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Zürcher Fachhochschule IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft Das Prekariat des Schweizer Journalismus Mediensymposium 2010 18.-20. November 2010 Vinzenz [email protected]

2010-11-19 Das neue Prekariat des Journalismus

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Das Prekariat des Schweizer Journalismus Die letzten Jahre des Schweizer Journalismus waren stark geprägt von einem enormen Kostendruck und damit einhergehendem Abbau von redaktionellen Strukturen (AZ-Medien, Espace Media, NZZ-Gruppe, Tamedia). Im gleichen Zeitrahmen machen unter den Schlagworten „Newsroom“ bzw. „Newsdesk“ in vielen Schweizer Redaktionen organisationale Redaktionsumbrüche Schule. Linienorganisationen mit klaren inhaltlichen Zuständigkeiten weichen vermehrt – und vor allem bei neu sich institutionalisierenden Medien – funktionalen Organisationsprinzipien, bei denen ein einzelner Redaktor für mehrere Ressorts gleichzeitig arbeitet (Meier 2009; 2006). Der Bedeutungsabbau von Ressorts und der Trend zur ressortübergreifenden Zusammenarbeit bzw. zur Aufhebung von spezialisierten Ressorts ist ambivalent zu beurteilen, weil die Einführung von Newsdesk bzw. Newsroom durchaus „seismographisches Potenzial“ freisetzen, aber auch eine Schwächung der organisationalen Verortung von Fachwissen bedeuten kann (vgl. Deuze 2004: 140; Meier 2006; Blöbaum 2008: 125ff.). Aufgrund von technologischen und ökonomischen Entwicklungen ist zudem in den letzten Jahren in zahlreichen Medienorganisationen bzw. Redaktionen eine Entwicklung in Richtung Medienkonvergenz zu beobachten (Garcia Avilés et al. 2007, Meier 2009); also die durch Digitalisierung ermöglichte, „crossmediale“ „multi-channel“ Produktion und Publikation von Medieninhalten unabhängig von einzelnen Plattformen oder Medientypen, wobei sich der Grad der Kooperation stark unterscheidet (Dailey et al. 2005). Die verstärkte Zusammenarbeit crossmedialer Teams sowie die Senkung von redaktionellen Produktionskosten sind zwei Ziele, die mit diesen Strategien verbunden werden (Quinn 2005). Für Quandt/Singer (2008) fallen erste Erfahrungen mit der Einführung von medienkovergenten Organisationsformen denn auch ambivalent aus. Probleme zeigen sich vor allem in der – kostenintensiven – Koordination verschiedener Medientypen mit ihren unterschiedlichen Produktions- und Publikationsrhythmen. Zudem stehen solchen Umstrukturierungen offenbar historisch gewachsene, medientypische Journalismuskulturen und damit verbundene Kompetenzprofile im Weg. Oft werden in diesem Zusammenhang Journalisten mit Multikanalanforderungen konfrontiert und damit einem höheren Produktionsdruck ausgesetzt; dies gerade in den zurzeit wieder an Bedeutung gewinnenden Online-Plattformen (Online-First) im medienkonvergenten Umfeld. Der hier vorgeschlagene Beitrag geht der Frage nach, inwiefern sich diese obern beschriebenen Trends auch in einer neuen Stratifikation von Redaktionsorganisationen niederschlagen. Kommt es zu neuen stratifikatorischen und segmentären Differenzierungsprozesse innerhalb der Medienorganisationen? Es ist anzunehmen, dass der Trend der Medienkonvergenz dazu führt, dass neue Arbeitsrollen an Bedeutung gewinnen, die darauf spezialisiert sind, zu entscheiden und zu organisieren, zu welchem Zeitpunkt welche Inhalte bzw. Geschichten oder Teile davon auf welchen Kanälen bzw. Vektoren publiziert bzw. zurückgehalten werden. Dies wiederum hat zur Folge, herkömmliche Rollenträger etwa aus klassischen Ressorts an Bedeutung und Einfluss verlieren und die bisher eher siefmütterlich behandelten Onlineredaktionen besser mit Ressourcen ausgestattet werden. Dies wiederum kann Abschichtungseffekte bzw. eine Prekarisierung hinsichtlich Betätigungs- und Einkommenschancen zur Folge haben, die sich nicht zuletzt auch in einem gravierenden Verlust der Arbeitszufriedenheit bei herkömmlichen Rollenträgern ausdrücken kann. In methodischer Hinsicht wird zur Klärung dieser Fragen auf zwei Untersuchungen zurückgegriffen. Zum Einen werden Ergebnisse aus einer umfassenden quantitativen Längsschnittuntersuchung (schriftliche Befragung von Journalisten; Primäranalyse) herangezogen (Individual- und (daraus gebildete) Aggregatdaten aus den Jahren 1998 (N=2020)

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Zürcher Fachhochschule

IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft

Das Prekariat des Schweizer Journalismus

Mediensymposium 2010

18.-20. November 2010

Vinzenz [email protected]

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Fragen

Wo lassen sich im Schweizer Journalismus «prekäre» Zustände

feststellen?

-verringerte soziale Sicherheit

-erschwerte Arbeitsbedingungen

-geringer Professionalisierungsgrad

-schwache Praktiken der Qualitätssteuerung

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Anschlussfragen

• Verstärken der Trend zur Konvergenz sowie der Bedeutungsgewinn von Online die

Prekarisierung bestimmter Journalistengruppen?

• Wie wirken sich «prekäre» Arbeitsverhältnisse bestimmter Gruppen auf die

Leistungsfähigkeit des gesamten Journalismus aus?

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Rückgriff auf das Sampleaus zwei Untersuchungen

Privat-rundfunk

SRGPrint /Online

Quantitative Studie

Methode Onlinebefragung Fragebogen

Im Feld Winter 2006/7

Herbst 2007

Sommer2008

Grund-gesamtheit

1’ 100 1’ 800 7’ 300

Sample 449 610 1’ 403

Rücklauf 39% 33% 19%

Qualitative Studie

Methode InterviewsBeobachtung

-Interviews Beobachtung

Im Feld Sommer2010

-Sommer2010

Sample 48 Redakteure in 12 Redaktionen4

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WOLLEN / SOLLEN Deutungsmuster

Normen:Journalismuskonzepte

OrientierungenSelektionskriterien

Inszenierungsregeln

KÖNNENAllokative &

Autoritative Ressourcen:Personal, Wissen

Zeit Arbeitsbedingungen

(Sicherungs-)Prozesse

kommunizieren / rechtfertigen

Macht ausüben

Regeln der Signifikation/Legitimation

Ressourcen der Herrschaftsordnung

Strukturationsprozess

reku

rsiv

er

Pro

zess

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Arbeitsbedingungen

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Bedingungen für die Recherche

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Professionalisierung:Aus- bzw. Weiterbildung; Organisiertheit (Verband)

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Qualitätssteuerung:Dokumente und Prozesse der Q-Sicherung

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WOLLEN / SOLLEN Deutungsmuster

Normen:Journalismuskonzepte

OrientierungenSelektionskriterien

Inszenierungsregeln

KÖNNENAllokative &

Autoritative Ressourcen:Personal, Wissen

Zeit Arbeitsbedingungen

(Sicherungs-)Prozesse

kommunizieren / rechtfertigen

Macht ausüben

Regeln der Signifikation/Legitimation

Ressourcen der Herrschaftsordnung

Strukturationsprozess

reku

rsiv

er

Pro

zess

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Orientierungen

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Rollenkonzepte

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1 = trifft stark zu6 = trifft nicht zu

Medientyp   Spezialfälle  Langzeit-Vergleich

  SRGPrivat-

rundfunkPrint  

Bezahl-Ztg.

Gratis-zeitung

Online   1999 2008

Neutraler Berichterstatter

1.6 1.7  1.6   1.5 1.4  1.7   1.8  1.6 

Analytiker  2.2 2.9  2.1    2.1 2.3 2.3    2.2  2.2 

Kritiker  2.7 2.7 2.5    2.2 2.5 2.7   2.4 2.5 

Dienstleister 2.6 2.5 2.9   3.0 2.6  2.8    3.1 2.8

Vermarkter 5.3 4.6  4.9    5.0   4.1 5.0   4.8 4.9 

Zielgruppenverkäufer 5.6 4.8 5.0 5.2 4.4 5.2 5.1 5.1

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Wissenschaft

Wissenschaft

Ratgeber

Ratgeber

Medien

Medien

Chefredaktion

Politik Wirtschaft Kultur Sport Lokales

Politik Wirtschaft Feuilleton Sport Lokales

Online-Redaktion

Politik

Wirtschaft

Sport

Kultur

weitere Plattformen

Neue Organisationsmodelle

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Abgrenzungen

Abgrenzung: „Wir“ und „die dort“

•„Die (Online) machen einfach ohne Absprachen ihre Geschichten und

dann sehen wir (Tages-Anzeiger) ungefähr so, was die am Machen sind.“

•„Jede Information, die wir (20 Minuten) ihnen (20 Minuten Online) geben,

ist für uns verloren. Wir haben das Interesse, eine News so lange wie

möglich für uns zu behalten und dafür umso besser abzurecherchieren,

damit wir am nächsten Tag den Knaller haben.“

•„Wenn die (Onliner) besser werden wollen, legen wir denen sicher nicht

Steine in den Weg.“ 

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Abgrenzungen – Abschichtungen?

Abschichtung: „Der Abstieg“

•„Wir alten Kläuse denken Print. Man macht zwar zuerst etwas fürs

Online, aber eigentlich macht man ja trotzdem Print. Vielen ist es nicht

wohl.“

•„In der Abbauübung wird klassischen Printredaktoren gesagt, sie könnten

bleiben, seien danach aber Onlinereaktoren. Das ist vom Status her ein

Abstieg, weil Online noch nicht positiv besetzt ist.“

•Einerseits sagt man, Online sei so wichtig und andererseits hat man dort

minderqualifizierte und schlechter bezahlte Leute.“ (Aargauer Zeitung)

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«Online ist …«

… „Häppchen“

… „knackige Titel“

... „unsorgfältig“

… „marginal“

… „nicht ernst genommen“

… „unerfahren“

… „fehlerresistent“

… „respektlos“

… „beschämend“

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«Zeitungstitel funktionieren im Online nicht. Zu wenig pointiert, zu wenig boulevardesk, sie machen nicht neugierig, sind langweilig. Man muss sie immer adaptieren, umformulieren, zuspitzen.»

«Man kann durch die Klicks direkt verifizieren, welche Geschichte gut läuft. Man weiss, dass Titel, die aus dem Print importiert werden, immer schlecht laufen.»

Printredakteure ein Onliner

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Ressource Internet als Treiber der Ko-Orientierung

Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)

Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu

Exklusivität V+ +Reproduktion

Ergänzung

V- +

V- -

Komplexitätsreduktion

Konzentration

Neuer Aspekt / Perspektive

„nachziehen“

Quantitätssteigerung

Stopp

Neue Themensuche

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Ressource Internet als Treiber der Ko-Orientierung

Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)

Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu

Exklusivität V+ +Reproduktion

Ergänzung

V- +

V- -

Komplexitätsreduktion

Neuer Aspekt / Perspektive

„nachziehen“

Quantitätssteigerung

„Weil es so einfach ist, schaue ich schon sehr stark, was andere machen.“

„Ich sehe etwas in einer Lokalzeitung, das in Zürich noch niemand gelesen hat. Dann übernehme ich die Idee und drehe

daraus eine Zürcher Geschichte.“

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Andere Medien

Ressource Internet als Treiber der Koorientierung

Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)

Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu

Exklusivität V+ +Reproduktion

Ergänzung

V- +

V- -

Komplexitätsreduktion

Neuer Aspekt / Perspektive

„nachziehen“

Quantitätssteigerung

„Es kommt vor, dass wir eine Geschichte nicht machen, weil sie schon anderswo steht oder weil man

nichts Neues generieren kann.

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Andere Medien

Ressource Internet als Treiber der Ko-Orientierung

Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)

Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu

Exklusivität V+ +Reproduktion

Ergänzung

V- +

V- -

Komplexitätsreduktion

Neuer Aspekt / Perspektive

„nachziehen“

Quantitätssteigerung

„Wenn die Zeitung ein tolles Interview hat, dann übernehmen wir die die Rolle eines

Informationsvermittlers, der – unjournalistisch – einfach eine Zusammenfassung des Interviews bringt.“

„Man heult mit den anderen Wölfen.“

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Andere Medien

Ressource Internet als Treiber der Koorientierung

Erleichterte Zugänglichkeit zu Onlinemedien (auch Ausland)

Effiziente Themenfindung („Monitoring“)Potenzial nimmt durch Zahl/Menge zu

Exklusivität V+ +Reproduktion

Ergänzung

V- +

V- -

Komplexitätsreduktion

Neuer Aspekt / Perspektive

„nachziehen“

Quantitätssteigerung

„Manchmal versuche ich einen ganz anderen Aspekt als die anderen in die Geschichte zu bringen.“

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