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FAU-Proseminar: Die Copernicanische Wende � Ein Motiv zur Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft, 5. Sitzung, Do 17.11.11, Pierre Leich _________________________________________________________________
Nicolaus Copernicus � der puristische Erneuerer
Copernicus wollte weder die Grundprinzipien der Astronomie erneuern, noch sah er Bedarf an neuen Beobachtungsbefunden. Sein Haften an der antiken Astronomie wird in einem Brief vom 3. Juni 1524 an den Krakauer Domherren Bernhard Wapowsky deutlich, der um eine Stellungnahme zu De motu octavae sphaerae
tractatus duo von dem Nürnberger Mathematiker und Astronomen Johannes
Werners gebeten hatte:
Aber wenn wir ihre [der achten Sphäre] Bewegung erforschen wollen, müssen wir in
ihre [der antiken Astronomen] Fußstapfen treten und an ihren hinterlassenen Beobachtungen wie einem Vermächtnis festhalten. Wenn also jemand [wie Werner], an
seinen Sinnen hängend, anders glauben sollte, jenen sei nicht zu vertrauen, dann ist
ihm mit Sicherheit der Eingang zu dieser Wissenschaft verschlossen, und er wird vor ihrer Türe liegen und die Fieberträume von Kranken über die Bewegung der achten
Sphäre träumen (aegrotantium somnia de motu octavae sphaerae somniabit), und das
mit Recht, da er ja glaubte, seinen eigenen Halluzinationen durch die Verunglimpfung jener zu Hilfe kommen zu müssen. Es steht jedoch fest, daß jene alle ihre
Beobachtungen mit höchster Sorgfalt und verständigem Geschick ausgeführt und uns
viele herrliche, bewunderungswürdige Entdeckungen hinterlassen haben.1
1 Zitiert nach Fritz Krafft, Des Nicolaus Copernicus Bemühungen um die Bestimmung der Länge des
Tropischen Jahres. Zur Chronologie copernicanischer Astronomie; in: Bernhard Fritscher, Gerhard Brey, Cosmographica et Geographica. Festschrift für Heribert Maria Nobis zum 70. Geburtstag, 1. Halbband, München 1994, S. 283.
Copernicus hielt nicht die antike Astronomie für überholt, sondern sah im Gegenteil
deren Prinzipien verletzt.
Man muß nichtsdestoweniger zugeben, daß es kreisförmige Bewegungen sind oder aus mehreren Kreisen zusammengesetzte, auf Grund der Tatsache, daß man die derartigen Ungleichmäßigkeiten nach fester Regelmäßigkeit und bestimmtem
Wiedereintreten beobachtet; das könnte nicht sein, wenn sie nicht kreisförmig wären.
Einzig der Kreis ist es doch, der vollführte Bewegungen wiederholen kann. Wie denn
etwa die Sonne durch ihre zusammengesetzte Kreisbewegung uns die ungleiche Länge von Tagen und Nächten und die vier Jahreszeiten immer wiederbringt, woraus
eben mehrere Bewegungen abzulesen sind: da es doch nicht sein kann, daß ein
einfacher Himmelskörper auf einer einzigen Kreisbahn sich ungleichmäßig bewegt.
Solches könnte nämlich nur eintreten entweder infolge einer Unbeständigkeit der
bewegenden Kraft, ob nun von außen hinzugetreten oder zuinnerst in ihrem Wesen
liegend, oder infolge einer Ungleichheit am herumgeführten Körper. Da aber der
Verstand vor beiden Annahmen zurückschreckt und es unwürdig ist, derartiges bei den
Gegenständen anzunehmen, die in bester Anordnung zusammengefügt sind, so ist es
eine vernünftige Annahme, daß deren gleichmäßige Bewegungen uns nur ungleichmäßig erscheinen, entweder infolge verschiedener Drehpunkte dieser Kreise,
oder etwa weil die Erde nicht im Mittelpunkt der Kreise liegt, auf denen sie umlaufen, und uns, die wir von der Erde aus das Vorüberziehen dieser Gestirne beobachten, es geschieht, daß sie uns wegen der ungleichen Entfernungen größer erscheinen, wenn
sie uns näherstehen, als dann, wenn sie weiter entfernt sind - wie in der »Optik«
bewiesen ist; so können bei gleichmäßigen Kreisumläufen - infolge verschiedener Beobachtungsentfernung - ungleiche Bewegungsstrecken zu gleichen Zeiteinheiten erscheinen.2
2 Nicolaus Copernicus, Über die Umläufe der Himmelskreise, 1. Buch, Kap. 4; zitiert nach der
Ausgabe von Hans Günter Zekl, Nicolaus Copernicus: Das neue Weltbild, Hamburg 1990, S. 97;
mit »Optik« meint er das Werk Euklids.