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03/2013 | PRAXIS 43 Werbeforschung & Praxis transfer transfer Service 2.0 im Handel: Die Herausforderungen der heutigen Service- Kultur und wie Retailer damit umgehen Kundendienst ist Anforderung und zugleich Erfolgsfaktor der heutigen Service- und Beschwerdekultur geworden. Speziell Handelsunternehmen sind gefordert, auf vielen verschiedenen Kanälen online und stationär ihren Konsumenten, Kundinnen und Kunden einen umfangreichen Service bieten zu müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben (Ramge/Brand Eins 2013, Berger 2013). Ziel die- ses Artikels ist es, die Herausforderungen in puncto Service im Allgemeinen und „Service 2.0“ im Speziellen herauszustreichen und anhand von Case Studies aus der Praxis zu zeigen, wie Händler mit den Herausforderungen umgehen. Die These ist, dass Handelsunternehmen desto besser und schneller mit den Anforderungen umgehen können, je vernetzter sie intern sind und je weiter sie sich in Richtung Social Business (Li et.al. 2013) entwickelt haben. Experteninterviews mit vier Social Media-Managern deutschsprachiger Handelsunternehmen zeigen Bedeutung und Herangehensweise für erfolgrei- chen Service 2.0. Schlagworte: Service 2.0 Retail Multichannel Kundenzufriedenheit Prozesse Kundenservice Social Media 1. Service in der heutigen Gesellschaft Als Kundendienst oder -service (bzw. customer service, customer care) versteht man laut Gabler “Dienste eines Herstellers oder Händlers, die er seinen Abnehmern vor dem Kauf (Pre-Sales-Service), kaufbegleitend (episodenbe- gleitende Dienstleistungen) oder nach dem Kauf (After- Sales-Service) erbringt“. Primäres Ziel und Absicht von Kundenservice seien primär die langfristige Bindung des Kunden an das Unternehmen. Daraus abgeleitet entstehen Transfereffekte wie (digitale) Reputation und Markenbild des Unternehmens (Gaber o.J.), aber auch Skaleneffekte durch Peer-to-Peer-Kommunikation in Form von Empfehlungen. Darüber haben Unternehmen die Chance von Kunden-Feedback und Verbraucher-Insights zu profi- tieren. Servicekultur Vor allem im Handelsmarketing spielt der Kundenservice eine große Rolle (IfH o.J.). Von der Beratung vor dem Kauf (Verfügbarkeit!), über Liefer-, Montage- oder Anleitungs- Mag. (FH) Eva Eckenhofer, Ph.D. Digital Consultant, vi Knallgrau [email protected] transfer Werbeforschung & Praxis, 59 (3), 43-53 service bis hin zum Umtausch nach dem Kauf erwarten Kunden unkomplizierten und vor allem raschen Service (DiSQ o.J.). Im Online-Handel sind Bezahl- und Liefer- optionen, Einbettung von Kundenrezensionen und Zertifi- katen sowie umfangreiche, bequeme und im Idealfall kos- tenlose Lieferoptionen wichtige Service-Standards (Hell 2012, Initiative D21 2012, bvh 2012). Konsumenten fordern Service, um einerseits „economy of time“ zu generieren und sich so in ihrer Alltagsgestaltung Zeit zu ersparen und um andererseits mit Hilfe von „conve- nience service“ die Koordination von Arbeit, Freizeit und Familie zu vereinfachen (bvh 2012). Einen solchen Service bietet zum Beispiel das österreichische Unternehmen „Kochabo“, welches seine Kunden Abonnements von fri- schen Lebensmitteln und dazugehörigen Rezepten nach Hause liefert (Kochabo o.J.). Diese Trends stellen einen Gegenstrom zum „self service“ dar, welcher wiederum Flexibilität, Unabhängigkeit und Zeitersparnis bezweckt (bvh, 2012). Wie wichtig dem Konsumenten Service ist, zeigt die aktuel- le Studie des E-Commerce-Center Köln (ECC 2013), die

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Kundendienst ist Anforderung und zugleich Erfolgsfaktor der heutigen Service- und Beschwerdekultur geworden. Speziell Handelsunternehmen sind gefordert, auf vielen verschiedenen Kanälen online und stationär ihren Konsumenten, Kundinnen und Kunden einen umfangreichen Service bieten zu müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben (Ramge/Brand Eins 2013, Berger 2013). Ziel die- ses Artikels ist es, die Herausforderungen in puncto Service im Allgemeinen und „Service 2.0“ im Speziellen herauszustreichen und anhand von Case Studies aus der Praxis zu zeigen, wie Händler mit den Herausforderungen umgehen. Die These ist, dass Handelsunternehmen desto besser und schneller mit den Anforderungen umgehen können, je vernetzter sie intern sind und je weiter sie sich in Richtung Social Business (Li et.al. 2013) entwickelt haben. Experteninterviews mit vier Social Media-Managern deutschsprachiger Handelsunternehmen zeigen Bedeutung und Herangehensweise für erfolgrei- chen Service 2.0.

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03/2013 | PRAXIS 43Werbeforschung & Praxistransfertransfer

Service 2.0 im Handel: Die Herausforderungen der heutigen Service-Kultur und wie Retailer damit umgehen

Kundendienst ist Anforderung und zugleich Erfolgsfaktor der heutigen Service- und Beschwerdekultur geworden. Speziell Handelsunternehmen sind gefordert, auf vielen verschiedenen Kanälen online und stationär ihren Konsumenten, Kundinnen und Kunden einen umfangreichen Service bieten zu müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben (Ramge/Brand Eins 2013, Berger 2013). Ziel die-ses Artikels ist es, die Herausforderungen in puncto Service im Allgemeinen und „Service 2.0“ im Speziellen herauszustreichen und anhand von Case Studies aus der Praxis zu zeigen, wie Händler mit den Herausforderungen umgehen. Die These ist, dass Handelsunternehmen desto besser und schneller mit den Anforderungen umgehen können, je vernetzter sie intern sind und je weiter sie sich in Richtung Social Business (Li et.al. 2013) entwickelt haben. Experteninterviews mit vier Social Media-Managern deutschsprachiger Handelsunternehmen zeigen Bedeutung und Herangehensweise für erfolgrei-chen Service 2.0.

Schlagworte: ! Service 2.0 ! Retail ! Multichannel ! Kundenzufriedenheit ! Prozesse ! Kundenservice ! Social Media

1. Service in der heutigen Gesellschaft

Als Kundendienst oder -service (bzw. customer service, customer care) versteht man laut Gabler “Dienste eines Herstellers oder Händlers, die er seinen Abnehmern vor dem Kauf (Pre-Sales-Service), kaufbegleitend (episodenbe-gleitende Dienstleistungen) oder nach dem Kauf (After-Sales-Service) erbringt“. Primäres Ziel und Absicht von Kundenservice seien primär die langfristige Bindung des Kunden an das Unternehmen. Daraus abgeleitet entstehen Transfereffekte wie (digitale) Reputation und Markenbild des Unternehmens (Gaber o.J.), aber auch Skaleneffekte durch Peer-to-Peer-Kommunikation in Form von Empfehlungen. Darüber haben Unternehmen die Chance von Kunden-Feedback und Verbraucher-Insights zu profi-tieren.

Servicekultur

Vor allem im Handelsmarketing spielt der Kundenservice eine große Rolle (IfH o.J.). Von der Beratung vor dem Kauf (Verfügbarkeit!), über Liefer-, Montage- oder Anleitungs-

Mag. (FH) Eva Eckenhofer, Ph.D.

Digital Consultant, vi Knallgrau

" [email protected]

transfer Werbeforschung & Praxis, 59 (3), 43-53

service bis hin zum Umtausch nach dem Kauf erwarten Kunden unkomplizierten und vor allem raschen Service (DiSQ o.J.). Im Online-Handel sind Bezahl- und Liefer-optionen, Einbettung von Kundenrezensionen und Zertifi-katen sowie umfangreiche, bequeme und im Idealfall kos-tenlose Lieferoptionen wichtige Service-Standards (Hell 2012, Initiative D21 2012, bvh 2012).

Konsumenten fordern Service, um einerseits „economy of time“ zu generieren und sich so in ihrer Alltagsgestaltung Zeit zu ersparen und um andererseits mit Hilfe von „conve-nience service“ die Koordination von Arbeit, Freizeit und Familie zu vereinfachen (bvh 2012). Einen solchen Service bietet zum Beispiel das österreichische Unternehmen „Kochabo“, welches seine Kunden Abonnements von fri-schen Lebensmitteln und dazugehörigen Rezepten nach Hause liefert (Kochabo o.J.). Diese Trends stellen einen Gegenstrom zum „self service“ dar, welcher wiederum Flexibilität, Unabhängigkeit und Zeitersparnis bezweckt (bvh, 2012).

Wie wichtig dem Konsumenten Service ist, zeigt die aktuel-le Studie des E-Commerce-Center Köln (ECC 2013), die

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Abstract

Customer service is a crucial requirement and factor of success in today’s culture of service and complaint. In order to retain their competitiveness retailers must at all times provide services for customers, clients, and pros-pects alike through a multitude of different channels. This article aims at pointing out some specific challenges in creating general customer service strategies as well as implementing social media support. It is assumed that the more retailers are internally cross-linked and evolved in direction of a ‘social business’ (Li et.al. 2013) the better and quicker they can handle customer requests to a mutu-ally satisfactory result. Four expert interviews with social media managers of German speaking retail firms are ren-dered to show the importance of today’s Service 2.0 and to follow its different stages to eventual success.

besagt, dass 70% der österreichischen und 69% der deut-schen Konsumenten Wert auf gute Serviceleistungen beim Online-Shopping legen. Eine Studie von Verint zeigt zudem, dass dem Großteil der Konsumenten Service wich-tiger ist als der Preis. Lediglich 15% gaben an, dass ihnen der Preis wichtiger ist als Service (Verint 2012). Doch der erwartete Service wird nicht immer geboten, denn laut Verint sind nur 51% der deutschen Konsumenten mit dem Kundenservice jeglicher Form zufrieden. Laut Studie berichtet jeder dritte Befragte von unhöflichen oder wenig hilfsbereiten Mitarbeitern stationär, wie auch in Service-Hotlines. Jeder Vierte von Fehlern bei Lieferung und Versand, und jeder siebte Befragte ist der Meinung, dass die Bearbeitung von Anfragen zu lange dauere. So seien die Wartezeiten in Telefon-Hotlines bei Telekommunikation, Kabel- und Breitbandanbietern im Schnitt 4,3 Minuten lang. Dementsprechend erklärten sich nur 50% der Kundinnen und Kunden mit dem Service zufrieden. Im Handel dagegen beträgt die durchschnittliche Wartezeit 1,8

Minuten, hier sind 77% mit dem Service zufrieden. Daraus lässt sich ableiten, dass die Geschwindigkeit ein wichtiger Erfolgsfaktor in Bezug auf Service ist. Eine Implikation, die mit dem Vorgehen des Deutschen Instituts für Servicequalität einher geht, welches in seinen Studien den Faktor Geschwindigkeit für die Kanäle Telefon, Filiale und E-Mail neben Kompetenz und Kommunikationsqualität analysierte (DiSQ o.J.).

Beschwerdekultur

Mit der Etablierung der sozialen Netzwerke (Social Media) wie Facebook, Twitter und YouTube sind zu den bisherigen Kundenservice-Kontaktpunkten zusätzliche Service-Kontaktpunkte gekommen. Auch in sozialen Netzwerken wird Service in Form von Beratung und Beantwortung von Fragen gefordert und daher auch geboten. Hier gibt es ver-schiedene Spielarten, denn Kundenservice kann nicht nur zwischen Unternehmen und Kunden ablaufen, wie etwa bei der deutschen Telekom (https://feedback.telekom-hilft.de/) , sondern auch nach dem Prinzip „Kunden helfen Kunden“ wie etwa im Fall von A1 (http://www.a1community.net/), Dies wird allgemein unter dem Begriff „Service 2.0“ zusammengefasst. Laut Rollason von USM haben sich bereits 62% der Konsumenten an soziale Netzwerke gewandt, um ein Customer Service Issue zu platzieren (Rollason 2012).

Dies geht mit dem Trend einher, der „Youmocracy“ genannt wird und den Einfluss der Netzgemeinschaft in sämtlichen Punkten der Wertschöpfungskette von Produkten und Dienstleistungen darstellt (bvh 2012). In Blogs, Foren, sozi-alen Netzwerken und anderen Plattformen engagieren sich Konsumenten als „Prosumer“, um Produkte weiterzuentwi-ckeln, damit sie ihren Ansprüchen gerecht werden (bvh 2012). Damit ist es zum Selbstverständnis für Konsumenten und User geworden, sich zu beschweren und Service-leistungen bzw. Produktadaptierungen zu fordern.

Dabei ist seitens der Retailer neben der Kompetenz und Kommunikationsqualität die Reaktionszeit ein noch kriti-scherer Faktor als auf den traditionellen Kanälen. Hier wer-den Antworten noch am selben Tag (zu Geschäftszeiten) erwartet, im Fall von großen Konzernen und Dienstleistern meist sogar innerhalb von vier Stunden während Geschäfts-

Tab. 1: Socially Devoted Deutschland (Q1/2013): socialbakers.com

Marke Fan-Anzahl Antwortzeit AntwortrateDB Bahn 222.379 71 Minuten 93,85%

Telekom-hilft 37.991 227 Minuten 94,79%

DM-drogerie markt Deutschland 1.157076 154 Minuten 82,69%

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zeiten (Hutter 2012). Laut „Zendesk“ bestehen die Erfolgskriterien, um Kunden zufrieden zu stellen, darin, rasch Antworten zu geben, generell dort verfügbar zu sein, wo die Kunden sich bewegen, und Kunden die Möglichkeit zur Selbsthilfe zu geben (Zendesk 2012). Wie professionell Unternehmen dies auf Facebook tun, wird von der Agentur Social Bakers in Form der „Social Devoted“-Statistik für verschiedene Branchen regelmäßig ausgewertet (Social Bakers 2013). Der Testsieger der aktuellsten Auswertung für „Service 2.0“ auf Facebook in Deutschland ist die Deutsche Bahn, gefolgt von der Deutschen Telekom und DM Deutschland (siehe ! Tabelle 1).

Im ersten Quartal 2013 beantwortete die Deutsche Bahn 94% aller Anfragen innerhalb von 71 Minuten bei einer Fanbasis von über 200.000 Fans. Die Deutsche Telekom beantwortete 95% aller Anfragen, im Schnitt in 3,5 Stunden

bei einer wesentlich geringeren Fanbasis von 38.000 Fans. Der deutsche Drogeriekonzern DM beantwortete 83% aller Anfragen in nur 2,5 Stunden bei einer Fanbasis von über einer Million Fans. Bemerkenswert ist, dass Fans von DM im Verhältnis zur Fanbasisgröße deutlich weniger Anfragen geschickt haben als Fans der Deutschen Telekom (siehe ! Tabelle 1).

! Tabelle 2 zeigt die führenden österreichischen Retailer auf Facebook in Bezug auf Antwortzeit und -rate. Im Vergleich zu den deutschen Marken (! Tabelle 1) sind sowohl Fan-Anzahl, als auch Antwortzeit und –rate geringer. Tabellenführend ist der Sportfachhändler Sport Eybl (siehe Case 2) mit über 48.000 Fans und einer Antwortrate von 72%. Hier ist zu sagen, dass in dieser Studie sämtliche Posts ausgewertet wurden, nicht nur User-Anfragen. In Bezug auf Anfragen erreichten alle drei Retailer 100%.

Abb. 1: Kanäle zur Beobachtung von online experience: econsultancy.com

Tab. 2: Socially Devoted Retail-Seiten Österreichs (Q1/2013): spinnwerk.at

Marke Fan-Anzahl Antwortzeit AntwortrateSport Eybl 48.339 1199 Minuten 72,22%

XXXLutz Österreich 28.391 884 Minuten 89,09%

KIKA 14.491 1404 Minuten 80%

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Generell teilen in Deutschland 30% der Konsumenten im Alter von 25-34 Jahren in sozialen Netzwerken sowohl ihre positiven als auch ihre negativen Erfahrungen mit, während es in den USA 48% sind (Verint 2012). Hier stellt Facebook den primären Beschwerde-Kanal dar. Lediglich 3% nutzen YouTube zur Beschwerde, während 5% ihre Beschwerden auf Blogs platzieren und 18% auf die Facebook Wall posten.

Dass „Service 2.0“ nicht nur großen Einfluss auf die Kundenzufriedenheit, sondern darüber hinaus auf den Unternehmenserfolg hat, zeigt die Tatsache, dass 60% der Unternehmen laut USM durch Kundenservice über die Social Media ihre Umsätze steigern konnten (Rollason 2012).

2. Die Theorie: Optimierung „Service 2.0“

„Noch nie kannten Händler ihre Kunden so gut wie heute. Und noch nie war ihr Verhältnis zu ihnen so schlecht,“ fasst Mischa Täubner / Brand Eins (2013) die aktuelle Situation treffend zusammen. Denn dass der Kundenservice trotz der umfassenden Möglichkeiten, die es gäbe, nicht zufrieden-stellend geboten wird, zeigen viele Studien und Analysen (Drumbi 2012, econsultancy 2013, brandwatch 2012). In der Studie „Reducing Customer Struggle“ untersuchte die Agentur „econsultancy“ (2012) die Initiativen von Händlern zur Verbesserung des Kundenservices. Es zeigte

sich, dass vielfältige Kanäle zum Kundenservice geboten werden und sich der Tracking-Anspruch von „was passiert“ hin zu „warum passiert etwas“ geändert hat. ! Abbildung 1 zeigt, welche Kanäle eingesetzt werden, um auf negative Kundenerfahrungen aufmerksam zu werden.

Doch mit der Beobachtung allein ist es nicht getan, denn dies ist lediglich der erste Evolutionsschritt in Richtung „Social Business“, wie es Lin et al. (2013) in ihrer Studie „The Evolution of Social Business“ dargestellt haben. Was ist jedoch unter dem Begriff „Social Business“ zu verste-hen? Zu einem „Social Business“ werden jene Unter neh-men, die Social Media strategisch in alle Unternehmens-aspekte integriert haben, vom Vertrieb/Verkauf, über Marketing, Kommunikation, Produktentwick lung, HR bis hin zur Buchhaltung (Brynley-Jones 2013) (! Abbildung 2).

Aus Ergebnissen der Unternehmens- und Netzwerk-forschung, die klar belegen, dass die Dichte sozialer Kommunikationsbeziehungen innerhalb von Unternehmen positiven Einfluss auf Kommunikation, Unternehmens-kultur und -erfolg hat, ist abzuleiten, dass mit der internen Vernetzung, die Kommunikationsqualität und -geschwin-digkeit zunimmt (Eckenhofer/Ershova 2011, Eckenhofer 2011) und so unter anderem schneller und besser auf Useranfragen über Social Media reagiert werden kann, wodurch die Qualität des „Service 2.0“ zunimmt. Eine

Abb. 2: Unternehmensaspekte mit Social Media Beteiligung: Altimeter

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Einbindung und Anbindung von Service 2.0 an klassische Customer-Relationship-Management-Systeme und -Prozes-se ist hier ein logischer nächster Schritt.

Die sechs Schritte in Richtung „Social Business“ sind in ! Tabelle 3 dargestellt und reichen von „Planning“, „Presence“, „Engagement“, „Formalized“ und „Strategic“

bis hin zu „Converged“. Während im ersten Schritt die Kommu nikation der Konsumenten auf Social Media nur beobachtet wird, wird im nächsten Schritt bereits Stellung bezogen, und erste Marketing-Aktionen werden gestartet. In der dritten Phase wird dann der Kunden-Service einge-bunden und ein Social Media-Team etabliert. Darauf wiede-rum folgt eine strategische Verankerung von Social Media

Tab. 3: Social Evolution Modell der Alitmeter-Group : Lin et al. (2013)

Modell Motto Ziel Organisation

Planning Zuhören & Lernen Verstehen wie Kunden Social Media verwenden.

Monitoring Plattform, Teilzeitkraft

Presence Stellung Beziehen Marketing Aktionen ausweiten, Sharing ist erwünscht (intern).

Social Media-Manager

Engagement Im Dialog mit den Kunden Direkter Kunden-Service, Einbindung von Mitarbeitern.

Social Media Strategie Team

Formalized Social Media ist strategisch verankert

Governance ist aufgesetzt, Prozesse sind etabliert, strategische Ziele fixiert

Centre of Excellence betreut Social Media

Strategic Social Media ist Teil unseres Unternehmens

Sämtliche Abteilungen (HR, Sales, Finance,…) sind beteiligt.

Centre Of Excellence koordiniert als Hub verschiedene Abteilungen

Converged Wir sind ein „soziales“ Unternehmen

Social Media führt zur Transformation des Unternehmens und ist Aspekt sämtlicher Unternehmensprozesse.

Jeder ist für Social Media verantwortlich

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im Unternehmen und die Etablierung von Governance Prozessen. Im Schritt 5 koordiniert ein „Centre of Excellence“ sämtliche Social Media-Aktivitäten in welche alle Abteilungen des Unternehmens eingebunden sind. Der abschließende Schritt zu einem „Social Business“ ist es, dass Social Media in sämtlichen Unternehmensprozessen eine Rolle spielen und somit auch prinzipiell jeder Mitarbeiter für Social Media verantwortlich ist.

Dass dies nicht Standard ist, zeigt die Tatsache, dass nur 27% der befragten Social Media-Manager angeben, dass Mitarbeiter aller Bereiche und Ebenen über Social Media informiert und geschult sind. Darüber hinaus wurde ange-geben, dass nur 52% der Top-Manager über die Social Media-Strategie des Unternehmens informiert und darin eingebunden sind.

Um einschätzen zu können, wie die Situation im deutsch-sprachigen Handel ist, wurden Experteninterviews mit Social Media-Verantwortlichen geführt.

3. Die Praxis: Erfahrungen und Lösungen im Handel

Um die Erfahrungen, Herausforderungen und Lösungen der deutschsprachigen Händler zu erheben, wurden leitfadenge-stützte Telefoninterviews mit den jeweils verantwortlichen Social Media bzw. Online Managern geführt. Insgesamt vier Retailer konnten im Erhebungszeitraum Mai bis Juni 2013 befragt werden. Im Fall von s.Oliver (Case 3) konnte aus Zeitgründen der Ansprechpartner kein Interview geführt werden, der Fragebogen wurde schriftlich übermittelt.

Case 1: Österreichischer Lebensmitteleinzelhändler

Die erste Fallstudie ist ein österreichischer Lebens-mitteleinzelhändler (LEH), der seit 2011 in Social Media aktiv ist und mit zwölf verschiedenen Facebook-Pages eine Fanbasis von über 150.000 Usern betreut. Darüber hinaus ist der Retailer auf Twitter, YouTube, Instagram und Xing professionell vertreten. In puncto Kundenservice ist Facebook der primäre Service-Kanal, da sich für diesen Lebensmitteleinzelhändler gezeigt hat, dass 140 Zeichen auf Twitter oft nicht ausreichen für eine professionelle und markenkonforme Stellungnahme. Bei Serviceanfragen auf Twitter stellt der Lebensmitteleinzelhändler persönlichen Kontakt her und nimmt die Konversation in anderen Servicekanälen auf.

Die Bedeutung von Social Media für das Unternehmen sowie für die Zufriedenheit der Kunden wird vom Social Media-Manager des Unternehmens als sehr hoch einge-schätzt, da einerseits davon ausgegangen werden muss, dass ein Konsument bereits einen gewissen Grundärger verspürt,

bevor er dazu übergeht, sich auf Social Media zu beschwe-ren. Andererseits, wird auch die Breitenwirkung von Kritik auf Facebook ernst genommen. Beschwerden werden bei diesem Retailer aus dem LEH als „die Spitze des Eisberges“ betrachtet. Daher werden diese ebenso wie Anregungen offen angenommen und rasch beantwortet, um somit auch andere User/Konsumenten positiv stimmen zu können. „Wenn man es schafft, mit gutem Service die nega-tiven Dinge ins Positive zu wenden, hat man sehr viel gewonnen. Dies trägt wesentlich zum Unternehmensbild bei.“, so der Social Media-Manager.

In der Erfahrung des Retailers hat sich gezeigt, dass sich eine rasche Erstreaktion bewährt, um dem User zu zeigen, dass an seinem Problem gearbeitet wird. Darauf muss jedoch danach auch eine qualifizierte Lösung/Antwort fol-gen. Werktags werden die Pages laufend beobachtet und in der Regel Anfragen innerhalb von vier Stunden beantwor-tet. Am Wochenende werden die Seiten ebenfalls beobach-tet, jedoch wird nur im Krisenfall reagiert. Hierzu gibt es genaue Prozesse, die entwickelt wurden, um rasch und pro-fessionell reagieren zu können. So fließen unter der Woche Service-Anfragen in die Prozesse des Customer Service-Teams ein, das sich um die Informationsbeschaffung bei Produkt, Einkauf oder anderen Abteilungen kümmert. Das Social Media-Team ist die sachliche Kontrollinstanz und für die Facebook-konforme Formulierung zuständig. Am Wochenende stimmt sich das Social Media-Team in Krisenfällen mit der PR-Abteilung ab und kann so inner-halb von wenigen Stunden auf kritische Themen mit einer Stellungnahme reagieren. Während des aktuellsten kriti-schen Falles etwa folgte die Erstreaktion bereits 19 Minuten nach dem ersten Aufkommen, die offizielle Stellungnahme nach vier Stunden, während ein Mitbewerber in einem ähn-lichen Fall 20 Stunden für die Erstreaktion und 29 Stunden für die offizielle Stellungnahme benötigte.

Case 2: Sport Eybl

Den zweiten Fall liefert der österreichischer Sportartikel-händler Sport Eybl, der neben Facebook auch auf Twitter, YouTube und Flickr aktiv ist. Auf Facebook beträgt die Fanbasis derzeit 48.000 Follower.

Für das Social Media-Team von Sport Eybl bedeutet „Service 2.0“, auf Kundenfeedback, das auf digitalen oder Social Media-Kanälen einlangt, entsprechend zu reagieren. Der Service umfasst in diesem Fall die Art und Weise der Reaktion. Auch hier wird die Bedeutung von Service in den verschiedensten Bereichen generell als sehr hoch eingestuft. Der Retailer sieht sich in Sachen Service im stationären Handel sehr gut positioniert und strebt danach, denselben Service-Level in Zukunft auch in sozialen Netzwerken zu erreichen. Zum derzeitigen Stand verortet sich Sport Eybl noch im Bereich “Presence”, nachdem Strukturen in eini-

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gen Bereichen noch nicht aufgebaut wurden und vielfach Ressourcen nicht vorhanden sind. Derzeit liegt das Bestreben darin, auf Anfragen bestmöglich und schnellst-möglich zu reagieren, da man der Überzeugung ist, dass es positiv zur Kundenzufriedenheit beiträgt, wenn Kunden merken, dass Anfragen seitens der Unternehmen gehört werden und dementsprechend auch reagiert wird. Erste Ansätze in Richtung Strategie-Entwicklung und etablierte-res Vorgehen im Sinne des Altimeter-Modells sind bereits erfolgt und sollen in naher Zukunft ausgebaut werden.

Auch in diesem Fall wurde betont, dass der zeitliche Aspekt noch bedeutender als in anderen Kanälen ist und einen gro-ßen Einfluss auf die Zufriedenheit hat. Der Sportartikel-händler ist stolz darauf, dass nicht nur relativ schnell reagiert wird, sondern darüber hinaus die Lösungsfindung im Vordergrund steht. Im Unterschied zu Case 1 wird jedoch Kulanz nur in einzelnen Fällen gewährt. Es wird überwiegend darauf geachtet, zu seinen Mitarbeitern und generellen Richtlinien zu stehen und für Social Media keine Sonderregelungen gelten zu lassen. Das Social Media-Team agiert als Angelpunkt zwischen Kunden und Shop und ver-sucht, die beste und schnellste Lösung für den Kunden zu finden, ohne jedoch die eigenen Mitarbeiter bloßzustellen. Ein häufig gebotener Service ist die Informations beschaf-fung zum Artikelbestand in einzelnen Shops, sowie die Reservierung der entsprechenden Waren.

Eine Herausforderung sind jeweils die internen Prozesse, da diese in vielen Fällen sehr viel Zeit in Anspruch nehmen und viele unterschiedliche Bereiche eingebunden sind, wie z.B. Marketing, Produktion, Qualitätsmanagement, Einkauf, Shops sowie Vertrieb. Das Bestreben des Sportartikel händlers ist es, auf Email-Anfragen noch am selben Tag zu reagieren und auf Facebook-Anfragen inner-halb einer Stunde.

Für kritische Anmerkungen und Beschwerden hat der Retailer Prozesse und Krisenszenarien entwickelt. Generell stimmt sich das Social Media-Team in erster Instanz mit der Marketingleitung und gegebenenfalls mit der Geschäfts-führung ab.

Grundsätzlich sind bei diesem Case die Anfragen per Telefon zurückgegangen und die Anfragen per Email oder Social Media gestiegen und auch teilweise kritischer geworden. Im Alltag erlebt es das Social Media-Team, dass „Kunden kein Blatt vor den Mund nehmen“ und auch gerne die Öffentlichkeit von Social Media nutzen.

Für die Zukunft wird vom Social Media Team von Sport Eybl angenommen, dass sich Service sehr stark weiterent-wickeln wird: Die Richtung gibt Apple als besonders positi-ves Beispiel bereits jetzt vor: Die Beantwortung von Beschwerden/Kundenanfragen direkt im Live-Chat.

Case 3: s.Oliver Deutschland und Österreich

Für den Multichannel-Modehändler s.Oliver hat Online-Service einen hohen Stellenwert, mit nachhaltigem Einfluss auf die Kundenbeziehung. Diese Kundenbeziehung wird vom Social Media-Verantwortlichen bei s.Oliver allgemein als gut eingestuft. Der Modehändler s.Oliver sieht sich im Modell der Altimeter-Group als „Formalized“.

Service auf digitalen Kanälen wird gelebt, indem Anfragen in der Regel innerhalb eines Werktages beantwortet werden. Dabei steht die Motivation im Vordergrund, bestmöglich auf die Fragestellung des Kunden einzugehen, ohne auf Standardantworten oder andere Servicekanäle zu verwei-sen. Die Herausforderung sei gewesen, intern bei allen Mitarbeitern Verständnis für zeitkritische Online Service-Themen zu gewinnen und die operativen Workflows anzu-passen. Hier wurde auf persönliche Gespräche und Social Media-Guidelines gesetzt, da Arbeitsanweisungen oder Prozessbeschreibungen die Abläufe zwar formal regeln können, jedoch nicht ausreichen, um Online-Themen und Social Media bei den Mitarbeitern weiterzuentwickeln und in den Köpfen zu verankern.

Auf die Tatsache, dass die Anzahl der Anfragen gestiegen ist und diese kritischer geworden sind, wird intern mit ange-passten Workflows und höherer Schnittstellen transparenz reagiert. Das bedeutet, dass sich alle involvierten Akteure ihrer Rolle bewusst sind und sich auch persönlich kennen. Darüber hinaus werden aktuelle Themen und etwaige Schwierigkeiten bezüglich der Prozesse in regelmäßigen Meetings gemeinsam diskutiert. Als extern wirksame Maßnahme werden kürzere Antwortzeiten, personalisierte Antworten und ein Krisenmanagementansatz für eskalieren-de Themen forciert. Dies sei durch die offizielle Erweiterung des Kundenserviceprozesses um das Thema Social Media als Eingangskanal für Anfragen und Beschwerden unterstützt worden, so der Social Media-Verantwortliche.

Die Anfragen mittels Facebook und YouTube sowie über das Online Formular und per Email werden regelmäßig in Berichten ausgewertet, um Anregungen aus dem Kunden-feedback zu erhalten. Die Reports zeigen, dass s.Oliver im Schnitt innerhalb eines Werktages reagiert, idealerweise jedoch innerhalb von vier Stunden. Um dies zu gewährleis-ten, werden Social Media-Anfragen mit „Prio 1“ in Zusammenarbeit mit Kundenservice, Sustainability, Qualitätsabteilung, Presseabteilung oder auch der Geschäftsführung behandelt. Hierbei arbeitet das Social Media-Team durch ein Ticketing-System eng mit den Kollegen aus dem Kundenservice zusammen. Die Beantwortung der Anfragen erfolgt inhaltlich durch den Kundenservice, während das Social Media-Team die Antworten in eine einheitliche Tonalität bringt. Ob das in Zukunft bei dem steigendem Anfragenaufkommen weiter-

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hin so gehandhabt werden kann, ist noch unklar, so der Social Media-Verantwortliche.

Für die Zukunft geht das Social Media-Team von s.Oliver davon aus, dass Kundenservice zunehmend online, besser gesagt, über mobile Endgeräte stattfinden wird. Laut s.Oliver erwarte der Kunde immer schnelleres und persönli-cheres Feedback - keine anonymen Warteschleifen-Hotlines - und zudem bereits heute Online-Beratung über den klassi-schen „After-Sales-Service“ hinaus.

Case 4: Bank Austria

Die vierte Fallstudie kommt aus dem Finanz-Dienst leis-tung sektor, die österreichische UniCredit-Tochter Bank Austria. „Service 2.0“ wird im Social Media-Team der Bank Austria als ein Aspekt des Wandels von einer Bankorientierung hin zu einer Kundenorientierung verstan-den. Denn heutzutage halten sich Kundenanfragen nicht an Öffnungszeiten und so sieht es die Bank Austria als selbst-verständlich, den Kunden verschiedenste Möglichkeiten zu bieten, wie er/sie auf die Bank zukommen möchte. Dies muss nicht mehr zwangsläufig die stationäre Filiale sein, darüber hinaus existieren Angebote auf diversen Online-Kanälen. So gibt es seit Beginn des Jahres ein Bank Austria-KundenForum, wo Kunden sich einbringen können, um die Bank der Zukunft mitzugestalten.

Da sich die Bank Austria als eine Bank der Beratungs-kompetenz versteht, wo persönliche und individuelle Beratung im Vordergrund steht und nicht die günstigen Konditionen, wird die Bedeutung von Service als sehr hoch eingestuft. Auch wenn die Banken generell durch die Finanz-krise an Glaubwürdigkeit verloren haben, stuft die Bank Austria ihre Kundenzufriedenheit aufgrund der persönlichen Betreuung der Kunden durch Berater als sehr hoch ein.

Service auf Social Media wird nicht nur durch die Beantwortung von Anfragen, sondern auch durch das Posten von Inhalten, die der „Financial Education“ dienen, gelebt. Laut Interview-Ansprechpartner wird jedes Posting beantwortet, jedoch mit der Einschränkung, dass aufgrund von individuellen Problemstellungen nicht alles direkt vom Social Media-Team beantwortet werden kann. In sehr vie-len Fällen muss die Anfrage an die Produktabteilung, die Kundenabteilung bzw. den direkten Ansprechpartner des Kunden weitergeleitet werden und wird dann in direkter Abstimmung mit dem Kunden gelöst, und wird nicht wie-der an das Social Media-Team zurückgespielt.

Weitere Abteilungen mit direkter Kooperation mit dem Social Media-/ Online-Team sind die Ombudsstelle oder andere Fachabteilungen. In Bezug auf das soziale Evolutionsmodell stuft sich die Bank Austria als „forma-lized“ auf dem Weg zu „strategic“ ein. Sehr viele Abtei-lungen, wie etwa die Human Ressource-Abteilung oder das Segmentmanagement, sind in sozialen Netzwerken aktiv. Aufklärungsarbeit wird mit Hilfe von Social Media-Guidelines, Videos und internem Informationswesen betrie-ben. Bestärkt wird das Social Media-Team der Bank Austria durch positives Feedback von Kunden, wenn Service-Angebote angenommen und positiv eingestuft werden. Generell ist man der Meinung, dass die Anfragen gestiegen sind, allein schon durch die Vielzahl an einfachen Kontaktmöglichkeiten, wie z.B. eine 24-Stunden-Hotline, Email-Anfrage, per Kontaktformular oder über soziale Netzwerke. Darüber hinaus ist man bei der Bank Austria der Ansicht, dass die Anfragen etwas kritischer geworden sind, da Anliegen online freier formuliert werden können, als wenn man seinem Ansprechpartner gegenüber steht.

Service wird in Zukunft der Differenzierungsfaktor gegen-über dem Mitbewerb sein und muss sich daher noch mehr in Richtung Kundenbedarf entwickeln, schneller werden und den Kunden positiv überraschen. Einen wesentlichen Schritt, um dies zu erreichen und zu erarbeiten, stellt das KundenForum der Bank Austria bereits jetzt dar, wo Kunden eingeladen sind Verbesserungsmöglichkeiten auf-zuzeigen und gemeinsam mit der Bank Austria die Bank von morgen und übermorgen zu diskutieren.

4. Diskussion & Fazit

Bedeutung in der Praxis:

Was die Bedeutung von Service für Handelsunternehmen anbelangt, waren sich die befragten Social Media-Manager einig: Für das Unternehmen im Allgemeinen wie auch für die Kundenzufriedenheit im Speziellen hat Service eine sehr hohe Bedeutung. In Bezug auf die Einschätzung der Kundenzufriedenheit waren die Ansprechpartner jedoch zurückhaltender. Lediglich die Social Media-Verantwort-lichen von Sport Eybl (Case 2) und s.Oliver (Case 3) trafen eine Aussage und bewerteten die Zufriedenheit ihrer Kunden als gut (! Tabelle 4).

Die Kundenanfragen werden durchwegs als „gestiegen“ bis „eher gestiegen“ bewertet und auch als kritischer erlebt.

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Begründet wird dies durch die gefühlte Anonymität der User, die sich zudem der Macht der Öffentlichkeit in sozialen Netzwerken bewusst sind und sich dies auch zu Nutze machen. Während in Case 1 diesem Druck gelegentlich durch kulantere Lösungen nachgegeben wird, gelten bei allen ande-ren Retailern dieselben Regeln wie auch im stationären Geschäft bzw. auf anderen Service-Kanälen. In jedem Fall wird jedoch der zeitliche Druck bewusst wahrgenommen und es wird versucht, dahingehend mit besseren Prozessen zu reagieren, die kürzere Antwortzeiten ermöglichen sollen.

Evolution & Organisation

Den befragten Social Media-Managern fiel es leicht, sich im Evolutionsmodell der Altimeter-Group einzustufen, wenn sich auch manchmal die Einstufung nicht eins-zu-eins mit den offenen Antworten bzw. mit der tatsächlichen Reaktionszeit (siehe ! Tabelle 4) deckt. So stufte sich der Lebensmitteleinzelhändler aus Case 1 als „Strategic“ auf Stufe 5 ein, während sich die Cases 3 und 4 mit “Forma-

lized” auf Stufe 4 sahen. Case 2 verortete sich auf der zwei-ten Stufe, “Presence”, da Strukturen und Ressourcen hier vielfach noch nicht aufgebaut sind.

Generell haben die Interviews gezeigt, dass in die „Service 2.0“-Aufgaben der Retailer sehr viele unterschiedliche Abteilungen involviert sind. Am häufigsten sind Kundenservice, Presse, Geschäftsführung und Einkauf genannt worden. Bei den Banken spielen zusätzlich Kundenbetreuer und Fachabteilungen eine wichtige Rolle. Je besser hier sämtliche involvierte Abteilungen für das Thema sensibilisiert und geschult sind, desto größer ist die Bereitschaft zur Kooperation und desto schneller die lau-fende Abstimmung.

Prozesse & Schnittstellen:

Die Service 2.0 Prozesse waren und sind für die Retailer eine Herausforderung in Bezug auf Service 2.0. Als heraus-fordernd stellt sich dabei nicht nur die Definition von Prozessen für tägliche und kritische Anfragen dar, sondern

Tab. 4: Auswertung der Service Aspekte der befragten Retailer: Eigene Daten.

Case 1 Lebensmittel-einzelhändler

Case 2 Sport Eybl

Case 3 s.Oliver

Case 4 Bank Austria

Bedeutung für das Unternehmen

sehr hoch sehr hoch sehr hoch sehr hoch

Bedeutung für Kundenzufriedenheit

hoch sehr hoch sehr hoch sehr hoch

Einschätzung Kundenzufriedenheit

- gut gut -

Evolutionsstufe Strategic Presence Formalized Formalized

Kundenanfragen gestiegen eher gestiegen gestiegen eher gestiegen

Antwortzeit (Plan) 4 h 1 h 4 h < 24 h

Antwortzeit (Mittelwert, Stichprobe)

15h 17h 18,5h / 2h* 26h

Antwortzeit (Range, Stichprobe)

0,5h – 67,5h 0,25h – 64h 2h – 63,5 / 0,25h – 2h* 1h – 68,25

Involvierte Abteilungen Service Marketing Kundenservice Kundenbetreuer

Einkauf Geschäftsführung Sustainability Kundenservice

Personalabteilung Vertrieb QA Ombudsstelle

PR Einkauf PR Fachabteilung

Marketing Shops Geschäftsführung Produktverantwortliche

CSR

Kooperation mit Kundenservice

ja nein ja ja

* Die Reaktionszeiten von s.Oliver Deutschland und Österreich wurden getrennt ausgewertet.

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darüber hinaus auch die Aufgabe, Sensibilität für das Thema Social Media und Klarheit über die Bedeutung von kritischen Anfragen in sozialen Netzwerken zu schaffen.

Interne Kommunikationsmaßnahmen wie Guidelines, Schulungen oder persönliche Gespräche wurden hierbei von den Interviewpartnern als erfolgversprechende Maßnahmen genannt. Bezüglich der Prozesse haben sich Case 1 und 3 hervorgetan. Bei diesen Retailern wurden bestehende Serviceprozesse auf Social Media ausgeweitet, so bereits funktionierende Vorgänge und Synergien genutzt. Bei Case 1 (LEH) und Case 3 (s.Oliver) ist jeweils das Service-Team inhaltlich für die Beantwortung von Fragen zuständig und das Social Media-Team für die Facebook-gerechte Kommunikation der Antworten. Im Vergleich dazu ist bei Case 2 (Sport Eybl) das Social Media-Team Prozessholder und für die inhaltliche sowie formale Beantwortung der Fragen zuständig. Dies funktioniert zum derzeitigen Zeitpunkt sehr gut, wie etwa die Socially Devoted-Studie (Spinnwerk 2013) gezeigt hat, kann jedoch für eine höhere Anzahl an Anfragen herausfordernd werden. Unterschiedlich ist auch die Vorgehensweise von Case 4 (Bank Austria). Hier übergibt das Social Media-Team Anfragen aus Social Media gänzlich der Verantwortung von Kundenservice, Kundenbetreuern bzw. Ombudsstellen. Das heißt, die Anfragen werden in direkter Abstimmung mit dem Kunden gelöst, ohne diese Information wieder an das Social Media-Team zurückzuspielen, was einerseits durch die Individualität und Vertraulichkeit der Anfragen bedingt und gerechtfertigt ist, andererseits so die Außenwirkung der Service-Aktivitäten gering hält.

Geplante und tatsächliche Reaktionszeit:

In einer Stichprobe von 15 User-Anfragen im Mai 2013 (vgl. ! Tabelle 3) wurde die Reaktionszeit bis zur Erstant-wort der Retailer untersucht und ausgewertet. Posting-Anfragen, die an einem Wochenende oder Feiertag geschickt wurden, sind ebenso in die Untersuchung einge-flossen. Auffallend ist neben der unterschiedlichen Reak-tions zeit auch die Frequenz der User-Anfragen. Während Case 1 ca. drei Anfragen pro Tag erhielt, waren es bei den Cases 2-4 im Schnitt fünf pro Woche. Interessant ist, dass keiner der befragten Retailer etablierte Service-Zeiten am Wochenende pflegt. Die Retailer beschränken sich an Feiertagen und Wochenenden auf das Monitoring der Seiten und reagieren nur im Ernstfall.

Eine wichtige Maßnahme, um der User-Erwartung einer schnellen Antwort gerecht zu werden, ist die Erstreaktion, in der dem User gezeigt wird, dass die Nachricht angekom-men ist und daran gearbeitet wird. Hierbei ist zu beachten, dass Standard-Antworten wie auch der Verweis auf andere Servicekanäle vermieden werden sollten, wie der Social Media-Verantwortliche von s.Oliver betont.

Ausblick in die Zukunft:

Für die Zukunft wird von den Retailern erwartet, dass Service noch schneller, individueller, proaktiver und platt-formübergreifender wird. Das lässt darauf schließen, dass in Zukunft Prozesse noch autonomer, transparenter und flexib-ler gestaltet werden müssen, um den Anforderungen gerecht zu werden.

Ein möglicher nächster Schritt wäre etwa die Eingliederung von Service 2.0 in klassische CRM-Programme und –Prozesse, um hier Schnittstellen zu reduzieren. Motivation und Schulung von Akteuren, die bisher im klassischen Kundenservice erfolgreich tätig waren, müssen in diesem Fall mit einhergehen. Darüber hinaus sollte auch über Servicezeiten am Wochenende nachgedacht und mittels transparenter Kommunikation dieser Zeiten für Klarheit bei den Usern gesorgt werden.

Dass die befragten Händler auf dem richtigen Weg sind, haben sie gezeigt und darüber hinaus die These belegt, dass interne Vernetzung zusätzlich zu standardisierten Vorgängen, die auf bestehenden Prozessen aufbauen, dazu beiträgt, besser und schneller mit Anfragen in sozialen Netzwerken umzugehen.

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