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Einführung in den Forschungsprozess und die Methoden der empirischen Kommunikations- und Medienforschung
Vorlesung 10: Methoden III: Medieninhaltsforschung
11.01.2016 1Forschungsprozess und Methoden 10
Gliederung Vorlesung 10
1. Ausgangspunkte/Ziele der Medieninhaltsforschung
2. Begriff und Merkmale der Inhaltsanalyse
3. Grundfragen: Stichproben, Kategoriensystem, Codierung
4. Qualitätssicherung: Gütekriterien
5. Zusammenfassung
Literaturempfehlungen:
Brosius et al. 139-171
Rössler, Patrick: Inhaltsanalyse. Konstanz 2010: UVK
Früh, Werner: Inhaltsanalyse. Theorie und Praxis. Konstanz 2015: UVK (8. Auflage)
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1. Ausgangspunkte/Ziele der Medieninhaltsforschung
Mit Medientexten (im weitesten Sinne) befassen sich viele Wissenschaften
o Sprachwissenschaft/Linguistik: Strukturen und Funktionen von Sprache, Diskurse, Narrationen, Rhetorik
o Theologie/Germanistik: Deutung, Auslegung, Interpretation von Texten
o Semiotik (Lehre von den Zeichen): Analysen von Bildern, Symbolen usw.
o Kunstwissenschaften: Analyse von Medienprodukten wie Film, Serie, Musik usw.
o Cultural Studies: Machtstrukturen, Ideologie (-kritik)
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1. Ausgangspunkte/Ziele der Medieninhaltsforschung
Kommunikations- und Medienwissenschaft: Medienrealität
o Medien sind Gegenstände des Gebrauchs im Alltag = Teil der Lebenswelt
o Medien produzieren als Beobachtungssystem der Gesellschaft (inhaltlich) eigene Realitätskonstruktionen
o Selektion, „Erfindung“ (Fiktionen)
o Darstellungsformen/Formate
o Veränderung von Ereignisstrukturen
→ Welche Beobachtungen teilen Medien mit? In welchem Umfang, in welchen Formen tun sie das? (Und: Warum und mit welcher Wirkung?)
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1.1 Analyseperspektiven der Medieninhaltsforschungnach: Marcinkowski/Marr: Medieninhalte und Medieninhaltsforschung. In: Bonfadelli/Jarren/Siegert: Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern/Stuttgart/Wien 2005 (2. Aufl.): Haupt/UTB
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1.1 Analyseperspektiven der Medieninhaltsforschung
1. Deskription: Bestandsaufnahme/Klassifikation medialer Angebote
Strukturmerkmale, Positionierung, Präsentationsformen, Qualität
2. Realitätsbezug der Medieninhalte: Vergleich mit medienexternen Indikatoren (z.B. mit Sozialstatistiken wie in der Kultivierungsforschung, mit Beobachtungen wie z.B. Mac Arthur Day in Chicago u.a.)
3. Inferenzen
diagnostisch: Merkmale von Kommunikatoren
prognostisch: Folgen für das Publikum
intermediäre Bezüge: Intertextualtät, Selbstreflexion
nach: Marcinkowski/Marr: Medieninhalte und Medieninhaltsforschung. In: Bonfadelli/Jarren/Siegert: Einführung in die Publizistikwissenschaft. Bern/Stuttgart/Wien 2005 (2. Aufl.): Haupt/UTB
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1.2 Analyseebenen der Medieninhaltsforschung
o Makroebene: Leistungen des Mediensystems
Programmstrukturanalysen (→ duale Medienordnung)
Umfänge der Berichterstattung: Vielfalt, Ausgewogenheit
o Mesoebene: Grundstrukturen des Medienangebots
Themen und ihre Karrieren (→ agenda setting)
Darstellung von Bereichen der Gesellschaft in den Medien (→ Kultivierung)
Medientenor (→ Schweigespirale)
o Mikroebene: Feinstrukturen im Medienangebot
Attributionen in den Medien
Struktur von Mediengesprächen
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2. Begriff und Merkmale der Inhaltsanalyse
2.1 Verschiedene Definitionen der Inhaltsanalyse:
o Berelson/Lazarsfeld (1948):
Forschungstechnik zur objektiven systematischen und quantitativen Beschreibung des manifesten Inhalts von Kommunikation.
o Merten (1993):
Methode zur Erhebung sozialer Wirklichkeit, bei der von Merkmalen eines manifesten Textes auf Merkmale eines nichtmanifesten Kontextes geschlossen wird.
o Früh (1998ff.):
Empirische Methode zur systematischen und intersubjektiv nachvollziehbaren Beschreibung inhaltlicher und formaler Merkmale von Mitteilungen (meist zum Zwecke einer darauf aufbauenden, interpretativen und/oder durch Zusatzkriterien gestützten Inferenz)
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2. Begriff und Merkmale der Inhaltsanalyse
2.1 Probleme der Definitionen
o manifester vs. latenter Inhalt (es gibt keine „schwarzen Buchstaben auf weißem Papier“ jenseits der Wahrnehmung/Kommunikation)
o objektiv vs. intersubjektiv: Texte bedürfen der (individuellen, aber „geregelten“ Interpretation)
o Inferenz auf außertextuelle Merkmale als Ergebnis vs. als Teil der Inhaltsanalyse
o quantitativ: Messung in einfachster Bedeutung (Zuordnung von Werten)
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2. Begriff und Merkmale der Inhaltsanalyse
2.1 Thesen zur „ integrativen“ Inhaltsanalyse (nach Früh 2015)
1. Die Inhaltsanalyse ist eine vom Forscher definierte Suchstrategie, die sich nur auf theoretisch relevante Bedeutungsaspekte bezieht (Selektionsinteresse).
2. Die Inhaltsanalyse ist ein offengelegter Vorschlag des Forschers zur theoretisch relevanten Strukturierung bzw. Gruppierung von Bedeutungen (Klassifikationsinteresse).
3. Die Inhaltsanalyse erfasst in der Regel die Bedeutungen kommunikativ verwendeter Zeichen, nicht deren formale Gestalten (materiale Zeichengestalten, Zeichenkörper, „black marks on white“).
4. Bei der Rekonstruktion/ Identifikation dieser Bedeutungen im konkreten Text können alle vorhandenen kommunikativen Kontextinformationen und das Sprachverständnis der Codierer in kontrollierter Weise eingebracht werden.
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2. Begriff und Merkmale der Inhaltsanalyse
2.1 Thesen zur Inhaltsanalyse (nach Früh 2007)
5. Die Inhaltsanalyse ist eine ausgewählte systematische Interpretationsweise, deren Spielraum und Evidenz möglichst weitgehend offengelegt und kontrolliert ist.
6. Das Erkenntnisinteresse der Inhaltsanalyse zielt in der Regel auf strukturelle Informationen über Textmengen. Sie erfasst Strukturen von Textmengen als Aggregatdaten.
7. Die Inhaltsanalyse erfasst bzw. generiert Bedeutungen und Bedeutungsstrukturen in dialektisch alternierenden, qualifizierend- quantifizierenden Analyseschritten.
8. Die Inhaltsanalyse segmentiert den Erkenntnisprozess. Sie weist Bedeutungen und Bedeutungsstrukturen in Texten und Textmengen nach zum Zwecke einer von ihr getrennten, sinnverstehenden Interpretation.
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3. Grundprobleme: Forschungsablauf
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3. Grundprobleme: Stichproben
Für die Inhaltsanalyse gelten die allgemeinen Regeln der Stichprobenziehung bzw. der Relationen zwischen Grundgesamtheit und Stichprobe,
a) für die Auswahl der Medien: Auswahleinheiten
b) für die Auswahl der Beiträge: Analyseeinheiten
In der Praxis häufig verwendete Formen:
o bewusste Auswahlverfahren
o Klumpenstichproben
o natürliche oder künstliche Wochen
o „ganze“ Ausgaben: Erscheinungstage, Seiten, Programme usw.
In der Praxis kaum verwendete Formen: einfache Zufallsauswahl
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3. Grundprobleme: Kategorien
Berelson: „Die Inhaltsanalyse steht und fällt mit ihren Kategorien.“
theorieorientierte Kategorienentwicklung: Konstrukt als Ausgangspunkt
empirieorientierte Kategorienentwicklung: Material als Ausgangspunkt
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3. Grundprobleme: Kategorien
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Haupttypen:o formale Merkmale: Tag, Zeit, Seite, Dauer/Umfang …
o inhaltliche Merkmale: Genre/Ressort, Thema, Akteure, Wertung, Handlungsort, Aktualität ….
Anforderungen:
o vollständig: alle Variablen des Konstrukts sind erfasst
o exklusiv: jede Codierung gehört in eine Dimension
o trennscharf: die verschiedenen Dimensionen gehen nicht ineinander über
3. Grundprobleme: Kategorien
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3. Grundprobleme: Codierung
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Codieren = gesteuerte Rezeption, Interpretation und Einordnung
Codebuch: Normierung der Interpretationsrahmen und -spielräumedurch Definition der Kategorien, Ankerbeispiele, Merkmalswerte
Schulung: „Einübung“ in die Interpretationsrahmen und -spielräume und in die Handhabung des Codebuchs
4. GütekriterienMessung durch Vergleich (Rössler 2010: 198)
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4. Gütekriterien
Reliabilität: Genauigkeit und Stabilität der Messung
o Intercoder-Reliabilität: Übereinstimmung mehrerer Codierer zum Zeitpunkt t1
o Intracoder-Reliabilität: Übereinstimmung eines/mehrerer Codierer/s zu mehreren Zeitpunkten t1 bis tx(vs. „observer drift“)
Validität: Inhaltliche Präzision
o Übereinstimmung zwischen Forscher und Codierern
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5. Zusammenfassung
IA – Methode des Fachs
o aber nicht für alle Fragestellungen!
o Beschreibung (von Aspekten) der Medienrealität als Zentrum der Analyse
o geringe Standardisierung: für jede Fragestellung ein neues Verfahren
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Übungsfragen
Worin unterscheiden sich gängige Definitionen der Inhaltsanalyse? Diskutieren Sie zwei dieser Unterscheidungen
Was ist Inferenz in der Inhaltsanalyse und wann ist sie zulässig?
Was versteht man unter diagnostischer und prognostischer Inhaltsanalyse? Wodurch unterscheiden sie sich und worin unterscheiden sie sich nicht?
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