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V O N M A R K U S S C H N E I D E R

The Knife waren einmal ein Elekt-ropop-Duo. Schwer zu sagen,

was aus ihnen geworden ist, obwohlmit „Shaking the Habitual“ geradenach sieben Jahren ein neues Al-bum von ihnen erschienen ist. TheKnife bestehen noch immer aus denGeschwistern Olof Dreijer und Ka-rin Dreijer Andersson. Aber sowohlPop wie Elektro kann man hier ge-rade noch aus anamnestischenGründen diagnostizieren.

So hört man zum Beispiel auf„Crake“, dem kürzesten Stück desknapp hundertminütigen Werks,eine knappe Minute lang krei-schende und knarrende, echt fieseund nicht eindeutig identifizierbareSounds. Auf dem fast zwanzigminü-tigen „Old Dreams Waiting to be Re-alized“ schwillt im wesentlichen einspät durch komisch pochende Ge-räuscheinlagen nicht wirklich auf-gelockerter Drone vor sich hin. Da-zwischen entfalten sich stark rhyth-misierte, oft besungene und harmo-nisierte Tracks, die aller Voraussichtnach zum Eigenartigsten gehören,was man in diesem Jahr im Feld sogenannter populärer Musik hörenwird: nervötender Twang von Bett-federn, schabendes Plinkern von Zi-thern, wabernd-wogende Feed-backs, beschleunigte Percussion-motive von vielleicht Glas, Metalloder Tieren und mental verwirrtenComputern – zapplig zwischen al-len möglichen Materialdimensio-nen hin und her morphende Geräu-sche und Stimmen.

Natürlich wurzeln die Tracks imeigenwilligen Elektropop der frü-hen The Knife, dem eher verspiel-ten Debüt von 2001, den noch rela-tiv zutraulichen Songs ihres zwei-ten Album „Deep Cuts“ von 2003und den düster abweisenden, sozi-ophoben Schauerbeats von „SilentShouts“, ihrem letzten Werk von2006. Mit „Heartbeats“ vom zwei-ten Album hatten sie sogar einenkleinen Hit – in der akustischenVersion von José Gonzales unter-malte der Titel später eine Sony-Werbung, deren Erlös in den Auf-bau eines Studios floss.

In den vergangen sieben Jahrenveröffentlichte Olof Drejer als OniAyhun ein paar technoide Maxis,Karin Dreijer arbeitete mit experi-mentell kühlen Atmosphären alselektroindustrielle Singer-Song-writerin Fever Ray. Zuletzt kompo-nierten die beiden 2010 gemein-sam mit der ElektrokünstlerinPlanningtorock und dem Produ-zenten Mt. Sims als Auftragswerkdie Darwin-Oper „Tomorrow, in aYear“. Vor allem diese abenteuer-lich freie Arbeit, in der es um dienichthierarchische Entfaltung derVielfalt im Denken von Darwin

Das hätte Darwin aber auch nicht gedachtDass seinetwegen nochmal solche Musik entsteht: The Knife und ihr großes, freies, verstörendes neues Album „Shaking the Habitual“

ging, scheint ein starker Einflussauf „Shaking the Habitual“.

Seit je verweigern sich die beidenden medialen Gepflogenheiten derPopwelt, treten selten auf, zeigensich auf Fotos maskiert oder vonhinten. Gleichsam zur Vertiefungverbrachte Olof Dreijer die letztenJahre an der Universität Stockholm,um sich mit postmodernen Theo-rien zu Gender, Postkolonialismusund Klasse zu beschäftigen. Der Al-bumtitel zitiert Michel Foucault auseinem mit Gespräch mit FrançoisEwald, in dem jener die Erschütte-rung von Gewissheiten im Denkenund Arbeiten als Aufgabe des post-modernen Intellektuellen umriss.Als Hör-Anleitung ist demWerk wie-derum ein manifestartiger Text bei-gelegt, in dem die Dreijer-Ge-schwister gegen Kapital und Kom-merz, Umweltsünden, Kleinfamilieund die Herrschaft weißer Männerins Feld ziehen.

Schönerweise klingt die Musikeloquenter und radikaler als die eh-renwerte, aber etwas sperrige politi-sche Rhetorik.

Gegen den ideologischen Kitscheiner universalen Ordnung der

ALEXA VACHON

The Knife: Karen Dreijer Andersson (l.) und Olof Dreijer in der aktuellen Post-Elektropop-Frühlingsmode.

Klänge setzten The Knife in ihrerDarwin-Musik die Idee, dass auch inder musikalischen Wahrnehmungdas ordnende Subjekt ausgedienthat. Sie arbeiteten mit Computer-programmen, die selbstständig, so-zusagen naturhaft, Klänge erzeug-ten, benutzten andererseits FieldRecordings aus dem Amazonasge-biet, ohne sie dem Hörer als Natur-schönes anzubieten – organischewie synthetische Sounds blieben ineiner nicht entzifferbaren, beunru-higenden Klanglichkeit.

Schrill schwirrend stichelnd

Ähnlich, aber viel spielerischer, ver-fahren sie auch auf dem neuen Al-bum mit ihrem Material. Durch denzugänglichsten Titel „Raging Lung“schuffelt ein vager HipHop-Beat ausBasstrommel und gedämpfterSnare, wozu Dreijer eine Synthpop-taugliche Melodie über Differenzensingt. Ziemlich schnell wird diezarte Gothpflanze indes von sinn-frei quietschenden und walgesangs-artig dröhnenen Klängen zerschos-sen. In „Stay out Here“ verwandelnsich Gaststimmen von hell weiblichzu dunkel männlich bis schließlich

zu horrorfilmhaft synthetisiertenChören, wozu ein extremistischesArsenal von ungemütlich verbogenschwirrenden Bässen, ineinander-schrillenden glasharfenartigenSounds, stichelnd spitzen Beckenund schmerzendem Verzerrer dröh-nen. Einiges erinnert an die wim-melnde Polyrhythmik afrikanischerGruppen wie Konono No.1, und wiederen Daumenklaviere wirken auchhier die pluggernd-repetitiven Mus-ter undeutlich synthetisch.

Umgekehrt dient auch die Arbeitvon und an Karin Dreijers Stimme –deren elektronische VerfremdungThe Knife früh als stilistisches Mittelnutzten – keiner vordergründig an-tihumanoiden Absicht. Mal wird siedurch den elektronischen Wolf ge-jagt, mal bleibt sie ungefiltert odertaucht in verschiedenen Schichtenvervielfältigt auf – doch sind all dasMöglichkeiten von Klang, keineStatements für eine Cyborg-Ästhe-tik. Gelegentlich erinnert das anBjörk, die mit solcherart Verwirrungauch gerne spielt. Aber wo Björk amEnde versöhnend auf Bezauberungund staunende Überwältigung zielt,bleiben The Knife konsequent.

Natürlich kann man auch hierexotische Bilder assoziieren, Fallhö-hen zwischen melancholischenStimmen und kalt erstorbenen Ma-schinenparks suchen. Aber die mu-sikalische Ordnung gibt ihr Rätselnicht preis. Sie verzichtet auf dieselbst ja schon etwas kitschig ge-wordene Idee, Differenzen griffig zusortieren, indem man sie als Kon-struktionen markiert – der Kontexthängt stets eindrucksvoll offen inder Luft.

Dabei wirkt nichts auf diesemganz erstaunlichen, spannenden,überraschenden und aufrüttelndenAlbum willkürlich. Man hat den Ein-druck eines unergründlichen, au-ßerweltlichen Rituals – aber nichtals verstörend beunruhigende Party.Sondern als Einladung zu einerFeier der Verunsicherung.

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The Knife:Shaking theHabitual(Rabid/Coope-rative Music).

V O N M A J A B E C K E R S

Wie bitte? „Rapante, Rapante,latte Haate dante!“ Das ist aus

Rapunzel. Im Saal fließen Lachträ-nen. Die Maulwurfpuppe mit demSprachfehler hat ein großes Publi-kum. In Live-Shows und bei Fern-sehübertragungen hat René Marikdie Kunst des Puppenspiels aus ih-rer Nische geholt und – so befand esdie Jury des Prix Pantheon – ihm ein„subversives Comeback“ beschert.

Es ist kein Kindertheater, aber eswird stets eine vielleicht kindlichanmutende Impulsivität gewahrt.„Über dem Maulwurf schwebt keinÜber-Ich, das ihm sagt, das kannstdu jetzt nicht machen. Der ist ein-fach total unbesonnen“, beschreibtMarik seine bekannte Figur. „Unddieses Intuitive ist als Schauspielerschwierig darzustellen, im Grundeermöglicht die Puppe das erst.“ Daskommt beim Publikum an. Viel-leicht, weil „jeder so ein Bedürfnishat, sich einfach mal freizumachenund ganz direkt auf Situationen zureagieren“, sagt Marik.

In Minidramen verwertet er malberühmte Märchen, wie das ein-gangs zitierte „Rapunzel“, malgroße Literatur. Das klingt dann so:„Sein oder nicht’n Gaage!“ – das istauch der Titel von Mariks erstem Ki-nofilm rund um seine PuppenMaulwurf, Eisbär Kalle und FroschFalkenhorst. Die Dreharbeiten sindbeendet, im Herbst wird der Filmwohl in die Kinos kommen. Darintreffen Maulwurf und Co. auf andere

Im Netz gibt es auch Geld für FilmeDer Puppenspieler René Marik hat eine Kinoproduktion durch Crowdfunding finanziert

Puppen und auf berühmte Darstel-ler wie Christoph Maria Herbst undCarolin Kebekus.

Und noch etwas ist besonders andiesem Film, Marik hat ihn mit Hilfevon Crowdfunding finanziert, alsodurch Spendensammeln via Inter-net. „Das war der einzige Weg, wieich den Film machen konnte, denich wollte“, sagt er. „Große Geldge-ber jeder Art, ob staatlich oder pri-vat, schauen natürlich darauf, dassder Film nachher auch möglichstviel Publikum anzieht und wolltenihn dementsprechend massentaug-licher machen.“ Mal sollte der

Maulwurf deutlicher sprechen, maldie Pointen vereinfachen, dannsollte es ausschließlich um denMaulwurf gehen. „Aber das wärenicht mehr mein Film gewesen“,sagt Marik. So griff er schließlich aufdiese Art der Schwarmfinanzierungzurück, die gern zum Trend ausge-rufen wird.

Das Prinzip ist einfach, wer eineIdee hat, erstellt auf einer Plattformwie Startnext.de, Inkubato.comoder pling.de ein Profil, auf dem erfür sein Vorhaben wirbt. Meist sindes Projekte aus Kunst und Kultur,aber auch Lebensmittelhersteller,

Modedesigner und Erfinder findenhier ihren Platz. Der Initiator nenntdie Summe, die er für sein Projektbraucht – bei Marik waren es100 000 Euro – und rührt die Werbe-trommel. Kommt die Summe in ei-ner bestimmten Zeit nicht zusam-men, geht das Geld zurück an dieSpender, weil das Projekt offenbarnicht läuft wie geplant. Auf derPlattform Startnext liegt die Erfolgs-quote bei 52 Prozent. Fast 400 Pro-jekte mit insgesamt mehr als zweiMillionen Euro wurden hier im letz-ten Jahr finanziert. Filme sind auf al-len Plattformen am häufigsten ver-treten. Crowdfunding ist schnellerund unkomplizierter als öffentlicheFilmförderung.

Statisten bringen Geld mit

Auch künstlerisch freier, denn dasErgebnis muss ja nicht jeder mögen,nicht einmal viele. Da entsteht schonmal ein skurriler Film über Nazis aufder dunklen Seite des Mondes. Aberauch etablierte Künstler wissen dieseFreiheit zu schätzen. Im Dezember2011 startete die Firma Brainpooldas bis dahin größte Crowdfunding-Projekt in Deutschland für einenFilm zur Fernsehserie „Stromberg“.Eine Million Euro wurde gebraucht,in einerWoche war das Geld beisam-men. Auch René Mariks Film hatdurch eine bestehende Fanbasis grö-ßere Chancen auf Unterstützung.Seine Fans lockte Marik mit Ge-schenken: Für 2,99 Euro gab es dasNeueste von den Dreharbeiten, für25 Euro ein „Producer“-T-Shirt vom

BEN WOLF

Der Diplompuppenschauspieler René Marik (Mitte) mit zwei Kollegen.

Film, für 300 Euro durfte man einenAuftritt als Statist erwerben, für1 000 Euro taucht man im Abspannauf.

So generiert diese neue Form derKreativwirtschaft jenseits von Plat-tenverträgen und Filmförderungvor allem eine große Nähe zum Pub-likum. Für die Macher ist Crowdfun-ding überdies eine Art Marktfor-schung in Echtzeit: Will das über-haupt jemand sehen?

Für René Marik war das Internetschon seit Beginn seiner Karriereein wichtiger Motor. Nachdem erauf der Ernst-Busch-Schauspiel-schule Puppenspiel studiert hatte,war er als Schauspieler am Theaterin Jena, bewohnte eine„Chaos-WG“mit Reinald Grebe und entwickelteeine kleine Puppenshow. Als ein Faneinen Videoausschnitt davon aufYoutube stellte, entwickelte sich derClip zum Selbstläufer, den bis heute30 Millionen Menschen gesehenhaben.

Crowdfunding ist so etwas wieder logisch nächste Schritt von So-cial Media, die Metamorphose desLike-Buttons in Geld. In den USAging es letztes Jahr um zehn Millio-nen Dollar, als eine multifunktio-nale „Smartwatch“ entwickeltwurde. Angesichts solcher Summenentwickelte sich aus Crowdfundingbald der Ableger Crowdinvesting.Hier werden die Unterstützer an-schließend am Gewinn beteiligtund so wird Crowdinvesting geradeauch von kapitalintensiven Startupsgenutzt.

V O N B E A T E S C H E D E R

Zum Rhythmus einer nicht hör-baren Melodie lässt eine junge

schwarze Frau ihren Kopf kreisen.Im Endlos-Loop schwenkt sie ihrenkurzen Afroschopf hin und her,schüttelt ihn nach vorn, wirft ihndann lasziv in den Nacken. Um dieArbeit von Julia Phillips zu verste-hen, muss man sich etwas dazudenken: eine imaginäre blondeMähne. Die Erotik einer Frau ist imwestlichen Kulturkreis an Klischeesgebunden, an eine schlanke Figur,zarte Gesichtszüge und lange, wal-lende Haare. Phillips setzt sich indem Video sehr anschaulich mitdiesen Stereotypen auseinander. Zusehen ist „Untitled (Shake)“ derzeitin der Galerie am Körnerpark in derGruppenausstellung „ErogenousZone“, organisiert von der Künstle-rinnengruppe ff.

Die Ausstellung ist Teil der zwei-ten„Temporären Autonomen Zone“der Gruppe, die sich im Jahr 2011 alsloser, feministisch orientierterKünstlerinnen-Verband gründete.Elf Frauen sind derzeit bei ff aktiv,darunter Antje Majewski, Mathildeter Heijne, Jen Ray und JulianeSolmsdorf. Als ff versuchen sie, einegemeinsame Sprache zu finden, so-wohl künstlerisch als auch über ge-meinsame Aktionen. Die TemporäreAutonome Zone umfasst deshalbnicht nur zwei Ausstellungen – auf„Erogenous Zones“ folgt Ende April„ff Collaborations“ – sondern auchein umfangreiches, teils partizipati-ves Veranstaltungsprogramm.

Frauenschauen auf

FrauenErogene Zonen in einer

feministischen Ausstellung

CHRISTINA DIMITRIADIS

Über den Rock geschaut.

Die erste Temporäre AutonomeZone fand im vergangenen Herbstin der Wiener Galerie Lisa Ruyterstatt. Damals ging es um abstrakteMalerei, nun also um Erotik. Wie dierund 40 in der Ausstellung vertrete-nen Künstlerinnen diese für sichund ihre Arbeit definierten, war ih-nen überlassen. Ff versteht sich alsbasisdemokratisch und hierarchie-frei. Im Vordergrund stehe eine Ideeder Selbstermächtigung, erklärtAntje Majewski. Ein wenig klingt esnach einer Utopie, denn noch im-mer ist die Kunst männlich domi-niert. „Es geht uns weniger darum,dass Bestehende zu kritisieren, alseine Alternative aufzuzeigen“, sagtMajewski. So macht die Ausstellungauf Traditionen feministischerKunst und in Vergessenheit gera-tene Künstlerinnen aufmerksam.

Erotik ist in der Ausstellung einweites Feld, manche Arbeiten sindsehr emotional, andere humorvoll –sehr explizite Darstellungen wur-den in den Projektraum Pony Royalausgelagert – wieder andere setzensich mit kultureller Symbolik aus-einander, wie die Arbeit von Phil-lips, aber auch die Gemälde Ma-jewskis, die überdimensionierte Ab-bilder urzeitliche Venus- und Phal-lus-Statuetten zeigen, oder dasriesige schwarze Spiegelloch terHeijnes, eine viktorianische Meta-pher für die Vagina. Eines jedoch istauffällig: Die Auseinandersetzungmit der Erotik umkreist fast immerden eigenen Körper, nicht das Ob-jekt der Begierde. Vielleicht ist dasein sehr weiblicher Zugang, viel-leicht muss ff hierfür auch erst nocheine gemeinsame Sprache finden.

Galerie im Körnerpark, Schierker Str. 8(Neukölln):Erogenous ZoneBis 21. April,Di–So 10–20 Uhr. Pony Royal, Siegfriedstr.12 (Neukölln), Sa–So 10–20 Uhr.Danach: ff Collaborations. 27. April bis19. Mai, Eröffnung am 26. April.

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