den Ohrm, richtig?" Immer noch hielt er den Hals mit dem linken Arm umklammert. Die Fremde zitterte am ganzen Körper. „Ja. Ich gehöre zu ihnen, und du gehörst zu den Choud." „Nein. Warum dient ihr ihnen? Warum warst du auf der Terrasse? Was wolltest du sehen oder auskundschaften?" Wieder schwieg sie. Sie war schön, aber zwischen ihr und den Frauen der Choud schienen ganze Welten zu liegen. Was hatte es mit den Ohrm wirklich auf sich? Was mit den Choud? Dumarest mußte es wissen. Er hob das Messer. „Du... du würdest mich töten? Mich, eine Frau?" „Ich muß wissen, was hier vor sich geht. Wo ist Ursula, die Herrin dieses Hauses? Du hast sie gesehen." „Nein!" „Jemand war in ihrer Nähe. Ich habe die Spuren gesehen. Du?" „Es waren einige von uns, die euch beobachteten, nur das! Sie haben nichts getan, ich schwöre es!" Dumarest war bereit, ihr zu glauben. Sollte Ursula angegriffen worden sein, hätte sie geschrieen. Außerdem gab es keine Spuren eines Kampfes, nur diesen Fetzen ihres Kleides. Einem Impuls folgend, steckte Dumarest das Messer in den Stiefel zurück. Die Fremde atmete auf und sah ihn an. „Du hättest mich töten können." „Ich habe es nicht getan. Ich bin nur zu Besuch auf Ath, und was zwischen euch und den Choud ist, interessiert mich nur soweit, als ich selbst davon betroffen sein könnte. Also. Weshalb beobachtet ihr sie? Warum bist du hier?" „Balain befahl es mir. Er ..."

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Das Mädchen machte einen Schritt zurück und fuhr sich mit der Hand über den Mund. „Du hast mich hereingelegt!" „Du hast geredet", entgegnete Dumarest kühl. „Balain. Ist das euer Führer?" Ihre Augen gaben die Antwort. „Vergiß es. Balain hat dich und deine Freunde also geschickt, um uns zu beobachten. Seine Gründe interessieren mich im Augenblick nicht. Du bist sicher, daß du Ursula nicht gesehen hast?" „Nicht gesehen, aber ich hörte etwas, bevor du kamst. Jemand rannte den Pfad hinauf. Ich glaube, es war eine Frau." Der Pfad führte tatsächlich auf eine Anhöhe. Vielleicht gab es dort einen einsam gelegenen Winkel, in dem Ursula nun saß und sich ihrer gekränkten Eitelkeit hingab, wo sie vielleicht schon ihre Rache an Sardia plante. „Gibt es etwas, wohin sie sich zurückgezogen haben könnte, Pellia? Ist sie deine Herrin?" „Nein!" „Aber du würdest es wissen, falls sie irgendwo dort oben ein Versteck hätte." Dumarest sprach nun mit sanfter Stimme. Das Mädchen war eingeschüchtert, und er brauchte ihre Hilfe. „Ich muß sie finden, Pellia, und zwar schne ll." „Warum fragst du nicht die Choud?" „Ich sagte schon einmal, daß ich auf keiner Seite stehe. Es tut mir leid, daß ich so wie eben mit dir umspringen mußte. Sag mir, wo Ursula sein könnte, und ich vergesse, daß ich dich heute nacht hier gesehen habe. Einverstanden ? " Das Mädchen nickte zögernd. Ihre Stimme klang bitter: „Sie liebt es, von oben auf andere herabzusehen. Sie liebt die Höhe wie alle Choud. Vielleicht brauchen sie es, um ihre Überlegenheit zu beweisen. Du findest sie auf der obersten Terrasse in einem alten, verfallenen Türmchen. Dorthin zieht sie sich zurück, wenn sie ..." Pellia sah Dumarest in die Augen. „Ich habe sie wirklich nicht hier draußen gesehen, aber ich sah, was im Haus vorging. Sie ist verletzt und blind vor Zorn. Ursula

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wird in diesem Moment nur an eines denken - an ihre Rache an der anderen Frau." Ein altes, verfallenes Gemäuer, gespenstisch im Licht der Sterne. Es war kalt darin. Dumarest hatte das Messer immer noch in der Hand, als er vor Ursula stand. „Warum bist du mir gefo lgt? Warum, Earl?" „Weil ich in Sorge war. Ich will dich zurückbringen." „Damit deine Hure ihren Triumph hat?" „Damit sie sich entschuldigen kann. Sie war betrunken, Ursula. Und sie war eifersüchtig. Du darfst sie nicht verurteilen." „Eifersüchtig?" Ursulas Gesicht war im Halbdunkel kaum zu erkennen. „Auf mich?" „Das wundert dich?" Dumarest setzte sich zu ihr. „Du bist jünger als sie. Sie wollte beweisen, daß sie noch begehrenswert ist. Du bist so, wie sie einmal gewesen ist. Kannst du es ihr verübeln, daß sie deprimiert war und die Kontrolle über sich verlor?" „Dieser Tanz!" Ursula schlug die Hände vor die Augen. „Es ist alles, was sie beherrscht. Du solltest sie nicht verurteilen. Was sie braucht, ist Mitleid." „Ich wollte sie töten", flüsterte die Choud. Und er traute es ihr zu. „Sie ist ein Gast der Choud", erinnerte Dumarest. „Und sie wird sich entschuldigen." „Was bedeutete sie dir?" „Wir reisten zusammen. Und wir liebten uns, ja. Warum soll ich dich belügen." „Du liebst sie nicht wirklich, nicht um ihretwillen. Was ist dein Ziel, Earl? Was willst du wirklich?" „Ich reise und suche." „Wonach?" „Du weißt es", sagte Dumarest. „Die Erde", flüsterte Ursula. Dumarest nickte. Dann fragte er:

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„Kennst du die Koordinaten?" „Bitte nicht jetzt, Earl. Sag mir jetzt nur eines. Ich muß es wissen. Findest du mich attraktiver als Sardia? Bitte, sei ehrlich." „Ja“. Und in gewisser Weise stimmte dies sogar. Im nächsten Augenblick lagen sie sich in den Armen. Die plötzliche Leidenschaft schien in krassem Widerspruch zu der Kühle zu stehen, die sonst von Ursula ausging. Zwei eng aneinandergepreßte Körper. Ein Mann und eine Frau, die für viel zu kurze Zeit alles vergessen konnten, was um sie herum vorging. „Ich brauche dich, Earl", flüsterte sie. „Mein Gott, ich brauche dich so sehr." Und er brauchte sie. Nicht wegen ihrer Liebe, sondern wegen des Wissens, das sie besaß. In diesen Augenblicken, als er sie liebte, waren Dumarests Gedanken woanders, weit entfernt, bei einem Planeten namens Erde. Er wußte, daß er Ursula früher oder später verletzen mußte. Urplötzlich rückte die Frau von ihm ab und fuhr in die Höhe. „Was ist los?" fragte Dumarest. „Still!" Sie neigte den Kopf, als ob sie auf irgend etwas lauschte. „Da ist etwas. Hörst du es nicht?" Dumarest folgte ihr zu einer Scharte im Gemäuer, von wo die Stadt und der See zu überblicken waren. Überall bei den Häusern auf den Terrassen flammten Lichter auf. Gestalten waren zu sehen, die auf den Raumhafen zuliefen, andere, die von dort kamen und in wilder Flucht in alle Richtungen davonstoben. Dumarest sah sie nur kurz. Dann wurde er durch einen grellen Lichtblitz geblendet. Wie aus unendlich weiter Ferne hörte er Sardias Stimme, die Stimme eines Menschen in höchster Panik. „Das Schiff! Mein Gott, sie haben die Sivas in die Luft gesprengt!"

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9. Der Lademeister war tot, grausam verstümmelt und kaum noch als Mensch zu erkennen. Der Steward war besser davongekommen. Sein Arm war gebrochen und die Wange versengt. „Ich weiß es nicht", sagte er. „Ich schlief und hörte plötzlich etwas. Ich stand auf und machte mich auf den Weg zum Frachtraum, als es auch schon geschah. Da war ein Blitz, dann ein furchtbares Krachen, dann gar nichts mehr. Wie lange war ich bewußtlos?" Man hatte ihn auf einem Korridor gefunden. Außer ihm und dem Lademeister war zum Zeitpunkt der Katastrophe niemand an Bord gewesen. Alle Besatzungsmitglieder waren wie der Kapitän Gäste der Choud gewesen. „Wir hörten Schüsse aus Lasern", sagte Dumarest. „Vielleicht bin ich dadurch aufgewacht", murmelte der Steward. „Aber gesehen habe ich nichts – nur diesen furchtbaren Blitz." Dumarest nickte nachdenklich. Er sprach dem Mann Mut zu und ging über das Landefeld auf die Sivas zu. Die Verwundeten waren vorläufig in den Kontrollgebäuden untergebracht worden. Das Schiff selbst wies äußerlich nur geringe Beschädigungen auf. Die Schäden im Innern waren weitaus schwerwiegender. „Der Generator ist ruiniert", sagte Sharten, der Maschineningenieur. „Können Sie ihn reparieren?" „Schon, wenn ich die Zeit dazu habe. Möglicherweise brauchen wir Ersatzteile." „Wie lange?" fragte Dumarest.

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„Kann ich noch nicht sagen, aber ich weiß, was ich mit diesen Bastarden anfangen würde, die uns diesen verdammten Streich gespielt haben." „Sabotage?" „Fracht fliegt nicht von allein in die Luft." „Fracht?" Dumarest lachte rauh. „Normale Fracht ganz bestimmt nicht. Sie haben Sprengstoff transportiert." Der Maschinist gab keine Auskunft. Tuvey tauchte auf. „Nun, Kapitän, habe ich recht?" „Verdammt, ja. Das gehört zu meinem Geschäft und geht Sie nichts an. Sie haben für Ihre Passage bezahlt, für nichts anderes. Sharten, was stehen Sie hier herum? An die. Arbeit, Mann!" „Allein?" „Ich schicke Ihnen Renzi. Auch ein Navigator kann sich einmal die Hände schmutzig machen." Schnell sagte Dumarest: „Ich suche ihn. Und Sie irren sich, Kapitän. Ich habe wohl ein Interesse an dem, was hier vor sich ging. Denken Sie daran, daß wir mit der Sivas zurückfliegen wollen. Und noch etwas, Kapitän. Denken Sie daran, daß Sie vielleicht bald schon Hilfe gebrauchen könnten." Eine offene Drohung, doch Tuvey ließ sich nicht beeindrucken. „Gehen Sie und suchen Sie den Bastard, aber schnell!" Renzi saß gemütlich in einem Sessel in einem Haus nahe dem See und ließ sich von exotisch klingender Musik berieseln. Seine Gastgeberin, eine Frau im reifen Alter, saß bei ihm und sah Dumarest nicht gerade freundlich an, als er eintrat. „Tuvey hat Sie geschickt", sagte der Navigator. „Sie sind hier, um mich zu holen, Stimmt’s?" „Stimmt." „Und Sie wundern sich sicher, warum ich nicht längst an Bord des Schiffes bin. Ich weiß alles, wirklich alles." Die Augen des Mannes hatten einen eigentümlichen Glanz. „Ich bin allwissend,

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begreifen Sie? Lathrynne, mein Schatz, gib mir doch bitte die Schachtel." „Du hattest genug, Renzi!" Renzi, der Navigator. Ein Mann, der bisher stets im Hintergrund geblieben war, ein Mann, den es überhaupt nicht zu kümmern schien, was mit der Sivas geschehen war. Die Frau wandte sich an Dumarest. „Er ist momentan etwas abwesend, aber ich habe gesehen, was auf dem Landefeld vorging. Irgendwelche Gestalten tauchten in der Nähe des Schiffes auf. Unsere Wachen sahen sie und eröffneten das Feuer auf die Räuber. Dabei muß es zur Explosion gekommen sein." „Wie viele Tote fand man?" „Tote?" „Der Lademeister starb, aber bei dem Feuergefecht müssen weitere Männer umgekommen oder verwundet worden sein, wenn nicht durch die Laserschüsse, dann durch die Explosion. Wie viele?" „Drei", sagte Lathrynne. „Sie befinden sich in Kältekammern am Rand des Hafens." Sie zögerte. „Wird Renzi wirklich gebraucht?" „Fragen Sie ihn." „Aber nein", lallte der Navigator. „Ich bin dazu da, um den Kurs des Schiffes zu berechnen. Wenn Reparaturen durchgeführt werden müssen, geht mich das nichts an. Liebes, gibst du mir nun die Schachtel?" Lathrynne zögerte. Dumarest schüttelte den Kopf. „Solange Renzi die Befehle des Kapitäns nicht ausführt, bekommt er gar nichts. Es wird sonst eine Menge Ärger geben." „Geh!" sagte Lathrynne plötzlich scharf. „Wenn du weiterhin mein Gast sein willst, dann geh und hilf den anderen!" Renzi starrte sie einen Moment ungläubig an, dann erhob er sich und ging schwankend auf den Ausgang zu. Dumarest schenkte

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der Frau einen dankbaren Blick. Er wußte nicht, was hier gespielt wurde, nur eines stand für ihn fest. Renzi stand unter starker Drogeneinwirkung. Wieder auf dem Weg zum Raumhafen, traf Dumarest Sardia. Er berichtete knapp über die Schäden an der Sivas. Sardia zeigte keine Betroffenheit. Nun hatte sie mehr Zeit für ihr Geschäft mit Cornelius. „Du wirst dich bei Ursula entschuldigen", sagte Dumarest im Gehen, ohne Sardia anzusehen. Als sie heftig protestierte, fluchte der Terraner. „Verdammt, ihr seid beide Dickköpfe! Sie wollte dich töten, und sie wird es tun, wenn du dich nicht entschuldigst. Du hast ein böses Spiel mit ihr getrieben." „Ich entschuldige mich nicht bei dieser durchtriebenen Hexe!" „Willst du Geschäfte machen oder nicht? Ursula und Cornelius sind gut bekannt, vielleicht mehr als das. Vergiß das nicht, wenn du etwas erreichen willst. Spring endlich über deinen Schatten!" „Vielleicht hast du recht, Earl." „Du mußt ja nicht gleich vor ihr auf die Knie fallen. Ich sagte ihr, daß du angetrunken und eifersüchtig warst." Sie blieb abrupt stehen und starrte ihn an. „Wann? Du bist ihr also wirklich nachgelaufen, dieser ... dieser Hexe?" Sardia war rot vor Zorn. „Du verdammter Bastard! Geh doch zu deiner blauen Königin! Geh von mir aus zum Teufel!" Damit lief sie weinend davon. Dumarest machte keine Anstalten, sie zurückzuhalten oder ihr zu folgen. Sie würde sich beruhigen. Im Moment zählte nur die Sivas. Das Schiff mußte wieder in Ordnung gebracht werden. Dumarests Ziel war die Kältekammer mit den drei Toten, von denen Lathrynne berichtet hatte. Er fand Pellia bei ihnen. „Es wird kein schöner Anblick sein", sagte die Ohrm, als er nach der Decke griff, mit der die Leiche links von ihm zugedeckt war. Das Gesicht war nicht mehr zu erkennen. Beide Hände des

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Toten waren abgerissen worden. Der ganze Körper wies Verbrennungen auf. Die nächste Leiche. Es war eine junge Frau, und Pellia schlug die Hände vor die Augen, als Dumarest die Decke hob. Das Mädchen auf der Bahre war auch im Tod noch schön, und sie glich Pellia sehr. Pellia schluchzte leise. „Deine Schwester?" „Ja. Nächsten Monat sollte sie verheiratet werden - mit Heyne." Sie deutete auf die dritte Leiche. Auch Heyne, fast noch ein Junge, wies keine Gesichtsverletzungen auf. Nur der Unterleib war von der Explosion zerschmettert worden, und in der Brust steckte ein langer Metallsplitter. Dumarest legte die Decke wieder über den Toten und fragte Pellia: „Warum taten sie es?" „Was? Ich weiß nicht, was du meinst..." „Komm mir nicht so, Mädchen! Sie war deine Schwester und wird kaum Geheimnisse vor dir gehabt haben. Warum wollten sie das Schiff ausrauben? Was wollten sie stehlen?" „Sie haben nicht geraubt!" „Was hatten sie dann beim Schiff zu suchen?" „Sie... sie wollten es sich ansehen." Dumarest nahm das Mädchen bei den Schultern. „Für wie dumm hältst du mich? Dieser da", er deutete auf den zuerst untersuchten Toten, „hielt etwas in den Händen, das ihm beide Unterarme abgerissen und das Gesicht in Fetzen gerissen hat. Etwas, das explodierte und mit Sicherheit aus der Sivas stammte. Die Verletzungen von Heyne und die Tatsache, daß deine Schwester keine äußeren Verwundungen aufweist, sprechen für sich. Heyne ging dicht neben oder hinter dem anderen, während deine Schwester genau hinter Heyne gestanden haben muß, dessen Körper sie vor der Explosion schützte - leider nicht gut genug, um innere Verletzungen und

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ihren Tod zu verhindern. Drei Menschen, eng beieinander, mit etwas Explosivem, vielleicht Sprengstoff. Das ist weder Zufall noch Unfall, Pellia, und das weißt du." Als sie nicht antwortete, fragte Dumarest mit etwas sanfterer Stimme. „Ich will doch nichts von euch, Mädchen. Ich gehöre nicht zu den Choud. - Mich interessiert nur das Schiff, weil ich es brauche. War es nicht so, daß einige von euch dabei halfen, irgend etwas aus dem Schiff zu holen und wegzuschaffen? Hat euch nicht irgend jemand befohlen, beim Entladen zu helfen? Dann aber müssen mehrere Ohrm beteiligt gewesen sein. Es muß weitere Verletzte gegeben haben, vielleicht auch weitere Tote. Diejenigen, die die Explosion relativ unbeschadet überstanden, nahmen sie mit sich. Ist es so?" „Wir haben außer diesen drei keine Toten", flüsterte Pellia. „Nur Verletzte." „Und die brauchen Hilfe. Habt ihr überhaupt Drogen und Medikamente." „Nein", sagte Pellia bitter. „Nur die Choud haben sie." „Und zu ihnen wollt ihr nicht gehen, weil ihr Angst davor habt, festgehalten und verhört zu werden." Dumarest nickte und nahm die Hände des Mädchens. „Vertraust du mir, Pellia?" „Ich weiß es nicht. Du hast letzte Nacht dein Wort gehalten und mich nicht verraten, aber ..." „Dann schlage ich dir ein Geschäft vor. Ich besorge euch Medikamente und tue, was ich kann, um euren Verletzten zu helfen. Als Gegenleistung verlange ich nur einen Namen." Augenblicklich versteifte sie sich. Dumarest spürte aufkommendes Mißtrauen. „Wessen Namen?" „Den Namen desjenigen, der euch dazu aufforderte, die Sivas zu entladen."

*

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Die Rampe des Schiffes war inzwischen in Ordnung gebracht worden. Dumarest war sicher, daß Pellia ihn beobachtete, irgendwo zwischen den Bäumen der unteren Terrassen versteckt, als er nun die Sivas betrat. Er blieb nur kurz stehen und fuhr mit einem Finger über den Rand eines Bullauges. Schwarzer Staub - solcher, wie er sich infolge einer Explosion von chemischem Sprengstoff absetzte. Auch in der Schleuse roch es nach Pulver. Dumarest begab sich in die oberen, normalerweise nur der Besatzung vorbehaltenen Teile des Schiffes, durchstreifte leere Korridore und öffnete Kabinentüren, bis er den Steward fand, den man inzwischen in die Sivas zurückgebracht hatte. Der transparente Film auf seiner Wange schimmerte leicht im Kunstlicht, und ein Arm war vom Körper weggestreckt. Als Dumarest die Kabine betrat, öffnete der Steward seine Augen. „Earl! Was ... was tun Sie hier?" „Bleiben Sie liegen", sagte Dumarest. „Ich kam, um nach Ihnen zu sehen. Was macht der Arm?" „Er tut verdammt weh." Der Arm war gebrochen und nur provisorisch geschient. „Ich war bewußtlos, als sie mich versorgten. Die Wunde ist sauber, aber sie brennt fürchterlich." „Lassen Sie mich sehen." An der Bruchstelle war die Haut aufgerissen, und das Fleisch trat zum Vorschein. Dumarest drückte leicht darauf, bis der Steward sich vor Schmerzen aufbäumte. Dumarest sah die Angst in den Augen des Mannes. Es gefiel ihm nicht, daß er ihn quälen mußte, aber nur so konnte er an die Medikamente gelangen, die er für die Ohrm brauchte. Die Fleischwunde war harmlos. In wenigen Tagen würde sie verheilt sein, doch das sagte Dumarest nicht. Statt dessen machte er ein besorgtes Gesicht. „Was ist los, Earl? Ich ..." „Sie müssen ruhig bleiben." Er drückte wieder auf den Rand der Wunde. „Es sieht nicht gerade gut aus."

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„Ich werde den Arm verlieren!" schrie der Steward in Panik. „Nur ruhig, Mann. Es ist noch nicht zu spät. Geben Sie mir die Schlüssel zum Medikamentenschrank, und ich werde dies hier in Ordnung bringen. Oder haben Sie Medikamente in der Kabine?" Dumarest fand mehr, als er erwartet hatte. Er entnahm mehrere Ampullen und eine Injektionspistole, mit der er dem Steward Linderung verschaffte. Der Mann sah ihn dankbar an. „Sie glauben, daß dies reichen wird?" „Fürs erste, ja. Sind Renzi oder der Kapitän im Schiff?" „Keine Ahnung. Renzi sollte Sharten helfen, und der Alte hat in der Stadt zu tun. Verdammt, Earl, wir stecken fest. Sharten weiß immer noch nicht, ob wir ohne Ersatzgenerator jemals wieder starten können. Sprechen Sie mit ihm, wenn Sie mehr wissen wollen. Oh, diese Schmerzen! Sind Sie wirklich sicher, alles getan zu haben?" „Ganz sicher. Gleich werden Sie nichts mehr spüren." Dumarest setzte die Injektionsnadel an den Hals des Stewards. Sekunden später schlief der Mann, und er würde lange genug schlafen, um nicht zu früh zu entdecken, daß Dumarest einen großen Teil der Medikamente aus dem Medizinschrank an sich genommen hatte. Dumarest verstaute sie und die Pistole in einigen Tragetaschen und machte sich auf den Weg. Unterwegs traf er Renzi. „Sehen sie bloß zu, daß Sie dem Alten nicht begegnen", sagte der Navigator. „Es ist geladen! Sein widerliches Spielzeug, Borol, ist tot. Ich kann nicht behaupten, daß es mir Leid tut, allerdings ist mir unklar, wie das passieren konnte." „Was?" „Borol fraß sich regelrecht ins Funkgerät. Das Ding hatte wohl Hunger auf Kabel und Elektroden. Jedenfalls muß es einen Kurzschluß verursacht haben und geriet in einen Stromkreis. Mein lieber Freund, wir sind jetzt vollkommen abgeschnitten. Ich kann Ihnen nur raten, sich mit Ihrer Gastgeberin gut zu

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halten. Wie ich es sehe, werden wir verdammt lange auf Ath bleiben müssen ..."

10. Sardia betrachtete das Bild lange. Es war nicht leicht, sich selbst darin zu erkennen. Es war unfertig, und Cornelius war die Unzufriedenheit über das, was er da auf die Leinwand gebracht hatte, während sie ihm nackt Modell gesessen hatte, anzusehen. „Es ist furchtbar!" Seine Hand griff nach einem Messer, um die Leinwand zu zerschneiden. Sardia fiel ihm in den Arm. „Nicht, Cornelius! Warte erst ab. Es ist unfertig, aber ich bin sicher, daß es ein Meisterwerk werden wird. Ich weiß es!" „Kein Künstler im ganzen Universum wäre in der Lage, deine Schönheit wiederzugeben", sagte der Maler. „Du bist wunderschön, Sardia." Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Sie war gekommen, um Geschäfte zu machen. Nun hatte Cornelius sich in sie verliebt. Er brannte vor Verlangen, obwohl er nicht den Mut hatte, es ihr gegenüber zuzugeben. Cornelius war mehr als sensibel. Sardia liebte Dumarest. Würde sie soweit gehen können, sich Cornelius hinzugeben - nur des Geschäfts mit seinen Bildern wegen? Was würde er tun, falls sie sich weigerte? Vielleicht wäre es besser für sie gewesen, sich woanders einzuquartieren, aber alle diesbezüglichen Vorschläge lehnte Cornelius strikt ab. „Du willst von mir weg", sagte er bitter. „Wegen Dumarest?" „Du redest Unsinn, Cornelius. Du denkst zuviel. Die Kunst ist dein Leben." „Ja." Cornelius lachte rauh. „Die Kunst, aber ein Mensch braucht mehr als das. Du willst meine Bilder verkaufen. Du

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sagst, daß ich durch sie reich werden kann. Aber was bedeutet Geld? Kann man sich sein Glück mit ihm erkaufen? Liebe?" Er zog sie an sich. „Sardia, bitte verlaß mich nicht, nicht jetzt!" Ein Kind, das Geborgenheit suchte. Ein einsamer Mann, der Liebe brauchte - Liebe in einer Welt der Langeweile und Degeneration. „Ich verspreche es dir", flüsterte Sardia, von plötzlichem Mitleid gepackt. „Ich bleibe bei dir." „Bis das Schiff wieder starten kann. Und dann?" „Werde ich bald zurückkommen. Aber warum kommst du nicht mit mir? Wir könnten Zusammensein, solange du willst." „Ich kann es nicht. Kein Choud kann Ath verlassen. Ich ..." Cornelius schüttelte verzweifelt den Kopf. „Du wirst es nie verstehen können, aber wir müssen hierbleiben. Doch du - warum kannst du nicht auf Ath bleiben?" „Ich muß Geschäfte machen, um zu überleben, um einen Sinn in mein Leben zu bringen. Ich will dich nicht ausbeuten, sondern werde dafür sorgen, daß deine Kunst auf allen maßgeblichen Welten die Würdigung erhält, die ihr zusteht. Bitte, verstehe mich." „Weißt du, daß Dumarest sich mit den Ohrm abgibt?" fragte Cornelius und wechselte damit abrupt das Thema. „Warum tut er das? Ursula sucht nach ihm. Er vernachlässigt sie und kommt damit den Pflichten eines Gastes nicht nach. Sardia, ich ..." „Still jetzt." Sie fuhr ihm mit einem Finger über die Lippen. Sie wußte nicht, was Earl dazu trieb, sich mit den mysteriösen Ohrm zu beschäftigen, aber sie spürte, daß das Gespräch gefährliche Formen annahm. Unter dem Vorwand, Kopfschmerzen zu haben und Ruhe zu brauchen, zog sie sich zurück. Der Maler saß noch lange vor dem angefangenen Bild. Eine Schönheit, alle Schönheit dieser Welt. Doch was fehlte? Wo war der Schmerz, den er empfand, wo die Qualen, die aus ihm herausdrängten?

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Cornelius nahm Pinsel und Palette und begann zu malen. Er versank in einer unwirklichen Welt.

* Die Siedlung der Ohrm lag weit oben auf den Hügeln über den Terrassen und dem See. Es waren einfache, baufällige Häuser. Dumarest sah hinab auf den Pfad, den er gekommen war, und auf den Lichterglanz der Behausung der Choud, die im Vergleich zu den Hütten der Ohrm Paläste darstellten. Pellia stand neben ihm, ihre Augen voller Dankbarkeit. Dumarest hatte sein Möglichstes getan und konnte nur hoffen, daß die Drogen ihre heilende Wirkung entfalteten. Für vie le der Verletzten bestand keine Hoffnung mehr, aber eines war sicher: Das Gemetzel der Choud würde sein Nachspiel haben. Haß war geschürt worden. Weshalb auch immer die Ohrm zum Landefeld und zur Sivas vorgedrungen waren - die Wachen hatten erbarmungslos zugeschlagen. Noch einmal blickte Dumarest zur Siedlung zurück und dachte an die Männer, deren Gesichter durch Strahlschüsse entstellt worden waren. „Es tut mir leid, Earl", sagte Pellia. „Es war der Lademeister, der ihnen erlaubte, das Schiff zu entladen. Das ist alles, was wir wissen." Ja, dachte Dumarest bitter. Das war das einzige, was er gehört hatte. Aber der Lademeister war tot. Es steckte mehr hinter der Affäre. Eine Gruppe von Ohrm, die Gegenstände aus dem Schiff geholt hatten, Gegenstände, die explodieren konnten. Drei Ohrm waren getötet worden, als sie eine Kiste davontragen wollten und unter Beschuß genommen wurden. Wieviel dieses hochexplosiven Stoffes waren schon vorher in unbekannte Verstecke gewandert? Aber wieso war dann der Generator in die Luft geflogen? Die Explosion hatte angeblich auf dem Landefeld stattgefunden.

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Wer hatte Sabotage begangen, und warum? Wer hatte ein Interesse daran, daß die Sivas nicht mehr starten konnte? „Du weißt, wieviele Kisten ausgeladen wurden, bevor die Wachen auftauchten?" „Nicht genau, Earl, aber es waren mehrere." „Wohin sind sie gebracht worden, Pellia? Ich muß es wissen." „Ich versprach dir, zu sagen, wer unsere Leute kommen ließ, um die Kisten aus dem Schiff zu bringen, nicht mehr." „Der Lademeister hat euch erlaubt, die Kisten in Empfang zu nehmen", erinnerte Dumarest ungehalten. „Aber wer hat euch geschickt? Wer gab den Befehl?" „Das gehört nicht zu unserem Abkommen, Earl. Laß mich los!" „War es Balain?" Dumarest packte das Mädchen fester, dann ließ er ihre Arme los. „Balain hat dich letzte Nacht geschickt, um Ursulas Haus zu beobachten. Ist er euer Führer?" Keine Antwort. Dumarest wußte, daß Pellia nicht mehr reden würde, und machte sich fluchend auf den Weg zurück in die Stadt. Der Pfad war schmal und wand sich einen steilen Abhang hinunter. Es war wieder Nacht. Dumarest ließ sich nichts anmerken, als er das Geräusch hinter einem der Büsche hörte. Er ging etwas langsamer und suchte das Dickicht mit den Augen ab. Eine Biegung. Der Pfad war an dieser Stelle unüberschaubar. Wieder das Geräusch. Irgend jemand oder irgend etwas pirschte sich langsam an ihn heran. Als Dumarest die Biegung erreicht hatte, begann er zu rennen, aber er kam nicht weit. Der Pfad war hier noch steiler als sonst, und Dumarest stolperte über einen Stein. Er fing den Sturz ab und ließ sich einige Meter weit abrollen, sprang auf und hörte die Verfolger. Es waren zwei Männer. Ein weiterer stand auf einer kleinen Anhöhe und ahmte den Ruf eines Vogels nach. Das Signal wurde von weiter unten beantwortet. Sie hatten ihm also aufgelauert, und er wäre in die Falle gelaufen, wenn sie sich nicht selbst verraten hätten. Nun war er gewarnt und konnte sich wehren. Wohin? Zurück konnte er

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nicht, und der Weg zur Stadt war ebenfalls abgeschnitten. Zu beiden Seiten war das Unterholz hier so dicht, daß die Angreifer längst heran sein würden, bevor er darin verschwunden wäre. Und schon hörte er das Sirren in der Luft. Instinktiv warf Dumarest sich zur Seite. Fast im gleichen Augenblick bohrte sich dort, wo er eben noch gestanden hatte, ein Pfeil in den Boden. Bogenschützen! Sie benutzten primitive Waffen, aber in den Händen eines guten Schützen waren sie ebenso tödlich wie ein Laser. Die Bögen hatten nur einen Nachteil: Es dauerte einige Sekunden, bis der nächste Pfeil eingelegt war. Dumarest setzte alles auf eine Karte. Er sprang auf und ließ sich sofort wieder zur Seite fallen. Zwei Pfeile verfehlten ihn nur knapp. Wie ein Blitz rannte Dumarest den Pfad hinauf, wo die Schützen standen. Sie waren viel zu überrascht, um schnell genug reagieren zu können. Das Messer in Dumarests Hand blitzte im Licht der Sterne, als die beiden Männer starben. Einer von ihnen war noch in der Lage, um Hilfe zu schreien, bevor der kalte Stahl sich zwischen seine Rippen bohrte. „Wilkie! Flavian!" Dumarest sah die Gestalt hinter der Biegung auftauchen und rannte wieder den Pfad hinab. „Ihr da unten!" hörte er den Unbekannten schreien. „Schnappt ihn euch!" Dumarest sah sich im Laufen um, gerade noch rechtzeitig, um sich hinter einem Felsblock am Rand des Pfades in Sicherheit werfen zu können. Der Unbekannte besaß einen Laser und schoß, bis zwei weitere Männer heranstürzten und stehenblieben, um nach Dumarest zu suchen. Nur einer von ihnen war mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Der Anführer stand in Feldherrenpose weiter oben und trieb seine Männer zur Eile an. Er kam näher, als Dumarest wie vom Erdboden verschluckt schien. Die Strahlwaffe gab dem Unbekannten offensichtlich ein Gefühl der Überlegenheit - zumindest verriet die Art und Weise, wie er sich bewegte, einigen Leichtsinn. Dumarest drückte sich dicht an den Felsen. Seine über den Boden tastenden Finger fanden einen Stein. Die

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drei Ohrm berieten sich. Dumarest mußte ihre Ratlosigkeit ausnützen. Er schleuderte den Stein weit in die Büsche auf der anderen Seite des Pfades. Die drei fuhren herum. Ein Pfeil wurde abgeschossen, und der blendendhelle Strahl des Lasers stand in der Luft. Dumarest sprang auf. Das Messer schoß sirrend durch die Luft und traf. Im nächsten Moment lag Dumarest neben dem Toten und riß den Laser an sich. „Masak?" Irgend jemand rief von einer höhergelegenen Stelle des Abhangs aus. „Was ist los, Masak?" Die beiden Ohrm, die Dumarest eben noch gejagt hatten, standen vor ihm, unfähig, sich zu bewegen. Die Strahlwaffe war auf sie gerichtet. „Er... Masak ist tot!" rief der Bogenschütze. „Mit einem Messer getötet. Wir..." „Das reicht!" zischte Dumarest. „Verschwindet! Los!" Sie rannten, als sei der Teufel hinter ihnen her. Dumarest wartete noch einige Zeit, bis er sicher sein konnte, daß sie nicht zurückkehren und ihm in den Rücken fallen würden. Erst dann setzte er den Weg in die Stadt fort - und zu einer Frau, die zu lange hatte warten müssen.

* Ursula war außer sich. Sie wollte sich nicht beruhigen. Immer wieder fragte sie Dumarest, ob er den Verstand verloren hätte, den Ohrm zu helfen - Männern und Frauen, die ihrer Meinung nach den Tod verdient hatten für das, was sie getan hatten. Und immer wieder erhielt sie die gleiche Antwort. Dumarest konterte. Er warf Ursula vor, daß die Choud nicht genügend Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatten, um die Sivas zu schützen, daß es die Aufgabe der Choud hätte sein müssen, nach den Drahtziehern zu forschen, nach jenen, die für den Vorfall verantwortlich waren. Denn was geschehen war, ging in erster Linie sie an. Dumarest hatte längst daran zu zweifeln begonnen,

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daß jemand versucht hatte, lediglich die Sivas startunfähig zu machen. „Eure Wachen!" Der Mann von Terra lachte rauh. „Wo waren sie? Wer sind sie eigentlich? Ich habe noch nichts von ihnen gesehen, mit Ausnahme des Gemetzels, das sie veranstalteten." „Wir selbst stellen sie", zischte Ursula. „Immer dann, wenn uns Gefahr droht. Und was heißt .Gemetzel'? In diesen Augenblicken durchstreifen Wachen das Gelände. Die Ohrm müssen dafür bestraft werden, daß sie ohne Aufforderung in die Stadt kamen und sogar zum Raumhafen vordrangen. Sie haben dich angegriffen. Zeigt dir das nicht, was sie sind?" „Menschen", knurrte Dumarest. „Menschen wie du und ich." „Tiere! Lausige Kreaturen, Diener sind sie!" „Du irrst dich." Dumarests Stimme war kühl. „Sklaven, Ursula. Sklaven, die endlich frei sein wollen. Ja, du hast richtig gehört. Hier." Er zog den erbeuteten Laser aus einer Tasche und legte ihn vor Ursula auf den Tisch. „Das ist unser Standardmodell", sagte sie leise. „Aber wie kommt es in die Hände dieser Kreaturen? Unsere Wachen tragen solche Waffen." Sie wurde bleich, als ihr die Bedeutung der eigenen Worte klar wurde. „Earl, du glaubst doch nicht, daß einer von uns, ein Choud, auf dich geschossen hat? Daß einer von uns mit den Ohrm gemeinsame Sache macht? Bei Hury! Das ist unmöglich!" Dumarest zuckte zusammen. Hury! Da war dieser Name wieder, den er während des Diners schon einmal gehört hatte. „Dieser Debayo soll sich bei Hury, befinden und auf seine Erleuchtung warten. Ursula, wer oder was ist Hury?" Doch sie wich einer Antwort aus. Sie sagte lächelnd: „Vergiß die ganze Geschichte für eine Weile, Earl. Wir werden zum Diner erwartet, und du hast noch nicht gebadet. Nun komm schon."

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Dumarest gab sich Mühe, seinen Unmut zu verbergen. Es war wichtig, Ursula bei Laune zu halten. Sie kannte die Erde, und er würde alles tun, um das Geheimnis zu erfahren. Er liebte die Frau nicht, doch was blieb ihm übrig, als mitzuspielen? Und sollte sich sein Verdacht bestätigen, blieb ihm gar nichts anderes übrig, als auf dieses Spiel einzugehen - vorerst.

11. Diesmal fand das Diner in Etallias Haus statt, und diesmal war auch Renzi eingeladen. Schon nach kurzer Zeit begriff Dumarest, weshalb der Navigator nicht allzugern bei Diners gesehen wurde. Der Mann stand wieder unter Drogeneinfluß und vergaß alle guten Manieren. Renzi schien süchtig zu sein. Dumarest hatte Süchtige kennengelernt - Menschen, die alles taten, um ihre Drogen zu bekommen. War Renzi der Mann, der die Sabotage an Bord der Sivas verübt hatte - in Zusammenhang oder im Auftrag desjenigen, der die Fäden auf Ath zog - jenes Unbekannten, der allem Anschein nach dabei war, eine Revolution zu entfachen? „Machen Sie nicht so ein Gesicht, Earl", sagte Tuvey. „Ich weiß, daß Ihnen die kindischen Spiele der Leute hier nicht zusagen, aber die Menschen sind nun einmal gelangweilt. Sie wissen nicht, was Arbeit ist. Sie haben sich in all den Jahren, in denen ich Ath anfliege, nicht verändert." Dumarest wurde hellhörig. Jahre? Wie lange schon? Welche Rolle spielte Tuvey in diesem Spiel? „Natürlich seit Jahren", sagte der Kapitän auf eine entsprechende Frage. „Ath ist ein Paradies. Allein die Bewirtung ist den Flug hierher wert."

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„Und das Tekoa", lallte Renzi. „Das ist das Größte! Erzählen Sie ihm vom Tekoa!" Wie vom Blitz getroffen, fuhr Tuvey auf und fuhr Renzi an, er solle den Mund halten. Doch der Navigator ließ sich nicht beeindrucken. „Wozu die Geheimnistuerei? Er wird es sowieso erfahren, wenn nicht von uns, dann von den Weibern, die er noch haben wird. Von Ursula. Sie ist doch ganz verrückt nach ihm." „Neues von der Sivas, Kapitän?" fragte Dumarest schnell, als er sah, daß Tuvey jeden Augenblick auf Renzi losgehen würde, falls das Gespräch nicht in andere Bahnen gelenkt würde. Die „Gäste" saßen beieinander und unterhielten sich leise - mit Ausnahme von Renzi, der keine Hemmungen mehr kannte. Doch im Augenblick war das gut so. Die Choud konzentrierten sich auf ihn. Sie hatten ihren Narren und vergaßen Tuvey, Dumarest und Sardia für den Augenblick. „Ich habe von Cornelius einiges über die Choud erfahren können", flüsterte Sardia, nach dem Tuvey berichtet hatte, daß es mit den Reparaturarbeiten im Schiff nicht zum Besten stand. „Sie kamen von einem anderen Planeten. Drei Schiffe brachen in die Rinne auf. Eines verging in einem Energiesturm. Ein anderes wurde abgetrieben. Nur die Choudhury landete schließlich hier auf Ath. Earl, Cornelius sagte, daß du heute bei den Ohrm warst." Cornelius? Woher sollte er davon gewußt haben? Er, der den ganzen Tag über in seinem Atelier hockte? „Ich habe ihm nichts gesagt", erklärte Sardia auf Dumarests Frage. „Er hatte auch keine Besucher, von denen er etwas erfahren haben könnte." „Hat er sich irgendwie merkwürdig benommen?" „Jetzt, wo du danach fragst..." Sardia machte eine Pause. „Er wirkte geistesabwesend, gerade so, als ob er auf irgend etwas lauschte ..." Eine Auskunft, mit der Dumarest nichts anfangen konnte. Wieder schweiften seine Gedanken zur Sivas zurück. Wer hatte

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die Sabotage verübt? Renzi? Würde er nur wegen seines Tekoa dafür gesorgt haben, daß das Schiff niemals wieder von Ath starten konnte? Der Kapitän? Tuvey hatte die absolute Befehlsgewalt an Bord und konnte Ath anfliegen, wann immer er wollte. Der Lademeister war tot. Der Steward? Der Maschineningenieur? Welchen Grund sollten sie gehabt haben? Aber wer dann? Sardia? Sie würde froh sein, wenn sie endlich mit Cornelius' Bildern unterwegs war. „Sardia", sagte Dumarest leise. „Wenn meine Vermutung zutrifft, stecken wir mitten in einer beginnenden Revolution. Ath wird zum Hexenkessel werden, und wir sitzen mittendrin." „Eine Rebellion der Ohrm? Lächerlich?" Casavet, ein stämmiger Mann, den Dumarest heute zum erstenmal gesehen hatte, warf den Kopf in den Nacken und lachte. Auch Tuvey schüttelte den Kopf. „Sie sind verrückt, Earl. Sie sind erst kurz hier und wollen etwas entdeckt haben, was den Herrschenden bislang verborgen geblieben sein soll. Sie kontrollieren alles hier auf Ath." „Es wurden Kisten mit hochexplosivem Material aus der Sivas gebracht", sagte Dumarest ruhig. „Wer veranlaßte das? Wer sollte die Kisten bekommen, und wozu? Der Lademeister ist tot. Er kann nicht mehr reden. Fest steht, daß vor dem Eintreffen der Wachen Sprengstoff aus der Sivas geschafft und in irgendwelche Verstecke gebracht wurde, und fest steht auch, daß man mit einem Laser auf mich schoß, der sich normalerweise nicht im Besitz der Ohrm befinden durfte. Kein Choud würde den Ohrm freiwillig seine Waffe überlassen, und ich weiß, daß kein Choud von ihnen getötet oder verschleppt wurde. Wie kamen sie dann an die Waffe? Es ist der gleiche Laser, wie ihn auch Raumfahrer benutzen - zum Beispiel die der Sivas." „Aber was haben wir den Ohrm getan?" fragte eine Frau. „Wir behandeln sie wie unsere Kinder. Wir haben die gleiche Abstammung. Sie sollen uns dienen. Das ist alles, was wir von

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ihnen verlangen. Warum sollten sie uns hassen? Wir versorgen sie. Sie sollten glücklich sein!" Mehr denn je war Dumarest sich bewußt, wie naiv die Choud waren. Sie maßen alles an ihren Maßstäben, an ihrem zweifelhaften Glück. „Ich will die Ohrm nicht verteidigen", sagte er. „Was sich zwischen ihnen und den Choud abspielt, interessiert mich nicht. Aber ich bin Gast der Choud und habe gewisse Verpflichtungen." Ursula entging der Sarkasmus in Dumarests Worten nicht. Sie zuckte zusammen. „Eine solche Verpflichtung ist es, Sie zu warnen. Wenn Sie diese Warnung in den Wind schlagen wollen, ist dies Ihre Sache. Ich habe gesagt, was zu sagen war und bin nun müde." Dumarest machte Anstalten, sich zurückzuziehen, aber Ursula hielt ihn fest. „Du glaubst wirklich, daß es eine Revolution geben wird? Wann, Earl?" „Ich bin kein Hellseher." „Aber ein Gast!" stieß Tuvey hervor. „Sie sollten das nie vergessen, Earl!" „Ich jedenfalls versuche, mich dadurch erkenntlich zu zeigen, daß ich meine Gastgeber vor einer Katastrophe bewahre, Kapitän!" Tuvey sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt. „Ich etwa nicht? Wollen Sie mich beschuldigen, Dumarest? Denken Sie immer daran, daß Sie von mir abhängig sind! Ich könnte Sie hier vermodern lassen." „So wie Sie es mit Balain taten?" Es war eine Intuition, die Dumarest diese Frage stellen ließ, aber Renzi zuckte heftig zusammen. „Sie verdammter Bastard!" schrie Tuvey. „Ich werde Sie ...." „Gar nichts werden Sie, Tuvey! Ich klage Sie nicht an. Aber ich denke, daß die Sivas eine zentrale Rolle in der gegenwärtigen Entwicklung auf Ath spielt. Die Sivas brachte den Rebellen

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Waffen und Sprengstoff. Vielleicht befindet sich unter der Besatzung sogar ein Verbündeter Balains." „Niemals!" Tuvey Schlug mit der Faust auf den Tisch. „Ath ist für mich eine Goldgrube. Ich habe kein Interesse daran, daß sich die Verhältnisse hier ändern. Das gleiche gilt für meine Männer. Balain! Immer wieder Balain! Sie sehen Gespenster, Earl! Wahrscheinlich gibt es ihn gar nicht!" „Es gibt ihn", sagte Dumarest ruhig. „Er ist hier auf Ath, und er weiß, was er will: die Vorherrschaft der Choud brechen." Casavet lachte wieder. Er widerte Dumarest an. „Earl, Sie werden uns noch umbringen mit Ihren Scherzen. Ich kann es Ihnen nicht einmal übelnehmen. Niemand kann uns Choud die Herrschaft über Ath streitig machen. Sie können nicht wissen, weshalb, aber selbst, falls alle Ohrm über uns herfallen wollten, hätten sie nicht den Hauch einer Chance. Wir sind unbesiegbar." „Sie machen den größten Fehler, den eine herrschende Klasse machen kann", sagte Dumarest. „Wenn Sie nur ein wenig Ahnung von Geschichte hätten, würden Sie wissen, daß das Gefühl, unbesiegbar und für immer überlegen zu sein, der Anfang vom Ende ist." „Unsinn." Dumarest zuckte die Schultern. „Es ist Ihre Welt - nicht meine." „Und eine starke Welt!" „Stark?" Dumarest nahm einen Weinpokal aus feinem Kristallglas vom Tisch. „Ich könnte mich darauf stellen, und er würde mein Gewicht aushalten. Stark und schön." Dumarest zerschlug den Pokal auf der Tischkante. „Und zerbrechlich."

12.

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Tuvey hatte Sardia bis zu Cornelius' Haus gebracht. Sardia war verärgert. Cornelius hatte versprochen, zum Diner zu kommen. Er hatte sein Versprechen gebrochen. „Danke", sagte Sardia zum Kapitän. „Sie haben Ärger?" Tuvey nickte grimmig. „Renzi, dieser verdammte Bastard." „Er redet zuviel." „Nicht nur das. Er hat Borol auf dem Gewissen. Borol konnte ihn nicht ausstehen, aber Renzi reizte ihn immer wieder, wenn ich nicht an Bord war. Er muß es gewesen sein, der Borol in die Flucht trieb." Tuvey ballte wieder die Fäuste. „In die Funkanlage. Ich werde ihm seine Lektion erteilen, das schwöre ich!" „Also hat Renzi die Funkanlage auf dem Gewissen?" „Er gab es heute abend zu, natürlich wieder berauscht. Ich brauche ihn noch, um zurückzufliegen, aber dann wird ein anderer an seine Stelle treten. Doch jetzt habe ich Sie lange genug aufgehalten. Schlafen Sie gut." Der Kapitän verschwand in der Dunkelheit. Zurück blieb eine nachdenkliche Frau. Sie blieb noch eine Weile draußen stehen, bevor sie das Haus betrat und zu Cornelius ging. Er befand sich im Atelier. Als sie ihn sah, wußte Sardia, warum er nicht zum Diner erschienen war. Der Maler saß weit zurückgelehnt in seinem Stuhl. Die Haare fielen ihm in die Stirn. Sie waren schweißverklebt. Nun schlief Cornelius. Sardia hatte Mühe, ihn zu wecken. Cornelius fuhr hoch und riß die Hände vors Gesicht, als hätte er sich eines Angriffs zu erwehren. Sämtliche Finger waren dick mit Öl verschmiert Cornelius war wie in Trance, als er die Hände herunternahm und Sardia anblickte. „Sardia", kam es über seine Lippen. „Mein Liebling ..." Sie küßte ihn auf den Mund. „Weshalb bist du nicht gekommen, Cornelius?"

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„Ich bin ...", der Maler schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Ellbogen die Haare aus der Stirn. Er lachte entschuldigend und zeigte auf die Leinwand. „Ich habe gearbeitet und muß die Zeit vergessen haben. Himmel, bin ich müde. Du kennst das Gefühl, wenn es einfach über dich kommt und dich mitreißt - ich meine ..." „Ich weiß, was du sagen willst. Vergessen wir's." „Die kleine Schachtel dort drüben, gibst du sie mir?" Cornelius nahm einige gelbe Kapseln heraus und zerbiß sie. Noch während er kaute, vollzog sich eine fundamentale Wandlung mit ihm. Die Müdigkeit war plötzlich wie weggeblasen, und Cornelius begann zu sprechen. Er redete sich in eine wahre Euphorie hinein. „Tekoa", sagte er. „Manchmal kann es Wunder vollbringen. Es entspannt, man kann klarer denken und neue Zusammenhänge begreifen. Alles ist heller, verstehst du? Alles ist plötzlich voller Farben." Wie zur Entschuldigung fügte er hinzu: „Ich nehme es nicht sehr oft." Sardia beobachtete ihn schweigend, sah, wie sich sein Blick wieder klärte. Cornelius lächelte. „Ich bin wieder in Ordnung. Es packt dich nur im ersten Moment." Sardias Blick fiel auf die Leinwand, auf das Bild, das vor Stunden noch sie selbst gezeigt hatte. Aber was war nun daraus geworden? Sardia erschrak vor sich selbst, denn die Figur auf der Leinwand war sie, war ihre Seele. Eine Frau voller Anmut, eine Tänzerin leicht wie eine Feder und in einem wundervollen Gewand. Eine Frau, die den Triumph ausgekostet hatte, wenn der Beifall des Publikums über sie hereinbrach, und nun... Und dann das Gesicht. Enttäuschung lag darin, Enttäuschung und Verlangen, Sehnsucht und Korruption -, alles, was sie ausmachte. Cornelius hatte ihr in die Seele geschaut und das, was er gesehen hatte, auf der Leinwand festgehalten. Sardia schlug die Hände vor die Augen und rannte schluchzend aus dem Atelier.

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Es war, wie Ursula gesagt hatte. Die Wachen rekrutierten sich aus den Reihen der Choud. Es waren junge Männer, die in einem gewissen Alter ihre Dienstzeit ableisten mußten. Für sie bedeutete es Abwechslung und Aufregung, wenn es auch unter normalen Umständen ruhig war auf Ath. Der junge Mann neben Dumarest brannte vor Eifer. Er befehligte eine kleinere Gruppe Bewaffneter. Dumarest war alles andere als begeistert vom überzogenen Selbstvertrauen dieser Jünglinge. „Alles wird durchsucht", sagte Dumarest. „Wände, Fußböden, Dächer. Vergeßt nichts. In jedem Möbelstück kann etwas von dem Sprengstoff verborgen sein. Untersucht die Betten und werft die Männer heraus, die sich weigern, aufzustehen. Keine Rücksichtsnahme, verstanden?" „Wir wissen, was zu tun ist." „Ich hoffe es für euch. Auch die Bewohner der Siedlung sind zu durchsuchen. Seht euch ihre Augen an, wenn ihr sie betastet. Ein schwaches Aufleuchten darin kann einen wichtigen Hinweis geben." „Überlassen Sie das nur uns", sagte der Choud selbstsicher. Dumarest runzelte die Stirn. Die Wachen mochten von Ehrgeiz erfüllt sein und ihr Bestes geben wollen, aber sie besaßen keine Erfahrung. Als sie in die Dunkelheit marschierten, sagte Ursula: „Wenn dein Verdacht falsch ist, werde ich zum Gespött von ganz Ath, Earl." „Und wenn ich recht habe?" Ihr Blick war Antwort genug. Ursula würde gefeiert werden und ihm dafür dankbar sein - so dankbar, daß sie ihm sagen würde, was er wissen wollte. „Es ist kalt", sagte sie. „Laß uns ins Haus gehen." „Ich wäre lieber bei den Männern", murmelte Dumarest, der sah, wie Ursula unter ihrem Umhang zitterte. „Geh du ins Haus." „Du hast alles getan, Earl. Alle Zugänge zur Siedlung sind besetzt. Kein Ohrm kann entkommen. In diesem Augenblick

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werden die ersten Wohnungen durchsucht. Wenn der Sprengstoff dort ist, werden die Wachen ihn finden." Wieder ein Punkt, der Dumarest Kopfzerbrechen bereitete. Seine Entscheidung, die Siedlung durchsuchen zu lassen, hatte er vor nicht einmal einer halben Stunde getroffen, doch schon waren die Choud-Wachen an ihren Plätzen. Manche konnten ihren Weg nicht in so kurzer Zeit zurückgelegt haben. Dumarest verdrängte den Gedanken und alle Fragen. „Ich muß zu ihnen", sagte er. „Die Ohrm haben Waffen und verstehen damit umzugehen. Primitive Waffen, aber sie töten." Dumarest hatte kaum ausgesprochen, als er den Schrei hörte. Ursula erstarrte neben ihm. Ein zweiter Schrei - der Todesschrei eines Mannes. „Ich ahnte es", zischte Dumarest. „Sie haben sie erwartet! Sie wußten, daß die Wachen kommen würden, um ihre Hütten zu durchsuchen, und wenn sie sich stark genug fühlen, werden sie die Stadt angreifen, während die Wachen dort oben ins offene Messer rennen." Wieder ein Schrei. „Verdammt! Haben diese Narren nicht gelernt, in Deckung zu bleiben? Ich muß hin!"

* Ursula rannte hinter ihm her den schmalen Pfad hinauf, bis sie die auf der Kuppe des Hügels postierten Wachen erreicht hatte. Starke Scheinwerfer waren auf die Siedlung der Ohrm gerichtet, aber noch waren sie dunkel. „Schaltet sie ein!" befahl Dumarest. „Richtet sie auf die Dächer, wenn ihr nicht eure Kameraden zu Zielscheiben machen wollt. Was war los?" „Wir begannen mit der Durchsuchung, und am Anfang war alles ganz ruhig. Dann begannen auf einmal einige Frauen zu schreien und wehrten sich gegen die Untersuchung. Im nächsten Augenblick wurde einer von uns von einem Pfeil getroffen." „Wir hörten seinen Schrei. Weiter!"

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„Zwei weitere Männer wurden getroffen. Einer ist tot, der andere er verletzt. Wir holten sie heraus und zogen uns zurück, um hier bis zur Dämmerung zu warten." „Genau das wollen sie erreichen. Benutzten sie nur ihre Bögen oder auch andere Waffen?" „Nur die Bögen." „Was nicht heißen soll, daß sie keine anderen haben. Wir müssen sie jetzt erwischen. Teilen Sie Ihre Männer in Paare ein. Einer deckt den anderen - verstanden? Und beleuchten Sie weiter die Dächer. Es könnten Heckenschützen auftauchen. Ihre Männer sollen die Ohrm ausfragen. Wir brauchen einen Burschen namens Balain." „Balain? Aber ..." „Ein häufig vorkommender Name, Earl", erklärte Ursula. „Hundert Männer auf Ath können Balain heißen." Dumarest winkte energisch ab. „Diesen Balain gibt es nur einmal. Die Ohrm werden wissen, wer gemeint ist. Ich vermute, daß die Anführer der Rebellen etwas entdeckt haben und heimlich aus der Siedlung verschwinden wollen. Hätten wir bis zur Dämmerung gewartet, wäre ihnen mehr als genug Zeit dafür geblieben. Noch können wir sie vielleicht erwischen. Jeder, der zu entkommen versucht, muß verhört werden. Ihre Männer sollen sich rund um die Siedlung verteilen und auch das Gelände zwischen den Zugängen bewachen. Alles muß hell erleuchtet sein. Und die Leute sollen sich beeilen!" „Warum nur?" fragte Ursula, als der Mann seine Befehle gab. „Sie haben doch keine Chance. Und was wollen sie von uns?" „Ihre Freiheit", sagte Dumarest kühl. „Nicht mehr länger von euch gesagt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben." „Aber sie können sich nicht selbst verwalten! Niemand kann das!" „Und ihr?" „Wir leben von..."

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„Wir haben etwas gefunden!" brüllte eine der Wachen, bevor Ursula zu Ende sprechen konnte. „Ich glaube, Sprengstoff!" Das Haus befand sich mitten in der Siedlung. Ein schmutziger Raum mit an die Wände geschmierten Parolen. Im spärlichen Licht sah Dumarest einen Tisch, ein Bett und zwei Stühle. Das Bett war zur Seite gerückt worden, wobei die Wachen die Grube im Boden entdeckt hatten. Die darin gestapelten Kisten waren aufgebrochen und leer. Dumarest beugte sich über eine Kiste und fuhr mit dem Finger über den Boden und roch daran. „Pulver", murmelte er. „Ich hatte recht, aber wir sind zu spät gekommen. Sie sind geflohen und haben das Zeug bei sich. Die erschossenen Wachen müssen ihnen dabei in die Quere gekommen sein. Darum mußten sie sterben. Wenn wir nur etwas früher gekommen wären!" Dumarest fluchte. Es hatte keinen Sinn, sich lange über Versäumtes den Kopf zu zerbrechen. „Wer wohnt hier?" fragte er. „Wohnte", korrigierte der gefragte Choud. „Es war Masak." „Allein?" Dumarest suchte jeden Winkel des Raumes ab. „Angrenzende Räume?" Eine Küche und ein Bad - das, was einem Ohrm von den Choud zugestanden wurde. „Finden Sie heraus, wer in den Nachbarwohnungen lebt", sagte Dumarest. „Nehmt sie fest und bringt sie zu mir. Die Wände sind dünn, und es könnte sein, daß jemand die Gespräche der Rebellenführer belauscht hat." Sie fanden eine alte Frau, die zitternd zurückwich, als sie Dumarest vorgeführt wurde. Dumarest lächelte und nahm ihre Hände. „Nur ruhig", sagte er sanft. „Niemand will etwas von Ihnen. Sagen Sie uns nur, ob Sie in letzter Zeit irgend etwas gehört haben, das ... nun, das es früher nicht gab. Männerstimmen, laute Unterhaltungen in dieser Wohnung hier. Sie grenzt an die Ihre."

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„Oh ja", sagte die Alte. „Fast jeden Nacht haben sie gelärmt, gesungen und manchmal gegrölt. Sie lachten so laut, daß ich die halbe Nacht nicht schlafen konnte. Und dann müssen sie Ratten in der Wohnung haben. Sie scharrten fast jede Nacht. Warum tun Sie nichts gegen die Ratten?" Sie sah Ursula vorwurfsvoll an. „Ratten?" Dumarest packte die Alte sanft bei den Schultern und blickte ihr in die Augen. „Ich verspreche Ihnen, daß wir Sie von dieser Plage befreien. Die Männer werden auch nicht mehr grölen und Sie vom Schlaf abhalten, aber dazu muß ich wissen, was sie geredet haben. Haben Sie etwas verstehen können?" Ratten! Was die Frau für ihr Scharren hielt, waren die Geräusche gewesen, die die Verschwörer beim Ausheben der Grube verursacht hatten. „Natürlich hörte ich sie! Einer hatte eine so laute Stimme, daß ich nicht einmal den Kopf gegen die Wand pressen mußte, um ihn zu verstehen. Die anderen nannten ihn Balain. Er führte das große Wort." „Und? Sagte er, was die anderen zu tun hatten? Schmiedeten sie irgendwelche Pläne? Was wollten sie tun? Wohin wollten sie gehen?" „In die Stadt. Balain redete immer wieder davon, daß sie in die Stadt müßten, und zwar zu einem ganz bestimmten Ort." „Hör nicht auf sie, Earl", zischte Ursula. „Siehst du nicht, daß sie senil ist? Was sollten die Rebellen in der Stadt? Wahrscheinlich sind sie längst über alle Berge." „Mit dem Sprengstoff?" Dumarest wandte sich wieder an die Alte. Balain war nach allem, was er bisher von ihm wußte, ein Mann, der keine halben Sachen machte. Er wußte, was er tat. „Wohin wollten sie?" fragte Dumarest. „Wie hieß der Ort?" „Sie können uns nicht besiegen!" schr ie Ursula dazwischen. „Nie!" „Hury", sagte die Alte. „Sie sind auf dem Weg dorthin."

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Ursula schrie auf. Sie wurde kreidebleich und mußte sich gegen eine Wand lehnen. „Nein!" preßte sie hervor. „Hury ist streng bewacht. Es führt nur ein Weg nach dort." „Dann weiß Balain das auch. Und trotzdem will , er ..." Dumarest fluchte. „Earl, was ...?" „Eure Kanalisation! Es gibt vielleicht nur einen Weg an der Oberfläche, Ursula, aber die Kanalisation! Sie gehen durch die Kanäle!"

13. Sie rannten durch ein Labyrinth aus verzweigten Röhren, Meter unter den Palästen der Choud. Die Beleuchtung war spärlich. Aus einigen Öffnungen strömte heißer Dampf. Das Wasser reichte fast bis zu den Knien. Überall waren Ratten. Ursula war nahe daran, sich zu übergeben. Dann plötzlich ragte eine Lauffläche mitten im Kanal aus dem Wasser. Wo sich seitwärts Öffnungen befanden, gab es kleine Brücken, die die Wartungstrupps benutzten. Die Schritte der Wachen hallten hinter Dumarest und Ursula und wurden von den glatten Wänden zurückgeworfen. Immer wieder blieb Dumarest stehen, kniete nieder und untersuchte die Lauffläche, ein kaum einen Meter breites Metallband. Er rieb über das Metall, betrachtete den Schmutz an seinen Fingern und rieb erneut. Diesmal untersuchte er den Boden peinlich genau. „Das könnte ihre Spur sein", sagte er. „Ein Kratzer. Einer der Flüchtigen muß ausgerutscht sein und ihn mit der Stiefelkante verursacht haben."

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„Es könnte vor Wochen passiert sein", warf einer der Choud ein. „Einem Mann aus den Wartungstrupps." „Nein. Der Laufsteg wird regelmäßig vom Wasser überspült, und das Wasser hätte die Schmutzspuren im Ritz weggewaschen." Dumarest zeigte nach vorn, wo sich der Tunnel verzweigte. „Schicken Sie einige Männer, um dort nach weiteren Spuren zu suchen." Er nahm Ursula in den Arm, als die Wachen an ihnen vorbeiliefen. Die Lichtkegel der Scheinwerfer erhellten den Kanal. „Du frierst. Du hättest oben bleiben sollen." „Nein", sagte sie entschieden, und dann: „Warum beeilen sie sich nicht? Warum bleiben sie stehen?" Die Männer hatten etwas gefunden. An vielen Stellen hatten die Wände Rost angesetzt. An einer dieser Stellen war ein kleines Stück davon herausgerissen worden. Irgend jemand hatte die Wand im Laufen gestreift. „Achtet auf jedes Geräusch", flüsterte Dumarest den Männern zu. Der Tunnel verstärkte sämtliche Laute. Das war einerseits ein Vorteil für die Verfolger, andererseits würden die Rebellen sie ebenfalls früher als gewünscht hören können. Ursula, wurde immer unruhiger. Sie trieb Dumarest zur Eile an, immer und immer wieder. Ihre Selbstsicherheit war in dem Augenblick verschwunden, als Dumarest von den Kanälen als Zugang zu Hury gesprochen hatte. Das gleiche galt für die Choud-Wachen. Sie waren verunsichert. Was, um alles in der Welt, war Hury? Wer war es? Die Frage hämmerte in Dumarests Bewußtsein, doch Ursula gab keine Antwort. Es war, als ob Dumarest ein Tabu berührte, wenn er nach Hury fragte. Wieso und auf welche Weise waren die Choud von ihm abhängig? Dumarest preßte die Lippen aufeinander, als einer der vorangehenden Männer vor einer Abzweigung stehenblieb und laut fragte, welchen Tunnel man nehmen solle. „Leise, verdammt!" zischte Dumarest den Choud an. Er drehte sich zu Ursula um. „Ihr müßt doch den direkten Weg zu Hury kennen."

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„Oben", flüsterte sie. „Hier unten nicht. Die Ohrm sind diejenigen, die die Wartungstrupps bilden." Dumarest gab keine Antwort darauf. Ursulas Blick genügte ihm. Sie begriff in diesem Moment endgültig, wie selbstsicher die Choud gewesen waren - und wie dumm. Vielleicht hatten die Konstrukteure des Kanalisationssystems Pläne oder Informationsplatten hinterlassen, aber jetzt war keine Zeit, danach zu suchen. Die Rebellen wußten, welchen Weg sie zu nehmen hatten. Die einzige Chance für Dumarest bestand darin, ihnen auf der Spur zu bleiben. „Ihr nehmt den Tunnel zur Rechten", sagte Dumarest zu einigen Choud. „Die anderen folgen uns in den linken. Wenn ihr auf eine weitere Abzweigung stoßt, dann teilt euch wieder. Sucht, bis ihr etwas findet, und wenn ihr etwas findet, dann seid vorsichtig. Bleibt in Deckung und geht kein Risiko ein." Sie gingen weiter. Der Laufsteg wurde schmaler, der Rost an den Wänden dicker. Es stank. Dumarests Gruppe erreichte einen kreisförmigen Raum. Überall in den Wänden befanden sich Abflußöffnungen. Als Dumarest noch unentschlossen nach dem weiteren Weg suchte, erfüllte ein Schrei die Luft. Er schien von überallher zu kommen, wurde von den Wänden zurückgeworfen und hallte in den Ohren der Menschen. Weitere Schreie. Das Wimmern von sterbenden Männern. „Balain!" zischte Dumarest. „Sie müssen ihn gefunden haben. Die andere Gruppe. Verdammt, warum haben sie nicht auf meine Warnung gehört? Sie sind in einen Hinterhalt gerannt, diese Narren!" Minuten später stand Dumarest vor den Toten. Laserschüsse hatten Löcher in ihre im Wasser liegenden Körper gebrannt. „Diese verdammten Kreaturen!" schrie der Anführer der Choud-Wachen um Dumarest. „Das werden sie bezahlen! Los, holen wir sie uns!"

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Dumarest hielt Ursula zurück, als sie den Männern folgen wollte, die ebenso blind in ihr Verderben liefen wie die anderen vor ihnen. Sie lärmten, brüllten und fluchten, obwohl sie das grausame Beispiel dessen, was Unbesonnenheit heraufbeschwören konnte, plastisch vor Augen gehabt hatten. Doch sie waren nicht aufzuhalten. „Du mußt etwas tun, Earl!" flehte Ursula. „Sie rennen in den Tod." „Sieh sie dir an. Sie sind blind vor Haß. Es hat keinen Zweck. Auch sie werden in eine Falle laufen, aber einige von ihnen sollten jetzt klug genug sein, sich nach dem ersten Feuerschlag in Deckung zu werfen. Dann werden wir wissen, wo Balain und seine Anhänger sich verbergen. Es hat keinen Sinn, jetzt den Helden spielen zu wollen." „Ich bin kein Feigling!" „Und ich kein Dummkopf!" Dumarest ließ sie los, als er das Fauchen der Laser und die Schreie getroffener Männer hörte. Er wußte, daß er sie geopfert hatte. Vielleicht wäre ihm doch etwas eingefallen, sie zurückzuhalten, aber alles war viel zu schnell gegangen. „Nun, geht's ums Ganze, Ursula! Komm!" Wieder mündete der Tunnel in einen großen, runden Raum. Ein Mann lag im Wasser. Nur der Oberkörper ragte heraus. Die Finger der rechten Hand umklammerten noch im Tod den Pfeil in seiner Brust. Ein anderer Mann lag gegen eine Wand gelehnt und wimmerte unter Schmerzen. Seine Hand war gegen die Beinwunde gepreßt, aus der pulsierend das Blut schoß. Dumarest beugte sich über den Verletzten. „Was ist geschehen?" „Wir ... wir fanden sie. Ich hörte etwas. Einige von uns warfen sich zu Boden. Ich ... ich sah in einen grellen Blitz und spürte, wie sich etwas in meinen Leib brannte." „Zeig mir die Wunde, Junge." Der Mann war fast noch ein Kind. „Du hast Glück gehabt. Du wirst nicht sterben." Dumarest gab

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Ursula ein Zeichen, das Bein abzubinden. „Wo sind die anderen?" „Hinter den Bastarden her. Das Feuer kam von dort oben." Der Verletzte hob mühsam eine Hand und zeigte zur kuppeiförmig gewölbten Decke. Eine Öffnung, darunter eine Leiter. Dumarest kletterte hinauf. Das inzwischen gewohnte Bild: Verletzte und Tote. Aber diesmal befanden sich auch Ohrm darunter. Dumarest hatte den von Masak erbeuteten Laser in der Hand. „Bleib hier und in Deckung", wies er Ursula an. „Warum?" Sie war ebenfalls mit einem Laser bewaffnet und hob die Hand mit dem Strahler in die Höhe. „Ich kann auch damit umgehen." „Ja. Und sterben wie ein Held." „Wenn es sein muß, ja." „Schluß mit dem falschen Heroismus! Du bleibst hier, bis alles vorbei ist. Vielleicht haben die überlebenden Wachen die Ohrm schon erledigt, aber ich bezweifle es. Sollten einige Ohrm noch am Leben sein, werden sie uns dort auflauern." Er deutete auf eine Öffnung, die einzige in den Wänden rund um die Plattform, zu der die Leiter hinaufgeführt hatte. Doch Ursula wollte nicht hören. Dumarest stieß eine Verwünschung aus, dann schlich er sich auf allen vieren an die Öffnung heran, den Zugang zu einem weiteren Tunnel, wie er annahm, und fand weitere Tote, meist Ohrm. „Sie sind vor den Wachen geflohen", flüsterte Ursula. „Sie glaubten sich in Sicherheit, weil sie nicht annehmen konnten, daß eine zweite Gruppe existiert." „Aber es muß mehr Ohrm gegeben haben als die, die wir tot vorfanden." „Vielleicht im Tunnel." „Und wo sind dann die Wachen? Wieso sind sie noch nicht zurück?" Dumarest packte Ursula fest am Arm. „Bleib einige Meter hinter mir, Sieh dich um, und sobald du eine Bewegung

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bemerkst, schieße, ohne zu zögern. Ich gehe jetzt. Zähle bis drei, dann folge mir." Er warf sich vorwärts, sprang auf, rannte, bis er einen weiteren Hohlraum erreichte. Wieder Leichen - Ohrm und Choud. Und wieder eine spiralförmig gewundene Treppe, die wiederum in eine Deckenöffnung mündete. Ursula behielt sie im Auge, während Dumarest die Toten untersuchte. Einer der Ohrm war noch am Leben. Wie alle anderen, die Dumarest gefunden hatte, trug er keinen Sprengstoff bei sich. Also mußte zumindest ein Ohrm noch am Leben und unterwegs zu diesem mysteriösen Hury sein. Den Laser schußbereit in der Hand, rannte Dumarest die Wendeltreppe hinauf. Er ließ die Öffnung über ihm keinen Augenblick aus den Augen. Auf halbem Weg glaubte er, oben etwas ganz kurz aufblinken zu sehen. Sofort war jenes Gefühl wieder da, jener Instinkt, der ihn so oft in seinem Leben vor Gefahren gewarnt hatte. Dumarest winkte Ursula zu, die unten stand und mit ihrer Waffe auf die Öffnung zielte. Und sie verstand. Dumarest war leise wie eine Katze geklettert und immer in Deckung geblieben, eng an die Sprossen der Treppe gekauert. Der Mann in der Öffnung konnte ihn nicht bemerkt haben. Ursula winkte zurück und begann, auf der Plattform herumzustapfen, seufzte dabei wie eine Verwundete. Und der Unbekannte ging in die Falle. Eine Gestalt erschien in der Öffnung. Dumarest sah einen Arm, eine Hand, einen Laser, der auf Ursula zielte, dann einen Kopf. Dumarest schoß im gleichen Augenblick, als der tödliche Strahl Ursula nur um Zentimeter verfehlte. Ein Schrei. Dumarest stürmte die Treppe hinauf, dicht gefolgt von Ursula. Eine weitere Plattform. Dumarest blickte sich im Halbdunkel um und sah nichts außer zwei toten Choud. Dann hörte er Ursulas Schrei und fuhr herum.

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Ein Arm, der um ihren Hals gelegt war, ein Mann, der seinen Laser gegen Ursulas Schläfe preßte. „Weg mit der Waffe, Earl!" hörte er. „Lassen Sie sie fallen, oder es ist aus mit der Kleinen!" „Sie haben gewonnen, Balain", knurrte Dumarest, als er den Laser zur Seite warf. „Oder sollte ich sagen ,Eian'?" Dumarest sah dem Lademeister der Sivas in die Augen. Dumarest erkannte ihn auf Anhieb wieder - trotz der Kleidung der Ohrm, die er jetzt trug. Der Mann war klein und untersetzt. Ursula, immer noch im Würgegriff des Fanatikers, preßte hervor: „Eian? Der Lademeister? Er ist tot, Earl!" „Das sollten wir alle glauben. Der Mann, den wir an Bord fanden, trug zwar seine Uniform, aber es war nicht Eian. Der Mann war ermordet worden, um Eians Betrug zu ermöglichen. Warum das alles, Eian?" Dumarest deutete vorsichtig auf Ursula. „Wollen Sie sie erwürgen?" „Wenn Sie irgendwelche Tricks versuchen..." „Sie haben die Waffe." Dumarest zeigte die leeren Handflächen. „Aber die Frau könnte auf den Gedanken kommen, sich mit Händen und Füßen zu wehren. Sie können sie umbringen, aber ich werde in dieser Zeit heran sein und ..." Er nickte, als Eian fluchte und Ursula zur Seite stieß. „Schon besser." Ursula preßte sich mit dem Rücken gegen eine Wand und rieb sich den Hals. „Warum, Earl? Warum hat er es getan?" „Für Geld natürlich." Dumarest nahm den Blick nicht von der Hand mit dem Laser. „Für verdammt viel Geld." „Für eine Welt!" schrie Eian. „Ich hatte einen perfekten Plan. Und wenn nicht dieser Unfall gewesen wäre..." „Sie haben den Zeitzünder in die Kiste eingebaut", stellte Dumarest fest. „Die Waffen der Wachen wären zu schwach gewesen, um eine Explosion in diesem Umfang herbeizuführen. Leider haben Sie sich etwas verschätzt. Die Explosion ereignete

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sich zu früh und zu nahe am Generator. Nun sitzen Sie wie wir auf Ihrer Welt fest." „Was ich Ihnen zu verdanken habe. Hätten Sie nicht angefangen, hier herumzuschnüffeln, wäre die Sivas in wenigen Tagen gestartet. Ich wußte von vornherein, daß Sie nicht zu den Ohrm kamen, um die Verwundeten zu heilen. Sie wollten Informationen." „Deshalb befahlen Sie, mich umbringen zu lassen?" „Sie wurden lästig, Dumarest. Ich konnte und kann mir kein Risiko leisten. Dazu steht zuviel auf dem Spiel, Geld und Macht! Und ich habe noch nicht verloren!" Eian lachte rauh. „Sie haben von Tekoa gehört? Eine Kapsel, und Sie vergessen alle Sorgen. Zwei, und Sie fliegen durch die Dimensionen, mehr noch ..." Eian winkte ab. „Deshalb wollte Tuvey diese Welt geheimhalten. Er hat das Tekoa-Monopol draußen im All. Noch, Earl, noch! Bald werde ich es besitzen, und dann verdiene ich!" „Das also ist der große Freund der Ohrm - Balain", sagte Dumarest voller Spott. „Der Mann, der sie befreien will und zur Revolution antreibt. Balain, der Wohltäter." „Was kümmern mich die Ohrm, wenn ich erst einmal die Macht habe? Alles wäre längst vorbei, wenn Sie sich nicht eingemischt hätten. Die Choud wären nie von allein auf den Gedanken gekommen, daß die Ohrm rebellieren würden. Ich habe Ihnen dafür zu danken, Dumarest." Die Hand mit der Waffe hob sich, bis Dumarest genau in die Mündung sehen konnte. Eians Finger krümmte sich. „Eines noch", sagte Dumarest schnell. „Wozu brauchen sie den Sprengstoff?" Der Lademeister warf Ursula einen amüsierten Blick zu. „Sie weiß es. Sehen Sie, wie sie zittert? Hat Sie Ihnen noch nichts von Hury erzählt? Davon, wie die Choud von Hury abhängig sind? Nein?" Wieder lachte der Besessene. „Glaubten Sie denn im Ernst, ich hätte mir eingebildet, mit einer Handvoll Unzufriedener etwas gegen die Choud ausrichten zu können?

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Ich mache es mir viel einfacher. Ich nehme ihnen Hury. Sie werden herumstehen wie desaktivierte Roboter und mir aus der Hand fressen." „Wo ist der Sprengstoff?" entfuhr es Ursula. „Vielleicht ist noch etwas zu retten. Ich verspreche Ihnen, daß Sie jede Kapsel Tekoa bekommen, die sich auf Ath befindet, dazu viel Geld und freien Abzug. Aber sagen Sie mir, wo der Sprengstoff ist!" „Zu spät, meine Liebe. Sie wissen genau, wo er sich befindet. Aber versuchen Sie erst gar nicht, ihn von dort wegzuholen. Hier." Eian zog mit der freien Hand ein kleines, rechteckiges Gerät aus einer Tasche. „Hiermit zünde ich die Ladung. Dieser rote Knopf hier- wenn ich ihn drücke, erfolgt die Explosion genau zwanzig Sekunden danach, es sei denn, innerhalb von fünfzehn Sekunden wird der grüne Knopf gedrückt. So einfach ist das. Ich denke, daß ..." Eian schrie auf und sprang zurück, als Ursula sich wie ein Raubtier auf ihn stürzte. Sie bückte sich instinktiv, als Eian schoß. Der Lichtstrahl ging um Zentimeter über sie hinweg. Eian wollte erneut zielen, doch Dumarest hatte bereits das Messer aus dem Stiefel gerissen. Sekundenbruchteile später war Eian tot. „Ursula! Bist du verletzt?" „Es fehlte nicht viel, aber wichtig ist jetzt nur dies hier!" Sie hielt das Fernsteuerungsgerät in der Hand. Noch im Sterben hatte Eian den roten Knopf gedrückt. Die Zeit lief. „Mein Gott, laß es nicht zu spät sein!" schrie Ursula und rannte auf die nächste Leiter zu. Sie flog die Sprossen förmlich hinauf. Dumarest beschwor sie, zurückzukommen, aber sie hörte nicht mehr. Ursula stieg weiter - uneinholbar. Der grüne Knopf war gedrückt, die Sekunden verstrichen. Wenn Eian aber nun gelogen hatte! Ursula rannte in den Tod! Die Angst um Hury hatte sie den Verstand verlieren lassen. Als Dumarest das Ende der Leiter und die nächste Plattform erreichte, war schon nichts mehr von Ursula zu sehen. Nur das Echo ihrer Schritte hallte von den Wänden wider. Dumarest

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rannte sich die Lungen aus dem Leib. Plötzlich Stille. Ursula mußte ihr Ziel erreicht haben, und Dumarest hatte keinen Zweifel mehr daran, daß es sich dabei um Hury handelte. Plötzlich befand er sich auf einem Korridor. Überall sah er Instrumente, Verstrebungen und Kontrollsysteme. Dann ein weiter Raum, vollgepackt mit Instrumenten. In der Mitte befand sich etwas, das Dumarest sofort an einen gigantischen Computer denken ließ. Ursula kniete direkt davor und zerrte ein helles Bündel aus einer Öffnung knapp über dem Boden. „Weg da!" schrie Dumarest. „Komm her, Ursula! Du wirst..." Die Welt verging in einer gewaltigen Explosion.

14. Er war tot, sein Bewußtsein ein Nichts in der Unendlichkeit. Er war tot, doch seine Sinne arbeiteten noch. Ein Nachhall des Erlebten. Erinnerungen, Namen, Gesichter. Ursula - ihr Körper nicht mehr blau, sondern scharlachrot, als die Flammen ihn erfaßten. Eian - der Mann hatte seine Rache gehabt. Die Choud und Hury ... Choudhury! Viel zu spät hatte er die so offensichtlichen Zusammenhänge erkannt und damit die Chance vergeben, die Position der Erde herauszufinden. „Earl!" Eine Stimme, aber wer sollte ihn hier, im grenzenlosen Nichts, rufen? Hier im Reich der Toten, wo sein Bewußtsein trieb... „Earl! Wach endlich auf! Bitte! Komm zu dir!" Dumarest kannte die Stimme. Woher kam sie? Wem gehörte sie? Was wollte sie von ihm? Plötzlich ein Gefühl. Etwas berührte ihn, seine Hand, seinen Körper.

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„Es wird alles gut", hörte er, als er die Augen aufschlug. „Du hast schwere Verbrennungen erlitten und bist versorgt worden. Tuvey wird..." „Meine Augen! Ich kann nichts sehen!" „Warte. Du wurdest bei der Explosion geblendet." Hände legten sich auf sein Gesicht. Ein Verband wurde entfernt. Dumarest sah einen schwachen Lichtschimmer, dann eine verschwommen wirkende Gestalt neben sich. Eine Frau. Namen fielen ihm ein. Kalin? Das Bild wurde schärfer. Dumarest blinzelte ein paarmal, dann erkannte er Pellia. „Ja", hörte er. „Ich bin es, Earl. Du hattest viel Glück. Du mußt die Hände vor die Augen gerissen haben, um sie zu schützen, und die Druckwelle muß dich hintenüber in eine Deckung geworfen haben. Aber Ursula ..." „Ist tot, ich weiß." Dumarest richtete sich im Bett auf und kämpfte einige Sekunden gegen die Ohnmacht .n. „Wie lange?" „Du hast zwei Tage lang geschlafen. Tuvey sagte uns, was zu tun sei. Sardia half bei deiner Pflege." Kurzzeit. Wie oft schon hatte Dumarest unter Einwirkung dieser Droge Stunden zu Tage werden lassen, in deren Verlauf seine Wunden verheilen konnten. Dumarest stand auf und zog sich an. Seine Kleidung bedurfte einer gründlichen Reinigung. Sie war teilweise in Fetzen gerissen, aber das war jetzt nicht Dumarests Problem. Er traf Tuvey in einem Korridor des Hospitals. Etallia war bei ihm und hielt einen Krug in den Händen. Tuvey lächelte und reichte ihn Dumarest. „Trinken Sie erst einmal einen Schluck. Ich glaube, Sie können es gebrauchen." Nährlösung. Dumarest nahm einige tiefe Schlucke. „Eine dumme Geschichte", fuhr Tuvey fort. „Aber es gibt auch eine gute Nachricht. Wir brauchen keinen Ersatzgenerator. In wenigen Stunden können wir Ath verlassen." „Wieviel?" fragte Dumarest.

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„Ich bitte Sie! Sie haben sich Ihre Passage gründlich verdient." Tuvey ballte die Hände zu Fäusten. „Eian muß verrückt geworden sein. Er muß seine Schurkerei schon all die Jahre hindurch, die er mit mir flog, ausgeheckt haben. Ath ist ruiniert. Es wird nie wieder die gleiche paradiesische Welt sein." „Was vielleicht besser ist - für alle." „Vielleicht." Tuvey zweifelte. „Aber es wird nie wieder wie früher sein. Die Choud sind ohne Hury völlig hilflos. Es wird lange dauern, bis sie in der Lage sind, selbständig zu handeln." „Wir versuchen, ihnen zu helfen", erklärte Pellia. „Wir tun, was in unserer Macht steht. Wir sehen in ihnen nicht unsere Feinde." Ja, dachte Dumarest. Fast wären die Ohrm die Opfer eines skrupellosen Machtbesessenen geworden, und dann hätten sie wirkliche Sklaverei kennengelernt - sie und die Choud. Beide Gruppen brauchten Hilfe. Tuvey konnte viel für sie tun. Er konnte mit der Sivas Schulungsgeräte, Hypnotutoren und ähnliches herbeischaffen, dazu landwirtschaftliche Geräte. Die Bewohner von Ath mußten lernen, selbst Verantwortung zu tragen und auf eigenen Füßen zu stehen. Vielleicht wäre es gut, einige Mönche hierherzubringen. Dumarest unterbreitete Tuvey diese Vorschläge, und der Kapitän nickte nach einigem Nachdenken. „Was habe ich zu vergeben? Das Tekoa-Monopol halte ich nach wie vor. Eine gute Tat auf meine alten Tage könnte nicht schaden. Vielleicht ...", er lächelte und sah Etallia an, „... vielleicht setze ich mich sogar in ein paar Jahren hier zur Ruhe und bebaue ein Stück Land im Süden." Tuvey nahm Etallia in den Arm und nickte Dumarest zu. „Wir starten bei Sonnenuntergang."

* Außerhalb des Hospitals schien sich auf den ersten Blick nichts verändert zu haben. Dann jedoch sah Dumarest Choud, die

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planlos und mit ausdruckslosen Augen durch die Gegend wanderten. Anders die Ohrm, die von ihrer Siedlung herabgekommen waren. Sie arbeiteten emsig. Aus ihren Blicken sprach ein neues Selbstbewußtsein. Die Rollen waren vertauscht. Nun herrschten die Ohrm. „Wir brauchen dich, Earl", sagte Pellia. „Bitte verlaß uns nicht. Du könntest unser Führer werden. Wir sind noch zu unerfahren. Es wird Jahre dauern, bis wir fähig sind, allein alle Entscheidungen zu treffen. Bisher empfingen wir nur Befehle." Der neue Führer - Balains Nachfolger. Ihm, dem Scharlatan, hatten die Ohrm vertraut, als er ihnen versprach, sie in ein Land zu führen, in dem Milch und Honig floß. Nun waren sie allein. „Ihr werdet es schaffen", sagte Dumarest. „Aller Anfang ist schwer und immer mit Schmerzen und Enttäuschungen verbunden. Im Moment fühlt ihr euch verloren. Ihr müßt jetzt die Entscheidungen treffen, wie du sagtest. Ihr solltet glücklich darüber sein. Glücklich darüber, daß ihr von einer Schreckensherrschaft, wie sie Balain vorschwebte, bewahrt geblieben seid. Ich kann nicht bleiben, Pellia, beim besten Willen nicht." Er sah zum Himmel auf. Die Sonne stand bereits tief. Es wurde Zeit für ihn. „Wo steckt Sardia?" „Bei Cornelius, nehme ich an." „ Als sie vor ihm stand, waren ihre Augen voller Sorge. „Earl, ich hatte solche Angst um dich..." „Ich lebe, wie du siehst. Aber wir haben große Fehler gemacht, Sardia. Dies alles hätte nicht zu geschehen brauchen. Wir müssen blind gewesen sein. Wir hätten von Anfang an merken müssen, daß die Choud von irgend etwas gesteuert wurden. Wir hätten es sehen müssen, als sie sekundenlang ihre Köpfe in den Nacken warfen und auf etwas zu lauschen schienen. Sie konnten ihre Welt nicht verlassen. Cornelius wußte Dinge, die er nicht hätte wissen dürfen. Die Wachen, die viel zu früh bei der Ohrm-Siedlung waren. Wir waren dumm und blind. Die Choudhury! Sie selbst nannten sich Choud. Hury war der Computer, der sie

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lenkte." Als er den Knoten in Ursulas Nacken gefühlt hatte, hatte Dumarest ihm keine Bedeutung beigemessen. Nun wußte er, worum es sich dabei gehandelt hatte. Ein Empfänger für die Befehle des Computers. Und der Computer hatte die Position der Erde gekannt - Hury, nicht Ursula. Der Traum war aus. Hury existierte nicht mehr. Die Suche begann von neuem. Nicht nur Ursula - jeder Choud hätte ihm die Position der Erde verraten können! Maßlose Wut überkam Dumarest. „Mein Gott!" entfuhr es Sardia. „Du siehst furchtbar aus, Earl." . Wo ist Cornelius?" Der Maler war ein Wrack. Er konnte sprechen und sich bewegen. Das war alles. Wenn er redete, bestand kein Zusammenhang zwischen seinen Worten, und wenn er sich aufrichtete und im Atelier herumging, tat er dies, ohne überhaupt zu wissen, Wohin er wollte. Selbst in dieser Hinsicht waren die Choud von Hury abhängig gewesen, dem ehemaligen Rechengehirn des Raumschiffs, das sie hierhergebracht hatte. Hury sagte ihnen, was sie zu tun und wie sie es zu tun hatten. Hury hatte sie zu den Herren des Planeten gemacht - und nun waren sie Krüppel. Cornelius lachte wie ein Irrer, als er Sardia sein neuestes Werk zeigte. Es war schrecklich. Linien und Farben jenseits, aller Ästhetik. Sardia hatte Tränen in den Augen. Cornelius, das Genie - nun ein hilfloses Kind. Aber Kinder konnten lernen. Und die Choud mußten lernen, zu überleben. Dumarest wußte, daß er keine Antwort erhalten würde, als er nach dem Mond fragte, den Cornelius gemalt hatte, nach dem Planeten, der von diesem Mond umkreist wurde. Noch vor zwei Tagen hätte er nur diese Frage zu stellen brauchen und die Antwort erhalten. Wie nahe war das Ende seiner Odyssee gewesen! „Ich werde hierbleiben", verkündete Sardia, nachdem Dumarest ihr vom bevorstehenden Abflug berichtet hatte. „Ich werde versuchen, zu helfen, wo ich kann." Sie zeigte auf Cornelius. „Sieh ihn dir an. Er braucht jemanden, der sich um ihn kümmert.

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All das, was sein Genie ausmachte, kann nicht von heute auf morgen verloren sein. Es kann nicht von Hury gekommen sein. Es steckte in ihm - dem Menschen Cornelius. Vielleicht werde ich Jahre brauchen, um ihn zu dem zu machen, was er einst war, vielleicht mein ganzes Leben. Aber hier habe ich eine Aufgabe, verstehst du, Earl? Etwas, das mich ausfüllt." Dumarest verstand. Er küßte sie ein letztes Mal. „Ich wünsche dir Glück", sagte er. „Die Zeit mit dir war schön." Er lehnte energisch ab, als Sardia ihm einige von Cornelius' Bildern geben wollte. Was er brauchte, war kein Geld, kein wertvoller Besitz. Was er brauchte, war eine neue Spur zur Erde. Alles, was er mit an Bord der Sivas nahm, waren seine Kleider, das Messer und Erinnerungen, die er so schnell wie möglich über Bord werfen wollte. Enttäuschung, zerbrochene Hoffnungen, Schmerz. Und wieder .diese Einsamkeit, die zu seinem ständigen Begleiter geworden war. Sardia sah ihm lange nach. Dann wandte sie sich wieder Cornelius zu und reichte ihm die Hand. Er nahm sie dankbar. Was mochte er in diesem Augenblick fühlen? Glück und Geborgenheit? Sardia dachte an Dumarest, als sie die Sivas starten sah, und sie wünschte ihm, daß auch er eines Tages das finden würde, wonach er sich sehnte und das ihn nicht zur Ruhe kommen ließ. Ein legendärer Planet namens Erde.

ENDE