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27.05.2010 Prof. Dr. Ernst Halb mayer | VO Einführung in die Me thoden der KSA 1 VO Einführung in die Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie 11.Einheit Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung

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27.05.2010 Prof. Dr. Ernst Halbmayer | VO Einführung in die Methoden der KSA

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VO Einführung in die Methoden der Kultur- und

Sozialanthropologie

11.EinheitWeiterentwicklungen der

ethnographischen Feldforschung

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Ausgewählte Weiterentwicklungen der ethnographischen Feldforschung

Extended case method Interpretative Anthropologie Multi-sited Anthropology Transnational Anthropology

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Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method

In der britischen Sozialanthropologie kam es ab den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem vorherrschenden funktionalistischen Paradigma (B. Malinowski und A. R. Radcliffe- Brown)

Dieses stellte auf vermeintlich stabile soziale Strukturen ab und direkte Beobachtungsdaten und indigene Klassifikationen dienten primär dazu, diese allgemeinen Ordnungsmodelle zu illustrieren und möglichst anschaulich zu vermitteln. Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde zunehmend deutlich, dass aktuelle Phänomene, wie antikoloniale Bewegungen, Industrialisierung und Urbanisierung neue Herausforderungen an das methodische Vorgehen stellten.

Eine methodische Antwort auf diese Herausforderung war die Entwicklung der extended-case method (ECM), die insbesondere von Max Gluckman vorgenommen wurde und mit der so genannten Manchester Schule der britischen Anthropologie in Zusammenhang steht.

Die zentrale Umorientierung besteht darin, nicht vermeintlich stabile Ordnungsstrukturen ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen, sondern "den Wettbewerb individueller Akteure um Ressourcen und Status im Rahmen widersprüchlicher, inkonsistenter Normen und Regeln" (Rössler 2003: 144).

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Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method

Im Zentrum der ethnographischen Darstellung stand "das alltägliche Handeln konkreter Personen in der sozialen Praxis" (ebd.) und nicht eine abstrahierte Struktur.

Dieses Verfahren stellt darauf ab, die Entwicklung sozialer Konflikte, das Aushandeln individueller Interessen, die unterschiedliche Interpretation sozialer Regeln und Normen darzustellen.

zeitliche Dimension gewinnt im Gegensatz zur rein synchronen Betrachtung eine zentrale Bedeutung. Dies führt zur Durchführung von Langzeit- und Wiederholungsstudien, welche es erlauben, den Wandel in den sozialen Beziehungen zu dokumentieren.

Wandel, Abweichung und divergierende Interessen werden nun nicht mehr als dysfunktionale Abweichung von im Prinzip harmonischen Strukturen betrachtet, sondern als zentraler Bestandteil des sozialen Lebens.

Es stehen nicht mehr die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten im Zentrum. Diese wird durch eine

Konfliktorientierung der ethnographischen Vorgangsweise abgelöst.

Die extended-case method wurde aus der Analyse von Rechtsfällen (cases) entwickelt und ist akteurs-, handlungs- und prozessorientiert.

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Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method

Mitchell (1983: 193f) schlägt folgende ethnographische Verfahren vor:1) Die angemessene Illustration (abt illustration) eines einzelnen Ereignisses, welches ein generelles Prinzip illustriert.2) Die Situationsanalyse, welche mehrere miteinander verbundene Situationen innerhalb

eines begrenzten Zeitraumes miteinander verbindet.3) Die extended-case method, welche solche Situationen mit denselben Akteuren über

einen längeren Zeitraum hinweg miteinander verbindet.4) Die Analyse sozialer Dramen, welche Mitchell als inhaltlich und zeitlich beschränkte

extended-case method bezeichnet. bei den letzten drei Punkten handelt es sich um das selbe methodische Prinzip mit

unterschiedlicher zeitlicher Tiefe und der Komplexität der dargestellten sozialen Beziehungen. Alle genannten Verfahren 2-4 können als ECM bezeichnet werden (Rössler 2003: 146)

Innerhalb der ECM ist eine detaillierte Kenntnis des Feldes und der einzelnen Fälle notwendig, denn "bevor die Manipulation von Regeln und Institutionen (...) methodisch in den Mittelpunkt gerückt werden können, muss ein umfassendes Wissen über die besagten Regeln und Institutionen erworben sein" (Rössler 2003: 148).

Dazu gehört eine lange Feldforschungsdauer, eine intime Kenntnis der untersuchten Gemeinschaft, ein gutes Vertrauensverhältnis zu den untersuchten Personen, eine gute Kenntnis der lokalen Sprache, ebenso ist es notwendig die Vorgeschichte der Ereignisse zu dokumentieren.

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Ordnung vs. Konflikt: Die Extended-Case Method

Zu den methodischen Problemen der ECM gehören

der besonders hohe Zeit- und Arbeitsaufwand

die Notwendigkeit Informationen zur Vorgeschichte der einzelnen Fälle zu erheben, wobei man auf die selektiven Aussagen der Informanten angewiesen ist.

die Frage der Repräsentativität der Fälle und deren Auswahl. Einerseits erfordert die detaillierte Dokumentation ausgewählter Fälle eine Auswahl, andererseits will laut Rössler (2003: 149) die ECM nicht die gesamte Gesellschaft erfassen sondern auf der Mikroebene exemplarische Akteure und ihre Handlungen dokumentieren. Es geht um "bewusst nach räumlichen und zeitlichen Kriterien definierten Ausschnitten der alltäglichen Praxis" (ebd.).

Als weiterer methodisch problematischer Punkt wird die unvermeidbare Einbindung des Ethnographen als Mitwisser in Krisen- und Konfliktsituationen genannt, welche besondere ethische Probleme mit sich bringt.

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Clifford Geertz Clifford James Geertz (* 23.

August 1926 in San Francisco; † 30. Oktober 2006)

ein US-amerikanischer Ethnologe.

bedeutendster Vertreter der interpretativen Ethnologie.

Forschungen in Asien (Indonesien, Bali) und

Nordafrika (Marokko).

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Interpretative Anthropologie - Clifford Geertz

Wende zur Hermeneutik -> Interpretive Anthropolgie

Veränderung im Objektverständnis

Neubestimmung des ethnographischen Tuns

Zentrale Position von Bedeutung (meaning)

Bedeutungstheoretische Fundierung vs. Verhaltensbeobachtung

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Interpretative Anthropologie - Clifford Geertz

Welt immer schon interpretiert, auch bereits von den Handelnden - Mensch verleiht der Welt immer einen Sinn (Max Weber)

"Ich meine mit Max Weber, dass der Mensch ein Wesen ist, das in selbst gesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe" (Geertz 1983: 9).

Max Weber: Soziologie als „Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will“.

Der Begriff soziales Handeln bedeutet in der Soziologie ein „Handeln“ (Tun, Dulden oder Unterlassen), das für den Handelnden (den "Akteur") subjektiv mit "Sinn" verbunden ist und sich am Verhalten Anderer orientiert.

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Interpretative Anthropologie - Clifford Geertz nicht-subjektivistischer Bedeutungsbegriff: "Bedeutung ist etwas

Öffentliches" (Geertz 1983: 18).

Bedeutungen sind den Angehörigen einer Gesellschaft sozial verfügbar und dem Feldforscher, der sich diese aneignen will, zugänglich.

Deutung der Symbolsysteme statt Empathie

Semiotischer Kulturbegriff: allgemeine Lehre von den Zeichen, Zeichensystemen und Zeichenprozessen

es geht nicht darum, den Standpunkt der Anderen einzunehmen, sondern die kulturell verfügbaren Handlungsorientierungen aufzudecken

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Interpretative Anthropologie - Clifford Geertz

Analyse des sozialen Handelns fokussiert auf: Handlungsorientierung und Handlungsethos, sowie die

Bedeutungen, nicht aber auf die Handlungspraxis

Es handelt sich um keine Theorie der Praxis (Bourdieu)

Fordert eine Wissenschaft, die nicht nach Gesetzen sucht, sondern interpretiert und Bedeutungen finden will.

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Gegen die Annahme: ethnologische Forschung sei eine Sache der Beobachtung und weniger eine der Interpretation

Geertz: Es ist in Wirklichkeit genau umgekehrt. nicht die Beobachtung, sondern viel mehr die Interpretation

und Analyse des Beobachteten und die darin enthaltenen Bedeutungsstrukturen sind Hauptbestandteil der ethnographischen Beschreibung

Ethnographische Analyse = Herausarbeiten von Bedeutungsstrukturen und das Bestimmen ihrer gesellschaftlichen Tragweite.

Ethnographie = dichte Beschreibung

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Geht nicht darum, lineare Ereignisse zu erklären, sondern „übereinander geschichtete“ und willkürliche, keinen Gesetzen und Reihenfolgen folgenden Phänomenen.

Es ist die Aufgabe des/ der ForscherIn „dem Ganzen“ eine vermutete Bedeutung zu verleihen, diese zu bewerten usw.

Die Untersuchung von Kultur besteht darin, Vermutungen über Bedeutungen anzustellen, diese

Vermutungen zu bewerten und aus den besten Vermutungen erklärende Schlüsse zu ziehen

Bsp. Dichte Beschreibung

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- Ethnologische Schriften sind selbst Interpretationen zweiter und dritter Ordnung. (Nur ein „Eingeborener“ liefert Interpretationen erster Ordnung.)

Interpretationen sind Fiktionen in dem Sinn, dass sie etwas „Gemachtes“ oder etwas „Hergestelltes“ sind. Kritik

In der Analyse von Kultur ist es ebenso wenig wie in der Malerei möglich, eine Grenze zwischen Darstellungsweise und zugrunde liegendem Inhalt zu ziehen. Darstellungsweise problematisiert

Geertz sagt, ethnographische Studien können nicht losgelöst von ihrem Entstehungsort betrachtet werden, ohne eine Schmälerung der Studie zu produzieren. Partikularistisch Kulturrelativistisch

Geertz beharrt allerdings auf der Vorstellung von Kultur als einer gegebenen abgrenzbaren Einheit und einem möglichen verstehenden Zugang

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Die 4 Merkmale der Ethnographie nach Geertz

1. sie ist deutend

2. das was sie deutet, ist der Ablauf des sozialen Diskurses

3. das Deuten besteht darin, das „Gesagte“ eines solchen Diskurses dem vergänglichen Augenblick zu entreißen.

4. Sie ist mikroskopisch.

zB das „mikroskopische“ Modell („Jonesville-ist-die-USA“)

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Ethnographie als Text Ethnographie als Spiel mit unterschiedlichen Textverfahren und

literarischen Strategien

„Die künstlichen Wilden“ (Geertz 1990)

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Konsequenzen Ethnographie als Literatur

Politik des Schreibens statt Methode

Krise der Repräsentation

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Postmoderne Radikalisiert diese Annahmen Vielstimmigkeits-Konzept Bachtins Geht nicht mehr von einer kulturellen Gesamtbedeutung aus

sondern von oft widersprüchlichen Vorgängen kultureller Bedeutungsproduktionen (gegen große Erzählungen)

'Reflexive Anthropologie'

das Interesse wird von sozialen Institutionen, Machtverteilungen und materiellen Bedingungen weg auf die Ebene der Texte und Symbolik verschoben

mangelnde Beachtung des politisch-gesellschaftlichen Kontextes

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„Writing Culture“

George Marcus & Marcus Fischer: „Anthropology as cultural critique“ 1988

Die "Writing culture"-Debatte rückt die kulturelle Kodierung des Schreibens einerseits und die Textabhängigkeit von Kulturrepräsentation andererseits in den Vordergrund (Marcus, Fischer, Crapanzo, Tyler).

Anthropologie repräsentiert ihren Gegenstand nicht, sondern erfindet ihn.

dialogisch-plurivokale Textstrategien sowie Strategien multipler Autorschaft

Evozieren statt Repräsentieren

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die radikale Verabschiedung des Repräsentationsmodells, des Erfahrungsbegriffs und des Identitätsbegriffs wurde kritisiert

durch eine vorschnelle Verabschiedung dieser Kategorien die Erkenntnismöglichkeit von Machtstrukturen verunmöglicht

Ethnographie als Fiktion problematisch

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Globalisierung, Entlokalisierung von Kultur

Vorstellung von Kulturen als abgrenzbaren und homogenen Ganzheiten kritisiert

nicht- essentialistischen Kulturverständnis

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ist eine empirische Methode diese neuen Prozesse aus interdisziplinärer Perspektive zu analysieren.

versucht lokale Subjekte und Gesellschaften durch Beziehungen und Assoziationen mit dem Weltsystem in Verbindung zu bringen und in seine Strukturen einzubetten

neue Lebenswelten, die transnational und global agieren,

„multi-sited ethnography“ als Notwendigkeit, da „any ethnography of a cultural formation in the world system is also an ethnography of the system, and therefore cannot be understood only in terms of the conventional single site mise-en-scène of ethnographic research...(Marcus 1995:83).

Verbindungen von Lokal-  und Globalebene werden thematisiert

Multi-Sited Ethnography. Ethnography in/of the World System George Marcus 1995

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Multi-sited ethnography „The object of study is ultimately mobile and multiply situated,

so any ethnography of such object will have a comparative dimension that is integral to it, in the form of juxtapositions of phenomena that conventionally have appeared to be (...) “worlds appart”.

Follow the people: Damit ist die Recherche von Entwicklungen von einer bestimmten Gruppe gemeint.

Follow the Thing: Hier ist das Nachspüren von Zirkulationsprozessen von beispielsweise Dingen wie Waren, Geschenken, Geldflüsse oder Kunst, gemeint.

Follow the Metapher: Es werden Signale, Symbole und Metaphern benützt, die die Herangehensweise der Ethnographie determinieren.

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Multi-sited ethnography

Follow the Plot, Story, or Allegory : Geschichte, Erzählung steht im Mittelpunkt

Follow the Life or Biography : Die Lebensgeschichte einer Person wird für die Gewinnung von Datenmaterial verwendet. Dieser Punkt kann als ein Unterpunkt der „Geschichtenverfolgung“ gesehen werden.

Follow the Conflict: Dabei geht es um die ethnographische Herangehensweise, die den Konflikt nachspürt.  (vgl.: Marcus 1995: 90ff)

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Transnationale Forschungen Während die interpretative Anthropologie und die postmoderne Kritik und die daraus

resultierenden Überlegungen zur multi-sited Ethnography selbstreflektive Mikroanalysen ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stellen, steht die transnationale Anthropologie in einem stärkeren Naheverhältnis zu einem Projekt der Makroanthropologie, welches auch die übergeordneten Strukturen der globalen Transformation der Welt in den Blick nimmt.

Vorläufer: die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins und die aus einer anthropologischen Perspektive darauf reagierende Untersuchung Eric Wolfs "Die Völker ohne Geschichte" zu nennen, sowie in späterer Folge die Arbeiten von Arjun Appadurai (1996) und Ulf Hannerz (1992, 1996).

Transnationale Forschung (vgl. Hannerz 1998) überschreitet die Grenzen politisch definierter Einheiten und setzt räumlich gesehen weit entfernte Örtlichkeiten miteinander in Beziehung.

Sie fokussiert insbesondere auf die Verbundenheit, den Austausch, die Mobilität und die Interaktion zwischen unterschiedlichen Örtlichkeiten, sowie die Besonderheiten nationaler bzw. lokaler Aneignungen und Kontextualisierungen von Phänomenen. Sie hat somit auch eine vergleichende Dimension, ohne aber - wie die traditionelle vergleichende Anthropologie - von unabhängigen oder abgeschlossenen Untersuchungseinheiten auszugehen.

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Transnationale Forschungen Zentrale Foschungsthemen sind Formen des Widerstandes gegenüber

translokalen Einflüssen, aber auch die dadurch entstehende kulturelle Kreativität und neue Formen kultureller Diversität, der Hybridität und Kreolisierung.

Zu den untersuchten Translokalitäten (Appadurai 1995: 216) gehören Knotenpunkte innerhalb der transnationalen kulturellen Prozesse. Solche sind etwa Hotels, Flughäfen, Weltstädte oder Weltausstellungen, also Örtlichkeiten, die durch Mobilität und dem Zusammentreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft geprägt sind, die Marc Augé (1994) auch als Nicht-Orte bezeichnet.

Solche Translokalitäten werden auch entlang politischer Grenzen untersucht (border studies), wobei insbesondere die grenzüberschreitenden Beziehungen in den Fokus genommen werden. Es wird also das Verbindende und nicht das Trennende an den Grenzen thematisiert. Hier reihen sich auch die mittlerweile klassischen Themen der Migration und der Diaspora ein.

Andere zentrale Forschungsbereiche sind transnationale Organisationen und Unternehmen, Medien, Cyberspace aber auch Waren und das "soziale Leben von Objekten" (Appadurai 1988) in einer globalisierten Welt.

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Transnationale Forschungen Methodisch basieren diese transnationalen Forschungen auf klassischen Verfahren

teilnehmenden Beobachtung, dem Arbeiten mit Informanten, der Aufnahme von Lebensgeschichten, unterschiedlichen Interviewtechniken und textanalytischen Verfahren. Darüber hinaus stellt die Untersuchung von Medien und medialen Produkten einen

wichtigen Bestandteil dieser Untersuchungen dar. (siehe Hannerz 1998).

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Kritik: Traveling Anthropologist