Seminar in der Nordsee-Akademie Beispiel einer Gemeindevertretersitzung Referent: Joachim Rück,...

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Seminar in derNordsee-Akademie

Beispiel einer Gemeindevertretersitzung

Referent: Joachim Rück,Gemeinde Sylt-Ost

1.

Der Bürgermeister lädt zur konstituierenden

Sitzung mit Einladung vom 12. Juni 2008

(Donnerstag) zu einer Gemeindevertreter-

sitzung ein. Die Sitzung soll am Donnerstag

den 19. Juni 2008 stattfinden.

Sie erhalten die Einladungam Samstag, den 14. Juni 2008.

Die Bekanntmachung inder Zeitung wird vergessen.

Von der Bevölkerung erscheint niemand.

§ 34 Abs. 4 Ladungsfrist

• Mindestens 1 Woche

• Unterschreitung nur in begründeten Fällen möglich

• Absolute Ausnahme:Widerspruchsmöglichkeit 1/3 der ges. Mitglieder

§ 35

• Öffentlichkeitsprinzip

• Bei Verstoss: Nichtigkeit der Beschlüsse!

2.

Eine wichtige Vorlage, deren Kenntnis unab-

dingbar für einen Tagesordnungspunkt ist, geht

Ihnen nach der Einladung am 16. Juni 2008 zu.

• Vorlagen, Regelung in der Geschäftsordnung

• Kein geltendes Recht Aber: Anspruch auf Einhaltung

• Bei einem Verstoss gegen die Geschäftsordnung:Kein Rechtsverstoss!

• Beschluss bleibt rechtswirksam

3.

Die Sitzung findet statt. Der Bürgermeister

eröffnet die Sitzung. Er verpflichtet die

Mitglieder der Gemeindevertretung. Sie fragen

nach der Bedeutung der Verpflichtung

und Ihrer Haftung für evtl. Fehler.

Der Bürgermeister entschuldigt den

Gemeindevertreter X, der einen Unfall

hatte und die Gemeindevertreterin Y,

die an diesem Abend turnusmäßig

ihren Bridge-Abend hat.

Pflichten der Vertreter• Annahme des Mandats ist freiwillig• Dann aber: Gesetzliche Pflichten

Teilnahmepflicht• Nur in wirklich begründeten Fällen darf man

fernbleiben:– Fußballweltmeisterschaft?– Geburtstag der Ehefrau?– Unfall?– Krankheit?

4.

Mit der gesetzlich vorgeschriebenen 2/3

Mehrheit wird die Tagesordnung um den

wichtigen Tagesordnungspunkt erweitert:

Beratung und Beschlussfassung über

den Neubau eines Feuerwehrgerätehauses

Der Bürgermeister begründet die

Dringlichkeit damit, dass bis zum 31.3.

2009 Förderanträge gestellt sein müssen.

Sie fühlen sich überrumpelt, weil Ihre

Fraktion zu diesem Thema noch nicht

gehört wurde und eine Vorberatung in der

Fraktion nicht möglich war. Außerdem verstehen Sie den Grund für die 2/3

Mehrheit nicht.

§ 34 Abs. 4 Erweiterung der Tagesordnung

• Dringlichkeit gegeben

• 2/3 Mehrheit der gesetzlichen Zahl der GV

Beides muss -kumulativ- erfüllt sein

• Bei Verstoss: Rechtswidrigkeit, aber wirksam, anfechtbar

5.

Als neuer Gemeindevertreter fragen Sie

nach den Mehrheiten, mit denen

üblicherweise Beschlüsse gefasst werden.

§ 39 Beschlussfassungen

• Grundsätzlich mit Stimmenmehrheit der anwesenden GV

• Ausnahmen:– Hälfte der gesetzlichen Zahl der GV– Widerruf Bestellung der Gleichstellungsbeauftragten– Disziplinarverfahren gegen Bgm.

• 2/3 der Anwesenden:– Ausschluss der Öffentlichkeit

• 2/3 der gesetzlichen Zahl:– Namensänderung der Gemeinde– Abberufung des Vorsitzenden der GV

6.

Der Bürgermeister hat im Vorfeld zur Sitzung

keine allgemeinen Informationen über die

Hintergründe der Notwendigkeit eines

Neubaues gegeben. Offensichtlich ist nur „seine“

Fraktion informiert. Sie rügen die fehlende

Information und verweisen auf die

Geschäftsordnung und die Gemeindeordnung.

§ 30 Kontrollrecht

• Alle Selbstverwaltungs- und Weisungsangelegenheiten

• Ausschüsse: Für den Aufgabenbereich analog

• Ausnahme: „Geheimzuhaltende Vorgänge“

7.

Sie sind der einzige Bauunternehmer im Ort und werden durch Beschlussfassung der Vertretung für befangen erklärt und dürfen an der Beratung und der Beschlussfassung nicht teilnehmen. Sie selbst fühlen sich nicht befangen und verweisen auf den

GV „A“, der an der Abstimmung über die Erhebung von Ausbaubeiträgen an seiner Strasse

teilgenommen hat.

§ 22 Befangenheit

• Unmittelbar eintretender Vor- oder auch Nachteil

• Selbst oder nahestehende Personen § 22 Abs. 1

• Ausnahme: Berufs- und Bevölkerungsgruppen

Bedeutung für Rechtmäßigkeit des Beschlusses:– Erheblichkeit

– Jahresfrist

8.

Im Verlauf der weiteren Sitzung muss ein Mitglied der Vertretung dreimal zur Ordnung

gerufen werden. Der Bürgermeister erteilt ihm dennoch später noch einmal das Wort, obwohl

die Geschäftsordnung dies verbietet.

Ordnungsruf

• Geschäftsordnung, kein geltendes Recht

• Beschluss bleibt rechtmässig

• Wichtig: „Ordnungsruf“, nicht nur Ermahnung

9.

Die Sitzung, die in einem Lokal stattfindet,

wird ständig durch Zwischenrufe eines

angetrunkenen Bürgers gestört. Der

Bürgermeister verweist ihn des Raumes. Der

Gastwirt ist empört, weil es sich um einen

Stammgast handelt.

Die Polizei muss gerufen werden.

Störung der Sitzung

• Vorsitzender hat Hausrecht, auch in einemöffentlichen Lokal

• Verweisung der Person durch Polizei möglich

• Auch gegen den Willen des Wirtes

• Fotografieren bzw. Tonaufnahmen

10.

Es folgt später ein weiterer brisanter Tages-

ordnungspunkt, bei dem eine Fraktion be-

antragt, vorher die Sitzung für 10 Min. zu

unterbrechen. Der Bürgermeister lehnt dies

ab, obwohl es in der Geschäftsordnung so

vorgesehen ist. Sie halten die nachfolgenden

Beschlussfassungen daher für rechtswidrig.

Unterbrechung der Sitzung

Ablehnung führt nicht zur Rechtswidrigkeit

des nachfolgenden Beschlusses

11.

Der Ort will sich eine Ortsgestaltungssatzung

erlassen. Die Gemeindevertretung hält den

Bauausschuss für kompetenter und überträgt

dem Ausschuss die Beratung und ab-

schließende Beschlussfassung über die

Satzung durch einstimmigen Beschluss.

Sie sind dagegen.

Aufgabenzuweisung auf einen Ausschuss

• Hauptsatzung?

• Kein Satzungsrecht § 28 GO

• Beschluss rechtswidrig, Satzung darf nicht erlassen werden

• Beanstandungspflicht des Bgm. (Pflicht!!!)

12.

Es wird über eine Bausache zu beschließen sein.

Der Bürgermeister berichtet, dass der Bauherr

einen Anspruch auf das gemeindliche Einver-

nehmen habe, so die Vorprüfung durch das Kreis-

bauamt. Sie sind - wie viele Ihrer Wähler - gegen

das Vorhaben und erklären, Sie würden mit Nein

stimmen, weil Sie kein Jurist sind und nur nach

bestem Wissen und Gewissen entscheiden werden.

Verfassung und Gesetze zu beachten

• Amtspflicht nach § 839 BGB

• Haftung für rechtswidrige Entscheidungen

13.

Ein für Sie und Ihre Fraktion bedeutender Tages-

ordnungspunkt - dessen Aufnahme in die Tages-

ordnung von Ihrer Fraktion beantragt wurde - wird:

a) vom Bürgermeister einfach von der

Tagesordnung abgesetzt

b) auf Vorschlag der Gegen-Fraktion kurzer Hand mit

einfacher Mehrheit von der Tagesordnung abgesetzt.

Sie finden dies nicht in Ordnung, weil Sie der

Meinung sind, wenn der Tagesordnungspunkt

für eine Sitzung vorgesehen ist, muss er auch

behandelt werden. Mindestens müsse aber eine

2/3 Mehrheit für die Absetzung erreicht werden.

Absetzen von TOP § 34 Abs. 4 GO

• Grundsätzlich durch Beschluss möglich

• Einfache Mehrheit

• Missbrauch: Absetzen von TOP, die mit Mehrheit verlangt worden sind

14.

In der Geschäftsordnung ist bestimmt, dass Sitzungen

nach dreistündiger Dauer zu vertagen sind. Die Sitzung

hat um 19.00 Uhr begonnen. Um 22.15 Uhr verlangen Sie

die Vertagung. Die Fortsetzung der Sitzung wird trotz

der Vorgabe in der Geschäftsordnung beschlossen. Der

Vorsitzende begründet dies mit der Amtspflicht zur

schnellen Sachentscheidung, lenkt dann aber ein und

lädt mündlich zur Fortsetzung der Sitzung ein. Aus

Gründen der Kostenersparnis soll auf eine schriftliche

Einladung verzichtet werden.

• Geschäftsordnung kein geltendes „Recht“,nur Selbstbindung

• Grundsätzlich kann Einhaltung verlangt werden, auch einklagbar

• Aber: Alle müssen dies wollen, nicht nur Einzelne

• Keine Beanstandung durch Bgm.,kein Eingriff durch KAB

• Einladungen zur GV grundsätzlich schriftlich,weil Tagesordnung Bestandteil der Einladung ist

• Terminsetzung für Fortsetzung ist aber mündlich möglich

15.

Bei dem Tagesordnungspunkt über eine Fahr-

kostenpauschale des Bürgermeisters wird

geheime Abstimmung verlangt. Alle sind dafür.

Die Verwaltung ist darauf nicht vorbereitet und

verteilt handschriftlich gefertigte Stimmzettel.

Außerdem wird die Öffentlichkeit zu diesem

Tagesordnungspunkt ausgeschlossen.

• Abstimmungen stets offen

• „Geheime Abstimmung“ nur bei Wahlen möglich

• Wahl muss in der GO als solche bezeichnet sein

• Nichtöffentlichkeit: § 35 Abs. 1 GO (öffentliches Wohl oder berechtigte Interessen einzelner…)

16.

Der Bürgermeister fordert alle Vertreter auf,

Ihren Beruf und sonstige Tätigkeiten bekannt

zu geben, wenn sie mit der Arbeit in der Ver-

tretung in einem Zusammenhang stehen können.

Sie sind empört, denn Sie sind Rechtsanwalt

und sollen einen Bürger in einem Prozess gegen

die Gemeinde vertreten.

§ 32 Abs. 4 GO Rechte und Pflichten

Pflicht zur Angabe von Beruf usw. soweit erforderlich

17.

Obwohl die Hauptsatzung vorsieht:

„Die Gemeindevertretung „soll“ allezwei Monate einberufen werden.“

erklärt der Bürgermeister am Ende der Sitzung, erwerde zur nächsten Sitzung erst wieder in drei

Monaten einladen, weil keine Tagesordnungspunktezu erwarten sind und im übrigen fast alle Gemeinde-vertreter in dem turnusmässig anstehenden Monat

in Urlaub sein werden.

Sie sind hiermit nicht einverstanden.

• Hauptsatzung ist gemeindliche Rechtsnorm

• 2-Monatsfrist ist damit bindendaber: Soll-Vorschrift

18.

Nach der Sitzung suchen Sie zu verschiedenen Fragen Rat.

Der Bürgermeister verweist ohne weiteren

Kommentar auf die Beschlussfassung.

Der Leitende Verwaltungsbeamte sieht keinen Handlungsbedarf.

Sie wenden sich an die Kommunalaufsicht.

Von dort erhalten Sie nur eine Stellung-

nahme, die Sie nicht zufrieden stellt.

§ 120 Aufgabe der Kommunalaufsicht

• Eigentlich nur reine Rechtsaufsicht aber: In Form von Beratung und Unterstützung

• Auch: Schiedsrichter und Schlichter zuGeschäftsordnung und Verfahrensfragen

• Zunächst sollte die Frage vor Ort geklärt werden: Bgm. und LVB

19.

Sie sind bereit, wegen einer wichtigen

Frage eine gerichtliche Entscheidung

herbeizuführen (z.B. Ihr Ausschluss

wegen Befangenheit Ihrer Person), weil

solche Ausschlüsse schon öfter

vorgekommen sind.

Kommunalverfassungsstreit

• Verfahren vor dem Verwaltungsgericht:Nach erfolglosen Anfragen beim Amt und Kommunal-aufsicht möglich

• Kein Anwaltszwang

• Sog. „Offizialmaxime“,Aufklärung des Sachverhaltes von Amts wegen

• Kosten trägt in der Regel die Gemeinde

20.

Sie haben in der vergangenen Legis-

laturperiode einen förmlichen Antrag

gestellt, vermissen diesen jetzt im

Wortlaut des Protokolls der Sitzung.

Außerdem vermissen Sie Ihre eigenen

Wortbeiträge im Protokoll.

Bestandteile des Protokolls

• Beschlussprotokoll

• Regelung in der Geschäftsordnung

• Behandlung von Anträgen

21.

Sie sind alleinerziehende Mutter undhaben Aufwendungen für die Betreuung

Ihres Kindes während der Sitzung.Außerdem haben Sie an einem Arbeitsge-

spräch in der Kreisverwaltung teilge-nommen und Fahrtkosten verauslagt und

sich eine Textausgabe der Gemeinde-ordnung beschafft, nachdem sie Ihnen vom

Amt trotz ausdrücklicher Bitte nicht zurVerfügung gestellt wurde.

§ 24 Abs. 3 GO

• Erlass einer Entschädigungssatzung istzwingend vorgeschrieben

• Sachkosten: Erstattungsfähig, wenn Verwaltung diese nicht stellt

• Gemeindeordnung?

• Kosten dieses Seminars?

22.

Der Bürgermeister berichtet von Verstößen

gegen die Vertraulichkeit und belehrt Sie.

Bußgelder seien möglich. Er fragt nach der

Bewahrung der Vertraulichkeit von nicht

öffentlichen Protokollen bei Ihnen zu

Hause. Sie halten dies für anmaßend.

§ 21 GO Vertraulichkeit, Verschwiegenheitspflicht

• Wem gegenüber?

• Dinge die allgemein bekannt sind?

• Unterlagen im privaten Bereich?

• Bußgeld bei Verstößen?

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