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184 | Pharm. Unserer Zeit | 34. Jahrgang 2005 | Nr. 3

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Die Folge der Hemmung der ATP-Synthase ist eine Verminderung vonATP und ein pH-Ungleichgewicht.

Da sich auch bei dieser SubstanzResistenzen ausbilden, darf sie nur inKombination mit anderen Medika-menten zur Behandlung der Tuberku-lose gegeben werden. Der bakterizi-de Effekt von R207910 an infiziertenMäusen nahm bei höheren Konzen-trationen nicht zu und ist damit wohlzeitabhängig und nicht konzentrati-onsabhängig.

Im besten Fall kann R207910 infünf Jahren in den Markt eingeführtwerden [3].

[1] Andries, K.: A diarylquinoline drug activeon the ATP synthase of Mycobacterium tu-berculosis. Science 307 (2005), 223-227

[2] Scholar/Pratt: The antimicrobial drugs 2nd

edition 2000, Oxford Press[3] Cohen, J.: New TB drug promises shorter,

simpler treatment. Science 306 (2004),1872

U. Holzgrabe, E. Bennack, Würzburg

SCID-X1-Kindern durch Gentherapiegeheilt wurden [1]. SCID-X1 (severecombined immunodeficiency-X1) isteine X-chromosomal vererbte Im-munschwächekrankheit, bei der dasFehlen einer gemeinsam von mehre-ren Interleukinrezeptoren genutztenUntereinheit (γc) das Reifen von T-Lymphozyten und Natürlichen Kil-lerzellen beeinträchtigt. Als Folge ha-ben die betroffenen Kinder (es sindnur Jungen betroffen) kein funk-tionierendes Immunsystem und müs-sen ständig in einer völlig keimfreienUmgebung leben (diese Kinder sind als sog. Bubble boys bekannt,Abb. 1).

In der kürzlich veröffentlichenfranzösischen Studie [1] war es ge-lungen, alle 10 behandelten Kleinkin-der komplett zu heilen, indem durchEx-vivo-Transfektion autologer häma-topoetischer Stammzellen mit einemretroviralen Gentherapie-Vektor dasfunktionelle Gen für die γc-Unterein-heit in die Patienten zurückgegebenwurde. Die kleinen Patienten konn-ten ihre sterile Umgebung verlassenund leben als normale Kinder beiihren Familien.

Die schlechte Nachricht kamzwei Jahre später: Von den 10 Kin-dern entwickelten zwei eine Leukä-mie-ähnliche T-Zellproliferation [2].

Die Halbwertzeit betrug bei Mäu-sen im Plasma bis 64 h, im Gewebesogar bis 92 h. Die gute Penetrationund hohe Akkumulation in der Lungeerklärt auch, dass nach 2monatigerTherapie mit einem Therapieschema,bei dem man im klassischen Behand-lungsmuster der Tuberkulose [2] ei-nes der drei First-line-TherapeutikaRifampicin, Isoniazid und Pyrazina-mid durch R207910 ersetzt, die Er-gebnisse bei allen Kombinationenbesser als ohne R207910 sind. Nachzwei Monaten waren die Lungen al-ler Tiere frei von Bakterien. Die mini-male Hemmkonzentration gegen denStamm Mycobacterium tuberculosisH37Rv beträgt 0,03-0,120 µg/mL undist damit besser als die von Rifam-picin (MIC = 0,500 µg/mL) und vonIsoniazid (MIC = 0,120 µg/mL).

In einer kleinen ersten randomi-sierten, placebokontrollierten unddoppelblinden Studie an gesundenmännlichen Probanden gab es keineHinweise auf Störungen der Vital-funktionen oder Auffälligkeiten imEKG. Die orale Aufnahme und Bio-verfügbarkeit waren ebenfalls gut.

N O

Br

H3C

NCH3

CH3OH

R207910

A B B . 1 | R 2 0 7 9 1 0M E D IZ I N |Dritter Tumorfallnach SCID-GentherapieIn diesen Tagen blicken wir auf 15 Jahre Gentherapie-Versuchezurück. Als Konzept für die kausale Therapie monogenetischbedingter Erbkrankheiten ent-wickelt, waren die klinischen Erfolge bis vor kurzem eher mäßig.

Dies änderte sich, als im Jahr 2002eine Studie publiziert wurde, in der10 von 10 behandelten so genannten

A B B . 1 Kleinkind in steriler Umgebung (Bubble boy) aus Nature-Artikel [3]

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Nach einer erfolgten Chemotherapieging es beiden Kindern zunächst bes-ser, jedoch verstarb letztlich einesder Kinder an dieser Leukämieform.

Die klinischen SCID-Studien, diezunächst ausgesetzt worden waren,wurden derweil unter schärfererKontrolle fortgesetzt. Jetzt wird be-richtet, dass ein drittes Kind einelymphoproliferative Krankheit ent-wickelt hat, die den beiden erstenFällen ähnelt [3]. Erneut wurde diefranzösische Studie unterbrochen,während andere SCID-Gentherapie-studien in England, USA undDeutschland derzeit weiter laufen.

Was könnte der Grund für dieaufgetretenen T-Zellproliferationensein? Im Fall der ersten beiden Pati-enten wurde gezeigt, dass der retro-virale Gentherapie-Vektor jeweils unabhängig voneinander in ein Geninseriert hatte (LMO2), das als T-Zell-Onkogen bereits bekannt war unddessen Fehlexpression T-Zellprolife-ration unterstützt [2]. Eine Studie inmenschlichen Zellkulturzellen hatteaußerdem gezeigt, dass die häufig inStudien benutzten retroviralen Gen-therapie-Vektoren mit hoher Präfe-renz für die Umgebung des Trans-kriptionsstarts von Genen integrieren[4]. Zusammengenommen könnte also die französische Studie so inter-pretiert werden, dass bei ~108 appli-zierten transgenen Spenderzellen proGentherapieversuch und der hohenRate an Insertionen in Gene den Pa-tienten eine Zellpopulation verab-reicht wird, in der statistisch jedesGen unseres Genoms mehrmalsdurch eine Integration des Genthera-pie-Vektors zerstört wurde. Dassnicht wesentlich mehr Krankheits-fälle aufgrund dieser Insertions-mutagenesen offenbar werden, liegtvor allem daran, dass „biologische Filter“ aktiv sind, die die Proliferationderart veränderter Zellen im Organis-mus des Patienten verhindern (z.B.Induktion von Apoptose in den be-troffenen Zellen; Komplementationdes funktionslosen Gens durch daszweite, nicht betroffene Allel; etc).Dass in der französischen Studie inbeiden Patienten dasselbe Onkogen

„getroffen“ wurde, liegt also an einem dreifachen Vorteil der entarte-ten Zellen: 1. entstammen sie trans-genen hämatopoetischen Stammzel-len, die eine ständige Quelle trans-gener T-Zellen bieten; 2. haben dieaus diesen Stammzellen hervorgehen-den T-Zellen aufgrund der Fehlex-pression des LMO2-Gens ein erhöh-tes Proliferationsvermögen; und 3. sichert die wieder hergestellte Ex-pression des γc-Proteins das Überle-ben dieser proliferativen T-Zellen.

Das Risiko, eine sekundäre Er-krankung durch eine Gentherapieauszulösen, scheint auf die Therapievon SCID beschränkt und nicht un-mittelbar auf andere Gentherapie-Ver-suche übertragbar zu sein. Dennochzeigt der nun publizierte dritte Falleiner Leukämie-Induktion in der fran-zösischen SCID-Studie eines: Es muss

weiter und verstärkt nach verbesser-ten Gentherapie-Vektoren geforschtwerden, denen die „Angewohnheit“der Insertion in Gene „abtrainiert“wurde und die an sichere Stellen un-seres Genoms geleitet werden kön-nen.

[1] Hacein-Bey-Abina, S. et al.: Sustained cor-rection of X-linked severe combined im-munodeficiency by ex vivo gene therapy.New Engl. J. Med. 346 (2002), 1185-1193

[2] Hacein-Bey-Abina, S. et al.: LMO2-asso-ciated clonal T cell prolieration in two patients after gene therapy for SCID-X1.Science 302 (2003), 415-419

[3] Check, E.: Gene therapy put on hold asthird child develops cancer. Nature 433(2005), 561

[4] Wu, X. et al.: Transcription start regions inthe human genome are favored targetsvor MLV integration. Science 300 (2003),1749-1751

Thomas Winckler, Frankfurt

E R FO LG R E I C H E G E N T H E R A PI E Ü B E R Z I E L S T E U E R U N G M Ö G L I C H ? |Das Problem der Gentherapie besteht – wie im vorangegangenen Beitrag beschrieben– in der unspezifischen Integration der eingeführten DNA. Dieses Problem könnte viel-leicht bald gelöst werden: In einer vorgezogenen Online-Publikation [1] wurde am 3. April auf eine neue Technik hingewiesen, die eine intakte Kopie an die Stelle des defekten Gens setzt. Das Team um Michael Holmes von Sangamo BioSciences Inc. inRichmond California hat ein Fusionsprotein kreiert, das aus einem Zinkfinger-DNA-Bin-deprotein (ZFP) und einer Endonuklease besteht. Normalerweise sind diese ZFPs Be-standteil von Transkriptionsfaktoren, die einerseits über eine Erkennungsdomäne zurDNA-Bindung und andererseits über eine Regulatordomäne zur gezielten Genexpres-sion verfügen. Die Erkennungsdomäne besteht aus zwei oder mehr Zinkfingern, wobeijeder Finger eine Abfolge von drei Basen der DNA erkennt und bindet. Gentechnischlassen sich nun Zinkfinger modular aneinanderreihen, die jede beliebige, vorgegebeneDNA-Sequenz erkennen und daran binden. Eines dieser neu geschaffenen ZFPs ist inder Lage, eine spezifische, 24 Basen lange Sequenz aufzuspüren, die sich in dem de-fekten Gen befindet, das für SCID verantwortlich ist. Durch den Endonuklease-Anteildes Fusionsproteins wird das Gen dann an der entsprechenden Stelle geschnitten. Isteine Kopie des intakten Gens gleichzeitig mit dem Fusionsprotein in die Zelle einge-bracht worden, wird ein Reparaturmechanismus über eine homologe Rekombinationder Genkopien initiiert. Über diesen Mechanismus wird die defekte Gen-Kopie der Zelledurch das intakte Gen ersetzt und eine unspezifische Integration der eingebrachtenDNA verhindert.

In einem Testexperiment konnten die Wissenschaftler zeigen, dass ungefähr 20 %der behandelten humanen Immunzellen auf diese Weise geheilt werden konnten. Allerdings kann diese Therapieform derzeit nicht zur Genkorrektur der Zellen im Kör-per angewendet werden, aber die Wissenschaftler wollen dem Patienten Stammzellenentnehmen, deren Gendefekt korrigieren und anschließend wieder in den Patientenreinfundieren, um das Immunsystem zu regnerieren.

[1] Urnov, F.D., Miller, J.C., Lee, Y.-L., Beausejour, C.M., Rock, J.M., Augustus, S., Jamieson, A.C.,Porteus, M.H., Gregory, P.D., Holmes, M.C.: Highly efficient endogenous human gene correc-tion using designed zinc-finger nucleases. Nature (2005)


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