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„Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ – Perikles

Rede über Einsatz in Europa

60. Europäischer Wettbewerb 2013 – Wir sind Europa – Wir reden mit!

Altersgruppe 4: 17-21 Jahre bzw. 11.-13. Klasse

Modul 4-1: „Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ – Perikles Diskutieren Sie diese Aussage vor dem Hintergrund der Unionsbürgerschaft. Welche Bürgerin und welchen Bürger braucht die EU?

Friederike Erk Jahrgangsstufe 12 Karolinen Gymnasium67227 Frankenthal

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Liebe Nobelpreisträgerinnen und –träger,

wie soll ich mich verhalten? Eine Frage, mit der jeder von uns sogar oftmals täglich

konfrontiert wird. Eine Frage, der wir nicht ausweichen können, die uns eine

Entscheidung abverlangt und die unser Leben miteinander maßgeblich beeinflusst.

Ob in der Familie, der Schule, auf der Arbeit oder an der Kasse im Supermarkt

– diese Frage folgt uns überall hin. Meist müssen wir zudem auch noch ganz

spontan entscheiden, unvorbereitet, ohne Zeit zum Nachdenken zu haben. Dabei

wissen wir ganz genau, dass unsere Antwort auf diese Frage, unser Verhalten, alles

und jeden um uns herum beeinflusst – auch Sie, meine Damen und Herren.

Wie also soll ich mich verhalten? Oft handeln wir einfach instinktiv – so dass

es für uns am bequemsten endet. Oder wir verhalten uns so, wie man es von

jemandem in der Rolle, in welcher wir uns gerade befinden, erwarten würde. Die

Gesellschaft nimmt uns diese Entscheidung auch gerne ab. Einerseits hilft sie uns

durch Normen und Werte, eine Entscheidung zu treffen. Oftmals spielen jedoch auch

Faktoren wie Gruppenzwang und der Wunsch, dazuzugehören eine große Rolle in

unserer Entscheidungsfindung – kleine Hintertürchen, von denen wir nur allzu gerne

Gebrauch machen. Diese Fluchtwege mögen zwar zur Alltagsbewältigung sehr

gelegen kommen, haben aber auch einen Haken: Sie führen in unserer heutigen

Gesellschaft immer mehr dazu, dass wir uns nicht verhalten, dass wir nicht handeln.

Vielleicht aus Bequemlichkeit. Vielleicht aus Zeitmangel. Vielleicht aus Angst vor den

Folgen unserer Handlung. Die Beweggründe, die jeder einzelne von uns hat, um

nichts zu tun mögen verschieden sein. Sie führen jedoch alle zum gleichen Resultat,

nämlich, dass wir die Frage: Wie soll ich mich verhalten? Immer öfter mit einem

tiefen Schweigen beantworten.

Manche plagen hinterher die Zweifel: „Hätte ich nicht vielleicht doch etwas

sagen sollen? Hätte ich vielleicht doch etwas bewirken, etwas tun können?“ Eine

weitere Frage, mit der viele von uns nur zu gut vertraut sind. Andere dagegen

nehmen diese Tatenlosigkeit schon gar nicht mehr wahr, es ist für sie normal

geworden, nichts zu tun, nichts zu sagen. Wir schweigen. Und wir schweigen viel zu

oft.

Dabei haben gerade wir hier in Europa schon oft genug gesehen, zu was Schweigen

führen kann. Schweigen, wenn jemand diskriminiert wird. Schweigen, wenn jemand

zu Unrecht beschuldigt wird. Schweigen, wenn Unschuldige sterben müssen.

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Der Theologe Martin Niemöller, ein Vertreter der Bekennenden Kirche

während der Zeit des Nationalsozialismus, hat gesagt: „Als die Nazis die

Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist. Als sie die

Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein

Sozialdemokrat. Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich nicht protestiert; ich war

ja kein Gewerkschafter. Als sie die Juden holten, habe ich nicht protestiert; ich war ja

kein Jude. Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestierte.“1

Ein schrecklicher und prägender Abschnitt unserer Geschichte. Nicht nur der

Deutschlands. Sondern der ganz Europas. Hervorgerufen durch Schweigen.

Nun denken sicher einige von Ihnen: „Das ist doch alles Schnee von gestern!

Heute gibt es doch Grundrechte wie Meinungsfreiheit und Pressefreiheit – da kann

uns doch gar nichts mehr passieren!“ Falsch gedacht. Diese Rechte mögen zwar

eine nette Grundlage bilden, die uns das Ganze vereinfachen, aber ich möchte Sie

mal etwas fragen: Wann haben Sie das letzte Mal geschwiegen, als Sie etwas hätten

sagen können? Und warum haben Sie es dann nicht gesagt? Sie haben doch ihr

Recht auf Meinungsfreiheit oder? Und trotzdem haben Sie geschwiegen.

Wer von uns hat nicht schon einmal geschwiegen, als ein Mitschüler oder ein Kollege

zu Unrecht beleidigt, bloßgestellt oder bestraft wurde?

Unsere Demokratie mag vielleicht auf Rechten aufgebaut sein, sie ist aber

immer nur so stark wie ihre Bürger. Wir sind selbst dafür verantwortlich, dass sich

unsere Gesellschaft weiterentwickelt und vor allem sind wir selbst dafür

verantwortlich, als Teil unserer Gesellschaft, diese entsprechend zu gestalten.

„Ein stiller Bürger ist kein guter Bürger“ – so der Politiker Perikles im antiken

Griechenland. Sich nicht zu verhalten, nicht zu handeln und ganz einfach zu

schweigen, stoppt die Entwicklung der Gesellschaft. Ein stiller Bürger verhindert

somit die Verbesserung, den Fortschritt und Entfaltung unserer Gesellschaft, unseres

Europas.

Wann aber bin ich ein guter Bürger? Ein guter Bürger will unsere Gesellschaft

verändern, will sie verbessern. Ein guter Bürger wirkt dort mit, wo er mitwirken kann.

Sie sind ein guter Bürger, wenn Sie Ihre Umwelt aktiv mitgestalten und das wir noch

ein großes Potential an Verbesserungsmöglichkeiten haben - darüber sind wir uns

hoffentlich alle einig.

1 Peter Niemöller, Peter-Niemöller-Stiftung, Online-URL: http://www.martin-niemoeller-stiftung.de/4/daszitat/a31

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Eine Gesellschaft muss im Wandel bleiben, muss sich bewegen, muss sich

verändern. Das passiert aber nicht von selbst. Wir, wir alle müssen etwas dafür tun.

Wir müssen uns einsetzen. Wir müssen wieder eine Antwort auf die Frage „Wie soll

ich mich verhalten?“ geben. Sie werden es vielleicht nicht für möglich halten, aber

jeder von uns kann tagtäglich mit einem Satz die Welt verändern. Jeder Satz, der

Ihnen über die Lippen geht, verändert etwas. Jeder Satz, für den Sie den Mut

aufbringen, zeigt jemand anderem, dass er oder sie auch den Mut aufbringen kann.

Jeder Satz ist Einsatz!

Ein guter Bürger ist nicht jemand, der sich für das einsetzt, was ich selbst für

gut befinde. Ein guter Bürger ist jemand, der sich mit vollem Herzen für das einsetzt,

was er selbst für gut und richtig befindet. „Ich mag verdammen, was du sagst, aber

ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst.“2 – so lautet mein

Lieblingszitat des Aufklärers und Bestreiters der französischen Revolution Voltaire.

Nicht alle können und sollen sich für das Gleiche einsetzen. Eine Demokratie beruht

auf unterschiedlichen Meinungen. Es gibt kein richtig oder falsch. Europa ist eine

Union aus Staaten wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber eben diese

Vielfalt hat zu dem Fortschritt unserer Gesellschaft geführt, welchen wir heute

vorweisen können!

Wir alle haben eigene Träume und Wünsche für die Zukunft, ein eigenes

Talent, ein eigenes Lieblingsessen, einen eigenen Glauben und das ist auch gut so.

Jeder von uns arbeitet mit seinen Mitteln für ein besseres Miteinander, jeder hat

seine eigene Art von Einsatz und jeder von uns hat hier in Europa die Möglichkeit

sich einzusetzen. Die EU ist nichts Unerreichbares – auch wenn es oft so scheint.

Wann stolpern wir im Alltag schon mal über das Wort Europa außer in den

Nachrichten oder im Erkunde Unterricht? Wir sind uns gar nicht bewusst, wie stark

Europa uns alle beeinflusst und was es eigentlich bedeutet, ein EU Bürger zu sein.

Die europäische Unionsbürgerschaft ist ein Privileg. Ein Privileg, welches

unser aller Leben tagtäglich vereinfacht. Für meine Generation selbstverständlich.

Für meine Eltern ein willkommener Wandel. Für meine Großeltern eine völlig neue

Welt. Durch die Unionsbürgerschaft haben wir ein Recht auf Personenfreizügigkeit.

Endlose Autoschlangen an den Grenzen? Personenkontrollen? Wir, die wir auf die

selbstverständliche Art und Weise eine Wochenende in Paris verbringen, vergessen

gut und gerne einmal, wem oder besser gesagt welchem Umstand wir diese

2 Voltaire (Francois Maire Arouet), Online-URL http://zitate.net/voltaire.html

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angenehmen Bequemlichkeiten zu verdanken haben: Nämlich eben jener

europäischen Unionsbürgerschaft. Sie ermöglicht uns ein sorgloseres Leben, ein

unglaubliches Erfahrungspotential an kulturellem Austausch und nicht zuletzt unsere

Pizza oder Pasta beim Italiener um die Ecke – denn schließlich erhielt erst durch die

europäische Unionsbürgerschaft jeder EU Bürger das Recht, sich überall innerhalb

Europas niederzulassen und zu arbeiten.

Falls Sie, meine Damen und Herren, weder Pasta noch Pizza mögen und

somit immer noch nicht von ihren Privilegien überzeugt sind, kontrollieren Sie bitte

einmal ihre Taschen. Ich bin der vollen Überzeugung, dass die jüngste

Errungenschaft Europas genau da drinnen steckt: Der Euro! Eine gleiche Währung,

die in allen beteiligten Mitgliedsstaaten gleich viel wert ist. Kein verzweifeltes Suchen

eines Bankautomaten stört mehr unseren Urlaub, das mühevolle Umtauschen,

Vertauschen, Zurücktauschen der Währungen bleibt uns zum Glück erspart. Eine

bedeutungsvolle Bereicherung der Lebensqualität von jedem Unionsbürger, die bei

uns allen in der Tasche steckt und mit ihr die Europäische Union.

Niemand von uns hat für diese unbezahlbaren Privilegien je einen Finger

gerührt. Sie waren einfach auf einmal da. Ein Geschenk. Wir können uns aber

schlecht bei den Leuten bedanken, die sie für uns ins Leben gerufen haben, da die

meisten bereits das Zeitliche gesegnet haben. Dennoch gibt es etwas, was jeder von

uns tun kann: Sie können sich revanchieren. Zwar sind die Verantwortlichen nicht

direkt erreichbar, aber wir leben ihren Traum, den Traum eines vereinten Europas.

Diesen Traum müssen wir alle zusammen weiterträumen. Weiterträumen und weiter

in die Tat umsetzen. Unser Einsatz für die Entwicklung und Verbesserung unserer

Gesellschaft, ist das Mindeste, was wir Europa schuldig sind, was wir seinen

Gründern schuldig sind und vor allem seinen zukünftigen Generationen.

Wir sind Europa und Tag für Tag sind wir verantwortlich an uns selbst zu

arbeiten. Jeder von uns muss selbst erkennen, dass und wie er seinen Beitrag

leisten kann. Dieser Beitrag wird von niemandem erwartet und kann so auch nicht

erzwungen werden. Dieser Beitrag wird wahrscheinlich auch nur von den wenigsten

wahrgenommen werden. Genau deswegen muss dieser Beitrag auch aus eigener

Überzeugung kommen. Eigene Überzeugung kann viele Beweggründe haben.

Einsatz muss viele Beweggründe haben, denn nur so kann jeder von uns seinen

eigenen finden. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten in meinem, in Ihrem, in unseren

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Leben Einsatz zu zeigen, nur eines darf es nicht mehr geben: Ausreden. Ausreden

gibt es nicht, denn in jedem von uns steckt eine Antwort, steckt Einsatz.

Die Frage: „Wie soll ich mich verhalten?“ ist keine Zumutung. Sie ist eine

Chance. Eine Chance, die wir nicht nur zweimal bekommen sondern eine Chance,

die uns offen steht so lange wir leben und die nur darauf wartet genutzt zu werden.

Von Ihnen, von mir, von uns allen. Es ist nicht die Aufgabe von irgendwelchen

Politikern zu handeln, es ist Ihre Aufgabe. Es ist unsere Aufgabe. Ihr Satz, meine

Damen und Herren, ist Einsatz für unser Europa!

 

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Bibliographie

Peter Niemöller, Peter-Niemöller-Stiftung, Online-URL: http://www.martin-niemoeller-

stiftung.de/4/daszitat/a31 (Datum der Recherche: 07.01.13)

Rabenschlag, David: Leitbilder der Unionsbürgerschaft (Schriften zur Europäischen

Integration und Internationalen Wirtschaftsordnung Band 16), 1. Auflage, 2009

Baden-Baden

Voltaire (Francois Maire Arouet), Online-URL http://zitate.net/voltaire.html (Datum der

Recherche: 07.01.13)