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Menschen mit BehinderungSeite 11 – November 2012

Selbstverteidigung macht selbstbewusstVdK-Mitglied Horst Kohl und seine Mitstreiter trainieren Rollstuhlfahrer

Reinhard Pankrath fährt in sei-nem Rollstuhl durch Düren, ei-ner Stadt nahe Köln. Eine Grup-pe Jugendlicher stellt sich ihmplötzlich in den Weg. Sie sindangetrunken. „Steig mal aus, ichwill fahren“, sagt einer von ih-nen. Für den 56-Jährigen, der anden Folgen einer Kinderlähmungleidet, eine brenzlige Situation.Die Jugendlichen tun ihm nichts,trotzdem spricht der ehemaligeSozialarbeiter von einem Schlüs-selerlebnis. „Ich wollte mich niemehr als Opfer fühlen.“

Vor zwei Jahren lernte Pankrathdas VdK-Mitglied Horst Kohl ausBayern kennen. Der Kitzinger istVizepräsident der World-Kickbo-xing-Federation und hat einSelbstverteidigungstraining fürMenschen mit Behinderung entwi-ckelt. Pank rath, der schon Mara-thons mit dem Handbike gefahrenist und eine gute Grundkonditionhat, meldet sich zum Training anund hat schließlich so viel Spaßdaran, dass er heute selbst Semina-re gibt. Sogar auf der letzten Reha-care-Messe in Düsseldorf hat erVorführungen gemacht. „Ich erlebe viele Rollstuhlfahrer,

die sich aus der Öffentlichkeit zu-rückziehen“, sagt Pankrath. Da seigerade das Selbstverteidigungstrai-ning das richtige Mittel, um mehrSelbstbewusstsein zu bekommen.„Selbst mit dem Rollstuhl habe ichMöglichkeiten, die mit wenig Auf-wand viel Effektivität bringen. Esgibt Leute, die keine Hemm-schwelle haben. Darauf muss ichvorbereitet sein“, sagt der 56-Jähri-ge. „Ich kann einen Angreifer mit-hilfe des Rollis zu Fall bringen.“Doch an allererster Stelle stehe im-mer der Gedanke, wie man eineriskante Situation entschärfenkann. „Die Stimme einsetzen, Öf-fentlichkeit schaffen, gefährlichePlätze meiden“, das sei die ersteWahl. „Erst wenn es keine Alterna-tiven mehr gibt, kommt die Selbst-verteidigung zum Einsatz.“

60 Trainer in ganz Deutschland

Reinhard Pankrath und HorstKohl sind da ganz auf einer Wel-lenlänge. „Mixed-Handicapped-Self-Defense“ nennt Horst Kohldie von ihm 1995 entwickelteKombination mehrerer Kampf-sportarten. Der Kitzinger hat die

Sportart mittlerweile in ganzDeutschland bekannt gemacht. Esgibt 60 Trainer in Städten wieGreifswald, Rostock, Dresden, Co-burg, Hamburg, Frankfurt, Rott-weil, Krautheim, Gelsenkirchen,Stuttgart, Schönbrunn bei Dach-au, München, Schweinfurt undKitzingen. Die Erwartung der Teil-nehmer: ein Aufbau von Vitalität,Ausdauer, Konzentration und na-türlich von Selbstbewusstsein.

Angreifer über den Rollstuhl schleudern

„Jeder Gehandicapte bekommtseine maßgeschneiderte Selbstver-teidigungsstrategie“, betont Kohl.Für Rollifahrer kämen Hebel- undSchlagtechniken zum Einsatz. Sokönne man etwa einen Angreiferseitlich über den Rollstuhl schleu-dern. Kommt der Angreifer vonvorne, kann der Rollifahrer mitBlocktechniken kontern. Er kannversuchen, den Fuß des Angreifersnach vorne zu drehen und ihmdann einen Fauststoß zu verpas-sen. Kohl: „Man kann mit denRollstuhlrädern dem Angreifer zu-dem die Füße einklemmen undden Rollstuhl damit gezielt alsWaffe einsetzen.“ In speziellenTrainings würden aber auch Situa-tionen eingeübt, in denen der Roll-stuhlfahrer merke, dass eineFlucht oder die Hilfe von Mitmen-schen jetzt besser wäre als der An-griff. So bekomme man ein Gespürfür Situationen.

Horst Kohl, Rettungsassistentund einst leidenschaftlicher underfolgreicher Kampfsportler – Ka-rate, Taekwondo –, hatte selbst er-hebliche körperliche Probleme.Mehrere Bandscheibenvorfälle, ei-ne Sehnerv-Entzündung und einHörsturz zwangen ihn 1993, ebenerst 49 Jahre alt, seinen Beruf auf-zugeben. Das VdK-Mitglied befandsich in einer Lebenskrise, als ihndie Geschäftsführerin des VdK-Kreisverbands Kitzingen, RoswithaKramer, fragte, ob er nicht einenSelbstverteidigungskurs für Men-schen mit Behinderung anbietenwolle. Seine langjährige Erfahrungmit verschiedenen Kampfsportar-ten kam ihm dabei zugute. Er sagtheute, der Sozialverband VdK seider Ideengeber für diese Art derSelbstverteidigung gewesen.

Dank Sportbeweglicher und angstfreier

„Wir reden nicht nur über Inklu-sion. Wir leben sie“, sagt BernhardMehringer, ebenfalls ein FreundHorst Kohls, der „Mixed-Handi-capped-Self-Defense“ in Schön-brunn bei Dachau anbietet. In sei-ne Trainingsgruppe kommen re-gelmäßig Menschen mit und ohneBehinderung. Einer davon ist Mar-kus Eberhardt, der an MultiplerSklerose leidet. „Wenn jemandglaubt, ein Rollifahrer ist leichteBeute, dann irrt er sich“, weißEberhardt. Er trainiert zweimal inder Woche und fühlt sich „wie ineinem normalen Sportverein“. Ersei jetzt angstfreier unterwegs. Undaußerdem sei er durch den Sportauch beweglicher geworden. Üben, üben, üben, lautet das

Motto. Doch der Einsatz lohntsich. „Menschen mit den unter-schiedlichsten Behinderungenkönnen ein neues Körpergefühlentdecken“, sagt Kohl. „Wir bildenkeine Jackie Chans aus, aber wirkönnen es schaffen, dass sich dieKursteilnehmer sicherer fühlen.“

Petra J. Huschke

Klassische Situation: Horst Kohl (im Rollstuhl) wehrt einen Angriff ab.

Was mit sechs Teilnehmern 1995 begann, ist jetzt zu einer großen Ge-meinschaft angewachsen. Horst Kohl kann bei seinen Kursen regelmä-ßig viele Menschen mit Handicap für seinen Kampfsport begeistern.

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INFOWeitere Informatio-nen gibt Horst Kohlunter E-Mail [email protected], Telefon (0 93 25)18 90 und www.kampfsportschule-sw.de

ConSozial in NürnbergVdK präsentiert sich auf der Fachmesse

„Menschen ge-stalten Zukunft –inklusiv und selbst-bestimmt“: So lau-tet das Motto derMesse ConSozialam 7. und 8. No-vember in Nürnberg. An rund250 Messeständen präsentierensich auf dem „Marktplatz ConSo-zial“ Verbände, Einrichtungenund Selbsthilfeorganisationen.Auch der Sozialverband VdK, einer der ideellen Träger derMesse, ist mit von der Partie.Neu im Konzept der Fachmessemit Kongress ist „ConSozial ex-tra“: Auf der neuen Bühne bietenFilm, Musik und Diskussionspannende Einblicke in aktuellesozialpolitische Themen. Zu denHöhepunkten zählt der rundeTisch des VdK Bayern „Jung – be-hindert – abgeschrieben?“ amMittwoch, 7. No vember, um

15.15 Uhr. Über dieSchwierigkeiten aufdem Arbeitsmarktfür Jugendliche mitBehinderung spre-chen Alfons Adam,Sprecher des Vor-

stands der Schwerbehinderten-vertretungen in der Automobil -industrie, Heinrich Alt, Vorstandbei der Bundesagentur für Arbeit,Irmgard Badura, Beauftragte derBayerischen Staatsregierung fürdie Belange von Menschen mitBehinderung, und Ulrike Ma-scher, Präsidentin des Sozialver-bands VdK Deutschland. Domi-nik Schott moderiert die Podi -umsdiskus sion.Die Karten für die VdK-Veran-staltung (Tageskarte Messe inklu-sive Katalog) kosten 10 Euro, er-mäßigt 5 Euro. Weitere Informa-tionen gibt es im Internet unterwww.consozial.de csf

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