Durchblick
Dezember | 3-2011
Gemeinsam lernen
Diakonische StiftungWittekindshof
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
zum Advent legen wir Ihnen hiermit die zweite Ausgabe unserer Zeitschrift „Durch-blick“ in neuer Form vor, insgesamt die dritte in diesem Jahr. Der „Durchblick“ wird auch im nächsten Jahr in drei Ausgaben erscheinen. Er wird sich auch in 2012 nicht nur an die bisherigen Adressaten richten, sondern zusätzlich an andere Menschen, die unsere Zeitschrift bisher nicht bekommen haben. Wir möchten viele Menschen erreichen, von denen wir wissen, dass sie der Diakonischen Stiftung Wittekindshof verbunden sind – also auch Sie. Wenn Sie unsere Zeitschrift im nächsten Jahr nicht weiter zugesandt bekommen möchten, lassen Sie es uns bitte wissen. Gespannt sind wir aber auch auf Ihre Rückmeldungen zu den neuen Ausgaben.
Das vorliegende Heft beschäftigt sich im Hauptthema mit gemeinsamem Lernen. Das betrifft zunächst die spezielle Frage der gemeinsamen Beschulung von Schüle-rinnen und Schülern mit und ohne Behinderungen. Damit haben wir uns anläss-lich der Einweihung unseres neuen Förderschulgebäudes intensiv befasst. Darüber hinaus muss es aber auch in allen anderen Lebensbereichen darum gehen, das Zu-sammensein von Menschen mit und ohne Behinderungen beiderseits zu lernen – lebenslang. Mit der Behandlung solcher Themen im ersten Teil des „Durchblick“ wollen wir dazu beitragen, dass das zentrale Anliegen unserer Arbeit bei vielen Menschen in der Gesellschaft besser bekannt wird: die Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen gesellschaftlichen Aktivitäten.
Wir sind sehr froh, dass an dieser Ausgabe auch eine ganze Reihe von Menschen aus dem Umfeld der Diakonischen Stiftung Wittekindshof mitgewirkt haben. Das fängt an bei Bundesministerin Ursula von der Leyen, geht weiter bei Sylvia Löhr-mann, der Schulministerin unseres Bundeslandes, bis hin zu anderen Persönlich-keiten aus Politik und Fachöffentlichkeit. Dankbar bin auch für die sehr offenen Stellungnahmen aus dem Kreis der Eltern und Angehörigen und für die Beiträge, in denen von uns unterstützte Menschen selbst ins Bild und zu Wort kommen.
Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre dieser Ausgabe und eine geseg-nete Advents- und Weihnachtszeit.
Ihr Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher
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2 Editorial
4 Auf einen Blick So schön kann es an der Dinkel sein
Thema Gemeinsam lernen 6 Nach 120 Jahren: das erste Schulgebäude 7 Je früher, desto besser 8 Auf dem Weg zur inklusiven Beschulung 8 Halt und Sicherheit 10 … auf der Regelschule zu ihrem Recht kommen 12 Geborgen, aber offen für alles 14 … Mit verstärktem Elan angehen 15 Kooperationen und besondere Angebote 17 … zwischendurch innehalten und verschnaufen …
Wittekindshof18 In eigener Sache18 Leserbrief 19 Wissen, was ich leisten kann! 20 Menschen nach ihrem Können einsetzen 22 Auch ein Rollstuhl kann behindern 23 Fünf Jahre Wittekindshof Herne 25 Jubiläen im Wittekindshof und in Eben-Ezer24 Aus der Region 25 Suchthilfe trifft Behindertenhilfe25 Impressum26 Familienunterstützender Dienst 26 MAV:Schwerbehinderte Mitarbeiter
haben besondere Rechte
30 Fundraising Ein großes Dankeschön an alle Freunde und Förderer!
32 Was macht eigentlich … Tanja Follak?
34 Blick zurück Erinnerung an Pfarrer Dr. Johannes Klevinghaus
36 Einblick Mechthild und Steffen Bock: Melissas Zuhause
38 Auf ein Wort Gott ist dein Schirm, deine Zuflucht und dein Obdach
Diakonische StiftungWittekindshof
Menschenwürde gestalten.
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Freude, die Lehrern und Schülern ins Gesicht geschrieben steht: Gemeinsam lernen in einer neuen Schule.V.l.: Tobias Striewe, Benjamin Drossel, Ulrike Hinz, Marcel Schöne
Auf einen Blick
Da die Schüler lernten, wie schön es an
einem natürlich verlaufenden Fluss sein
könnte, sind ihnen die Missstände deutlich
aufgefallen: Sie waren teilweise richtig
entsetzt vom Fehlen der Flussbewohner
und der Pflanzen im Wasser und vor allem
von dem kahlen Flussufer und dem
geraden Verlauf unseres Flusses Dinkel.
Die Klasse O1 der Gronauer Johannesschule gewann mit dieser Mappe „So schön könnte es an der Dinkel sein“ beim landesweiten Schülerwettbewerb „Schulen ans Wasser“ den ersten Preis .
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Die Klasse O1 der Gronauer Johannesschule gewann mit dieser Mappe „So schön könnte es an der Dinkel sein“ beim landesweiten Schülerwettbewerb „Schulen ans Wasser“ den ersten Preis .
Auf einen Blick
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Gemeinsam lernen
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Seit über 120 Jahren werden Kinder und Jugendliche auf dem Wittekindshofer Gelände in Bad Oeynhau-sen-Volmerdingsen schulisch unterrichtet. Bisher haben die Unterrichtsräume in den drei als Schulen genutzten Gebäuden enge Grenzen gesetzt. Schließ-lich war keines dieser Gebäude für Schulzwecke geplant und errichtet worden. Barrierefreiheit hatte enge Grenzen – es fehlte an Pflegeräumen und Ruhemöglichkeiten. Es waren nicht genügend Fach-räume vorhanden.
Ein großer Tag für den Wittekindshof
Deshalb ist der 4. Oktober 2011 ein großer Tag für die Diakonische Stiftung Wittekindshof: In Gegen-wart zahlreicher Gäste und politischer Prominenz – allen voran Landesschulministerin Sylvia Löhr-mann – konnte das neue Gebäude für die Witte-kindshofer Förderschule seiner Bestimmung über-eignet werden.
Dieser Neubau ist das erste Gebäude auf dem Gründungsgelände, dessen Standort, Planung und
bauliche Umsetzung von Anfang an den besonde-ren Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler ausgerichtet ist. Während der langen Phasen der Bauplaung und des Ringens um die finanzielle Absicherung ist auch die politische Diskussion über die Notwendigkeit und die Zukunftsentwick-lung von Förderschulen in eine neue Phase ein-getreten. Das gibt dieser Einweihung eine beson-dere Note und stellt eine zusätzliche Herausforde-rung an die Diakonische Stiftung Wittekindshof als Schulträger dar. Es gilt, vor dem Hintergrund der neu gewonnenen pädagogischen Möglichkeiten – der Neubau eröffnet Perspektiven, von denen über Jahrzehnte hinweg allenfalls geträumt wurde – einen aktiven Part dabei zu übernehmen, inklu-sive Formen der gemeinsamen Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Behinde-rung theoretisch zu bedenken und in der Praxis zu erproben und dabei sicherzustellen, dass die Schülerinnen und Schülern, die in diesem Ge-bäude leben und lernen, eine individuell opti-mierte Vorbereitung mit auf den künftigen Le-bensweg bekommen.
Nach 120 Jahren: das erste Schulgebäude. Das neue Gebäude der Förderschule Wittekindshof
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Grußwort der Bundesministerin für Arbeit und Soziales
Liebe Leserin, lieber Leser,alle Menschen sind in ihrer Würde gleich.
Dieses urchristliche Ideal besagt, dass alle Menschen ein Recht auf Teilhabe am gesell-schaftlichen Leben haben. Mit anderen Wor-ten: Jeder Mensch soll so sein dürfen, wie er ist.
So einfach dieser Satz klingt, so wenig selbstverständlich ist er für Menschen mit Behinderung. Zwar sind wir in den letzten Jahren schon gut vorangekommen auf dem Weg zu mehr selbstbestimmtem Leben und Teilhabe. Dennoch sind wir noch lange nicht am Ziel. Das Schlüsselwort heißt Inklusion. Inklusion bedeutet, Menschen ohne Behin-derung passen sich so an, dass Menschen mit Behinderung selbstverständlich dabei sein und mitmachen können.
Der Wittekindshof macht das vor. Er bringt Menschen mit und ohne Behinderung zu-sammen, beim Wohnen, Arbeiten und in der Freizeit. Hier können wir es hautnah miter-
leben: Menschen mit Behinderung sind mittendrin und dabei – im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz, beim Einkaufen oder beim Sport. Das ist Inklusion. Und so steht es auch in der UN-Behindertenrechts-konvention.
Diese Konvention, die 192 Länder aus der ganzen Welt gemeinsam erarbeitet haben, schlägt ein neues Kapitel in der Behinder-tenpolitik auf. Die Bundesregierung hat im Juni 2011 den Nationalen Aktionsplan verab-schiedet. Er enthält über 200 praktische Vor-haben, Projekte und Aktionen. Sie zeigen, dass Inklusion ein Prozess ist, der alle Le-bensbereiche umfasst.
Mit dem Aktionsplan hat sich die Bun-desregierung für die nächsten 10 Jahre viel vorgenommen: Das reicht von einem großen Ausbildungs- und Arbeitsmarktprogramm („Initiative Inklusion“) über die Verbesse-rung der Mobilität durch kostenlose Nut-zung des Nahverkehrs der Deutschen Bahn
bis hin zur inklusiven Bildung vom Klein-kindalter an. Je früher Inklusion ansetzt desto besser. Damit Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen schnell dort ankommen, wo sie gebraucht werden, wol-len wir die Abstimmungsprobleme zwischen den Trägern der Leistungen überwinden.
Der Aktionsplan ist ein Motor für Verän-derung. Doch wirkliche Veränderungen gibt es nur, wenn Menschen sich einsetzen, mit-machen, vorangehen – so wie Sie, die Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakoni-schen Stiftung Wittekindshof. Mit Ihrer Arbeit, Ihrer Kraft und Liebe sorgen Sie da-für, dass Menschen mit Behinderung so sein können, wie sie sind. Dafür danke ich Ihnen ganz herzlich. Das macht Mut. Manchmal ist es ganz einfach, die Welt zu verändern. Machen wir es einfach!
Ursula von der Leyen
Ein neuer Ort
15 Klassenräume jeweils mit Gruppenraum, die mit einer Küchenzeile ausgestattet sind, Material-raum und Garderobe, die zusammen eine Einheit bilden. 13 Fachräume mit vielfältigen Förder- und Bil-dungsmöglichkeiten einschließlich Berufsvorberei-tung für die sehr heterogene Schülerschaft. Flure und Pädagogische Mitten bieten viel Bewe-gungsfreiraum und Platz für klassenübergreifende Aktivitäten; im dritten Obergeschoss kann die Päd-agogische Mitte als Cafeteria genutzt werden. Das Außengelände auf der Nord- und Südseite bietet viele Anregungsmöglichkeiten und kann ge-zielt im Unterricht genutzt werden. In den Pausen lädt es zum Spielen, sich Bewegen und Entspannen ein.
Mehr Zeit
Der Schulneubau ermöglicht erstmals in der Schule Wittekindshof Ganztagsunterricht. Er ist in ver-gleichbaren Schulen Standard, weil die Schülerin-nen und Schüler mehr Zeit zum Lernen benötigen. Idealerweise findet der Unterricht fächerübergrei-fend in konkreten Handlungszusammenhängen statt, so dass die Schülerinnen und Schüler die All-tagsrelevanz direkt erleben. Räumliche Vorausset-zung für den Ganztagsunterricht sind Pflege- und Ruheräume, aber auch die Möglichkeit, dass Schü-lerinnen und Schüler ihren Rollstuhl verlassen und sich in verschiedenen Positionen auf Liegeflächen oder Sitzsäcken entspannen können.
Weitere Informationen: Schule WittekindshofTel. (05734) 61-45 02, [email protected]
www.wittekindshof.de
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Auf dem Weg zur inklusiven Beschulung
Nun ist es also fertig, das neue Gebäude der För-derschule Wittekindshof. Nicht ganz rechtzeitig allerdings, es wurde nämlich erstellt mit etwa 120 Jahren Zeitverzögerung. Denn die Diakonische Stif-tung Wittekindshof unterstützt nun schon seit über 120 Jahren Kinder und Jugendliche im Bildungsbe-reich. Dies geschah bis jetzt immer in Räumlich-keiten, die für die Beschulung von Menschen mit Behinderungen eigentlich ganz ungeeignet waren. Ich muss mich deshalb bei dem Kollegium unserer Förderschule und ihrem Leiter, Herrn Becker-Brandt, sehr bedanken, dass Sie trotz dieser kaum vertretbaren Rahmenbedingungen an drei ver-schiedenen und gleichermaßen ungeeigneten Standorten über viele Jahre die Beschulung der Schüler/innen so einfallsreich und professionell ermöglicht haben. Und ich freue mich aufrichtig mit Ihnen, dass Sie nun endlich gute Arbeitsbedin-gungen für Ihre anspruchsvolle Bildungsarbeit vorfinden.
Der lange Weg zum Schulneubau
Als ich vor ziemlich genau fünf Jahren meinen Dienst als Vorstandssprecher hier in der Stiftung antrat und mir anschaute, wie im Keller des Wohn-hauses Kinderheimat Kinder mit schweren mehr-fachen Behinderungen in wenige Quadratmeter großen Räumen unterrichtet wurden, da war mir sofort klar, dass es keine ruhige Nacht mehr geben darf, bis nicht diese ganz unangemessenen Unter-richtsbedingungen beseitigt sind. In den letzten Jahren sind -zig Delegationen durch diese Räum-lichkeiten geführt worden, die genau den gleichen Eindruck gewonnen haben. In einem wegen der verschiedenen Zuständigkeiten sehr anspruchsvol-len Abstimmungsprozess zwischen Bezirksregie-rung, Kreis Minden-Lübbecke und Landschafts-verband Westfalen-Lippe konnte dann mit den Beteiligten tatsächlich eine gemeinsame Lösung gefunden werden. Auf deren Basis haben wir diese Schule bauen können und feiern die Einweihung.
Dierk Starnitzke, Vorstands-sprecher der Diakonischen Stiftung Wittekindshof
In seinem Impulsvortrag zur Schuleinweihung am 4. Oktober 2011 skizzierte Dr. Starnitzke den mögli-chen Beitrag von Förder-schulen auf dem Weg zu einer inklusiven Gesell-schaft.
Als Mutter kenne ich unsere Kinder, als Leh-rerin an einer Regelschule durfte ich viele andere Kinder kennen lernen – gesunde und behinderte. Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Begabungen und Biographien, jeder für sich liebenswert. Schon alleine die Bandbreite an einer Regelschule ist eine Herausforderung, will man jedem gerecht werden.
Hin und wieder stelle ich mir unseren behinderten Sohn Lorenz an einer Regel-schule vor. Für mich eine schreckliche Vor-stellungen: jeden Tag herauszustechen, weil die Masse gesund ist; ständig Vergleichen ausgeliefert zu sein und sich seiner eigenen
Einschränkungen bewusst sein zu müssen; viele Gemeinschaftsaktionen nicht mitma-chen zu können, oder aber die Gemeinschaft sich entwickelnder Jugendlichen einzu-schränken… Als Lehrerin hatte ich in meiner Klasse einen körperbehinderten Schüler. Hier hat Integration funktioniert, weil er geistig ebenbürtig war und sich bei Aus-grenzungen selber helfen konnte. Und weil alle an einem Strang gezogen haben.
Bei Lorenz wäre dies aufgrund seiner Be-hinderung anders: Es kämen auch dann keine Spielkameraden zu uns, und in der Pubertät würden sich die Probleme noch potenzieren. Lorenz benötigt Halt und
Sicherheit in einem System, in dem er von allen angenommen wird, keine Ausnahme darstellt und entsprechend seiner Fähigkei-ten gefördert wird. Wir sind sehr froh, dass es für ihn eine spezielle Schulform gibt. Seit diesem Sommer besucht er die Schule Wit-tekindshof. Und wir freuen uns jeden Tag mit Lorenz auf den Schulbesuch.
Patricia Rhades
Halt und Sicherheit
Erfahrungen und Wünsche der Mutter von Lorenz
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Insofern können die Nächte jedenfalls diesbezüg-lich ruhiger werden.
Unser großer Dank …
Unser großer Dank gilt an dieser Stelle auch den Privatpersonen, Firmen, Vereinen, Kirchenge-meinden und Stiftungen, die mit insgesamt 1,7 Mio Euro den Bau des neuen Schulgebäudes mit er-möglicht haben. Allen voran sind hier zu nennen die Dr. Hans-Joachim und Christa Strothmann-Stiftung, die Günther und Rita Rudloff-Stiftung sowie die Dieter Ernstmeier Stiftung. Ohne ihre Zuwendungen im deutlich sechsstelligen Euro-Bereich hätten wir dieses Schulprojekt nicht be-wältigen können. Einen weiteren wesentlichen Beitrag für die Schulfinanzierung haben die Aktion Mensch und die Stiftung Deutsche Behinderten-hilfe geliefert. Dankbar sind wir aber auch für jede andere kleine und große Spende, die wir nicht nur als finanzielle Förderung, sondern auch als Aner-kennung unseres Einsatzes für Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf verstehen. Man kann natürlich auch weiterhin die Förder-schule diesbezüglich unterstützen.
Gelingen konnte der Neubau für die Schule Wit-tekindshof nur, weil die Bezirksregierung in Det-mold, der Landschaftsverband Westfalen-Lippe und der Kreis Minden-Lübbecke gemeinsam mit der Schule und der Diakonischen Stiftung Wittekindshof ein angemessenes Raum- und Finanzierungsmodell entwickelt haben, so dass wir eine Schule bauen konnten, die den besonderen Bedürfnissen unserer Schülerinnen und Schüler entspricht.
Kommt die Förderschule zu spät?
Die Diakonische Stiftung Wittekindshof kommt also mit einer Zeitverzögerung von etwa 120 Jahren mit ihren Bemühungen um ein angemessenes Schul-gebäude hier auf dem Gründungsgelände nun endlich zum Ziel. (Wir betreiben ja außerdem noch eine zweite Förderschule in Gronau.) Dies ist ei-nerseits ein Grund zu großer Freude. Sie war in den ersten Schultagen vor allem bei den Schüle-rinnen und Schüler und auch beim Kollegium spürbar. Andererseits muss man sich zu diesem Anlass aber auch fragen, ob die heutige Einwei-hung nicht mindestens zwanzig Jahre zu spät kommt. Denn wir reden heute gerade im schuli-
Der Holzwerkraum im neuen Schulgebäude auf dem Gründungsgelände: zudem bieten 12 weitere Fachräume vielfältige Förder und Bildungsmöglichkeiten.
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schen Kontext über Inklusion und damit auch über die Aufhebung von Sonderwelten.
Die aktuelle Landesregierung hat sich klar zum Ziel gesetzt, dies energisch weiter zu verfolgen. Wenn man das Leitbild unserer Stiftung betrachtet, das wir vor kurzer Zeit nach einem langen und sehr umfangreichen Diskussionsprozess veröffentlicht haben, dann ist auch dort genau dieser Gedanke zentral und wegleitend für die weitere Entwicklung unserer Stiftung formuliert: Es geht uns um voll-ständige Teilhabe von Menschen mit Behinderun-gen an allen gesellschaftlichen Bereichen. Das gehört für uns zu einer menschenwürdigen Le-bensgestaltung. Deshalb wäre es durchaus ange-messen, wenn Sie, sehr geehrte Frau Ministerin Löhrmann, uns heute die kritische Frage stellen: Ist nicht gerade die heutige Einweihung einer För-derschule ein Anachronismus, d. h. ein Vorgang, der gar nicht mehr in die Zeit passt und völlig ver-spätet kommt?
Gründe für eine Förderschule
Natürlich gibt es auch in heutiger Zeit gute Argu-mente, Kinder an Förderschulen zu unterrichten.
– Da wäre erstens die Wahlfreiheit der Schüler/innen und ihrer Eltern, die es ihnen ermöglichen soll, das für sie angemessene Schulsetting ansteu-ern zu können – eben auch eine entsprechende Förderschule.
– Zweitens kann man anführen, dass es für be-stimmte Schüler/innen mit einem besonders ho-
hen Unterstützungsbedarf auch in Zukunft sinnvoll sein wird, spezielle Förderschulen anzubieten, weil die Regelschulen zurzeit noch nicht für die Beschulung dieser Kinder und Jugendlichen aus-gelegt sind. Das gilt besonders für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige und motorische Entwicklung.
– Drittens kann man darauf hinweisen, dass ge-rade hier auf dem Gründungsgelände unserer Stif-tung ein besonders hoher Anteil solcher Schüler-innen und Schüler unterrichtet wird, für die es sehr spezielle Bedingungen braucht, um überhaupt in bescheidenster Form am Bildungsgeschehen teil-haben zu können.
– Viertens könnte ich davon berichten, dass wir an anderer Stelle unseres Bundeslandes die Erfah-rung machen, dass solche Kinder und Jugendlichen dort nicht einmal an den örtlichen spezialisierten Förderschulen beschult werden können und wir deshalb stundenweise für eine Beschulung im Wohnbereich sorgen müssen.
– Schließlich könnte ich fünftens davon erzählen, dass schon die gemeinsame Beschulung der sehr verschiedenen Förderschüler/innen an unserer Schule im Grunde eine anspruchsvolle interne In-klusionsaufgabe ist.
Die Vision einer inklusiven Gesellschaft
Ich möchte an dieser Stelle aber nicht einfach die üblichen Rückzugsgefechte führen, die zeigen sol-len, dass Inklusion ein schöner Gedanke ist, der aber
Im Jahr 2007 haben wir das „Sondermodell“ Emma angeschafft: Sie kam vollkommen kostenfrei und wurde pünktlich geliefert. Emma hat ein winzig kleines Chromosom mehr in jeder ihrer Zellen als die meist an-deren Menschen. Dieses wird auch als Down-Syndrom bezeichnet.
Emma ist ein gesundes, fröhliches Mäd-chen mit wunderschönen Mandelaugen. Sehr schnell wurde klar, dass Emma sich sehr viel bei ihren großen Schwestern ab-guckt und dadurch bereits vieles gelernt hat.
So sind wir davon überzeugt, dass Emma auf einer Regelschule gut zu Recht kommen wird. Im Moment ist sie in einem Regelkin-dergarten mit Integrationskraft unterge-bracht, mit sehr guter Akzeptanz unter den „normalen“ Kindern.
Sie lernt Gutes und Schlechtes, wie je-des andere Kind auch! Wir denken, dass das in einer Regelschule auch der Fall sein wird.
Mit der Unterstützung von Sonderpäda-gogen haben auch diese Kinder eine
Chance, in die Gesellschaft aufgenommen und akzeptiert zu werden – so dass eine „Behinderung“ etwas Normales und nichts Außergewöhnliches ist. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Schulgesetze sehr rasch entsprechend geändert werden – und dafür räumliche und personelle Grundlagen zügig geschaffen werden.
Elisabeth und Jacob van der Velde
… auf der Regelschule zu ihrem Recht kommen
Erfahrungen und Wünsche der Eltern von Emma
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an den Realitäten des Lebens von Menschen mit Behinderungen vorbeigeht – der außerdem finanzi-ell nicht bezahlbar ist, pädagogisch im Regelschul-system nicht leistbar ist und ab einem bestimmten Behinderungsgrad auch pädagogisch nicht sinnvoll und didaktisch nicht machbar ist. Damit würde ich mich in die Reihe derjenigen stellen, die mit guten Gründen eine Restmenge von Menschen in unserer Gesellschaft definieren möchten, für die eben die Einrichtung spezieller, nicht inklusiver Förderset-tings sinnvoll ist und bleiben wird.
Natürlich sind alle eben genannten Argumente sinnvoll und richtig und rechtfertigen schon von sich aus die Einweihung einer solchen Förderschule. Aber wir möchten an dieser Stelle mit der Arbeit unserer Stiftung im Bildungsbereich weitere Schritte gehen. Wir sind davon überzeugt, dass gerade die besonderen Erfahrungen, die wir in unserer son-derpädagogischen Arbeit gewinnen, eine hervorra-gende Basis sein können, um menschliche Gemein-schaft weiter zu fördern und unserer im Leitbild formulierten Vision einer inklusiven Gesellschaft näher zu kommen.
Inklusion so früh wie möglich
Nach unserem programmatischen Ansatz muss die Förderung inklusiven gemeinschaftlichen Lebens so früh wie möglich in der Biographie ansetzen – und zwar schon in der Vorschulzeit. Dabei müssen von vornherein die betreffenden Familien einbezo-gen werden. Deshalb haben wir in unserer Stiftung eine Konzeption von Familienzentrum erarbeitet, durch die schon von frühester Kindheit an Men-schen mit und ohne Behinderungen, aber auch mit verschiedensten sprachlichen und kulturellen Her-künften in gemeinsamen Gruppen betreut und ge-bildet werden, z.B. evangelische Christen, syrisch-orthodoxe Aramäer und Muslime. Inklusion meint ja nicht nur das selbstverständliche Zusammensein von Menschen mit und ohne Behinderung, sondern auch von allen anderen Menschen mit verschie-densten Gewohnheiten, Eigenschaften und Fähig-keiten. In unserem Konzept wird auf die Ausdiffe-renzierung unterschiedlicher Gruppen von Kindern verzichtet, sie werden in ein und derselben Lern-gruppe betreut.
Sie möchten das Beste für Ihre Kinder: Die Eltern begleiten voller Hoffen und Bangen den ersten Schultag.
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Vom Familienzentrum zur inklusiven Beschulung
Bei der Entwicklung unserer Familienzentren haben wir erstmals verschiedene Angebote (Frühförde-rung, Kindertagesstätte, heilpädagogische Kinder-tagesstätte, Therapie) zusammengeführt. Damit haben wir in der Landschaft der vorschulischen Bildung eine Vorreiterrolle übernommen, Auf der Grundlage inklusiver Pädagogik werden allen Kin-dern (unabhängig ihrer Zuordnung zu den einzel-nen Fördersystemen) ganzheitliche Bildungs- und Förderangebote eröffnet. Hierbei steht nicht die bloße Addition der Angebote im Vordergrund, son-dern die konzeptionelle Zusammenarbeit aller Sys-teme. Gemeinsames Lernen wird zur Selbstver-ständlichkeit am Ort des Geschehens, Sonderwelten werden dadurch aufgelöst.
Durch die sozialräumliche Ausrichtung der An-gebotspalette als zertifiziertes Familienzentrum NRW werden Angebote für Kinder und Familien im Sozialraum ermöglicht. Durch die aktive Einbindung der Familien in die Arbeit der Familienzentren wer-den unsere Einrichtungen zu Orten der Begegnung in den Stadtteilen. Inklusion bedeutet für uns in diesem Sinne ebenso die Mitbestimmung und Mit-gestaltung aller Kinder und Erwachsenen ohne Ausnahme.
Wir machen mit diesem inklusiven Konzept der Fa-milienzentren sehr positive und beeindruckende Erfahrungen. Diese Kenntnisse hat das Landesju-gendamt im Landschaftsverband Westfalen-Lippe
(LWL) u. a. dazu bewegt, mit Trägern Heilpädagogi-scher Kindertagesstätten solche inklusiven Modelle in unserem Land flächendeckend weiter umzuset-zen. Unsere Erfahrung befähigt uns nach meinem Eindruck nun auch dazu, auf dieser Linie im biogra-phischen Verlauf weiter zu denken und ein entspre-chendes Schulkonzept zu entwickeln. Dabei kann man gerade von sonderpädagogischen Kenntnissen besonders profitieren. So wie Regelkindergärten zu inklusiv arbeitenden Familienzentren umgestaltet werden können, sollte man auch die Regelschulen zu inklusiv arbeitenden Schulen weiter entwickeln, bei denen sonderpädagogische Anteile ganz we-sentlich mit vorhanden sind – und zwar für alle Schüler im Interesse ihrer individuellen Förderung.
Regelschulen und Förderschulen zusammenführen
Gestatten Sie mir deshalb, sehr geehrte Frau Minis-terin Löhrmann, dass ich an dieser Stelle einen Ge-danken einbringe, der die aktuellen programmati-schen Überlegungen im Bildungsbereich noch ei-nen Schritt weiter treibt. Die Unterscheidung von Regelschule und Förderschule lässt sich unseres Erachtens dadurch besonders gut überwinden, dass von beiden Seiten aus gegenseitig Durchlässigkei-ten geschaffen werden. Dafür braucht man aller-dings innovative Modelle, an deren Entwicklung wir uns als Stiftung gern beteiligen würden.
Das kann ja in zwei Richtungen geschehen: ent-weder man bringt Förderschüler in die Regelschu-
„Unser Sohn Julien (7 Jahre, Down-Syn-drom) ist ein freudiger Kerl. Fühlt er sich wohl, ist er motiviert und voll bei der Sache. Als die Auswahl einer Schule für Julien nä-her rückte, haben wir uns die Frage gestellt, was für Julien wohl das Beste wäre und vor allem, wo er sich am wohlsten fühlen würde. Unserer Meinung nach auf einer Förderschule, wo es keine Ausgrenzung gibt: also mittendrin statt nur dabei.
Aus heutiger Sicht, das erste Schuljahr ist vergangen, war unsere Entscheidung
genau die richtige. Dies bestätigt Julien jeden Tag durch seinen freudigen Gang zur Schule. Und: Ab diesem Schuljahr ist Julien umgezogen vom Wittekindshof in die Grundschule Volmerdingsen. Alleine? Nein. Mit seiner kompletten Klasse! Dort steht der Klasse ein extra für sie eingerichteter Raum zur Verfügung. Über eine Verbin-dungstür haben die Schüler direkten Anschluss an ihre „Partnerklasse“. Die Partnerklasse ist ein zweites Schul- jahr, und es können, wenn es passt, Unter-
richtsinhalte gemeinsam wahrgenommen werden.
Also: Geborgen in einer Gemeinschaft, aber offen für alles! Und das Beste: es klappt! Alle fühlen sich wohl: Julien, seine Klasse, die Partnerklasse, die Grundschule, der Wittekindshof .... Mehr geht nicht!
Kirstin und Marco Schubert
Geborgen, aber offen für alles
Erfahrungen und Wünsche der Eltern von Julien
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len oder Regelschüler in die Förderschulen. Den ersten Weg, eine Förderschulklasse in die Regel-schule zu bringen, praktizieren wir seit einigen Wo-chen in Kooperation mit der hiesigen Grundschule. Dort wird auch bereits gemeinsamer Unterricht in einigen Unterrichtsfächern vorbereitet. Auf diesem Wege wollen wir weiter mutig voranschreiten. Den zweiten Weg, Regelschüler in der Förderschule auf-zunehmen, würden wir ebenfalls gern weiter in den Blick nehmen.
Ziel all dieser Bemühungen muss es sein, ge-meinsame Lerngruppen von Schülern mit und ohne Behinderung aufzustellen, in denen alle individuell entsprechend ihrem Bildungsprofil in einer Gruppe zieldifferent gefördert werden. Wir sind uns dabei bewusst, dass solche konzeptionellen Entwicklun-gen zunächst eine hoheitliche Aufgabe der Landes-regierung sind und Ersatzschulträger dabei leider nicht in erster Linie gefragt sind. Gern würden wir jedoch hier unsere breite pädagogische und didak-
tische Erfahrung einbringen. Ich weiß, dass Sie ge-rade jetzt in der Landesregierung über diese The-men besonders intensiv nachdenken.
Das Ziel: inklusive Beschulung
Ich habe bei unserem ersten Kontakt zu diesen Fra-gen im Frühjahr den Eindruck gewonnen, dass Sie an dieser Stelle nicht zuletzt auch als ausgebildete Lehrerin innovative Ansätze wünschen und fördern möchten. Wir machen allerdings die Erfahrung, dass die Mühlen der Schulbürokratie hier wesent-lich langsamer arbeiten als die politisch und kon-zeptionell Verantwortlichen dies wünschen. Ich würde mich deshalb sehr freuen, wenn wir auf dieser Linie gemeinsam unser Ziel der inklusiven Beschulung in den verschiedenen Facetten weiter verfolgen und dafür in Zukunft weiter eng zusam-men arbeiten könnten.
Schreiben, rechnen, lesen: in Förderschulen stehen oft auch andere Fähigkeiten und Talente im Mittelpunkt.
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Seit 120 Jahren leben, lernen und wohnen in der Diakonischen Stiftung Wittekindshof Kinder, Jugend-liche und Erwachsene mit geistigen, körperlichen oder mehrfachen Behinderungen. In dieser langen Zeit hat sich die Einrichtung und auch das schulische Angebot immer wieder erweitert und den Erforder-nissen der Zeit und der Menschen, die hier leben, angepasst: Verschiedene Wohn- und Schulgebäude, Therapieeinrichtungen sowie das Berufsbildungs-werk und Werkstätten kamen hinzu. Ursprünglich waren die Häuser nicht als Schulen oder Werkstätten gedacht. Deshalb zeigte sich im Laufe der Zeit, dass die Wege zu den einzelnen Lern- und Arbeitsberei-chen weit und zum Teil - wie man es heute formu-liert - nicht barrierefrei sind.
Mit dem heutigen Tag steht eine weitere Verän-derung und ein Fortschritt an: Es besteht nun – und erstmals in der Geschichte des „Wittekindshofs“ – eine eigens als Schulgebäude geplante Immobilie.
Das neue Haus ist barrierefrei gebaut. Es bietet den etwa 150 Schülerinnen und Schülern sowie auch dem pädagogischen, therapeutischen und pflegen-den Personal der Schule sowie den Besuchern viel Platz. Neben den zahlreichen Klassen- und Fach-räumen gibt es notwendige Pflege- und Thera-pieräume, eine großzügige Cafeteria und Pausenflä-chen, die vielfältig genutzt werden können. Ihr
Neubau, über den ich mich in Ihren Veröffentlichun-gen informieren konnte, lässt eine überlegte und liebevolle Planung erkennen, in die – und das hat mich besonders gefreut - die Schülerinnen und Schüler, die in diese Schule gehen, ihre Wünsche und Vorstellungen einbringen konnten.
Mehr Räume – kurze Wege
Durch das neue Gebäude ist es nun leichter, den Betrieb als Ganztagsschule mit einer Mittagsversor-gung im Gebäude der Schule umzusetzen. Schuli-sche, pflegerische und therapeutische Maßnahmen können aufgrund der neuen Räumlichkeiten stärker aufeinander bezogen und stärker verzahnt werden, als das früher möglich war. Kurze Wege lassen mehr Zeit zum Lernen. Die räumlichen Erweiterungen er-möglichen mehr Differenzierungen - auch für den Bereich Berufsvorbereitung. Somit wird eine ganz-heitliche Förderung, die den speziellen Bedürfnis-sen der Schülerinnen und Schüler mit Mehrfachbe-hinderungen entspricht, gestärkt.
Liebe Schülerinnen und Schüler, ich freue mich mit euch über die verbesserten räumlichen Mög-lichkeiten und die sich daraus ergebenden Lern-chancen, die ihr jetzt hier nutzen könnt.
… Mit verstärktem Elan angehen
Sylvia Löhrmann, Ministerin für Schule und Weiterbildung, stellvertretende Ministerpräsi-dentin des Landes Nordrhein-Westfalen
Ministerin Löhrmann bei Ihrer Ansprache zur Einweihung des
Förderschulgebäudes.
Ein feierlicher Moment: Reiner Breder, Dr. Dierk Starnitzke, Ministerin Sylvia Löhrmann Schulleiter Andreas Becker-Brandt
und Christa Strothmann beim Durchtrennen des Eröffnungsbandes.
Kooperationen und besondere Angebote
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Rede zur Einweihung des neuen Gebäudes der Förder-schule am 4. Oktober 2011
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Seitens der Gronauer Johannesschule arbei-ten wir seit längerem mit mehreren Schulen zusammen. Wir hatten z.B. zwei gemein-same Angebote mit der Schwerpunkt-Grund-schule im Gronauer Westen: eine Fußball-Arbeitsgemeinschaft und eine Arbeitsge-meinschaft zum Thema Töpfern für unsere jüngeren Schülerinnen und Schüler. Die Fuß-ball-AG musste wegen der knappen Perso-naldecke zurückgestellt werden. Aber die AG Töpfern gibt es immer noch.
Weiterhin kooperieren wir eng mit dem Kompetenzzentrum sonderpädagogischer Förderung (KsF), insbesondere mit der Gro-nauer Pestalozzischule, die Teil dieses Kom-petenzzentrums ist. Dabei übernehmen wir gegenseitig Schüler für besondere Projekte. Einer unserer Schüler hat beispielsweise in den letzten beiden Schuljahren an der Pestalozzischule die Vorbereitungen für sei-nen Motorroller-Führerschein absolviert. Die AG dauerte drei Unterrichtstunden pro Wo-che. Der Schüler hat die Prüfung im Sommer bestanden. Immer wieder nehmen Gast-schüler aus anderen Schulen an unserem Unterricht oder den Angeboten der Berufs-praxisstufe teil. Häufig wird dadurch ein Schulwechsel vorbereitet. Zudem kooperie-ren wir mit Regelschulen im Lernbereich der religiösen Erziehung im Ethikunterricht.
Bedingt durch Raumnot hat unsere Be-rufspraxisstufe und zusätzlich eine unserer Oberstufen Räumlichkeiten im Wirt-schaftszentrum Gronau (WGZ) bezogen, in direkter Nachbarschaft zu den Lehrgangsräu-men des Arbeitsamtes und anderer Dienst-leitungsanbieter und Firmen. Das Gebäude liegt mitten in der Stadt. Das nutzen die Schülerinnen und Schüler vermehrt und ge-nießen die vielfältigen Angebote im Innen-stadtbereich. Dadurch gewinnen sie an Si-cherheit und Selbstständigkeit.
Zahlreiche Kooperation mit Firmen in der Region
Enge Kooperationen gibt es im Bereich der Berufspraxisstufen z.B. mit dem Integrati-onsfachdienst der Werkstatt in Gronau, dem Integrationsfachdienst Borken und der Reha-Beratung der Bundesagentur für Arbeit. Sie bieten regelmäßig in den Räu-men der Berufspraxisstufe Sprechstunden für Schüler, Eltern und Lehrer an und arbei-ten mit an der Umsetzung unserer Zukunfts-plangespräche, die wir mit den Schülerin-nen und Schülern führen. Daneben gibt es zahlreiche Kooperationen mit Firmen der Region, die Praktikumsplätze zur Verfügung
stellen, damit die Schüler den ersten Arbeits markt kennen lernen und erproben können.
Weitere Schul-Projekte wurden etwas re-duziert, seit sich die Berufspraxisstufe nicht mehr auf dem zentralen Schulgelände befin-det. Das bedeutet eben auch, dass wir hier nicht mehr so viele erwachsene Schülerinnen und Schüler direkt erreichen. Damit fehlt auch das Personal, das im Wirtschaftszent-rum unterrichtet. Insgesamt erschweren die schwierige Personalsituation und Raumnot auf dem Schulgelände das Zustandekommen besonderer Vorhaben und Kooperationen.
Jutta Thier-Mechelhoff, Rektorin der Johannesschule
Derzeit besuchen 171 Schülerinnen und Schüler die
Johannesschule. Davon nutzen 31 Personen Witte-
kindshofer Wohnangebote. 68 der Schülerinnen und
Schüler sind schwerstmehrfach behindert. Das Ein-
zugsgebiet der Schule umfasst Gronau, Heek, Ahaus
und Vreden – also den Nordkreis Borken.
Weitere Informationen: Johannesschule Gronau
Tel. (0 25 62) 9 16 – 180
www.johannesschule-wittekindshof.de
Durchb l i ck 3 -201 1 15
Sehr geehrter Herr Prof. Starnitzke, Sie haben eben launig formuliert, 120 Jahre gebraucht zu haben. Vielleicht kennen Sie folgendes Zitat von Gotthold Ephraim Lessing: „Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht noch immer geschwin-der, als jener, der ohne Ziel umherirrt.“ Bedeutsame Veränderungsprozesse brauchen Zeit. Dennoch hoffe ich, dass wir für eins unserer großen bildungs- und gesellschaftspolitischen Ziele – die Schaffung eines inklusiven Schulsystems in Nordrhein-Westfalen – nicht ganz so lange brauchen werden.
Aber ich denke, das ist allen Beteiligten klar: Hierbei handelt es sich dabei um eine Generatio-nenaufgabe, die wir jetzt behutsam, aber nachhaltig mit verstärktem Elan angehen.
Sehr geehrter Herr Professor Dr. Starnitzke, mir hat gut gefallen, wie Sie sich als Schulträger mit den möglichen Wegen hin zu einem inklusiven Schul-system auseinandersetzen und sich auch selbstkri-tische Fragen stellen. Ausgehend von den inklusiven Konzepten im Rahmen der Arbeit Ihrer Familien-zentren haben Sie das Ziel sehr griffig beschrieben: Das gemeinsame Lernen wird zu einer Selbstver-ständlichkeit am Ort des Geschehens.
Ja, Inklusion ist ein wachsender Prozess – ein Prozess, der sich im Ergebnis durch die gesamte Le-bensbiografie der Menschen ziehen sollte – von der frühen Förderung bis hin ins Alter. Der gelebten Praxis des gemeinsamen Lernens in Schulen wird dabei eine hohe Bedeutung beizumessen sein. Erste
Johannesschule Gonau
Kooperationen und besondere Angebote
Gemeinsam lernen
1 6 Durchb l i ck 3 -201 1
vorsichtige Ansätze scheinen schon hier im Witte-kindshof zu reifen. Ich möchte Sie dazu ermutigen, diese Gedanken und Planungen zu vertiefen – der Weg zu einem inklusiven Schulsystem wird dadurch gekennzeichnet sein, dass wir systematisch Schritt für Schritt auf das Ziel zugehen. Dabei wird es noch viele Fragen zu klären geben; so auch die Frage, wie sich eine Förderschule auf den Weg machen kann, eine inklusive Schule zu werden. Für Ihr Unterstüt-zungsangebot danke ich Ihnen – denn nur durch Gespräche und Diskussionen über mögliche Wege, über den Austausch über Vorstellungen werden wir gemeinsam diese große Aufgabe stemmen.
Dies entspricht auch den bildungspolitischen Zie-len, die sich die Landesregierung für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gesetzt hat. Denn die Konvention setzt auf die aktive und selbst-bestimmte Partizipation von Menschen mit Behinde-rungen – in einer inklusiven Gesellschaft; ja hier muss der Leitgedanke unserer Regierung besonders be-herzigt werden: „Betroffene zu Beteiligten machen“. Inklusion gestalten – das gilt für alle Lebensbereiche über die Schule bis hin zu Arbeit, Kultur und Freizeit. Ich begrüße Ihre Bemühungen um gemeinsame Projekte mit Grundschulen, wie Kooperationen im Unterricht, in der Pause und während des Ganztags.
Jede Schule muss eine Förderschule werden!
Gleiches gilt für Ihre Förderung in der Sekundar-stufe I. Hier beabsichtigen Sie mit Ihren Möglichkei-ten zu unterstützen, dass der Wunsch der Eltern nach einer allgemeinen Schule für ihre Kinder mit Behinderung so oft wie möglich realisiert werden kann. Aber auch Eltern, die eine Förderschule wün-schen, sollen dieses Angebot erhalten.
Wenn Sie, Herr Professor Starnitzke, von einem „Anachronismus“ der Schaffung von Sonderwelten sprechen, dann ist das sicher richtig. Aber im Grunde können wir auch den Spieß umdrehen: Statt jetzt darüber zu spekulieren, wann wir welche Schulen abschaffen, müssen wir doch den Gedanken der in-dividuellen Förderung so ernst nehmen, dass wir unsere Anstrengung darauf richten, in diesem Sinne jede Schule zu einer echten Förderschule zu machen.
Ich sehe sehr wohl, dass die Fragestellungen für eine inklusive Unterrichtung von Kindern und Ju-gendlichen mit komplexen Behinderungen nicht immer ganz einfach zu lösen sind. Aber hier möchte ich dem Leitsatz treu bleiben: Inklusion ist unteilbar. Möglicherweise sind die Wege unterschiedlich und es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten. Mir ist wichtig darauf hinzuweisen, dass Inklusion mehr ist als das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung. Es geht auch um soziale Teilhabe und die Akzeptanz von Verschiedenheit und Vielfalt.
Ja, wir werden viele weitere Schritte – dessen bin ich mir sicher – in den nächsten Jahren in Richtung der allgemeinen Schulen gehen, und ich bin gespannt darauf, wie Sie diese Schritte hier in Bad Oeynhausen und im Kreis Minden-Lübbecke gestalten werden. Es steht unserer Gesellschaft gut an, sich hier in einem gesamtgesellschaftlichen Konsens über die weiteren Entwicklungsschritte zu verständigen.
Unser gemeinsames Ziel ist es ja, alle Kinder und Jugendlichen – egal ob mit mehr oder weniger kom-plexen Behinderungen oder ohne Behinderung – individuell in den persönlichen Kompetenzen zu stärken, so dass alle selbstbestimmt unsere Gesell-schaft und somit unsere Zukunft gestalten.
Dazu wünsche ich der Schule, den Schülerinnen und Schülern, allen Eltern sowie den Lehrkräften viel Freude, Mut und Erfolg.
Ein Schlüsselerlebnis: Schulleiter Andreas Becker-Brandt kann jetzt die Wege öffnen zu neuen Fachräumen und „Pädagogischen Mitten“.
… zwischendurch innehalten und verschnaufen …
Anke
Mar
hold
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Nach den Ferien, Anfang September, war es so weit: Im Anschluss an den Schulgottes-dienst machten sich Schüler der Wittekinds-hofer Förderschule mit ihren Lehrern auf den Weg in die neue Schule. Neun Schüle-rinnen und Schüler gehen seitdem in die Evangelische Grundschule Volmerdingsen.
Sie bereichern unseren Schulalltag in vielfältiger Weise: Da ist Lovis, der am Mor-gen seine Runden durch die Schule dreht. Plötzlich steht er da, strahlt mich an, begut-achtet alles und ist auch schon wieder ver-schwunden. Oder Kiki, die mit ihrem Roll-stuhl kommt, vor Freude schreit und gern gestreichelt wird. Oder Anna Lena, die alles genau wissen will und immer neu nachfragt.
Kinder begegnen einander ganz ungezwungen
Die Kinder begegnen einander auf dem Flur oder auf dem Schulhof ganz ungezwungen. Sie gehen aufeinander zu und helfen sich gegenseitig. Längst ist es nicht mehr nur die Patenklasse, die die Förderkinder in ihre Pläne einbezieht. Da werden Pläne für ein gemeinsames Frühstück umgesetzt oder man trifft Verabredungen zum Spielen.
Nach einer Eingewöhnungsphase für beide Seiten sollen dann nach den Herbst-ferien verstärkt gemeinsame Unterrichts-projekte geplant und umgesetzt werden.
Dann werden die Schüler des Wittekinds-hofes gemeinsam mit der Klasse 2 der Grund-schule Sportprojekte durchführen, die Natur erleben und musizieren. Zu Weihnachten werden wir alle gemeinsam ins Theater ge-hen, und sicher wird in der Adventszeit man-ches Weihnachtslied gemeinsam gesungen. Nach den Herbstferien wird dank einer neuen Rampe an der Eingangstür die letzte Barriere beseitigt sein. Dann stehen dem Gelingen unseres additiven Modells keine sichtbaren Hindernisse mehr im Wege.
Für die Kollegen aus der Förderschule der Diakonischen Stiftung Wittekindshof ist die Betreuung „ihrer“ Kinder an „unserer“ Schule sicher eine hohe Belastung! Sie sind als Team, ohne wirkliche Pausen, ständig im
Einsatz. Dazu kommen immer wieder die Wege zum Standort der Förderschule. Eine Vernetzung über das Internet besteht zur Zeit noch nicht.
Es gehört schon eine große Portion Idea-lismus und Liebe zur Arbeit dazu, um trotz der hohen Belastung mit hoher Freundlich-keit und Geduld für die Kinder da zu sein.
Ich hoffe, dass nach der Eingewöhnungs-phase die Rahmenbedingungen so sein werden, dass alle am Projekt Beteiligten mit Freude weiter machen und entspannt neue Ideen umsetzen.
Die sechs Wochen an reicher Erfahrung haben einen recht langen, mitunter auch mühsamen Vorlauf: Der erste Gedanke an gemeinsames Lernen von Kindern der Schule Wittekindshof und der Evangelischen Grund-schule Volmerdingsen kam an einem Ascher-mittwochsempfang des Wittekindshofes, als das Modell der damals in Planung befindli-chen neuen Förderschule präsentiert wurde.
Schon über viele Jahre gab es engagierte Kollegen in der Förderschule und in der Grundschule Volmerdingsen, die in ver-schiedenen Projekten das gemeinsame Ler-nen der Kinder praktiziert haben. Aber ge-meinsam unter einem Dach den Alltag zu erleben, war noch einmal ein neuer Schritt.
Da hieß es zunächst, die Schulaufsicht zu informieren und mit ihr gemeinsam zu über-legen, welche Hürden es gibt, wer in die Pla-nungen einbezogen werden muss. Auch der Schulträger der Grundschule musste grünes Licht für weitere Pläne geben.
Und schließlich – auch das war beson-ders wichtig – mussten die Kollegen und Eltern von den Plänen der jeweiligen Schul-leitung erfahren. Auf dieser Ebene waren anfangs die Reaktionen sehr unterschied-lich, aber überwiegend positiv, besonders auf Seiten der Eltern.
Aus beiden Schulen gab es interessierte Kolleginnen und Kollegen, die einen ge-meinsamen Arbeitskreis gründeten, um so ins Gespräch zu kommen. Allen war klar: es wird ein langer Weg und jeder Schritt muss gut geplant sein. Viele kritische Fragen wur-den beantwortet, aber immer ging es vor-rangig um organisatorische Probleme. Zu
keinem Zeitpunkt wurde die Inklusions-Idee als solche in Frage gestellt. Nach den vielfäl-tigen gemeinsamen Projekten war es allen klar, dass das Lernen in einem Gebäude kein Problem bedeuten würde. Die kurzen Wege würden ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Auch im Schulausschuss wurden die Pläne der beiden Schulen mit großem Interesse verfolgt und befürwortet.
Nach all den Verwaltungshürden lagen dann einige Wochen vor den Sommerferien 2011 alle Genehmigungen auf dem Tisch. Der künftige Klassenraum der Förderschule war geräumt. Die ersten Handwerker starteten mit den notwendigen Umbaumaßnahmen.
Die letzten Ängste sind verflogen
Noch vor den Sommerferien trafen sich die Eltern der Förderschüler mit den Eltern der Patenklasse, der Klasse 2, aus der Grund-schule zu einem ersten Elternabend. Es war ein Abend, an dem viel geredet und gelacht wurde. Nach diesem Abend waren letzte Ängste auf beiden Seiten verflogen.
„Wer einen hohen Berg erklimmen will, tut das nicht in Sprüngen, sondern schrittweise und langsam.“ Dieses Bild, das wir Papst Gregor dem Großen verdanken, kennzeich-net auch den Weg, den wir gegenwärtig in Volmerdingsen beschreiten. Wir möchten den Berg erklimmen, werden zwischen-durch innehalten und verschnaufen, den Ausblick genießen, um dann weiter nach oben zu gehen.
Angelika Wilmsmeier, Rektorin der Evangelischen Grundschule Volmerdingsen
Ab diesem Schuljahr werden neun Schülerinnen und
Schüler aus der Schule Wittekindshof in einer Außen-
klasse in der Grundschule Volmerdingsen unterrichtet.
Weitere Informationen: Evangelische Grundschule Volmerdingsen
Tel. (05734) 1678
www.gsvolmerdingsen.de
Volmerdingsen hat sich auf den Weg gemacht
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Gemeinsam lernen
… zwischendurch innehalten und verschnaufen …
Wittekindshof
Leserbrief
Zum Artikel: Bitte um Verzeihung,
„Durchblick“ 2-2011, S. 11ff.
Als ehemalige Mitarbeiterin be-
komme ich den „Durchblick“! In dieser
Ausgabe gefällt mir gar nicht, dass Sie
bei dem Artikel „Bitte um Verzeihung“
diesen sogenannten Witz so heraus-
gestellt haben! Die Hauseltern waren
Tag und Nacht im Dienst, versuchten
zu helfen und auszugleichen (es gab
wohl einige, die nicht so waren). Sie
dann so herunter zu machen! Gut,
dass es Jesus gibt, der da ist und alle
kennt. Zudem war die ganze Zeit so
anders, nicht nur hier, sondern über-
all. Ich habe in Schweicheln und in
Werther gearbeitet, es war überall
ähnlich: Die großen Säle und die gro-
ßen Gruppen, das knappe Geld! Und
im Krieg und in der Nachkriegszeit das
knappe Essen! Das wirkte auf alle.
Wenn in dem Buch die Menschen hier
zu Wort kommen: Gut und in Ord-
nung! Doch man soll man es auch
gerecht darstellen. – So, ich musste
mal meine Meinung sagen.
Ruth Aschermann,
Bad Oeynhausen
1 8 Durchb l i ck 3 -201 1
So, ich musste mal meine Meinung sagen.
Wissen, was ich leisten kann!
In eigener Sache
Zunächst einmal herzlichen Dank da-
für, dass Sie sich so zahlreich zum
neuen „Durchblick“ geäußert haben.
Das war in der Vergangenheit nicht
immer so! Es hat alle, die an der Um-
setzung des neuen Konzeptes beteiligt
sind, gefreut, dass Sie vor allem posi-
tiv gestimmt waren. Den allermeisten
von Ihnen hat es gut gefallen, dass wir
den neuen „Durchblick“ nun durch-
gängig farbig drucken. Auch die groß-
formatigen Fotos, die helfen sollen, die
Texte zu verdeutlichen, haben Ihre
Anerkennung gefunden.
Es ist ein großer Wunsch des Her-
ausgebers und der Redaktion, den Wit-
tekindshof, seine Menschen und deren
Themen, möglichst breit bekannt zu
machen und zu erläutern. Themen wie
Inklusion und Teilhabe von Menschen
mit Behinderungen am gesellschaftli-
chen Leben sollen weithin Beachtung
finden! Der neue „Durchblick“ soll da-
bei so etwas sein wie die Visitenkarte.
Besonders aus dem Kreis der Eltern und
Angehörigen ist dieses Bemühen aner-
kennend registriert worden.
Aber auch Mitarbeitende der Diako-
nischen Stiftung haben mit viel Zustim-
mung reagiert. Allerdings ist es auch
so, dass einige Rubriken, wie sie in Mit-
arbeiterzeitschriften üblich sind, ver-
misst wurden: etwa Personalnachrich-
ten, die organisatorische Veränderun-
gen betreffen, aber auch Informationen,
die das Privatleben tangieren: der Ein-
tritt in den Ruhestand etwa oder auch
Angaben zu persönlichem Freud und
Leid. „Ich würde das schon gerne erfah-
ren, wenn jemand verstorben ist, mit
dem ich über Jahre hinweg zusammen
gearbeitet habe“, lautet die durchaus
verständliche Begründung im Hinblick
auf solche Informationswünsche.
Nun könnte man datenrechtliche
Gründe nennen, um zu begründen, dass
solche Veröffentlichungen nicht so ein-
fach sind, wie sie mitunter erscheinen.
Aber auch die Tatsache, dass die Diako-
nische Stiftung mittlerweile zahlreiche
Standorte umfasst und Mitarbeiter-
schaften, in denen es längst nicht mehr
selbstverständlich ist, dass „jeder jeden”
kennt, muss bedacht werden. Vielleicht
müssen sich neue Formen interner
Kommunikation entwickeln, damit
wichtige Personalia dort bekannt wer-
den, wo sie wirklich von Interesse sind
und persönliche Anteilnahme ermögli-
chen. Im Rahmen der Wittekindshofer
Pressearbeit geschieht das durchaus:
Wenn Dienstjubiläen – im Einverständ-
nis mit dem Jubilar – in der Tageszei-
tung veröffentlicht werden, dann doku-
mentiert eine solche Veröffentlichung
auch die Wertschätzung durch den Ar-
beitgeber. Das gilt auch für Nachrufe im
Todesfall, die seitens der Stiftung nach
Vorgaben veröffentlicht werden, die
grundsätzlich für alle Mitarbeitenden
gelten. Was dabei oft vergessen wird:
Es kann nur berücksichtigt werden, was
kurzfristig und verlässlich in den Lei-
tungssekretariaten mitgeteilt wird und
zur Veröffentlichung frei ist. Wir wer-
den uns im Redaktionskreis darüber
verständigen, wie wir im kommenden
Jahr mit diesen Personalnachrichten
umgehen und wie ein System gewähr-
leistet wird, bei dem alle Fakten tat-
sächlich Berücksichtigung finden.
Noch ein Wunsch, der sich nicht
nur, aber besonders an die Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter richtet: Wenn
Sie Themen vermissen, wenn Sie selbst
an der Zeitschrift mitwirken möchten,
dann melden Sie sich: Wir freuen uns
auf Anregungen und Hinweise und
Angebote zur Mitarbeit. Vielleicht hilft
das Vorbild von Frau Aschermann: Sie
hat den „Durchblick“ gelesen – und
uns schriftlich dargelegt, worüber sie
sich geärgert hat. Es wäre schön, wenn
sie damit eine Leserbrief-Rubrik ins
Leben rufen würde. Die Redaktion
freut sich darauf!
Freundliche Grüße
Klaus Schuhmacher
Redaktion „Durchblick“
Liebe Leserinnen und Leser des „Durchblick“
Wittekindshof
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„Ich bin jetzt fast genau ein Jahr in den
Johanniter-Ordenshäusern. Die Arbeit
gefällt mir sehr gut. Ich habe ein gel-
bes T-Shirt und eine schwarze Hose.
Das ist meine Dienstkleidung. Ich bin
für die Stationen Rheinland und West-
falen zuständig“, erklärt Jochen Ma-
lessa. Man spürt dem Mann aus
Volmerdingsen an, dass er mit seiner
Arbeit im Patientenbegleitservice zu-
frieden ist. Am Anfang sei es schwierig
gewesen: „Aber jetzt wissen die ande-
ren, was ich leisten kann und wir ha-
ben uns gut eingespielt. Mit den Pati-
enten gab es noch nie Probleme. Die
freuen sich, dass ich sie in dem großen
Haus zur Therapie oder zu Untersu-
chungen begleite.“
Jochen Malessa ist nicht der einzige
Mitarbeiter der Wittekindshofer Werk-
stätten, der in den Johanniter-Ordens-
häusern in Bad Oeynhausen tätig ist.
Zurzeit hat er zwei Kolleginnen aus
dem Wittekindshof: Melanie Busch
arbeitet im Hauswirtschaftsbereich,
und Katharina Klöpper ist ebenfalls im
Patientenbegleitservice tätig. Beide
sind dort schon seit drei Jahren be-
schäftigt.
Mitarbeiten im RehazentrumZukünftig sollen fünf Menschen aus
dem Wittekindshof in den Johanniter-
Ordenshäusern arbeiten. Das Rehabi-
litationszentrum stellt darüber hinaus
Praktikums- und Berufsbildungsbe-
reichsplätze zur Verfügung. Ihre
Zusammenarbeit haben die beiden
großen evangelisch-diakonischen In-
stitutionen nun in einem Kooperati-
onsvertrag erneuert, den Frank Böker,
Geschäftsführer der Johanniter-Ordens-
häuser, und Vorstandssprecher Pfarrer
Professor Dr. Dierk Starnitzke seitens
des Wittekindshofes jetzt unterzeich-
net haben.
„Menschen mit Behinderung die
Teilhabe am Arbeitsleben zu ermögli-
chen, entspricht unserem diakoni-
schen Selbstverständnis. Mit dem
Wittekindshof haben wir einen Part-
ner, der viel Erfahrung und Fachwissen
bei der Berufsförderung einbringt. Wir
brauchen Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter, auf die wir uns verlassen kön-
nen. Gemeinsam gelingt es, Mitarbei-
tende trotz Handicaps so einzusetzen,
dass sie nicht überfordert werden und
unsere Betriebsabläufe zuverlässig
unterstützen“, fasst Frank Böker seine
Erfahrung zusammen.
Andreas Summe, Integrationsassis-
tent in den Wittekindshofer Werkstät-
ten, berichtet von dem Unterschied,
den es für die Mitarbeitenden bedeu-
tet, in einem Betrieb zu arbeiten, in
dem die Mehrzahl der Mitarbeitenden
keine Behinderung hat: „Viele haben
das Ziel, ‚draußen‘ einen Arbeitsplatz
zu finden. Sie sind auch bereit, dafür
einiges zu tun, um diese Anforderun-
gen zu erfüllen. Trotzdem kann ihre
Teilhabe am Arbeitsleben außerhalb
der Werkstatt nur gelingen, wenn Ge-
schäftsführung und die jeweiligen
Teams bereit sind, sich auf sie einzu-
lassen. Und das erleben wir seit Jahren
in den Johanniter-Ordenshäusern.“
Rechtlich sind dabei mehrere For-
men möglich. Während Melanie Busch
und Jochen Malessa weiterhin Be-
schäftigte der Wittekindshofer Werk-
stätten sind und einen betriebsinte-
grierten Arbeitsplatz haben, wird
Katharina Klöpper demnächst direkt in
den Johanniter-Ordenshäusern einen
Arbeitsvertrag unterschreiben.
Flexibilität und Zuverlässigkeit eröffnen Berufswege„Die Entwicklung von der Praktikantin
auf einen sozialversicherungspflichti-
gen Arbeitsplatz werden wir nicht al-
len Mitarbeitenden aus dem Witte-
kindshof anbieten können. Wenn aber
jemand sein Aufgabenfeld mit viel
Flexibilität, Zuverlässigkeit und Ver-
antwortung ausfüllt, spricht nichts
gegen eine Übernahme“, erklärt Mi-
chael Schelp, kaufmännischer Leiter
der Johanniter-Ordenshäuser. Er hofft,
dass auch andere Arbeitgeber Men-
schen mit Behinderung eine Chance
in ihrem Unternehmen geben.
Auch Vorstandssprecher Starnitzke
lobt die Zusammenarbeit: „Inklusion,
also das selbstverständliche Zusam-
menleben von Menschen mit ganz
unterschiedlichen Fähigkeiten und
Möglichkeiten, kann nur gelingen,
wenn verschiedene Akteure zusam-
menarbeiten und Netzwerke bilden.
Deswegen bietet es sich natürlich an,
dass wir gerade unter diakonischen
Trägern in der Region eng zusammen-
arbeiten.“
Weitere Informationen: www.wittekindshof.de und
www.ahb-klinik.de
Kooperation mit den Johanniter-Ordenshäusern
Kooperation zur Förderung der Teilhabe von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben: Frank Böker (vorn l.) Geschäftsführer der Johanniter-
Ordenshäuser und Vorstandssprecher Prof. Dr. Dierk Starnitzke (r.) anlässlich der Vertragsunterzeichnung. Begleitet werden sie durch (v.l.)
Ressortleiter Reiner Breder, Melanie Busch, Michael Schelp, kaufmännischer Leiter der Ordenshäuser, Integrationsassistent Andreas Summe
sowie Jochen Malessa.
Anke
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Wissen, was ich leisten kann!
Wittekindshof
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„Wer Teilhabe verhindert, verletzt
Menschenrechte“, so Hubert Hüppe,
Beauftragter der Bundesregierung für
die Belange behinderter Menschen, zu
Beginn Fachtagung „Teilhabe durch
Arbeit“. Zu diesem Thema hatten die
Diakonische Stiftung Wittekindshof
zusammen mit der Stiftung Regens-
Wagner aus dem bayerischen Absberg
Experten für Menschen mit dem Pra-
der-Willi-Syndrom (PWS) nach Bad
Oeynhausen eingeladen. Als Schirm-
herr der Veranstaltung betonte Hüppe,
dass es bei der Inklusion keine Aus-
nahmen geben dürfe. Er räumte ein,
dass dafür in der Gesellschaft großer
Nachholbedarf herrscht: „Menschen
ohne Behinderung sind nicht an Men-
schen mit Behinderung gewöhnt. Sie
haben nicht gelernt, wie man mitein-
ander umgeht. Bei Inklusion geht es
darum, nicht mehr zu trennen! Denn
was getrennt wird, muss mühsam wie-
der zusammengefügt werden.“
Im Blick auf das Tagungsthema
wies der Bundesbehindertenbeauf-
tragte auf Artikel 27 der UN-Behinder-
tenrechtskonvention hin, in dem das
Recht auf Arbeit festgelegt ist. Die
größte Aufgabe sei es, Menschen, die
bislang noch ausgegrenzt sind, zu ver-
mitteln, dass sie dazugehörten. Grund-
voraussetzung sei es, nicht danach zu
schauen, was jemand nicht könne. Es
müsse stärker gefragt werden, was
jemand kann und wie das gesellschaft-
lich nutzbar sei.
Jeder Mensch kann und soll arbeitenProfessor Dr. Dierk Starnitzke forderte
in seinem Grundsatzreferat eine Wei-
terentwicklung des modernen Arbeits-
verständnisses. Ausgehend vom bib-
lischen Schöpfungsbericht und dem
sogenannten Sabbatgebot erklärte er,
dass das biblische Arbeitsverständnis
viel mehr umfasse als die verbreitete
Fokussierung auf Existenzsicherung
und Produktion: „Jeder Mensch kann
in den Augen Gottes arbeiten. Und
jeder soll deshalb auch die Möglichkeit
bekommen und wahrnehmen, auf
seine Weise Arbeit zu leisten.“ Star-
nitzke betonte, dass nach biblischem
Verständnis all das Arbeit sei, was am
Sabbat nicht getan werden solle. Dazu
gehöre auch das Anzünden einer
Lampe, das Abschneiden eines Blattes
oder das Pflücken einer Frucht: „Na-
türlich ist es deshalb in jedem Falle
Arbeit, was die Beschäftigten in den
Werkstätten für Menschen mit Behin-
derung täglich leisten – unabhängig
vom Produk tionsergebnis.“
Integrationsmanagement bei der Volkswagen AGEinen engagierten Einblick, wie Men-
schen, die nicht die allgemeinen Leis-
Menschen nach ihrem Können einsetzen
Prader-Willi-Syndrom Fachtagung: „Teilhabe durch Arbeit“
Prominente Gäste der PWS-Fachtagung (vorne v.l.): Bundesbehindertenbeauftragter Hubert Hüppe, Vorstandssprecher Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke, der Bad Oeynhausener Bürgermeister Klaus
Mueller-Zahlmann, der Vorsitzende der PWS-Vereinigung Deutschland, Dr. Volker Holzkämper. Michael Dreiucker, Referent der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und Ressortleiter Reiner Breder.
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tungserwartungen erfüllen, in einen
börsenorientierten, weltweit tätigen
Konzern integriert sind, bot Leopold
Paeth, Integrationsmanager der Volks-
wagen AG in Wolfsburg. Er plädiert
dafür, keine „leidensgerechten Ar-
beitsplätze“ zu schaffen sondern Men-
schen dort leistungsgerecht einzuset-
zen, wo ihnen eine Wertschöpfung
möglich ist. Entscheidend sei dabei,
die Menschen gut kennenzulernen, um
ihre Stärken zu fördern. Wohl vertraut
war den Tagungsteilnehmer der Hin-
weis, dass bei vielen zunächst das
Selbstwertgefühl gestärkt werden
müsse, um sie dann am neuen Ar-
beitsplatz behutsam zu begleiten: „Wir
lassen die Mitarbeitenden nicht allein
und schicken sie nicht an den neuen
Arbeitsplatz, sondern begleiten sie
und kommen auch später bei ihnen
vorbei. Ganz wichtig ist es, die Vorge-
setzten zu schulen und das Umfeld zu
sensibilisieren. Es ist immer wieder
ein Ausprobieren. Wenn es nicht
klappt, suchen wir eine neue Möglich-
keit!“ Trotzdem erteilte der Integra-
tionsmanager jeglicher Sozialromantik
eine Absage und betonte, dass auch er
betriebswirtschaftliche Rechenschaft
ablegen müsse: „Aber wir haben eine
Chance, wenn wir Menschen ihrem
Können entsprechend einsetzen!“
Praxisnahe WorkshopsNeben den Plenumsvorträgen waren
vier Workshops Herzstück der Fachta-
gung. Dabei wurde auch die spezifi-
sche Situation von Menschen mit
Prader-Willi-Syndrom bezüglich der
Teilhabe am Arbeitsleben in den Blick
genommen. Schwerpunkte bildeten
die Gestaltung der Übergänge von der
Schule in das Berufsleben, der Zugang
zum allgemeinen Arbeitsmarkt sowie
die Wechselwirkung zwischen den
Lebenswelten Wohnen und Arbeiten.
Im Workshop Begleitung und Krisen-
intervention am Arbeitsplatz wurden
besondere Erfahrungen aus den Wit-
tekindshofer Werkstätten und aus ei-
ner Werkstatt in Herne referiert. Dort
wurden spezifische Konzepte für Men-
schen mit Prader-Willi-Syndrom ent-
wickelt und eingeübt. Dazu gehört
auch die enge Zusammenarbeit mit
den Wittekindshofer PWS-Wohngrup-
pen. Diese Werkstattkonzepte waren
auch Thema eines Plenumsvortrages.
Das Fazit zur Fachtagung war sei-
tens der Organisatoren eindeutig:
„Trotz ihres hohen Unterstützungsbe-
darfs haben auch Menschen mit Pra-
der-Willi-Syndrom ein uneinge-
schränktes Recht auf Arbeit. Ihnen
pauschal die Werkstattfähigkeit abzu-
erkennen, wie es teilweise praktiziert
wird, ist nicht angemessen. Nur in
Ausnahmefällen – beispielsweise
wenn schwerwiegende psychiatrische
Erkrankungen hinzukommen – müs-
sen vorübergehend alternative Be-
schäftigungsformen gesucht werden.
Bei allen anderen müssen wir zukünf-
tig noch beharrlicher darauf achten,
wie ihre Fähigkeiten in den allgemei-
nen Arbeitsmarkt eingebracht werden
können“, erklärten Dr. Hubert Soyer
und der Wittekindshofer PWS-Spezia-
list Norbert Hödebeck-Stuntebeck.
„Wer Teilhabe verhindert, verletzt Menschenrechte“, hat Hubert Hüppe als Bundesbehindertenbeauf-
tragter und Schirmherr der PWS-Fachtagung im Bad Oeynhausener Energie-Forum Innovation erklärt.
Die Werkstatt in Herne hat sich auf die Bedürfnisse der Frauen und Männer aus der Wittekindshofer PWS-Wohngruppe eingestellt und ermöglicht
in enger Zusammenarbeit mit der Wohngruppe Teilhabe am Arbeitsleben.
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„Ob es hilft, definiert sich nicht am
Hilfsmittel, sondern am Kontext, in
dem es eingesetzt wird!“: eine kom-
plexe Eingangsthese des schweizeri-
schen Kinaesthetics-Ausbilder Stefan
Knobel gleich zu Beginn der Kinaethe-
tics-Fachtagung Anfang September in
Bad Oeynhausen. Was es damit auf
sich hat, wurde spätestens im Referat
der beiden Wittekindshofer Diakone
Holger Weißenborn und Michael
Lilienkamp unter Mitwirkung von
Heinz Rusch sichtbar.
Holger Weißenborn und Michael
Lilienkamp arbeiten seit Jahren ge-
meinsam mit Kolleginnen und Kolle-
gen im Wohnhaus Bethanien nach
kinaesthetischen Grundsätzen. Das
konstruktive Miteinander mit Personen
wie Heinz Rusch ist dabei wichtig. In
vielen Einzelschritten ist es dabei im-
mer wieder gelungen mit Hilfe von
Kinaesthetics zusätzliche Bewegungs-
kompetenzen bei Klientinnen und
Klienten zu entdecken. Oft auch solche,
die niemand erwartet hatte, oder die
als „unmöglich“ verworfen worden
waren. So dauerte es eine ganze Zeit,
ehe festgestellt wurde, dass der große,
individuell angepasste Rollstuhl von
Heinz Rusch dessen Bewegungsmög-
lichkeiten beschränkte statt sie erwei-
tern zu helfen. Statt im Rollstuhl zu
sitzen, bewegte er sich immer häufiger
und freier auf einer Matte. „Plötzlich
standen wir vor dem Problem, dass wir
nicht mehr in sein Zimmer kamen,
weil er direkt hinter der Tür und nicht
mehr auf der Matte lag. Als wir endlich
bei ihm waren, haben ihn nicht nur
wohlbehalten, sondern äußerst zufrie-
den angetroffen. Jetzt hat er einen
neuen Rollstuhl und erobert sich die
gesamte Wohngruppe“, berichtet Hol-
ger Weißenborn. Es war nicht einfach,
einen neuen Rollstuhl zu bekommen:
„Aber die Bemühungen haben sich
gelohnt. Ich erlebe seine Zufrieden-
heit und sehe, dass er schmerzfrei
ist und keine Medikamente mehr
braucht!“
Kinaethetics eröffnet LernprozesseDer Bericht über die Entwicklung von
Heinz Rusch und dessen Unterstützung
durch andere Mitarbeitenden wurde
ergänzt durch ein Referat von Hartmut
Wloka. In einem „Vorher-Nachher“-
Vergleich reflektierte der Geschäftsbe-
reichsleiter die systematische Einfüh-
rung von Kinaestethics im Wittekinds-
hofer Wohnbereich Bethanien, in dem
viele Menschen mit starken körperli-
chen Behinderungen leben.
Durch diese unterschiedlichen
Blickwinkel gewannen die über 100
Fach- und Leitungspersonen, Studie-
renden und pflegenden Angehörigen,
die zur Fachtagung gekommen waren,
einen Einblick über das Entdecken und
Weiterentwickeln von Lernpotenzialen
in der Behindertenhilfe durch Kinaes-
thetics und die sich daraus ergeben-
den Möglichkeiten zur Qualitätssiche-
rung.
Bewegung – Entwicklung – Selbstwirksamkeit und InteraktionDie grundsätzliche Bedeutung von
Bewegung als eine wichtige Grund-
lage für emotionale, körperliche, in-
tellektuelle, sprachliche und soziale
Entwicklung arbeitete Miriam Schäper
heraus. In ihrem Vortrag betonte die
Wittekindshofer Diplom-Psychologin:
„Bewegung brauchen wir zur Selbst-
wahrnehmung. Bewegung ermöglicht
das Erleben von Selbstwirksamkeit
und eröffnet den Weg zum anderen.“
Nötig sei es deswegen, dass die
scheinbare Bewegungslosigkeit eines
schwer behinderten Menschen nicht
teilnahmslos zur Kenntnis genommen
werde, sondern einfühlsam, geduldig
und kreativ mache.
Der Wittekindshofer Vorstands-
sprecher Pfarrer Professor Dr. Dierk
Starnitzke hob in seinem Beitrag her-
vor, dass Kinaesthetics zunächst die
Wahrnehmung der Eigenaktivität der
Menschen erfordere, um dann in ge-
zielte Unterstützung und Förderung
einzumünden. Damit entspreche Kin-
aesthetics auch der Leitbildorientie-
rung in der Diakonischen Stiftung
Wittekindshof.
Kinaesthetics-Fachtagung
Auch ein Rollstuhl kann behindern Fünf Jahre Wittekindshof Herne
Von Anfang an haben Freiwillige die Arbeit des Wittekindshof mit Geld- und Zeitspenden unterstützt.
… mit Hilfe von Kinaesthetics zusätzliche Bewegungs-kompetenzen entdecken, die niemand erwartet hatte …
Heinz Rusch hat durch Kinaesthetics einen neuen Rollstuhl erhalten, mit dem er sich
selbständig fortbewegen kann, was der alte Rollstuhl verhindert hat.
Anke
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Wittekindshof
Durchb l i ck 3 -201 1 2 3
Seit fünf Jahren ist der Wittekindshof
vor Ort im Ruhrgebiet aktiv. Seit 2006
hat in Herne in zentraler Innenstadt-
lage das Kontakt- und Informations-
zentrum (KIZ) geöffnet und es wird
Ambulant Unterstütztes Wohnen für
Menschen mit Behinderung angeboten.
Das KIZ hat sich zu einem Freizeittreff
mit regelmäßigen Bildungsangeboten
und einem Kindertreff entwickelt. Zur-
zeit findet zum vierten Mal in Folge
die Ambulante Wohnschule statt, bei
dem meist jüngere Erwachsene inner-
halb eines Jahres Haushaltsführung
vom Putzen bis zur Geld Einteilen ler-
nen und in der benachbarten Trainings-
wohnung praxisnah einüben. Einige
Absolventen haben nach Abschluss der
Wohnschule den Schritt aus dem Eltern-
haus in die Wohngruppe, andere ins
Ambulant Unterstützte Wohnen gewagt.
Neue Angebote vernetzt vor OrtDa stationäre Wohnmöglichkeiten für
Menschen mit Behinderungen in
Herne fehlen, war von Anfang an, ein
Neubau geplant. Die Nachfrage und
zeitnaher Handlungsbedarf war vor
allem für Menschen mit dem seltenen
Prader-Willi-Syndrom (PWS) so hoch,
dass bereits vor der Grundsteinlegung
für den Neubau in einem Mietshaus
wenige Gehminuten vom KIZ entfernt
die erste Wohngruppe in Herne eröff-
net wurde. Als Kooperationspartner
konnte die Werkstatt für behinderte
Menschen Herne-Castrop-Rauxel ge-
wonnen werden. Wittekindshofer
PWS-Spezialisten haben über die sel-
tene Behinderungsform, die mit her-
ausforderndem Verhalten, Stoffwech-
selbesonderheiten und einer angebo-
renen Esssucht verbunden ist, Mit-
arbeitende geschult, die in enger
Kooperation mit der Wohngruppe ein
Konzept entwickelt haben, um in der
Werkstatt Teilhabe am Arbeitsleben,
berufliche Bildung und persönliche
Entwicklung zu ermöglichen.
Differenziertes WohnangebotNach Fertigstellung des Neubaus mit
24 Einzelzimmern im Herbst 2009, ist
die PWS-Wohngruppe umgezogen.
Die bisher genutzten nebeneinander
liegenden Wohnungen in dem Miets-
haus in der Innenstadt wurden von
einer neuen Regelwohngruppe über-
nommen, in der sowohl Frauen und
Männer leben, die sich auf eine selb-
ständige Wohnform mit ambulanter
Unterstützung vorbereiten als auch
Personen, die auch langfristig auf
mehr Unterstützung angewiesen sind.
Angeboten werden in Herne mittler-
weile verschiedene Wohngemein-
schaften für jeweils zwei, vier oder
sechs Personen.
Im Erdgeschoss des Neubaus am
Emsring hat sich die Wohngruppe zu
einem Angebot für Menschen mit ho-
hem Unterstützungsbedarf entwickelt.
Eingezogen sind Frauen und Männer
aus Herne und Umgebung, aber auch
Personen, die aus den ostwestfäli-
schen Einrichtungen des Wittekinds-
hofes in ihre ursprüngliche Heimat
zurückgekehrt sind. Sie mussten teil-
weise vor vielen Jahren das Ruhrge-
biet verlassen, weil vor Ort passende
Unterstützungsangebote gefehlt ha-
ben.
Aufwendige Pflege ist ebenso mög-
lich wie umfangreiche Unterstützung
im psychosozialen Bereich aufgrund
von Verhaltensbesonderheiten. Da auf
Fünf Jahre Wittekindshof Herne
Aufbau neuer Standorte
Von Anfang an haben Freiwillige die Arbeit des Wittekindshof mit Geld- und Zeitspenden unterstützt.
Das KIZ in Herne ist ein Treffpunkt für Kinder und Erwachsene.
Anke
Mar
hold
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Wittekindshof
2 4 Durchb l i ck 3 -201 1
Grund der Schwere der Behinderung,
aber auch wegen ihres Alters nicht
alle Bewohnerinnen und Bewohner
ganztags in einer Werkstatt arbeiten,
wurden im Neubau Tagesstrukturie-
rende Angebote aufgebaut, die grund-
sätzlich auch von Menschen mit Be-
hinderungen genutzt werden können,
die kein Wittekindshofer Wohnange-
bot nutzen.
Fast 60 Klienten und knapp 50 ArbeitsplätzeDer Wittekindshof ist in Herne ange-
kommen. In fünf Jahren ist die Anzahl
der unterstützten Personen von null auf
56 gestiegen. 46 Frauen und Männer
haben einen Arbeitsplatz beim Witte-
kindshof Herne gefunden, die an vier
Standorten und ambulant im gesamten
Stadtgebiet tätig sind. Sie arbeiten ver-
netzt mit anderen Sozialträgern. Ein
Ko operationsprojekt ist die Trainings-
wohnung, die zusammen mit den bei-
den Förderschulen vor Ort betrieben
wird.
Freiwilliges Engagement: Zeit- und GeldspendenVon Anfang an haben Freiwillige die
Arbeit des Wittekindshofes mit Geld-
und Zeitspenden unterstützt. Ehren-
amtliche tragen im KIZ dazu bei, ein
abwechslungsreiches Programm zu
gestalten. Das Gymnasium Wanne hat
einen Teil des Erlöses ihres Sponso-
renlaufes für die Gestaltung des Au-
ßengeländes am Wohnhaus Emsring
zur Verfügung gestellt. Dank vieler
weiterer Spenden und mit Unterstüt-
zung in Höhe von 6.000 Euro durch
die Stiftung Oikos konnten ein Sinnes-
pfad angelegt und eine Vogelnestschau-
kel sowie eine Gurtbandbrücke aufge-
stellt werden. Sie wurden im Rahmen
des Sommerfestes eingeweiht, das zum
fünften Geburtstag des Wittekindshofes
Herne gefeiert wurde.
Weitere Informationen:
www.wittekindshof.de/herne
Jubiläen im Wittekindshof und in Eben-Ezer
aus der RegionUnterwegs nach BerlinBünde. Zum Ende des vergangenen
Jahres haben 26 Kinder und Jugendli-
che mit und ohne Behinderung das
Musical „Unterwegs nach Bethlehem“
eingeübt und dann mit einer weih-
nachtlichen Aufführung die zahlrei-
chen Gäste in der Philippus-Kirchen-
gemeinde in Bünde erfreut. In diesem
Jahr soll erneut ein Musical aufgeführt
werden.
Dass die vom Team des Hauses am
Dustholz organisierten „Inklusiven
Musical-Projekte Bünde“ beispielhaft
sind, findet auch die Bundesvereini-
gung Lebenshilfe. Sie hat zwei Bünder
Mitarbeiter dazu ausgewählt, das Kon-
zept beim Fachkongress der Lebens-
hilfe im November in Berlin vorzustel-
len. Unterwegs nach Berlin sind also
Diakonin Dorothea Elges und Diakon
Jan Meyer. Zusammen mit 33 weiteren
ausgewählten Bewerbungen werden
sie dort die Projektmesse gestalten
und sind eingeladen, an den Kon-
gressveranstaltungen teilzunehmen.
Bessere SprachkompetenzGronau. Eine erfreuliche Verstärkung
gibt es im Familienzentrum Gronau zu
verzeichnen. Aus Mitteln des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Gesundheit konnte dort
eine halbe Fachkraftstelle geschaffen
werden, um die Sprachförderung in
der Kindertagesstätte weiter auszu-
bauen. Unter anderem sollen die Mit-
arbeiterinnen in ihrer täglichen
Sprachvermittlung für Kinder und Ju-
gendliche weitergebildet werden.
Und zu diesem Zweck wurde im
Familienzentrum ein Unterstützungs-
konzept erarbeitet und im Rahmen des
Programmes „Frühe Chancen: Schwer-
punkt-Kitas Sprache und Integration“
eingereicht – und damit das Auswahl-
gremium überzeugt. Die fachliche
Verstärkung ist allerdings nur für ein
Jahr gesichert.
Weitere Informationen zu Kitas und
Sprachförderung:
www.fruehechancen.de
Entscheidend ist, in den neuen Wohngruppen und Häusern Freunde und Vertraute zu finden.
Anke
Mar
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Wittekindshof
Durchb l i ck 3 -201 1 2 5
Im kommenden Jahr 2012 feiert die
Diakonische Stiftung Wittekindshof ihr
125-jähriges Bestehen. Im Leitbild der
Stiftung wird deutlich, dass die Insti-
tution zugunsten der Menschen, die
hier unterstützt werden, in den Hin-
tergrund treten soll. Aus diesem Grund
soll das 125-jährige Jubiläum nicht in
Form eines Festjahres gestaltet wer-
den, bei dem die Institution im Mittel-
punkt steht. Vielmehr werden im Jah-
resverlauf verschiedene Veranstaltun-
gen zu fachlichen Themen stattfinden,
bei denen die Arbeit der Stiftung
vorgestellt und besprochen werden
soll. Außerdem wird es bestimmte
Anlässe geben, bei denen das Jubi-
läum durchaus gefeiert werden soll:
so beim 125. Jahresfest am 3. Juni 2012
auf dem Gründungsgelände in Bad
Oeynhausen-Volmerdingsen.
Auch die Evangelische Stiftung
Eben-Ezer in Lemgo – diakonischer
Nachbar des Wittekindshofes – begeht
im kommenden Jahre ein Jubiläum:
dort ist es bereits das 150-jährige Be-
stehen. Beide Institutionen haben ihre
Termine miteinander koordiniert und
aufeinander abgestimmt. In mancher-
lei Hinsicht verbindet beide Jubiläums-
jahre ein roter Faden. So wird man sich
wechselseitig bei den Feierlichkeiten
und Vortragsveranstaltungen ergän-
zen. Auch Bewohner und Klienten aus
Lemgo werden nach Bad Oeynhausen
kommen – und umgekehrt.
Hier schon einmal einige der Jubiläumstermine: Diakonische Stiftung Wittekindshof:
23. Februar 2012, für geladene Gäste:
Aschermittwochsveranstaltung mit
Ministerpräsidentin Hannelore Kraft.
Wegen des angekündigten Besuches
wurde der Traditionstermin kurzfristig
verlegt. 3. Juni 2012, 125. Jahresfest in
Bad Oeynhausen-Volmerdingsen. 4./5.
Juli 2012, Fachtagung zur Erforschung
der Geschichte von Menschen mit Be-
hinderungen, Bad Oeynhausen, Ener-
gie-Forum-Innovation. 31. August 2012,
Sommerfest auf dem Gründungs-
gelände.
Stiftung Eben-Ezer Lemgo: 10. Mai
2012, Historisches Symposion, Lemgo;
11. Mai 2012, Festakt in Lemgo; 8. Sep-
tember 2012, Open Air Konzert, Lemgo
Innenstadt mit der Gustav Peter Wöh-
ler Band, Pop und Chansons; 9. Sep-
tember 2012, Jahresfest Eben-Ezer in
der Lemgoer Innenstadt, Festpredigt:
Präses Nikolaus Schneider, EKD-Rats-
vorsitzender; 13. November 2012, So-
zialpolitisches Symposion: „Soziale
Balance als Voraussetzung für eine
inklusive Gesellschaft“, mit Frank-
Walter Steinmeier u.a.
Im kommenden Jahr
Jubiläen im Wittekindshof und in Eben-Ezer
Teamtraining und AzubipowerBad Oeynhausen. Eine neue Form der
Persönlichkeitsbildung wird jetzt im
Berufsbildungswerk Wittekindshof
auch für externe Interessenten ange-
boten. „Azubipower“ und „Teamtrai-
ning“ lauten die Stichworte, unter
denen ein Team um Diakon Thomas
Heitkamp ein Konzept mit Outdoor-
Aktivitäten entwickelt hat. Klettern im
Wald, an Bäumen und im Niedrigseil-
garten ist dabei nicht Selbstzweck.
Vielmehr geht es dabei um Selbster-
fahrung und Selbstüberwindung und
um die Stärkung von Kommunikation
und Teamfähigkeit.
„Azubipower“ richtet sich an junge
Menschen in Schule und Beruf, die
durch gemeinsames Erleben Schlüssel-
qualifikationen erlernen und vertiefen
möchten. Am „Teamtraining“ dürfen
alle teilnehmen, die in einer bestehen-
den schulischen oder beruflichen Kon-
stellation Fortschritte suchen.
Nähere Informationen:
Berufsbildungswerk Wittekindshof
Tel. (0 57 31) 75 79 11;
Das 10. KIZ: Café Solero in BündeBünde. Mitte September hat in Bünde
das 10. Kontakt- und Informationszen-
trum seine Pforten geöffnet – und steht
nun Menschen mit Behinderungen,
ihren Freunden und Bekannten sowie
allen denen offen, die sich für soziale
Anliegen interessieren und stark machen
möchten. Wie an den anderen Witte-
kindshofer Standorten bietet das Bün-
dener KIZ Gelegenheit zum Wohlfühlen
und Entspannen, zum Spielen und Dis-
kutieren – und dazu gibt es dann auch
eine ansprechende Auswahl an Speisen
und Getränken. Daneben dienen die
Räumlichkeiten des KIZ aber auch zur
Fortbildung und zur Information.
Eine besondere Attraktion für Sport-
freunde und Menschen, die gerne fei-
ern: Zur Eröffnung überreichte Ressort-
leiter Uwe Thünemann ein Jahresabon-
nement für den Sportsender Sky. Inte-
ressante Sportereignisse können im KIZ
auf Großleinwand empfangen werden.
Wie Erfahrung aus anderen Kontakt-
und Informationszentren belegten,
eignet sich das gemeinsame Sporter-
lebnis als „Integrationsbeschleuniger“,
betonte Thünemann.
Wittekindshofer Kalender 2012Bad Oeynhausen. Auch für das kom-
mende Jahr 2012 wird es wieder einen
Wittekindshofer Wandkalender geben.
Er steht im Zeichen des 125-jährigen
Bestehens der Diakonischen Stiftung.
In Wort und Bild werden historische
Situationen mit dem heutigen Leben
verglichen: Schule, Sport, Einkaufen
und das Innere der Erlöserkirche wer-
den ins Bild gesetzt und von Autoren
und Autorinnen interpretiert, die den
Wittekindshof seit langem kennen und
erlebt haben.
Am Beginn des Jahres steht eine
Besinnung von Vorstandssprecher Dr.
Starnitzke, der die Jahreslosung auch
im Kontext der Arbeit der Diakonsichen
Stiftung interpretiert und zur näheren
Betrachtung der durch den Wittekinds-
hof unterstützten Menschen einlädt.
Der Kalender kostet € 10,– zzgl. Porto.
Er kann bestellt werden bei Petra Lohri,
Tel. (0 57 34) 61-11 35;
Impressum
Durchblick Zeitschrift der Diakonischen Stiftung Wittekindshof
Herausgeber: Pfarrer Prof. Dr. Dierk Starnitzke,Theologischer Vorstand (v.i.S.d.P.)
Redaktion:Klaus SchuhmacherZur Kirche 2, 32549 Bad [email protected]
Texte:Die nicht namentlich gekennzeichneten Texte wurden erstellt von Anke Marholdt, Pressesprecherin, und Klaus Schuhmacher.Auswahl und Redaktion: Klaus Schuhmacher
Layout:Wilfried Gandras, Hamburg
Druck:Druckerei + Verlag Kurt Eilbracht GmbH & Co KG, Löhne
Versand: Wiegmann GmbH, Petershagen
Namentlich gekennzeichnete Beiträgegeben nicht unbedingt die Meinung desHerausgebers wieder. Alle Rechte vorbehalten.Nachdruck auch auszugsweise nur mitGenehmigung der Redaktion.
Wittekindshof
2 6 Durchb l i ck 3 -201 1
Sabine Niermann-Probst, Leiterin des
Wittekindshofer Familienzentrums in
Gronau, weiß aus Erfahrung: Eltern
eines Kindes mit Behinderung haben
vielfältige Herausforderungen zu be-
stehen. Trotz professioneller Hilfen
obliegt ihnen besondere Verantwor-
tung – „rund um die Uhr“, Jahre lang.
Sie leben permanent damit, dass ihr
Kind physisch und im Verhalten von
gesellschaftlich geltenden Normen
abweicht. Natürlich gibt es in jeder
Familie bei der Begleitung der Kinder
besondere Herausforderungen, Krisen,
Ängste und Versagen. In der Regel
sind das zeitlich und situativ begrenzte
Phasen; es folgen wieder Zeiten, wo
alles recht locker geht.
Damit Eltern und Erziehungsbe-
rechtigte behinderter Kinder und Ju-
gendlicher verlässliche Entlastung
und Unterstützung erhalten können,
hat sich die Diakonische Stiftung Wit-
tekindshof im Kreis Borken um die
Zulassung eines „Familienunterstüt-
zenden Dienstes“ beworben und da-
für nun die Anerkennung der Bezirks-
regierung erhalten. Antje Grünke-
meier, Mitarbeiterin im Familienzen-
trum und gleichzeitig Studentin der
Sozialpädagogik im niederländischen
Enschede, wurde als Koordinatorin für
dieses Aufgabenfeld eingesetzt.
Ihre Aufgabe ist es, den „Familien-
unterstützenden Dienst“ bekannt zu
machen sowie Angebot und Nachfrage
aufeinander zu beziehen. Nachfrage:
das bedeutet, Eltern auf die Möglich-
keit hinzuweisen, für einen über-
schaubaren Kostenbeitrag, der über
die Pflegekasse refinanziert werden
kann, Entlastung bei der Versorgung
und Begleitung ihres behinderten Kin-
des zu bekommen.
Gesucht: Engagierte Personen mit GrundqualifikationDas Angebot besteht in – meist jungen
– engagierten Menschen, die bereit
sind, Teile ihrer Freizeit in den Dienst
einer solchen Aufgabe zu stellen, und
die dafür eine gewisse Grundqualifika-
tion mitbringen. „Dies geschieht ehren-
amtlich“, unterstreicht Antje Grünke-
meier, wobei aber durchaus entste-
hende Auslagen ersetzt und das Enga-
gement mit einer Aufwandsentschädi-
gung entgolten wird. Meist sind es
Studierende oder Auszubildende aus
den Bereichen Gesundheit und Sozial-
wesen, die sich angesprochen fühlen.
Gronau und der Kreis Borken sei
ein gutes Terrain, um solche Kräfte
ansprechen und für den „Familienun-
terstützenden Dienst“ gewinnen zu
können, glaubt Frau Grünkemeier. „Es
gibt Ausbildungsstätten in Ahaus, in
Coesfeld und auch die Hochschulen in
Enschede zählen zu unserem Einzugs-
bereich, wo wir schon eine Reihe von
Interessentinnen und Interessenten an-
sprechen konnten“. Die Werbung läuft
über Plakate und Handzettel; beson-
ders erfolgreich ist man mit der Ankün-
digung im Internetportal der deutsch-
niederländischen Noabuurschaft. Die
Werbung müsse noch weiterlaufen.
Aber es gibt schon verbindliche Nach-
fragen und verlässliche Ankündigun-
gen zur Mitarbeit. Erste Kontakte konn-
ten erfolgreich vermittelt werden.
Allerdings geht es nicht nur um
Unterstützung im Einzelfall. Der „Fa-
milienunterstützende Dienst“ möchte
seine Aktivitäten intensivieren und für
Eltern wie für die Kinder und Jugend-
lichen perspektivisch planbar gestal-
ten. Deshalb möchte man Zusammen-
künfte an Wochenenden organisieren,
an denen sich dann mehrere beteili-
gen. Gleiches ist für die Ferienzeit
angedacht. Damit der Dienst für alle
Beteiligten optimalen Nutzen stiftet,
zählt es zu den besonderen Aufgaben
der Koordinatorin, Fortbildungsmaß-
nahmen zu initiieren, die sowohl El-
tern und Angehörige weiterbringen,
als auch die Unterstützungskräfte bei
ihrer Begleitung von Menschen mit
Behinderung qualifizieren.
Weitere Informationen:Familienzentrum, Tel.: (02562) 964480
Das Mitarbeitervertretungsgesetz der
Evangelischen Kirche in Deutschland
schützt die Rechte schwerbehinderter
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
besonderer Weise. In diesem Gesetz
(§ 50) ist eigens eine Vertrauensperson
vorgesehen, die die Rechte dieser Mit-
arbeitenden im Detail kennt und die
Betroffenen dabei unterstützt, diese
Rechte zu wahren und durchzusetzen.
In der Diakonischen Stiftung Witte-
kindshof wird diese Aufgabe seit lan-
gen Jahren von Elke Dräger wahrge-
nommen, die als Lehrerin in der För-
derschule in Bad Oeynhausen-Volmer-
dingsen tätig ist. Mit ihr sprach Helmut
Janz, freigestelltes MAV-Mitglied und
u.a. zuständig für Kommunikation,
über ihre Aufgaben als Behinderten-
beauftragte und die Erfahrungen, die
sie in dieser Funktion gemacht hat.
Frau Dräger, welche Aufgaben neh-men Sie als Schwerbehindertenver-treterin wahr?
Die Schwerbehindertenvertreterin
vertritt die Interessen schwerbehinder-
ter Kolleginnen und Kollegen am Ar-
beitsplatz. In allen dienstlichen Ange-
legenheiten kann ich beratend und
helfend zur Seite stehen. Um einige
Beispiele zu nennen: Es wird darauf
geachtet, dass die Rechtsansprüche der
schwerbehinderten Arbeitnehmer ein-
gehalten werden. Die gilt auch im Blick
auf die Pflicht zur Beschäftigung
schwerbehinderter Menschen. Ich be-
rate beim Ausfüllen von Anträgen an die
Behörden, um einen Schwerbehinder-
tenausweis zu bekommen oder Ände-
rungen vornehmen zu lassen. Außer-
dem begleite ich auf Wunsch Dienst-
und Eingliederungsgespräche in den
Bereichen der Diakonischen Stiftung.
Familienunterstützender Dienst
Schwerbehinderte Mitarbeiter haben besondere Rechte
Kreis Borken
Die Mitarbeiterverträtung im Gespräch mit Elke Dräger
Ella
Bur
esch
Gesucht werden: Leute mit guten Ideen und dem Herz auf dem rechten Fleck
Wittekindshof
Durchb l i ck 3 -201 1 2 7
Wie sieht die Pflicht zur Beschäfti-gung schwer behinderter Menschen am Beispiel der Diakonischen Stif-tung Wittekindshof konkret aus?
Arbeitgeber mit mindestens 20
Arbeitsplätzen – und dazu zählt der
Wittekindshof ja allemal – haben im
Jahresdurchschnitt auf wenigstens 5
Prozent der Arbeitsplätze schwer be-
hinderte Menschen zu beschäftigen.
Dabei sind schwerbehinderte Frauen
besonders zu berücksichtigen. Hält
sich der Arbeitgeber nicht an die Be-
schäftigungspflicht im Sinne der Sozi-
algesetzgebung, muss er eine Aus-
gleichszahlung an den Staat leisten.
Ich habe erfreulicherweise immer
wieder erlebt, dass Leitungskräfte der
Diakonischen Stiftung ständig bemüht
sind, so weit wie möglich schwerbe-
hinderte Menschen zu beschäftigen.
Wenn Ausgleichszahlungen erbracht werden – was geschieht dann damit?
Die Ausgleichszahlungen werden
im Rahmen der Tätigkeit der Integra-
tionsämter für die schwerbehinderten
Arbeitnehmer eingesetzt. Zum Bei-
spiel zur Anschaffung technischer
Hilfsmittel am Arbeitsplatz, für die
Finanzierung von Arbeitsassistenzen,
die im Produktionsprozess schwerbe-
hinderte Kolleginnen und Kollegen
unterstützen, und vieles mehr.
Die Schwerbehindertenvertreterin ist ein Wahlamt. Wer wählt und wie lange dauert die Wahlperiode?
Die Schwerbehindertenvertreterin
und deren Stellvertretungen werden
von den schwerbehinderten Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern alle vier
Jahre neu gewählt. Eine Wiederwahl
ist möglich. Das Wahlverfahren ver-
läuft so wie das der Mitarbeitervertre-
tung. Es sind die gleichen Vorschriften
aus dem Mitarbeitervertretungsgesetz
einzuhalten. Ungefähr vierzehn Tage
nach der Mitarbeitervertretungswahl
soll in der Regel auch die Wahl der
Schwerbehindertenvertretung erfol-
gen. Verantwortlich ist die amtierende
Schwerbehindertenvertretung, später
der gewählte Wahlausschuss.
Wie viele schwerbehinderte Men-schen sind in der Diakonischen Stif-tung Wittekindshof angestellt?
Die genaue Anzahl am heutigen
Tag kann ich nicht sagen. Es sind aber
ca. 100 Kolleginnen und Kollegen in
dauerhaften Beschäftigungsverhält-
nissen in den Bereichen der Region
Ost, Hamm und Herne.
Wann gilt man im Sinne der Sozial-gesetzgebung als schwerbehindert?
Als schwerbehindert gilt man,
wenn die zuständige Behörde nach
Antrag des Betroffenen einen Behin-
derungsgrad von mindestens 50 Pro-
zent festlegt. Dabei werden alle vor-
liegenden Untersuchungsbefunde mit
den entsprechenden Bewertungen
berücksichtigt. Dieser Grad der Behin-
derung wird im Schwerbehinderten-
ausweis dokumentiert – ebenso die
damit verbundenen Merkmale.
Welche Behörde ist für einen Antrag auf Schwerbehinderung zuständig?
Der Antrag muss beim zuständigen
Sozialamt für das Kreisgebiet gestellt
werden, in dem der Antragssteller mit
dem Erstwohnsitz lebt – also für Bad
Oeynhausen im Kreis Minden-Lübbe-
cke beim Sozialamt im Kreishaus in
Minden an der Portastraße. Bei den
kreisfreien Städten, wie zum Beispiel
in Bielefeld, ist der Antrag direkt im
Rathaus zu stellen. Das Antragsformu-
lar kann gerne bei mir abgeholt oder
auch direkt aus dem Internet herun-
tergeladen werden.
Wenn ich einen Schwerbehinderten-ausweis erhalten habe, wo kann ich den auf dem Wittekindshof abgeben?
Den Schwerbehindertenausweis
sollte man immer selber behalten!
Eine Kopie dieses Ausweises kann in
der Personalabteilung der Verwaltung
abgegeben werden. Die Abgabe ist
freiwillig aber notwendig um in den
Genuss von Nachteilsausgleichen zu
kommen. Man sollte dort aber nicht
auch noch den Bescheid abgeben, in
dem die anerkannte Behinderung auf-
geschrieben ist. Schließlich ist ja auch
niemand verpflichtet, dem Arbeitgeber
mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheini-
gung die ärztliche Diagnose mitzuteilen.
Wenn ich als schwerbehinderter Ar-beitnehmer anerkannt bin, gibt es dann irgendwelche Vergünstigungen?
Ja, natürlich! Als Vollzeitbeschäftig-
ter erhält man eine Woche zusätzli-
chen Jahresurlaub, der auch bei Krank-
heit nicht verfällt. Schwerbehinderte
haben auch steuerliche Vergünstigun-
gen und einen Kündigungsschutz, der
nur sehr erschwert vom Arbeitgeber
aufgehoben werden kann. Außerdem
können sie eher in Rente gehen. Wer
hier genaueres erfahren möchte, kann
sich gerne an mich wenden.
Arbeiten Sie mit der Mitarbeiterver-tretung zusammen?
Natürlich! Schwerbehindertenver-
tretung und Mitarbeitervertretung
haben das gleiche Ziel, nämlich für die
Mitarbeiterschaft da zu sein, ob mit
oder ohne Behinderungen! Ich bin
ständiger Gast in den alle vierzehn
Tage stattfindenden Mitarbeitervertre-
tungssitzungen. Hier kann ich meine
Fachlichkeit und Erfahrungen einbrin-
gen, was von den Mitarbeitervertre-
tern gerne angenommen wird.
Elke Dräger ist seit über 20 Jahren
Schwerbehindertenvertreterin.
Sie ist 60 Jahre alt, verheiratet und
Mutter einer Tochter.
Seit Jahrzehnten arbeitet sie auf
dem Wittekindshof als Lehrerin in
der Förderschule in Bad Oeynhau-
sen-Volmerdingsen. Dort war
sie mehrere Jahre auch Beschwerde-
beauftragte für die Schülerschaft
sowie die Eltern.
Sie ist erreichbar unter:
Tel. (01 74) 3 01 49 12 oder
Vertreten wird Elke Dräger als
Schwerbehindertenvertreter
von Dirk Bekemeier, Abt. Informations- und
Kommunikationstechnologie
in der Haupt verwaltung,
und Christine Pollmeier, ebenfalls Lehrerin an der
Förderschule auf dem Wittekindshof.
In Gronau sind für Anliegen
Schwerbehinderter zuständig:
Margarethe Ellerkamp, Mitarbeiterin
in der Wirtschaftszentrale.
Sie ist erreichbar unter:
Tel. (02562) 916252 oder
Stellvertreter ist Manfred Becking, Annaheim 4, Gruppe 3.
Priv
at
Wittekindshof
2 8 Durchb l i ck 3 -201 1
„Montag ist Reiten“, erklärt Edda
Wiese mit strahlenden Augen. Aber
auch wenn das Reiten ausfällt, spricht
das Gesicht der Rentnerin Bände:
„Pferde machen Pause. Am Montag
kein Reiten!“ Eine andere Frau, die
gerade ins Ambulant Unterstützte
Wohnen umgezogen ist, sagt zur Be-
grüßung in der Reithalle eigentlich
immer wieder: „Ich komme so gerne,
und Larro ist mein Lieblingspferd.“
Wenn Beziehungen schwerfallenDas Therapeutische Reiten, das seit
zehn Jahren in der Diakonischen Stif-
tung Wittekindshof angeboten wird, ist
für viele ein Höhepunkt. Regelmäßig
einmal in der Woche nehmen rund 120
Teilnehmerinnen und Teilnehmer im
Alter zwischen 4 und über 70 Jahren
an dem Angebot rund um das Pferd
teil. Darunter befinden sich viele Men-
schen mit hohem psychosozialem Un-
terstützungsbedarf. Aufgrund psychi-
scher Erkrankungen oder auch heraus-
forderndem Verhaltens fällt ihnen der
Umgang mit anderen Menschen oft
schwer.
Kontakt zu sich und der UmweltDurch das Pferd können sie körperliche
Nähe, die Wärme der großen, starken
und kuscheligen Tiere erleben. Das ist
besonders für Erwachsene wertvoll,
die sonst wenig körperliche Nähe zu-
lassen. Das Getragenwerden erleben
viele Menschen als positive Körperer-
fahrung. Sie motiviert, sich weiter auf
das Tier und dessen Bewegung einzu-
lassen, während sie auf andere Bewe-
gungsangebote ablehnend reagieren:
„Beim Reiten werden Reflexe, Gleich-
gewicht und Körperkoordination
kontinuierlich angesprochen. So ent-
steht sozusagen automatisch ein Dia-
log zwischen Mensch und Pferd. Damit
ist ein erster Schritt zur Kontaktauf-
nahme mit der Umwelt getan, der
Menschen, die stark in sich gekehrt
sind, sonst kaum gelingt“, erklärt
Diakon und Diplom-Sozialpädagoge
Michael Rahmöller.
Aha-Effekte helfen lernenNicht selten ist aber auch schon die
Beziehungsanbahnung zum Pferd ein
weiter Weg. Die Reithalle ist groß, so
dass das Tier auch mit großem Ab-
stand beobachtet werden kann. Behut-
sam findet die Annäherung statt.
Manchmal sind es die Fingerspitzen,
die für Sekunden das Pferd berühren.
Andere Teilnehmer suchen intensiven
Körperkontakt. „Sie finden bei uns
Wege, um sich selbst zu spüren. Wir
bieten ihnen Unterstützung, um dabei
neue Erfahrungen zu sammeln. Die
verschiedenen Pferde und ihre unter-
schiedlichen Gangarten ermöglichen
eine Vielzahl von Reizen und Erfahrun-
gen. Die einen kommen mit dem Pferd
in Bewegung, die anderen zur Ruhe,
das gilt auch bei extremen innerpsy-
chischen Spannungen“, erklärt der
Reitpädagoge und weist auf echte
Aha-Effekte hin: „Die Pferde ermögli-
chen starke Reize. Im Sinne des emo-
tionalen Lernens sind sie wichtig für
alle Lernprozesse. So trägt das Thera-
10 Jahre Therapeutisches Reiten Wittekindshof
Pferde eröffnen Erfahrungs- und Lernwelten
Therapeutisches Reiten Wittekindshof
Kontakt auf Augenhöhe auch wenn das Pferd viel größer als Nick Kestehnus in seinem Rollstuhl ist.
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Wittekindshof
Durchb l i ck 3 -201 1 2 9
peutische Reiten direkt dazu bei, Lern-
prozesse im Alltag zu ermöglichen
oder zu fördern.“
Das Selbstbewusstsein stärkenEmotionen spielen in vielen Bereichen
beim Therapeutischen Reiten eine
wichtige Rolle. Viele Reiterinnen und
Reiter sind stolz, wenn sie zum ersten-
mal Trab oder Galopp an der Longe
oder ganz alleine im Schritt die Halle
durchquert haben und beim Reitertag
Applaus für ihre Voltigiervorführung
erhalten.
Pferdepflege und das Führen der
Tiere vom Stall in die Halle sind ein
wichtiger Bestandteil. „Die Teilnehmer
lernen die Bedürfnisse des Tieres, ihre
eigenen Wünsche und die der anderen
Reiterinnen und Reiter in Einklang zu
bringen, sie übernehmen Verantwor-
tung und erleben, selbst etwas zu be-
wirken, wenn das Pferd zufrieden
schnauft oder es sich führen lässt. Das
stärkt das Selbstbewusstsein“, weiß
Sylvia Niemeier. Die Diakonin und
Diplom-Pädagogin legt großen Wert
auf dieses Erleben, das gerade Men-
schen mit schwerer Behinderung oft
nur sehr eingeschränkt haben.
Pferde schaffen VertrauenDas Therapeutische Reiten findet au-
ßerhalb des Stiftungsgeländes in einer
Reitanlage in Bad Oeynhausen-
Volmerdingsen statt, in der auch ein
Verein und viele Hobbyreiter trainie-
ren. Auch wenn der Wittekindshof
feste Hallenzeiten gemietet hat, um
einen geschützten Rahmen zu schaf-
fen, gehören Gespräche und Begeg-
nungen zwischen Menschen mit und
ohne Behinderung zum Alltag. Die
gemeinsame Liebe zum Pferd und zum
Reiten liefert Gesprächsstoff und ver-
bindet auch ohne Worte.
Pferde mit spezieller AusbildungDie Therapiepferde wurden so ausge-
wählt und ausgebildet, dass sie von
sich aus den Kontakt zu Menschen
suchen und in Anwesenheit der Päd-
agogen auch Schreien, ständiges Re-
den, plötzliche Bewegungen, Berüh-
rungen an allen Körperteilen und so-
gar einen Biss ins Fell gelassen hin-
nehmen. „Das Pferd hat einen hohen
Aufforderungscharakter und begegnet
den Menschen unvoreingenommen,
eine Erfahrung, die etwa Menschen
mit Speichelfluss oder aggressivem
Verhalten selten erleben“, erklärt Syl-
via Niemeier.
Eindrückliche ErfahrungenFür alle Teilnehmerin und Teilnehmer
am Therapeutischen Reiten werden
individuelle Förderziele festgelegt,
reflektiert und fortgeschrieben. In der
Reithalle wird unmittelbar erlebbar,
wenn ein Mensch, der sonst kaum
etwas sagt, auf dem Pferderücken
plötzlich redet oder sich durch Laute
artikuliert;
wenn jemand, der fast immer re-
det, im Umgang mit dem Pferd lernt,
leise zu sprechen und auf die Reakti-
onen seines Gegenübers zu achten;
wenn ein Mensch, der ansonsten
Bewegung meidet, sich zwischen-
durch auf den Weg zum Stall macht,
um „seine Pferde“ zu besuchen;
wenn ein Menschen, der ständig
die Finger in den Augenhöhlen reibt,
nach einigen Runden auf dem Pferde-
rücken seine Finger von den Augen
löst, sich aufrichtet und schnell wieder
seine Jacke über den Kopf zieht, als
wollte er die Erfahrung des Getragen-
werdens mit niemandem teilen.
110 Teilnehmerinnen und Teilneh-mer, die Wittekindshofer Wohnange-bote in Bad Oeynhausen, Löhne, Lübbecke, Espelkamp, Enger und Herford nutzen
zusätzlich 13 externe Teilnehmerin-nen und Teilnehmer seit 2009
anerkannt vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKTHR) für die Bereiche „Heilpädagogische Förderung“ und „Pferdesport für Menschen mit Behinderungen“
drei Reitpädagoginnen und -päda-gogen, eine Assistentin auf einem Werkstattarbeitsplatz
Präsentationen bei großen und inter-nationalen Reitturnieren in der Re-gion: German Friendships, Bexter Hof Open, Sielpark-Turnier
Das Angebot rund um das Pferd wird nicht von Krankenkassen oder ande-ren Kostenträgern finanziert. Es kann nur stattfinden, weil es von Einzel-personen, Firmen und Vereinen fi-nanziell unterstützt wird.
Therapeutisches Reiten Wittekindshof
Auf dem Pferderücken kann Inessa Puidokas sich selbst spüren und innerlich zur Ruhe kommen – wichtig ist viel direkter Körperkontakt,
weswegen sie rückwärts auf dem Bauch auf dem Pferd liegt. Gleichgewicht auch in dieser Position zu halten, ist für sie kein Problem.
Anke
Mar
hold
t
Wittekindshof
Auch in diesem Jahr dürfen die Diako-
nische Stiftung Wittekindshof und ihre
Freunde und Förderer auf viele erfolg-
reiche Spendenprojekte blicken – be-
sonders auf die neue Förderschule in
Bad Oeynhausen-Volmerdingsen. Mit
der Einweihung am 4. Oktober 2011
ging ein langer Weg zu Ende. Für die
Schülerinnen und Schüler hingegen
fängt der Weg jetzt erst richtig an und
zwar geradewegs in die Zukunft, die
bessere Lern- und Entwicklungsmög-
lichkeiten verspricht.
Die Förderschule WittekindshofInsgesamt 1,7 Millionen der Kosten für
Bau und Ausstattung der neuen För-
derschule wurden durch private Spen-
der, Firmen, Vereine, Kirchengemein-
den und Stiftungen finanziert.
Allen voran sind zu nennen die Dr.
Hans-Joachim und Christa Stroth-
mann-Stiftung und die Günter und
Rita Rudloff-Stiftung aus Minden so-
wie die Dieter Ernstmeier Stiftung aus
Herford. Ihr Glaube an die neue Schule
und ihr Engagement haben dazu
geführt, dass weitere Unterstützer
gewonnen werden konnten. Anzufüh-
ren sind ebenfalls die Familie-Ost-
hushenrich-Stiftung, die IKEA-Stiftung,
die Carina-Stiftung und die Firma DTS
Systeme.
Mit 3.000 Euro und mehr unterstützten
folgende Geber den Bau der neuen
Schule Wittekindshof: F. + G. Robering
Stiftung, Prof. Dr. Werner und Maren
Otto, Lions-Förderverein Bad Oeyn-
hausen, Fretthold GmbH & Co. KG, Nils
Bogdol GmbH, Kaiser-Apotheke in
Bergkirchen, Ev.-Luth. Kirchenge-
meinde Bergkirchen, HANFWOLF Wolf
GmbH & Co. KG, Dr. Erich Marx sowie
Dr. Heinz Göben.
Ein herzlicher Dank gilt auch der Mar-
tin C. Schröder-Stiftung, die den lau-
fenden Betrieb der Förderschule seit
Jahren regelmäßig unterstützt.
Jedem der insgesamt über tausend
Spenderinnen und Spendern, die in
dieses Zukunftsprojekt investiert ha-
ben und die wir verständlicherweise
leider nicht alle namentlich nennen
können, ein Extra-Dankeschön!
Ein großes Dankeschön an alle Freunde und Förderer!
3 0 Durchb l i ck 2 -201 1
Fundraising
Mai
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TuS N-Lübbecke erwischt wieder einmal einen fantastischen Start in die Saison: Zum Auftakt trifft sich die Mannschaft des Handball-Bundesligisten mit Wittekindshofer Fans im Rahdener Haus Aleida.
Wittekindshof
Durchb l i ck 3 -201 1 3 1
Handball-Begeisterung mit TraditionDie Freundschaft zwischen dem TuS
N-Lübbecke und vielen Bewohnerin-
nen und Bewohnern der Wittekinds-
hofer Häuser in Rahden, Lübbecke und
Benkhausen ist tief und fest und hat
mittlerweile eine lange Tradition. Dazu
gehört die Mitgliedschaft einiger Be-
wohner im Fanclub Red Devils und das
gemeinsame Grillen zum Saisonauf-
takt mit der gesamten Mannschaft auf
dem Gelände des Hauses Aleida.
Schon seit einigen Jahren ermöglicht
der Bundesligist TuS N-Lübbecke
durch die Spende von Saisonkarten
diesen treuen und begeisterten Fans
den regelmäßigen Besuch der Heim-
spiele in der Merkur Arena in Lübbe-
cke. Ein dickes Dankeschön dafür auf
diesem Wege!
Fundraising in der Stiftung Wittekinds-
hof hat ein wichtiges Ziel: Freunde,
Förderer und Multiplikatoren zu ge-
winnen und nachhaltig für die Anlie-
gen der Stiftung zu begeistern. Ge-
meinsam sollen Visionen umgesetzt
und Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben für Menschen mit Behinderun-
gen verwirklicht werden.
Spenderservice der Diakonischen Stiftung WittekindshofEva-Maria Kern, Tel.: (05734)61-1132
Spendenkonten:Volksbank Bad Oeynhausen-Herford
BLZ: 494 900 70; Konto: 12 22 00
StadtSparkasse Bad Oeynhausen
BLZ: 490 512 85; Konto: 12 22 00
Ein großes Dankeschön an alle Freunde und Förderer!
Fundraising
Was will eigentlich Fundraising?
Thom
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Gemeinsam lernen
Was macht eigentlich … Tanja Follak?
Die Frage nach ihren persönlichen
Schwächen beantwortet Tanja Follak
ein bisschen „getrickst“, aber absolut
ehrlich: „Schokolade“, sagt sie und
erspart sich damit die tiefer gehende
Selbstoffenbarung. Das Bewerbertrai-
ning – „ganz schön hart und ziemlich
realistisch“, wie Andreas Summe als
professioneller Wegbegleiter meint –
ist ein Schritt auf dem beruflichen Weg
von „drinnen nach draußen“, den die
junge Frau seit ihrem 17. Lebensjahr
ziemlich konsequent verfolgt. Das Trai-
ning steht dabei schon fast am Schluss.
Es gehört heute zum Standard für junge
Leute, die einen Beruf suchen.
Vom Berufsbildungswerk in die PizzariaTanja Follak kam 1993 in das Witte-
kindshofer Berufsbildungswerk (BBW)
in Bad Oeynhausen-Eidinghausen,
absolvierte dort zunächst den Förder-
lehrgang – heute die Berufsvorberei-
tende Bildungsmaßnahme – und
wurde dann zur Hauswirtschaftshelfe-
rin ausgebildet. Besonders gerne hat
sie damals gekocht, egal was. Dass sie
damals eine der Besten war, hat sie mit
dem Abschlusszeugnis schriftlich be-
kommen. Doch ein beruflicher Ab-
schluss bedeutet längst nicht immer
den direkten Weg zur beruflichen Kar-
riere auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Tanja Follak jobbt in einer Pizzeria,
ganz in der Nähe ihrer Unterkunft. Nach
einem Jahr hört sie dort auf – der 400-
Euro-Job bietet weder eine langfristige
Perspektive noch sichert er den eigen-
ständigen Lebensunterhalt. Unterstützt
von ihrer Betreuerin stellt sie den Auf-
nahmeantrag für Ambulant Unterstütz-
tes Wohnen in der Diakonischen Stif-
tung Wittekindshof.
„Drinnen“, also in den Angebots-
strukturen der Diakonischen Stiftung
Wittekindshof, ist „der Westkamp“ ihre
erste Station. Der Westkamp, eine
Straße mit Ein- und Zwei-Familien-
häusern, oftmals mit kleinen Einlie-
gerwohnungen und Gärten, liegt am
Rande des Campusgeländes in Bad
Oeynhausen-Volmerdingsen.
Der Westkamp: Test für ambulantes WohnenDer Wittekindshof hat dort zunächst
ein, später weitere Wohnhäuser erwor-
ben und erprobt dort neue Wohnfor-
men. Der Westkamp ist in jenen Jahren
so etwas wie ein Labor oder eine Trai-
ningsstation. Viele Angebote, die bis
dato selbstverständlich zentral geregelt
wurden, gingen in die Verantwortung
der Teams aus Mitarbeitern und Be-
wohnern über. Es wurde gekocht, ge-
waschen und selbstständiges Zusam-
menleben ausprobiert und mit Rege-
lungen versehen, mit denen alle Betei-
ligten leben konnten. Der Begriff SoLe
entstand damals – und hat sich bis
heute erhalten: „Selbstbestimmte of-
fene Lebensformen“.
Aus der anfänglichen Laborsitua-
tion wurde rasch ein Programm und
ein rasant wachsendes Segment der
Wittekindshofer Angebotspalette. Für
Menschen wie Tanja Follak bedeutete
das systematische Chancen zur per-
sönlichen Entwicklung wie auch zur
beruflichen Entfaltung. Die „Alte Post“,
mitten auf dem Gründungsgelände,
dann Ambulant Unterstütztes Wohnen
am „Starkensiek“, einer Straße im Dorf
– also schon etwas entfernt – sind die
beiden nächsten Wohnorte. 2009 er-
folgt ein weiterer Umzug: Es geht in
die Hindenburgstraße nach Bad Oeyn-
hausen, in eine kleine Wohngemein-
schaft. Über die Zusammensetzung
der WG hat sie sich mit Benny verstän-
digt, einem Freund, der verträglich ist
und mit dem sie gut zusammenwoh-
nen kann. „Ich verstehe mich so ganz
gut mit ihm“, fasst sie die positive
Grundstimmung zusammen.
Nun bedeuten Umzüge an sich ja
noch keine Zunahme an Lebensquali-
tät. Für Tanja Follak gehört auch die
berufliche Entwicklung dazu. Nach der
Pizzeria waren zunächst wieder Lern-
schritte angesagt: Da es für sie außer
Frage stand, an die hauswirtschaftli-
che Ausbildung im BBW anzuknüpfen,
verkürzte das die Orientierungsphase
im Berufsbildungsbereich der Witte-
kindshofer Werkstätten und rasch
machte sie sich auf dem weiten Feld
der Hauswirtschaft nützlich.
Wirtschaften mit Besen und KehrblechDa wird dann nicht in erster Linie ge-
kocht, was mal ihr Lieblingsfach im
Berufsbildungswerk war – vielmehr gilt
es, den angestellten Hauswirtschafts-
kräften zur Hand zu gehen und auch
mal zum Besen und zum Kehrblech zu
greifen, um die Räumlichkeiten sauber
zu halten. Tanja Follak macht das gut,
so dass alle froh sind, wenn sie – bei-
spielsweise auf dem Verwaltungsflur
der Wittekindshofer Werkstätten in der
großen Betriebsstätte Sonnenbrede für
Sauberkeit sorgt. Sie trifft dort auf ein
gutes Team und findet Unterstützung
Was macht eigentlich …
Hinter dem Begriff „Arbeit und Be-rufliche Integration“ verbergen sich Unterstützungsleistungen und –for-men für Menschen mit Behinderun-gen und potentielle Arbeitgeber des allgemeinen Arbeitsmarktes. Die
3 2 Durchb l i ck 3 -201 1
Gemeinsam lernen
bei ihren Fragen – fachlich wie auch
privat. Ihre Anleiterin, Frau Kröger,
kann sie auch privat anrufen, wenn es
erforderlich scheint.
Wenn Not am Mann ist, hilft Frau
Follak aus: „Es kam vor, dass ich bei
Krankheitsfällen oder Engpässen an
der Essensausgabe stand“, sagt And-
reas Summe, der eigentlich eher ad-
ministrativ in der beruflichen Fortbil-
dung tätig ist. „Da habe ich am liebs-
ten Tanja gefragt, ob sie mir helfen
kann. Sie hat dann ihre Pause verscho-
ben, und dann haben wir das gemein-
sam hinbekommen. Bei um die hun-
dert Mittagessen hätte ich das alleine
niemals geschafft!“
Fleiß und Geschick bleiben nicht lange verborgenFleiß und Geschick im Haushalt,
Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft im
Umgang mit den Kolleginnen und Kol-
legen bleiben meist nicht lange verbor-
gen. So mühten sich viele darum, Tanja
Follak in ihren Reihen zu haben. Die
Beschäftigten der Wittekindshofer
Werkstätten wählten sie in den Werk-
stattrat, wo sie schließlich auch zwei
Jahre lang Vorsitzende war. Menschen,
denen sie eng verbunden war, hätten
sie gerne weiter in der Werkstatt als
verlässliche Kollegin behalten und er-
mutigten sie zu bleiben. Aber Tanja
Follak wollte nach „draußen“; sie
wollte auf einen Arbeitsplatz, auf dem
man einen eigenständigen Verdienst
erreicht, von dem man leben und mit
dem man Pläne machen kann.
Mit Hilfe der Wittekindshofer Be-
schäftigungsgesellschaft BeBeWi und
des Integrationsfachdienstes Minden
hat sie dieses Ziel nun erreicht. In ei-
nem der Wittekindshofer Geschäftsbe-
reiche war man zu der Auffassung
gelangt, dass Tanja Follak in vielen
Bereichen der Hauswirtschaft kontinu-
ierlich gute Hilfen leistet, wie man sie
auch von einer Kraft aus dem ersten
Arbeitsmarkt erwartet. Um auch die
soziale Kompetenz zu vertiefen, gab es
noch einmal eine umfassende, gezielte
Vorbereitung, zu der auch das ein-
gangs zitierte Bewerbertraining zählte.
Am Ende zählt die UnterschriftDas war alles nicht einfach und mit
mancherlei Anspannung verbunden.
Aber dann war es so weit: Tanja Follak
konnte ihre Unterschrift unter einen
zunächst auf zwei Jahre befristeten Ar-
beitsvertrag setzen.
Tanja Follak war „draußen“ – auf
dem ersten Arbeitsmarkt. Sie hat ein
Ziel erreicht, auf dass sie lange hinge-
arbeitet hat. Dass „draußen“ dabei
durchaus „drinnen“ – also im Witte-
kindshof, genauer im traditionsreichen
Marthahaus, bedeutet, stört sie wenig.
Im Gegenteil, hier kennt sie sich aus,
hier hat sie Freundinnen und Freunde.
Und neue Pläne hat sie auch schon: Sie
möchte ein weiteres Mal umziehen, die
kleine WG verlassen, um mit ihrem
Verlobten zusammenzuziehen und eine
Familie zu gründen.
Klaus Schuhmacher , Öffentlichkeitsarbeit
Was macht eigentlich … Tanja Follak?
Was macht eigentlich …
Hilfen orientieren sich am individu-ellen Bedarf und reichen von der Ar-beitsplatzsuche über die individuelle Anpassung eines Arbeitsplatzes bis zur Unterstützung bei der Beantra-gung von Fördergeldern. Ein
Schwerpunkt des Bereiches Arbeit und Berufliche Integration sind die Entwicklung und Begleitung von be-triebsintegrierten Arbeitsplätzen. Das sind Arbeitsplätze auf dem all-gemeinen Arbeitsmarkt, bei denen
die Stelleninhaber ihren Status als Werkstattbeschäftigte behalten. Betriebsintegrierte Arbeitsplätze bie-ten die Möglichkeit, den allgemeinen Arbeitsmarkt kennen zu lernen, be-rufspraktische und sozialen Kompe-
tenzen zu erweitern und tragen so dazu bei, einen Wechsel auf den allgemeinen A rbeitsmarkt vorzu-bereiten.
Haushalt! Das hat sie gelernt, das kann sie: Tanja Follak in „ihrer Küche“ im Marthahaus.
Durchb l i ck 3 -201 1 3 3
Klau
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huhm
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3 4 Durchb l i ck 3 -201 1
Der langjährige Vorsteher des
Wittekindshofes, Pfarrer Dr.
Johannes Klevinghaus, würde
am 7. Dezember 100 Jahre alt. 25 Jahre
lang hat er den Wittekindshof geleitet
und geprägt.
Schon am 10. Februar 1943 wurde
Johannes Klevinghaus vom Vorstand
der damaligen Westfälischen Evange-
lischen Heilerziehungs-, Heil und
Pflege anstalt Wittekindshof als Nach-
folger von Pfarrer Theodor Brünger
gewählt. Faktisch übernahm er das
Amt des Vorstehers bereits am 1. Sep-
tember 1944. Da er aber als Kriegsteil-
nehmer in Frankreich im Einsatz war,
führte Pfarrer Brünger die Ämter wei-
ter. Am 21. Juni 1945 traf Johannes
Klevinghaus im Wittekindshof ein und
wurde am 5. August in das Amt des
Anstaltsvorstehers eingeführt.
Der Wittekindshof war bei der
Amtseinführung von Pfarrer Kleving-
haus zu großen Teilen besetzt. Die
britische Besatzungsmacht, die die
Innenstadt von Bad Oeynhausen als
Hauptquartier für ihre Besatzungszone
nutzte, hatte im Frühsommer 1945 ei-
nen großen Teil der Einrichtung be-
schlagnahmt. In den besetzten Häu-
sern hatten die Briten das „Scottish
General Hospital“ eingerichtet. Nur die
Häuser Friedenshöhe und das Schloss
Ulenburg konnten weiter als Wohn-
häuser für die behinderten Menschen
genutzt werden. Ein großer Teil des
Wittekindshofes war bereits im Herbst
1941 durch den NS-Staat geräumt wor-
den, um dort schließlich im Frühjahr
1942 ein Lazarett der Wehrmacht ein-
zurichten.
Der Wittekindshof war Johannes
Klevinghaus nicht unbekannt. Er hatte
ganz persönliche Bindungen zur Ein-
richtung. Am 12. Dezember 1937 heira-
tete er in der Wittekindshofer Kirche
Martha Brünger, eine Tochter des Wit-
tekindshofer Vorstehers. Dass er ein-
mal Nachfolger seines Schwiegerva-
ters werden würde, damit hatte er
sicherlich nicht gerechnet. Eigentlich
hatte er eine wissenschaftliche Lauf-
bahn angestrebt. Nach seinem Stu-
dium der evangelischen Theologie in
Bethel, Bonn, Tübingen und Münster
legte er im Herbst 1934 sein erstes
theologisches Examen vor der Beken-
nenden Kirche ab, ebenso sein zweites
im April 1937. Ordiniert wurde er am
25. Juni 1937 in der Christuskirche in
Schwelm.
Kaufmannsohn aus SchwelmIn Schwelm war er auch am 7. Dezem-
ber 1911 als Kaufmannssohn geboren
worden. Mit vier anderen Geschwis-
tern wuchs er dort auf.
Johannes Klevinghaus war Mitglied
der Bekennenden Kirche, die sich ge-
gen Versuche der Gleichschaltung von
Lehre und Organisation der Deutschen
Evangelischen Kirche durch den natio-
nalsozialistischen Staat wehrte. 1934
konstituierte sich die Bekennende
Kirche auf einer Synode in Barmen.
Daran nahm auch sein Vater als Abge-
ordneter teil. Am 1. November 1934
wurde Johannes Klevinghaus Assistent
für Hebräisch und Neues Testament an
der Theologischen Schule Bethel unter
Wilhelm Brandt. Wilhelm Brandt war
der Vater von Gerhard Brandt, dem
späteren Leitenden Pädagogen des
Wittekindshofes. Außerdem absol-
vierte Johannes Klevinghaus sein Lehr-
vikariat in Münster und war Leiter des
Studentenamtes der Westfälischen
Bekenntnissynode. Vom 1. April 1937
bis zur Auflösung am 9. November 1937
war er am Predigerseminar der Be-
kennenden Kirche in Bielefeld-Sieker
als Studieninspektor tätig. Danach
wirkte er von Dezember 1937 bis zu
seiner Einberufung zum Kriegsdienst
im Mai 1941 als Hilfsprediger an der
Stiftskirche in Schildesche.
1947 erlangte er den theologischen
Doktorgrad an der Universität Münster.
Der Titel seine Dissertation lautete
„Die theologische Stellung der Apos-
tolischen Väter zur alttestamentlichen
Offenbarung“.
Seine ersten Jahre im Wittekinds-
hof waren geprägt von Einschränkung
und Enge. Immer wieder wurde um
die Freigabe der Einrichtung gerun-
gen. Im September 1948 räumten die
Briten den Wittekindshof. Die meisten
Häuser mussten unter schwierigen
Umständen wieder bewohnbar ge-
macht werden. Schon seit 1946 gab es
wieder Neuaufnahmen bzw. es kehr-
ten in der Folgezeit ehemalige Bewoh-
nerinnen und Bewohner zurück. Vor
allem in den 1950er Jahren litt die
Einrichtung unter räumlicher Enge
und gravierendem Mitarbeitermangel.
Besonders wichtig war Dr. Kleving-
haus die Ausbildung der männlichen
Mitarbeiter unter diakonischem Ge-
sichtspunkt, die er bereits im Oktober
1945 wieder aufnahm. Schließlich
wurde auf seine Inititative hin 1949 die
Diakonische Brüderschaft Wittekinds-
hof gegründet. 1953 wurden die ersten
Diakone eingesegnet. Eine Intensivie-
rung erfuhr die Ausbildung der Mitar-
beitenden vor allem in den 1960er
Jahren: 1964 wurde ein Heilpädagogi-
sches Seminar eröffnet und in der
Folgezeit eine Krankenpflegeschule.
Der pädagogische und medizini-
sche Bereich machte in den 1960er
Jahren enorme Fortschritte. Die Ein-
führung von Psychopharmaka ver-
drängte althergebrachte Behand-
lungsmethoden. Neue Arztstellen
konnten geschaffen, eine neue Be-
schäftigungstherapie eingeführt und
1968 erstmals eine Psychologin einge-
stellt werden.
Außerdem wurden neue Förde-
rungsmöglichkeiten etabliert: Auf dem
Gründungsgelände entstand ein Heil-
pädagogischer Kindergarten mit Lehr-
schwimmbecken. In Gronau wurde die
Tagesbildungsstätte gegründet und
1969 mit dem Aufbau des Berufsbil-
dungswerkes in Bad Oeynhausen-Ei-
dinghausen begonnen.
Annaheim und Schloss Benkhausen werden erworbenBesondere Meilensteine waren der
Kauf des Annaheims in Gronau 1956
und der weitere Ausbau dieses Stand-
ortes, der Kauf von Schloss Benkhau-
sen 1962 und der Bau der „Neuen
Abteilung“ zwischen 1963 und 1966 mit
mehr als zehn neuen Wohnheimen
und sonstigen Gebäuden.
Neben seiner Tätigkeit als Vorste-
her des Wittekindshofes war Pfarrer
Klevinghaus seit 1953 Vorsitzender des
Verbandes Deutscher Evangelischer
Heilerziehungs-, Heil- und Pflegean-
stalten, seit 1957 Mitglied der Leitung
Blick zurück
Erinnerung an Pfarrer Dr. Johannes Klevinghaus
der Evangelischen Kirche von Westfa-
len und Vorsitzender des Landesver-
bandes der Inneren Mission der Evan-
gelischen Kirche von Westfalen. Aus
Anläss seines 25jährigen Dienstjubi-
läums schrieb Klevinghaus im August
1970: „Ja, ich habe all die anderen
Aufgaben nur wahrnehmen können
mit den Erkenntnissen und Gaben, die
mir aus der Arbeit in Wittekindshof
geschenkt wurden“. Anfragen und Be-
rufungen in andere Ämter, wie zum
Beispiel die Übernahme einer Profes-
sur oder die Leitung der Rheinischen
Mission, lehnte er ab. Er begründete
dies unter anderem mit seiner inneren
sehr engen Verbundenheit zum Witte-
kindshof und seinen Menschen.
Nach schwerem Unfall verstorbenAuf der Fahrt zu einer Leitungssitzung
der Landeskirche in Bielefeld verun-
glückte Johannes Klevinghaus am 16.
September 1970 auf der Umgehungs-
straße in Herford schwer. Er erlitt da-
bei schwere Kopfverletzungen und fiel
ins Koma. Vom Herforder Kreiskran-
kenhaus wurde er am 30. September
ins Krankenhaus Gilead nach Bethel
verlegt. Dort verstarb er am 1. Oktober
1970. Unter großer Anteilnahme fand
seine Beisetzung am 6. Oktober 1970
auf dem Alten Friedhof am Langenha-
gen in der Reihe der Anstaltvorsteher
neben seinen Schwiegereltern statt.
Wenige Wochen zuvor, anlässlich
seines 25jährigen Dienstjubiläums,
hatte er in einem Rückblick über diese
Zeit geschrieben: Es „wurden Pädago-
gik und Psychiatrie einbezogen in das
Nachdenken über das Spezifische des
diakonischen Auftrags. Und nicht zu-
letzt gewann von der Wirklichkeit der
so eigenartig zusammengesetzten
christlichen Gemeinde her der sozio-
logische Bezug, die Gestaltung der
Anstalt zum Sozialgefüge eigener Art,
zum Gemeinwesen ein entscheiden-
des, die Anstalt prägendes, uns Mitar-
beiter in Anspruch nehmendes, aber
auch beschenkendes Gesicht.“
Pfarrer Klevinghaus war in der Ge-
schichte des Wittekindshofes sicherlich
eine der am stärksten prägenden Per-
sönlichkeiten. Unter seiner Leitung
entwickelte sich die Einrichtung zu
einem modernen diakonischen Unter-
nehmen. Vieles von dem, was in seiner
Amtszeit angedacht und geplant war,
wie der Bau des Schülerdorfs, der
Werkstatt oder der Turnhalle, konnte
er selber nicht mehr erleben und
wurde von den Nachfolgern verwirk-
licht. Mit seinen christlichen Grund-
sätzen und Werten hat er in der Dia-
konenausbildung aber auch darüber
hinaus viele Mitarbeitende nachhaltig
geprägt. Sein Wirken reichte aber weit
über den Wittekindshof hinaus. Er
prägte maßgeblich das Bild der Behin-
dertenhilfe in der deutschen Diakonie
und war eine herausragende Persön-
lichkeit der Evangelischen Landeskir-
che Westfalens.
Michael Spehr, Archiv Wittekindshof
Blick zurück
Witt
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Wittekindshof
1. August 1995: Unsere Tochter Melissa ist zu die-sem Zeitpunkt elf Jahre alt und beginnt ihr neues Leben im Haus Kinderheimat im Wittekindshof. Dies ist einer der schmerzlichsten Tage unseres Lebens, verbunden mit der Hoffnung, das Richtige für Melissa und für unsere Familie zu tun.
Diese Entscheidung war das Ergebnis eines langen Prozesses, getragen von vielen Gedanken, Gefühlen, Zweifeln, intensiven Gesprächen und Auseinander-setzungen. Vorausgegangen waren elf Jahre voller Höhen und Tiefen, die sich nach der Geburt eines Kindes mit Behinderung unausweichlich einstellen, zumal sich der Schweregrad der Behinderung erst im Laufe der Zeit herauskristallisierte. Erst Jahre später erkannte der damalige Kinderarzt der Kin-derheimat: Melissa leidet am so genannten Angel-man-Syndrom, einer Kombination aus schwerer geistiger und körperlicher Behinderung.
Tägliche Krankengymnastik, zahllose Arztbesu-che, Krankenhausaufenthalte und Therapien präg-ten das Leben unserer Familie von Melissas Geburt an. Trotz aller Bemühungen und zahlreicher kleiner und größerer Fortschritte hatten wir zunehmend das Gefühl, nicht genug zu tun. Ein Gefühl, das wir mit vielen Eltern von Kindern mit Behinderung tei-len. Zahlreiche schlaflose Nächte, das Wissen, un-serer älteren Tochter nicht ausreichend gerecht zu werden. Auch zunehmende gesundheitliche Pro-bleme auf unserer Seite führten zu der schmerzlichen Erkenntnis, dieser Situation nicht mehr gewachsen zu sein.
Zum ersten Mal tauchten Gedanken auf, Melissa in eine Einrichtung zu geben. Doch das schlechte Gewissen meldete sich sofort: So etwas tut man nicht! Man kann doch sein Kind nicht einfach weg-geben! Wir schaffen das schon irgendwie! – Aber man schafft das nicht irgendwie!
Sehr hilfreich in dieser schwierigen Phase waren zahlreiche Gespräche mit Eltern, die diesen Schritt schon hinter sich hatten. Immer wieder berichteten sie uns, in welch starkem Maße ihre Kinder von die-ser Entscheidung profitierten. Dass sie sich entwi-ckelten und dass sie ein zweites Zuhause dazu ge-wonnen hätten. Unsere Entscheidung fiel, nicht leicht, aber unausweichlich.
Und dann kam er, der Tag des Abschieds. Es gibt Tage und Situationen im Leben, die man niemals vergisst. Der 1. August 1995 war für uns ein solcher Tag! Melissa dort zurücklassen zu müssen, zerriss uns schier das Herz! Im angrenzenden Wäldchen auf einer Lichtung ließen wir unseren Tränen freien Lauf. Die Zukunft erschien uns wie ein riesengroßes Fragezeichen.
Mechthild und Steffen Bock: Melissas Zuhause
EinblickJa
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Einblick
November 2011: Das ist jetzt mehr als sechzehn Jahre her. Melissa ist eine fröhliche junge Frau von 27 Jahren. Sie hat sich außerordentlich positiv ent-wickelt. Sie fühlt sich sehr wohl in ihrem zweiten Zuhause. Sie lebt im Haus Köln im Schülerdorf – ein Umzug in den Erwachsenenbereich steht in absehbarer Zeit an. Bis zum Sommer 2010 be-suchte sie die Schule im Wittekindshof. Seit ihrer Schulentlassung arbeitet sie in den Wittekindsho-fer Werkstätten auf dem Campus.
Von Anfang an und mit liebevoller Unterstützung durch die Betreuerinnen und Betreuer der Wohn-gruppen hat sich Melissa im Wittekindshof wohl gefühlt. Sie konnte uns das zwar nie selbst sagen,
aber sie lebte es! Ihre offensichtliche Zufriedenheit war für uns alle zu spüren – und das tat gut! Und die Tatsache, dass andere unsere Tochter gut erzie-hen und fördern konnten, war eine heilsame Erfah-rung für uns Eltern!
Die gelebte Tagesstruktur und die freundliche Atmosphäre in den Wohngruppen wirkten sich po-sitiv auf Melissa aus. In diesem Zusammenhang gefällt uns das System der Bezugsbetreuer beson-ders gut. Auf der Basis einer guten Zusammenarbeit mit den Eltern ermöglicht es eine intensive Betreu-ung und Begleitung. Gegen Melissas Bezugsbe-treuer Christian, den sie heiß und innig liebt, haben wir als Eltern zeitweilig keine Chance!
Eine gute medizinische Betreuung und zahlrei-che Therapieangebote wie Sprachtherapie, Reiten, Krankengymnastik unterstützten darüber hinaus Melissas gesundheitliche, motorische und geistige Entwicklung.
Besonders hervorzuheben ist die jahrelange er-folgreiche Arbeit in der Schule. Andere Kinder sind froh, nach längstens dreizehn Schuljahren diesen Ort endlich verlassen zu dürfen – nicht so unsere Tochter! Sie ist ausgesprochen gern zur Schule ge-gangen. Die Resultate sprechen für sich: ein von uns nicht für möglich gehaltener Grad an Selbstständig-keit, ein an ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten gemessen hoher Entwicklungsstand sowie ihre tol-
len sozialen und emotionalen Kompetenzen – all das zeugt von einer durchdachten, professionellen und äußerst liebevollen Förderung. In zunehmen-dem Maße wurden wir Eltern in den Förderungs-prozess und das Schulleben mit einbezogen. Diese Öffnung der Schule war für uns Eltern sehr wichtig, da uns unsere Kinder nur in den seltenen Fällen an ihrem Schulalltag teilhaben lassen können. Heute bieten Elterntage, Schulfeste, Schulmitwirkungsor-gane sowie der Förderverein zahlreiche Möglich-keiten der Teilhabe und Mitwirkung am Schulleben. Die Einweihung des großartigen Schulneubaus haben wir mit einem lachenden und einem weinen-den Auge erlebt: wie gerne hätten wir Melissa noch einige Jahre dort vergönnt!
Im kommenden Jahr steht ein weiterer großer Schritt für Melissa – und auch für uns – an: der Umzug in eine neue Wohngruppe im Erwachsenen-bereich. Nach den guten Erfahrungen von nunmehr sechzehn Jahren sind wir zuversichtlich, dass dieser Wechsel im Einvernehmen mit Melissa und uns ge-lingen wird – und dass der „W-Hof“ immer mehr zu Melissas erstem Zuhause wird!
Blicken wir zurück auf den 1. August 1995, so können wir sagen, dass unsere Entscheidung, so schwer sie uns auch damals gefallen ist, die beste gewesen ist, die wir treffen konnten – für jedes einzelne Mitglied unserer Familie!
Mechthild und Steffen Bock sind Eltern zweier Töchter. Sie
waren auf Bitten der „Durchblick“-Redaktion bereit, dar-
über Auskunft zu geben, wie sie den Wittekindshof – als
Unterstützer ihrer Tochter Melissa – erleben. Dabei geht es
nicht um eine Institution an sich – sondern um Konstella-
tionen, die im Einzelnen durchaus unterschiedlich ausfal-
len. Es geht um persönliches Betroffensein, um Konsequen-
zen, die daraus erwachsen, und um Entscheidungen, die
meistens nicht leicht fallen. Mechthild und Steffen Bock
sind beide als Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen
tätig. Steffen Bock ist Mitglied im Wittekindshofer Angehö-
rigenbeirat.
Das Haus Köln, das in diesem Kontext erwähnt ist, gehört
zum Geschäftsbereich Wohnen 1, der Wohnangebote für
Kinder und Jugendliche in den Kreisen Minden-Lübbecke
und Herford umfasst.
Weitere Informationen: Geschäftsbereichsleitung Wohnen 1, Kreisen Minden-
Lübbecke und Herford:
Tel. (0 57 34) 61-15 50, [email protected].
Geschäftsbereichsleitung Wohnen 2, Gronau:
Tel. (0 25 62) 99 20 810, [email protected]
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Man kann doch sein Kind nicht einfach weggeben! Wir schaffen das schon irgendwie! – Aber man schafft das nicht irgendwie!
Wittekindshofauf ein WortW
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Wittekindshof
Gott ist dein Schirm, deine Zuflucht und dein Obdach.
In dem Moment als Marvin die Kerze für Jan entzündet, betritt die neue Mitarbeiterin den Raum unserer Jugend-gruppe. Der Anfang ist für uns die Zeit, in der wir die Möglichkeit haben, einander wahrzunehmen.
Zur Entdeckung und Wahrnehmung dient uns ein Beginn mit elementaren, rhythmischen, unsere Sinne anspre-chenden Formen. Wir gestalten den Anfang unserer Ju-gendgruppe durch ein Begrüßungsritual. Wir entzünden für den anderen eine Kerze und heißen jeden und jede willkommen mit einem speziellen Begrüßungssong.
Für die Mitarbeiterin war es der erste Tag in der Diakoni-schen Stiftung Wittekindshof und ein Anfang im konkreten, aber auch im übertragenen Sinn. So geht es uns, wenn wir etwas Neues beginnen. Etwas zeichnet sich ab. Ein neuer Abschnitt. Etwas kommt auf mich zu. Wie will ich das bewältigen? So ist die Mitarbeiterin gespannt auf das Neue. Sie hat noch Mühe, in den Alltag der Gruppe hin-einzufinden. Vieles ist ungewohnt für sie. Sie ist unsicher, was manche Wege hier auf dem Gelände der Stiftung betrifft. So geht es ihr jetzt – und uns allen bei Veränderungen: Wie gehe ich in die Aufgabe hinein, frage ich zu Beginn. An den Anfängen begegnen mir Fragen und Probleme. Da sind die Erwartungen der anderen, die sich schon längst eingearbeitet haben. Es sind neue Aufgaben, die mich fordern. Am Anfang stehen Fragen, manche bedrän-gen mich. Ich habe die Zeit mit der damit verbundenen Unsicherheit wieder vor Augen.
Ich erinnere mich wieder, wie ich die Ausbildung begann, wie ich die erste große Reise unternahm. Es war der Aus-zug aus dem Elternhaus, der Beginn des Studiums. Es waren der Umzug und der erste Tag, den ich hier im Wit-tekindshof erlebt habe.
Immer wieder ist die Anfangszeit etwas ganz Besonderes. Im Beginn liegt eine Herausforderung.
auf ein Wort
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Bilder des Anfangs finden wir in Jesaja 4, 5 und 6: Gott wird ein Schirm sein „und Zuflucht und Obdach vor dem Wetter und Regen“, so heißt es da. Jesaja nimmt uns dabei mit hinein in die Geschichte des Volkes Israel. Am Beginn steht die Befreiung des Volkes aus Ägypten. Diese Geschichte und der sich anschließende Weg durch die Wüste ist die Erfahrung, die Jesaja seinem Volk in späte-rer Zeit vor Augen hält und sagt: Gott ist dein Schirm, der dich behütet. Das Bild vom behütenden Schirm greift zurück auf den Anfang, der für uns Chancen und Risiken birgt. Aber Gott begleitet die, die unterwegs sind. Das Bild des Schirmes vermittelt Geborgenheit. Der Schirm ist ein Schutz gegen Wind und Wetter. In den letzten Tagen haben wir diesen Schutz auf unseren Wegen oft nötig gebraucht.
Gott ist dein Schirm, deine Zuflucht und dein Obdach. In der gegenwärtigen Situation erinnert Jesaja daran, dass die Nähe und Wärme Gottes am Anfang der Wegbeglei-tung standen. In der Krise hält er seinem Volk die frühere Erfahrung vor Augen. Er erinnert an das Vertrauen beim Aufbruch.
Immer liegen verschiedene Möglichkeiten vor mir. Ich brauche Mut, Entscheidungen zu treffen. Ich wünsche mir Gelassenheit, um Schritte zu finden und zu gehen. Wenn ich mich an die Anfänge erinnere, weiß ich, dass ich Gott vertrauen kann. Darauf kann ich in kritischen Momenten zurückgreifen.
Als die Mitarbeiterin den Raum betrat, gab es einfache, aber auf den ersten Blick sichtbare Zeichen für ein herz-liches Willkommen. An ihrem ersten Tag in der neuen Umgebung erlebte sie so einen Vertrauensvorschuss.
Ihre Pfarrerin Eva Guleiof
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