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Page 1: Taschenrechner und mathematische Reflexion

W. DOrfler:

Taschenrechner und mathematische Reflexion

Summary: Mathematics instruction in schools has a strong emphasis on routine calculations which the calculator even threatens to increase. Contrary to that the calculator offers rich opportunity for reflection on the structure of complex calculations and operations by in a sense materializinq the more ele­mentary operations. For this reflection the role of representing in different ways the structure of one I s own (mathematical) actions is stressed.

Uberlegungen zum Einsatz des Taschenrechners konnen sich nicht auf

diesen selbst beschranken. Es bedarf einer Analyse des Mathematik­

unterrichts, weil geplante wie unbeabsichtigte Veranderungen durch

den Taschenrechner auf den Beziehungen zwischen der Struktur und

den Bedingungen des Unterrichts und des Instruments Taschenrechner

beruhen und von ihnen abhangen. Eine Analyse aller Wechselwirkun­

gen, die von der didaktischen Verwendung des Instruments abhangen,

kann hier nicht geleistet werden, und ich wahle daher fUr mein

Thema relevante Aspekte aus. Diese sollen die Notwendigkeit didak­

tischer BemUhungen urn eine im AnschluB skizzierte Einsatzform des

Taschenrechners untermauern. In meinen Uberlegungen beziehe ich

mich vorwiegend auf die Sekundarstufe I.

Der Mathematikunterricht ist weitgehend durch Aufgabenrechnen

determiniert, wobei dem numerischen Rechnen (Arithmetik, Bruch­

zahlen) besondere Bedeutung zugemessen wird. Dies trifft auch auf

das algebraische Rechnen zu. In allen Bereichen dieses "Rechnens

mit Zahlen und Buchstaben" wird Anspruchsniveau weitgehend mit

Komplexitat der umzuformenden bzw. zu berechnenden Terme gleichge­

setzt, ein Phanomen, das man auch spater(Differentiation) wieder­

findet. Nicht inhaltlich-begriffliche Tiefe, sondern noch bewal­

tigbare Termkomplexitat ist MaE auch fUr das erreichte Leistungs­

niveau. Eine weitergehende Analyse zeigt, daB dieses Rechnen kaum

anhand inhaltlich verstandener oder verstehbarer Beziehungen,

sondern nach syntaktisch-formalen KalkUlregeln erfolgt, vgl. [5].

*) Erweiterte und liberarbeitete Fassung einer Vortragsausarbeitung, die irn Tagungsbericht "Taschenrechner in der SchuleR der Martin-Luther-Universitat Halle-Wittenberg (Wissenschaftliche Beitrage 1984/10) erschienen ist.

W. DOrfler:

Taschenrechner und mathematische Reflexion

Summary: Mathematics instruction in schools has a strong emphasis on routine calculations which the calculator even threatens to increase. Contrary to that the calculator offers rich opportunity for reflection on the structure of complex calculations and operations by in a sense materializinq the more ele­mentary operations. For this reflection the role of representing in different ways the structure of one's own (mathematical) actions is stressed.

Uberlegungen zum Einsatz des Taschenrechners konnen sich nicht auf

diesen selbst beschranken. Es bedarf einer Analyse des Mathematik­

unterrichts, weil geplante wie unbeabsichtigte Veranderungen durch

den Taschenrechner auf den Beziehungen zwischen der Struktur und

den Bedingungen des Unterrichts und des Instruments Taschenrechner

beruhen und von ihnen abhangen. Eine Analyse aller Wechselwirkun­

gen, die von der didaktischen Verwendung des Instruments abhangen,

kann hier nicht geleistet werden, und ich wahle daher fUr mein

Thema relevante Aspekte aus. Diese sollen die Notwendigkeit didak­

tischer BemUhungen urn eine im AnschluB skizzierte Einsatzform des

Taschenrechners untermauern. In meinen Uberlegungen beziehe ich

mich vorwiegend auf die Sekundarstufe I.

1. MathematiQunte~~icht at~ Rechenunte~~icht

Der Mathematikunterricht ist weitgehend durch Aufgabenrechnen

determiniert, wobei dem numerischen Rechnen (Arithmetik, Bruch­

zahlen) besondere Bedeutung zugemessen wird. Dies trifft auch auf

das algebraische Rechnen zu. In allen Bereichen dieses "Rechnens

mit Zahlen und Buchstaben" wird Anspruchsniveau weitgehend mit

Komplexitat der umzuformenden bzw. zu berechnenden Terme gleichge­

setzt, ein Phanomen, das man auch spater(Differentiation) wieder­

findet. Nicht inhaltlich-begriffliche Tiefe, sondern noch bewal­

tigbare Termkomplexitat ist MaE auch fUr das erreichte Leistungs­

niveau. Eine weitergehende Analyse zeigt, daB dieses Rechnen kaum

anhand inhaltlich verstandener oder verstehbarer Beziehungen,

sondern nach syntaktisch-formalen KalkUlregeln erfolgt, vgl. [5].

*) Erweiterte und liberarbeitete Fassung einer Vortragsausarbeitung, die irn Tagungsbericht "Taschenrechner in der SchuleR der Martin-Luther-Universitat Halle-Wittenberg (Wissenschaftliche Beitrage 1984/10) erschienen ist.

Page 2: Taschenrechner und mathematische Reflexion

190 W.Dorfler

Gesprache mit Lehrern zeigen verschiedene Rechtfertigungsstrate­

gien fUr diese an sich unbefriedigende Situation auf:

- Rechnen ist ein Wert in sich, es erzieht zu Ordnung, Konzentra­

tion, Ausdauer, Sorgfalt und so fort. Damit laBt sich auch das

Rechnen mit komplizierteren Termen rechtfertigen, weil deren

Bewaltigung an alle diese Charaktereigenschaften besondere An­

forderungen stellt.

- Erst der Umgang mit vie len und auch komplizierten Rechnungen

garantiert Sicherheit bei den auch praktisch relevanten und

meist viel einfacheren Aufgaben.

- Rechnen ist ein Rettungsanker fUr die sogenannten "schwacheren"

SchUler, die dabei noch zu Erfolgserlebnissen und positiv be­

wertbaren PrUfungsresultaten kommen konnen. Alles andere, wie

Textaufgaben, Probleme, Begriffe oder gar Beweise sind ohnedies

zu schwer fUr diese SchUler.

MlBe~6olg de~ Rechenunte~~lcht~

Diese Argumentation widerlegt sich am ehesten dadurch, daB der

durchschnittliche Erfolg des intensiven Umgangs mit komplizierten

Rechnungen recht bescheiden ausfallt. Vor allem der EinfluB auf

CharakterzUge ist im Lichte der Ergebnisse der Transferforschung

auBerst zweifelhaft: an einem gewissen Gegenstandsbereich ge­

zeigte Verhaltensweisen sind durchaus lokal eben nur dort moglich.

Hochstens in strukturell sehr ahnlichen Situationen mogen sich

Ubertragungen ergeben. FUr eine kritische Diskussion von Trans­

ferwirkungen des Mathematikunterrichts sei auf Lenne [13] ver­

wiesen. Das Argument hinsichtlich der schwachen SchUler scheint

mir ausgesprochen inhuman, selbst wenn die Faktizitat des Unter­

richts ihm Recht zu geben scheint. Man versucht doch damit, den

SchUler durch fUr ihn im Grunde bedeutungslose Aktivitaten zu

einem sogenannten Erfolg zu fUhren. Man konnte das mit dem Um­

stechen eines GemUsebeetes vergleichen, fUr das man aber keine

Pflanzen, keine Samen hat und das daher fruchtlos bleiben muB.

Es soll aber anerkannt werden, daB es auch berechtigte Argumente

fUr einen sinnvoll und maBvoll gestalteten Rechenunterricht gibt:

BewuBtes Rechnen vermag Einsicht in Rechenoperationen und in den

Charakter von Zahlen als Rechenobjekte vermitteln (vgl. [11]),

der Zahlbegriff ist nicht abtrennbar von den Rechenoperationen;

190 W.Dorfler

Akgumente bUk den Rechenuntekn~eht

Gesprache mit Lehrern zeigen verschiedene Rechtfertigungsstrate­

gien fUr diese an sich unbefriedigende Situation auf:

- Rechnen ist ein Wert in sich, es erzieht zu Ordnung, Konzentra­

tion, Ausdauer, Sorgfalt und so fort. Damit laBt sich auch das

Rechnen mit komplizierteren Termen rechtfertigen, weil deren

Bewaltigung an alle diese Charaktereigenschaften besondere An­

forderungen stellt.

- Erst der Umgang mit vie len und auch komplizierten Rechnungen

garantiert Sicherheit bei den auch praktisch relevanten und

meist viel einfacheren Aufgaben.

- Rechnen ist ein Rettungsanker fUr die sogenannten "schwacheren"

SchUler, die dabei noch zu Erfolgserlebnissen und positiv be­

wertbaren PrUfungsresultaten kommen konnen. Alles andere, wie

Textaufgaben, Probleme, Begriffe oder gar Beweise sind ohnedies

zu schwer fUr diese SchUler.

M~Ben6olg de~ Reehenuntenn~cht~

Diese Argumentation widerlegt sich am ehesten dadurch, daB der

durchschnittliche Erfolg des intensiven Umgangs mit komplizierten

Rechnungen recht bescheiden ausfallt. Vor allem der EinfluB auf

CharakterzUge ist im Lichte der Ergebnisse der Transferforschung

auBerst zweifelhaft: an einem gewissen Gegenstandsbereich ge­

zeigte Verhaltensweisen sind durchaus lokal eben nur dort moglich.

Hochstens in strukturell sehr ahnlichen Situationen mogen sich

Ubertragungen ergeben. FUr eine kritische Diskussion von Trans­

ferwirkungen des Mathematikunterrichts sei auf Lenne [13] ver­

wiesen. Das Argument hinsichtlich der schwachen SchUler scheint

mir ausgesprochen inhuman, selbst wenn die Faktizitat des Unter­

richts ihm Recht zu geben scheint. Man versucht doch damit, den

SchUler durch fUr ihn im Grunde bedeutungslose Aktivitaten zu

einem sogenannten Erfolg zu fUhren. Man konnte das mit dem Um­

stechen eines GemUsebeetes vergleichen, fUr das man aber keine

Pflanzen, keine Samen hat und das daher fruchtlos bleiben muB.

Es soll aber anerkannt werden, daB es auch berechtigte Argumente

fUr einen sinnvoll und maBvoll gestalteten Rechenunterricht gibt:

BewuBtes Rechnen vermag Einsicht in Rechenoperationen und in den

Charakter von Zahlen als Rechenobjekte vermitteln (vgl. [11]),

der Zahlbegriff ist nicht abtrennbar von den Rechenoperationen;

Page 3: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 191

Unternehmner verlangen noch Rechenfertigkeit (Tests); Rechnen ver­

mag auch SpaB zu bereiten. Die Frage ist, wie weit der Unterricht

solche Ziele verfolgt bzw. unter der herrschenden Prufungsorien­

tierung verfolgen kann.

Der Taschenrechner -wirkt hier in zweifacher Weise als Bedrohung

und Verunsicherung einer derartigen padagogischen Position:

1. Mit dem Taschenrechner kann der Schuler die komplizierten Rech­

nungen relativ muhelos durchfuhren. Es bleibt allerdings immer

noch die Aufgabe, die Struktur der Terme, die Reihenfolge der

Operationen u.a. zu erkennen, urn die Eingabe in den Rechner

richtig durchfuhren zu konnen. Aber die selbstandige Durchfuhrung

der kalkulmaBigen Rechnungen mit fixen alqorithmischen Schritten

entfallt.

2. LaBt sich diese erste Bedrohung einer traditionellen Position

noch (zumindest in der Schule!) durch Beschrankung oder gar Verbot

der Verwendunq des Taschenrechners abwenden, so ist die zweite

unabwendbar: Schuler (vor allem sie!) und Lehrer wissen, daB der

Taschenrechner all diese Kalkulhandlungen schneller, sicherer als

der Mensch und auch in (fast) beliebig komplizierten Fallen durch­

fuhren kann. Dieses BewuBtsein mindert sicher die Bereitschaft,

derartige Rechnungen durchzuflihren, weil das Moment der Sinnlosig­

keit noch verstarkt wirksam ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn

das Rechnen ohne Kontext erfolgt, seine Bedeutung also in sich

selbst tragen muB. Eine offene Frage ist dabei auch, ob sich

Rechnen als geistiger Sport organisieren laBt und damit wieder

Sinn gewinnen kann (aber bei weitem nicht jeder findet SPOrt sinn­

voll!) .

Es gibt auch Beispiele, wo der adaquate Rechnereinsatz vollkommen

akzeptiert wurde wie etwa beim Rechnen mit Logarithmen. Aber

konnte man nicht die fur das Rechnen vorgebrachten Argumente dort

genauso anfuhren? Selbst ein etwas anspruchsvolleres Argument

wie das der Entwicklung eines Zahlverstandnisses lieBe sich uber­

tragen: Entwicklung eines Logarithmenverstandnisses. Doch miBt

man einem solchen offenbar keine zentrale Bedeutung zu, sodaB das

Verschwinden der Logarithmenbucher nicht als Verlust gesehen wird.

Taschenrechner und Reflexion 191

Unternehmner verlangen noch Rechenfertigkeit (Tests); Rechnen ver­

mag auch SpaB zu bereiten. Die Frage ist, wie weit der Unterricht

solche Ziele verfolgt bzw. unter der herrschenden Prufungsorien­

tierung verfolgen kann.

AUhwi~&ungen deh Tahchen~echne~h

Der Taschenrechner -wirkt hier in zweifacher Weise als Bedrohung

und Verunsicherung einer derartigen padagogischen Position:

1. Mit dem Taschenrechner kann der Schuler die komplizierten Rech­

nungen relativ muhelos durchfuhren. Es bleibt allerdings immer

noch die Aufgabe, die Struktur der Terme, die Reihenfolge der

Operationen u.a. zu erkennen, urn die Eingabe in den Rechner

richtig durchfuhren zu konnen. Aber die selbstandige Durchfuhrung

der kalkulmaBigen Rechnungen mit fixen alqorithmischen Schritten

entfallt.

2. LaBt sich diese erste Bedrohung einer traditionellen Position

noch (zumindest in der Schule!) durch Beschrankung oder gar Verbot

der Verwendunq des Taschenrechners abwenden, so ist die zweite

unabwendbar: Schuler (vor allem sie!) und Lehrer wissen, daB der

Taschenrechner all diese Kalkulhandlungen schneller, sicherer als

der Mensch und auch in (fast) beliebig komplizierten Fallen durch­

fuhren kann. Dieses BewuBtsein mindert sicher die Bereitschaft,

derartige Rechnungen durchzuflihren, weil das Moment der Sinnlosig­

keit noch verstarkt wirksam ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn

das Rechnen ohne Kontext erfolgt, seine Bedeutung also in sich

selbst tragen muB. Eine offene Frage ist dabei auch, ob sich

Rechnen als geistiger Sport organisieren laBt und damit wieder

Sinn gewinnen kann (aber bei weitem nicht jeder findetSPOrt sinn­

voll!) .

Es gibt auch Beispiele, wo der adaquate Rechnereinsatz vollkommen

akzeptiert wurde wie etwa beim Rechnen mit Logarithmen. Aber

konnte man nicht die fur das Rechnen vorgebrachten Argumente dort

genauso anfuhren? Selbst ein etwas anspruchsvolleres Argument

wie das der Entwicklung eines Zahlverstandnisses lieBe sich uber­

tragen: Entwicklung eines Logarithmenverstandnisses. Doch miBt

man einem solchen offenbar keine zentrale Bedeutung zu, sodaB das

Verschwinden der Logarithmenbucher nicht als Verlust gesehen wird.

Page 4: Taschenrechner und mathematische Reflexion

192 W. Dorfler

Als Einschub mag eine Anmerkung zum Problem des Zahlverstandnisses

hier angebracht sein. Einschlagige Argumentationen unterstellen

implizit, daB es einen absoluten und von der gesellschaftlichen

Verwendungspraxis unabhangigen Zahlbegriff gabe. Ein kurzer Blick

in die historische Entwicklung zeigt, welchen groBen Wandlungen

gerade auch durch die Verfugbarkeit von Rechenhilfsmitteln der

Zahlbegriff ausgesetzt war. Es ist daher nur zu naturlich, daB ein

derartig leistungsfahiges Instrument wie der Taschenrechner oder

der Mikrocomputer nicht unbetrachtliche Auswirkungen zumindest auf

die Konnotationen des Zahlbegriffs haben wird. Fur die Schuler

konnte dies ein Abnehmen der Bedeutung des kalkulhaften numerischen

Aspektes (Zahlen als symbolische Objekte mechanischen Operierens)

zugunsten eines mehr inhaltlich-deskriptiven Aspektes (Zahlen als

Mittel zur Beschreibung und Problemlosung) oder eines logisch­

begrifflichen Aspektes sein (Zahlen als Gegenstand inner-mathema­

tischer Uberlegungen: Satze, Beweise). Auch die wohlbekannten Uber­

legungen hinsichtlich GroBenordnung, Approximation, naherungsweises

Rechnen, Runden und Rundungsfehler, Schatzen u.a. (meist als

flankierende MaBnahmen zum Rechnereinsatz gedacht) gehoren hier

her, weil dadurch das Zahlverstandnis ganz wesentlich mitgepragt

wird.

Ein Ve6izit ~m Mathemati~unte~~icht

Wir haben den heutigen Mathematikunterricht - trotz aller Reform­

bestrebungen durch Neue Mathematik, Anwendungsorientierung, gene­

tische Gestaltung u.a.m. - tendenziell als Rechenunterricht ge­

kennzeichnet. Diese Dominanz des Rechnens zieht naturlich Defizite

in anderen Bereichen der mathematischen Entwicklung der Schuler

nach sich (schon allein aus Zeitgrunden): Die Entwicklung intellek­

tueller Techniken und Strategien kommt zu kurz. Dazu gehoren bei­

spielsweise: Heuristik; Begriffsentwicklung; kognitive Prozesse

wie Verallgemeinern, Spezialisieren, Analysieren; Entwicklung von

Algorithmen, algorithmisches Problemlosen, strukturiertes Vorgehen

u.a. Thematisch kommt dies zwar alles in der Schule mehr oder weni­

ger vor, aber es wird nicht zur bewuBten geistigen Tatigkeit der

Schuler. Es ist sogar so, daB diese kognitiven Tatigkeiten und

Fahigkeiten als Ziele des Mathematikunterrichts (vor allem in

Lehrplanen) formuliert werden. Es fehlen aber weitgehend didak-

192 W. Dorfler

Zum Zah{veh~ta~d~i~

Als Einschub mag eine Anmerkung zum Problem des Zahlverstandnisses

hier angebracht sein. Einschlagige Argumentationen unterstellen

implizit, daB es einen absoluten und von der gesellschaftlichen

Verwendungspraxis unabhangigen Zahlbegriff gabe. Ein kurzer Blick

in die historische Entwicklung zeigt, welchen groBen Wandlungen

gerade auch durch die Verfugbarkeit von Rechenhilfsmitteln der

Zahlbegriff ausgesetzt war. Es ist daher nur zu naturlich, daB ein

derartig leistungsfahiges Instrument wie der Taschenrechner oder

der Mikrocomputer nicht unbetrachtliche Auswirkungen zumindest auf

die Konnotationen des Zahlbegriffs haben wird. Fur die Schuler

konnte dies ein Abnehmen der Bedeutung des kalkulhaften numerischen

Aspektes (Zahlen als symbolische Objekte mechanischen Operierens)

zugunsten eines mehr inhaltlich-deskriptiven Aspektes (Zahlen als

Mittel zur Beschreibung und Problemlosung) oder eines logisch­

begrifflichen Aspektes sein (Zahlen als Gegenstand inner-mathema­

tischer Uberlegungen: Satze, Beweise). Auch die wohlbekannten Uber­

legungen hinsichtlich GroBenordnung, Approximation, naherungsweises

Rechnen, Runden und Rundungsfehler, Schatzen u.a. (meist als

flankierende MaBnahmen zum Rechnereinsatz gedacht) gehoren hier

her, weil dadurch das Zahlverstandnis ganz wesentlich mitgepragt

wird.

Ein Ve6izit im Mathemati~u~tehhicht

Wir haben den heutigen Mathematikunterricht - trotz aller Reform­

bestrebungen durch Neue Mathematik, Anwendungsorientierung, gene­

tische Gestaltung u.a.m. - tendenziell als Rechenunterricht ge­

kennzeichnet. Diese Dominanz des Rechnens zieht naturlich Defizite

in anderen Bereichen der mathematischen Entwicklung der Schuler

nach sich (schon allein aus Zeitgrlinden): Die Entwicklung intellek­

tueller Techniken und Strategien kommt zu kurz. Dazu gehoren bei­

spielsweise: Heuristik; Begriffsentwicklung; kognitive Prozesse

wie Verallgemeinern, Spezialisieren, Analysieren; Entwicklung von

Algorithmen, algorithmisches Problemlosen, strukturiertes Vorgehen

u.a. Thematisch kommt dies zwar alles in der Schule mehr oder weni­

ger vor, aber es wird nicht zur bewuBten geistigen Tatigkeit der

Schuler. Es ist sogar so, daB diese kognitiven Tatigkeiten und

Fahigkeiten als Ziele des Mathematikunterrichts (vor allem in

Lehrplanen) formuliert werden. Es fehlen aber weitgehend didak-

Page 5: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 193

tisch-methodische Hilfsmittel zur Erreichung dieser Ziele. So ver­

laBt man sich notgedrungen auf eher zufallige und unbewuBte Aus­

wirkungen des traditionellen Mathematikunterrichts auf die Ent­

wick lung derartiger geistiger, kognitiver Tatigkeiten und damit

verbundener Fahigkeiten (letztere verstanden als die Moglichkeit

und Bedingung zur Auslibung der Tatigkeiten). Ich werde anschlies­

send versuchen, einige Verwendungsmoglichkeiten des Taschenrech­

ners anzuflihren, wo dieser als Mittel, Instrument zur bewuBten

Entwicklung kognitiver Tatigkeiten der erwahnten Art eingesetzt

wird.

Bevor derartige konstruktive Einsatzmoglichkeiten des Taschen­

rechners besprochen werden, sollen noch potentielle Gefahren auf­

gezeigt werden. Diese bestehen vor allem darin, daB die derzeitige

Rechenorientierung und Verfahrensorientierung des Mathematikunter­

richts durch den Taschenrechner sogar noch verstarkt wird. Gelingt

es namlich nicht, die affektiv versplirte Bedrohung der Traditionen

durch AusschluB des Rechners aus dem Unterricht abzuwenden, so

liegt es nahe, den Taschenrechner gerade in den Dienst der ge­

wohnten Ausrichtung des Unterrichts zu stellen. Das bedeutet, daB

die Art der Aufgaben, der Stellenwert des Kalklils und der Verfahren

unverandert bleiben. Durch die Leistungsfahigkeit des Rechners

wird nur die Quantitat des im Unterricht Gemachten erhoht (noch

mehr Aufgaben, geteilt in solche mit und ohne Taschenrechner) ,

aber nicht die Qualitat verandert. Es ist dies vergleichbar mit

vie len technologischen Entwicklungen, die auch potentiell zur

qualitativen Verbesserung gesellschaftlicher Umstande eingesetzt

werden konnen, aber nur zu oft bestehende negative Verhaltnisse

verstarken. Dies trifft ganz besonders auf die modernen Kommunika­

tionstechnologien zu. Eine Erklarung daflir mag sein, daB eine Ver­

wendung neuer Instrumente im bestehenden System relativ einfach

ist, weil sie bestehende Traditionen und Interessen noch unter­

stlitzt. Ein Einsatz in Richtung Veranderung des bestehenden Systems

(hier das System Unterricht) erfordert weit mehr Innovation und

methodische Planungen wie auch Durchsetzung gegen das Bestehende.

Auch kommt die Initiative zum alternativen Einsatz neuer techno­

logischer Entwicklungen meist oder liberwiegend von auBerhalb des

jeweiligen Systems.

Taschenrechner und Reflexion 193

tisch-methodische Hilfsmittel zur Erreichung dieser Ziele. So ver­

laBt man sich notgedrungen auf eher zufallige und unbewuBte Aus­

wirkungen des traditionellen Mathematikunterrichts auf die Ent­

wick lung derartiger geistiger, kognitiver Tatigkeiten und damit

verbundener Fahigkeiten (letztere verstanden als die Moglichkeit

und Bedingung zur Auslibung der Tatigkeiten). Ich werde anschlies­

send versuchen, einige Verwendungsmoglichkeiten des Taschenrech­

ners anzuflihren, wo dieser als Mittel, Instrument zur bewuBten

Entwicklung kognitiver Tatigkeiten der erwahnten Art eingesetzt

wird.

En~tannung dunch Ta~chennechnene~n~atz

Bevor derartige konstruktive Einsatzmoglichkeiten des Taschen­

rechners besprochen werden, sollen noch potentielle Gefahren auf­

gezeigt werden. Diese bestehen vor allem darin, daB die derzeitige

Rechenorientierung und Verfahrensorientierung des Mathematikunter­

richts durch den Taschenrechner sogar noch verstarkt wird. Gelingt

es namlich nicht, die affektiv versplirte Bedrohung der Traditionen

durch AusschluB des Rechners aus dem Unterricht abzuwenden, so

liegt es nahe, den Taschenrechner gerade in den Dienst der ge­

wohnten Ausrichtung des Unterrichts zu stellen. Das bedeutet, daB

die Art der Aufgaben, der Stellenwert des Kalklils und der Verfahren

unverandert bleiben. Durch die Leistungsfahigkeit des Rechners

wird nur die Quantitat des im Unterricht Gemachten erhoht (noch

mehr Aufgaben, geteilt in solche mit und ohne Taschenrechner) ,

aber nicht die Qualitat verandert. Es ist dies vergleichbar mit

vie len technologischen Entwicklungen, die auch potentiell zur

qualitativen Verbesserung gesellschaftlicher Umstande eingesetzt

werden konnen, aber nur zu oft bestehende negative Verhaltnisse

verstarken. Dies trifft ganz besonders auf die modernen Kommunika­

tionstechnologien zu. Eine Erklarung daflir mag sein, daB eine Ver­

wendung neuer Instrumente im bestehenden System relativ einfach

ist, weil sie bestehende Traditionen und Interessen noch unter­

stlitzt. Ein Einsatz in Richtung Veranderung des bestehenden Systems

(hier das System Unterricht) erfordert weit mehr Innovation und

methodische Planungen wie auch Durchsetzung gegen das Bestehende.

Auch kommt die Initiative zum alternativen Einsatz neuer techno­

logischer Entwicklungen meist oder liberwiegend von auBerhalb des

jeweiligen Systems.

Page 6: Taschenrechner und mathematische Reflexion

194 w. Dorfler

Dazu wurde deswegen ausfUhrlicher argumentiert, um klar zu machen,

daB die hier vorgeschlagene Verwendung des Taschenrechners sich

nicht von selbst ergeben kann, sondern vielfaltiger BemUhungen

bedarf (didaktische Forschung und Entwicklung, Lehrerausbildung

und -fortbildung). Zu Entwicklungsproblemen beim Taschenrechner­

einsatz vgl. auch [20].

Zu Auswirkungen des Taschenrechnereinsatzes auf verschiedene

Dimensionen und Effekte des Mathematikunterrichts gibt es ver­

schiedenste empirische Untersuchungen, die zum Teil jedoch nur

indirekt mit den hier vorgestellten Uberlegungen in Zusammenhang

stehen. Zur weiteren Orientierung seien beispielhaft die Arbeiten

[15], [16], [17], [21], [22] erwahnt.

2. Th~o~~t~~~h~ G~undQonz~pt~on~n

Die hier vorgestellten Positionen sind einzurechnen in didakti­

sche und epistemologische Ansatze, wie sie bei Piaget, Aebli,

Rubinstein, Dawydow, Lompscher und anderen gefunden werden konnen.

Die wichtigsten Charakteristika sind die folgenden Punkte.

1. Tatigkeitsorientierung: Der Erwerb mathematischer Begriffe und

Methoden solI sich auf (geistige oder materiel Ie) Tatigkeiten des

Lernenden grUnden. Die Begrlindung daflir ist kurz die, daB Mathe­

matik aus vielfaltigen Tatigkeiten des Menschen entstanden ist

und daher die individuelle mathematische Entwicklung sich an der

gesellschaftlich-kollektiven Entwicklung von Mathematik orientieren

solI. Zahlen sind aus dem Zahlen und Messen entstanden und sind

umgekehrt die Instrumente fUr diese bedeutsamen menschlichen

Tatigkeiten. Die Schule bzw. jede Form mathematischer Erziehung

hat dann die (schwierige) Aufgabe, geeignete Tatigkeitsbereiche

anzubieten, in denen die SchUler die zu den jeweiligen Begriffen

und Methoden fUhrenden Tatigkeiten ausflihren konnen. Dawydow

spricht in diesem Zusammenhang von der genetischen Ausgangssitua­

tion (etwa fUr eine Begriffsentwicklung). Ich meine, daB der

Taschenrechner als Medium des Mathematiklernens vielfaltige Mog­

lichkeiten fUr Tatigkeiten in diesem Sinne bietet. Man vergleiche

dazu auch [6] und [7].

2. Prinzip der Reflexion: Mathematische Begriffe und Methoden

entstehen aber nicht ungebrochen und ohne weitere geistige Akti­

vitat aus den Tatigkeiten oder Handlungen des Menschen; sie stehen

Page 7: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 195

nicht nur fur diese, sondern auch fur durch die Tatigkeiten herge­

stellte Beziehungen und Beziehunssgefuge (Beispiel: Zahlen als

GroBenverhaltnisse beim Messen). Das Mittel zur Bildung der Be­

griffe und Methoden ist dabei vorwiegend die Reflexion auf die

Tatigkeiten und ihre Resultate in Form von Analyse und Synthese

(Rubinstein). Damit dies moglich ist, bedarf es einer relativ kla­

ren und durchsichtigen Ausflihrun?sform der Tatigkeiten, in der die

einzelnen Schritte und Komponenten isolierbar und erkennbar sind.

Dies ist vor allem dann von besonderer Bedeutung, wenn ein Schema

der Handlung bzw. Tatigkeit zum Gegenstand der Reflexion, des

Denkens werden soll, abgehoben von der jeweils konkreten Ausflihrung.

Die allgemeine Beschreibung eines Algorithmus ist etwa ein derar­

tiges Schema. In einem solchen Schema sind die Objekte, an denen

die Tatigkeiten erfolgen, nicht mehr inhaltlich spezifiziert,

sondern durch Variable (symbolische Objekte) ersetzt. Dabei kann

die Schematisierung auf verschiedenen Niveaus erfolqen in Abhangis­

keit davon, welche Objekte oder Operationen formalisiert werden,

indem man von ihrer spezifischen Qualitat absieht. Der Taschen­

rechner gestattet die auf ihm jeweils verfligbaren Operationen und

Funktionen in einem solchen Sinne als Variable zu betrachten und

damit zur Schematisierung von Beziehungen (Algorithmen, Formeln

u.a.) zwischen diesen Vaiablen zu gelangen. Eine Funktion wie Sinus

wird zum geistig manipulierbaren Objekt. Dies ist ein fur die indi­

viduelle mathematische Entwicklung sehr bedeutungsvoller Schritt.

3. Symbolische Reprasentation: Das menschliche Denken bedarf immer

eines Gegenstandes und eines Mittels. Beide Funktionen sol len bei

der Reflektion auf mathematische Tatigkeiten und ihre Resultate von

geeigneten Reprasentationen der durch diese Tatigkeiten herge­

stellten Beziehungsgeflige erbracht werden. Diese Reprasentationen

konnen sich algebraischer (Buchstaben, verschiedene Operations­

symbole), geometrischer (Zeichnungen, geometrische Variable) oder

verbal-sprachlicher Hilfsmittel bedienen. Beispiele waren: Alge­

braische Formeln, FluBdiagramme, geometrische Darstellung des

Distributivgesetzes usf.

Ich beziehe mich mit den folgenden Uberlegungen ausschlieBlich auf

nichtprogrammierbare Taschenrechner mit gewissen Funktionstasten

und Speichern. Der libliche programmierbare Taschenrechner ist

Taschenrechner und Reflexion 195

nicht nur fur diese, sondern auch fur durch die Tatigkeiten herge­

stellte Beziehungen und Beziehunssgefuge (Beispiel: Zahlen als

GroBenverhaltnisse beim Messen). Das Mittel zur Bildung der Be­

griffe und Methoden ist dabei vorwiegend die Reflexion auf die

Tatigkeiten und ihre Resultate in Form von Analyse und Synthese

(Rubinstein). Damit dies moglich ist, bedarf es einer relativ kla­

ren und durchsichtigen Ausflihrun?sform der Tatigkeiten, in der die

einzelnen Schritte und Komponenten isolierbar und erkennbar sind.

Dies ist vor allem dann von besonderer Bedeutung, wenn ein Schema

der Handlung bzw. Tatigkeit zum Gegenstand der Reflexion, des

Denkens werden soll, abgehoben von der jeweils konkreten Ausflihrung.

Die allgemeine Beschreibung eines Algorithmus ist etwa ein derar­

tiges Schema. In einem solchen Schema sind die Objekte, an denen

die Tatigkeiten erfolgen, nicht mehr inhaltlich spezifiziert,

sondern durch Variable (symbolische Objekte) ersetzt. Dabei kann

die Schematisierung auf verschiedenen Niveaus erfolqen in Abhangis­

keit davon, welche Objekte oder Operationen formalisiert werden,

indem man von ihrer spezifischen Qualitat absieht. Der Taschen­

rechner gestattet die auf ihm jeweils verfugbaren Operationen und

Funktionen in einem solchen Sinne als Variable zu betrachten und

damit zur Schematisierung von Beziehungen (Algorithmen, Formeln

u.a.) zwischen diesen Vaiablen zu gelangen. Eine Funktion wie Sinus

wird zum geistig manipulierbaren Objekt. Dies ist ein fur die indi­

viduelle mathematische Entwicklung sehr bedeutungsvoller Schritt.

3. Symbolische Reprasentation: Das menschliche Denken bedarf immer

eines Gegenstandes und eines Mittels. Beide Funktionen sol len bei

der Reflektion auf mathematische Tatigkeiten und ihre Resultate von

geeigneten Reprasentationen der durch diese Tatigkeiten herge­

stellten Beziehungsgeflige erbracht werden. Diese Reprasentationen

konnen sich algebraischer (Buchstaben, verschiedene Operations­

symbole), geometrischer (Zeichnungen, geometrische Variable) oder

verbal-sprachlicher Hilfsmittel bedienen. Beispiele waren: Alge­

braische Formeln, FluBdiagramme, geometrische Darstellung des

Distributivgesetzes usf.

Fhage de~ Rech~ehtyp~

Ich beziehe mich mit den folgenden Uberlegungen ausschlieBlich auf

nichtprogrammierbare Taschenrechner mit gewissen Funktionstasten

und Speichern. Der libliche programmierbare Taschenrechner ist

Page 8: Taschenrechner und mathematische Reflexion

196 W. DOrfler

durch die Entwicklung der Mikro-(Tisch-)Computer Uberholt. Es wird

in Zukunft neben dem "einfachen" Taschenrechner eben voll program­

mierbare (nicht nur in BASIC) Kleinstrechner mit vollwertiger Soft­

ware geben. Es sei hier auf eine von S. Papert [18] entwickelte

Einsatzform des Computers hingewiesen, die vom grundsatzlichen An­

satz nahe mit den hier vertretenen Ideen verwandt ist (natUrlich in

groBerem MaBstab entsprechend den unvergleichbar groBeren Moglich­

keiten!). 1m folgenden werden die allgemeinen Prinzipien an einigen

Beispielen erlautert.

3. Atgeb~a~~che Te~me und Fo~metn

In der Sekundarstufe I nimmt das kalkUlmaBige Rechnen mit (numeri­

schen und algebraischen) Termen (wie Umformen, Vereinfachen, Ein­

setzen, Ersetzen u.a.) einen nicht unbedeutenden Platz ein. Trotz

umfangreicher Ubungen bleiben aber noch viele Defizite. Es bereitet

zum Beispiel oft genug Schwierigkeiten, die Anwendbarkeit einer

Formel wie (a+b)2=a2 +2ab+b2 zu erkennen, vor allem in etwas kompli­

zierteren Aufgaben. Man kann nun diese Schwierigkeiten u.a. darauf

zurUckfUhren, daB die "Struktur" einer solchen Formel nicht in

genUgend allgemeiner und damit variabler, flexibler, transferier­

barer Form vom SchUler kognitiv konstruiert wurde. Diese "Struktur"

ist namlich nicht identisch mit der algebraischen Notation der

Formel, sondern beinhaltet ganz wesentlich einen Handlungsaspekt,

einen algorithmischen Aspekt, der in der statischen, algebraischen

Beschreibung nicht sichtbar wird. Der SchUler lernt aber in aller

Regel diese algebraische Formel auswendig und das Anwenden der

Formel kann dann auch nur in einem Suchen nach einer entsprechenden

statischen Struktur in einem vorgelegten Term bestehen.

Ich meine nun, daB dieser statische Aspekt durch einen prozeBhaften

Handlungsaspekt erganzt werden sollte, der die Form der auszu­

fUhrenden Rechenoperationen bzw. algebraischen Operationen bein­

haltet. Dadurch kann ein operatives, sequentielles Erkennen der

Formelstruktur neben das mehr ganzheitliche, bildhafte Erfassen

treten. Gemeint ist eine Art von "Abarbeiten", wie dies auch

Computerprogramme zum algebraischen Rechnen leisten.

Die folgende ausfUhrliche Behandlung eines Beispiels solI exempla­

rischen Charakter haben und die grundsatzliche, hier intendierte

Einsatzform des Taschenrechners vorfUhren. Diese muE bei anderen

Page 9: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 197

Themen entsprechend modifiziert werden. NatUrlich gibt es daneben

vielfaltige andere Einsatzformen, fUr die wir aber nur auf die

Literatur verweisen konnen.

Dieser algorithmisch-dynamische Aspekt der Formel kann nun am

ehesten gerade durch AusfUhren der Operationen und Reflexion darauf

erarbeitet werden. Ganz wichtig dabei ist, daB die Form der Opera­

tion bzw. ihrer Abfolge herausgearbeitet wird. Dies wird leichter

moglich sein, wenn das Augenmerk der SchUler nicht auf die Aus­

fUhrung der einzelnen Operationen gerichtet sein muB, sondern auf

die Form ihrer Abfolge. Mit anderen Worten: Die auszufUhrenden

SchUlerhandlungen sollen nicht die einzelnen Rechnungen (wie Multi­

plizieren, Quadrieren) sein, sondern das Verbinden dieser zu einer

Abfolge von Operationen. In gewissem Sinne sind dies also Handlun­

gen, Operationen hoherer Stufe, weil sie als Objekte elementare

Operationen besitzen. Die Formel verbindet ja gerade diese "ele­

mentaren" Einzelhandlungen (die natUrlich auch ihrerseits wieder

aus noch einfacheren Operationen aufgebaut sein konnen) zu einer

komplexeren Gesamthandlung und die (statische wie dynamische) Form

dieses Aufbaus wUrde ich als Struktur der Formel bezeichnen.

Der Taschenrechner kann hier nun in der Weise wirksam eingesetzt

werden, daB er die elementaren Handlungen Ubernirnrnt. Die Aufgabe

des SchUlers besteht dann darin, diese Elementarhandlungen (rela­

tiv zur gestellten Aufgabe), die durch Tasten reprasentiert werden,

zu einer komplexeren Handlung zu verbinden. Das Erarbeiten der

Struktur einer Formel wie (a+b)'=a'+2ab+b' anhand numerischer Bei­

spiele, die mit der Hand gerechnet werden, scheint mir schwierig,

weil durch das Ausrechnen die Form der Abfolge der elementaren

Operationen verdeckt wird (in der resultierenden Zahl ist die zu

ihr fUhrende Operation nicht mehr sichtbar). Der Taschenrechner

macht aber diese individuellen Handlungen des SchUlers beim Rechnen

zu Objekten, die man notieren und mit Symbolen bezeichnen kann und

damit reflektierbar macht: Die Beziehungen zwischen diesen Objekten

- die Struktur der Formel - tritt hervor.

Man wird also die SchUler verschiedene der Formel entsprechende

Rechnungen am Taschenrechner ausflihren lassen und sie auffordern,

Taschenrechner und Reflexion 197

Themen entsprechend modifiziert werden. NatUrlich gibt es daneben

vielfaltige andere Einsatzformen, fUr die wir aber nur auf die

Literatur verweisen konnen.

St~uktu~ e~~e~ Te~m~

Dieser algorithmisch-dynamische Aspekt der Formel kann nun am

ehesten gerade durch AusfUhren der Operationen und Reflexion darauf

erarbeitet werden. Ganz wichtig dabei ist, daB die Form der Opera­

tion bzw. ihrer Abfolge herausgearbeitet wird. Dies wird leichter

moglich sein, wenn das Augenmerk der SchUler nicht auf die Aus­

fUhrung der einzelnen Operationen gerichtet sein muB, sondern auf

die Form ihrer Abfolge. Mit anderen Worten: Die auszufUhrenden

SchUlerhandlungen sollen nicht die einzelnen Rechnungen (wie Multi­

plizieren, Quadrieren) sein, sondern das Verbinden dieser zu einer

Abfolge von Operationen. In gewissem Sinne sind dies also Handlun­

gen, Operationen hoherer Stufe, weil sie als Objekte elementare

Operationen besitzen. Die Formel verbindet ja gerade diese "ele­

mentaren" Einzelhandlungen (die natUrlich auch ihrerseits wieder

aus noch einfacheren Operationen aufgebaut sein konnen) zu einer

komplexeren Gesamthandlung und die (statische wie dynamische) Form

dieses Aufbaus wUrde ich als Struktur der Formel bezeichnen.

Der Taschenrechner kann hier nun in der Weise wirksam eingesetzt

werden, daB er die elementaren Handlungen Ubernirnrnt. Die Aufgabe

des SchUlers besteht dann darin, diese Elementarhandlungen (rela­

tiv zur gestellten Aufgabe), die durch Tasten reprasentiert werden,

zu einer komplexeren Handlung zu verbinden. Das Erarbeiten der

Struktur einer Formel wie (a+b)'=a'+2ab+b' anhand numerischer Bei­

spiele, die mit der Hand gerechnet werden, scheint mir schwierig,

weil durch das Ausrechnen die Form der Abfolge der elementaren

Operationen verdeckt wird (in der resultierenden Zahl ist die zu

ihr fUhrende Operation nicht mehr sichtbar). Der Taschenrechner

macht aber diese individuellen Handlungen des SchUlers beim Rechnen

zu Objekten, die man notieren und mit Symbolen bezeichnen kann und

damit reflektierbar macht: Die Beziehungen zwischen diesen Objekten

- die Struktur der Formel - tritt hervor.

SQhate~ ~e6tekt~e~e~ ~h~e Ope~at~o~e~

Man wird also die SchUler verschiedene der Formel entsprechende

Rechnungen am Taschenrechner ausflihren lassen und sie auffordern,

Page 10: Taschenrechner und mathematische Reflexion

198 W. Dorfler

sich zu notieren, welche Operationstasten gedrlickt werden, und auf

welche Operanden sie sich beziehen. Dadurch sollte als "Struktur"

etwa evident werden:

Es wird eine Summe gebildet und dann quadriert. Das ist gleich­

wertig mit: Jedes einzeln quadrieren und die Quadrate zum

doppelten Produkt addieren.

Der Schliler soll dann dazu aufgefordert bzw. auch angeleitet werden,

diese Struktur symbolisch zu notieren, wobei auch Notationen zuge­

lassen werden, die nicht einer der Standardformen entsprechen

(Phantasie des Schlilers, Ansatz zur Diskussion liber verschiedene

Notationen). Es konnten sich zum Beispiel ergeben:

G 2 ,.-....... 2[±]

oder grafisch :

~ / 7 ~

J, ~ I 2

T Auch solche Terme sollen abgearbeitet werden, die nicht schon ex­

plizit die gewlinschte Form (wiea'+2ab+b') haben, sondern wo erst

aus der Analyse der Abfolge der (arithmetischen) Operationen (beim

Rechnen direkt oder in einer der Reprasentationen), also der

Schulerhandlungen, die Struktur ersichtlich wird (eventuell auch

in nicht eindeutiger Weise) .

Mir erscheint es sehr wichtig, daB der Taschenrechner die Aufmerk­

samkeit auf die Operationen und ihre Abfolge lenkt, wogegen die

algebraisch-statische Notation zu sehr auf die Operanden fixiert.

Diese sind jedoch fur die Struktur der Formel vollig irrelevant.

Die Fragestellung verschiebt sich damit von "Womit operiere ich?"

zu "Wie operiere ich?". Dazu tragt das reflektierte Ausflihren der

Operationen in der erforderlichen Abfolge und auch die entsprechen­

de symbolische Notation bei. Eine einfache Form von Nassi-Shneider­

man-Diagrammen mag dafur auch nlitzlich sein:

Page 11: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 199

Lies a,b Lies a,b

Addiere a,b z 'f- a+b Quadriere a und b

x_ a', y_b'

Quadriere z q~z2 Multipliziere 2, a und b

z~2ab

Schreibe q Addiere x,y,z s~ x+y+z

Schreibe s

Selbstverstandlich muB auch die Ubliche algebraische Notation der

Formel mit Variablen eingesetzt werden, eventuell ist die Polni­

sche Notation hilfreich:

ab+t2=((at2) (bt2)+) (2abxx)+

Eines ist noch wichtig: Die Erarbeitung der Struktur der Formel

soll das Resultat der Tatigkeit der SchUler am Taschenrechner und

ihrer Reflexion auf diese Tatigkeit sein. Die Reflexion wird durch

die verschiedenen symbolischen Darstellungen ermoglicht, wo die

Operationen gleichsam zu Denkobjekten werden (konnen). In diesen

Darstellungen sind auch Operationen neuer Art moglich: Anderungen

der Reihenfolge, eventuell auch der Art der Operation, also Term­

umformung verschiedenster Art. Dieses Operieren mit der Struktur

(der Formel) und ihre Veranderung ermoglichen eine weitere Festi­

gung der Kenntnis und des vertrautseins damit. FUr eine ahnliche

Position vgl. [12].

Das verstandige Umgehen mit verschiedenen symbolischen Darstellun­

gen, das Ubertragen in eine symbolische Form und das Ubersetzen

zwischen verschiedenen (abstrakt isomorphen) Symbolisierungen er­

fordert sicher betrachtlichen Zeitaufwand. Jedenfalls wird gerade

diese wichtige Seite der Mathematik im Unterricht derzeit wenig

gepflegt. Dabei ginge es sowohl urn das Erlernen vorgegebener Sym­

bolisierungen wie auch urn die Entwicklung der Fahigkeit zum Sym­

bolisieren, Erfinden von Symbolisierungen. Der hier gemachte Vor­

schlag zum Taschenrechnereinsatz steht damit in Wechselwirkung:

Er setzt derartige Kenntnisse voraus, kann aber auch AnstoB zu

ihrer Entwicklung sein (etwa durch die Aufforderung an die SchUler:

Notiere den ausgefUhrten Rechengang auf verschiedene Weise). Das

Page 12: Taschenrechner und mathematische Reflexion

200 W. Dorfler

Spezifische bei den hier einzusetzenden Symbolisierungen liegt

darin, daB nicht objektive Beziehungen und Ablaufe sondern subjek­

tive, geistige Handlungen darzustellen sind. Dies mag fur den

Unterricht und den Schuler zusatzliche Schwierigkeiten bringen,

doch ist die angestrebte Reflexivitat des Denkens ein wichtiger

Faktor in der intellektuellen Entwicklung, vgl. auch [9].

Das hier sehr ausfuhrlich geschilderte Vorgehen, den Taschenrech­

ner als Hilfsmittel bei der Reflexion auf die eigenen mathemati­

schen Tatigkeiten zu benutzen, kann in entsprechender Form in viel­

faltigen Situationen eingesetzt werden. Ais Beispiele seien ge­

nannt:

- Formcln jeder Art (Summenformeln, quadratische Gleichunaen, For-

meln der Geometrie, Statistik, Pythagoras usf.)

- SchluBrechnungen

- Proportionen

- Prozentrechnungen und Zinsrechnungen

- Funktionsterme (Zusammengesetzte Funktionen)

- Umrechnen zischen verschiedenen Stellenwertsystemen

- Wachstumsprozesse (linear, exponentiell)

- Rechengesetze (Kommutativ-, Assoziativ-, Distributivgesetz)

Zu den Beispielen ist anzumerken, daB sie grundsatzlich mit der­

selben Vorgangsweise behandelt werden konnen, wie sie oben aus­

fuhrlich geschildert wurde. Im FaIle der Formeln geht es wieder urn

die operative Struktur eines Termes, womit die schon durchgefuhr­

ten Uberlegungen voll anwendbar sind. Vor allem das einander er­

ganzende Wechselspiel und Zusammenspiel von Rechenhandlungen,

Tastenfolge am Taschenrechner und verschiedenen symbolischen Re­

prasentationen laBt sich in allen genannten Fallen konsequent

realisieren.Dadurch erhoht sich auch die Vertrautheit der Schuler

mit derartigen Darstellungen und die Einsicht in die damit er­

reichbaren Vorteile sollte wachsen. Ganz analog lassen sich auch

Funktionsterme und die Rechengesetze behandeln, wobei letztere hier

als Gleichwertigkeit von Operationsfolgen (auf beliebigen Eingabe­

daten) erscheinen. Der Aspekt, daB verschiedene (Rechen-) Hand­

lungen zum selben Ergebnis fuhren, laBt sich mit dem Taschenrechner

(Materialisierung der Handlung) bewuBt machen.

200 W. Dorfler

Spezifische bei den hier einzusetzenden Symbolisierungen liegt

darin, daB nicht objektive Beziehungen und Ablaufe sondern subjek­

tive, geistige Handlungen darzustellen sind. Dies mag fur den

Unterricht und den Schuler zusatzliche Schwierigkeiten bringen,

doch ist die angestrebte Reflexivitat des Denkens ein wichtiger

Faktor in der intellektuellen Entwicklung, vgl. auch [9].

4. Wci~c~c Bci~pic!c

Das hier sehr ausfuhrlich geschilderte Vorgehen, den Taschenrech­

ner als Hilfsmittel bei der Reflexion auf die eigenen mathemati­

schen Tatigkeiten zu benutzen, kann in entsprechender Form in viel­

faltigen Situationen eingesetzt werden. Ais Beispiele seien ge­

nannt:

- Formcln jeder Art (Summenformeln, quadratische Gleichunaen, For-

meln der Geometrie, Statistik, Pythagoras usf.)

- SchluBrechnungen

- Proportionen

- Prozentrechnungen und Zinsrechnungen

- Funktionsterme (Zusammengesetzte Funktionen)

- Umrechnen zischen verschiedenen Stellenwertsystemen

- Wachstumsprozesse (linear, exponentiell)

- Rechengesetze (Kommutativ-, Assoziativ-, Distributivgesetz)

Zu den Beispielen ist anzumerken, daB sie grundsatzlich mit der­

selben Vorgangsweise behandelt werden konnen, wie sie oben aus­

fuhrlich geschildert wurde. Im FaIle der Formeln geht es wieder urn

die operative Struktur eines Termes, womit die schon durchgefuhr­

ten Uberlegungen voll anwendbar sind. Vor allem das einander er­

ganzende Wechselspiel und Zusammenspiel von Rechenhandlungen,

Tastenfolge am Taschenrechner und verschiedenen symbolischen Re­

prasentationen laBt sich in allen genannten Fallen konsequent

realisieren.Dadurch erhoht sich auch die Vertrautheit der Schuler

mit derartigen Darstellungen und die Einsicht in die damit er­

reichbaren Vorteile sollte wachsen. Ganz analog lassen sich auch

Funktionsterme und die Rechengesetze behandeln, wobei letztere hier

als Gleichwertigkeit von Operationsfolgen (auf beliebigen Eingabe­

daten) erscheinen. Der Aspekt, daB verschiedene (Rechen-) Hand­

lungen zum selben Ergebnis fuhren, laBt sich mit dem Taschenrechner

(Materialisierung der Handlung) bewuBt machen.

Page 13: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 201

In der Losung von SchluBrechnungen, beim Rechnen mit Proportionen,

bei Prozent- und Zinsrechnungen treten auch stets gewisse Rechen­

schemata auf, die sich als Abfolge bestimmter Rechenhandlungen

(= Tastenfolgen) auffassen lassen. Setzt man den Taschenrechner

nicht nur als Rechenhilfsmittel ein, sondern nimmt man seine Ver­

wendung zum AnlaB, die Rechenhandlungen zu reflektieren, zu notie­

ren, zu schematisieren, zu symbolisieren, so kann dies dem Heraus­

arbeiten und BewuBtmachen der jeweiligen allgemeinen Losungsstrate­

gie dienen. So kann bei den SchluBrechnungen (Dreisatz) das Prinzip

des Vorgehens als Operationsfolge klar werden, wobei sich auch

wieder verschiedene Darstellungsformen zum Aufschreiben der Opera­

tionsfolge anbieten (Tabellen, Operationspfeile). Es muB betont

werden, daB nicht der isolierte Gebrauch des Taschenrechners allein

den angestrebten Zielen dient, sondern dieser den Ausgangspunkt flir

das S?rechen liber die Rechenwege, deren Darstellungen mit ver­

schiedenen Mitteln und deren Schematisierung bilden muB. Mathematik

kann dabei vom Schliler als Methode zur schematischen Darstellung

von Ablaufen und Situationen erfahren werden und als Mittel zur

Kommunikation darliber.

Durch ein derartiges Betonen der Operationen und ihrer systemati­

schen Abfolge sollte auch die Behaltensleistung erhoht werden. Es

werden ja nicht Produkte fremder Denkleistungen statisch auswendig

gelernt, sondern die Resultate und Beziehungen eigener Tatigkeiten

liberdacht und damit gelernt.

Ein Beispiel sei noch etwas detaillierter erwahnt, obwohl es nicht

zur S I gehort. Es gibt verschiedenste Vorschlage, den Begriff des

bestimmten Integrals einzuflihren. Manche davon lassen die zentrale

Idee eines Grenzwertes einer Folge von Summen von gewissen Pro­

dukten beiseite und schranken dadurch die Einsetzbarkeit des Be­

griffes (vor allem im physikalischen und technischen Bereich)

drastisch ein. Der Taschenrechner ist nun bestens geeignet, auch

flir kompliziertere Funktionen oder gar empirische Funktionen die

naherungsweise Berechnung des Integrals liber Riemannsche Summen

durchzuflihren: Die Berechnung der Funktionswerte wird zu einer

nicht mehr explizit auszuflihrenden Operation, zu einem stets ver­

fligbaren Operationsmodul (liber Tastendruck). Die noch auszuflihren­

den Handlungen der Schliler entsprechen daher genau der Form der

Riemannschen Summen, was wiederum die Reflexion darauf erleichtert.

Damit scheint es leichter erreichbar, die zentrale Idee des Be-

Page 14: Taschenrechner und mathematische Reflexion

202 w. Dorfler

stimmten Integrals - Approximation durch Summen von Produkten - zu

verfestigen und auch operativ zu gestalten. Auch hier wieder sol len

die verschiedenen Darstellungsformen der Handlungsabfolge einge­

setzt werden. Es bedarf keiner weiteren Erwahnung, daB dieser opera­

tiv-algorithmische Aspekt durch inhaltliche Uberlegungen erganzt

werden muB (Anwendungsbereiche, Bedingungen der Anwendung, Grenz­

wertuberlegungen, Genauigkeit u.a.).

Fur vielfaltige Aufgabenstellungen, die auch in dem hier skizzier­

ten Sinne verwendbar sind, sei auf [8] verwiesen.

Ve~mittfun9 zent~afe~ Ideen: Ite~ation

Es sei noch erwahnt, daB der Taschenrechner naturlich auch zur Ver­

mittlung anderer wichtiger mathematischer Ideen eingesetzt werden

kann. Dabei ist immer seine Funktion der Elementarisierung gewisser

Operationen ein entscheidendes Moment. Die Form der Verbindung ge­

wisser Elementaroperationen zu einer neuen komplexeren Operation

kann als Explikation der jeweiligen Idee verstanden werden. Ein

gutes Beispiel dafur ist Iteration. Mit dem Taschenrechner kann

diese durch selbsttatiges Handeln etwa beirn Losen von Gleichungen

nach der Fixpunktmethode erfahren werden:

f(x)=x

Wieder ist es sehr wichtig, verschiedene Darstellungsformen ver­

wenden zu lassen, urn die allgemeine Form der Vorgangsweise heraus­

zuarbeiten. Vielleicht 5011 der Unterschied zum oft vorfindbaren

Einsatz des Taschenrechners nochmals herausgestrichen werden: Hier

ist er nicht primar als Rechenhilfsmittel gedacht, sondern als

Medium, das die Form von mathematischen Handlungen hervortreten

laBt. Dies wird dadurch geleistet, daB durch die besondere Art der

Bedienung des Taschenrechners eine Reflexion auf die Abfolge ge­

wisser Elementaroperationen einerseits notwendig und andererseits

moglich wird. Der Taschenrechner wird also hier gleichsam zum

Denkhilfsrnittel. Indem ich uber die Operationsfolge am Taschen­

rechner nachdenke, denke ich tiber die allgemeine Struktur des je­

weiligen Begriffes oder Verfahrens nacho In der Schule bedarf dies

nattirlich des AnstoBes, der Anregung durch den Lehrer, es soll aber

so weit wie moglich Eigentatigkeit des Schtilers werden. Diese wird

durch den Rechnereinsatz allerdings erleichtert und in eine be­

stirnmte Richtung gelenkt. In gewissem AusmaB erlaubt ein derartiger

202 w. Dorfler

stimmten Integrals - Approximation durch Summen von Produkten - zu

verfestigen und auch operativ zu gestalten. Auch hier wieder sol len

die verschiedenen Darstellungsformen der Handlungsabfolge einge­

setzt werden. Es bedarf keiner weiteren Erwahnung, daB dieser opera­

tiv-algorithmische Aspekt durch inhaltliche Uberlegungen erganzt

werden muB (Anwendungsbereiche, Bedingungen der Anwendung, Grenz­

wertuberlegungen, Genauigkeit u.a.).

Fur vielfaltige Aufgabenstellungen, die auch in dem hier skizzier­

ten Sinne verwendbar sind, sei auf [8] verwiesen.

Ve~mittfun9 zent~afe~ Ideen: Ite~ation

Es sei noch erwahnt, daB der Taschenrechner naturlich auch zur Ver­

mittlung anderer wichtiger mathematischer Ideen eingesetzt werden

kann. Dabei ist immer seine Funktion der Elementarisierung gewisser

Operationen ein entscheidendes Moment. Die Form der Verbindung ge­

wisser Elementaroperationen zu einer neuen komplexeren Operation

kann als Explikation der jeweiligen Idee verstanden werden. Ein

gutes Beispiel dafur ist Iteration. Mit dem Taschenrechner kann

diese durch selbsttatiges Handeln etwa beirn Losen von Gleichungen

nach der Fixpunktmethode erfahren werden:

f(x)=x xn+1 =f (xn )

Wieder ist es sehr wichtig, verschiedene Darstellungsformen ver­

wenden zu lassen, urn die allgemeine Form der Vorgangsweise heraus­

zuarbeiten. Vielleicht 5011 der Unterschied zum oft vorfindbaren

Einsatz des Taschenrechners nochmals herausgestrichen werden: Hier

ist er nicht primar als Rechenhilfsmittel gedacht, sondern als

Medium, das die Form von mathematischen Handlungen hervortreten

laBt. Dies wird dadurch geleistet, daB durch die besondere Art der

Bedienung des Taschenrechners eine Reflexion auf die Abfolge ge­

wisser Elementaroperationen einerseits notwendig und andererseits

moglich wird. Der Taschenrechner wird also hier gleichsam zum

Denkhilfsrnittel. Indem ich uber die Operationsfolge am Taschen­

rechner nachdenke, denke ich tiber die allgemeine Struktur des je­

weiligen Begriffes oder Verfahrens nacho In der Schule bedarf dies

nattirlich des AnstoBes, der Anregung durch den Lehrer, es soll aber

so weit wie moglich Eigentatigkeit des Schtilers werden. Diese wird

durch den Rechnereinsatz allerdings erleichtert und in eine be­

stirnmte Richtung gelenkt. In gewissem AusmaB erlaubt ein derartiger

Page 15: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 203

Einsatz des Taschenrechners auch, tiber das eigene Denken nachzuden­

ken und somit Ordnung in das Denken zu bekommen.

Bez~ehu~ge~ zu~ I~6o~mat~k u~d zum Compute~

Letzteres ist auch wichtig als Vortibung ftir Denkformen, wie sie in

der Informatik zum Einsatz kornrnen: Strukturierte Prograrnrnierung,

Modularisierung, Unterprograrnrntechnik, Prozeduren u.a. Diese Hilfs­

mittel zur Erstellung komplizierter Algorithmen und Programme

konnen umgekehrt auch als Vorbild ftir individuelle menschliche

Problemlosestrategien gesehen werden. Als solche mtissen sie aber

bewuBt erworben und getibt werden. Der hier dargelegte Einsatz des

Taschenrechners bietet auch Moglichkeiten in dieser Richtung (etwa:

eingebaute Funktionen als Prozeduren oder Unterprogramme, das Den­

ken des Schtilers als Oberprograrnrn). Dorthin zielt auch die vorge­

schlagene Verwendung verschiedener Reprasentationen ftir algorith­

mische Ablaufe. Zu diesem Punkt vgl. [3].

Der programmierbare Computer erlaubt eine intensivierte Fortflihrung

des hier skizzierten Ansatzes, wenn man Programme bzw. Algorithmen

als Externalisierungen von Denkprozessen zur Losung gewisser Klassen

von Problemen ansieht. Auch hier ergibt sich wieder Moglichkeit zur

Reflexion und Kontrolle des eigenen Denkens, wobei noch grafische

Hilfsmittel wie etwa bei LOGO (vgl. [1]) den Denkablauf nicht nur

algebraisch-symbolisch sondern auch geometrisch-symbolisch sichtbar

und wahrnehmbar werden lassen. Der bewuBte Erwerb von Denkformen

wie der des rekursiven Formulierens von Problemen und Problemlosun­

gen wird durch derartige examplarische Vergegenstandlichungen

wahrscheinlich positiv beeinfluBt, zumindest entsteht eine leicht

zugangliche Form der Kornrnunikation tiber das Denken und tiber Denk­

handlungen. Damit werden Computer und Prograrnrnieren vern Rechen­

hilfsmittel zum Medium des Denkens und seiner vielfaltigen Repra­

sentationen.

5. SchtuC: Fah~gke~t zu~ Setb~t~e6tex~o~ at~ B~tdu~g~z~et

Zum AbschluB sei noch angemerkt, daB eine derartige Verwendung des

Taschenrechners nicht isoliert an wenigen Stellen erfolgen sollte.

Das Reflektieren auf die eigenen kognitiven Tatigkeiten ist eine

Fahigkeit, die der kontinuierlichen Entwicklung tiber langere Zeit

bedarf. Neben den einzelnen lokalen Zielen, wie sie hier beschrie­

ben wurden (Erwerb der Struktur einer Formel, eines algorithmi-

Page 16: Taschenrechner und mathematische Reflexion

204 W. Dorfler

schen Begriffs u.a.) stellt die Entwicklung dieser Fahigkeit zur

bewuEten Selbstreflexion und der kognitiven Mittel dazu sicher ein

wichtiges allgemeines Ziel schulischer Erziehung dar. Ich meine,

der Taschenrechner kann dazu in der skizzierten Form eingesetzt

werden. Allerdings muE auch die Los16sung und Emanzipation vom

Taschenrechner angestrebt werden.

LITERATUR

[1] ABE~SON, H.: Einflihrung in Logo (Ubersetzung H. L6the), IWT-Verlag, vaterstetten 1983

[2] AEBLI, H.: Denken: Das Ordnen des Tuns. I, II. Klett-Kotta, Stuttgart 1981

[3] BALZERT, H.: Informatik I, II. Hueber-Holzmann, Mlinchen 1976

[4] DAWYDOW, W.: Arten der Verallgemeinerung im Unterricht. Volk und Wissen, Berlin 1977

[5] D6RFLER, W., u.a.: Mathematikunterricht und Qualifizierung. Schriftenreihe Didaktik der Mathematik, Verlag H6lder-Pichler­Tempsky, Wien 1981

[6] D~RFLER, ~J.: Entwicklung formaler Qualifikationen im Mathema­tikunterricht, Teil I: Theoretische Grundlagen. In: Beitrage zum Mathematikunterricht 1983, pp. 91-94, Verlag Franzbecker, Bad Salzdetfurth, 1983

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[9] FREUDENTHAL, H.: Major Problems of Mathematics Education. ESM 12(1981), 133-150

[10] FURTH, H.G.: Intelligenz und Erkennen. Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 160, Frankfurt 1981

[11] JAHNKE, H.N., STEINBRING, H., und VOGEL, D.: Zahlbegriff und Rechenfertigkeit - Zur Problematik der Entwicklunq wissen-schaftlicher Begriffe. ESM 6(1975), 213-252 .

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[13] LENNE, H.: Analyse der Mathematikdidaktik in Deutschland. Klett Verlag, Stuttgart 1969

Page 17: Taschenrechner und mathematische Reflexion

Taschenrechner und Reflexion 205

[14] LOMPSCHER, J.: Psychologische Aspekte der Lerntatigkeit nach der Lehrstrategie des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten. In: Beitrage zum Mathematikunterricht 1982, 58-67, Hannover 1982

[15] LORCHER, G.A.: Die Angst des Mathematiklehrers vor dem Taschenrechner. In: Beltrage zum Hathematikunterricht 1983. Verlag Franzbecker, Bad Salzdetfurth 1983

[16] MEISSNER, H.: Taschenrechnerreport. In: ZDM 9(1977), Heft 2

[17] MEISSNER, H.: Zum EinfluB des Taschenrechners auf den ~1athema­tikunterricht. In: Taschenrechner in der Schule. KongreB- und Tagungsberichte der Martin-Luther-Universitat Halle-Witten­berg. Halle/Saale 1984

[18] PAPERT, S.: Mindstorms: Kinder, Computer und Neues Lernen. Birkhauser Verlag, Basel 1982

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[20] WINKELMANN, B.: Taschenrechner und Fachdidaktik. Einige stra­tegische Perspektiven. In: Les Calculatrices et l'Enseiqnement des Mathematiques. C.I.E.M., Esch-sur-Alzette, Luxembourg 1979

[21] VJYNANDS, A.: Ergebnisse einer Schtiler- und Lehrerbefragung tiber elektronische Taschenrechner (ETR) in der Schule.In: ZDH 10(1978), Heft 1

[22] WYNANDS, A.: Elektronische Taschenrechner in der Hauptschule -Ziele und Erfahrungen. In: Der Mathematikunterricht, Jg. 24, Heft 1

[23] HYNANDS, A.: Rechenfertigkeit und Taschenrechner. In: JDM (1984), 3-32

Prof. Dr. Willibald Dorfler Universitat fur Bildungswissenschaften Institut ftir Mathematik UniversitatsstraBe 65-67 A - 9010 KLAGENFURT osterreich


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