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Georg Baselitz „Rückenwind. Strandbild 8, 1981“ zeigt einen archaisch wirkenden Akt über Kopf – so ungestüm wie ein Windstoß gemalt
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Perspektiven_Kunst 35Deutsche Bank_r e s u l t s
Herzklopfen auf PapierZum Jubiläum der Sammlung Frieder Burda zeigt die Deutsche Bank KunstHalle eine Auswahl der schönsten Papierarbeiten. Die Schau gibt Einblick in eine der aufregendsten Kunstsammlungen Deutschlands
des künstlerischen Impetus. In der Sammlung Frie-
der Burda nehmen Arbeiten auf Papier einen außer-
ordentlich hohen Stellenwert ein. „Gerade in der
Zeichnung zeigt sich die wahre Meisterschaft“,
betont der Sammler, dessen Interesse stets dem
emotionalen Ausdruck eines Bildes galt. Kühlen
Konstruktivismus und Konzeptkunst sucht man
vergebens in dieser Kollektion. Frieder Burda fas-
ziniert eine Kunst, die betroffen macht, aufwühlt,
Herzklopfen auslöst.
Es ist deshalb kein Zufall, dass ausgerechnet
diejenigen Künstler die Sammlung Burda in Berlin
repräsentieren, die sich mit expressivem Gestus
an existenziellen Themen wie dem Menschenbild
abarbeiten: Georg Baselitz, Willem de Kooning, Sig-
mar Polke, Gerhard Richter, Neo Rauch und nicht
zuletzt Arnulf Rainer, einer der einfl ussreichsten
Künstler Österreichs, der auch in Deutschland im-
mer mehr Aufmerksamkeit erfährt. Seine heftigen,
meist schwarzen Übermalungen von Fotos und
Reproduktionen quer durch die Kunstgeschichte
loteten schon in den fünfziger Jahren neue Berei-
che der Expressivität aus und wurden bald zum
Markenzeichen.
Im Haus unter den Linden ist nun – neben eini-
gen seiner fast vollständig schwarzen Übermalun-
gen – die wunderbare „Van Gogh“-Serie von 1977
zu sehen: „Van Gogh als Schneidermeister“, „Ober-
förster“ oder „schwarzer Irokese“ offenbaren den
subversiven Witz, mit dem Rainer hier den Über-
vater der Moderne von seinem Sockel holt.
Was ist besser: Kunst sammeln oder sau-
fen und huren?“, fragten die Künstler
Sigmar Polke und Gerhard Richter frech
im Jahr 1966 auf einer gemeinsamen Textcollage.
Von solchen Provokationen ließ sich Frieder Bur-
da schon damals nicht schrecken. Er sammelte –
vor allem Bilder dieser beiden Künstler, die seine
Freunde wurden. Heute zählen Polke- und Richter-
Werke zu den Säulen der großartigen, über 40 Jah-
re gewachsenen Kollektion, die mit dem Bau von
Richard Meier in Baden-Baden 2004 ein eigenes
Museum bekam. Im Sommer feierte das Frieder-
Burda-Museum das zehnjährige Bestehen sowie
40 Jahre Sammlung, mit einem Querschnitt durch
die vergangenen vier Dekaden.
Die Deutsche Bank KunstHalle präsentiert zum
Doppeljubiläum nun eine Auswahl aus der Kollek-
tion, die in dieser Konzentration und Fülle noch
nie zu sehen war: Rund 120 Arbeiten auf Papier
von sechs einfl ussreichen Künstlern schlagen hier
einen Bogen vom Abstrakten Expressionismus bis
in die Gegenwart. Dabei bietet die Schau sehr per-
sönliche Einblicke in das Wesen dieser Sammlung
und des Mannes, der sie zusammentrug.
Arbeiten auf Papier sind gemeinhin weniger
popu lär als Malerei, in Künstler- und Sammler-
kreisen jedoch genießen sie größte Wertschätzung.
Nicht ohne Grund hat die Deutsche Bank Arbeiten
auf Papier ins Zentrum ihrer hauseigenen Samm-
lungsaktivität gestellt: Zeichnungen sind mit ihrem
Abstraktionsvermögen ein unmittelbarer Ausdruck
Der Sammler Frieder BurdaGeboren 1936 im badischen Gengen-bach als zweiter Sohn des Verlegers Franz Burda, absolvierte Frieder Burda zunächst eine Drucker- und Verlagslehre. Er trat jedoch nach dem Tod des Vaters nicht in den Verlag ein, sondern widmete sich neben dem unternehmerischen Engagement für eine Reihe von Firmenbeteiligungen verstärkt seiner Kunstsammlung. Dabei faszinierte ihn der deutsche und der amerikanische Expressio-nismus, aber Burda begleitete immer auch die aktuelle Kunst. Die Werke des späten Pablo Picasso bilden einen weiteren Schwerpunkt der Sammlung.
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Perspektiven_Kunst36 Deutsche Bank_r e s u l t s
Juwel im ParkWeiß, luftig, lichtdurchfl utet. Der
Baden-Badener Museumsbau
des US-Architekten Richard Meier für
die rund 1000 Werke umfassende
Sammlung Frieder Burda zeichnet
sich durch Eleganz und Transpa-
renz aus. Licht sei sein wichtigstes
Baumaterial, sagte der vielfach
ausgezeichnete Amerikaner, dessen
2004 eröffneter Bau neben der
Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden
die historische Parkanlage der
Lichtentaler Allee wie ein funkelnder
Edelstein spiegelt. Kunst, Archi-
tektur und Natur fügen sich so wie
selbstverständlich ineinander.
Museum Frieder Burda
Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8b
www.museum-frieder-burda.de
Zwischen Malerei und Zeichnung besteht fast
immer ein enger Dialog, und dieser Dialog interes-
sierte Frieder Burda außerordentlich. Die Ausstel-
lung macht das sehr schön sichtbar: Jedem Werk-
komplex ist hier ein charakteristisches Gemälde des
jeweiligen Künstlers vorangestellt.
Arnulf Rainers „Van Gogh“-Serie wird von einer
fast schwarzen Übermalung mit Öl auf Holz (1979)
fl ankiert. Bei Neo Rauch, dessen kaum bekannte
Mischtechnikzeichnungen Anfang der neunziger
Jahre aktuelle Tendenzen der Sammlung Burda vor-
stellen, ist es die fast informell wirkende „Flut II“
von 1992. Georg Baselitz’ Gemälde „Rückenwind“
(1981) zeigt eine archaisch wirkende, mit brachia-
lem Duktus auf die Leinwand gehauene Figur über
Kopf, rotorange auf grauweißem Grund. Drumher-
um gruppieren sich die „Straßenbilder“ (1980) des
Überkopf-Malers. Ihnen gegenüber wirken Willem
de Koonings nervöse, ungestüm mit Kohle und
Tusche aufs Papier gesetzten Striche und Flecken,
in denen man die Figur eher erahnt als erkennt,
schwereloser, geradezu tänzerisch.
Ein zerschnittenes Bild war der Anfang
Willem de Kooning gehört zu den frühesten Künst-
lern der Sammlung Frieder Burda. Der zweite Sohn
des Verlegerpaares Franz und Aenne Burda lernte
ihn bei seinem Aufenthalt in Amerika kennen, An-
fang der siebziger Jahre. Die Werke der Abstrakten
Expressionisten, allen voran Mark Rothko, Clyfford
Still, Jackson Pollock und eben auch de Kooning,
Vaterfi gur für viele junge Expressive, bilden heute
einen von mehreren Schwerpunkten in der rund
1000 Werke umfassenden Privatsammlung. Einen
weiteren nimmt Pablo Picassos Spätwerk ein, zu
dem Burda auch deshalb einen besonderen Bezug
hat, weil Mougins, der pittoreske Ort nördlich von
Cannes, in dem Picasso seine letzten zwölf Jahre
verbrachte, seine zweite Heimat wurde. Dort übri-
gens wollte Burda zuerst sein Museum errichten,
doch dann bot ihm die Landesregierung Baden-
Württemberg das Grundstück neben der Staatlichen
Kunsthalle in Baden-Baden an, im schönen Park der
Lichtentaler Allee.
Frieder Burda ist mit Kunst aufgewachsen. In
seinem Elternhaus hingen Gemälde von Max Beck-
mann, Ernst Ludwig Kirchner und August Macke,
führenden deutsche Expressionisten, die ihn als
Kind prägten und für ihn auch heute noch eine
herausragende Rolle spielen.
Das persönlich wohl wichtigste Werk, das aller-
erste, das er erwarb, nimmt jedoch auch stilistisch
eine Sonderstellung ein: Es ist Lucio Fontanas „Con-
cetto Spaziale, Attese“ (um 1967), eine knallrote,
von drei Schnitten durchzogene Leinwand, die die
Grenzen der Malerei sprengt.
Der junge Unternehmer entdeckte das zer-
schlitzte Bild 1968 auf der Documenta 4. Er wusste
damals nicht, wer Fontana war, doch dieses Bild,
so erzählte er launig bei der Einweihung des licht-
durchfl uteten Richard-Meier-Baus 2004, „wollte ich
besitzen, weil ich es aufregend fand“.
Sigmar Polke Punkt, Punkt, Komma, Strich – und fertig waren die beiden mächtigsten Männer der damaligen Welt: „Kartoffelköppe (Mao und LBJ)“ war 1965 Polkes ebenso lustiger wie respektloser Beitrag zum Ost-West-Konfl ikt
Polke und Richter bleibt Burda ein Leben lang treu
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1968 war die Zeit der Revolte, und Frieder Bur-
da revoltierte mit einem Bild gegen die tradierten
Werte seines Vaters: mit einem Bild, das kein Bild
mehr sein wollte. Das sich in den Raum öffnete und
der Fantasie des Betrachters jeden Freiraum ließ.
Fontana war für Frieder Burda ein Schlüsselerleb-
nis. Und er markierte einen Neuanfang: den Aufbau
eines Lebenswerks, in dem die programmatischen
Provokateure Sigmar Polke (1941–2010) und Ger-
hard Richter (geb. 1932) den zentralen Stellenwert
einnehmen sollten.
Diese beiden aus der DDR stammenden Künst-
ler schlugen Ende der Siebziger ein ganz neues
Sammlungskapitel auf: Nun ging es nicht mehr um
„die Faszination Farbe“. Nun ging es um Respekt-
losigkeit, Experimentierfreude und eine Ironie, die
Burda auf Anhieb in den Bann zog.
Polke und Richter wurden für ihn wichtige Künst-
ler, denen er über alle Brüche und Stilwechsel hinweg
treu blieb. Wie faszinierend, dass sich diese beiden
Ausnahmeerscheinungen in keine Schublade sper-
ren ließen, mühelos die damals noch starren Grenzen
zwischen Abstraktion und Figuration durchbrachen.
Realisten und junge Wilde
Zu Beginn ihrer Karriere, Anfang der sechziger Jahre,
als „der Ausstieg aus dem Bild“ stattfand, wie der
Kunsthistoriker Laszlo Glozer einmal formulierte,
belebten Polke und Richter die Malerei aufs Neue. In
ironischer Abgrenzung zur DDR-Staatskunst begrün-
deten sie mit Konrad Lueg und Manfred Kuttner den
„Kapitalistischen Realismus“ und malten drauflos,
was das Zeug hielt.
Polke brach mit seinen Rasterbildern den illu-
sio nistischen Charakter gegenständlicher Male-
rei, Richter mit sublim verwischter Fotomalerei,
die voller Gesellschaftskritik steckte. Inspiriert
von der amerikanischen Pop-Art, verarbeiteten sie
möglichst „unkünstlerische“ Vorlagen – Zeitungs-
ausschnitte, Werbeprospekte, private Fotos – und
zogen Warenwelt, Freizeitvergnügen und Klein-
bürgermief nach Kräften durch den Kakao. In den
achtziger Jahren, als die „Neuen Wilden“ die Bühne
betraten und mit ihnen eine starke neue Figürlich-
keit, konzentrierten sich die beiden Künstler ganz
gegen den Zeitgeist auf Oberfl ächen, Pulver und
Pigmente. Polke mutierte zum Alchimisten, schaff-
te chemisch behandelte „Schütt- und Lackbilder“,
die sich durch Lichteinwirkung und Temperatur
veränderten; Richter irritierte seine Fangemeinde
mit monochrom grauen Leinwänden und abstrak-
ten Farborgien.
In der Deutschen Bank KunstHalle stehen die mo-
nochrome Leinwand „Grau“ (1974) sowie eine Reihe
farbintensiver Aquarelle aus den späten achtziger
Jahren beispielhaft für die abstrakte Phase Richters.
Polke hingegen ist mit seinem fantastischen Früh-
werk aus den wilden Jahren 1963–67 präsent – rasch
hingeworfene Kritzeleien, banal, naiv, bar jeder
akademischen Ästhetik und Technik. Ob „Frischer
Kopfsalat“, „Seife“, „Schuhkrem“ oder „Rohrkolben“,
kein Sujet war diesem genialen Spötter zu trivial,
kein Ringbuchpapier zu billig. Polke veralberte alle
und alles und erhob ausgerechnet die keimende
Kartoffel, des Deutschen liebstes Nahrungsmittel,
zum Sinnbild immerwährender Kreativität.
Polkes berühmtes Gemälde „Kartoffelköppe
(Mao & LBJ)“ sucht in Berlin nun die Zwiesprache mit
mehr als 40 Arbeiten auf Papier. Sie bilden das größte
Konvolut dieser aufregenden Schau, gleichsam das
Herzstück – denn hier offenbart sich beispielhaft der
aufrührerische Geist, der Frieder Burdas exquisiter
Sammlung innewohnt.
ISABELLE HOFMANN
Neo Rauch In jungen Jahren
interessierte sich der Leipziger Künstler für
Raumstrukturen, in denen Figuren nur
schemenhaft auftra-ten. Hier ein Blatt
in Mischtechnik ohne Titel von 1994
Willem de Kooning Die Vaterfi gur der Abstrakten Expressionisten ist mit luftig leichten, fast schon tänzerisch anmutenden Zeichnungen wie dieser von 1974 vertreten
WEITERE INFORMATIONEN
„Höhere Wesen befehlen …“,
Arbeiten auf Papier aus der Sammlung
Frieder Burda; 5. Dezember 2014 bis 8. März 2015,
Berlin, Unter den Linden 13–15
www.deutsche-bank-kunsthalle.de
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