Print vor dem Aus?

Preview:

Citation preview

Zeitungen im digitalen Umbruch

Print vor dem Aus?Die Zukunft von journalistischen Inhalten liegt im Digitalen

VON CHR ISTOPHE LANGENBR INK

Anfang dieses Monats kündigteder „Bonner Generalanzeiger“ dieSchließung seiner Verlagsabteilungan. Am vergangenen Donnerstagmeldeten Agenturen, dass Ende desJahres der Ableger der renommier-ten „Wall Street Journal Deutsch-land“ seine digitale Ausgabe ein-stellen wird ... Selbst die bekannte„Frankfurter Allgemeine Zeitung“(FAZ) streicht 200 von insgesamt900 Stellen. Die Verlagshäuser Gru-ner + Jahr haben mit den Magazinen„Geo“ und „Brigitte“ ihre Redaktio-nen gestrafft ... Die Liste ließe sichnoch mit weiteren Entlassungenoder Verlagsauflösungen ergänzen,die allein dieses Jahr geschehensind. Ohne Zweifel steckt dieZeitungsindustrie nicht allein inDeutschland in einer nie da gewe-senen Umbruchphase. Eins stehtfest: Die digitale Revolution in derZeitungslandschaft steht erstam Anfang.

Ohne Handy geht heutzutage kaumnoch einer vor die Tür! Tag ein,Tag aus dasselbe Ritual. In jederBahn, in jedem Bus sitzen mitt-lerweile die meisten Menschen inder gleichen Pose: Kopf leicht nachnach unten geneigt und starr aufihr Smartphone oder ihr Tabletblickend. Sie „googeln“, sie „twit-tern“, sie „chatten“ oder sie „dad-deln“ auf ihren kleinen, handli-chen elektronischen Geräten. Inder öden Welt des öffentlichenPersonennahverkehrs eine pas-sende Abwechslung. Schnell nocheinen kurzen Blick aufs Handywerfen, um auf den letzten Standzu kommen, bevor man aussteigenmuss. Wer da noch eine Zeitungin der Hand hält, gehört schon zuden Exoten. Es sei denn, sie liegengratis aus und können schnelldurchgeblättert werden.

Gefahren

Bei weltweit über sechs Milliar-den Handys ist es nicht wirklichverwunderlich, dass die kleinenApparate, die fast alles können, denZeitungen den Rang ablaufen. Wieschwer Zeitungsverlage mit demdigitalen Wandel zu kämpfen ha-ben, äußert sich im Rückgang derAuflagenzahlen. Von 2008 bis 2012meldete der Dachverband der Zei-tungsverlage (WAN-IFRA), dassdie Auflagen in Westeuropa umfast ein Viertel zurückgegangensind. Im selben Zeitraum sind aberauch die Einnahmen um rund 22Prozent geschrumpft. Auch inLuxemburg sind die Zahlen rück-läufig. Lag die Druckauflage des„Luxemburger Wort“ 1995 bis 1998auf ihren Höhepunkt bei fast88 000 Stück liegt sie heute beirund 70 000 gedruckten Exemp-laren. Dabei musste auch das Ver-lagshaus Saint-Paul schmerzhafteEntscheidungen treffen. So wurdedie französischsprachige Zeitung„La Voix de Luxembourg“ am 30.September 2011 eingestellt. Nunsoll sich die frankophone Leser-schaft auf dem digitalen Kanal überWort.lu/fr wiederfinden.

Während sich das Internet inrasantem Tempo weiterentwickeltund die Branche nach ihrem ers-

ten Höhenflug Ende der 1990er-Jahre sogar schon den Börsen-crash 2001 längst hinter sich ge-lassen hat, hecheln Printunterneh-men dem technologischen Fort-schritt hinterher. Sie sind zu ver-ängstigt, um in neue teure Tech-nologien zu investieren, weil sienicht genau wissen, was dernächste Trend ist, der zu neuenGeldquellen führt.

Kein Wunder, denn viele Me-dienhäuser in Europa hätten nochwenig Ahnung, wie sie ihr zent-rales Geschäft erfolgreich in dieZukunft bringen können, erklärteder FAZ-Geschäftsführer Tobias

Trevisan gegenüber dem „Stan-dard.at“.

Die zögerliche Haltung ist teil-weise verständlich. Sie wird näm-lich untermauert durch eine Le-serschaft, die wegstirbt und sichkaum erneuert. War ein Print-abonnent einer Zeitung über Jahr-zehnte treu, ist der Online-Leserheute eher schwankend. Lässt ersich auf ein Online-Nachrichten-Abo ein, kann er jederzeit ohnegroße Umstände sein Abo mit einpaar Mausklicks wieder kündigen.

Wer demnach ein erfolgreichesBezahlmodell im Internet aufstel-len will, muss mehr bieten als klas-sische Printinhalte. Doch ohne er-hebliche Investitionen ist kein„Krieg“ zu gewinnen.

Aber genau hier liegt der Haseim Pfeffer. Zählten bis Ende des 20.Jahrhunderts Verlagshäuser zu den

einflussreichsten Industrien, spie-len sie in der zunehmend digitali-sierten Welt nur noch die zweiteGeige. Während gedruckte Medi-en die Gegenwart täglich aufsNeue erklären und somit den In-formationstakt vorgegeben haben,gelten sie mittlerweile als Aus-laufmodell. Global agierende Kon-zerne wie z. B. Google, Twitter,Facebook und Co sind innerhalbweniger Jahre zu mächtigen,marktbeherrschenden Playern he-rangewachsen. Sie bestimmen dasdigitale Geschäft. Als Getriebenesind Zeitungshäuser dazu ver-dammt „Early Adopter“ zu sein,ohne jedoch das digitale Geschäftwirklich zu verstehen. Dabei ist dieNähe zum Leser so groß wie nochnie. Vom einst unbekannten We-sen wird er immer transparenter,sodass zunehmend auf seine Wün-sche eingegangen werden kann.Doch noch haben viele Angst, sichmehr mit dem Leser und seinenInteressen auseinanderzusetzen,weil früher der Journalist die In-halte vorgab. Heute bestimmt derLeser, was ihn interessiert.

Doch während sich die Inter-netbranche täglich neu erfindet,und immer auf der Suche nachneuen marktfähigen Features ist,verharren viele Verlage in derSchockstarre, anstatt sich die In-novationsfreudigkeit der Kommu-nikationsbranche zu eigen zu ma-chen. Denn der Erfolg der Inter-netindustrie ist das Ausprobierengetreu dem Motto „probieren gehtüber studieren“ allerdings ohneAussicht auf Erfolg!

Kaum eine Branche leidet sostark unter der digitalen Umwäl-zung wie die Medien. Das gibtselbst der Vorstandsvorsitzendeder deutschen Telekom, Timothe-us Höttges, auf den Münchner Me-dientagen bereitwillig zu und klagtdas US-Geschäftsmodell an, dasMonopole aufbaut, den Kunden dasParadies verkaufen will, aber ohneechten Wettbewerb zuzulassen.

Gerade die Zeitungsbranchefühlt sich hier im Stich gelassen.Weil sich im Internet eine Gratis-kultur eingenistet hat, werdenselbst Inhalte kostenfrei angebo-ten, die aber mit erheblichen Kos-ten von Zeitungsverlagen produ-ziert wurden. Wo bleibt da nochdas faire Geschäft? So lamentierenheute Zeitungsmacher und ver-missen die alten Zeiten. Was wa-ren das noch für grandiose Zeiten,als Verlage von der journalisti-schen Idee bis hin zum Vertrieb al-les in einer Hand hielten und selbstkontrollierten. Jetzt bestimmenInternetkonzerne die Vertriebs-wege und fast hilflos schauen dieVerlage zu, wie ihr Einflussschwindet. Dabei war der Auf-stieg ein langer und mühsamerWeg.

Rückblick

Bevor Johannes Gutenberg im 15.Jahrhundert in Mainz mit seinergrandiosen Erfindung ein neuesZeitalter mit dem Buchdruck ein-leitete, waren es Mönche, die rundtausend Jahre lang in aufwendigerHandarbeit für die Vervielfälti-gung von Büchern sorgten. Wiebahnbrechend die Verwendungvon beweglichen Lettern und dieZerlegung des Textes in alle Ein-zelelemente für die weitere Ent-wicklung der Menschheit war, er-lebte Gutenberg selbst nicht mehr.

Es dauert schließlich rund fast200 Jahre, bis Anfang des 16. Jahr-hunderts die erste Zeitung als re-gelmäßig erscheinendes Mediumin den Umlauf gebracht wurde.Erst weitere drei Jahrhundertespäter konnte sich die Zeitung alsMassenmedium im 19. Jahrhun-dert durchsetzen. Ihren Siegeszugim Zeitalter der Industrialisie-rung, die einherging mit der Pres-sefreiheit, die überall in Europaunterschiedlich erkämpft wurde,war nicht mehr aufzuhalten.

Als markantes Beispiel für denrasanten Aufstieg der Zeitungs-

branche lohnt der Blick über denAtlantik. Zeitgleich mit der de-mografischen Entwicklung der US-Bevölkerung, die sich zwischen1840 und 1860 von rund 17 auf 31Millionen fast verdoppelte, ver-dreifachte sich die Zahl der Ta-geszeitungen innerhalb von 20Jahren und konnte ihre jährlicheAuflagenzahl auf stolze über 800Millionen Exemplare fast verfünf-fachen (Quelle: Allan R. Pred, „Ur-ban Grothw an the circulation ofInformation“, Havard UniversityPress 1973).

Chancen

Heute, mehr als 150 Jahre später,ist nahezu jede Zeitung als Down-load weltweit mit ein paar Klickserhältlich. Während Gutenbergnoch als armer Schlucker starb,gehörte das Verlagswesen im 20.Jahrhundert zu den einflussreichs-ten Industrienzweigen. Nachrich-ten und Fotos aller Art kursierenin einem Wimpernschlag von ei-nem bis zum anderen Ende derWelt. Noch nie waren Informati-onen so schnell, aber auch sokostengünstig erhältlich.

Der technologische Fortschrittmacht es möglich. Während in Ar-chiven alte Zeitungen langsam vorsich hin verwesen, können sie dankdes technischen Fortschritts digi-talisiert werden und somit für dienächste Generation einfacher auf-bewahrt werden. Sie werden teil-weise sogar automatisch ver-schlagwortet. Ihre kostbaren In-halte können bequemer eingese-hen werden. Dank eines intelli-genten Archivsystems sind Infor-mationen schneller und vor allemzu jeder Zeit einsehbar.

Es ist eine mächtige Technolo-gie, die in der vergangenen Deka-de herangereift ist und die ständigweiterwächst. Sie ist vor allemlanglebig und höchst anpassungs-fähig. Selbst das Lesevergnügenkann sich an die Bedürfnisse an-passen. Es kann mit neuen Er-zählformen angereichert werden,in dem beispielsweise Bild undTon in eine Geschichte miteinge-baut werden können. „Interaktiv“ist die neue Zauberwelt, die vieleSinne anspricht. Ein Potenzial, dassich Verlagshäuser Stück für Stückmühsam erarbeiten.

Zwar haben Verlage den digi-talen Umbruch bisher zum Teilverschlafen, sogar unterschätzt,doch es ist noch lange nicht allesverloren. Immer mehr Verlags-häuser in Frankreich, Deutschlandund Belgien springen auf den Zugder hybriden Bezahlmodelle auf.Sie sind dabei, die Eigenheiten undFeinheiten der Digitalisierung zuumarmen. Sie machen Inhaltedurch neue Erzählformen für einezahlende Kundschaft schmackhaf-ter. Sie dürfen dabei nur nicht ihrSelbstverständnis verlieren, sichnämlich als zentraler Informati-onsvermittler zu verstehen. Siemüssen weiter Geschichten guterzählen und die neuen Erzähl-möglichkeiten mit berücksichti-gen. Ihr Aktionsrahmen wird viel-fältiger und ihr Einflussradius grö-ßer. Neue Technologien sind nichtder Feind. Sie sind der Ausweg ausder Zeitungskrise.

Journalistische Inhalte werden immer mehr auf digita-len Geräten gelesen.

Zeitungen müssen sich in der digitalen Welt neu er-finden.

Recommended