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Digital Natives werden erwachsen – Die neue Generation von Kunden Maria Luchterhandt und Sebastian Schmidt

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Die Wortschöpfung Digital Natives geht auf einen Aufsatz von Marc Prensky aus dem Jahre 2001 zurück. Er prägte diesen Begriff stellvertretend für Menschen, die nach 1980 direkt in das digitale Zeit alter hineingeboren wurden. Durch ihre digitale Medienbiografie ist es für diese Gruppe von Personen selbstverständlich, stets vernetzt zu kommunizieren, zu kollaborieren und sich mit anderen zu koordinieren.

Die grown-up Digital Natives, die zwischen 1980 und 1985 geboren sind erreichen nun eine neue Lebensphase. Sie organisieren heute mit Anfang 30 Ihr Familienleben und Ihre berufliche Karriere. Eine für Markenartikler interessante Zeit, insbesondere wenn wir die grown-up Digital Natives als medienkompetente, besser gebildete Männer und Frauen mit Lebensmittelpunkt im urbanen Raum beschreiben.

Im Folgenden lohnt es sich also zu fragen, welche Einstellungen und Werte für diese Menschen von Bedeutung sind. Im Anschluss erfolgt die bildhafte Schilderung eines medialen „Day in Life“ der heute Anfang 30-Jährigen.

Werte und Einstellungen der grown-up Digital Natives

In der Welt der grown-up Digital Natives gehören zahllose Auswahlmöglichkeiten und ständige Veränderungen zur Tagesroutine. Mit einer durchaus realistischen Wahrscheinlichkeit prägten die vielfältigen Wahlmöglichkeiten bereits die Suche des Partners, mit dem der betrachtete Lebensab-schnitt begangen werden soll. Denn 4 von 10 Singles nutzen heute Online-Partner-Börsen. Die mannig-faltigen Angebote des Treffpunktes Online belegen Platz 3 der Orte, an denen sich Liebende treffen – nach dem Arbeitplatz und Freundeskreis, aber noch vor dem Club, der Disco oder dem Urlaub. Online-Partnerbörsen bieten viele hunderte Kontaktmöglichkeiten, gefiltert nach eigenen Vorstel-lungen, sowie tausende fotografischer Selbstdarstellungen. Die digitalen Kontaktbörsen schaffen die Illusion, das Finden eines Partners als eine unkomplizierte und professionell organisierte Angelegen-heit gestalten zu können. Die Wahlmöglichkeiten sind dabei täglich aufs Neue unendlich.

Bereits diese Tendenz der Partnerwahl lässt erahnen, dass es den grown-up Digital Natives darauf ankommt, bequem auf nichts verzichten zu müssen: Es soll der Partner werden, der im hier-und-jetzt zu den eigenen Ansprüchen passt. Optionen für das Morgen sind allzeit nur einen Klick entfernt.

Dass Veränderungen zum akzeptierten Lebenskonzept gehören, darüber sind sich die grown-up Digital Natives klar. Der unablässige Fluss von medialem „Content“ (aber nicht unbedingt Inhalten!) in jeder Lebenssituation verstärkt die Wahrnehmung der Ungewissheit der Zukunft als „Zerbrechlichkeit der Gegenwart“. Daher zählt auch bei der Partnerwahl und der Familiengründung die Befriedigung des Glücksverlangens im Heute. „Zugespitzt formuliert: Es geht um Sex. Es geht um Liebe. Es geht um Kinder. Es geht um Versorgung, um Erhaltung und Erweiterung von Besitz. Aber zuallererst geht es darum, wie der oder die, mit der oder dem ich zusammen bin, den oder die ich heirate, mein Selbst bereichert, glorifiziert, offenbart.“

Das Glücksstreben durch individuelle Bedürfnisbefriedigung prägt nach vorerst erfolgreicher Partner-wahl die Familiengründung. Diese nimmt laut aktuellen Umfragen einen wichtigen Stellenwert im Zielkorridor der Ende 20-Jährigen - Anfang 30-Jährigen ein. Familie definiert sich heute aber weniger stark durch nur eine dauerhafte Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern. Auch ist es weniger der eine bestimmte Ort des Zusammenlebens, der für das Konzept „Familie“ Voraussetzung ist.

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Denn ein Entweder-oder wird auch von den jungen Eltern nicht mehr akzeptiert. Sie wollen auf keinen Aspekt des Lebens verzichten. So verspricht beispielsweise das Magazin „Nido“, das sich an Eltern mit Kindern unter sechs Jahren mit einem breiten Interessenhorizont und ein überdurchschnittliches Ein-kommen wendet, das „komplette Themenspektrum von Pop bis Politik, von Mode über Reisen und Inneneinrichtung bis hin zu Psychologie und Sex. Alles mit dem Blickwinkel moderner, urbaner Eltern“.

Diese Sowohl-als-auch Mentalität erzeugt Druck auf die tägliche Lebensroutine, gerade wenn aus dem Paar eine Familie geworden ist. Denn alles soll problemlos und anstrengungsfrei zur Befriedigung der eigenen aktuellen Bedürfnisse beitragen.

Innerhalb der Familie müssen daher die Abläufe der individuellen Vorhaben des Tages miteinander koordiniert werden. Diese werden durch die jeweiligen Vorlieben von ihm und ihr in Beruf, Freizeit, Sport und Entertainment bestimmt. Und dem Nachwuchs soll es dabei auch gut gehen. Nach außen hin werden die Kinder als Mittel zur erweiterten Selbstinszenierung eingesetzt: „Bei uns ist alles cool, wir kennen die letzten Updates unserer Peergroup, wir sind die Kapitäne unseres Lebens.“ – Dieses Bild muss glaubhaft auf dem Spielplatz in Berlin-Mitte zur Schau gestellt werden.

Grown-up Digital Natives vollziehen also einen Spagat zwischen der Pflege ihrer Individualisierung und der Suche nach Bindung. Der gezielte Einsatz digitaler Kommunikation ist dabei für sie zur conditio-sine-qua-non geworden, um dieses Lebensmodell betreiben zu können.

A day in life of a grown-up Digital Native

Nina, 32, und Stefan, 34, haben ein Kind: Leon ist 3 und besucht einen Ganztagskindergarten. Beide Eltern sind berufstätig. Nina arbeitet in einer 3/4 Stelle im Außendienst und hat die Möglich-keit, einen Teil der Arbeit auch aus ihrem Home Office erledigen zu können – solange sie nicht zu Kundenterminen oder zu wichtigen Meetings in ihr Unternehmen muss. Stefan ist Consultant in einer Unternehmensberatung und öfter projektweise unterwegs. Das Paar bestellt zwei- bis dreimal in der Woche eine mehrsprachige Nanny über eine Agentur, die nachmittags und auch abends vorbei kommt, wenn Nina auf Geschäftsterminen ist oder das Paar mal Zeit für sich selbst braucht. Die Großeltern wohnen in einer anderen Stadt und sehen ihre Enkel meist zu Feiertagen oder Geburtstagen.

Die Familie nutzt in ihrem Alltag unterschiedlichste Medien, am meisten aber ihre Smartphones und das Tablet-PC. Sie haben auf ihren Geräten eine große Anzahl an Apps, auf die sie täglich zurückgreifen, um miteinander, mit ihren Freunden und Familie zu kommunizieren oder sich allgemeine Informationen einzuholen.

Das Tablet-PC gehört zum Beispiel zu der täglichen Frühstücks-Routine: Entweder ist es bei Stefan, der gerne die Zeitungs-App beim Kaffee liest und dann den Status seiner Freunde auf Facebook anschaut, oder bei Nina, die ebenfalls als Erstes ihre Facebook-Seite aufruft und dann den Feed auf Linked-In und Xing überprüft. Oder das Tablet-PC wird Leon in die Hand gedrückt (wenn er lange genug quengelt), damit er eins seiner Lieblings-Lernspiele1 spielen darf.

Die Planung aller Familientermine wird ebenfalls morgens über die Orga-App2 erledigt. Wenn der Kühlschrank mal wieder leer ist, wird der Einkaufszettel in der Orga-App entsprechend ergänzt und automatisch auf allen Geräten aktualisiert. Wenn einer von beiden Elternteilen mal einen geplanten Termin nicht wahrnehmen kann, braucht er oder sie den Eintrag im Familienkalender zu ändern – der andere bekommt sofort eine Push Nachricht.

Wenn Stephan wegen des Jobs mal wieder fliegen muss, checkt er über die App der jeweiligen Flug-ge sellschaft ein und bekommt das Ticket als QR-Code3. Ausdrucken des Tickets oder Anstehen am Check-in Counter entfällt. Das gleiche gilt für das Kaufen der Fahrscheine für die öffentlichen Ver kehrs- mittel – hier greifen sowohl Nina als auch Stefan gerne auf die App ihres Verkehrsverbunds4 zurück.

Die beiden benutzen inzwischen meistens auch keine SMS mehr, sondern Whats-App5 – das ist ein Online Messenger Dienst, mit dessen Hilfe keine Kosten für SMS Versand anfallen, da über Internet kommuniziert wird.

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Stefan und Nina arbeiten sehr viel und haben kaum Zeit füreinander. Damit die Beziehung trotzdem gut läuft, nutzen sie als „Erinnerungshilfe“ ebenfalls ein Programm6, das ihnen die Entwicklung und den Zustand ihrer Beziehung anzeigt, Punkte für gemeinsam verbrachte Zeit als Paar vergibt und zusätzlich Tipps anbietet, wie man diese „Paarzeit“ verbringen kann: z.B. im Restaurant. Praktischer-weise werden dabei auch noch Gutscheine für Restaurants angeboten. Solche Angebote überprüft Stefan allerdings zuerst immer über Google – hier kann man direkt zu jedem Restaurant eine Bewer-tung und Kommentare der anderen Besucher lesen und abschätzen, ob es sich lohnt oder nicht.

Das Smartphone kommt auch bei allen anderen Aktivitäten ständig zum Einsatz: Ob nun als Naviga-tionsgerät7 (falls das Programm nicht auf dem letzten Stand sein sollte, wird ganz schnell von unter-wegs ein Update runter geladen) beim Sport8 (um die Intensität des eigenen Trainings zu überprüfen – z.B. beim Joggen), im Stau (Facebook zu lesen oder zu chatten) oder sich bei Starbucks einzuchecken9 und einen Gutschein für Kaffee abzusahnen – wieder als sofort einlösbarer QR Code.

Sowohl Stefan als auch Nina ist sehr wichtig „up-to-date“ zu sein und zu sehen, was ihre Freunde machen und wo diese gerade unterwegs sind. Die Statusmeldungen und Bilder werden durchgehend kommentiert. Verabredungen zu gemeinsamen Abendessen werden ebenfalls online – über z.B. Eventeinladungsfunktion bei Facebook – erledigt. Das ist schneller und einfacher als Anrufe bei mehreren unterschiedlichen Leuten. So können auch alle direkt sehen, wer Zeit hat und wer nicht.

Telefonieren bleibt trotzdem nicht aus – aber auch dafür nutzen Stefan und Nina nicht das herkömm-liche Telefon, sondern eher Skype. Denn so kann man sich live sehen und Leon kann seinen Oma und Opa live seine letzten Bilder zeigen.

Fazit und Ausblick

In dem Artikel konnte bildhaft dargestellt werden, wie sich soziologische Veränderungen und tech-nologische Innovationen gegenseitig bedingen. Es reicht für Markenartikel also nicht, die Techno-logien der Digital Natives zu verstehen. Es bedarf viel mehr der Neugier, sich in Lebenswelten der Menschen hinein zu versetzen, die es als Ihr selbstverständliches Recht betrachten, von den Möglich-keiten der Welt Gebrauch zu machen.

„The link is more important than the thing“ stellten Cova und Cova bereits 2001 fest. Diese Vision des sozialen Miteinanders bekommt in der nächsten Generation von Kommunikationstechnologie eine noch stärkere Bedeutung: The Internet of Things und damit die Peer-to-Peer-Kommunikation zwischen digitalen Endgeräten, die neuartige Prozesse der Kommunikation, Koordination und Kom-munikation ermöglichen; semantische Technologien, die durch intelligente Suchagenten Webinhalte und –dienste bedarfsgerecht zusammenführen oder Instrumente des Opinion-Minings, die automatisch Meinungen und Einstellungen zu Sachverhalten und Personen extrahieren. Was technisch möglich, ist muss markenkonform, zielgruppengerecht und nutzenorientiert umgesetzt werden. Noch fehlen belastbare Orientierungsgrößen für die Erfolgsbewertung der kommerziellen Kommunikation im geschilderten transmedialen Alltag. Stellen sich Markenartikler jedoch bereits heute dieser neue Realität werden vergleichbare Erfolgsgeschichten entstehen, die zeigen, wie Werbekampagnen und Markenkommunikation messbar die Herzen und Köpfe der grown-up Digital Natives erreichen.

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Quellen und weiterführende Links:

1 z.B. Lernerfolg Grundschule: http://itunes.apple.com/de/app/lernerfolg-grundschule/id408866513?mt=8&ign-mpt=uo%3D4

2 z.B. Cozi: http://www.cozi.com/iphoneapp.htm

3 z.B. bei Lufthansa: http://itunes.apple.com/de/app/lufthansa/id299219152?mt=8 oder Air Berlin: http://itunes.apple.com/de/app/airberlin-your-airline/id409129262?mt=8

4 z.B. bei BVG: http://www.bvg.de/index.php/de/940553/name/Handyticket.html

5 Whatsapp: http://www.whatsapp.com/

6 z.B. Kahnoodle: http://kahnoodle.com/

7 z.B. TomTom: http://itunes.apple.com/de/app/tomtom-d-a-ch/id326068192?mt=8

8 Nike App: http://nikerunning.nike.com/nikeos/p/nikeplus/de_DE/products/gps_app

9 entweder über Facebook oder andere geo-located Services wie z.B. Foursquare: https://de.foursquare.com/

Bauman, Zygmunt; Jakubzik, Frank: Leben in der Flüchtigen Moderne, Suhrkamp Verlag 2007

Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth: Fernliebe: Lebensformen im globalen Zeitalter: Das globale Beziehungschaos, Suhrkamp Verlag 2011

Bender, Justus: Studenten heute. Woran kann ich noch glauben. Zeit Campus 7.9.2009

Cova, Bernard; Cova, Véronique: The tribalisation of society and ist impact on the conduct of marketing. http://visionarymarketing.com/_repository/wanadoo/cova-tribe-2001.pdf

Maier, Anja: Debatte Macchiato-Mütter. Projektkinder der Edeleltern, TAZ, 27.8.2010

Moreno, Juan: Es soll nicht weh tun. Warum junge Eltern anders sind als deren Eltern, Spiegel Spezial 1/2009

Prensky, Marc: Digital Natives, Digital Immigrants. On the Horizon, MCB University Press, Vol. 9 No. 5, Oktober 2001

Speicher, Stephan: Prenzlauer-Berg-Mütter. Schlank, hübsch, verhasst, Süddeutsche Zeitung, 24.06.2011

Mattauch, Christine: Boten der Liebe. Absatzwirtschaft, August 2011

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Verantwortlich für den Inhalt: Maria Luchterhandt und Sebastian Schmidt

Sebastian Schmidt ist Managing Director der Agentur Publicis in Berlin. Zuvor widmet sich Herr Schmidt am Institute of Electronic Business e.V. (IEB), einem An-Institut der Universität der Künste (UdK) in Berlin, v. a. dem Innovationszentrum für Digitale Kommunikation. Projektschwerpunkte waren insbesondere die Themen Social Media Marketing, Enterprise 2.0 und Customer Self Care.

Maria Luchterhandt ist Account Manager in der Agentur Publicis Berlin. Ihr aktueller Projektschwerpunkt besteht in der Planung und Umsetzung werblicher Kommunikation für die Zielgruppe „connected families“. Zuvor sammelte sie mehrjährige Erfahrungen als Beraterin bei Scholz & Friends Berlin und Dentsu Düsseldorf. Sie hat einen Abschluss als Diplomkauffrau der Betriebswirtschaftslehre der Univer-sität Potsdam.

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