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INTERNATIONAL 120 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 1/2 Der beginnende Wahlkampf trägt seinen Teil dazu bei: In gut einem Jahr, im Mai 2015, wird im Vereinigten Königreich ein neues Parlament gewählt. Oppositionschef Ed Milliband von der Labourpartei kündig- te an, dass im Falle eines Wahlsieges sei- ner Partei die Energiepreise für 20 Monate eingefroren werden sollen. Zwar sind die britischen Energiepreise niedriger als der EU-Durchschnitt [1]. Jedoch haben sich die- se für Industrie und Bewohner allein im Jahr 2013 um rd. 10 % erhöht. Die Gründe hier- für sind gestiegene Großhandelspreise, aber auch zusätzliche Steuern sowie Gebühren für Einspeisevergütungen und Energieeffizi- enzmaßnahmen. Die gewonnenen Mittel werden zudem teil- weise für die energetische Sanierung von Gebäuden eingesetzt. Zusätzlich wird über die Abgaben ein Heizkostenzuschuss für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen finanziert. Allerdings steht aus Sicht der Re- gierung die Lenkungswirkung der Abgaben im Vordergrund: Der CO 2 -Ausstoß soll belas- tet werden. Doch nach zahlreichen Protesten von Energieversorgern und Verbrauchern werden einige Öko-Abgaben nun gesenkt und sollen jedem Haushalt rd. 60 € pro Jahr an Einsparungen bringen. Besteht eine Versorgungslücke im Winter 2015/2016? Aus Sicht der Energie-Regulierungsbehörde OFGEM (Office of Gas and Electricity Mar- kets) besteht im Winter 2015/2016 das ers- te Mal die Gefahr einer Versorgungslücke bei der Stromversorgung. OFGEM schätzt, dass die verfügbaren Kapazitätsreserven im Stromnetz von heute 14 % auf 4 % sinken wer- den. Zahlreiche Kohle- und Gaskraftwerke entsprechen nicht der EU-Großfeuerungsan- lagenrichtlinie und stoßen zu viel Schwefel- dioxid, Stickoxide und Staub aus. Spätestens bis zum 31.12.2015 müssen diese Kraftwer- ke laut den EU-Vorgaben abgeschaltet wer- den. Der Übertragungsnetzbetreiber Natio- nal Grid hat bereits vorgeschlagen, Geschäfte und Unternehmen am frühen Nachmittag zu schließen, um die Energienachfrage einzu- dämmen. Als Anreiz sollen die Unternehmen einen finanziellen Ausgleich erhalten. Allerdings hinterfragen zahlreiche Markt- beobachter die These der Stromlücke. So verweist Graham Weale, Chief Economist bei RWE, darauf, dass die Nachfrage nach Elektrizität laut regierungsamtlicher Statis- tik kontinuierlich zurückgehe und bei Gas sogar deutlich falle. Ein Trend, der auch in anderen EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien zu sehen sei. „Die zentrale Frage ist“, so Weale, „welchen Ener- giemix wir in 20 Jahren haben wollen, um die Klimaziele zu den günstigsten Kosten zu erreichen, und wie dieser finanziert wird.“ Differenzkontrakt ersetzt Quotensystem für erneuerbare Energien Auf der Suche nach einer Antwort hat die britische Regierung mit dem „Energy Act“ nun die Rahmengesetzgebung für die För- derung erneuerbarer Energien festgelegt. Der erste Schritt ist der Abschied von dem System der „Renewable Obligation“. Bisher waren die Energieversorger verpflichtet, Anteile ihres Stroms aus Erneuerbaren her- zustellen bzw. sich über Ersatzmaßnahmen und Zertifikatekauf von dieser Pflicht zu befreien. War der britische Energiesektor früher für Investoren interessant, haben sich die Rahmenbedin- gungen durch immer neue und komplexe Regulierungen verschlechtert Eisenhans | Fotolia.com Das neue Strommarktgesetz in Großbritannien Markus Rosenthal Zur Mitte der Legislaturperiode hat die britische Regierung ihrer Energiepolitik einen neuen Rahmen gegeben. Im Mittel- punkt der Energiemarktreform (ERM) des konservativ-liberalen Kabinetts unter David Cameron steht die Einführung eines Kapazitätsmarktes mit einem Auktionsmechanismus. Die britische Regierung erhofft sich, dass mit der Reform „130 Mrd. € an Investitionen ausgelöst werden und allein mehr als 250 000 Arbeitsplätze in der Energie- und Energieeffizienzwirtschaft neu entstehen“, sagte der liberaldemokratische Energieminister Edward Davey, als das Gesetz Ende Dezember 2013 be- schlossen wurde. Während es in den ersten Parlamentsberatungen zum „Energy Act“ 2012 noch um Fachfragen der Exper- ten ging, ist die Energiepolitik inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Das neue Strommarktgesetz in Großbritannien - Energiewirtschaftliche Tagesfragen - Februar 2014

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Der Artikel beleuchtet die Energiepolitik der britischen Regierung, insbesondere das neue Strommarktgesetz. Im Mittelpunkt der Energiemarktreform des konservativ-liberalen Kabinetts unter David Cameron steht die Einführung eines Kapazitätsmarktes mit einem Auktionsmechanismus. Der Artikel ist in der Zeitschrift Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Heft 1/2, 2014 erschienen. Autor ist Markus Rosenthal, Geschäftsführer von nuances public affairs, Berlin.

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Page 1: Das neue Strommarktgesetz in Großbritannien - Energiewirtschaftliche Tagesfragen - Februar 2014

INTERNATIONAL

120 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 1/2

Der beginnende Wahlkampf trägt seinen Teil dazu bei: In gut einem Jahr, im Mai 2015, wird im Vereinigten Königreich ein neues Parlament gewählt. Oppositionschef Ed Milliband von der Labourpartei kündig-te an, dass im Falle eines Wahlsieges sei-ner Partei die Energiepreise für 20 Monate eingefroren werden sollen. Zwar sind die britischen Energiepreise niedriger als der EU-Durchschnitt [1]. Jedoch haben sich die-se für Industrie und Bewohner allein im Jahr 2013 um rd. 10 % erhöht. Die Gründe hier-für sind gestiegene Großhandelspreise, aber auch zusätzliche Steuern sowie Gebühren für Einspeisevergütungen und Energieeffizi-enzmaßnahmen.

Die gewonnenen Mittel werden zudem teil-weise für die energetische Sanierung von Gebäuden eingesetzt. Zusätzlich wird über die Abgaben ein Heizkostenzuschuss für sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen finanziert. Allerdings steht aus Sicht der Re-gierung die Lenkungswirkung der Abgaben im Vordergrund: Der CO

2-Ausstoß soll belas-tet werden. Doch nach zahlreichen Protesten von Energieversorgern und Verbrauchern werden einige Öko-Abgaben nun gesenkt und sollen jedem Haushalt rd. 60 € pro Jahr an Einsparungen bringen.

Besteht eine Versorgungslücke im Winter 2015/2016?

Aus Sicht der Energie-Regulierungsbehörde OFGEM (Office of Gas and Electricity Mar-kets) besteht im Winter 2015/2016 das ers-te Mal die Gefahr einer Versorgungslücke bei der Stromversorgung. OFGEM schätzt, dass die verfügbaren Kapazitätsreserven im Stromnetz von heute 14 % auf 4 % sinken wer-den. Zahlreiche Kohle- und Gaskraftwerke entsprechen nicht der EU-Großfeuerungsan-

lagenrichtlinie und stoßen zu viel Schwefel-dioxid, Stickoxide und Staub aus. Spätestens bis zum 31.12.2015 müssen diese Kraftwer-ke laut den EU-Vorgaben abgeschaltet wer-den. Der Übertragungsnetzbetreiber Natio-nal Grid hat bereits vorgeschlagen, Geschäfte und Unternehmen am frühen Nachmittag zu schließen, um die Energienachfrage einzu-dämmen. Als Anreiz sollen die Unternehmen einen finanziellen Ausgleich erhalten.

Allerdings hinterfragen zahlreiche Markt-beobachter die These der Stromlücke. So verweist Graham Weale, Chief Economist bei RWE, darauf, dass die Nachfrage nach Elektrizität laut regierungsamtlicher Statis-tik kontinuierlich zurückgehe und bei Gas sogar deutlich falle. Ein Trend, der auch in anderen EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich und Italien zu sehen sei. „Die

zentrale Frage ist“, so Weale, „welchen Ener-giemix wir in 20 Jahren haben wollen, um die Klimaziele zu den günstigsten Kosten zu erreichen, und wie dieser finanziert wird.“

Differenzkontrakt ersetzt Quotensystem für erneuerbare Energien

Auf der Suche nach einer Antwort hat die britische Regierung mit dem „Energy Act“ nun die Rahmengesetzgebung für die För-derung erneuerbarer Energien festgelegt. Der erste Schritt ist der Abschied von dem System der „Renewable Obligation“. Bisher waren die Energieversorger verpflichtet, Anteile ihres Stroms aus Erneuerbaren her-zustellen bzw. sich über Ersatzmaßnahmen und Zertifikatekauf von dieser Pflicht zu befreien.

War der britische Energiesektor früher für Investoren interessant, haben sich die Rahmenbedin-gungen durch immer neue und komplexe Regulierungen verschlechtert Eisenhans | Fotolia.com

Das neue Strommarktgesetz in GroßbritannienMarkus Rosenthal

Zur Mitte der Legislaturperiode hat die britische Regierung ihrer Energiepolitik einen neuen Rahmen gegeben. Im Mittel-punkt der Energiemarktreform (ERM) des konservativ-liberalen Kabinetts unter David Cameron steht die Einführung eines Kapazitätsmarktes mit einem Auktionsmechanismus. Die britische Regierung erhofft sich, dass mit der Reform „130 Mrd. € an Investitionen ausgelöst werden und allein mehr als 250 000 Arbeitsplätze in der Energie- und Energieeffizienzwirtschaft neu entstehen“, sagte der liberaldemokratische Energieminister Edward Davey, als das Gesetz Ende Dezember 2013 be-schlossen wurde. Während es in den ersten Parlamentsberatungen zum „Energy Act“ 2012 noch um Fachfragen der Exper-ten ging, ist die Energiepolitik inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

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121ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 1/2

Das neue Instrument, um CO2-freie Techno-logien wie Erneuerbare und Kernkraft zu fördern, ist nun der Differenzkontrakt. Über einen Basispreis, den sog. strike price, soll sichergestellt werden, dass Energieerzeu-gern ein sicherer Abnahmepreis garantiert wird. Dieser Differenzkontrakt (im Engli-schen Contract for Difference, CfD) ist bei den Banken in der Londoner City ein erprob-tes Finanzinstrument, dessen Mechanismus nun ebenfalls im Elektrizitätsmarkt ange-wendet werden soll. Auf diese Art und Weise sollen die Stromerzeuger einen garantierten Abnahmepreis für ihre Energie erhalten.

Die Erzeuger müssen sich um einen Diffe-renzkontrakt im wettbewerblichen Verfah-ren bewerben. Bekommt ein Stromerzeuger den Zuschlag, erhält er somit das Recht, am Handel mit dem garantierten Abnahmepreis teilzunehmen. Vereinfacht funktioniert der Mechanismus wie folgt: Steigt der Strom-preis über den Basispreis, also den „strike price“, muss der Erzeuger den Differenzbe-trag übernehmen. Diesen Betrag zahlt er an das staatliche Unternehmen „CfD counter-party company“. Das neue Strommarktrecht sieht vor, dass zwischen den Stromerzeu-gern und den Versorgungsunternehmen die staatliche „CfD counterparty company“ geschaltet ist, die der direkten Weisungsbe-fugnis des Energieministers unterliegt. Sei-ne Aufgabe ist es, einen eigenen bilateralen Vertrag jeweils mit den Erzeugern und den Anbietern im Industrie- und Endkundenge-schäft herzustellen – mit dem Ziel, einen Preis zu erreichen, bei dem sich langfris-tige Investitionen in den Energiesektor lohnen.

Zahlreiche weitere Regulierungen sollen die Funktionsfähigkeit und Liquidität innerhalb dieses neuen Strommarktes absichern. Zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Artikels hatte die Regierung den Basispreis noch nicht festgelegt, aber eine Konsultation zum CfD-Mechanismus gestartet. Die Konsulta-tion endet am 17.2.2014. In den folgenden Monaten sollen auch die ersten Differenz-kontrakte auf den Markt kommen. Der „strike price“ wird dann für den Zeitraum von 2014–2018 vom Energieminister festge-legt. Die relevanten Informationen, die die politische Meinungsbildung zur Preisfin-dung beeinflussen, werden maßgeblich von den Übertragungsnetzbetreibern geliefert.

Zusätzlich wird zur Kontrolle der Preis-höhe und -funktion noch ein technisches Expertengremium eingesetzt, das aus Pro-jektfinanziers, Ökonomen und Ingenieuren besteht. Dieses Gremium soll direkt an den Energieminister berichten.

Aus Sicht der Energiewirtschaft hat das neue System trotz seiner Komplexität auch Vortei-le: Investments im Kraftwerksbau werden kalkulierbarer. Zudem wird verhindert, dass ein volatiler Großhandelspreis zu instabilen Marktbedingungen führen kann und bereits getätigte Investitionen entwertet.

Kapazitätsmarkt

Zum Jahreswechsel 2018/2019 plant die britische Regierung, einen funktionieren-den Kapazitätsmarkt mit einem Auktions-mechanismus etabliert zu haben. Durch die Neuerung sollen Investitionen in den Kraft-werkspark sich rechnen und Versorgungs-sicherheit garantiert werden.

Die Regierung plant trotz ihrer Ankündi-gung zum Kapazitätsmarkt dennoch über eine Studie prüfen zu lassen, welche Vortei-le das neue Marktdesign mit sich bringen könnte. Werden durch die Novellen die kli-mapolitischen Ziele erreicht, Versorgungs-sicherheit garantiert und die Bezahlbarkeit von Energie für Haushalte und Industrie sichergestellt? Es gibt kaum Zweifel daran, dass die verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsgremien dieses Vorgehen be-fürworten werden. Im nächsten Schritt wird das Energieministerium eine Auktion mit den Stromerzeugern durchführen. Können die Anbieter nachweisen, dass sie über die notwendige Erzeugungskapazität verfügen und zudem aufzeigen, dass sie das Nachfra-gemanagement, etwa durch Smart  Meter-ing, beherrschen, haben sie gute Chancen, erfolgreich an der Auktion teilzunehmen. Insbesondere der Bereich Smart  Metering verspricht hier interessante Zukunftsper-spektiven. Die Kosten für die zusätzliche Kapazität soll von den Energieanbietern im

TätigkeitsbereichEines der größten Probleme bei der Entwicklung der nigerianischen Wirtschaft ist die seit Jahrzehnten völlig unzureichende Stromversorgung. Das erklärte Ziel der neuen Regierung ist es, mit einem Bündel von Maßnah-men diesem Missstand zu begegnen. Strukturen sollen überprüft, effizienter gestaltet oder neu geschaffen werden. Das großvolumige GIZ-Vorhaben „Energiepolitikberatung in Nigeria“ im Auftrag des BMZ ist für die deutsch-nigerianische Energiepartnerschaft von hoher politischer Bedeutung.

Ihre AufgabenAls Leiter/in sind Sie verantwortlich für die fachliche Beratung des Energieministeriums, der Energieregulierungs-behörde sowie weiterer Institutionen und Behörden bei der Einführung förderlicher Rahmenbedingungen für Erneuerbare Energien. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst unter anderem die Steuerung der fachlichen, organisatorischen und inhaltlichen Durchführung der Projektkomponente, die Beratung bei der Erstellung und Implementierung von Strategien und Förderprogrammen als auch die Unterstützung beim Aufbau institutioneller Kapazitäten und Strukturen für Erneuerbare Energien im Energieministerium sowie in der Regulierungsbehörde.

Ihr ProfilSie sind Fachexperte/in für Erneuerbare Energien, insbesondere in den Bereichen Photovoltaik (PV), Wasserkraft oder Biomasse. Sie kennen sich im Bereich der Privatisierung des Stromsektors sowie mit Energieplanung, Strom-preisbildung, Netzbetrieb und Systemmanagement gut aus. Strategieentwicklung und Implementierung von Förderprogrammen für Erneuerbare Energien sind Ihnen bestens bekannt. Interkulturelle Umsicht in der Beratung anspruchsvoller Partner ist Teil Ihres Erfolgsrezepts.

Haben wir Ihr Interesse geweckt, dann freuen wir uns auf Ihre Bewerbung über unseren Online-Stellenmarkt: www.giz.de/jobs. Job ID: 15402

www.giz.de

Leiter (m/w) der Komponente Erneuerbare Energien Abuja, Nigeria

ARBEITGEBER

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122 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 64. Jg. (2014) Heft 1/2

Industrie- und Endkundengeschäft – und somit letztlich vom Kunden – bezahlt wer-den.

Aus Sicht von Graham Weale, Chief Econo-mist bei RWE, bilden sowohl der Kapazi-tätsmarkt als auch das Instrument des Dif-ferenzkontraktes interessante Perspektiven. Gleichwohl weist er darauf hin, dass der Energieminister über den Energy Act erheb-liche Eingriffsmöglichkeiten erhalte. Dies wurde auch in den parlamentarischen Be-ratungen im House of Lords moniert und in Teilen geändert. Weale verweist auf Spanien, wo aus Kostengründen der zuständige Mi-nister innerhalb einer sehr kurzen Zeit die Förderung erneuerbarer Energien herunter-gefahren habe. Solche Entwicklungen in an-deren europäischen Staaten werden auch in der britischen Energiewirtschaft sehr genau wahrgenommen: Verlässlichkeit ist entschei-dend für Investitionen in die Zukunft.

Eine neue CO2-Steuer – carbon floor price

Einen weitreichenden energiepolitischen Ein-griff haben die britische Industrie und Ener-giewirtschaft bereits durch die Einführung des „carbon floor price“ in 2013 verarbeiten müssen. Diese CO2-Steuer auf fossile Ener-gieträger verfolgt das Ziel, Investitionen in treibhausgasarme und freie Energieträger abzusichern. Damit reflektiert die Steuer die Überlegungen des Ökonomen Nicolas Stern, dass ein „Laissez-faire“ bei den Treibhaus-gasemissionen hohe gesellschaftliche Kosten nach sich zieht. Die Thesen des Stern-Re-ports [2] haben einen breiten Widerhall in den Medien und ebenso in der Politik gefunden.

Der Referenzpreis für diese Steuer entsteht im Europäischen Emissionszertifikatehan-del. Dabei geht der britische Gesetzgeber davon aus, dass der durchschnittliche Preis eines Zertifikates für 1 t CO

2 bei rd. 17 € liegt. Aktuell bewegt sich dieser Wert bei rd. 5 €. Der „carbon floor price“ wird zwei Jahre im Voraus von der britischen Regierung festge-legt. Für das Jahr 2014 beträgt dieser 11,37 € (9,55 ₤), für das Jahr 2015 21,53 € (18,08 ₤).

Kritiker monieren die Festlegung des Preises durch die Politik, da so die britische Wirtschaft von den Preissignalen des EU-Zertifikateprei-ses abgeschirmt werde, welcher sich tagesak-

tuell ändert. Die Berechnung des „carbon floor price“ basiert somit auf Hochrechnungen und wird politisch für mehrere Jahre festgelegt.

Zwar soll die Steuer bei einem steigenden Zertifikatpreis sinken und sich bei einem niedrigen Zertifikatepreis erhöhen. Doch schon heute hat die Regierung den „carbon floor price“ für die Jahre 2016 und 2017 höher angesetzt (25,25  € bzw. 29,32  €), da sie davon ausgeht, dass sich der EU-Zerti-fikatepreis weiterhin auf niedrigem Preis-niveau befinden wird – und dies trotz der Backloading-Entscheidung des Europäischen Parlamentes. Ab 2016 greift die neue Steu-er voll beim Energieträger Kohle, der dann zu erheblich geringeren Margen verstromt werden wird. Der größte Wirtschaftsverband Großbritanniens hat unter Leitung seines Ge-neraldirektors John Cridland die Einführung des „carbon floor price“ deutlich kritisiert. Aus seiner Sicht wird die britische Industrie in ihrer Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu anderen EU-Staaten stark benachteiligt.

Energiewirtschaftliche Rahmen-bedingungen im Strommarkt

Obwohl die Regierung eine kohlenstoffarme Wirtschaft erreichen will, hat die Bedeu-tung von Kohle für die Stromproduktion zu-genommen. 2011 wurden 30 % des Stroms mit Kohle hergestellt; 2012 waren es 42,8 %, während der Anteil von Gas von 40  % auf 30  % zurückgegangen ist. Die Kernenergie liefert rd. 20 % der Elektrizität, Wind 2,1 % und Solar 0,32 %. Über 43 % der Energieträ-ger werden importiert, und der CO

2-Ausstoß ist im Jahr 2012 um 3,5 % gestiegen.

Kernkraft

Kernkraft ist ein weiterer Teil der britischen Klimaschutzstrategie, um Treibhausgasemis-sionen und die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu reduzieren. Dafür soll das „Hinkley Point C“-Kraftwerk in Somerset durch den französischen Staatskonzern EDF Energy gebaut werden. Im Oktober 2013 ei-nigten sich die britische Regierung und EDF auf einen festen Abnahmepreis von 110,10 € für jede MWh – gültig für 35 Jahre. Dies ist doppelt so hoch wie der aktuelle Elektrizi-tätspreis. Sollte EDF ein zweites Atomkraft-werk bei Sizewell in Suffolk bauen, würde der Preis auf 106,60 €/MWh fallen. Kritiker

bezeichnen diese Form der Finanzierung als Subvention, was ursprünglich von der Regie-rungskoalition ausgeschlossen wurde.

Durch den Zubau von Nuklearkapazitäten er-hofft sich die Regierungskoalition von Premi-erminister Cameron sinkende Energiepreise. Die endgültige Zusage von EDF und der Chi-na General Power Group für dieses Projekt hängt u.  a. von der Entscheidung der EU-Kommission ab, welche aktuell prüft, ob der vereinbarte Abnahmepreis nicht einer un-rechtmäßigen staatlichen Beihilfe entspricht und damit gegen das Wettbewerbsrecht ver-stößt. EU-Energiekommissar Günther Oettin-ger sagte dazu, dass hier die lange Frist von 35 Jahren ein Problem darstellen könnte.

Kohle

Die Renaissance der Kohle speist sich aus zwei Entwicklungen. Zum einen ist der Preis für Treibhausgas-Zertifikate günstig. Zum anderen kann die Importkohle wegen des Frackings in den USA zu Niedrigpreisen eingekauft werden. Gleichzeitig bleibt die heimische Förderung von Kohle zu teuer. „UK Coal“, der größte Kohleproduzent auf der Insel, ging im Sommer 2013 in die In-solvenz. Während die Margen bei der Gas-verstromung bei rd. 6,5 €/MWh liegen, liegt sie bei Kohle aktuell bei 28 €/MWh, schreibt die Financial Times.

Allerdings rechnen Energiewirtschaft und Politik mit einer Drehung dieser Anteile ab 2016. Dann greift die EU-Großfeuerungsan-lagenrichtlinie. Sollte die britische Regie-rung bis dahin keine europarechtskonforme Übergangsregelung finden, müssen meh-rere Altanlagen außer Betrieb genommen werden. Gleichzeitig wird die „carbon floor“-Steuer ab 2016 voll für Kohle greifen.

Schiefergas

Im Gegensatz zur Kernenergie, für die es ei-nen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, stößt das Thema Schiefergas auf eine erheb-lich skeptischere britische Öffentlichkeit. Bei der Meinungsbildung haben sich die beiden größten britischen Unternehmen in diesem Bereich, BP und Shell, zurückgehalten. Si-mon Henry, Chief Financial Officer, kündigte im April dieses Jahres an, dass Shell seine Prioritäten in anderen Regionen sehe.

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Eine Studie des British Geological Survey geht von einem Schiefergas-Aufkommen von bis zu 62 Mrd. m3 aus. Davon sei nach aktuellem Stand der Technik bis zu 20  % wirtschaftlich zu erschließen. Die britische Regierung möchte die heimische Schie-fergasindustrie ausbauen. So versprach Schatzkanzler George Osborne im März 2013 Steuervergünstigungen für Fracking.

LNG und Erdgas

Seit 2004 ist Großbritannien Nettoimpor-teur von Erdgas und seit 2005 von Erdöl. Im Jahr 2012 kamen die Gas-Importe zu 55 % aus Norwegen, zu 27 % aus Katar und zu 15 % aus den Niederlanden. Von den ge-samten Gas-Importen entfielen 28 % auf die Einfuhr von LNG – dies zu 98 % aus Katar. 50 % der Rohöl-Importe werden von Norwe-gen bezogen, es folgenden Nigeria mit 12 %, Russland mit 11 % und Algerien mit 6 %. Im Laufe des Jahres 2013 sind sowohl die briti-sche Öl- als auch Gasproduktion weiterhin stark gefallen. Damit wird der Import von Gas, insbesondere von LNG, eine immer größere Bedeutung einnehmen.

Der „Green Deal“

Neben dem Strommarkt spielt der Wärme-markt mit 46  % Energieverbrauch und gut 30 % Treibhausgasemissionen eine zentrale Rolle. Die britische Regierung hat mit dem Green Deal seit Anfang 2013 ein Fördersys-tem etabliert, das die energetische Gebäude-sanierung voranbringen soll. Hausbesitzer können einen Green Deal-Kredit bei einem Anbieter aufnehmen. Dies sind entweder spezialisierte Finanzierungsunternehmen oder Energieversorger wie British Gas oder EDF. Über die Strom- und Gasrechnung wird dieser Kredit dann getilgt. Allerdings ha-ben bis Ende 2013 nur rd. 500 von 14 Mio. Haushalten eine Green Deal-Finanzierung beantragt. Regierungsvertreter erklären das geringe Interesse unter anderem mit dem aktuell niedrigen Zinsniveau.

Sonderfall Schottland

Am 18.9.2014 wird in Schottland eine Volks-abstimmung zur Unabhängigkeit vom Verei-nigten Königreich abgehalten, Energiefragen spielen dabei eine zentrale Rolle. Die Kern-energie erfährt bei den Schotten weniger

Unterstützung als in den anderen Regionen Großbritanniens. Gleichzeitig verfügt das Land über reiche Öl- und Gasvorkommen und eine starke Offshore-Windindustrie, in die auch zahlreiche deutsche Stadtwerke in-vestiert haben.

Die schottische Regierung mit Sitz in Edin-burgh erhofft sich durch die politische Unabhängigkeit auch Energieautarkie. Zu-sätzlich will sie einen Staatsfonds nach norwegischem Vorbild einrichten, der sich aus den Energie- bzw. Energiesteuereinnah-men finanzieren soll. Allerdings plant der schottische Ministerpräsident Alex Salmond (Schottische Unabhängigkeitspartei, SNP) ab spätestens 2020 den gesamten Energiebedarf aus erneuerbaren Energien zu decken. Stim-men die Schotten mehrheitlich für eine Un-abhängigkeit, würde aber eine Energiepart-nerschaft mit der britischen Regierung sofort greifen. Dann würde der „Energy Act“ und somit der Kapazitätsmarkt auch in einem un-abhängigen Schottland gelten.

Ausblick: Energiepreise im Mit-telpunkt der politischen Debatte

Mit der Ankündigung des Oppositionsfüh-rers Ed Miliband, im Falle eines Labour-Wahlsieges die Energiepreise für 20 Monate einzufrieren, ist das Thema Energiepreise auf die politische Tagesordnung gekommen. Premierminister David Cameron hat auf

diese Debatte rasch reagiert, indem er die Energieeffizienzumlage auf den Energie-preis reduziert hat.

Die öffentlichkeitswirksamen Reden und Ge-genreden sowie symbolischen Handlungen überlagern aber die strukturellen Herausfor-derungen der britischen Energiewirtschaft. War der britische Energiesektor früher für In-vestoren interessant, haben sich die Rahmen-bedingungen durch immer neue und komple-xe Regulierungen weniger positiv entwickelt. Dies gilt sowohl für die Energieproduktions-seite wie auch für den Bereich Energieeffizi-enz und dort insbesondere für die energeti-sche Gebäudesanierung. Dennoch lässt sich festhalten, dass das Land dem Ziel einer CO

2-freien Energiewirtschaft inzwischen erheb-lich näher gekommen ist. Insbesondere im Bereich Smart Metering ist Großbritannien auf einem interesssanten Weg.

Anmerkungen

[1] Die Mitteilung der Finanzbehörde zum carbon

floor price findet sich im Internet: https://www.gov.

uk/government/uploads/system/uploads/attachment_

data/file/179259/carbon_price_floor.pdf.pdf

[2] Stern, N.: The Economics of Climate Change. The

Stern Review, Cambridge 2007.

M. Rosenthal, Geschäftsführer, nuances pu-blic affairs, [email protected]

Smart Renewables 2014

Der Umbau der deutschen Energieversorgung schreitet voran. Mit zunehmendem Anteil erneu-erbarer Energien am Strommix wachsen auch die Herausforderungen. Jetzt kommt es darauf an, den Rollentausch von einer auf konventionellen Energieträgern hin zu einer auf Erneuerbaren ba-sierenden Energieversorgung zu vollziehen. Das bedeutet: Zukünftig müssen die Erneuerbaren für eine bezahlbare und sichere Energieversorgung sorgen. Wie das gelingen kann und an welchen Stellschrauben jetzt gedreht werden muss – diese und andere Fragen wird auf der Smart Renew-ables 2014 vom 25.-26.2.2014 in Berlin diskutiert. Unter dem Motto lautet „Rollentausch: Wie können die Erneuerbaren Energien die Energieversorgung sicherstellen?“ werden folgende Fragen im Mittelpunkt stehen:

Wie kann ein Zielmodell zur Förderung der erneuerbaren Energien aussehen? Welche Voraussetzungen müssen für eine Systemstabilität erfüllt werden? Wo ergeben sich im Zusammenhang mit dem Ausbau der Erneuerbaren neue Geschäftsfelder? Wie wird die Europakompatibilität der Förderung sichergestellt?

Weitere Information und Anmeldung zur BDEW-Leitveranstaltung Smart Renewables 2014 unter: www.smart-renewables.de