[Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle]
juttafranzen | 2004
juttafranzen 2004| Muster der Wiederholung in den Arbeiten von Sophie Calle
Thesen Interdisziplinäres Kolloquium „Wiederholung“ Deutsche Studienstiftung, Berlin
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Sophie Calle (*1953 in Paris) zählt zu den international bekanntesten und
bedeutendsten Künstlerinnen aus Frankreich. In ihrem Werk geht es um das Sehen
und Gesehenwerden und dabei auch immer um das Abwesende, das, was nicht,
nicht mehr oder noch nicht gesehen werden kann.
Die umfassende Werkschau von Sophie Calle mit dem Titel „M’as-tu-vue – Hast du
mich gesehen“- ist noch dieses Wochenende, bis zum 13. Dez. im Martin-Gropius-
Bau zu sehen.
Sophie Calle arbeitet mit Installationen aus Fotografie und Text, die sie assoziativ
zu Geschichten verknüpft, die persönlich und intim wirken und dennoch die Frage
offen lassen, „M’as-tu-vue“. Im Plakat zur Ausstellung ist es Jean-Baptiste Mondino
gelungen, kennzeichnende Merkmale von Sophie Calles Arbeiten mit dem Szenario
eines Sehtests zu visualisieren.
Die Fotografie zeigt Sophie Calle, die den Regeln einer solchen Untersuchung
folgend, ein Auge zuhält, während sie mit dem anderen konzentriert nach außen
sieht. In einem weißen Rechteck ist wie auf einer Tafel (beim Augenarzt) als Text
ihr eigener Name zu lesen. Nach präzise definierten Regeln, denen sie gehorsam
folgt, inszeniert Sophie Calle ihre Projekte als Anordnungen des Sehens, des
Protokollieren des Sehens und einer nahezu obsessiven Beschwörung des
Abwesenden. Sie beobachtet, beschattet, verfolgt, überwacht und dokumentiert.
Ihr Blick nach außen bleibt verschränkt mit dem Blick auf die eigene Person.
Gerade im Sehen des Anderen trifft Sophie Calle immer wieder auf sich selbst.
Ihre Arbeiten sind oft um persönliche, autobiografische Rituale angelegt. Sophie
Calle bekennt sich als Autorin. „M’as-tu-vue“ ist auch eine Anspielung auf die eitle
Frage, das „show-off“ der Künstlerin, die sich zur Schau stellt und mit ihrem Namen
signiert, weil sie den bestätigenden Blick des Anderen begehrt.
Die Ausstellung „M’as-tu-vue“ vereint frühe Arbeiten und Installationen, die von
Sophie Calle eigens für diese Ausstellung erstellt wurden. Doch nicht nur der äußere
Rahmen der Werkschau verbindet die Arbeiten über einen Zeitraum von nahezu 25
Jahren miteinander, sondern es ist das Muster der Wiederholung, das auf vielfältige
Weise die Werke Sophie Calles durchzieht. Wiederholung steht bei Sophie Calle für
eine Praktik, nicht die Werke eines anderen anzueignen, sondern die eigenen
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Arbeiten wieder zu holen und in ein Raster der Differenzen zu stellen, das Innen
und Außen, Gegenwärtiges und Abwesendens in ein Spiel der Unterschiede und
Verschränkungen verwickelt.
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Eine erste Form der Wiederholung ist die Wiederholung von Abläufen zu einer
anderen Zeit (Die Beschattung 1981/ Zwanzig Jahre später 2001)
Ihr Projekt „Die Beschattung“ (1981) führt Sophie Calle „Zwanzig Jahre später“
(2001) nochmals durch. Sophie Calle lässt jeweils eine Detektei beauftragen, sie
einen Tag lang in Paris zu beschatten. Zu der zeitlichen Wiederholung kommt die
Dopplung in der Wahrnehmung hinzu: Texte und Bilder dokumentieren diesen Tag
im Bericht des Detektivs und aus der Wahrnehmung von Sophie Calle. Die
Wiederholung wird von Sophie Calle als eine persönliche Erinnerung erlebt, die die
beiden zeitversetzten Ereignisse für sie verbindet und zugleich ihre Unterschiede
zeigt. Das Vergangene, das die Wiederholung wieder holt, wird im Gegenwärtigen
nicht als ein Identisches reproduziert und erlebt, sondern nur als ein Gleiches
erinnert. Es bleibt ein Unterschied, der auf ein Abwesendes verweist, das für immer
vergangen ist und das auch in der Wiederholung vergangen, verloren bleibt. Für
den Detektiv ist die Aktion eine Wiederholung seines täglichen Arbeitsablaufes, den
er nach Vorschrift protokolliert. Die Wiederholung weckt bei ihm kein Erinnern,
sondern die notwendige Distanz für seinen Blick von außen auf das Geschehen und
die Person. Die Wiederholung als eine Form der Alltagsroutine, holt das wieder, was
seine Handlungen zweckrational optimiert und den Blick nach innen, das Erinnern,
ausblendet.
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„Die Schläfer“ (1979) und „Die Reise nach Kalifornien“ (2000-2003) sind ebenfalls
durch die Wiederholung der Handlungen und des Ortes aufeinander bezogene
Projekte. Sophie Calle bittet andere Personen, Bekannte wie Fremde, in ihrem Bett
zu schlafen. Im Sommer 1999 wiederholt sich die Aktion als „Reise nach
Kalifornien“ (2000-2003) gleichsam spiegelbildlich. Ein ihr unbekannter Mann aus
Kalifornien bittet Sophie Calle in ihrem Bett schlafen zu dürfen, das sie ihm
daraufhin in die USA schickt und im folgenden Jahr von ihm zurück erhält. Doch
nicht die Wiederholung auf der Zeitlinie verleiht diesen Projekten ihre eigentümliche
Spannung. Es ist die Wiederholung der persönlichen, privaten Handlung des
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Schlafens von verschiedenen Personen am selben, ebenfalls privaten Ort. Durch
dieses Raster der seriellen Wiederholung tritt als Differenz zum Privaten das
Gemeinsame der Alltagspraktik des Schlafens hervor, während die Personen und
ihre Besonderheiten dahinter eher abwesend bleiben.
Auch der intime Ort, das Bett gibt, obwohl er zum öffentlichen Ort wird, nichts von
der Person SC preis. In Folie eingehüllt steht das Bett als Objekt in der Installation.
Es wird öffentlich zugleich gesehen und nicht gesehen. Das Bett symbolisiert so das
Spiel der Differenz und der Verschränkung des Persönlichen mit dem Allgemeinen,
das die Serie der Wiederholung wieder (hervor) holt.
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Einen zentralen Platz in der Ausstellung und auch hier unter dem Aspekt der
Wiederholung nimmt das eigens für die Ausstellung fertig gestellte Projekt
„Stechender Schmerz“ (1984-2003) ein.
„Douleur exquise“- so der französische Originaltitel- ist der medizinische Begriff für
einen eindeutig lokalisierbaren Schmerz. In drei Kapiteln erzählt Sophie Calle von
dem schmerzhaftesten Moment in ihrem Leben (gleichfalls vor fast 20 Jahren), als
ein Geliebter sie verlassen hat. Das persönliche und intime Empfinden inszeniert
Sophie Calle in einem selbst auferlegten Ritual, durch das ihr Schmerz nach außen
verlagert und schließlich in ihr abwesend wird.
„Vor dem Schmerz“ ist es das Begehren nach dem abwesenden Geliebten, das sie
regelmäßig und wiederholt täglich in Fotos, Briefen und anderen Schriftstücken
dokumentiert und durch das Zählen der Tage bis zum Wiedersehen zugleich lustvoll
steigert und objektiviert.
Im wiederholten Blick zurück erscheint das Zeitraster indes als ein „Count-down-to-
unhappiness“, den Sophie Calle jeweils mit einem Stempel auf die Dokumente
kennzeichnet und ihnen so den Ausdruck eines unpersönlichen Protokolls
vergangenen und abgelegten Geschehens verleiht.
Der Ort des Schmerzes wird von Sophie Calle präzise benannt, nämlich ein
Hotelzimmer in Neu Delhi. Bereits im schmerzhaftesten Moment ist mit diesem Blick
nach außen und dem Wegsehen von der eigenen Person das Kapitel „Nach dem
Schmerz“ eingeleitet.
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Sophie Calle wiederholt die Erfahrung ihres Schmerzes, indem sie sich das Ritual
auferlegt, anderen Personen hiervon wiederholt zu erzählen und in einem täglichen
Bericht zu protokollieren, der aus dem Foto des Hotelzimmers und einem gestickten
Text besteht.
Gleichzeitig lässt Sophie Calle die anderen Personen vom Erleben ihres stärksten
Schmerzes berichten, was sie ebenfalls in Text und Bild festhält.
Jeden Tag wird ihr eigener Text kürzer bis nur noch wenige Stiche (des Schmerzes)
bleiben und der „count-up-to-happiness“ mit einem knappen „Enough – Genug“
endet. Das eigene Leiden wird um so abwesender, je mehr das Leiden der anderen
sichtbar wird.
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Auch dieses Projekt Sophie Calles wird durch verschiedene Muster der
Wiederholung getragen. Da ist zum einen das Zeitraster einer bestimmten Anzahl
von Tagen, das auf die Stelle der „douleur exquise“ hinführt und gleichsam
spiegelbildlich wiederholt von ihr fortführt. In das Zeitraster ist jeweils eine
Handlung eingebunden, die wie ein Ritual nach bestimmten Regeln und in
festgelegten Formen wiederholt wird. Wiederholung in dieser Form stellt eine
Distanz zum Blick nach innen auf das eigene Empfinden, Begehren und Leiden her,
indem sie Fixpunkte wieder holt, die den Blick nach außen richten.
Eine weitere Form der Wiederholung ist die Anordnung von Bild und Text, Bild und
Sprache. Das Kapitel „Vor dem Schmerz“ ist noch stärker durch die Bilder und ihre
weniger strenge Ausrichtung bestimmt.
Erst der vom Ort des Schmerzes aus wiederholte Blick zurück auf die Ereignisse
prägt die Bilder mit dem Text „x days to unhappiness“. Dieser Text wird seriell und
mechanisch wiederholt, mit dem Stempel über die Bilder und die Vielfalt der
Erlebnisse und Eindrücke gesetzt, die sie vermitteln. Die Wiederholung nivelliert, sie
zeigt nicht dasselbe, aber sie lässt die Erinnerungen gleich gültig werden vom Ort
der „Douleur exquise“ aus.
Das Bild des Hotelzimmers, in dem Sophie Calle den Schmerz lokalisiert, wird im
Kapitel „Nach dem Schmerz“ wiederholt zu ihren täglichen Texten gestellt. Trotz
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seiner beständigen Präsenz gegenüber den immer kürzer werdenden Texten, erzielt
die Wiederholung des Bildes auch hier eine zunehmende Gleichgültigkeit.
Die Wiederholung wirkt wie das Symbolische der Sprache, das in den Erzählungen
und Texten vermittelt wird, als die trennende Instanz gegenüber den
selbstreflexiven Verstrickungen des Imaginären, das die Bilder transportieren. Die
Wiederholung gibt den Bild- Narrationen Sophie Calles die Kraft, über den
persönlichen Ausgangspunkt der (fiktiven) Erinnerung hinaus auf eine
überindividuelle Ebene zu verweisen. Subjektives Erleben und Allgemeine
Strukturen treten in der Wiederholung in ein Spannungsfeld der kontrollierten
subjektiven Abgabe von Kontrolle an einen gleichsam mechanischen, seriellen
Ablauf.
Die Geschichte der „Douleur exquise“, die so intim mit der Person Sophie Calles
verbunden schien, lässt offen, „M‘as-tu-vue“: der Betrachter ist Sophie Calle
begegnet, aber hat er sie gesehen oder eine Geschichte von Schmerz, Begehren,
Abwesenheit und Verlust? Die Autorin Sophie Calle legt die Regeln ihrer
Erzählungen, die Muster der Wiederholungen fest. Doch dann verschwindet sie und
überlässt ihre Person den Ritualen und Abläufen, in denen „Sophie Calle“ zur
Signatur für eine Spurensuche nach dem Selbst wird, das sich nur über die
Differenz erschließen lässt, die Wiederholung und Sprache setzen.
juttafranzen | Berlin 2004-12-10